Von Wölfen, Fledermäusen und Menschenkindern oder die Geschichte einer Suche - Christina Maria - E-Book

Von Wölfen, Fledermäusen und Menschenkindern oder die Geschichte einer Suche E-Book

Christina Maria

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Beschreibung

Der kleine Ritter Eli und das Räubermädchen Carlotta ziehen aus, um das Abenteuer zu suchen. Doch schneller als erwartet, findet das Abenteuer sie. Gemeinsam mit ihren treuen Gefährten, dem Wolf Lunjos und der Fledermaus Filenius Balthasar Flux, treffen sie an unbekannten Orten auf große Gefahren, fantastische Geschöpfe und neue Freunde.

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Die Autorin

Christina Maria lebt zusammen mit ihrer Familie auf dem ehemaligen Bauernhof der Schwiegereltern, in einem kleinen Dorf im Wendland. Die Geschichte von Eli und Carlotta hat sie für ihre Kinder geschrieben.

Neben dem Schreiben ist sie auch noch als Malerin und Bodypainterin tätig. Ihre Arbeiten stellt sie unter anderem jedes Jahr während der Kulturellen Landpartie auf dem heimischen Hof aus.

Mehr unter: www.christinamaria-wortfarben.de

Im BoD Verlag sind bereits erschienen:

„Wandelröschens Worte“ (Roman)

„Himmelskind und Wolkenwunder“ (Gedichte)

In unendlicher Liebe für meine Kinder Jakob Elias und Pauline Charlotte Sophie, die immer das größte und schönste Abenteuer meines Lebens sein werden.

Inhalt

Prolog

Der Ritter von Hohengrummel

Carlotta Räubermädchen

Lunjos

Der uralte Baum

Gargarott

Ismael Grünschnabel

Kasparius

Kummulosino

Mendrik

Iskaria

Die Suche endet

Epilog

Prolog

Es war einmal ...

So beginnen viele Märchen, nur dass die Geschichte, die ich hier erzählen werde, selbstverständlich kein Märchen ist.

Auch wenn sie so voller Wunder und fantastischer Gestalten ist, dass manch einer glauben könnte, sie wäre nur eine Ausgeburt meiner Fantasie. Doch ich sage euch, ihr müsst nur ganz genau hinsehen, dann wird alles wahr sein, denn die Dinge sind nicht immer das, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen.

Manchmal wird das Kleine groß, das Kalte warm und der Furchtsame zum Helden.

Und so hört nun diese Geschichte und versteht sie mit euren Herzen.

Ihr alle, die ihr mit Körper oder Seele noch Kind seid.

Der Ritter von Hohengrummel

Es war einmal in einem gar nicht so weit entfernten Land, vor gar nicht so langer Zeit, da lebte auf einer kleinen Burg ein kleiner Ritter mit einer viel zu großen Rüstung. Diese Rüstung war ein Erbstück seines Ururgroßvaters, der ein großer Mann und ein großer Ritter gewesen war. Sein Name war Eliah Ferdinand Gereon Titus von Hohengrummel, der Name des kleinen Ritters natürlich, nicht der des Großvaters, denn dieser glorreiche Großvater spielt in dieser Geschichte keine Rolle.

Da dieser Name nun wirklich sehr lang war, wurde er von allen nur Eli gerufen, was ja auch viel leichter zu sagen ist und deutlich schneller von der Zunge geht.

Eli war ein aufgeweckter und neugieriger Junge mit einem etwas ängstlichen Herzen. Nicht, dass er ein Angsthase gewesen wäre, ganz und gar nicht. Aber er war eben sehr vorsichtig in allem was er tat, was vielleicht auch daran liegen mochte, dass er, behindert durch seine zu große Rüstung, oft ins Stolpern geriet und dabei recht häufig auf der Nase landete. So bewegte er sich langsam und bedächtig, was ihm immer wieder einigen Spott seiner herumtollenden Altersgenossen einbrachte.

Daher kam es, dass er sich die meiste Zeit mit sich alleine beschäftigte. Er las für sein Leben gern und verschlang jedes Buch, das ihm in die Hände geriet. Außerdem war er ein begeisterter Forscher und da er stets in einem ledernen Rucksack seine Forscherwerkzeuge mit sich führte, konnte es passieren, dass er von seinen Streifzügen durch die Natur erst spät am Abend zurückkehrte. Eli sah hinter die Dinge, die ihn umgaben, für ihn waren sie alle wundersam und entdeckungswert.

