Wandelröschens Worte - Christina Maria - E-Book

Wandelröschens Worte E-Book

Christina Maria

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Beschreibung

Eine Frau im Herbst ihres Lebens, die begreift, dass sich alles im ständigen Wandel befindet und dass es nie zu spät ist für das Wunderbare. Ein letzter Blick zurück, dann schließt sich die Tür - eine von vielen, denn nichts bleibt, wie es ist. Das muss auch Rose Wandel erfahren, als sie in den Ruhestand geht. Doch unverhofft und leuchtend, wie die Farben des Herbstes, begegnet sie Menschen, die einen Platz in ihrem Leben einnehmen und für die ihre Worte Gewicht haben. Und plötzlich versteht sie, dass sich hinter allem ein Sinn verbirgt und die Kunst des Lebens darin besteht, ihn zu erkennen und aus dieser Erkenntnis das Beste zu machen. Sowohl für sich, als auch für die anderen, mit Taten und mit Worten. Denn manchmal können schon Worte Wunder bewirken.

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Das Buch

Die Bibliothekarin Rose Wandel geht in den Ruhestand. Doch, statt sich über die freie Zeit zu freuen, fürchtet sie sich vor der einsamen Leere. Nach dem Tod ihres Mannes und dem Auszug der erwachsenen Tochter, geht nun auch ihre beste Freundin Gundula auf eine lange Reise. Doch ganz überraschend ändert sich ihr Leben von Grund auf.

Die Autorin

Christina Maria lebt zusammen mit ihrer Familie auf dem ehemaligen Bauernhof der Schwiegereltern, in einem kleinen Dorf im Wendland. Neben dem Schreiben ist sie auch noch als Malerin und Bodypainterin tätig. Ihre Arbeiten stellt sie unter anderem während der Kulturellen Landpartie auf dem heimischen Hof aus. Mehr unter: www.christinamaria-wortfarben.de

Für meinen geliebten Mann, der in Notre Dame zwar keine Wohnmobile, aber Heuballen zählte und den ich dennoch geheiratet habe, was die beste Entscheidung meines Lebens war. Nur durch dich und mit dir, kann ich meine Träume leben. Danke dafür! Ich liebe dich!

Für meine beste Freundin Biene, die für mich sowohl Rose, als auch Gundi ist, genau wie ich es für sie immer sein werde. Auch auf unserer Bank wird es so schön sein. H.d.g.g.d.l. MM

Für Deni, die ganz und gar zu uns gehört!

„Dankbarkeit ist der Schlüssel zum Glück“

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Alles im Wandel

Pläne über Pläne

Jette

Entscheidungen

Die Wunder der Technik

Tobias

Aus weiter Ferne, so nah

Mutter und Sohn

Elisabeths Schatten

Neues vom Schneckenhaus

Roses Erzählung

Die Saat des Herzens

Der Samen geht auf

Der Lauf der Dinge

Eine freudige Überraschung

Gemeinsame Stunden

Lillis Kummer

Grüße aus der Winterwelt

Ein beseeltes Geschenk

Der Plan geht auf

Verbunden mit der ganzen Welt

Joke van der Wynden

Freudige Rückkehr

Weihnachten

Epilog

Prolog

Mein Name ist Rose Wandel und dies ist meine Geschichte. Im Grunde ist es nicht nur meine Geschichte, sondern auch die, von den Menschen, die mich und mein Leben berührten oder die ich berühren durfte. Die Einen nur flüchtig und von fern, doch die Anderen so nachhaltig, dass ein festes Band zwischen uns gewebt wurde.

