Wandern auf anderen Wegen - Heidi Stadler - E-Book

Wandern auf anderen Wegen E-Book

Heidi Stadler

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Beschreibung

Im Leben eines jeden Menschen gibt es Wendepunkte. Und da heißt es aktiv zu werden, wenn man spürt, dass man auf einem Lebensweg ist, der nicht (mehr) zu einem passt. Dabei wird immer wieder klar: Jeder braucht Menschen, die ihm für solche Schritte zur Seite stehen. Menschen, die erkennen, was einem in Umbruchsituationen hilft. Die nicht zögern, selbst viel Energie hineinzustecken, um einem zu helfen, und um dann letzten Endes auch ganz viel zurückzubekommen. Welch ein Geschenk: Echte Freundschaft!

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Überblick

Rieke und das Geheimnis von Schloss Burgstein

Das Schneewittchenhaus

Eine Veränderung kommt selten allein

Wer zuletzt lacht, lacht am besten

Wandern auf anderen Wegen

Rieke und das Geheimnis von Schloss Burgstein

Rieke saß im Zug und sah durch das Fenster ihrer ehemaligen Nachbarin nach, die durch die Menschenmasse zur Bahnhofshalle ging. Sie wollte schnell wieder heimkommen, denn sie hatte noch viel zu tun.

Alles war so schnell gegangen.

Seit Mutter gestorben war, waren gerade einmal zwei Wochen vergangen.

Rieke war an jenem Morgen zu Mutter ins Schlafzimmer gehuscht. Sie hätte an diesem Tag eine Besprechung gehabt und musste früh raus. Doch als Rieke sie wecken wollte, war sie schon tot.

Alles andere, die Beerdigung der Mutter und die Räumung der Wohnung, die helfende Nachbarin und die Großeltern, das ging wie ein Film an Rieke vorbei. Sie konnte im Moment noch gar nicht weinen, konnte noch nicht darüber reden.

Und nun saß sie im Zug und fuhr zu den Großeltern. Die freundliche Nachbarin, Frau Kern, hatte ihr geholfen ihre Sachen zu packen.

Ein letztes Mal schlich Rieke durch die bereits geräumte Wohnung. Dann fuhr Frau Kern sie zum Bahnhof.

Rieke kaufte sich die Fahrkarte, einfache Fahrt, zweite Klasse, nach Neustadt. Die beiden Frauen verabschiedeten sich voneinander. Sie sagten nicht viel, umarmten sich nur kurz.

Dann stieg Rieke ein. Verstaute ihre beiden Koffer und den Rucksack.

Da saß sie nun.

Leute gingen durch das Abteil, sich nach einem freien Platz umsehend. Der Zug fuhr langsam los. Rieke holte sich ein Buch aus dem Rucksack und begann zu lesen.

Kurze Zeit später schlief sie ein.

Plötzlich gab es einen Ruck. Der Zug hatte gebremst und angehalten. Rieke war davon aufgewacht. Zuerst wusste sie nicht, wo sie war. Sie sah aus dem Zugfenster und las auf einem Schild: „Regensburg“.

Die Zugtüren öffneten sich. Menschen stiegen ein und aus.

Kurz bevor der Zug wieder losfuhr, ging die Schiebetür nochmals auf. Zwei Männer kamen herein.

Rieke dachte sich: „Die könnten Vater und Sohn sein“.

Da sie an einer Vierersitzkombination saß, fragte der ältere der beiden: „Sind noch zwei Plätze frei?“

Rieke nickte nur.

Der ältere nahm seinen Rucksack auf den Schoß, während der jüngere seinen oben auf der Ablagefläche verstaute. Stöhnend nahm auch er Platz.

Rieke hatte währenddessen aus dem Zug gesehen und die auf und abgehenden Menschen beobachtet.

Gerade eben fuhren sie los. Ein kleiner Junge, der mit seiner Mutter auf dem Bahnsteig stand, winkte ihr zu.

Rieke musste lachen, als sie den Kleinen sah, und winkte zurück.

Dann sah sie kurz zu dem älteren der beiden Männer hin.

Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Nur woher?

Die beiden unterhielten sich. Aus dem Gespräch hörte sie heraus, dass ihre Vermutung richtig war. Der Vater war etwa 50 Jahre, der Sohn etwa 20.

Dann fiel es Rieke ein.

„Sie sind doch Klaus Straßmaier!“, sagte sie.

Überrascht sah er sie an und fragte: „Ja. Wieso fragen Sie?“

„Ich hatte Sie als Lehrer in der Realschule.“

Er grübelte kurz vor sich hin, doch dann fiel es ihm ein.

„Das war doch in der Sophie-Scholl-Realschule, vor etwa zwei Jahren!“,

Rieke nickte: „Ja das stimmt! Wir hatten Sie in Rechnungswesen.“

„In welcher Klasse wart ihr damals?“

„In der achten. Ab der neunten Klasse hatten wir ja dann Frau Limbrock.“, Rieke verdrehte leicht die Augen.

Der Sohn von Klaus Straßmaier fragte: „So schlimm?“

„Aber hallo! Die ist ein Teufel in Frauengestalt!“

„Was heißt Teufel? Sie ist auf jeden Fall sehr streng, was ja an sich nicht schlimm ist. Aber ihre Benotung und vor allem ihre Unterrichtsmethode sind mehr als vorsintflutlich.“, erklärte Klaus Straßmaier seinem Sohn.

„Und wo fährst du jetzt hin?“, wollte dieser nun von Rieke wissen.

„Zu meinen Großeltern. Nach Neustadt. Und ihr?“

„Wir fahren nach Hof. Von dort aus wandern wir an der ehemaligen Zonengrenze entlang bis zur Küste hoch.“

„Da habt ihr euch aber auch was vorgenommen!“

„Ja, aber wir sind ja trainiert. Da geht das.“, sagte Klaus Straßmaier.

„Wo unterrichten Sie jetzt?“

„Ich bin an einer Realschule in Regensburg.“

Rieke schmunzelte spitzbübisch: „Haben Sie da auch so brave Schüler, wie wir es waren?“

„Nein, so brav wie ihr wart, sind sie nicht. Ihr wart schon eine besondere Klasse!“, lachte er.