Natürlich las er, wie alle kleinen Jungen, am liebsten die Geschichten von großen Abenteuern, von tapferen Helden, die gefährliche Situationen meistern mussten.

Dann versank er über Stunden in der Welt seiner Helden und wenn er das Buch zu Ende gelesen hatte, überfiel ihn stets eine Traurigkeit, als hätte er einem lieben Freund Lebewohl sagen müssen.

Eines Abends, als er gerade die Geschichte eines über alle Maße tapferen Ritters ausgelesen hatte, fasste er einen Entschluss. Auch er wollte in die Welt hinausziehen und endlich Abenteuer erleben. Schließlich war er ein echter Ritter und was war ein Ritter ohne Heldentaten. So machte er sich noch am selben Abend auf den weiten Weg zu ungeahnten Taten und nur der Vollmond, der hell vom Himmel strahlte, begleitete ihn.

Carlotta Räubermädchen

Nachdem Eli einige Stunden gewandert war, spürte er allmählich wie müde und hungrig er war. Wenn ihm nicht bald ein Abenteuer begegnete, würde er erst einmal essen und schlafen müssen. Schließlich konnte man mit vor Müdigkeit schweren Gliedern und einem leeren Magen auch vom größten Ritter nicht erwarten, noch weiter zu marschieren. Das Abenteuer würde schon nicht weglaufen und so suchte er sich unter einer alten Eiche auf der Lichtung eines dichten Waldes ein Plätzchen, um dort die Nacht zu verbringen.

Als er es schließlich geschafft hatte, ein kleines Feuer zu entzünden, erfüllte ihn Stolz auf sich und zufrieden nagte er an seinen, aus der Burgküche stibitzten, Hühnerbeinen und betrachtete versonnen den sternklaren Nachthimmel.

Eli versuchte eine bequeme Position zu finden, um rasch einschlafen zu können. Doch die Geräusche der Nacht um ihn herum schienen immer lauter zu werden. Der klagende Ruf eines Käuzchens erklang direkt über ihm und die raschelnden Schatten kamen immer näher. Er hatte nicht genügend Brennholz gesammelt und sein Feuer würde bald ausgehen. Aber er traute sich nicht in den finsteren Wald hinein, um Neues zu holen. Überall wisperte und knackte es und Eli hätte alles darum gegeben, jetzt in seinem gemütlichen Bett im Westturm der kleinen Burg zu liegen. Allerdings war gar nicht daran zu denken, das Feuer zu verlassen und den weiten Weg durch die Dunkelheit zurückzugehen. Nein, er hatte dieses Abenteuer gewollt und nun war er hier, daran ließ sich nichts ändern, morgen früh jedoch, beim ersten Sonnenstrahl, würde er sich sofort nach Hause begeben. Er war einfach kein großer tapferer Held, er war nur ein kleiner ängstlicher Ritter mit einer viel zu großen Rüstung, die sich beim Schlafen als äußerst unbequem erwies.

Eli spürte voller Erleichterung, dass er langsam in einen leichten Halbschlaf sank, als ein gewaltiger Krach ihn panisch hochfahren ließ. Mit einem Satz war er auf den Beinen und griff nach seinem Holzschwert. Die Knie zitterten ihm so stark, dass ein leises Scheppern von ihm ausging als das Metall seiner Rüstung aneinanderschlug. Sein Herz raste und er merkte, wie ihm das Schwert aus seinen schweiß nassen Händen zu rutschen drohte.

Hektisch drehte Eli sich hin und her in der Hoffnung, einen Vogel zu entdecken, der den ganzen Tumult verursacht hatte. Stattdessen blitzte etwas Helles neben ihm in Augenhöhe auf und eine Sekunde später flog es durch die Luft und landete mit einem leisen Plumps direkt vor seinen schlotternden Beinen.

