Wandertage in Hellas - Isolde Kurz - E-Book

Wandertage in Hellas E-Book

Isolde Kurz

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Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Isolde Kurz ist auch heute noch eine ambivalente Schriftstellerin. Schon in jungen Jahren selbstständig als Autorin und Übersetzerin, war sie eine Seltenheit im wilhelminischen Deutschland. Später jedoch geriet sie wegen ihres Schweigens im Dritten Reich und ihrer altmodischen Sprache in Kritik. Hervorzuheben sind ihre Werke "Vanadis" und "Florentiner Novellen". Isolde Kurz wuchs in einem liberalen und an Kunst und Literatur interessierten Haushalt auf. Anfang der 1890er Jahre errang sie erste literarische Erfolge mit Gedicht- und Erzählbänden. Null Papier Verlag

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Isolde Kurz

Wandertage in Hellas

1913 München bei Georg Müller

Isolde Kurz

Wandertage in Hellas

1913 München bei Georg Müller

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962812-48-5

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Wid­mung

Triest – Pi­raeus

Athen

Ägi­na und Sala­mis

Eleu­sis

Me­nid­hi-Achar­nä

Kap Su­ni­on

Die Ar­go­lis

Ko­rinth und der Isth­mus

Del­phi

Nach Olym­pia

Ein ar­ka­di­scher Früh­lings­tag

Be­such in The­ben

Chal­kis

Letz­te Tage in Athen

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

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Ihr Jür­gen Schul­ze

Klas­si­ker bei Null Pa­pier

Ali­ce im Wun­der­land

Anna Ka­re­ni­na

Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

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Widmung

Mit dei­ner Milch, ver­spreng­te Grie­chin, sog ich den Traum von Grie­chen­land, als Wie­gen­lie­der um­rausch­ten mich ho­me­ri­sche Ge­sän­ge, und mei­ne däm­mern­den Ge­dan­ken wand­test du Hel­las zu. Nicht Bän­der und Ju­we­len und was sonst Mut­ter­lust den Töch­tern schenkt, gabst du der dei­nen, doch das lau­tre Gold der Dich­tung häuf­test du auf sie und lies­sest bei Göt­tern und Hero­en sie er­blühn, die Glück­li­che, gabst Iphi­ge­ni­en ihr zur Spiel­ge­fähr­tin und An­ti­go­ne. Des Le­bens tie­fre Schön­heit lernt’ ich frü­he von dir, die gros­sen schmerz­ge­nähr­ten Freu­den, und dass kein Glück der Brust ge­nü­gen kann, wenn es den Dä­mon nicht in uns be­glückt. Lang war dein Tag und reich an Wun­dern. Jauch­zend warfst du in Op­fer­flam­men dich und stiegst ver­jüngt her­vor. Zu dei­ner Höhe dran­gen die klei­nen Sor­gen nicht, und für die gros­sen gab dir dein Pla­ton Trost. Dein Kin­der­herz, das nie den ho­hen Ernst vom Lä­cheln trenn­te, blüh­te nur se­li­ger zwi­schen Grä­bern auf, denn die das Le­ben dir ent­fern­te, gab der Tod dir ganz zu­rück. Dir war das Al­tern nur wie ein Klei­der­wech­sel; ewig jung leb­test du fort mit Ge­ni­en und Hero­en und wuss­test nichts von Zeit. Das Siech­tum kam und brach dich nicht, es sänf­tig­te zum Frie­den den all­zu­ho­hen Schwung der See­le nur. Und süs­ser reif­te dei­nes Le­bens Frucht und hö­her strahl­ten dei­ne Hel­den­au­gen, und dei­ne Lie­be hielt dich fest im Licht. Für im­mer, dacht’ ich, müss­te sie dich hal­ten. Um­sonst, die Stun­de rann. Da, auf dem Estrich, er­scholl ein un­er­be­te­ner Schritt. Du hobst das Haupt: Bist du es, al­ter Tha­na­tos? Wohl­an, ich mur­re nicht, doch wär’ es schön, ein Weil­chen zu ver­ziehn. – Der stand und staun­te, ge­rührt, dass ihn ein­mal, den All­ver­hass­ten, ein Strahl des Lä­chelns traf. Be­schei­den trat er zu­rück und harr­te noch im Vor­ge­mach. Wie hei­lig war dir die ge­schenk­te Stun­de. Zu al­lem Le­ben­den sprachst du noch ein­mal: Ich lie­be dich! – und ho­best ein­mal noch zu al­lem Ho­hen, Herr­li­chen die Arme, mit Ge­ni­en sprachst du noch und mit Hero­en, und in die letz­ten Träu­me folg­ten dir des So­pho­kles Ge­stal­ten. Also fest­lich schiedst du hin­weg, die Hö­hen glüh­ten all von dei­nem Licht. – Als es ver­glom­men war, fiel jä­her Frost her­ab, die Welt ver­eis­te. Auf dei­nen Hü­gel, Hei­li­ge, leg’ ich nun dies Buch von Hel­las, dein ist je­des Wort und dir ver­traut, du warst ja mit da­bei! Als mich die jo­ni­schen Ge­wäs­ser wieg­ten, als ich zum ers­ten Mal den Pal­las­berg er­stieg und Sala­mis vor mei­nen Au­gen auf­glänz­t’ im Mee­re mit den Schwes­te­r­in­seln, ver­nahm ich dei­ne Stim­me, denn du sangst und ju­bel­test in mir. Werd’ ich auch nie dein Auge strah­len sehn auf die­sen Blät­tern, weil es zur Son­ne heim­ge­kehrt, doch fühl’ ich dein Lä­cheln rings­um­her, wenn ich dir sage: Die schö­nen Mä­ren, die dem Kin­de du er­zählt, sind alle, alle wahr! Ich sah den Isth­mus, wo des jun­gen The­seus Hand den Räu­ber Si­nis zwang, ich sah die Stel­le, wo ras­tend sass die müt­ter­lichs­te Göt­tin, ich sah den Weg, auf dem An­ti­go­ne le­ben­dig ein­ging in des Ha­des Haus. So hei­matin­nig sah das hei­li­ge Land mich an, weil je­der Schritt mich dein ge­mahn­te. Dort gab zum ers­ten Mal der Traum­gott dich zu­rück, dort schmolz das Eis, von dem ich starr­te, dort wärm­te mich zu­erst die Son­ne wie­der. In dei­nen Blu­men­hü­gel, wo dein Geist am liebs­ten weilt, bei der Tyr­rhe­n­er­wel­le, die, wenn sie an­rauscht, von der jo­ni­schen er­zäh­len kann, hab’ ich ein Reis ge­senkt, das auf­spross im Ge­röll der Pal­las­burg. Du nahmst und sand­test es nach Mon­den­frist ver­sechs­facht wie­der, über­schweng­lich warst du ja stets im Ge­ben, und in taui­ger Frü­he des schöns­ten Tags stand die To­s­ka­ner Magd am Beet und rief und sag­te fromm: »Ein Wun­der!« Ein Wun­der wahr­lich war’s, denn eine Blu­me war über Nacht er­blüht, wie kei­ne noch der Bo­den trug, die schöns­te Grie­chen­blu­me, aus Son­nen­schein ge­wo­ben, sa­fran­far­ben wie Fest­ge­wän­der der Athe­ne­rin­nen, wenn sie, vom Rei­ter­zug um­braust, der Göt­tin den hei­li­gen Pe­p­los brach­ten. Ei­nen Tag nur stand sie in­mit­ten ih­rer ir­di­schen Schwes­tern, die Fremd­lin­gin, und schloss den Kelch für im­mer. Aus müt­ter­li­chen Rei­chen, wo du lie­bend am ewi­gen Wachs­tum schaffst, war sie ge­kom­men als Bo­tin, dass du nicht vom Let­he­be­cher ge­trun­ken, dass auch bei den Un­sicht­ba­ren du lie­bend, wir­kend dich im Sein er­hältst.