„Wo sind wir eigentlich?“, fragte Rieke nach einer Weile.

Die beiden Männer sahen aus dem Fenster.

Der Sohn meinte: „Wir müssten kurz vor Neustadt sein.“

„Was? Schon soweit? Wie lange dauert es noch, bis wir in Neustadt sind?“

„Etwa fünf Minuten.“, meinte der junge Mann.

Hastig riss Rieke ihre Koffer von der Ablage. Knautschte ihre Jacke und die Wasserflasche in den Rucksack.

Diesen schnell auf den Rücken.

Bevor sie die Koffer aufnahm, gab Rieke den beiden Männern noch die Hand.

„Auf Wiedersehen! Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder?“, sagte sie.

„Ja, warum nicht? Auf Wiedersehen!“

„Auf Wiedersehen!“, meinte der Sohn von Klaus Straßmaier lächelnd und sah ihr noch durchs Fenster nach.

Sein Vater tat, als hätte er es nicht bemerkt. Doch dann sprang der Sohn auf und nahm das Buch, dass Rieke liegen hatte lassen. Schnell rannte er zur Tür, doch da war der Zug schon losgefahren.

„Verdammt!“, murmelte er leise vor sich hin, als er wieder zu seinem Sitzplatz zurückging.

Rieke war ausgestiegen. In dem Menschengewimmel konnte sie kein bekanntes Gesicht ausmachen.

Sie ging zu einem Fahrkartenautomaten und stellte dort erst einmal ihre Koffer ab.

Dann sah Rieke sich wieder um. Langsam strömten die Menschen auf das andere Gleis oder in die Bahnhofshalle.

Da! Rieke sah nochmals hin. Das war doch Großmutter!

Sie nahm ihre Koffer wieder auf und rannte im Schweinsgalopp auf ihre Großmutter zu.

In diesem Moment drehte sich Großmutter um und sah direkt auf Rieke.

„Rieke!“, rief sie und lief auf die Enkelin zu.

Rieke ließ die Koffer fallen und beide umarmten sich. Die Großmutter löste die Umarmung und sah Rieke für einen kurzen Moment an. Sie nickte.

Dann wurde Großmutter wieder lebendig.

„Komm! Barbara wartet schon!“, rief sie.

„Barbara? Wer ist Barbara?“, wollte Rieke wissen, während sie ihre Sachen aufgabelte.

„Das ist eine Bekannte von uns! Sie hilft Großvater viel bei seinen Streifzügen. Eine ganz patente Frau! Du wirst sie kennen lernen!“, erzählte Großmutter.

Sie hatte sich den zweiten Koffer geschnappt und ging voran durch die Bahnhofshalle.

Rieke traute ihren Augen kaum. So klein die Bahnhofshalle auch war, trotzdem musste sich Rieke ihren Weg durch die Menschen bahnen. Teils freundliche, teils böse Mienen, wenn sie mit jemanden zusammen stieß.

Großmutter erkämpfte sich einfach einen Weg durch die Menschenmasse, ohne sich groß um die anderen Menschen zu kümmern.

Sie passierten die Eingangstüre. Großmutter blieb kurz stehen und winkte, während sie „huhu!“ rief.

Ein knallgelber Käfer, voll gepflastert mit Aufklebern löste sich aus der Menge der parkenden Autos heraus und fuhr in die Parkbucht vor dem Bahnhofsgebäude.

Am Steuer saß besagte Barbara.

„Macht schnell! Die Parkwächter sind schon wieder auf Tour!“

„Ja, ja! Wir machen ja schon!“

Großmutter wuchtete die beiden Koffer in den Kofferraum. Währenddessen schlupfte Rieke auf den Rücksitz und legte den Rucksack neben sich.

Die Klappe ging zu und Großmutter huschte schnell zur Beifahrerseite. Sie ließ sich in den Sitz reinplumpsen und machte die Tür zu.

Barbara startete durch und raste mit einem Höhlentempo los.

„Geschafft! Kein Strafzettel!“, lachte sie.

Rieke und Großmutter war es nur bedingt zum Lachen bei der Fahrweise von Barbara. Beide hielten sich an den Griffen fest und versuchten Kurven entsprechend auszugleichen.

Barbara fuhr aus der Innenstadt heraus, am Fluss entlang ins Stadtteil Schlossstadt. Es hieß so, weil in diesem Stadtteil das Schloss Burgstein war.

Hier standen hauptsächlich alte, schön restaurierte Häuser, teilweise auch Fachwerkhäuser.

Barbara fuhr auf der Hauptstraße direkt auf das Schloss zu. Kurz vor der Schlosseinfahrt bog sie nach rechts ab.

Rieke war das letzte Mal vor etwa acht Jahren bei den Großeltern gewesen. So konnte sie sich nur noch vage an das Haus der Großeltern erinnern.

Doch dann sah Rieke diesen Rhododendron, der im Vorgarten des Hauses stand. Ob es noch die kleinen, süßen Walderdbeeren gab? Großmutter hatte sie gesammelt und mit einem großen Klecks Schlagsahne zum Nachtisch serviert.

Rieke wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen. So wie Barbara anfuhr, so bremste sie nämlich auch.

Sie stiegen aus. Barbara öffnete den Kofferraum und schleppte die beiden Koffer durch den Vorgarten.

Großvater hatte sie kommen hören und öffnete die Haustüre. Barbara stellte die Koffer in den Hausgang.

Großvater war währenddessen Großmutter und Rieke entgegen gegangen.

„Die beiden sehen noch topfit aus!“, dachte sich Rieke, als sie in den Vorgarten trat.

Großmutter schob sie vor, dem Großvater entgegen. Da standen sich Großvater und Enkelin gegenüber.

Freundlich blickte Großvater auf Rieke und sagte:

„Herzlich willkommen!“. Dann gab er ihr seine Hand und ließ sie ins Haus eintreten.

Großmutter folgte ihr und schloss die Tür. Barbara werkelte bereits in der Küche herum. Großvater gesellte sich zu ihr. Die beiden unterhielten sich gleich angeregt.

Großmutter hingegen nahm Rieke die Jacke ab und hängte sie an der Garderobe ab. Rieke zog sich auf dem Koffer sitzend die Schuhe aus.