Das war der Augenblick, in dem Eli beinahe in Ohnmacht gefallen wäre. Aber eben nur beinahe, denn im letzten Moment erblickte er fröhlich funkelnde graue Augen unter einem Gewirr von rötlichen Locken. Als das Geschöpf sich aufrichtete, erkannte er im Schein des Feuers eine sehr schmutzige rosafarbene Latzhose mit ausgefransten Hosenbeinen. Aus dem schmutzigen Gesicht erklang ein helles Lachen.

„Na, hattest wohl Angst vor mir? Musst du auch, schließlich bin ich das berühmte Räubermädchen Carlotta die Furchtlose. Was machst du eigentlich hier und wer bist du überhaupt?“

Abwartend sah sie ihn an. Eli hatte sich inzwischen von seinem Schock erholt und streckte ihr förmlich die Hand entgegen.

„Ich bin der Ritter Eli und ich bin auf der Suche nach Abenteuern.“

Wieder lachte Carlotta.

„Na mir scheint, dir hat das Abenteuer meiner Bekanntschaft schon gereicht, um dich das Fürchten zu lehren. Besonders groß bist du ja nicht gerade für einen Ritter. Aber immerhin hast du Feuer. Da muss Holz drauf, sonst ist es gleich aus.“

Ohne auf eine Reaktion zu warten, drehte sie sich um und stapfte in den dunklen Wald hinein. Eli hörte es knacken und nach ein paar Minuten erschien Carlotta wieder. In den Armen hielt sie ein Bündel Holz. Sie ließ die Scheite neben das Feuer fallen und legte dann ein großes Stück darauf. Sofort loderte es hell und freundlich.

„So, schon besser und jetzt erzähl noch mal richtig, was du hier machst.“

Das Mädchen ließ sich im Schneidersitz nieder und sah Eli erwartungsvoll an. Seufzend setzte Eli sich neben sie und erklärte ihr, wie es dazu kam, dass er hier alleine an einem kleinen Feuer mitten im großen Wald saß. Als er geendet hatte, nickte sie verständnisvoll.

„Ja, das verstehe ich, ein Ritter muss Abenteuer bestehen, sonst ist er ja gar kein richtiger Ritter. Bei Räubern ist das auch so. Ich würde auch so gerne mal mitkommen, wenn mein Vater loszieht, aber er sagt immer, ich wäre noch zu jung und es sei zu gefährlich für mich. Pah, ich habe keine Angst und ich bin auch nicht zu jung. Ich will endlich mal was erleben. Heute Nacht bin ich ausgebüxt, um zu beweisen, dass ich ein richtiger Räuber bin. Nur weiß ich nicht, wie ich das anstellen soll.“

In stillem Einvernehmen sahen die Beiden in die Flammen und jeder hing seinen Gedanken nach. Langsam nahm eine Idee in Elis Kopf Gestalt an. Zu zweit wären sie stärker, und er müsste nicht mehr so viel Angst haben, wenn Carlotta bei ihm wäre. Und schließlich suchten sie beide letztendlich doch dasselbe. Sie wollten große Taten vollbringen und endlich beweisen, dass sie keine kleinen Kinder mehr waren. Natürlich waren sie noch Kinder, aber auch die konnten ja schließlich Helden sein.

Er räusperte sich, dann sah er Carlotta in die Augen.

„Du, warum gehen wir nicht gemeinsam auf die Suche nach Abenteuern? Du könntest mich begleiten! Vier Augen sehen mehr als zwei und es wäre doch auch viel lustiger zusammen.“

Carlotta blieb einen Moment still und kratzte mit einem Stock Zeichen in den Boden.

„Weißt du, das ist eine gute Idee, aber das mit den Augen ist so eine Sache. Ich kann nicht besonders gut gucken. Jedenfalls nicht, wenn es weiter weg ist. Ist total blöd, aber ich hab mich dran gewöhnt, auch wenn es in manchen Situationen echt nervt. Willst du trotzdem, dass ich mitkomme?“

Hoffnungsvoll sah sie zu Eli rüber. Der zögerte keine Sekunde.

„Aber klar will ich, dass du mitkommst. Du bist viel mutiger als ich und du kennst dich im Wald gut aus. Gemeinsam sind wir unschlagbar. Also das wäre dann abgemacht. Hast du Hunger? Ich habe noch ein Hühnerbein übrig.“

Dankbar nahm Carlotta das Hühnerbein und begann daran zu nagen. Als kein bisschen Fleisch mehr daran war, schleuderte sie es in den Wald und leckte sich ausgiebig die Finger ab. Dann streckte sie sich genüsslich aus und seufzte zufrieden.

