Wandel als Chance oder Katastrophe - Markus Vogt - E-Book

Wandel als Chance oder Katastrophe E-Book

Markus Vogt

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Beschreibung

Deutschlands Flüchtlingspolitik, Digitalisierung, Änderungen in der Demografie - all diese und viele weitere Umstände führen zumindest gefühlt zu einem Wandel. Aber was ist das überhaupt? Und ist er positiv oder negativ? In seinem Essay erklärt Markus Vogt, mit welcher inneren Haltung wir dem Wandel begegnen sollten, um ihn als Chance zu begreifen, und warum wir eine Ethik der Solidarität benötigen, um niemanden abzuhängen.

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Markus Vogt

WANDELALS CHANCEODER KATASTROPHE

Originalausgabe

1. Auflage 2018

Verlag Komplett-Media GmbH 2018, München/Grünwald

www.komplett-media.de

E-Book ISBN: 978-3-8312-6994-5

Lektorat: Redaktionsbüro Julia Feldbaum, Augsburg

Korrektorat: Dunja Reulein

Umschlaggestaltung: X-Design, München

Satz: Daniel Förster, Belgern

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

Markus Vogt

WANDELALS CHANCEODER KATASTROPHE

INHALT

WANDEL ALS CHANCE ODER KATASTROPHE

1. EPISTEMOLOGIEN DES WANDELS

»Große Transformation«: Eine epochale Gegenwartsdiagnose

Moderne im Umbruch

Metamorphosen der Welt

Der Seneca-Effekt

2. AUFGEKLÄRTER KATASTROPHISMUS: WIDER DIE NAIVE SICHERHEIT

Gegenwärtige Zukunftsimaginationen im Schatten der Apokalypse

»Dass es so weitergeht, ist die Katastrophe«

Tipping points und rückschlägige Utopien

Verantwortung und Hybris im Anthropozän

Erinnerung an die Zukunft

»Durchkreuzte« Hoffnung

3. RESILIENZ: SICH FESTMACHEN AN DEM, WAS BESTAND HAT

Konjunktur in Krisenzeiten

Christlicher Glaube als Resilienzressource ….

Die erstaunliche Resilienz der Kirche

4. TRANSFORMATIONSETHIK: BEFÄHIGUNG ZUR GESTALTUNG DES WANDELS

Mystik der offenen Augen

Ökumenischer Prozess »Umkehr zum Leben – den Wandel gestalten«

Vom Orientierungswissen zur Transformationskompetenz

Die unterschiedlichen Ebenen der Transformation

Die Krise der Klugen

Koevolution als neues Fortschrittsmuster

Risikomündigkeit angesichts systematischen Unwissens

Klugheit im Umgang mit Katastrophen

WANDEL ALS CHANCE ODER KATASTROPHE

Von Markus Vogt

Viele erleben die Gegenwart als Zeit des beschleunigten Wandels, als Zeit des Übergangs, in dem bekannte Ordnungsmuster in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an Geltung verlieren, ohne dass die künftige Ordnung schon erkennbar ist. Die Rede ist auch von einer Zeit der »Großen Transformation«, die durch beschleunigte Innovationen, multiple Krisen und vielfältige Umbrüche und Aufbrüche gekennzeichnet sei. Diese Gegenwartsdiagnosen verbinden sich mit ganz unterschiedlichen Zukunftserwartungen und Handlungsvorschlägen. Die folgenden Ausführungen nehmen dieses Panorama zum Anlass, die Zeitdeutungen erkenntnis- und sozialtheoretisch zu vergleichen (1), dabei die Zukunftserwartung der Katastrophe näher anzuschauen (2), nach Bewältigungsstrategien für den Umgang mit Unsicherheiten und einer offenen Zukunft zu fragen (3) und schließlich das Programm einer christlich geprägten Transformationsethik zu entwerfen (4). Der rote Faden des Essays ist ein Realismus der Hoffnung, der sich sowohl von utopischen wie auch von dystopischen Modellen abgrenzt.

1.

EPISTEMOLOGIEN DES WANDELS

»Große Transformation«: Eine epochale Gegenwartsdiagnose

Der Terminus »Transformation« hat im politischen, ökonomischen und ökologischen Diskurs seit einigen Jahren Konjunktur als Leitbegriff der Gegenwartsdiagnose. Im Rückgriff auf einen 1944 von dem ungarisch-österreichischen Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi (1886–1964) geprägten und bei diesem auf die industrielle Revolution bezogenen Begriff sprechen viele von der »Großen Transformation«. Gemeint ist damit ein tief greifender gesellschaftlicher Wandel, der nahezu alle Bereiche betreffe und an Tiefen- und Breitenwirkung mit den im frühen 19. Jahrhundert durch die Erfindung der Dampfmaschine ausgelösten Veränderungen vergleichbar sei (so das Jahresgutachten »Gesellschaft im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation«, das der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen [WBGU] 2011 veröffentlicht hat). Auch heute sei die tief greifende Transformation der Wirtschafts- und Lebensformen durch einen Wandel der Energiegewinnung ausgelöst: das diagnostizierte oder postulierte Ende des fossilen Zeitalters.