„So, komm! Ich zeig dir dein Zimmer!“, meinte Großmutter, als sie fertig war.

Großmutter ging, einen Koffer tragend, die Treppe hoch, Rieke folgt ihr.

Im ersten Stock war neben einem Bad das Schlafzimmer der Großeltern. Das Kinderzimmer von Riekes Mutter hatte Großvater zu seinem Büro erklärt und sich entsprechend eingerichtet. Dann war da noch das Gästezimmer.

Rieke war überrascht, als Großmutter nicht auf das Gästezimmer zuging, sondern die Treppe noch weiter hoch ging.

Vor einigen Jahren hatten die Großeltern das Dach ausgebaut. Nun war dort ein relativ großes Zimmer entstanden. Die Dachschräge verlieh dem ganzen eine gemütliche Ader.

Als feststand, dass Rieke die nächste Zeit bei ihren Großeltern bleiben würde, hatten die beiden das Dachzimmer aufgeräumt und hergerichtet. Ein Bett und einen Schrank sowie ein Bücherregal hatten sie sowieso oben stehen. Barbara hatte dann noch auf einen ihrer Streifzüge einen Schreibtisch und einen dazu passenden Stuhl ergattert. So war das Zimmer fürs erste eingerichtet.

Großmutter ging auf das Fenster zu und machte es auf.

„Die frische Luft tut gut!“

Rieke sah sich um. Trotz oder gerade wegen der zusammen gestöpselten Möbelstücke sah es gemütlich aus. Auf dem Schreibtisch stand eine Vase mit einem Wiesenblumenstrauß.

„Morgen näh ich noch einen Vorhang fürs Fenster. Über Nacht geht es ja, weil ein Rollo dran ist. Und Barbara will noch einen Teppich auftreiben.“, erzählte Großmutter.

Derweil sah Rieke durch das Fenster. Es war direkt auf das Schloss gerichtet.

„Wenn du Lust hast, kannst du noch heute auspacken.

Ansonsten machst du es morgen. Ich muss noch schnell zum Bäcker! Dauert aber nicht lange.“, sagte Großmutter noch.

„Ich fang jetzt noch an!“, meinte Rieke.

„In Ordnung.“

Großmutter wandte sich zur Tür, drehte sich aber nochmals um.

„Rieke?“

„Ja.“

„Herzlich willkommen!“, sagte die Großmutter und strahlte die Enkelin an.

„Danke!“, lächelte Rieke zurück.

Dann hüpfte Großmutter hinunter.

Rieke nahm einen der Koffer, legte ihn aufs Bett und begann auszupacken.

Viel war es ja nicht. Das meiste hatte sie zusammen mit der Nachbarin in Kisten eingepackt. Die Kleider der Mutter bekam die Kleidersammlung, die übrigen Sachen hatte die Nachbarin bei sich deponiert.

„Das kannst du dir ja später mal holen.“, hatte sie gemeint.

So, dass meiste war verräumt. Rieke schob den zweiten Koffer unters Bett. Bevor sie die Treppe hinunter ging, stellte sie sich nochmals kurz vors Fenster.

Sie sah begeistert zum Schloss hinüber.

„Das sieht so aus, als könnten dort noch Geister und weiße Frauen ihr Unwesen treiben.“, dachte Rieke sich.

Sie liebte solche Geschichten.

Wenn es während eines Schullandheimaufenthaltes darum ging, dass eines Nachts Wesen ohne Köpfe auftauchen sollten, war Rieke immer mit von der Partie.

Sie liebte es, Burgen zu besichtigen. Und vor allem sich dazu Geistergeschichten auszudenken.

Rieke riss sich los von dem Anblick. Ging durch die Türe, schloss sie. Und dann hüpfte sie die Treppe hinunter.

Plötzlich mitten in der Nacht wurde Rieke wach. Im ersten Moment hätte sie gar nicht sagen können, was sie aufgeweckt hatte.

Doch dann sah sie durch die Schlitze des Rollos das grelle Licht eines Blitzes. Ein paar Sekunden später krachte der Donner. Es hörte sich an, als würde er einen Berg entzwei sprengen.

Rieke sah sich gerne, geborgen in einem sicheren Raum, ein Gewitter an. Sie stieg schnell aus dem Bett, zog das Rollo etwas hoch. Dann beobachtete sie das Wechselspiel zwischen Blitz und Donner.

Nach einiger Zeit begann es zu regnen. Das war für Rieke nicht mehr so interessant. Sie verzog sich wieder unter ihre Decke. Selbst als es unter der Bettdecke wieder warm wurde, konnte sie nicht gleich wieder einschlafen.

Die Gedanken kamen und gingen.

Warum wohl hat Mutter ihr Leben so gelebt, wie sie es gelebt hatte? Warum hatte sie sich von Vater getrennt?

Sie selbst konnte sich nur sehr wenig an ihren Vater erinnern.

Aber Großvater und Großmutter scheinen nicht so zu sein, wie viele andere in ihrem Alter. Sie hatten noch Ziele. Und sie ließen auch mal eine andere Meinung als die ihre gelten, überlegte Rieke so vor sich hin.

Und während sie sich so ihre Gedanken machte, schlief Rieke wieder ein.

Einzelne Sonnenstrahlen schienen durch die Ritze des Rollos und kitzelten Rieke. Mit einem „Hatschi“ wachte sie auf.

Draußen hörte man schon die Vögel zwitschern. Und von irgendwo unten, hörte Rieke die Großmutter mit dem Staubsauger hantieren.

Rieke sprang aus dem Bett und stieg die Treppe hinunter in den ersten Stock. Zuvor zog sie noch das Rollo auf.

Im Bad wusch sie sich ausgiebig. Dann zog sie sich schnell an. Rieke machte ihr Bett, während eine frische Brise durch das geöffnete Fenster ins Zimmer hinein wehte.

Schön langsam begann ihr Magen zu krachen. Gestern Abend hatte sie fast nichts gegessen, vor Aufregung hatte sie keinen Hunger gehabt.

Nun hüpfte sie schnell die Treppe hinunter.

„Guten Morgen!“, rief sie Großmutter entgegen, die ihr mit „Guten Morgen“ antwortete.