*

For­te dei Mar­mi, Herbst 1912.

Triest – Piraeus

Kalt bläst der Wind aus dem Karst­ge­bir­ge, zer­fetz­te graue Wol­ken zie­hen über den Him­mel, nur auf Schloss Mi­ra­mar liegt Son­nenglanz, wäh­rend wir durch den un­ru­hi­gen Wel­len­gang des Ha­fens von Triest ins of­fe­ne Meer steu­ern.

Un­ser »Baron Beck« vom ös­ter­rei­chi­schen Lloyd ist über­füllt mit Rei­sen­den, die sich zum Ori­en­ta­lis­ten­kon­gress nach Athen be­ge­ben. Da die Ge­le­gen­heit so ein­zig güns­tig ist, hat mei­ne alte Schutz­her­rin Pal­las Athe­ne auch mich im Handum­dre­hen zur Ori­en­ta­lis­tin um­ge­schaf­fen und mich mit der Kon­gress­kar­te, vor der sich alle Rie­gel öff­nen, auf dem »Baron Beck« ein­ge­schifft. Zum Beglei­ter gab sie mir mei­nen al­ten Freund Er­ne­stos, der mich in mei­ner Früh­zeit die grie­chi­schen Dich­ter im Ur­text le­sen lehr­te und mir schon da­mals den Traum von Grie­chen­land träu­men half. Als klas­si­scher Phi­lo­lo­ge konn­te er sich in al­ler Eile noch vor Ab­gang des Schif­fes in den Be­sitz von so viel Neu­grie­chisch set­zen, als wir bei­de an Ort und Stel­le brau­chen wer­den.

Das Fest­land ist schon weit zu­rück­ge­blie­ben, aber mei­ne al­ten Do­lo­mi­ten leuch­ten mir noch in nie ge­se­he­nem Glan­ze, bis tief her­ab mit Schnee be­deckt. Gleich un­ge­heu­ren sil­ber­nen Rie­sen­bur­gen ste­hen sie über der Küs­te und schau­en uns noch stun­den­lang nach. Wie die letz­te Abend­son­ne über ih­nen ver­sprüht, wird das Meer dun­kel­stahl­blau mit weis­sen Schaum­kro­nen. Links im Os­ten er­scheint selt­sam un­wirk­lich der ist­ri­sche Küs­tensaum mit dem dunklen Strich der nied­ri­gen Berg­wäl­der, hin­ter de­nen der Mon­te Mag­gio­re auf­ragt, und dem Leucht­turm auf vor­ge­scho­be­ner Spit­ze; ge­gen­über in kla­re­rer Zeich­nung das ge­bir­gi­ge Ufer Ita­li­ens. Doch be­vor die mit Un­ge­duld er­war­te­te Küs­te von Dal­ma­ti­en in Sicht kommt, ver­sinkt al­les in Dun­kel­heit.

Ein Blick in mei­ne Ka­jü­te hat­te mir zei­tig jede Hoff­nung auf Nachtru­he be­nom­men. Das Schiff war so voll, dass man un­ser vie­re in den en­gen Raum ge­pfercht hat­te. Jetzt fand ich dar­in noch einen Turm von Hutschach­teln al­ler­neues­ten Um­fangs auf­ge­baut, je­den Zoll­breit Fuss­bo­den mit Klei­dungs­stücken be­sät, und eine Luft, die nicht zu at­men war. Ich be­schloss also, die Nacht auf Deck zu ver­brin­gen, und Freund Er­ne­stos, in des­sen Ka­jü­te die Din­ge nicht viel bes­ser stan­den, leis­te­te mir Ge­sell­schaft. Um Mit­ter­nacht wur­de der Wind so stark, die Feuch­tig­keit so durch­drin­gend, dass wir uns die Lehn­stüh­le nach dem lee­ren un­te­ren Schiffs­raum, der als drit­te Klas­se be­nutzt wird, brin­gen lies­sen. Dort la­gen nur we­ni­ge ver­mumm­te Ge­stal­ten, die ich zu­erst für Sä­cke hielt, in der Ecke auf Prit­schen um­her. Doch nach ei­ner Stun­de war auch dort der feucht­kal­te Zug­wind un­er­träg­lich ge­wor­den, und es blieb uns nichts üb­rig, als uns in un­ser Ge­schick und in un­se­re Ka­bi­nen zu fü­gen. Ich hat­te noch einen Schwert­tanz zwi­schen den auf­ge­rich­te­ten gros­sen Stahl­spies­sen der am Bo­den lie­gen­den Hüte auf­zu­füh­ren, ehe ich auf der Lei­ter mein Bett er­klomm.