"Mensch Eli, ich finde es prima, dass ich dich getroffen habe. Lass uns jetzt schlafen, morgen jagen wir Abenteuer.“

Und schon war sie eingeschlafen. Mit den beruhigenden Atemzügen des Mädchens, die die Einsamkeit vertrieben, schlief auch Eli bald ein.

Lunjos

Als Eli am nächsten Morgen erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Ein verführerischer Duft drang an seine Nase und sofort meldete sich sein leerer Magen. Mühsam rappelte Eli sich auf. Diese Rüstung mochte ihre Vorteile haben, aber bequem war sie ganz sicher nicht. „Mensch, hast du lange geschlafen, gleich hätte ich dich aufgeweckt. Frühstück ist fertig!“

Carlotta saß zufrieden grinsend am Feuer und vor ihr auf einem Stein, der in der Glut lag, brutzelten fröhlich sechs Spiegeleier. Eli lief das Wasser im Mund zusammen. Sofort verflog auch der Rest seiner Müdigkeit und lächelnd ließ er sich neben Carlotta nieder.

„Das ist ja großartig, ein richtiges Frühstück. Aber wo hast du denn die Eier her?"

Carlotta schob ein Ei auf ein großes Blatt und reichte es ihm.

„Was denkst du denn, immerhin bin ich ein Räubermädchen.“

Ihr Grinsen wurde noch breiter, als Eli sein Ei sinken ließ und sie anstarrte.

„Heißt das etwa, du hast sie gestohlen?“

„Na auf Bäumen wachsen Eier ja wohl noch nicht, oder? Ein Stück hinter dem Wald wohnt ein Bauer, ein wirklich unsympathischer Mann. Ich dachte, dem kann es nun echt nicht schaden, ein paar Eier weniger zu haben.“ Missbilligend legte Eli sein Ei zurück auf den Stein.

„Das kann ich nicht essen, du hast es dem Bauern weggenommen und das ist nicht richtig.“

Ungeduldig aber resolut schob Carlotta das Blatt mit dem Ei darauf wieder in Elis Hände zurück.

„Also jetzt hör mir mal gut zu. Erstens habe ich es nicht dem Bauern weggenommen, sondern seinen Hühnern und das macht er ja schließlich auch und zweitens werden wir verhungern, wenn ich nicht ab und zu etwas ausborge von Leuten, die sowieso mehr haben als sie brauchen. Wenn der Bauer ein freundlicher Mensch wäre, hätte ich gefragt, aber ich kenne den, der würde Essen lieber auf dem Misthaufen sehen als jemanden wie mir damit zu helfen. So und jetzt iss, bevor es kalt wird. Ich dachte, wir wollten uns auf die Suche machen und nicht den ganzen Tag übers Essen reden.“ Mit diesen Worten schob sie sich ein halbes Ei in den Mund und kaute genüsslich. Resigniert tat Eli es ihr nach. Es wäre unsinnig, das Essen verkommen zu lassen, wo es doch nun schon einmal da war.

Als sie fertig waren, löschten sie sorgfältig das Feuer und machten sich auf den Weg. Und während der ganzen Zeit schwieg Eli, bis es Carlotta schließlich reichte.

“Ok spucks aus, was willst du mir sagen und traust dich nicht?“

Unbehaglich nestelte Eli an seinem Helm rum.

„Ähm, weißt du, ich danke dir für das Frühstück und so, aber könnten wir nicht in Zukunft doch versuchen, uns unser Essen auf anderem Wege zu besorgen?“

Ängstlich auf einen Ausbruch wartend schielte Eli zu Carlotta rüber. Die rollte genervt mit den Augen, doch dann seufzte sie nur.

„Meinetwegen, versuchen können wirs ja. Aber hungern werde ich deshalb nicht, klar!“

Erleichtert nickte Eli eifrig.