„Setz dich, Rieke. Da! Ich hab noch ein Stück Kuchen von gestern für dich aufgehoben. Willst du lieber Kaffee oder Tee? Oder Kaba?“

„Am liebsten Kaba, bitte.“

Rieke setzte sich überrascht. Sonst hatte sie sich selbst um ihr Frühstück gekümmert.

Und Mutter war entweder schon außer Haus oder schlief noch. Dass sie zusammen frühstückten, kam höchstens mal im Urlaub vor.

Hier setzte sich nun die Großmutter dazu und begann zu erzählen.

„Großvater ist schon unterwegs. Er ist im Schloss.“

„Er scheint ja oft dort zu sein. Was macht er dort?“

„Großvater hat als Hausmeister im Schloss gearbeitet.

Damals war ihm schon aufgefallen, dass im Keller des Schlosses noch Räume sein müssten. Von den Verantwortlichen wusste aber keiner etwas davon. Seit er jetzt in Rente ist, kümmert sich Großvater weiter um das Schloss. Die Behörden sind froh darum. Zudem forscht und sucht er nach Informationen und Plänen in Archiven, um etwas über die Kellerräume heraus zu finden.“

„Hast du nicht gesagt, dass Barbara ihm da hilft?“

„Ja. Barbara schreibt nebenbei fürs Neustädter Tagblatt.

Überall, wo etwas los ist, ist sie anzutreffen. Hin und wieder schreibt sie auch über Großvater und ihre Aktionen. Ansonsten arbeitet Barbara in ihrer Seifensiederei.“

„Sie macht Seifen?“

„Ja. Aber nicht industriell, sondern in Handarbeit.“,

antwortete Großmutter. Dann trank sie noch einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse.

„Mich interessiert ja Geschichte auch. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das Suchen von solchen Räumen so interessant sein kann.“, meinte Rieke in der Zwischenzeit.

„Das dachte ich auch einmal. Bis mir Großvater einmal Unterlagen zeigte, in dem es hieß, dass einmal Kunstschätze im Schlosskeller eingelagert worden sein.“

„Wann war das?“, horchte Rieke auf.

„Am Ende des zweiten Weltkrieges. Seitdem interessiert mich das ganze brennend. Weißt du was? Nimm dir doch das Fahrrad und fahr doch mal hin.“

„Ja, aber. Ich kann dich doch nicht die ganze Hausarbeit allein machen lassen!“

„Papperlapapp! Schnapp dir das Rad und hinweg mit dir!“

So stand Rieke auf und trug zumindest noch ihr Geschirr in die Küche. Großmutter wollte sie zwar schon abwimmeln, doch Rieke wusch trotzdem ihr Frühstücksgeschirr ab.

Erst dann lief sie in den Keller hinunter und trug das Fahrrad hoch. Großmutter stand schon in der Haustür.

„Da vorne rechts kommst du zum Schloss und links geht’s in die Stadt. Zu Mittag essen wir immer um 12:00 Uhr.“, erklärte sie noch kurz und entließ Rieke dann.

Rieke stellte auf der Straße das Rad ab, setzte sich darauf und fuhr los.

Zuerst fuhr sie zum Schloss. Verlassen lag es da. Rieke ging einmal außen herum. Dabei musste sie teilweise dem Gestrüpp ausweichen. Scheinbar wurde es schon lang nicht mehr genutzt. Sie nahm sich vor, die Großeltern zu fragen, als was es früher genutzt wurde.

Jedenfalls sah es sehr heruntergekommen aus, auch wenn man jetzt noch sogar noch etwas vom ehemaligen Glanz entdecken konnte. An einer Kellertüre probierte Rieke, ob sie zu öffnen war. Doch sie war verschlossen.

Sie schlich sich wieder zurück zum Fahrrad, das sie vor dem Schloss an einem Baum gelehnt hatte.

Sie stieg auf und radelte in die Stadt hinein. Vor der Post stellte sie es ab und schlenderte etwas durch die Fußgängerpassage. Hin und wieder blieb Rieke stehen und besah sich die Schaufenstereinlagen. Da gab es Kunsthandwerker, Drogerien, Modegeschäfte und Buchhandlungen.

Da fiel es Rieke siedendheiß ein, dass sie ihr Buch im Zug vergessen hatte. Der Zug hatte nur kurz gehalten und so musste sie schnell ihre Sachen packen und aussteigen. Schade! Es war ihr Lieblingsbuch.

Etwas traurig ging sie zurück zur Post. Sie nahm ihr Fahrrad und schob es ein Stück. Erst etwas weiter stieg sie wieder auf.

In der Straße, die Rieke gerade entlang fuhr, lag ein eigentümlicher Duft. Er war leicht süßlich, erinnerte Rieke an Lavendel. Aber irgendwie auch an Zimt.

Rieke fuhr weiter, konnte aber nicht entdecken, woher der Duft kam. Am Ende der Straße drehte sie um und fuhr noch einmal zurück.

Der Duft schien wieder stärker zu werden. Und da entdeckte Rieke, woher er kam.

In der Mitte der Straße war in einem unscheinbaren Haus ein Seifenladen. Er hieß schlicht „Seifenträume Barbara Riedhammer“.

Ob das wohl die Bekannte ihrer Großeltern war?

Rieke hielt an, stieg vom Fahrrad und lehnte es an die Hauswand.

Im Schaufenster lagen einige Seifen, bunt verpackt in schönem Papier. Rieke ging weiter. Ein paar Stufen führten zur Ladentür. Die ging scheppernd auf.

Irgendwoher, aus einem der anderen Räume, hörte Rieke eine weibliche Stimme rufen: „Ich komme gleich!“

Sie sah sich derweilen um.

In den Regalen waren in allen erdenklichen Größen und Verpackungen die Seifen liebevoll eingeräumt.

Jetzt roch es ganz stark nach Lavendel und noch etwas, was Rieke nicht definieren konnte.

Plötzlich hörte sie Schritte und drehte sich um. Und tatsächlich stand Barbara, die Bekannte ihrer Großeltern, vor ihr.

„Hallo! Hast du wohl keine Seife mehr?“, fragte Barbara, erfreut über den Besuch.

„Nein. Aber Großmutter meinte, ich solle mich in Neustadt umsehen. Und so bin ich mit dem Rad hier vorbei gekommen. Es roch so gut in der Straße. Da wollte ich wissen, woher der Duft kam.“, erklärte Rieke.