Durch über­lau­tes Ge­schä­ker in tries­ti­ni­schem Ita­lie­nisch vor der Zeit ge­weckt, bot sich mir der un­er­freu­lichs­te An­blick: zwei Da­men wa­ren von der See­krank­heit stumm und re­gungs­los nie­der­ge­streckt; die drit­te Lär­men­de, die zu ei­ner der Stil­len sprach, hat­te sich des ge­mein­sa­men Wasch­ge­räts und al­ler üb­ri­gen Ge­brauchs­ge­gen­stän­de in ei­ner Wei­se be­mäch­tigt, die es un­mög­lich und auch nicht mehr wün­schens­wert mach­te, sich der­sel­ben gleich­falls zu be­die­nen. Mei­ne höf­li­che Bit­te um et­was Platz hat­te eine un­höf­li­che Ant­wort und ver­mehr­te Aus­brei­tung ih­rer­seits zur Fol­ge. Kei­ne Ret­tung, als den Ort zu räu­men und mich ins Ba­de­ka­bi­nett zu flüch­ten, wo­hin mir bald eine Dame aus Ber­lin nach­kam, die gleich­falls vor ih­ren Zel­len­ge­nos­sin­nen floh. Wel­che Aus­sicht auf die drei wei­te­ren Näch­te, die noch an Bord zu ver­brin­gen wa­ren!

Der gan­ze Tag ver­geht uns auf ho­her See. Man sieht nichts als die schwarz­blaue, ge­heim­nis­vol­le Flut, die um das Schiff her durch den vor­quel­len­den Schaum weiss­lich ge­ädert er­scheint, ein selt­sa­mer An­blick, wie wenn far­bi­ger Mar­mor flüs­sig ge­wor­den wäre. Um 11 Uhr nachts wird in Brin­di­si an­ge­legt: vie­le Lich­ter am Quai, ita­lie­ni­scher Ha­fen­lärm, durch­tönt vom Ge­sang deut­scher Ma­tro­sen, dann wird eine Trep­pe nie­der­ge­las­sen, und zu un­se­rem Schre­cken er­giesst sich noch ein gan­zer Strom von Ori­en­ta­lis­ten in un­ser Schiff, die alle bis Pa­tras mit­fah­ren wol­len, aber kei­ne Ka­bi­nen­plät­ze be­kom­men kön­nen. Ess­zim­mer und Rauch­sa­lon wer­den zu Schlaf­sä­len für die Her­ren ver­wan­delt; wo die Da­men un­ter­kom­men, bleibt ein Rät­sel. Ich quar­tie­re mich im Ba­de­ka­bi­nett ein, wo mir der Ste­wart auf mei­ne Bit­te ein Brett mit Kis­sen über die Wan­ne le­gen lässt, weil ich un­ter kei­nen Um­stän­den mehr mit der tries­ti­ni­schen Hul­din in ei­nem Rau­me schla­fen will.

Das Gute hat ein sol­ches La­ger, dass man am Mor­gen nicht ver­schläft. Ich bin in der Frü­he un­ter den ers­ten auf Deck und stau­ne die Ber­ge von Al­ba­ni­en an, die sich in herr­li­chen For­men zu un­se­rer Lin­ken er­he­ben, lich­ter, zar­ter als ir­gend et­was je im Sü­den Ge­se­he­nes, wie aus zart­grau­em Duft ge­wo­ben. In San­ti Qua­ran­ta wird an­ge­legt. Hier ist schon der Ori­ent. Eine Men­ge Al­ba­nier in der be­kann­ten ma­le­ri­schen Tracht kom­men an Bord, ein ge­bun­de­nes Lämm­chen mit sich füh­rend, das sie, wie ich fürch­te, un­ter­wegs zu ver­zeh­ren ge­den­ken, denn Os­tern ist vor der Tür. Die­se gan­ze bun­te Welt wird un­ten in der drit­ten Klas­se ver­staut und ver­schwin­det zu­nächst un­se­ren Bli­cken.

Am Mit­tag er­rei­chen wir die schö­ne Bucht von Kor­fu, die der stol­ze Pan­to­kra­tor über­ragt. Be­vor wir ein­fah­ren, er­le­ben wir eine son­der­ba­re Über­ra­schung. Aus der Tie­fe des Schif­fes tau­chen erst ein­zeln, dann in im­mer wach­sen­der An­zahl kor­fio­ti­sche Boots­leu­te und Trä­ger auf, die uns ge­räusch­voll in ita­lie­ni­scher Spra­che ihre Diens­te für die Lan­dung an­bie­ten. Es ist, als hät­te das Meer sie auf un­ser Schiff ge­spien, denn wir sind noch weit vom Land, und man be­greift nicht, wo sie her­kom­men. Als wir uns der Ein­fahrt nä­hern, hat ihr An­sturm et­was Be­täu­ben­des und so Ge­walt­tä­ti­ges, dass man mei­nen könn­te, wir sei­en von Pi­ra­ten ge­ka­pert. Erst spä­ter in Grie­chen­land, wo der glei­che Vor­fall sich vor je­der Lan­dung wie­der­hol­te, er­fuhr ich, wie es die Leu­te mit Hil­fe der Ma­tro­sen fer­tig brin­gen, sich an ei­nem aus­ge­häng­ten Seil schon auf ho­her See in den fah­ren­den Damp­fer ein­zu­schwär­zen.

