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Mit Fakten gegen Fake-News und Untergangsszenarien Oft kommt beim Blick in die Nachrichten das Gefühl auf, dass alles schlimmer wird. Gibt es immer mehr Armut auf der Welt? Geht es mit unserer Lebensqualität bergab? Ist die Demokratie auf dem Rückzug? Herrscht heute gar bei uns mehr Gewalt als früher? Mitnichten!, sagt Martin Schröder, Professor für Soziologie und viel befragter Experte zu Themen wie Lebensqualität, Glück und Zufriedenheit. Wussten Sie, dass die Wahrscheinlichkeit, in der Badewanne zu ertrinken, doppelt so hoch ist wie die Gefahr, Opfer eines Terroranschlags zu werden? Das ist nur eines von vielen Beispielen, das zeigt, dass es der Welt besser geht, als viele glauben. In seinem Buch Warum es uns noch nie so gut ging und wir trotzdem ständig von Krisen reden unterzieht Martin Schröder gefühlte Wahrheiten dem Faktencheck: - Wie haben sich Kaufkraft, Kriminalität und Umweltverschmutzung bei uns wirklich entwickelt? - Gibt es weltweit mehr Kriege? - Was steckt hinter Untergangsszenarien und Panikmache? - Warum sehen wir Entwicklungen negativer als sie wirklich sind? - Welche Auswirkungen hat das auf unsere Gesellschaft und unser Wohlbefinden? War früher wirklich alles besser? Tatsächlich ging es uns noch nie so gut wie heute. Martin Schröder kann das beweisen: Mit zahlreichen Statistiken, Grafiken und Beispielen belegt er, dass es keine Gründe für Panikmache und Hysterie gibt. Flüchtlingskrise, Globalisierung, Zinsentwicklung – Martin Schröder gibt uns Fakten an die Hand, die uns helfen, populistische Scheinargumente und Fake-News zu erkennen und uns selbst sicherer zu fühlen. Denn er ist überzeugt: »Pessimisten beherrschen die Schlagzeilen. Optimisten behalten Recht.« Ein ebenso lehrreicher wie unterhaltsamer Aufruf, wieder optimistisch in die Zukunft zu blicken!
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Seitenzahl: 307
Martin Schröder
und wir trotzdem ständig von Krisen reden
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© 2018 Benevento Verlag bei Benevento Publishing Salzburg–München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH,Wals bei Salzburg
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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:Red Bull Media House GmbHOberst-Lepperdinger-Straße 11–155071 Wals bei Salzburg, Österreich
Redaktion: Jonas Wegerer, FreiburgSatz: MEDIA DESIGN: RIZNER.ATGesetzt aus der Minion, Trade GothicUmschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, MünchenUmschlagabbildung: Jörg Greuel
eISBN 978-3-7109-5070-4ISBN 978-3-7109-0058-7
Warum wir Pessimisten zuhören, obwohl Optimisten recht behalten
TEIL 1Geht unser Land den Bach runter? – Lebensqualität und Zufriedenheit in Deutschland
Steigt unser Wohlstand?
Sind wir zufrieden mit unserem Einkommen?
Was kann man gegen Ungleichheit tun?
Machen wir unsere Umwelt kaputt?
Bedroht uns der Terrorismus?
Müssen wir Angst vor Kriminalität haben?
Können wir all die Einwanderer verkraften?
Wird die Gesellschaft kälter?
Sind wir zufrieden?
TEIL 2Versinkt der Planet im Chaos? – Lebensqualität und Zufriedenheit im Rest der Welt
Geht unser Wohlstand auf Kosten anderer?
Geht unser Wohlstand auf Kosten der Natur?
Gibt es weltweit immer mehr Gewalt?
Ist die Demokratie auf dem Rückzug?
Wird die Welt dümmer?
Wird die Welt unglücklicher?
Warum wir die Welt nur besser machen können, wenn wir sie sehen, wie sie wirklich ist
Anmerkungen
Wenn Sie zu einem beliebigen Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte geboren werden könnten, welcher wäre Ihnen am liebsten?
Fast alle empirischen Daten zeigen, dass die beste Antwort zugleich die überraschendste ist: Heute! Noch nie hat ein so großer Anteil der Menschheit ein so langes, sicheres und zufriedenes Leben geführt wie heute. Noch nie lief so wenig schief auf der Welt. Krieg in Syrien, Hunger in Afrika, zunehmende Ungleichheit in eigentlich reichen Ländern: All das lässt solch eine Aussage bestenfalls ignorant oder zynisch, schlimmstenfalls unanständig wirken. Doch das ändert nichts an den Fakten: Ich werde in diesem Buch mit Dutzenden objektiven Indikatoren dokumentieren, dass noch nie ein so großer Anteil der Menschheit in Wohlstand und Frieden gelebt hat. Ich werde mit repräsentativen Daten zeigen, dass noch nie so viele Menschen so zufrieden mit ihrem Leben waren, dass noch nie ein höherer Anteil an Ländern demokratisch war, und sogar, dass die Menschen noch nie so intelligent waren. Deutschland ist bei alledem keine Ausnahme. Schaut man sich an, wie lange, gesund, sicher, zufrieden und wohlhabend Deutsche durchschnittlich leben, findet man kaum einen Indikator, der nicht eine Verbesserung anzeigt. Das heißt nicht, dass alles gut ist, aber es heißt, dass das meiste, was Menschen im Leben wichtig ist, heute viel besser ist, als es in der Vergangenheit war. Doch ich werde hier ebenfalls zeigen, wie diese Tatsache von kaum einem wahrgenommen und wie sie von einigen sogar verschwiegen wird. Wir sprechen ständig von Krisen, obwohl es uns noch nie sogut ging. Wir schätzen die Lage der Welt negativer ein, als es objektiv zu rechtfertigen ist.