Barbara lachte. „Das war klug, dass du reinschaust.“

„Machen Sie alle Seifen selbst, die hier liegen?“, fragte Rieke und sah sich um.

„Ja, alle! Ich bin gerade über einer. Willst du zuschauen?“.

„Mehr als gern!“

„Dann komm!“

In einem Nebenraum standen ein Tisch, mehrere Holzregale und ein Kochherd.

Rieke besah sich die Gläser, die in den Regalen standen.

Da waren Gläser mit getrocknetem Lavendel, Ziegenmilchpulver oder auch Zimtblätteröl. Während sie sich umsah, rührte Barbara mit einem Kochlöffel in einem Topf herum.

„Was machen Sie da?“, wollte Rieke wissen.

„Ich erhitze Fett solange, bis es flüssig ist. Dann muss das ganze auf 40 Grad wieder abkühlen. So.“

Barbara zog den Topf auf eine kalte Herdplatte und nahm sich einen neuen Topf.

„Da mache ich jetzt die Lauge.“, erklärte sie weiter, während sie Mundschutz, eine durchsichtige Maske, die das Gesicht bedeckte, solide Gummihandschuhe und eine Wasser abweisende Schürze anlegte. Rieke sah sie verwundert an.

Barbara meinte schmunzelnd: „ Jetzt wird’s gefährlich.

Geh bitte etwas zurück. Da bilden sich jetzt ganz schön giftige Dämpfe.“

Wieder rührte sie einige Minuten mit dem Kochlöffel, dieses Mal die Lauge. Dann legte sie den Kochlöffel weg und kühlte die Lauge im Wasserbad ab.

Nach einiger Zeit berührte Barbara vorsichtig den Laugentopf.

„Passt!“.

Langsam rührte sie die Lauge in das Fett ein.

„Was meinst du? Was machen wir für eine Seife?“, fragte Barbara Rieke, die bisher still, aber interessiert zugesehen hatte.

„Vielleicht was mit Rosen.“, sagte sie nach kurzer Überlegung.

„Hhm, Rosen. Da hab ich was. Aber nicht das Gesicht verziehen, ja!“

Barbara stöberte in ihren Gläsern und brachte zwei Gläser zurück an den Arbeitstisch.

In dem einen war eine Flüssigkeit, in dem anderen ein weißes Pulver. Sie drehte das Glas auf und hielt es Rieke hin. Die roch und zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Aber riecht irgendwie komisch.“

„Buttermilchpulver. Zusammen mit dem Wildrosenöl ergibt das die Wildrosen-Buttermilchseife.“, sagte Barbara und gab einiges von dem Öl und ein paar Löffel Buttermilchpulver in die Fettlauge. Das ganze rührte sie wieder um.

Dann goss sie die Masse in eine rechteckige Holzform.

„Was ist das Weiße in der Form?“, fragte Rieke.

„Die Holzform ist mit Gummi beschichtet. Dann bekomme ich die harten Stücke wieder leichter heraus. So, fertig!“.

Barbara strich die Masse noch glatt und stellte sie in ein Regal.

„Das muss jetzt noch auskühlen. Und dann bring ich dir ein Stück.“, sagte sie zufrieden.

„Wie lange machen Sie das schon?“

„Etwa 10 Jahre. Damals hab ich noch bei mir daheim die Seifen hergestellt. Und eigentlich war das auch nicht als Hauptberuf gedacht. Ich wollte damals eigentlich nur für eine Freundin ein besonderes Geschenk haben. Das kam so gut an, dass immer mehr Leute eine selbst gemachte Seife haben wollten.“

Rieke hörte begierig zu. „Und wie kommen Sie darauf, eine Seife mit Buttermilch und Wildrosenöl zu machen?“

„Auf Spaziergängen hole ich mir die Ideen. Wie spät ist es eigentlich?“

Rieke sah auf die Uhr und meinte erstaunt:

„Fast halb zwölf. Ich glaub, ich mach mich mal wieder auf den Heimweg. Sonst komm ich zu spät zum Mittagessen.“

„Gut. Grüß deine Großeltern. Ach ja, und richt deinem Großvater aus, dass ich morgen nachmittags vorbei komme.“

„Okay, sage ich!“

Rieke gab ihr die Hand.

„Vielen Dank für diesen interessanten Vormittag.

Tschüß!“

„Immer wieder gerne! Bis bald!“

Barbara lehnte sich an den Türrahmen und sah zu, wie Rieke auf ihr Rad stieg und wegfuhr.

Im Wegfahren winkte sie zurück. Barbara schmunzelte und ging in den Laden.

Rieke radelte Richtung Schloss und bog dann in die Straße ihrer Großeltern ab. Sie bremste und stieg ab.

„Hallo, Rieke!“, hörte sie jemanden sagen.

Sie drehte sich um.

„Großvater!“

Die beiden gaben sich die Hand. Großvater hielt die Gartentür auf und Rieke schob das Fahrrad in den Garten.

Eigentlich wollte sie das Fahrrad wieder in den Keller hinunter tragen, doch Großvater hielt sie davon ab.

„Schau, du kannst das Rad in diesen Schupfen reinstellen.“, zeigte er ihr. „Da brauchst du dich nicht so rumquälen.“

„Danke!“

Gemeinsam gingen sie ins Haus.

„Hallo! Da seid ihr ja schon!“

Großmutter kam aus der Küche und trocknete sich die Hände ab, als sie die Türe gehen hörte.

„Hallo. Wie ausgemacht!“, meinte Rieke.

Großvater hängte seine Jacke auf. Rieke verzog sich derweil ins Bad und wusch sich die Hände. Danach ging sie in die Küche.

Großmutter hatte gerade die Teller auf die Ablage gestellt und suchte das Besteck heraus. Rieke nahm die Teller auf. Die Großmutter drehte sich um und war erstaunt, als Rieke sie in der Hand hielt.

Sie legte das Besteck auf die Teller. Rieke trug das Geschirr zum Tisch und deckte ihn.

Großvater kam hinzu, blieb aber etwas im Hintergrund und beobachtete Rieke kurz. Nach einigen Sekunden ging er in die Küche.