Beim Aus­boo­ten in Kor­fu wird das Drän­gen und Schrei­en die­ser Wil­den nur im­mer är­ger; man muss acht­ge­ben, dass man nicht von der Schiff­strep­pe ins Meer ge­stos­sen wird. Wir las­sen uns zu Wa­gen, denn die Zeit ist knapp, in die schö­ne Phä­aken­in­sel hin­ein­füh­ren. Die Fahrt geht zwi­schen üp­pi­gen Oli­ven­hai­nen durch, doch scheint mir der viel­be­wun­der­te Öl­baum von Kor­fu nicht mäch­ti­ger als der im Luc­che­si­schen. Grü­ne Wie­sen und Wei­de­plät­ze, von Aga­ven um­säumt, wech­seln mit dür­rem Acker­ge­län­de, des­sen lo­cke­re, gelb­li­che Schol­le aus­sieht, als wol­le sie sich in Staub auf­lö­sen. An den Rai­nen blüht viel stark rie­chen­der As­pho­de­los, der aber bei wei­tem nicht die Höhe des rö­mi­schen er­reicht. Zu­erst wird beim Achil­lei­on halt­ge­macht, das wir nicht be­tre­ten kön­nen, weil die Kai­ser­flag­ge dar­über weht. Da­rauf lässt man uns noch die Aus­sicht von Ga­stu­ri be­wun­dern, und dann geht es im Trab nach der Spit­ze ei­ner Land­zun­ge, die von ei­nem dort auf­ge­stell­ten al­ten Ge­schütz Ca­no­ne heisst. Von hier aus zeigt man die Bucht, wo der Strom­gott den vom Schwim­men er­schöpf­ten Odys­seus freund­lich ans Ge­sta­de ret­te­te, und wo dann die kö­nig­li­che Jung­frau Nau­si­kaa sich des Ver­stürm­ten er­barm­te. Das rei­zen­de, ganz mit Zy­pres­sen be­wach­se­ne Fel­sen­in­sel­chen Pon­ti­ko­ni­si (Mäus­ein­sel), das zwi­schen dem of­fe­nen Mee­re und ei­ner tie­fen Ein­buch­tung ge­ra­de Ca­no­ne ge­gen­über liegt, galt von al­ters her für das Phä­aken­schiff, das der Meer­gott zur Stra­fe für die Ret­tung des Odys­seus auf der Heim­kehr im An­ge­sicht al­ler Phä­aken ver­stei­ner­te. Deut­sche wol­len dar­in auch Böck­lins »To­ten­in­sel« er­ken­nen, die so vie­le Vor­bil­der in der Na­tur hat und doch ganz aus der Fan­ta­sie des Künst­lers ent­sprun­gen ist. Eine hes­pe­ri­sche Schol­le, die­ses Kor­fu oder Kerky­ra, wie es jetzt wie­der heisst, das mich wie ein ab­ge­spreng­tes, ver­klär­tes Stück Ita­li­en an­mu­tet. Noch sehe ich nichts, das mei­ner er­ha­be­ne­ren Vor­stel­lung von grie­chi­scher Land­schaft ent­sprä­che.

Bei ei­nem klei­nen Aus­gra­bungs­feld ne­ben ei­ner Kir­che wird noch ein­mal halt­ge­macht, und wir be­sich­ti­gen auch den neu­en Fund, den sie schon ins Mu­se­um ver­bracht ha­ben: einen gro­tes­ken ar­chai­schen Gor­go­nen­fries, der die grie­chi­sche Kunst ein­mal von der Sei­te wil­der Fan­tas­tik zeigt.

Mehr will die knap­pe Frist uns nicht ge­wäh­ren. Der »Baron Beck« hat schon das ers­te Zei­chen ge­ge­ben, und brau­ne Phä­akensöh­ne, die ih­ren ›ru­der­be­rühm­ten‹ Vor­fah­ren Ehre ma­chen, füh­ren uns durch ho­hen Wo­gen­gang flink und si­cher zu un­se­rem Schiff zu­rück.

Lang­sam geht die Fahrt auf der schma­len Was­ser­stras­se zwi­schen der lang­ge­zo­ge­nen kor­fio­ti­schen Küs­te, die im Vor­über­fah­ren im­mer neue Ge­stal­ten an­nimmt, und den schö­nen Ber­gen von Epi­ros hin. Bis wir das of­fe­ne Meer er­rei­chen, sinkt schon der Abend.

In­zwi­schen ist es un­ten, wo die Al­ba­nier ver­staut sind, le­ben­dig und laut ge­wor­den. So­lan­ge es hell war, hock­ten sie schwei­gend am Bo­den und spiel­ten Kar­ten oder schlie­fen. Jetzt sind sie mit ei­nem­mal auf den Bei­nen und ge­ben sich dem Ge­nus­se des Tan­zes hin. Zu­erst dreht sich nur ein Sol­dat zum rhyth­mi­schen Hän­de­klat­schen der an­de­ren, bald aber tanzt ein gan­zer Rei­gen jun­ger Män­ner Hand in Hand, in lang­sa­men Be­we­gun­gen, hin­ter de­nen man doch eine ver­hal­te­ne Lei­den­schaft fühlt, zu halb­lau­tem Ge­san­ge. Alle an­de­ren, Män­ner und Frau­en, um­ste­hen sie in ge­spann­ter Auf­merk­sam­keit, und wir Pas­sa­gie­re se­hen un­ter der of­fe­nen Tür gleich­falls zu, bis uns der Bro­dem ver­treibt, den die­se zu­sam­men­ge­keil­te, knob­lauch­duf­ten­de Mensch­heit aus­strömt. Un­ter­des­sen sind die Ster­ne auf­ge­gan­gen. Die In­seln Pa­xos und An­ti­pa­xos sind das letz­te, was sich deut­lich er­ken­nen lässt.