So wie das Leben selbst im ständigen Wandel ist, so sind wir es mit ihm. Nur ein Narr könnte glauben, dass sich das Leben in Schwarz und Weiß abspielt. Sicher mag es Zeiten geben, die sich uns in völliger Klarheit darbieten, doch ist dieser Zustand meist nur von kurzer Dauer. Den weit größeren Teil unseres Daseins auf dieser wunderbaren Erde, verbringen wir in einem Kaleidoskop aus schillernden Farben, mit allen Höhen und Tiefen, die unser Menschsein nun einmal mit sich bringt. Und manchmal ist das Schwarz so tief, dass es den schwarzen Löchern gleicht, die alles zu verschlingen drohen. Dann brauchen wir eine haltende Hand, die uns vor dem freien Fall bewahrt. Mal wird sie uns gereicht und mal werden wir selbst zu dieser Hand.

Alles ist möglich und alles kann geschehen.

Wenn wir daran glauben, dass wir nicht im Farbenmeer des Lebens ziellos herumgewirbelt werden, sondern getragen und gehalten sind, können wir unseren berührten und berührenden Weg behütet und getrost gehen.

Alles im Wandel

Mit etwas wehmütigen Gefühlen verstaute Rose Wandel ihre letzten Habseligkeiten in dem kleinen Karton. Schon seit Wochen hatte sie immer wieder etwas mit nach Hause genommen, denn über die Jahre hatte sich einiges angesammelt.

Vierunddreißig Jahre hatte sie als Bibliothekarin gearbeitet und die längste Zeit sogar als Leiterin. Sie hatte es gern getan. Der Geruch der druckfrischen Bücher, wenn sie neue Bestellungen einsortierte. Die ruhigeren Stunden, in denen sie Muße gehabt hatte, in den Büchern zu lesen. Die Besucher, die sporadisch hier und da etwas ausgeliehen hatten und dann die festen Stammkunden, von denen einige im Laufe der Jahre zu Freunden geworden waren. Ach sie würde all das vermissen.

Am meisten jedoch, würde Rose ihre beste Freundin Gundula fehlen. An jedem Tag der Arbeitswochen hatten sie ihre Mittagspausen gemeinsam verbracht.

Berthold, Gundulas Mann, war allgemeiner Arzt und hatte seine Praxis gleich neben der Bibliothek. So hatten sie sich kennengelernt.

Rose war neu in der Stadt gewesen, war ihrem Mann zu Liebe hierher gezogen und fühlte sich noch fremd und etwas verloren. Nur zwischen ihren Büchern hatte sie so etwas wie Vertrautheit gespürt.

Doch dann eines Tages, war diese springlebendige junge Frau mit den blonden Locken auf sie zugekommen und hatte sich, ohne zu fragen, neben sie gesetzt und sie angestrahlt. Beinahe vierzig Jahre war diese Begegnung nun her und immer waren sie die besten Freundinnen. Waren durch dick und dünn zusammen gegangen und hatten alle Hochs und Tiefs gemeinsam durchlebt. So vieles war geschehen, seit diesem warmen Frühsommertag und nun würde die Ära der Mittagspausen endgültig enden. Berthold hatte glücklicherweise einen Nachfolger für seine Praxis gefunden und konnte daher jetzt, mit fünfundsechzig, in Rente gehen. Für die heutigen Verhältnisse hatte er wirklich beachtliches Glück gehabt. Natürlich würde nun auch Gundula nicht mehr als Arzthelferin arbeiten. Ihr Arbeitsleben war stets fest verknüpft mit ihrem Mann gewesen. Bis auf die Monate ihrer Schwangerschaft und der Geburt ihres Sohnes, war sie immer an seiner Seite gewesen. Nun würde sie gemeinsam mit ihm, in den wohlverdienten Ruhestand treten.

Da Berthold von der Sehnsucht seiner Frau nach Reisen und fremden Ländern wusste, hatte er ihr zum Renteneintritt, eine vier Monate dauernde Reise geschenkt und dafür eigens ein komfortables Wohnmobil gekauft. Solange Rose Gundula kannte, hatte sie davon geträumt, mit einem eigenen Gefährt durch die Welt zu fahren.