„Kam Post?“, fragte er.

„Ja.“, antwortete Großmutter.

Er horchte auf. Großmutter hatte es bemerkt.

„Nein. Vom Finanzamt.“, meinte sie traurig und ging auf Großvater zu. Der stand auf die Arbeitsfläche gebeugt und sah aus dem Fenster. Großmutter stellte sich neben ihn und legte ihre Hand auf seine Schulter.

„Vielleicht kommt ja morgen der Brief?“, wollte sie ihn aufmuntern.

„Tja, vielleicht hast du Recht.“, sagte er und richtete sich wieder auf.

Großvater nahm die Schüssel mit Kartoffeln, während Großmutter den Blattsalat und die Specksoße zum Tisch trug.

„Wie war dein Vormittag?“, fragte Großmutter.

„Zuerst bin ich zum Schloss und hab mir das von außen angesehen. Dann bin ich in die Stadt und hab mich dort umgesehen. Und zum Schluss war ich noch bei Barbara Riedhammer.“

„Bei Barbara?“, schaute sie Großvater erstaunt an.

„Ja. Sie hat mir gezeigt, wie man Seifen macht.

Außerdem soll ich schöne Grüße sagen und ausrichten, dass sie morgen Nachmittag vorbeikommt.“

„Danke!“, sagte Großvater.

Nachmittags betätigte sich Großmutter im Garten. Sie hatte Blattsalat, Kohlrabi und auch Bohnen angebaut.

Zudem wuchsen auch noch Maggikraut, Schnittlauch und Petersilie, sowie andere Kräuter im Garten. Dieses Mal musste sie sich um die Bohnen kümmern.

Rieke hatte nach dem Mittagessen zuerst lustlos in ihrem Zimmer etwas die Zeit vertan.

Doch dann gesellte sie sich zur Großmutter und half ihr beim Bohnenpflücken. Dabei fragte Rieke wieder nach dem Schloss.

„Ich bin heute Vormittag mal kurz außen herum gegangen. Jetzt sieht es ja sehr heruntergekommen aus, aber ich glaube, dass es früher sehr herrschaftlich und pompös ausgesehen hatte.“

„Auf den Bildern, die mir Großvater gezeigt hat, sah es sehr toll aus. Fast wie eines der Schlösser in den Märchen. Die Erbauer hatten damals viel Geld investiert.“

„Als was wurde es früher einmal genutzt?“, wollte Rieke wissen.

„Zuerst war es Herrschaftssitz derer von Stein. Dann, irgendwann kurz nach dem 1. Weltkrieg, konnten die Barone von Stein das Schloss nicht mehr halten. Und dann versuchte sich ein Hotelier daran, aus den Gebäuden ein Hotel zu machen, was aber auch nicht lange gut ging. Dann stand es bis nach dem 2. Weltkrieg leer. Ja, und danach war es eine Seniorenresidenz. Aber die ist jetzt auch schon wieder zehn Jahre dicht.“

„Naja, wenn das Schloss während des zweiten Weltkriegs leer stand, können da ja ungehindert Leute aus und eingegangen sein. Zum Beispiel um etwas zu verstecken.“, sinnierte Rieke .

Großmutter nickte: „Ja, so kann es gewesen sein.“.

Sie nahm die Bohnenschüssel auf und sagte: „So, fertig.

Die richte ich jetzt noch zum Einfrieren her.“

In der Küche wusch sie die Bohnen.

„Nimm doch bitte aus dem Besteckkasten zwei kleine scharfe Messer. Dann schneiden wir die Bohnen gleich klein her.“

Rieke holte das gewünschte.

Großmutter ließ das Wasser ins Spülbecken laufen, nahm noch eine Schüssel und ging zum Esstisch.

Die beiden Frauen setzten sich an den Esstisch und schnippelten die Bohnen klein.

Am nächsten Tag war das Wetter nicht einladend. Ein Landregen ging herunter. Rieke blieb deshalb daheim und half der Großmutter im Haushalt. Der Großvater war schon früh aus dem Haus gegangen.

„Ins Archiv.“, gab er zur Antwort, als Rieke fragte, wohin er gehe.

Die Stunden bis zum Mittagessen zogen sich. Selbst die Großmutter wunderte sich darüber.

„Komisch! Gestern verging der Tag wie im Flug. Aber heute?“

„Was gibt’s heute zum Essen?“

„Was hältst du von Spinat-Kartoffelküchlein mit Blattsalat?“, fragte die Großmutter.

„Kenn ich nicht.“

„Was? Kennst du nicht? Na, dann wird’s aber Zeit, dieses Gericht kennen zu lernen. Das ist die Leibspeise deines Großvaters!“

Die Großmutter setzte einen Topf Kartoffel auf und ließ sie kochen.

Als sie weich waren, stampfte Rieke sie, während die Großmutter den Spinat auftaute. Der Spinat kam auf die Kartoffeln. Großmutter würzte mit Pfeffer und Muskatnuss sowie Knoblauchsalz. Dann noch zwei Eier, etwas Mehl und etwas geriebenen Käse darauf, bevor sie es vermengte.

Großmutter stellte eine Pfanne auf den Herd und erhitze Fett darin.

„Schau, etwa solch große Küchel leg ich ins Fett und brate sie von beiden Seiten schön braun an. Wenn du die anderen raus bratest, mach ich derweil den Salat.“

„Okay!“, meinte Rieke und brät ein Küchlein nach dem anderen heraus.

Gegen 11:30 Uhr waren sie mit dem Essen sowie dem Tischdecken fertig.

Einige Minuten später betrat Großvater das Esszimmer und sagte: „Barbara kommt heute um 14:00 Uhr.“

„Gut. Ich mach uns dann einen Kaffee.“

„Darf ich auch mit zu hören?“, fragte Rieke.

Großvater sah sie verwundert an.

„Interessiert dich das denn?“

„Ja, sehr!“

„Dann bleib dabei! Die Küchle sind wieder lecker!“

„Ja, dieses Mal hat Rieke auch mitgeholfen.“

Nach dem Essen verräumten Großmutter und Rieke das Geschirr, während eine Kanne Kaffee durchlief und den Duft im Haus verströmte. Gegen zwei Uhr läutete es an der Tür. Barbara stand bepackt mit einem Rucksack vor der Tür.