Als Pa­xos in Sicht kam, sag­te eine Stim­me auf un­se­rem Schiff: »Der gros­se Pan ist tot!« und weck­te in un­se­ren Her­zen das Echo der rät­sel­haf­ten Kla­ge, die einst über die­ses Was­ser er­scholl. In den Ta­gen des Ti­be­ri­us, wo das al­tern­de Hel­lenen­tum in sich selbst er­seufz­te wie ein mor­scher Baum, der den ers­ten Axt­hieb spürt, da ge­sch­ah es, dass ein grie­chi­sches Han­dels­schiff mit vie­len Rei­sen­den, das nach Ita­li­en woll­te, plötz­lich durch eine Wind­stil­le in der Nähe die­ser In­seln fest­ge­hal­ten wur­de. Es war Abend wie heu­te, aber die meis­ten wa­ren noch wach und tran­ken, als man plötz­lich von Pa­xos her eine Stim­me ver­nahm, die den Steu­er­mann, einen Ägyp­ter mit Na­men Thamûs, an­rief. Dar­über ver­wun­der­ten sich alle, und Thamûs, dem die Sa­che nicht ge­heu­er war, gab erst auf den drit­ten An­ruf Ant­wort, wor­auf es mit an­ge­streng­ter Stim­me her­über­rief: »Wenn du Pa­lo­dos vor­über­kommst, so mel­de, dass der gros­se Pan ge­stor­ben ist.« – Die an Bord be­fiel ein Schau­der, und alle rat­schlag­ten, ob das Ge­bot aus­zu­füh­ren sei oder nicht. Der Steu­er­mann aber ent­schied, wenn der Wind güns­tig sei, so wol­le er still an dem Ort vor­über­fah­ren, tre­te aber eine Wind­stil­le ein, so wol­le er tun, wie ihm ge­heis­sen sei. Als sie zur Stel­le ka­men, flau­te der Wind von neu­em ab, und alle Se­gel hin­gen schlaff, da rief der Steu­er­mann Thamûs vom Hin­ters­te­ven nach dem Lan­de: »Der gros­se Pan ist ge­stor­ben!« Als­bald er­hob sich ein ge­wal­ti­ges Jam­mern und Stöh­nen, mit Lau­ten des Er­stau­nens un­ter­mischt, nicht wie von ei­nem ein­zel­nen, son­dern wie von ei­ner gan­zen Volks­men­ge. Der Vor­fall, der durch die vie­len Zeu­gen in Rom bald ruch­bar wur­de, ver­brei­te­te eine all­ge­mei­ne Be­stür­zung, und selbst in das ver­schlos­se­ne Ge­müt des sphin­xen­haf­ten Ti­be­ri­us schlich das Grau­en, dass er sei­ne Phi­lo­so­phen zu­sam­men­rief, um mit ih­nen über die Sa­che zu grü­beln; denn was kann es für den Men­schen Un­heim­li­che­res ge­ben, als wenn er sei­ne Göt­ter ster­ben sieht!

Mein Herz aber gab Ant­wort je­ner Stim­me auf un­se­rem Schiff und sag­te:

»Der gros­se Pan ist nicht tot, der gros­se Pan kann nie­mals ster­ben. Habe ich ihn nicht sel­ber so man­chen Som­mer­tag am glü­hen­den Stran­de des Mit­tel­meers im Schil­ficht sit­zen se­hen und zu­ge­hört, wie er auf sei­ner Hir­ten­pfei­fe den Rei­gen des gros­sen Stirb und Wer­de spielt? Der gros­se Pan lebt, nur dass er nicht mehr in bocks­füs­si­gem Un­ver­stand ein­her­tollt mit Nym­phen und Hir­ten. Schön und schreck­haft thront er, wie ihn Si­gno­rel­li ge­malt hat, den Ster­nen­man­tel um die Brust ge­schla­gen, oben Gott und un­ten Tier. Die Ju­gend bringt ihm ihre Sehn­sucht, und das Al­ter bringt ihm sei­ne Lei­den, alle Erin­ne­run­gen wol­len zu ihm, und alle Träu­me su­chen ihn, er aber lä­chelt sein un­nenn­ba­res Lä­cheln und er­wi­dert auf al­les: Ich weiss es. Sei­ne Au­gen bli­cken schmerz­voll, und eine tra­gi­sche Glo­rie strahlt um sein Haupt, weil der Un­ver­gäng­li­che nur Ver­gäng­li­chen das Le­ben gibt.« –

Mond und Ster­ne auf dem Jo­ni­schen Meer. Un­se­re Ge­schwin­dig­keit ist jetzt so gross, dass das Was­ser reis­sen­der als der reis­sends­te Strom an uns vor­über­schiesst. Sei­ne gros­sen Wo­gen sind schwarz­blau, von weis­sem Schaum über­gos­sen. Man könn­te schwö­ren, dass sie es sind, die so wild hin­ra­sen, nicht wir, sie for­dern un­wi­der­steh­lich zum Wett­lauf auf, und man kommt tau­melnd am Ende des Schif­fes an, in­des die eben durch­ge­schlüpf­te Wel­le schon weit ent­fernt ist; wie der Au­gen­blick da­hin­ter­bleibt mit dem, was eben noch un­ser war, wäh­rend wir un­auf­halt­sam vor­wärts ins Dunkle ra­sen.

Mehr eine Ah­nung als ein Ge­sichts­bild taucht zu un­se­rer Lin­ken die In­sel Leu­kas auf mit dem geis­ter­haf­ten Fel­sen, in des­sen Nähe Ho­mer den Ein­gang zum Ha­des kann­te. Um­schwir­ren ihn wohl so­eben die See­len der Frei­er, die Her­mes mit er­ho­be­nem Stab zu den As­pho­de­los­wie­sen der Un­ter­welt führt? Oder wälzt die un­ter ihm bran­den­de Wel­le die Lei­che der Sapp­ho mit sich, die hier von ih­rem Lie­bes­gram die Hei­lung fand? Wir brau­chen es ja heu­te nicht zu wis­sen, dass auch der To­dess­prung der Les­bie­rin vom leu­ka­di­schen Fel­sen in das Reich der Fa­bel ge­hört.

Die Er­schei­nung ist vor­über. Jetzt ist nichts mehr vor­han­den als der hun­der­t­äu­gi­ge Ster­nen­him­mel und die nacht­schwar­ze Woge, die un­ter uns hin­rauscht.