„Wie eine Schnecke mit dem Haus auf dem Rücken, da ist man doch überall zu Hause“, hatte sie oft gescherzt. Jetzt war es also so weit, Gundula hatte sich vor Freude gar nicht mehr halten können, war Berthold doch mehr der Lehnstuhlreisende, wie er es selbst immer formulierte. Für die Mühen tatsächlicher Reisen hatte er nur wenig übrig. Doch für seine geliebte Frau nahm er diese Mühen nun auf sich. Allerdings schloss die geplante Route hauptsächlich Nordeuropa ein. Für das „richtige Ausland“, wie er es nannte, hatte seine Opferbereitschaft dann doch nicht mehr gereicht. Gundula war jedoch guter Hoffnung, dass sich der Rest schon noch ergeben würde, wenn sie erst mal unterwegs wären. Das Einzige, das die Freude trübte, war die Tatsache, dass sie dann nicht mehr an jedem Tag ihre beste Freundin sprechen, geschweige denn sehen könnte.

Rose musste sich eingestehen, dass sie sich vor der Einsamkeit fürchtete. Im Moment gab ihr Name die Richtung an, ihr Leben war im Wandel. Es kam alles auf einen Schlag, der Ruhestand, die Abreise ihrer engsten Vertrauten und die Tatsache, dass ihre einzige Tochter vor ein paar Tagen in eine andere Stadt gezogen war. Sie konnte Sally gut verstehen, hatte sie doch gleich nach ihrem Studium, dort eine gute Stelle bekommen und obendrein lebte auch noch ihr neuer Freund dort. Rose freute sich für sie und dennoch schmerzte der Abschied sehr.

Genau wie Gundula hatte auch sie nur ein einziges Kind. Ihre Tochter Salome, die von allen nur Sally genannt wurde, war ein Jahr jünger als Gundulas Sohn Jona.

Während ihre Freundin jedoch, vollauf zufrieden mit ihrer Arbeit und ihrem Sohn gewesen war, hatte sich Rose immer noch mehr Kinder gewünscht. Sie hatte von einer großen Familie mit Tieren und einem Haus auf dem Land geträumt. Doch nach der dritten Fehlgeburt musste sie sich eingestehen, dass schon Sally ein Wunder gewesen war, für das sie zutiefst dankbar sein musste und sie nicht mehr erwarten durfte.

Nur zu gerne hätte sie sich mit einem Hund getröstet, doch unglücklicherweise hatte ihr Mann Friedo eine Tierhaarallergie und so blieb auch dieser Wunsch unerfüllt. Das Haus auf dem Lande wäre ohnehin zu unpraktisch gewesen, da sie doch beide in der Stadt arbeiteten und Sallys Schule hatte sich auch hier vor Ort befunden. So blieb das Leben auf dem Lande nur ein Traum. Dafür hatten sie jedes Jahr lange Urlaube unternommen und alles in allem war ihr Leben durchaus glücklich verlaufen.

Zumindest bis vor vier Jahren, als Friedo immer häufiger über Bauchschmerzen klagte. Schließlich hatte sich seine Frau durchgesetzt und ihn zu Berthold geschickt. Nach Abschluss der Untersuchungen stand die Diagnose fest, Bauchspeicheldrüsenkrebs mit verschwindend geringen Heilungschancen. Er hatte es dennoch versucht und tapfer gekämpft, jedoch vergebens. Am Ende war es ein elendes Sterben gewesen und ohne Sally, wäre Rose vermutlich zusammengebrochen. So musste sie für ihren Mann und ihre Tochter stark sein und genau das war sie auch. Manchmal aber hatte sie das Gefühl, sich nie ganz von diesem Schicksalsschlag erholt zu haben.

Ein paar Monate nach Friedos Tod, hatte sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten und war wieder zur Arbeit gegangen, doch alles was sie tat, verrichtete sie automatisch ohne echtes Empfinden.

Sally hatte damals noch studiert und lebte deshalb glücklicherweise noch in ihrem Elternhaus, was Rose immer wieder ein Trost war. Diese Zeit schuf ein enges Band zwischen Mutter und Tochter, umso mehr schmerzte nun das Loslassen.