Über die Hälfte der Deutschen meinen, dass die Welt schlechter wird. Aber 99,5 Prozent aller Deutschen unterschätzen gleichzeitig den realen Rückgang weltweiter Armut.1Damit wissen die Deutschen zwar nicht weniger über die Welt als Briten, Franzosen oder Amerikaner. Doch im Vergleich mit Schimpansen müssen sie sich geschlagen geben. Immer wieder hat der Forscher Hans Rosling Menschen gebeten, zwischen drei Antwortmöglichkeiten zum Zustand der Welt zu wählen. Die Schimpansen hätten, so will es die Wahrscheinlichkeit, jedes dritte Mal die richtige Antwort gewählt. Doch nicht einem Drittel, sondern lediglich 9 Prozent der Deutschen ist klar, dass 60 Prozent aller Mädchen in Ländern mit niedrigem Einkommen mittlerweile die Grundschule absolvieren; nur 6 Prozent ahnen, das heute weniger als halb so viele Menschen bei Naturkatastrophen sterben wie vor 100 Jahren und 80 Prozent aller Einjährigen geimpft werden. Die Deutschen sind mit ihren pessimistischen Einschätzungen keine Ausnahme. In allen getesteten Ländern stimmt eine Mehrheit der Aussage zu, dass die Welt schlechter wird. 80 Prozent der Befragten können die Fortschritte der Welt jedoch schlechter einschätzen als Schimpansen, weil sie die realen weltweiten Verbesserungen nicht kennen. Kein Wunder, dass Demoskopen von einem Zusammenbruch des Zukunftsoptimismus sprechen.2
Dabei geht es gar nicht um bloßen Optimismus; ich selbst bin kein besonders optimistischer Mensch. Und es geht auch nicht darum, die Welt positiv zu sehen, obwohl sie schlecht ist. Es geht vielmehr darum, sich klarzumachen, dass die Welt anhand messbarer Fakten weitaus besser ist, als wir gemeinhin denken. Es geht nicht um Optimismus, sondern um Realismus. Denn derzeit sind wir pessimistischer, als die Daten es hergeben, und damit messbar dümmer als Schimpansen. Das hat nichts mit Bildung zu tun. Bei den Tests über den Zustand der Welt schneiden viele »Universitätsprofessoren,bedeutende Wissenschaftler, Investmentbanker, Manager von Weltkonzernen, Journalisten, Aktivisten und sogar führende politische Entscheidungsträger […] sogar schlechter ab als der Durchschnitt der Bevölkerung, einige der schlechtesten Ergebnisse überhaupt kamen von einer Gruppe von Nobelpreisträgern.«3Doch wie kann es sein, dass Menschen Nobelpreise gewinnen, aber die Welt ungenauer beurteilen als ihre auf Bäumen lebenden Artverwandten?
Drei psychologische Fehler lassen uns die Welt negativer sehen, als sie ist, weil sie unsere Wahrnehmung verzerren. Der erste Wahrnehmungsfehler ist der sogenannte »rosa Blick« auf die Vergangenheit – und ja, er heißt in der Wissenschaft tatsächlich so. Psychologische Experimente zeigen, dass wir die Vergangenheit durch eine rosarote Brille betrachten, selbst wenn sie uns auf die Nerven ging, als sie noch Gegenwart war.4Denken Sie einmal an Ihre Fotoalben. Diese enthalten fast nie traurige Szenen. Ähnlich funktioniert unser Gehirn. Wir bewahren traurige Erinnerungen kaum auf.5Das ist schön für die Vergangenheit; doch mit diesem rosa Blick kann die Gegenwart nicht mithalten. Wir schwelgen in Nostalgie, obwohl es uns heute objektiv besser geht.