Auch auf un­se­rem Schiff ist schon al­les zur Ruhe. Nur aus den Ma­schi­nen­räu­men dringt Licht, und oben flat­tre ich noch al­lein als nächt­li­cher Sche­men auf dem Ver­deck in Dun­kel­heit und wach­sen­der Käl­te. Vi­el­leicht dass ich heu­te doch in der Ka­jü­te schla­fen kann, denn un­se­re Zahl hat sich ver­min­dert. Ich öff­ne lei­se die Tür. Aber die Luft, die mir da ent­ge­gen­schlägt, treibt mich als­bald wie­der hin­aus und in das Ba­de­ka­bi­nett. Ich be­stei­ge mei­ne Prit­sche auf der Wan­ne und den­ke an den gött­li­chen Dul­der, der vor mir die­se Was­ser be­fah­ren hat und der man­ches­mal noch viel schlech­ter ge­bet­tet war.

Die auf­ge­hen­de Son­ne fin­det uns im Ha­fen von Pa­tras, der von Damp­fern und Seg­lern al­ler Na­tio­nen be­deckt ist. In der küh­len Mor­gen­be­leuch­tung er­scheint das Meer grün mit weis­sen Käm­men. Drü­ben am äto­li­schen Ufer er­hebt sich der schöns­te Berg, den ich je­mals ge­se­hen habe; sei­ne For­men sind so kühn und edel, dass er das Auge nicht los­lässt. Er heisst Warás­so­wa, aber im Al­ter­tum trug er den Na­men Chal­kis, der ihm bes­ser stand. Ne­ben ihm ragt ein zwei­ter, bei­na­he eben­so schö­ner, der Kló­ko­wa.

Bis ich auf Deck stei­ge, sind un­se­re Rei­se­be­kann­ten schon alle ver­schwun­den und mit ih­nen die Mehr­zahl der Pas­sa­gie­re, die sämt­lich auf dem Land­weg nach Athen wol­len. Vor uns liegt jetzt der schöns­te Teil der Fahrt, die Um­schif­fung des Pe­lo­pon­nes, die we­gen der Win­de am be­rüch­tig­ten Kap Ma­ta­pan oder Tä­naron von min­der see­fes­ten Rei­sen­den lie­ber ver­mie­den wird. Dies der Grund, warum wir nur noch we­ni­ge Köp­fe an Bord sind – we­nigs­tens scheint es so, da alle Ka­jü­ten der ers­ten und zwei­ten Klas­se leer ste­hen. Aber was ist das für eine neue Ge­sell­schaft, die mit ei­nem Male die lee­ren Plät­ze auf Deck be­setzt? Der Ori­ent, den wir ganz ver­ges­sen hat­ten, ist aus dem Bau­che des Schif­fes ans Ta­ges­licht ge­drun­gen und macht sich breit, wo eben noch eu­ro­päi­sche Kul­tur ge­herrscht hat. Schlan­ke, kräf­ti­ge Män­ner und schön­äu­gi­ge Frau­en, in bunt­ge­streif­te De­cken gehüllt, lie­gen auf al­len Lehn­stüh­len und am Bo­den um­her, ein An­blick voll Reiz, den man je­doch lie­ber aus der Ent­fer­nung be­wun­dern möch­te. Hät­te ich nicht ge­se­hen, mit wel­chen Strö­men von Meer­was­ser die Schiffs­jun­gen je­den Abend die Plan­ken des Ver­decks über­flu­ten, so müss­te ich mich fra­gen, wie der »Baron Beck« je­mals wie­der eu­ro­päi­sche Ge­sell­schaft be­her­ber­gen soll. Es sind aus­wan­dern­de Al­ba­nier mit ih­ren Fa­mi­li­en, die in Kon­stan­ti­no­pel Ar­beit su­chen. Möge ih­nen das Schick­sal güns­tig sein. Mit wel­cher Ge­nüg­sam­keit sie le­ben, ha­ben wir schon ges­tern durch die gros­se Luke des Ver­decks be­ob­ach­ten kön­nen. Nur muss ich lei­der fest­stel­len, dass das Lämm­chen un­ter­des­sen ver­schwun­den ist.

Mein Rei­se­ge­fähr­te hat sich mit er­höh­tem Ei­fer in Gram­ma­tik und Wör­ter­buch ver­senkt, seit in Kerky­ra die ers­ten grie­chi­schen Lau­te sein Ohr er­reich­ten. Ich su­che mir den al­ba­ne­sen­frei­es­ten Win­kel im Schiff und bin für die­sen gan­zen Tag nur noch Auge.

Al­les ist strah­lend und tief­ernst zu­gleich. Selbst das Meer ist noch schö­ner ge­wor­den, seit­dem es sich das jo­ni­sche nennt; die Wel­len­kro­nen he­ben sich in noch vollen­de­te­rer Form wie in dunklen Stahl ge­trie­ben, eine flüs­si­ge, im­mer wech­seln­de Me­tall­plas­tik. Jo­ni­sche In­seln, Vor­hal­len des Tem­pels Hel­las. Durch­sich­tig und blass­schim­mernd wie Opa­le lie­gen sie da in ih­rer Mor­gen­schön­heit, so fein von Form und so zart von Far­be, wie das ge­prie­se­ne Schön­heits­land Ita­li­en nichts Glei­ches hat.