Kinder schmerzen, wenn sie kommen und auch, wenn sie wieder gehen. Das ist wohl der Preis, den wir für ihre Anwesenheit zahlen müssen, dachte sie manchmal traurig.

Und nun würde auch noch ihre liebste Freundin aus ihrem Leben verschwinden. Natürlich wusste sie, dass es nicht für immer war und dennoch fühlten sich vier Monate, wie eine Ewigkeit an.

Wie oft griff sie zum Telefon oder fuhr rasch zu Gundula hin, um ihr etwas zu erzählen oder einfach nur, weil sie das Alleinsein nicht ertrug. Wer würde zukünftig ihre Einsamkeit vertreiben? Die Furcht legte sich wie ein eiserner Ring um ihr Herz, kalt und unbarmherzig.

„Frau Wandel, ist Ihnen nicht gut? Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen? Sie sind so blass!“

Die Stimme von Frau Schmidtke, ihrer Nachfolgerin als Bibliotheksleiterin, riss Rose aus ihren dunklen Gedanken. Sie schüttelte den Kopf, um die Benommenheit abzuschütteln, dann lächelte sie Frau Schmidtke an.

„Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber mir fehlt nichts. Ich habe mich nur etwas in meinen Erinnerungen verloren. In einer so langen Zeit sammeln sich sehr viele davon an, wissen Sie.

Ich bin aber auch fertig mit dem Packen. Haben Sie noch einmal vielen Dank für die liebevolle und wunderschöne Abschiedsfeier. Es hat mich aufrichtig gefreut! Ich wünsche Ihnen, dass Sie genauso viel Freude an Ihrer Arbeit haben werden, wie ich es in all den Jahren hatte. Alles, alles Gute für Sie alle hier!“

Nachdem sie sich noch ein letztes Mal unter Tränen und mit herzlichen Umarmungen von ihren Kolleginnen verabschiedet hatte, trug sie ihren Karton zum Auto und ließ sich seufzend auf den Fahrersitz fallen. Nur gut, dass sie sich später noch mit Gundula treffen würde. Diese hatte ihren letzten Arbeitstag bereits hinter sich, doch sie hatte darauf bestanden, dass sie ihrer beider Freiheit mit einer Flasche Sekt begießen würden, wenn auch Rose zum letzten Mal ihre geliebte Bibliothek verlassen hatte.

„Tja, dann lassen wir heute Nachmittag mal die Korken knallen, wir alten Rentnerinnen!“

Mit einem grimmigen Lachen ließ Rose den Motor an und fuhr ein allerletztes Mal vom Personalparkplatz der Stadtbibliothek.

Pläne über Pläne

„Da bist du ja endlich!“

Mit strahlendem Lächeln kam Gundula ihr schon vor der Haustür entgegen und winkte sie ungeduldig herein. Dabei war Rose fast zwanzig Minuten zu früh dran. Sie war immer etwas überpünktlich vor Ort, ganz gleich, ob es sich um geschäftliche oder persönliche Belange handelte.

Sie folgte ihrer Freundin auf die Terrasse, wo schon zwei Gläser und eine Flasche Sekt im Sektkühler bereitstanden. Rose setzte sich Gundula gegenüber, die sofort begann mit geübten Bewegungen den Verschluss der Flasche zu entfernen und die Gläser vollzuschenken. Mit den gefüllten Gläsern in der Hand prosteten sie sich lächelnd zu.