Der zweite Wahrnehmungsfehler ist der sogenannte Negativitätsbias. Dutzende psychologische Studien zeigen, dass uns negative Signale stärker beeinflussen als positive. Wenn Sie ein Problem haben, denken Sie die ganze Zeit daran. Ist es gelöst, freuen Sie sich allerdings nicht in dem Maße, in dem es Sie vorher belastet hat, sondern vergessen es einfach. Der Anblick einer einzigen Kakerlake kann Ihnen Ihr Lieblingsessen vermiesen. Aber egal wie viele Lieblingsgerichte auch aufgetürmt werden, die eine Kakerlake wird dadurch nicht weniger eklig. Selbst die faktisch selbe Information können Sie sich besser merken, wenn sie negativ verpackt ist: 80 Prozent aller Ehen überdauern die ersten zehn Jahre (positiv), 20 Prozent aller Ehen werden in den ersten zehn Jahren geschieden (negativ). Typischerweise können Menschen sich die zweite, negative Formulierung besser merken, weil schlechte Nachrichten ihre Aufmerksamkeitsfilter leichter passieren.6Das war früher durchaus sinnvoll. Wer Gefahren übersah, konnte im nächsten Moment tot sein. Wer Positives übersah, hatte höchstens schlechte Laune. Noch heute kann ein Negativitätsbias sinnvoll sein. Denn ohne ihn würde man sich nicht mehr auf wichtige Probleme konzentrieren, sondern lediglich in Freude über das bisher Erreichte schwelgen.
Doch was früher einfach sinnvoll war, ist heute zum Spielfeld einer regelrechten Katastrophenlobby geworden, die mit unserer Angst Geld verdient. Zwar sind wir aufgrund unseres Negativitätsbias von schlechten Nachrichten angezogen wie Motten vom Licht. Doch moderne Medien stellen uns gerne Flutlichtstrahler auf. Denn sie bedienen den – neben der rosaroten Vergangenheitsbrille und dem Negativitätsbias – dritten großen Wahrnehmungsfehler, den Verfügbarkeitsbias. Dieser Denkfehler sorgt dafür, dass wir das Eintreten eines Ereignisses für umso wahrscheinlicher halten, je leichter wir uns an ein ähnliches Ereignis erinnern können. Auch das ist prinzipiell sinnvoll: Was wir öfter wahrnehmen, ist während 99 Prozent der Menschheitsgeschichte auch öfter passiert.7Doch moderne Medien tricksen diesen Verfügbarkeitsbias aus. Sie können das an sich selbst beobachten: Haben Sie einen Horrorfilm gesehen, erscheint der Flur plötzlich bedrohlich, der gestern noch langweilig wirkte. Haben SieDer weiße Haigesehen, wirkt der Strand gefährlich, an dem Sie gestern noch seelenruhig badeten. Experimente zeigen, dass Sie aufgrund dieses Verfügbarkeitsbias heute einen Krieg für wahrscheinlicher halten, wenn Sie gestern einen Facebook-Post über einen Krieg gesehen haben. Dabei ist es egal, ob Ihnen diese Information glaubhaft erscheint.8Denn ob wir wollen oder nicht, unser Gehirn ersetztkomplizierte Fragen wie »Werden Kriege häufiger?« durch einfache Fragen wie »Habe ich in letzter Zeit etwas über Kriege gehört?«. Und selbst wenn Kriege seltener werden, können Medien mehr darüber berichten, schließlich sehen Journalisten es als ihre Aufgabe an, über das zu berichten, was Menschen nicht sowieso schon erwarten. Und je seltener Kriege, Hungersnöte oder Flugzeugabstürze sind, umso berichtenswerter wird deswegen jeder einzelne. Tatsächlich kann man von keinem Journalisten, dass er berichtet, wie kein Krieg ausgebrochen, keine Hungersnot entstanden, kein Flugzeug abgestürzt und kein Atomkraftwerk explodiert ist. Zudem berichten Journalisten am Dienstag oft nur darüber, was am Montag passiert ist, statt die letzten 10, 20, 50 oder 100 Jahre zusammenzufassen. Und sie unterliegen »denselben Megatrugschlüssen wie jeder andere auch«9über den Zustand der Welt, sodass sie uns ebenfalls nicht darüber aufklären können, ob die Welt besser oder schlechter wird.