„Klar!“

So liefen sie einträchtig nebeneinander her. Die Sonne schien von einem blauen wolkenlosen Himmel und ihnen wurde ganz leicht ums Herz. Zum Mittag pflückten sie sich frische Walderdbeeren und aßen so viele davon bis ihre Bäuche voll und ihre Münder rot verschmiert waren. Als die Dämmerung hereinbrach, wurden sie müde und beschlossen, sich einen Platz für die Nacht zu suchen. Sie fanden einen kleinen Bach und richteten sich hinter einem umgestürzten Baum ein Lager ein. Carlotta, die sich mit Pflanzen gut auskannte, da sie ihr ganzes Leben im Wald verbracht hatte, suchte ihnen Pilze für ihr Abendessen, die sie über dem Feuer brieten. Carlotta war entzückt, als Eli eine kleine Bratpfanne aus seinem Rucksack zog.

„Die hättest du mir heute Morgen schon geben können, das wäre viel leichter gewesen, als auf einem Stein Eier zu braten.“

„Aber ich habe doch noch geschlafen, als du sie gebraten hast und du hast mich ja auch nicht gefragt.“

Zufrieden verspeisten sie die wohlschmeckenden Pilze, die Carlotta noch mit einigen Kräutern gewürzt hatte. Dann rollten sie sich nah beieinander am Feuer zusammen und schliefen ein.

Als sie erwachten, leuchtete ein hell strahlender Vollmond am Himmel. Sie sahen sich verschlafen und irritiert an. Das Feuer war zu einem kleinen Haufen Glut verbrannt. Warum waren sie schon wach? Irgendetwas musste sie geweckt haben. Aber was war es gewesen? Es war alles ganz still und friedlich. Doch da hörten sie es und erstarrten. Ein klagendes Heulen erklang in ihrer unmittelbaren Nähe. Ein lang gezogener Ruf durchbrach die Stille der Nacht. Eli fing sofort wieder an zu zittern.

„Carlotta, was ist das für ein Geräusch?“

Auch Carlotta blickte sich beunruhigt um.

„Hast du denn noch nie einen Wolf heulen gehört? Verdammt er hört sich hungrig an. Wir müssen schnell das Feuer wieder entfachen. Wölfe mögen kein Feuer, es wird uns schützen.“

Eli stieß einen kleinen Schrei aus.

„Uns schützen?“

Seine Stimme klang selbst in den eigenen Ohren unnatürlich hoch und dünn.

„Warum schützen? Heißt das, er wird uns jagen?“

Carlotta hatte sich wieder gefasst, mit ruhigen Bewegungen legte sie frische Scheite auf und blies in die Flammen. Sofort wurde es heller und wärmer. Elis Herz bemühte sich, seinen Rhythmus wieder zu finden. Er atmete tief durch und rückte dann noch näher zu Carlotta hinüber, die sich inzwischen dicht ans Feuer gesetzt hatte.

„Mach dir keine Sorgen, solange wir nicht einschlafen und das Feuer brennt, sind wir hier sicher. Wölfe sind sehr scheu, sie greifen nicht einfach so Menschen an.“

Plötzlich kicherte sie leise.

„Wahrscheinlich stinken wir für sie.“

Wirklich beruhigt war Eli noch immer nicht. Natürlich hatte er schon Wölfe heulen gehört. Aber es klang in der behaglichen Wärme einer Burg doch ganz anders als unter freiem Himmel nur ein paar Meter entfernt von diesen Tieren. Verzweifelt kämpfte er die erneut aufkeimende Panik nieder. Es konnte ja nicht sein, dass

ein echter Ritter vor Angst schlotterte, während ein kleines Mädchen völlig ruhig die Flammen bewachte. Der Stolz siegte und Eli gewann wieder die Oberhand über seine Ängste. Doch er musste sich eingestehen, dass er ohne Carlottas Anwesenheit vermutlich vor Furcht gestorben wäre.