„Herein mit dir!“

„So ein Sauwetter!“, schimpfte sie und schälte sich erst einmal aus der Jacke und den Schuhen.

„Man könnte schon fast meinen, es würde jetzt schon der Herbst kommen.“

„Na, hoffentlich noch nicht!“, lachte der Großvater.

Die Großmutter brachte gerade die Kaffeekanne zu Tisch.

„Grüß dich, Barbara. Wie geht’s?“

„Danke! Es geht. Ach, ist Rieke daheim?“

„Ja, hier bin ich. Hallo!“

„Hallo! Und hier ist das Stück Seife, das ich dir versprochen habe.“

„Oh, danke!“, sagte Rieke und schnupperte daran.

„Duftet sehr gut!“

„Willst du Kaffee?“

„Ja, gerne.“

Großmutter schenkte ein, während die anderen sich hinsetzten. Sie brachte die Kanne noch schnell in Sicherheit und setzte sich auch dazu.

„Also. Ich habe heute im Archiv einen Bauplan vom Schloss gefunden. Auf dem sind im Keller zwei Räume eingezeichnet, die wir bisher zwar vermutet, aber nicht gefunden haben.“

„Wie bist du überhaupt darauf gekommen, dass da noch Räume sind?“, fragte Rieke.

„Kurz bevor ich in Rente ging, wurde das Schloss umgebaut. Es wurde dann zwar nicht mehr lange genutzt, aber naja. Jedenfalls habe ich damals den Eindruck gehabt, da müssten noch weitere Räume sein.

Allein schon wie der Keller angelegt und gebaut war. Und auch von der Statik her.

Ich habe mich in den letzten Jahren intensiv mit den Plänen beschäftigt. Irgendwie erschienen sie mir unvollständig.“

„Du bist also fündig geworden?“, fragte Barbara.

Großvater nickte: „Die ehemaligen Besitzer hatten einen Bauplan abgegeben. Dieser ist noch komplett erhalten. In diesen sind die Räume eingezeichnet, nach denen wir suchen.“

„Dann stimmen ja die neuen Pläne nicht!“, meinte Großmutter.

„Vor allem, der alte Bauplan stammt aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg. Die neuen sind alle nach dem 2.

Weltkrieg entstanden.“

Barbara machte sich eifrig Notizen. Großmutter schenkte nochmals Kaffee nach. Rieke sah Großvater an.

„Was werdet ihr jetzt machen?“

„Wir werden die Mauer an einer Stelle abtragen und dann sehen wir ja, was Sache ist.“

„Dürfen wir das denn?“

„Naja, eigentlich nicht. Aber mir als Hausmeister vertrauen die Behörden schon.“

„Dürfte ich das Schloss einmal von innen sehen?“

„Wenn du willst, können wir gleich mal einen Spaziergang zum Schloss machen, Rieke.“, schlug Großvater vor.

„Okay!“

Großmutter räumte noch schnell das Geschirr weg. Dann gingen sie zu viert zum Schloss.

„Schau, das Heidekraut blüht schon!“, Barbara zeigte auf den Wegesrand.

Großvater ging nicht direkt auf das Schloss zu, sondern schlug einen Waldweg ein. Auf diesen gelangen sie auf die Rückseite des Schlosses.

Großvater zog einen Schlüssel aus der Tasche und sperrte damit die Kellertüre auf, an der Rieke am Tag vorher vergeblich versucht hat, sie aufzumachen.

Er hielt die Tür auf und ließ die Frauen eintreten.

Zuerst war da eine Art Vorraum. Als sie weitergingen, gelangten sie in einen Gang, der nur nach rechts weiterging. Links verlief eine Mauer. Sie bogen in den Gang. Links und rechts davon waren Türen.

„Hinter den Türen verstecken sich Lagerräume. Hier wurden Lebensmittel, aber auch Wein gelagert.“, erklärte Großvater, als sie den Gang entlang gingen.

An einer Tür blieb er stehen.

„Hier war der Weinkeller. Es sind aber keine mehr da.

Und hier, dieser Raum, das war die Waschküche.“, zeigte Großvater.

Am Ende des Ganges ging rechts eine Treppe nach oben.

Barbara erklärte oben: „Hier waren die Küche und der Aufenthaltsraum für die Bediensteten. Dort, auf der anderen Seite, sind Büroräume.“

Im Erdgeschoß gingen sie den Gang entlang zur Mitte des Gebäudes. Dort war die Empfangshalle.

Auf der anderen Seite der Eingangstüre, ging die Treppe hinauf in den ersten Stock.

„Können wir die Räume oben auch ansehen?“

„In Ordnung. Dann sehen wir uns danach die restlichen Räume im Erdgeschoß an.“

Sie stiegen die Treppe hoch. Oben waren noch die Zimmer, in denen zuletzt die Senioren gewohnt hatten.

Die meisten Decke hatten die Zeit gut über standen und waren noch kunstvoll dekoriert. Die Bäder waren renoviert, zeigten trotzdem schon Gebrauchsspuren.

Rieke sah sich um. „Wo sind eigentlich die Möbel hin?“

„Die haben andere Behörden oder Institutionen übernommen. Auch das örtliche Krankenhaus hat einiges brauchen können.“, sagte Großmutter.

Ein paar Zimmer hatten Balkone, die anderen waren zu mindestens durch große Fenster Licht durchflutet.

Nachdem sie sich alle Zimmer im ersten Stock angesehen hatten, gingen sie wieder hinunter ins Erdgeschoß.

Dort waren noch ein Speisesaal sowie ein Aufenthaltsraum.

„Wo wir jetzt stehen, da müssten eigentlich die Kellerräume, die wir noch nicht entdeckt haben sein.“

Großvater hatte die alten Baupläne herausgenommen und verglich sie mit den bestehen Räumlichkeiten.

„Der Speisesaal wurde auch früher schon als solcher genutzt. Der heutige Aufenthaltsraum hingegen ist aus zwei Räumen entstanden. Der eine war eine Bibliothek, der andere war ein Musikzimmer.“

„Wo sind wir eigentlich in den Keller hineingegangen?“, fragte Großmutter.