Doch wenn uns niemand informiert, inwiefern die Welt langfristig besser oder schlechter wird, können wir auch nicht beurteilen, ob wir uns heute in Alarmstimmung befinden sollten. Wir sind äußerst bestürzt, wenn 14 Menschen bei einem Terroranschlag in Berlin umkommen. Denn zum Glück sind wir an Terroranschläge nicht mehr gewöhnt. Und so setzen wir diese Nachricht nicht in Relation zu den 30 000 Toten, die an jedem durchschnittlichen Tag des Zweiten Weltkriegs starben und damit damals einen niedrigeren Nachrichtenwert hatten als die Nachricht vom Berliner Anschlag heute. Um zu erklären, warum in einem verheerenden Krieg 30 000 Kriegstote zur medialen Normalität werden, während uns in einer relativ friedlichen Welt 14 Terrortote schrecken, lohnt ein Blick auf das Weber-Fechner-Gesetz. Es besagt, dass wir Steigerungen nurrelativ zum vorherigen Niveau wahrnehmen. Einem Gewicht von 50 Gramm merken wir an, wenn es nur um ein Gramm schwerer wird. Doch ein Gewicht von 5 Kilogramm muss mindestens 100 Gramm schwerer werden, damit wir einen Unterschied bemerken. Genauso nehmenwir in einer furchtbaren Welt nur eine gigantische Zunahme an Schrecken wahr, während wir heute, in einer objektiv vergleichsweise sicheren Zeit, hypersensibel gegenüber Problemen werden.10
Da wir schneller sensibler werden, als die Welt besser werden kann, denken wir, dass die Welt schlechter wird, einfach weil wir nicht merken, dass unsere Ansprüche steigen. In diesem Buch werden Sie sehen, dass Deutsche heute mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und gleichzeitig mehr Angst haben, sie zu vernachlässigen. Sie werden sehen, wie der weltweite Hunger abnimmt, während wir zugleich schockiert über Armut sind. Und Sie werden sehen, wie weniger Menschen an Gewalt sterben, während wir zunehmend Angst vor Krieg, Terrorismus und Kriminalität haben. Für sich genommen sind höhere Ansprüche begrüßenswert, schließlich ist jedes Kind ohne elterliche Zuwendung, jeder Mensch in Armut und jeder gewaltsame Tod einer zu viel. Doch wir dürfen unsere gestiegene Sensibilität für Unglück nicht mit einem Anstieg des Unglücks selbst verwechseln. Und da wir zunehmend erwarten, dass Flugzeuge sicher landen, Städte nicht in Flammen aufgehen und Menschen nicht umgebracht werden, Medien aber nur mitteilen, wenn das Gegenteil passiert, verschärft sich der Widerspruch zwischen der medial erfahrenen Wirklichkeit und den gestiegenen Ansprüchen an die Welt. Es geht nicht darum, reales Unglück zu beschönigen. Ich bin empirischer Sozialforscher und werde die Daten zeigen, wie sie sind, egal ob positiv oder negativ. Und natürlich ist es furchtbar, dass überhaupt noch Menschen im Krieg sterben oder Hunger leiden. Aber sollten wir nicht genau deswegen erfahren, ob dies heute seltener passiert? Genau das zeigt dieses Buch, sodass Sie sich selbst einen Eindruck vom Zustand der Welt machen können.
Einen realistischen Eindruck von der Welt verhindern nicht nur unsere eigenen Wahrnehmungsfehler, sondern auch eine regelrechte Katastrophenlobby. Das ist kein echter Lobbyverein. Vielmehr kann man Intellektuelle so nennen, die hauptberuflich Theorien darüberentwerfen, wie schlecht unser Leben ist. Die Einstellung vieler Soziologen, Politikwissenschaftler und Philosophen lässt sich mit einem Spruch zusammenfassen, der dem Ökonomen John Kenneth Galbraith zugeschrieben wird: »Wir sind uns alle einig, dass Pessimismus ein Anzeichen überlegenen Intellekts ist.« Viele Intellektuelle gefallen sich in der Pose des überlegenen Warners, der sich als Gegengewicht zur dekadenten Gesellschaft fühlen kann, indem er normalen Menschen klarmacht, wie sie bloß »Werkzeug mächtiger Kräfte wie Industrieunternehmen und Militärdiktatoren« seien.11Ein in dieser Hinsicht fast schon komisches Beispiel ist der Philosoph John Gray, der den Glauben an Fortschritt für einen gefährlichen, quasi-religiösen Kult hält, der die Menschheit daran hindert, ihre katastrophale Lage wahrzunehmen.12Ich werde seine Vorhersagen und die anderer Intellektueller mit empirischen Daten konfrontieren, wobei sich immer wieder zeigen wird, wie unglaublich wenig sie mit der Realität zu tun haben.
John Gray ist keine Ausnahme. Schlagen Sie das Feuilleton einer beliebigen Zeitung auf. Sie werden von der Meinung überwältigt, dass unsere Welt den Bach runtergeht (und wir abgebrühten Intellektuellen haben es schon immer gewusst). Sie werden diese Meinung allerdings häufiger von Theaterintendanten, Schriftstellern und Philosophen hören als von Epidemiologen, Demografen oder anderen empirisch arbeitenden Forschern. Denn die tatsächlichen Daten geben eher Anlass zu der genau gegenteiligen Meinung. Auch aus diesem Grund vermeiden die großen Kulturkritiker eine Auseinandersetzung mit repräsentativen empirischen Daten, die messen, wie sich die Lebensqualität über die Zeit tatsächlich verändert hat. Bisher waren solche Daten auch sehr rar. Die meisten von mir genutzten Datenbanken gibt es erst seit 10 oder 20 Jahren.
Weil man ihnen bisher nicht mit Daten widersprechen konnte, bestimmten Pessimisten die Schlagzeilen, obwohl Optimisten langfristig immer wieder recht behielten. Das hat der Menschheit die letzten 200 Jahre verhagelt. Denn immer wieder reagierte sie mit radikalen Mitteln auf die Vorhersagen der schrillsten Untergangspropheten. Doch diese radikalen Reaktionen wuchsen sich selbst zu einigen der größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts aus. Lassen Sie mich dies mit ein paar Beispielen aus der desaströsen Wirkungsgeschichte des Pessimismus illustrieren.