„Wir trinken auf unsere Reise, möge sie zu einer Weltreise heranwachsen und auf unseren gemeinsamen Ruhestand, dass er ja nicht zu ruhig werden wird und last but not least… auf deinen ganz eigenen Neubeginn, mein liebstes Wandelröschen!“

Gundula nahm einen beherzten Schluck und schloss genießerisch die Augen. Auch Rose mochte das prickelnde Gefühl im Mund und sie mochte es, wenn ihre Freundin sie Wandelröschen nannte. Gleich bei einem ihrer ersten gemeinsamen Ausflüge hatte Gundula erzählt, dass das Wandelröschen ihre Lieblingsblume sei und dann freudig den Umkehrschluss aus Roses Namen gezogen. Dabei war es geblieben, seit damals hieß Rose bei ihrer engsten Vertrauten, Wandelröschen. Sie hatte es vom ersten Augenblick an geliebt. Ein paar Mal hatte sie versucht, auch Friedo dazu zu bewegen, sie so zu nennen, doch er hatte nichts von Kosenamen gehalten. So war sie nur bei einem einzigen Menschen, das Wandelröschen. Dieser Mensch blickte sie nun mit leuchtenden Augen an und schien auf irgendetwas zu warten.

Rose spürte diese Erwartung und rutschte unruhig auf ihrem Stuhl umher.

„Was ist denn? Warum siehst du mich so an? Nun sag schon endlich, was du wieder ausgeheckt hast. Im Übrigen finde ich, auf meinen Neubeginn anzustoßen, schon etwas weit hergeholt. Im Augenblick habe ich eher das Gefühl, dass alles endet.“

Schwungvoll stellte Gundula ihr Glas auf den Tisch und griff nach einer Mappe, die auf dem freien Stuhl neben ihr gelegen hatte.

„Mein liebstes Wandelröschen, das mag ja vieles sein, aber ganz sicher nicht weit hergeholt. Ich habe Berthold überredet, mit unserer Reise noch zu warten, bis ich dich gut versorgt weiß. Du brauchst dich gar nicht so aufzublasen, an meinem Entschluss kannst du sowieso nichts mehr ändern. Du solltest mich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich nicht umzustimmen bin. So und jetzt hörst du mir einmal gut zu!“

Mit einer energischen Geste öffnete sie die Mappe und holte ein paar Fotos heraus, die sie Rose hinüber schob.

„Die siehst du dir jetzt bitte mal ganz in Ruhe an und dann sagst du mir, was du davon hältst.“

Widerspruchslos griff Rose nach den Fotos und warf einen Blick darauf. Sie war sofort hingerissen von dem Anblick, der sich ihr bot.

Es waren Bilder von einem Haus mit Grundstück, das aus den verschiedensten Blickwinkeln fotografiert worden war. Das Haus war eher ein Häuschen, denn es war klein und eingeschossig. Über die eine Giebelwand zog sich ein Wintergarten, der aus hellem Holz gebaut war. Das Gebäude selbst bestand aus alten Ziegelsteinen und das Dach mit den dunklen Biberschwanzziegeln sah neu aus. Nur wenige Meter vom Haus entfernt, stand ein kleiner Stall in der gleichen Bauweise. Der Garten, der die Gebäude umgab, wirkte verwildert und romantisch. Im Hintergrund sah man ein paar große Bäume aufragen. Alles in allem wirkte die ganze Szene geradezu malerisch.

Gespannt hatte Gundula ihre Freundin beobachtet und wirkte nun sehr zufrieden, als sie ihr Glas erneut hob.

Als Rose die Bilder zurück in die Mappe gelegt hatte, sah sie ihre Freundin fragend an.

„Ich muss sagen, das ist ein bezauberndes Grundstück, aber warum zeigst du mir das? Ich meine, was hat das mit mir zu tun?“

Auch sie hob erneut ihr Glas und nahm einen kleinen Schluck.

„Nun, das ist einfach und schnell erzählt. Es geht dich sogar sehr viel an, weil ich finde, du solltest dieses Häuschen kaufen!“

Rose verschluckte sich an ihrem Sekt und es dauerte einen Moment, bis sie sich wieder erholt hatte. Dann sah sie ihre älteste Freundin an, als hätte diese den Verstand verloren.

Gundula ließ sich nicht beirren.

„Das ist mein voller Ernst! Seit ich dich kenne, träumst du von einem Haus im Grünen und einem Hund. Jetzt bist du alleine und in Rente, du hast genug Geld, um gut über die Runden zu kommen. Wenn du deine Wohnung verkaufst, kannst du dir das Haus locker leisten und musst nicht mal Schulden machen!“

Rose sah ihre Freundin an, wahrscheinlich hatte sie im Kopf schon alles durchgeplant, bis hin zur Einrichtung. Sie fühlte sich gänzlich überrumpelt und ging daher automatisch auf Abwehr.

„Was für eine völlig abwegige Idee! Ich kann doch meine Wohnung nicht einfach verkaufen, ich habe dort die meiste Zeit meines Lebens verbracht. Und wohin soll meine Tochter kommen, wenn sie hier kein Zuhause mehr hat? Ich habe eine Verantwortung!“

Gundula stand auf und baute sich vor Rose auf.

„Da hast du verdammt recht, du hast eine Verantwortung, und zwar dir selbst gegenüber! Seit Jahren denkst du nur an Andere und niemals an dich. Du hast dich nie von der schlimmen Zeit mit Friedos Krankheit erholt. Und dass Salome jetzt endgültig ausgezogen ist, bricht dir fast das Herz. Du brauchst gar nicht so mit dem Kopf zu schütteln! Ich kenne dich fast besser, als mich selbst. Ich weiß, dass du schreckliche Angst vor der Einsamkeit hast und ich kann nicht eher meine Freiheit genießen, bevor ich nicht weiß, dass es meiner allerliebsten Freundin auch gut geht. Ich werde nämlich nicht da sein, um dich aus deiner Depression wieder herauszuzerren.

Und wo wir schon dabei sind, auch wenn ich vier Monate oder hoffentlich sogar länger nicht hier sein werde, will ich natürlich alles wissen und über alles Neue auf dem Laufenden gehalten werden. Weil das aber mit dem Telefon nicht ganz einfach und billig ist, werden wir uns per Email verständigen. Ich habe mir einen Laptop gekauft und du hast doch schon bei der Arbeit immer mit Computern arbeiten müssen, da dürfte es doch kein Problem für dich sein. Dir habe ich nämlich auch einen Laptop gekauft, da ich an deinem Geburtstag nicht da sein werde, bekommst du dein Geschenk eben schon jetzt. Völlig uneigennützig, versteht sich.

Sally wird dir eine Emailadresse einrichten. Den Namen haben wir schon, es ist alles besprochen. Und bevor du jetzt weiter mit mir herumstreitest, kann ich dir versichern, dass Sally ganz meiner Meinung ist und den Hauskauf voll und ganz unterstützt. Sie sagt, sie kann dich auch dort besuchen kommen und hier ist ihre Zeit ohnehin vorüber. Und das Beste überhaupt ist; du kannst dir endlich einen Hund anschaffen! Na, was sagst du?“

Erschöpft ließ sich Gundula in ihren Stuhl plumpsen und trank ihr Glas in einem Zug leer. Dann blickte sie vorsichtig in Roses Richtung. Diese saß wie versteinert da und starrte vor sich hin, die Hände schlaff im Schoß.

„Wandelröschen, ist alles in Ordnung mit dir? Soll ich dich nach Hause fahren und du schläfst erst mal eine Nacht über alles? Ich fürchte, ich hätte dich etwas schonender mit meiner Idee bekanntmachen sollen, aber du weißt ja, wie ich bin. Nach Hause?“

Rose nickte nur und erhob sich. An der Tür blieb sie stehen und drehte sich zu Gundula um.

„Schon gut, ich kann alleine fahren. Ich brauche Zeit und Ruhe zum Nachdenken. Ich rufe dich in den nächsten Tagen an.“

Damit umarmte sie ihre Freundin kurz und verschwand.

Nachdenklich sah Gundula ihrer Freundin nach, dann ging sie entschlossen zum Telefon und wählte eine Nummer. Sie wartete nur kurz, bis sie auf der anderen Seite eine Stimme hörte.

„Sally, hier ist Gundula, ich fürchte, ich war nicht allzu diplomatisch. Es wäre gut, wenn du bald mit deiner Mutter reden könntest. Ich habe der Maklerin gesagt, sie soll das Haus bis nächste Woche reservieren, wir haben also nicht mehr viel Zeit. Aber ich glaube, mir ist gerade eine Idee gekommen, wie wir den Entscheidungsprozess gehörig beschleunigen könnten.“

Jette

Rose schrak zusammen, als es an der Tür klingelte. Seit sie vorgestern bei Gundula gewesen war, hatte sie keine Ruhe mehr finden können. Die Gedanken jagten einander und ließen ihr keine Zeit, um zu Atem zu kommen. Immer wieder hatte sie zum Telefon gegriffen, um ihre beste Freundin anzurufen, doch dann hatte sie es doch nicht getan. Was hätte sie ihr auch sagen sollen. Sie wusste ja selbst nicht mehr, was sie fühlte und was nicht. Geschweige denn, dass sie sich im Klaren darüber gewesen wäre, was sie überhaupt wollte, sich vielleicht noch vom Leben erhoffte. Sie fühlte sich Gundulas Entschiedenheit einfach nicht gewachsen.

Als sie jedoch durch den Spion spähte, sah sie ihre liebste Freundin in voller Größe vor der Tür stehen. Sie zögerte nur einen winzigen Augenblick, denn sie wusste ja, dass alles, was Gundula sich zurechtgelegt hatte, nur aus Sorge und Liebe entstanden war. Doch sie selbst war nun mal nicht für schnelle unüberlegte Handlungen zu haben. Spontanität, zumal wenn es nur zu ihren eigenen Gunsten war, erschien ihr falsch und zum Scheitern verurteilt. Sie holte noch einmal tief Luft, dann öffnete sie die Tür.

Mit zerknirschtem Gesichtsausdruck blickte Gundula ihr entgegen.

„Es tut mir leid, dass ich dich so überrannt habe! Ich sollte dich besser kennen und wissen, dass meine Methode, dich zu einem besseren Leben zu bewegen, am Ende den genau gegenteiligen Effekt hat. Es tut mir so leid, dass ich dich in die Flucht geschlagen habe!“

Mit weit geöffneten Armen trat sie in die Wohnung und fragte flehentlich:

„Verzeihst du mir?“

Erleichtert sank Rose in die Umarmung und kurze Zeit später, saßen sie bei Kaffee und einem kleinen Likörchen zusammen.

Rose hatte, ganz untypisch für sie, ihr Glas Likör in einem Zug gelehrt und spielte nun nervös mit dem Glas in ihrer Hand.

„Weißt du, es ist ja nicht so, dass ich nicht schon überlegt hätte, noch etwas in meinem Leben zu verändern. Du hattest recht mit deiner Einschätzung, ich habe große Angst vor der Einsamkeit, aber ich habe auch große Angst vor dem Ungewissen. Ich habe Angst, meine Entscheidung zu bereuen und dann nicht mehr zurückzukönnen. Es ist furchtbar, manchmal habe ich Angst vor meinem eigenen Schatten. Als junge Frau war ich so furchtlos, doch je älter ich werde, desto häufiger ist die Angst mein Begleiter. Und mit ihr kommt auch die Unsicherheit, die lähmt und jedes Weitergehen verhindert. Seit Friedos Tod habe ich manchmal das Gefühl, ich sei selbst auch schon gestorben. Erst war Sally noch hier, doch seit sie fort ist, wird es immer schlimmer. Ich weiß nicht, was ich tun soll und wenn ich es wüsste, wie sollte ich die Kraft aufbringen, es auch zu tun?“

Mitleidig sah Gundula ihre beste Freundin an, dann stand sie auf und zog sie ganz fest in ihre Arme.