Für einen kur­z­en Au­gen­blick ist Itha­ka auf­ge­taucht; jetzt glei­ten wir an Ke­phal­le­nia hin und stau­nen lan­ge das stil­voll küh­ne Berg­pro­fil sei­ner süd­öst­li­chen Spit­ze an, das sich von bei­den Sei­ten in gleich­ge­schwun­ge­nen Bo­gen nach dem Mee­re senkt und in der Mit­te in ei­ner brei­ten, tur­mar­ti­gen Er­hö­hung gip­felt. Dann er­scheint Zan­te oder Zaky­n­thos, bei Ho­mer die »wäl­der­rei­che«, von hier aus fast kahl mit schrof­fer Ge­birgs­ket­te und stei­len Vor­hü­geln, und ihr ge­gen­über am eli­schen Ufer das Kap Che­lo­na­tas. Und nun für lan­ge Zeit nichts mehr als Was­ser und Him­mel, bis die mes­se­ni­sche Küs­te ins Meer her­austritt, vom Äga­le­on ge­krönt. Es geht der In­sel Sphak­te­ria und der Bucht von Na­va­rin oder Py­los ent­ge­gen. Welch eine Grup­pie­rung von mäch­ti­gen In­sel­mas­sen mit aus­ge­wa­sche­nen Steil­küs­ten, die Höh­len und Fel­sen­to­re bil­den, von flach­ge­wölb­ten grü­nen In­sel­chen, von brei­ten und schma­len Was­ser­stras­sen, von fan­tas­tisch ge­zack­ten, ko­ral­len­ähn­li­chen Klip­pen im Meer, um die rings­her eine weiss auf­blit­zen­de Bran­dung wogt. In die­sem Ge­wäs­ser wur­de 1827 die Frei­heit Neu-Grie­chen­lands ge­bo­ren; viel­leicht fah­ren wir eben jetzt über Trüm­mer der zer­stör­ten Tür­ken­flot­te hin. Am Fest­land ragt auf stei­ler Höhe ein al­tes Ve­ne­tia­ner­kas­tell mit der­bem Mau­er­werk und Zin­nen. Na­va­rin hiess der Ort noch im vo­ri­gen Jahr­hun­dert, aber heu­te wie­der mit sei­nem al­ten Na­men Py­los. Dort hat man von al­ters her den Wohn­sitz des grei­sen Ne­stor ge­sucht, doch von dem san­di­gen Ge­sta­de, das man nach Ho­mer er­war­ten muss, ist we­nigs­tens von hier aus nichts zu se­hen. Schon halb im Däm­me­rungs­schlei­er tau­chen neue Berg­ge­stal­ten auf, die sich nicht mehr er­ken­nen las­sen. Das Dun­kel sinkt, und das Meer wird öde. Aber oben sieht mit tau­send Au­gen der Him­mel von Hel­las nie­der.

Hast du es denn dei­nem Schick­sal wirk­lich zu­ge­traut, klein­gläu­bi­ges Herz, dass es dir ver­gön­nen wür­de, im Pi­raeus zu lan­den? Sahst du es nicht bis zum Au­gen­blick der Ab­fahrt lau­ern, wie es dir schnell noch den Plan ver­eit­le? Und als du auf ho­her See schwammst, warst du nicht dar­auf ge­fasst, dass es sich noch als Schiff­bruch nei­disch zwi­schen dich und dein Ziel stel­le? Sie­he, klein­gläu­bi­ges Herz, nun bist du schon in den grie­chi­schen Ge­wäs­sern, und nur ei­ne Nacht trennt dich noch vom An­blick Athens. Wenn dich jetzt noch et­was kränkt, so ist es nur der Ge­dan­ke, dass du zwi­schen Kap Ma­lea und der Ky­ther­ein­sel durch­fah­ren wirst, ohne sie zu se­hen, von den myr­toi­schen Wel­len in Schlum­mer ge­wiegt.

Aber wohl tut es doch, jetzt end­lich in der vier­ten Nacht wie­der ein­mal auf ei­nem mensch­li­chen La­ger zu ru­hen und im Al­lein­be­sitz der Ka­jü­te zu sein.

Zwar die Al­ba­nier, die im­mer un­ge­bun­de­ner un­ser Schiff durch­schwärm­ten, und de­ren Neu­gier so gross war, dass sie so­gar, wäh­rend wir speis­ten, die Köp­fe durch die Fens­ter des Ess­sals streck­ten, schu­fen mir ei­ni­ges Be­den­ken, denn es wi­der­streb­te mir, die Ka­jü­ten­tür zu ver­rie­geln. Aber ich schob mei­nen Schiffs­kof­fer vor den of­fe­nen Aus­gang, be­fahl mei­ne Habe Gott und ent­schlum­mer­te fried­lich.

Athen

Im An­ge­sicht der at­ti­schen Ber­ge bin ich er­wacht. Die­ses noch blaue­re Was­ser ist der Saro­ni­sche Golf mit Kap Su­ni­on und den In­seln Ägi­na und Sala­mis; wir damp­fen schon dem Pi­raeus ent­ge­gen. Un­se­re Au­gen su­chen und fin­den die Akro­po­lis. Jetzt wer­de ich nie­mals mehr das Schick­sal nei­disch nen­nen.

Was ist das für ein läng­li­ches, schrof­fes, völ­lig nack­tes In­sel­chen, das sich ganz nahe zu un­se­rer Lin­ken wie eine Schran­ke vor­legt und auf sei­nem vor­ders­ten, nach Athen ge­wand­ten Ende den Leucht­turm trägt? Eine in­ne­re Stim­me nennt mir au­gen­blick­lich den Na­men, aber mein Mund wagt ihn nicht aus­zu­spre­chen, so über­wäl­ti­gend ist die Ge­wiss­heit die­ser Nähe. Nur halb­laut tre­ten mir die Wor­te des Äschy­los auf die Lip­pen:

Ein klei­nes Ei­land liegt vor Sala­mis, Zur Lan­dung schwie­rig, wo auf stei­lem Strand Der rei­gen­fro­he Pan zu wan­deln liebt.

Hier an dem Fel­sen der klei­nen Psyt­ta­leia brach sich die un­ge­heu­re Macht des Per­ser­kö­nigs, und aus den sa­la­mi­ni­schen Ge­wäs­sern, die da­hin­ter wo­gen, stieg ein neu­es und schö­ne­res Hel­las her­auf.

Vor der Ein­fahrt in den Pi­raeus wie­der­holt sich der Über­fall von Kor­fu: die Trä­ger und Boots­leu­te kom­men in Mas­se an Bord, be­vor das Schiff an­legt. Ge­drän­ge, Ge­schrei, aber dies­mal in grie­chi­scher Spra­che, Boo­te, die um uns her wim­meln wie hung­ri­ge Haie. Wie wer­den wir uns jetzt durch­schla­gen? Da tönt schon aus ei­nem Boot mein Name her­auf, und ein Kom­mis­sär schwingt mir ein Brief­lein ent­ge­gen, in­dem er mir auf fran­zö­sisch zu­ruft, zu war­ten, bis er an Bord kom­me und uns hole. Ein gu­tes Zei­chen zum Ein­stand, das uns gleich das Ge­fühl des Fremd­seins nimmt. Aus dem Brief­lein er­fah­re ich, dass hilf­rei­che Hän­de un­se­ren Weg ge­eb­net ha­ben und dass für un­ser Un­ter­kom­men in der über­füll­ten Stadt auf das bes­te ge­sorgt ist. Wir wer­den mit un­se­ren Kof­fern aus­ge­boo­tet, im Eil­schritt durch das Zoll­amt ge­führt, in einen zwei­spän­ni­gen Wa­gen ge­setzt und rol­len auf der Pi­raeuss­tras­se nach Athen hin­ein.

Schar­fer Wind, der uns ent­ge­gen­weht, un­end­li­cher Staub auf schat­ten­lo­ser Stras­se, dürf­ti­ger Baum­wuchs, har­te ma­ge­re Acker­schol­le, de­ren gelb­graue Far­be sich an Häu­sern und Ge­mäu­er wie­der­holt, das ist der ers­te Ein­druck vom at­ti­schen Bo­den. Aber von oben sieht tröst­lich die Akro­po­lis her­un­ter. Der klei­ne Fluss, den wir eben über­schrit­ten ha­ben, kann kein an­de­rer als der Ke­phis­sos sein. Dort glänzt schon eine Grab­s­te­le zwi­schen den Bäu­men durch, und ich er­ken­ne im Vor­über­fah­ren den herr­li­chen Stier vom Di­py­lon. Sonst ist al­les noch so ver­wir­rend. Die frem­de Spra­che, an de­ren le­ben­di­gen Laut das Ohr noch nicht ge­wöhnt ist, wogt um uns her wie ein un­schiff­ba­res Meer. Nicht ein­mal die Auf­schrif­ten an Stras­sen und Lä­den las­sen sich mit ei­nem Bli­cke le­sen, sie wol­len ent­zif­fert sein. So er­rei­chen wir das Ho­tel auf dem Omó­nia­platz, wo für uns die Zim­mer be­stellt sind, und un­se­re ers­te Sor­ge ist jetzt, die Uhren vor­zu­rück­en, die ge­gen die grie­chi­sche Zeit um fünf­und­dreis­sig Mi­nu­ten nach­ge­hen.

Der Mé­gas Aléx­an­dros oder Alex­and­re le Grand ist ein gut­ge­führ­ter Gast­hof zwei­ten Ran­ges, der sich über die Dau­er des Kon­gres­ses mit den Prei­sen des ers­ten schmückt. Die Ver­stän­di­gung macht kei­ne Schwie­rig­keit, denn der Por­tier, ein Grie­che mit selt­sam un­ver­än­der­li­chem Lä­cheln, wie das der Krie­ger vom Ägi­ne­ten­gie­bel, spricht voll­kom­men deutsch, und der Zim­mer­kell­ner, der uns als zwei­ter in Empfang nimmt, kann ei­ni­ge Bro­cken fran­zö­sisch, wo­ge­gen der Ephe­be, der die Stel­le des Stu­ben­mäd­chens ver­tritt, nur grie­chisch ver­steht. Hier ist Rho­dus, hier heisst es tan­zen. So oft ich et­was brau­che, muss ich mir zu­vor bei Freund Er­ne­stos, der sel­ber auf dem glat­ten Bo­den des Neu­grie­chi­schen die ers­ten Geh­ver­su­che macht, die nö­ti­gen Wör­ter ho­len, ehe ich zu klin­geln wage. Dann hört der Jüng­ling mich mit tiefer Hochach­tung an, und wenn ihn die Lach­lust über­wäl­tigt, so ent­schlüpft er wie ein Wie­sel. Wie soll man sich auch gleich zu­recht­fin­den in ei­nem Lan­de, wo nicht ein­mal die Post mehr »Post«, son­dern ta­chy­dro­meíon heisst? Da­für ist die An­re­de Ky­ría, die mich über­all emp­fängt, wie ein schö­nes neu­es Kleid, in dem die Trä­ge­rin sich selbst als eine neue Per­son er­scheint. Noch wun­der­sa­mer mu­tet es mich an, dass mein Rei­se­ge­fähr­te der Ky­ri­os ist, ein Wort, das ich sonst nur in Be­zug auf das höchs­te We­sen kann­te.

Von mei­nem Zim­mer geht der Blick über eine ge­ra­de Stras­sen­flucht hin­weg un­mit­tel­bar auf die Akro­po­lis mit Par­the­non und Erecht­hei­on. Un­ter dem Fens­ter aber senkt sich’s schwarz in eine mit klei­nen Ei­sen­bahn­wa­gen aus­ge­füll­te Tie­fe; das ist der Pi­raeus­bahn­hof, zu dem man auf vie­len Stu­fen von der Athen­astras­se hin­ab­steigt.

So­bald die lang­wie­ri­ge Mit­tags­ta­fel auf­ge­ho­ben ist, wan­dern wir durch das im Fest­schmuck pran­gen­de Neu-Athen dem Pal­las­berg ent­ge­gen. Zu ver­feh­len ist er nicht; in ge­ra­der Li­nie führt die Athen­astras­se auf ihn zu. Bald tut ein Platz mit by­zan­ti­ni­scher Kir­che sich auf, und gleich da­nach fin­den wir uns vor den Säu­len der Stoa des Ha­dri­an. Stün­den sie ir­gend­wo auf ita­lie­ni­schem Bo­den, so wür­den wir ge­wiss nicht vor­über­ei­len; aber jetzt zieht es uns un­auf­halt­sam wei­ter. Der Weg hebt sich schon, da wird un­se­re Eile durch einen son­der­ba­ren Lärm un­ter­bro­chen. Aus nied­ri­gen, dop­pelt ver­git­ter­ten Fens­tern wer­den lan­ge Holz­löf­fel vor­ge­streckt, und Stim­men tö­nen aus der Tie­fe: gra­zia, Ma­da­ma, gra­zia!