Seit Anfang des 19. Jahrhunderts hat sich die weltweite Lebenserwartung ungefähr verdoppelt, der durchschnittliche Lebensstandard hat sich sogar verzwanzigfacht. Legt man diese Maßstäbe zugrunde, verbesserte sich die Lebensqualität seit Anfang des 19. Jahrhunderts stärker als in der gesamten vorherigen Menschheitsgeschichte. Man könnte meinen, Menschen waren guter Stimmung, als das anfing. Doch weit gefehlt. Vielmehr schrieb der Philosoph Arthur Schopenhauer, dass Optimismus ihm »nicht bloß als eine absurde, sondern auch als eine wahrhaft ruchlose Denkungsart erscheint, als ein bitterer Hohn über die namenlosen Leiden der Menschheit.« Wäre die Welt »noch ein wenig schlechter, so könnte sie schon nicht mehr bestehen«.13Doch als Schopenhauer dachte, der Regler sei schon voll aufgedreht, hatte der Cheflobbyist der Katastrophenlobby sich noch gar nicht zu Wort gemeldet. Karl Marx predigte die unvermeidliche Verarmung der Arbeiterklasse. Diese führe zu einem »mehr oder minder versteckten Bürgerkrieg innerhalb der bestehenden Gesellschaft bis zu dem Punkt, wo er in eine offene Revolution ausbricht und durch den gewaltsamen Sturz der Bourgeoisie das Proletariat seine Herrschaft begründet«. Marx war sich sicher, dass die Ziele der Arbeiterklasse »nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung«.14
Die gewaltsamen Umstürze, die »die unvermeidliche Verarmung« beenden sollten, kosteten Millionen von Menschen in kommunistischen Ländern das Leben.15Viele Länder, die auf eine gewaltsame Revolution verzichteten, erlebten, wie wir sehen werden, langfristig eine ganz andere Revolution: den revolutionären Anstieg des materiellen Lebensstandards. Hätten die Pessimisten des 19. Jahrhunderts nachgemessen, wie sich der Lebensstandard normaler Menschen verbessert, hätten sie gemerkt, dass sie den Kapitalismus zwar zähmen, aber nicht abschaffen müssen. Millionen Menschen hätten dann an der Verbesserung des Lebensstandards der kapitalistischen Länder teilhaben können. Es ist verrückt: Nicht das, wovor Marx die Menschheit warnte, wurde schlussendlich zum Problem. Zum Problem wurde vielmehr, dass Länder die radikalen Schlussfolgerungen dieses Untergangspropheten tatsächlich umsetzten. Und das ist immer wieder passiert: Weil die Menschheit auf Pessimisten hörte, geschahen einige der schlimmsten Katastrophen.
Denn bevor jemand auf die Idee kam, die nächste Warnung vor dem totalen Zusammenbruch mit etwas mehr Besonnenheit zu betrachten, hatten sich die Untergangspropheten eine neue Katastrophe ausgedacht. Ende des 19. Jahrhunderts hatten Schriften wieEntartungdes Arztes Max Nordau »in weiten Kreisen die Meinung verbreitet, das industrialisierte Europa sei von einer Welle der Degeneration erfaßt worden, die eine Reihe von krankhaften Störungen mit sich gebracht habe – Armut, Alkoholismus, moralische Perversion, politische Gewalt und so weiter«. Dadurch hatte um die Jahrhundertwende »ein großer Teil der Intellektuellen das Vertrauen in die Selbsterneuerungskräfte der westlichen Zivilisation verloren«. Das soziale Gefüge der modernen Gesellschaft schien die Menschen nicht mehr zu schützen und für Sicherheit zu sorgen. Vielmehr wurde durch die »komplizierten Mechanismen der Zivilisation […] eine Wende zum Schlechteren« erwartet, gar der »Abstieg in ein Chaos, das schrecklicher sein werde als jede vorzivilisatorische Wildheit«.16
Aus solchen Untergangsfantasien entstand Anfang des 20. Jahrhunderts die nächste Idee, diesmal gleich:Der Untergang des Abendlandes. So hieß der Bestseller von Oswald Spengler, der genau dies vorhersagte. Der Untergang war – wie schon bei Marx – unvermeidlich und wissenschaftlich bewiesen. Spengler versprach, »das ganze Phänomen der historischen Menschheit wie mit dem Auge eines Gottes zu überblicken«. Das hört sich erst mal prima an, schließlich ist die Perspektive der Götter in der menschlichen Literatur naturgemäß rar gesät. Doch Spengler war ein ziemlich ängstlicher Gott; über sein eigenes Leben schrieb er, es gebe »ein Gefühl, das alles, alles beherrscht hat: Angst. Angst vor der Zukunft, Angst vor Verwandten, Angst vor Menschen, vor Schlaf, vor Behörden, v. Gewitter, v. Krieg, Angst, Angst.« Wer meint, mit dem Auge eines Gottes die Menschheitsgeschichte zu überblicken, und gleichzeitig Angst vor allem hat, der sollte vielleicht nicht die Zukunft der Menschheit vorhersagen, sondern sich lieber um einen Termin beim Psychologen bemühen. Doch erneut bekam der größte Pessimist die größte Aufmerksamkeit. Und in Bezug auf Pessimismus ließ Spengler nichts zu wünschen übrig. Er orakelte, Europäer und Nordamerikaner würden nach Zusammenbrüchen und Kriegen kulturlose »Fellachen« – einfache Ackerbauern. Hinzu kam sein Antisemitismus: »Vernichtend wirkt das Judentum, wo es auch eingreift«, weil es Deutschland als »Wirtsvolk betrachtet«.17Spenglers apokalyptische Thesen beruhten auf keinerlei messbaren Daten, sondern ausschließlich auf seiner gottgleichen Beobachtung, dass Weltreiche irgendwann untergehen.