Eine Weile war vergangen, ohne dass sie ein erneutes Heulen gehört hätten und langsam breitete sich die Müdigkeit in ihnen aus. Sie kämpften dagegen an, doch es wurde von Minute zu Minute schwerer, die Augen offen zu halten. Beinahe wären sie doch eingeschlafen, als ein Geräusch sie wieder aufschrecken ließ. Sie hörten das Tappen von Pfoten, das immer näher kam, begleitet von einem leisen Hecheln. Es trennten sie nur noch wenige Meter vom Verursacher dieser Geräusche. Um wen oder was es sich dabei handelte, war beiden unzweifelhaft klar. Und da war sie wieder, die Angst. Sie schlug ihre Klauen in Elis Herz und ließ ihm keinen Platz zum Atmen. Die Panik drohte ihn zu überwältigen und er hatte nur noch einen Gedanken. Lauf! Lauf so schnell dich deine Beine tragen! Flieh und renn um dein Leben! Sein Verstand bemühte sich noch einen kurzen Augenblick die Kontrolle zu behalten und warnte ihn eindringlich davor, das Feuer zu verlassen, jedoch vergeblich. Nach Luft schnappend sah Carlotta, wie Eli sich aufrappelte und fluchtartig in den Wald davon stürmte.

„Eli! Bleib hier! Du darfst nicht weglaufen, du hast keine Chance gegen einen Wolf!“

Doch es war zu spät. Sie hörte ihn noch schreien, ein dumpfer Aufprall und dann Stille. Ein Schluchzen entfuhr ihrer Kehle. Was sollte sie nur tun, sie konnte ihn doch nicht im Stich lassen. Aber sie war nur ein kleines Mädchen, sie konnte gegen einen ausgewachsenen Wolf nicht das Geringste ausrichten.

Plötzlich erfüllte Carlotta ein Zorn, der alle Angst und Unsicherheit verbannte. Sie griff nach einem langen Ast und hielt ihn ins Feuer bis die Spitze zu brennen begann. Dann machte sie sich auf die Suche nach Eli. Sie war noch nicht weit gekommen, da sah sie ihn. Ein mächtiger grauer Wolf tauchte vor ihr zwischen den Bäumen auf. Er blickte Carlotta direkt in die Augen. Einen Moment verharrten beide regungslos, dann drehte der Wolf sich um und trabte langsam davon. Doch schon nach ein paar Schritten drehte er sich wieder zu ihr um, als wollte er ihr bedeuten, sie solle ihm folgen. Zögernd setzte Carlotta sich in Bewegung und ging ihm nach. Es dauerte nur wenige Minuten, da hörte sie ein leises Wimmern, das aus der Dunkelheit an ihr Ohr drang. Eli! Er musste hier irgendwo ganz in der Nähe sein! Aber wo war der Wolf? Er konnte nicht weit entfernt sein. Da hörte sie eine leise warnende Stimme.

„Gib acht! Dein Freund ist in eine Falle geraten. Sie ist direkt vor dir.“

Keuchend blieb Carlotta stehen. Wer hatte da gesprochen? Ganz ruhig, kein Grund zur Panik, gemahnte sie sich im Stillen. Dann ließ sie sich auf die Knie sinken und tastete sich vorsichtig weiter.

„Eli, wo bist du? Sag doch was!“

Ein Schluchzen, dann hörte sie Elis angsterfüllte Stimme irgendwo unter ihr.

„Carlotta, bist du das? Ich bin hier! Hier unten, ich bin in ein Loch gefallen. Hilf mir raus! Bitte!“

Carlotta hielt ihren glimmenden Ast vor sich und ließ ihn langsam über den Boden kreisen. Sie erblickte die Grube, in der Eli festsaß, dann suchte sie einen dicken Stock und schob ihn über die Öffnung.

„Eli, du musst dich an dem Ast festhalten! Ich versuche, dich daran rauszuziehen. Aber du mußt mithelfen, du bist viel schwerer als ich!“

Sie fühlte wie er das Holzstück ergriff, und stemmte sich mit all ihrer Kraft dagegen. Schweiß lief ihr übers Gesicht und all ihre Muskeln schmerzten. Sie würde es nicht schaffen, er war einfach zu schwer für sie. Da spürte sie, wie sich etwas hinter ihrem Rücken bewegte und plötzlich ließ das Gewicht nach. Sie blickte sich nicht um, sondern zog mit ganzer Kraft. Ein Ruck und Elis Hände erschienen über der Kante des Lochs. Sie griff danach und zerrte ihn schließlich ganz herauf. Dann sank sie neben ihm zu Boden und schnappte erleichtert nach Luft. „Eli ist dir was passiert? Hast du dir wehgetan?“

„Nur ein paar blaue Flecken, sonst fehlt mir nichts. Danke, dass du mich gerettet hast. Du bist viel stärker, als du aussiehst.“

Sofort rappelte Carlotta sich auf.