Großvater überlegte kurz und sage dann:

„Der Kellereingang muss ungefähr hier sein.“

Dabei deutete er auf eine Stelle in der Mitte der Außenwand des Aufenthaltsraumes.

„Das müssten ja auch noch mal große Räume sein.“,

meinte Barbara.

Die Frauen sahen sich noch etwas im Erdgeschoß um.

Währenddessen ging Großvater hinunter in den Keller. Er besah sich die Wand, hinter der sich die Räume befinden mussten.

Man sah aber keine Unregelmäßigkeiten in der Wand.

Scheinbar war so oft darüber geweißelt worden, bis nichts mehr sichtbar war.

Die Frauen waren hinunter in den Keller gekommen.

„Hast du was gefunden?“, wollte Barbara wissen.

„Man sieht nichts!“

Rieke ging auf die Tür zu, die in den letzten Kellerraum auf dieser Seite führte. Überraschenderweise ging die Tür auf.

Gespannt ging Rieke in den Raum hinein, die anderen folgten ihr. Außer einem verlassenen Eimer, war er leer.

Großvater besah sich auch hier die Außenwand.

„Nichts!“, sagte er und schüttelte den Kopf.

„Die Handwerker haben perfekte Arbeit geleistet.“

Schweigend verließen sie das Schloss und gingen zurück nach Hause.

Die übrige Zeit des Tages verbrachte Rieke in der städtischen Bücherei und im Stadtmuseum. Sie versuchte selbst, soviel wie möglich sich über das Schloss anzulesen.

Zudem bat sie Großvater, ihr seine Unterlagen zu zeigen.

Am nächsten Tag verzog sie sich in ihrem Zimmer und schaute sich „Großvaters Schätze“ (so nannte Großmutter die Unterlagen) an.

Da waren Kopien von Plänen und alten Schriftstücken, aber auch schriftliche Zeitzeugenberichte.

Alle zusammen überzeugten Rieke davon, dass wertvolle Bilder und auch Schmuck am Ende des Krieges im Keller des Schlosses Burgstein versteckt wurden und sich noch immer dort befinden müssten. Auch ein Bild aus dieser Zeit befand sich in den Unterlagen.

Kurz vor dem Einschlafen fiel Rieke siedendheiß ein, dass sie sich ja um einen Ausbildungsplatz kümmern musste. Und bis zum Beginn des neuen Ausbildungsjahres waren es fast nur noch drei Wochen.

Eigentlich hatte sie vorgehabt, nach ihrem Realschuleabschluss in diesem Jahr ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Museum zu machen, nachdem sie keinen Ausbildungsplatz bekommen hatte. Rieke wollte nämlich Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste erlernen. Sie nahm sich vor, am nächsten Tag die Großeltern zu fragen. Vielleicht hatten die ja einen Tipp, welche Behörde oder Firma vielleicht doch noch einen Auszubildenden einstellten.

Am nächsten Tag wachte Rieke früh auf. Als sie ins Erdgeschoß kam, war weder Großmutter noch Großvater zu sehen.

Allein in der Küche fand Rieke einen Zettel, geschrieben von der Großmutter.

„Guten Morgen Rieke! Großvater ist im Schloss und ich habe in der Stadt zu tun. Lass dir dein Frühstück gut schmecken! Liebe Grüße, Großmutter!“.

Rieke machte sich einen Kaba und aß das Stück Rehrücken-Kuchen auf. Danach fuhr sie mit dem Fahrrad zum Schloss. Schon von weitem sah sie , dass Großvater sich gerade von zwei Handwerkern verabschiedete. Rieke grüßte die beiden Männer und stellte ihr Rad am Eingang ab.

„Guten Morgen, Rieke!“

„Guten Morgen, Großvater. Hast du ein paar Minuten Zeit für mich?“

„Ja. Was hast du auf dem Herzen?“

„Ich bin ja im Juli mit der Realschule fertig geworden.

Eigentlich wollte ich ja eine Berufsausbildung als Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste machen, hab aber keinen Ausbildungsplatz gefunden.

Deshalb hatte ich mich für ein Freiwilliges Soziales Jahr angemeldet. Aber dann ist ja Mutter gestorben und ich zog zu euch. Weißt du, ob jetzt noch so kurz vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres jemand einen Auszubildenden sucht?“

Großvater hatte schweigend zugehört. Rieke merkte, dass er überlegte, als sie fertig war.

„Rieke, sag mal, wo kann man diese Ausbildung machen?“

„In einem Archiv oder in einem Museum. In einer Bücherei aber auch in einer Bildagentur oder auch im medizinischen Bereich. Aber am liebsten wäre es mir, wenn ich die Ausbildung in einem Museum oder einem Archiv machen könnte.“

„Mensch, das ist es! Rieke, ich hab nämlich zufälligerweise mitbekommen, als sich zwei Mitarbeiter des Stadtarchivs darüber unterhielten, dass sie immer noch keinen Auszubildenden gefunden haben. Weißt du was, mach deine Bewerbung fertig und wir geben sie dort ab.“

„Das wäre ja super! Wenn das klappen würde!“

Sie waren mittlerweile wieder daheim angekommen.

Großmutter war noch nicht zu Hause.

Rieke setzte sich sofort an den Computer und schrieb einen Lebenslauf und klebte ein Passbild darauf. Dann machte sie sich an das Bewerbungsschreiben. Großvater kopierte währenddessen ihre Zeugnisse.

„Fertig!“, rief Rieke, als das Anschreiben gedruckt war.

Großvater trat zu ihr und besah sich das Bewerbungsanschreiben und den Lebenslauf.

„Gut!“, lächelte er und heftete das ganze zusammen.

Noch schnell adressierte Rieke ein Kuvert und steckte das ganze hinein.

„So komm!“

Rieke folgte ihm. Sie gingen in die Stadt hinein. Nach etwa 15 Minuten standen sie vor dem Stadtarchiv.

Großvater schob Rieke vor. Sie betrat das Gebäude und klopfte an der Tür des Geschäftszimmers.

„Herein!“, rief eine freundliche Stimme.

„Hallo!“

„Hallo. Ach, Herr Richter! Was kann ich für Sie tun?“,

fragte eine Frau, etwa 35 Jahre alt. Sie war Rieke sofort sympathisch.