Wie er zu seinen Voraussagen kam, bleibt unklar. Klar ist jedoch, dass durch Spengler »die Rede vom Ende der westlichen Zivilisation so natürlich geworden [war] wie das Atmen. Daß der moderne Westen zum Untergang verurteilt war, bezweifelte niemand. Umstritten war nur die Frage, warum.«18Mitte der 1930er Jahre trieb es Martin Heidegger auf die Spitze, als dieser sogar eine Krise des Seins an sich diagnostizierte: »Der geistige Verfall der Erde ist so weit fortgeschritten, daß die Völker die letzte geistige Kraft zu verlieren drohen, die es ermöglicht, den […] Verfall auch nur zu sehen und als solchen abzuschätzen. [D]ie Verdüsterung der Welt, die Flucht der Götter, die Zerstörung der Erde, die Vermassung des Menschen, der hassende Verdacht gegen alles Schöpferische und Freie hat auf der ganzen Erde bereits ein Ausmaß erreicht, daß so kindische Kategorien wie Pessimismus und Optimismus längst lächerlich geworden sind.«19Zu diesen absurden Diagnosen kam auch noch die falsche Therapie. Denn viele Menschen erklärten sich den vermeintlichen Untergang durch die vermeintliche Verunreinigung des Blutes nordischer Rassen und griffen wieder einmal zu radikalen Mitteln. Dass in den Vereinigten Staaten und vielen skandinavischen Ländern die Sterilisation von Menschen mit Behinderung salonfähig wurde, war noch harmlos im Vergleich mit der industriellen Vernichtung der Juden und anderer Menschengruppen in Deutschland; doch die Angst vor dem Untergang des Abendlandes rechtfertigte alles. Der Historiker Arthur Herman beschreibt, wie »die Furcht vor Degeneration und die Forderung nach staatlichen Lösungen fortschrittliche Praktiker in die Arme derer trieb, die bereit waren, alle Mittel des Staates aufzubieten, um die Zivilisation zu ›retten‹ – koste es, was es wolle«.20
Hätte man stattdessen einfach in Ruhe nachgemessen, hätte man gemerkt, dass nichts von dem stimmte, was Spengler schrieb. Selbst wer die kruden Thesen einer Unterwanderung höherwertiger Rassen glauben wollte, hätte bemerken können, dass Daten sie nicht belegen. Doch bevor irgendwer irgendetwas messen konnte, war das Unglück schon geschehen. Der Untergang eines ganz erheblichen Teils des Abendlandes hat nicht stattgefunden, weil die schrillsten Warner recht hatten, sondern ganz im Gegenteil, weil genug Menschen auf sie gehört und radikale Lösungen für Probleme, die es gar nicht gab, abgeleitet hatten.
Das hinderte die jedoch weder Untergangspropheten daran, das nächste Katastrophenszenario aus dem Ärmel zu schütteln, noch alleanderen, wieder zuzuhören. Als Nächstes war nicht mehr die zunehmende Verelendung, sondern der zunehmende Wohlstand der Menschen das Problem. Der wachsende Konsum der Massengesellschaft, so wurde jetzt erklärt, zerstöre die natürlichen Lebensgrundlagen. Mit diesem Argument wollte die nächste Generation der Katastrophenlobby der Menschheit weismachen, dass sie am Ende sei.