„Mein armes Wandelröschen, mir war nicht klar, wie schlecht es dir wirklich geht. Es tut mir leid, dass ich offensichtlich zu sehr mit mir selber beschäftigt war, um genug auf dich zu achten! Ich werde dich nicht mehr drängen, aber bitte, versprich mir, dass du mit mir redest, wenn es dir nicht gut geht!“

Eine dicke Träne kullerte über Roses Wange, mit dem Handrücken wischte sie sie weg und nickte schniefend.

„Ach, ich bin nur eine dumme alte Frau, die sich allzu häufig von ihrer Sentimentalität übermannen lässt.“

Sie setzten sich wieder und tranken ihren, inzwischen kalt gewordenen, Kaffee aus.

Gundula spielte unruhig mit der Tasche auf ihrem Schoß, nachdem sie verkündet hatte, jetzt aufbrechen zu müssen.

Rose, die ihre Freundin gut kannte, war klar, dass diese noch etwas auf dem Herzen hatte.

„Was gibt es denn noch? Nun lass die Katze schon aus dem Sack!“

Gundula schreckte hoch und mied den direkten Augenkontakt.

„Stichwort Katze ist schon gar nicht so falsch. Du kennst doch die alte Frau Bremer, die auch in meiner Sportgruppe mitgemacht hat. Sie war für ihr Alter immer noch ausgesprochen fit, doch nun hat sie sich letzte Woche die Hüfte gebrochen. Sie wurde operiert, doch es war komplizierter als gedacht und zur Reha muss sie ja auch noch.“

„Gundi, was willst du mir sagen? Komm bitte zum Punkt!“

„Ja also, Frau Bremer hat sich vor zwei Jahren noch einen Hund aus dem Tierheim geholt. Wir waren alle etwas überrascht, aber wie gesagt, sie war ja noch ungeheuer fit. Jedenfalls ist sie ganz verzweifelt, weil sie Niemanden für den Hund hat. Im Augenblick kümmern sich die Nachbarn, aber bald sind Sommerferien und da wollen sie verreisen. Kurz und gut, kannst du dich vielleicht um den Hund kümmern? Es ist ja auch nur für ein paar Wochen, bis Frau Bremer von der Reha zurück ist. Bitte, die arme Frau ist ganz verzweifelt!“

Rose beobachtete Gundula genau, doch sie konnte nichts entdecken, was auf eine abgekartete Sache schließen ließ. Sie seufzte und zuckte mit den Schultern.

„Ich kann mir den Hund ja mal ansehen. Ist er groß? Wo ist er denn jetzt?“

Etwas verlegen grinste Gundula sie an.

„Genaugenommen ist sie in meinem Auto und das parkt vor deiner Tür. Ich hatte mit deinem großen Herzen gerechnet und angeboten, heute mal mit ihr spazieren zu gehen.“

Rose versuchte, böse auszusehen, schaffte es aber nicht und brach stattdessen in Gelächter aus.

„Also Gundi, du bist wirklich unverbesserlich! Was hättest du denn getan, wenn ich nein gesagt hätte.“ „Na dann wäre ich eine Runde mit ihr im Park spazieren gegangen, hätte sie anschließend zurückgebracht und hätte morgen der alten Frau Bremer das Herz brechen müssen. Ihre Hündin hätte nämlich zurück ins Tierheim gemusst, wenn du dich nicht bereit erklärt hättest.“

Rose hob abwehrend die Hand.

„Nicht so schnell! Noch habe ich nicht zugesagt. Erst mal will ich mir den Hund ansehen.“

Mit diesen Worten ging sie los, zog sich eine Jacke über und verließ mit ihrer Freundin die Wohnung.

Am Auto angekommen, öffnete Gundula die Heckklappe und winkte Rose heran.

„Darf ich vorstellen, das ist Jette! Jette das ist Wandelröschen und wenn du dich gut benimmst, wird sie sich um dich kümmern.“