Die ethische Pointe dabei ist, dass der Wandel entweder katastrophisch erlitten oder vorausblickend gestaltet werden könne. »Transformation by desaster« oder »transformation by design« nennen Harald Welzer und Bernd Sommer die Alternativen. Allerdings ist der Begriff des »designs« hier nicht besonders glücklich gewählt, denn es geht gerade nicht um einen designermäßig planbaren Veränderungsprozess, sondern um eine Transformation, die nur begrenzt im Einzelnen vorhergesagt und geplant werden kann. Paradebeispiel eines solchen überraschenden, gleichwohl von Entscheidungen und Handlungen der Menschen abhängigen Wandels ist der Mauerfall 1989: Viele haben jahrzehntelang an die Wiedervereinigung geglaubt und dafür gekämpft. Dennoch hat auch kurz zuvor kaum jemand geahnt, dass die Wende tatsächlich so bald kommen würde. Die Zuspitzung der Konflikte hätte auch ganz anders ausgehen können.

Das Überraschungsmoment ist typisch für komplexe Systeme und historische Umbrüche: Diese setzen sich aus vielen einzelnen Elementen zusammen, deren Zusammenspiel nicht ex ante erkennbar und planbar ist. Dennoch kommt der historische Wandel nicht einfach als Schicksal. Er erfordert vielmehr ein aktives Erwarten und Darauf-Hinarbeiten, ebenso jedoch auch die Fähigkeit, auf den rechten Augenblick warten zu können und dann entschlossen auf das Überraschende zu reagieren.

Der Begriff »Transformation« unterscheidet sich von »Revolution« – er zielt nicht auf eine gewaltsame Änderung oder einen totalen Bruch mit der Vergangenheit, sondern auf einen Prozess des Wandels, der vorhandene Potenziale aufgreift, sie jedoch neu zur Entfaltung bringt. Das Präfix »Trans« meint das Überschreiten, also eine Abkehr von den bekannten Mustern der Ordnung oder Problemlösung in Politik, Wirtschaft und Lebensformen. Es geht um einen Wandel, der die kulturelle Identität verändert. Meist lässt sich erst im Nachhinein sagen, ob und gegebenenfalls welche Potenziale dieses Wandels bereits vorher unter der Oberfläche vorhanden waren.

Transformation lässt sich umschreiben als »Häufigkeitsverdichtung von Veränderungen«, die zu einem Epochenumbruch führen (so der Historiker Jürgen Osterhammel in seiner 2009 unter dem Titel Die Verwandlung der Welt erschienenen Geschichte des 19. Jahrhunderts).

Analytisch liegt dem Singular »Große Transformation« die These zugrunde, dass es sich bei den Wandlungsprozessen der Gegenwart nicht um isolierte Einzelphänomene handelt, sondern um Elemente einer umfassenden Veränderung. Der Zusammenhang dieser Elemente bedarf jedoch einer exakten Beschreibung und Analyse: Wie können Wechselwirkungen zwischen Klimawandel, Ressourcenknappheit, Finanzkrise, Arbeitsunsicherheit oder demografischem Wandel – um nur einige Aspekte der gegenwärtigen Umbruchprozesse zu nennen – angemessen beschrieben werden? Lassen sich daraus Erkenntnisse über die Unterscheidung von Ursachen und Symptomen ableiten? Wie lässt sich in Bezug auf zentrale Wandlungsprozesse das Zusammenspiel globaler, kontinentaler, nationaler und regionaler Veränderungen beschreiben?

Nüchtern betrachtet, ist es keineswegs erwiesen, ob die verschiedenen Transformationsprozesse tatsächlich in einem kausalen Zusammenhang stehen oder ob wir diesen nur in unserer Wahrnehmung konstruieren und dann daraus das Lebensgefühl einer »Megakrise« machen. Der Zusammenhang, der zwischen so unterschiedlichen Ereignissen wie Klimawandel, Finanzcrash, Digitalisierung oder politischer Destabilisierung konstruiert wird, ist in der Regel ein systemtheoretischer: Die Veränderungen werden als typische Phänomene der Disruption komplexer adaptiver Systeme gedeutet. Es geht eher um Analogien in der theoretischen Darstellung und Modellierung als um den Nachweis kausaler Wirkungszusammenhänge. Wie Wandel beschrieben, erlebt und bewertet wird, scheint im historischen und globalen Vergleich ganz wesentlich eine Sache der Wahrnehmung zu sein. Die entscheidende Frage ist, ob – und wenn ja inwiefern – die gegenwärtig erlebte Beschleunigung und Risikobehaftetheit der Veränderungen wirklich singulär ist. Nötig ist vor diesem Hintergrund eine Epistemologie des Wandels im Sinne einer erkenntnistheoretischen Selbstaufklärung hinsichtlich der gegenwärtigen Formen des Erlebens gesellschaftlicher und biografischer Umbrüche, Übergänge und Krisen.

Moderne im Umbruch

Zwei eher neutrale, oft in bewusster Antithese zu Katastrophenerwartungen gebrauchte Begriffe zur Beschreibung von Epochen der Transformation sind »Übergang« und »Umbruch«. Ein