Rachel Carson versetzte 1962 mit ihrem BuchDer stumme Frühlingeine ganze Generation in Angst und Schrecken. Das Buch begann mit der Schilderung einer »Stadt im Herzen Amerikas, in der alle Geschöpfe in Harmonie mit ihrer Umwelt zu leben schienen. […] Dann tauchte überall in der Gegend eine seltsame schleichende Seuche auf, und unter ihrem Pesthauch begann sich alles zu verwandeln. Irgendein böser Zauberbann war über die Siedlung verhängt worden. […] Einige Menschen waren plötzlich und unerklärlicherweise gestorben, nicht nur Erwachsene, sondern sogar Kinder, die mitten im Spiel jäh von Übelkeit befallen wurden und binnen weniger Stunden starben. Es herrschte eine ungewöhnliche Stille. Wohin waren die Vögel verschwunden?«21
Was war das für ein schauriges Szenario? Carsons meinte, mit DDT und anderen Pestiziden würde die Menschheit die Tierwelt ausrotten, und sich selbst gleich mit. Für die Entdeckung von DDT war 1948 der Medizin-Nobelpreis vergeben worden. Denn das Pestizid bringt schädliche Insekten zur Strecke. Die amerikanische National Academy of Sciences meinte noch 1970: »Nur wenigen Chemikalien verdankt die Menschheit so viel wie DDT. Es hat nicht nur die landwirtschaftliche Produktivität erhöht, sondern auch unzählbare Menschenleben vor Krankheiten wie Typhus und Malaria gerettet. Es wird geschätzt, dass DDT in den letzten zwei Jahrzehnten 500 Millionen Menschenleben gerettet hat, die ansonsten durch Malaria umgekommen wären.«22Carson aber meinte, dass sich in Menschen mittlerweile 5 bis 648 Teile DDT pro Million Teilchen Körpermasse eingelagert hätten, wobei »3 Teile pro Million ein lebensnotwendigesEnzym im Herzmuskel hemmen; nur 5 Teile pro Million haben Nekrose, das heißt: Zersetzung von Leberzellen verursacht.« Menschen hätten demnach bis zu 130-mal mehr DDT akkumuliert, als zur Zersetzung ihrer Leberzellen nötig wäre. Jeder vierte Mensch, prophezeite Carson deswegen, werde den Pestizidtod sterben.23Um zu solchen Zahlen zu kommen, hatte sie wissenschaftliche Quellen falsch und sogar manipulativ genutzt.24Immerhin wurde zur Abwechslung einmal nicht gefordert, irgendwen umzubringen. Und was konnte schon dagegensprechen, ein Pestizid zu verbieten?
Eine ganze Menge. Denn nachdem tatsächlich immer mehr Länder DDT verboten hatten, fehlte ihnen die wirkungsvollste Waffe gegen Insektenplagen. Mit den Insekten kehrten Missernten, Hungersnöte und Malaria in Gebiete zurück, aus denen sie verschwunden waren. Schätzungen gehen von jährlich 1 bis 2,5 Millionen Malariatoten aufgrund des DDT-Verbots aus.25Nichts hätte dagegengesprochen, rational zu überlegen, unter welchen Umständen DDT mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Nicht einmal Carson selbst forderte ein sofortiges Verbot. Wieder einmal war nicht die Warnung an sich das Problem. Doch weil die Warnung zu panikartigen Verboten führte, mussten abermals Menschen sterben.26
Die Brüder William und Paul Paddock nutzten nun die – auch durch das DDT-Verbot – entstandenen Missernten und Hungersnöte, um die nächste Panikwelle zu verbreiten. In ihrem BestsellerFamine, 1975! America’s Decision: Who will survive?verkündeten sie, »katastrophale Hungersnöte« in Asien, Afrika und Lateinamerika seien »unvermeidlich.« Bald werden dort Anarchie, Militärdiktatur, Inflation und Chaos herrschen, weil Millionen Menschen verhungern. Deswegen müsse man jetzt aufhören, Ländern wie Ägypten oder Indien zu helfen. Dies sei so sinnlos, wie »Sand ins Meer zu werfen«. Würde man die hoffnungslosen Länder verhungern lassen, könne man sich auf die wenigen übrigen Fälle konzentrieren.27Der Biologe Paul Ehrlich stimmte in seinem VerkaufsschlagerThe Population Bombzu:»Der Kampf, alle Menschen zu ernähren, ist vorbei. In den 1970er Jahren werden Hunderte Millionen Menschen verhungern. Zu diesem späten Zeitpunkt gibt es nichts mehr, was eine substanzielle Erhöhung der Sterberate in der Welt verhindern kann.« Er sei zwar »versucht, den Leser mit Statistiken zu beeindrucken«, doch das wolle er ihm »ersparen«.28Stattdessen erzählte er lieber von hungernden Kindern, die man nun sterben lassen muss, da die Nahrungsmittel nicht reichen.