„Aber das war ich gar nicht alleine, irgendjemand hat mir geholfen und er hat mich auch vor der Falle gewarnt.“ Eli spähte über ihre Schulter in die Dunkelheit, dann erstarrte er. Nun drehte sich auch Carlotta langsam um. Wenige Meter von ihnen entfernt sahen sie den grauen Wolf sitzen. Er beobachtete sie ganz ruhig. Dieses Mal drohte die Panik sie beide zu überwältigen. Ihr letztes Stündlein hatte geschlagen. Der Wolf bewegte sich und trat bedächtig einen Schritt auf sie zu.

„Ihr braucht keine Angst vor mir zu haben, ich will euch nichts tun. Es freut mich, dass du dich nicht verletzt hast, Menschenjunge. Diese Falle wurde für Wölfe angelegt, von euresgleichen. Sie sind sehr gefährlich für uns und haben schon vielen das Leben gekostet. Du hattest wirklich Glück!“

Völlig sprachlos starrten die beiden Kinder den Wolf an. Carlotta fand als erste ihre Sprache wieder.

„Wer bist du? Oder was bist du? Hast du uns geholfen? Wieso kannst du mit uns reden? Bist du ein richtiger Wolf?“

Ein tiefes Lachen erklang, dann antwortete die warme Stimme.

„Das sind sehr viele Fragen auf einmal Menschenkind. Doch du hast recht, ich habe mich noch nicht vorgestellt, wie unhöflich von mir. Entschuldigt bitte! Ich bin Lunjos der Graue und ich wollte euch nicht erschrecken, ich habe mich bemüht, leise zu sein, doch ihr habt gute Ohren, dass ihr mich kommen hörtet. Ich sah den Feuerschein von weitem und wollte nachsehen, wer in meine Wälder eingedrungen war. Es treiben sich wahrlich böse Kreaturen hier herum und deshalb wollte ich nach dem Rechten sehen. Verzeiht, dass ich euch so große Furcht eingeflößt habe. Aber wer seid ihr und was macht ihr hier, so ganz alleine?“

Inzwischen hatte sich auch Eli wieder beruhigt, auch wenn er noch immer mit vor Staunen weit geöffneten Augen Lunjos anstarrte. Und wieder war es Carlotta, die antwortete.

„Das hier ist der tapfere Ritter Eli und ich bin Carlotta das Räubermädchen. Wir wollten hier nur die Nacht verbringen, denn wir sind auf der Suche nach Abenteuern.“

Bei ihren Worten war Eli errötet, denn von tapfer konnte bei ihm keine Rede sein. Das hatte er gerade wieder bewiesen. Tapfer war nur einer von ihnen und das war ganz eindeutig Carlotta. Er schämte sich seiner Furcht und wendete sein Gesicht ab. Lunjos schien seine Gefühle zu spüren.

„Es ist keine Schande, Furcht zu empfinden, Eli Menschenjunge. Nur die Dummen und Ignoranten sind ohne Angst, denn sie sind nicht weitsichtig genug, um zu erkennen, dass in der Welt viele Gefahren lauern, denen sie nicht gewachsen sind. Manchmal ist es klüger, vorsichtig zu sein, um zu überleben. Also gräme dich nicht! Du hast großes Glück, eine so treue Gefährtin an deiner Seite zu haben. Nun lasst uns an euer Feuer zurückkehren, ich sehe, euch ist kalt. Ich werde euch führen. Folgt mir!“

Widerspruchslos gingen Eli und Carlotta dem Wolf hinterher. In Elis Kopf hallten noch Lunjos Worte nach. Wollte er ihn nur trösten oder hatte er das mit der Angst ernst gemeint? Doch er war ja gar nicht vorsichtig gewesen. Er war blind vor Angst davon gerannt, was so ziemlich das Dümmste gewesen war, was er hatte tun können.

Er seufzte tief, als er eine kleine warme Hand in seiner spürte. Carlotta hielt ihn ganz fest und flüsterte leise: