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Wann wachsen Dir Flügel? -- Friedel Weise-Ney hat Künstlern und Autoren diese Frage gestellt und aus den unterschiedlichen Antworten diese kleine Anthologie zusammengestellt. Sie begegnen darin Texten und Bildern aus der Natur, über die Musik, den Tanz, die Liebe, die Freude über ein besonderes Ereignis, das Mitgefühl und noch viel mehr.
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Seitenzahl: 43
Die Augenblicks-Rieseluhr des Sekundenglücks
Zwei blaue Tauben
Die Befreiung folgt
Anfang und Ende
Flügel
Orgel
Beflügelt zur Schauspielschule
Konzert
Mountain high
ü 55
Frühlingsmond
Wann wachsen dir Flügel?
Haiku
Flügelschlag
Klänge
Schutz
Hic enda thu
Fragloser Moment
Poesie
Gewinner
Natur pur
Jenseits
„Moment“ mal ...
Kranichzug über dem Eselsweg
Mit Schutzmaske ins Paradies
Gemeint ist nicht der Wunsch nach äußeren Flügeln, wie Engel sie tragen. Übrigens kommen in vielen Religionen Engelgestalten vor.
Diese Frage habe ich ca. 40 Menschen aus meinem Bekanntenkreis gestellt.
Die befragten Männer zuckten mit den Schultern, so als hätten sie die Frage nicht verstanden.
Offensichtlich fiel ihnen eine mündliche Antwort schwer.
Die meisten befragten Frauen, zwischen 18 und 80 Jahren alt, hatten eine spontane Antwort.
Nach längerem Nachdenken fanden alle eine Geschichte, die sie mit strahlenden Augen erzählten.
Zirka 60 % der befragten Frauen sagten:
„Das Gefühl zu schweben oder zu fliegen hatte ich in der Natur. Dort fühlte ich mich leicht wie eine Feder.“ Einige Frauen standen auf einem Berg, andere schauten auf das Meer oder sahen in die Wolken; zwei Frauen fuhren über einen stillen See, als sie dieses Gefühl verspürten.
Andere hatten das Gefühl beim Wandern oder Radfahren.
Diese Leichtigkeit hatten wieder andere Frauen beim Hören von Musik, beim Tanzen, beim Sport, der Meditation, nach einer bestandenen Prüfung.
Nur eine jüngere Frau meinte, dass sie bei „gutem“ Sex dieses Gefühl habe.
Ich habe einigen Künstlern und Autoren diese Frage gestellt und aus den unterschiedlichen Antworten diese kleine Anthologie zusammengestellt.
Sie begegnen darin Texten und Bildern aus der Natur, über die Musik, den Tanz, die Liebe, die Freude über ein besonderes Ereignis, das Mitgefühl und noch viel mehr.
Lesen und schauen Sie bitte, ob Ihre Antwort auf diese Frage dabei ist.
Warum wollen wir eigentlich fliegen?
Wissenschaftler haben in der DNA der Fruchtfliege Ähnlichkeiten mit dem Erbgut des Menschen entdeckt. Der „Spiegel“ schrieb nach dieser Entdeckung:
„Wir sind eine große Fliege.“
Der Mensch wollte immer schon fliegen, mal mit selbstgebauten Flügeln, mit dem Ballon, und im Winter wie die Zugvögel mit dem Flugzeug an die warmen Traumstrände.
In vielen Religionen finden wir Abbildungen von Menschen mit Flügeln, von Engeln.
Vielleicht schlummert in unseren Genen tatsächlich das Erbgut eines Vorfahren mit Schwingen.
Friedel Weise-Ney
Zwei blaue Tauben saßen
Erst auf den Firsten und den Gauben
Sie saßen weit weg mit Kummerspeck
Getrennt im Gras dort auf den Hügeln
Ohne auch nur im Traum zu turteln und sich mit Schnäbeln zu beflügeln
Die eine Taube saß depressiv im dichten Wald
Die andere im Park, ihr war ganz kalt, so hoch auf der Eibe
Sie bezwitscherten getrennt des Nachts den Mond, die weiße Scheibe
Ohne – wie gesagt – vorher voneinander irgendwas zu wissen
Allein war’s Leben nur wie Taubendreck, einfach beschissen
Sie bezwitscherten auch gern die Sonne
Mit bunten Melodien, sichtlich mit Wonne
Doch fanden sie sich eines Tages auf der Eiche
Beide hatten Herzchenklopfen, und in den Füßchen wurden sie ganz weiche
Sie pflückten für sich die Küsschen von dem Zweige
Ihr Flügelschlagen hielt an, ging nie zur Neige
Beim Flattern war’n sie wirklich eigen
Bis auf den Nachbarzweigen
Plötzlich eine dritte Taube saß
Dann hatten sie spontan selbst auf der Trauerweide Spaß
Tschechoslowakei, Juni 1989
„Ich gehe in die Kirche! Wer kommt mit?“
In weinroter Cordhose, die viel zu groß für ihn ist, in schmutzigem lila Hemd und mit zerzausten Haaren stürzt Milan in das Zimmer der Jungs. Sein Bruder Pavel versucht gerade die Klinge seines fischförmigen Taschenmessers mit einem Stück Schmirgelpapier zu schärfen. Er hebt den Kopf und schaut Milan mit großen Augen an.
„Wir dürfen doch nicht in die Kirche“, ruft Janek aus einer anderen Zimmerecke. „Tante Jandová hat es verboten.“ „Aber Tante Zuzana hat es mir erlaubt“, sagt Milan. „Also, wer kommt mit?“
„Das gibt wieder Ärger“, seufzt Janek, der gerade damit beschäftigt ist, Fotos von Body-Buildern an die innere Sperrholzwand seines Schrankes zu kleben.
Pavel und noch drei andere Jungen lassen ihre Sachen sofort fallen und folgen Milan zur Tür. Wenn „Tante“ Zuzana in der sechsten Gruppe Dienst hat, kann man sich so manches erlauben. Sie arbeitet erst seit einigen Monaten in diesem Kinderheim und ist immer über irgendwas erstaunt. Auch darüber, dass die Kinder noch nie im Leben eine Kirche von innen gesehen haben.
„Möchtest du denn wissen, wie es in einer Kirche aussieht?“ hat sie eines Tages Milan gefragt.
„Ja! Aber Tante Jandová hat uns verboten hinzugehen.“
„Sie muss es ja nicht erfahren“. Tante Zuzana hat ihm zugezwinkert.
Die Kirche steht nur zweihundert Meter vom Kinderheim. Milan schleicht sich als Erster an der Außenmauer an und schaut sich um, ob die Luft rein ist. Pavel, Janek und David folgen ihm dann mit schnellen Schritten, als ob sie zu einem Fußballspiel eilen würden. Dann schlüpfen sie schnell durch die schwere Kirchentür, die meistens geschlossen ist.