Zwar war den Paddock-Brüdern und Ehrlich damit alle Aufmerksamkeit sicher. Doch zum Glück hörte die Weltgemeinschaft diesmal nicht auf die Untergangspropheten. Denn abermals verkehrte sich die vermeintlich besiegelte Katastrophe in ihr genaues Gegenteil. Als die Paddocks und Ehrlich ihre Bücher veröffentlichten, hungerten circa 40 Prozent der Menschheit. Heute sind es noch 13 Prozent. Damals bekam jede Frau noch durchschnittlich 5 Kinder. Heute sind es weniger als 2,5. Doch auch das hinderte Paul Ehrlich nicht daran, 30 Jahre später noch zu orakeln: »Eine vollständige Lösung durch die Erhöhung der Sterberate kann bald über uns hereinbrechen.29Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich das Wort »Lösung« höre, denke ich nicht gerade an eine »Erhöhung der Sterberate«. Neben ihrem eigenartigen Verständnis von Lösungen haben die Untergangspropheten noch etwas gemeinsam: »Bald« ist ihr Lieblingswort. Denn damit können sie den Untergang immer wieder in die Zukunft verschieben. Doch wenn jemand in einem Buch aus dem Jahr 1968 schreibt, dass eine Bevölkerungsbombe »bald« explodiert, und 2009 dasselbe schreibt, frage ich mich, wie eine Bombe 50 Jahre lang »bald« explodieren kann. Hier zeigt sich das Muster, dass Menschen immer wieder dachten, die Welt stehe vor dem Untergang, und immer wieder hätte etwas Gelassenheit gutgetan. Doch niemand lernte dazu.
Bevor irgendwer merkte, dass Ehrlichs Bevölkerungsbombe einen Zündfehler hatte, prophezeite der sogenannte Club of Rome 1972, dass die wichtigsten Rohstoffe bald aufgebraucht seien, und versetzte die Menschheit damit in die nächste Panik.30Angesichts der bekannten Reserven sollte 1981 das letzte Gramm Gold geschürft und 1992 der letzte Tropfen Öl gepumpt sein. Mitte der 1990er Jahre seien alle Zink-, Zinn-, Silber-, Blei,- Erdgas-, Quecksilber- und Kupferreserven verbraucht.31DerSpiegeltitelte gleich vom »Ende der Menschheit«, dieZeitmeinte: »So geht die Welt zugrunde.« Der bekannte Intellektuelle Daniel Moynihan fasste die Stimmung mit den Worten zusammen: »Nichts in der Gegenwart bringt mehr Trübsinn, als sich die Zukunft vorzustellen.«32Wer bisher gedacht hatte, dass man den Untergang des Abendlandes nicht mehr toppen könne, wurde nun eines Besseren belehrt, jetzt ging es gleich um den Untergang der Welt.
Tatsächlich kann man gegen die Grundidee des Club of Rome nichts einwenden. Endliche Ressourcen gehen irgendwann zu Ende. Doch bisher hat die Menschheit keine einzige Ressource aufgebraucht. Und nicht nur das. 1980 hat Paul Ehrlich eine Wette des Ökonomen Julian Simon angenommen: Ehrlich konnte sich beliebige Rohstoffe über einen beliebigen Zeitraum aussuchen. Würden diese teurer, würde er gewinnen. Würden sie billiger, würde Simon gewinnen. Ehrlich wettete, in zehn Jahren seien Kupfer, Chrom, Nickel, Zinn und Wolfram teurer. Doch teurer wurde nur der Scheck, den Ehrlich Simon ausstellen musste. Denn während die Bevölkerung schneller als in der gesamten Menschheitsgeschichte zunahm, sank der Preis jedes einzelnen Rohstoffes.33Bisher ist wenig vom Ende endlicher Rohstoffe zu merken. Der Ölpreis ist immer noch halb so hoch wie 1980, als Simon und Ehrlich ihre Wette abschlossen. Die Schwarzseher der Rohstoff-Generation verschieben den Zusammenbruch deswegen immer weiter in die Zukunft.
In der Tat hatte der Club of Rome 1972 den vollkommenen Zusammenbruch erst »innerhalb der nächsten 100 Jahre« prognostiziert.34Doch über so lange Zeiträume bricht jedes exponentiell wachsende System zusammen. Denn nicht-lineares Wachstum läuft Amok, wenn es sich selbst überlassen ist. Ein einfaches Beispiel: Stellen Siesich vor, Sie verdoppeln einen einzigen Cent jeden Tag, einen Monat lang. Klingt, als ob dabei nicht viel rauskommt, oder? Aber am Ende des Monats sind Sie Multimillionär. Spielen Sie es einmal durch. Verdoppeln Sie einen Cent 30 Mal. Also auf 2 Cent, 4 Cent, 8 Cent, 16 Cent und so weiter. Nach 30 Verdoppelungen haben Sie über 10 Millionen Euro. Wenn man nicht-lineares Wachstum in die Zukunft fortschreibt, ist das Ergebnis abenteuerlich. Und genau deswegen kommt es meist anders als vermutet. So wurde im 18. Jahrhundert prognostiziert, Städte könnten niemals ihre heutige Größe erreichen. Denn wie sollte man die Kohle in immer mehr Häuser liefern, und wo sollten all die Pferde untergebracht werden? Ich kenne Sie zwar nicht. Aber wo Sie ihr Pferd unterbringen, ist wahrscheinlich nicht Ihr größtes Problem. Es ist deswegen selten sinnvoll, von den Beschränkungen aktueller Technologie auf die Probleme der Zukunft zu schließen. Das heißt nicht, dass man nicht auf Warnungen eingehen kann. Aber zumindest sollte man überlegen, ob diese Warnungen auf guten Daten basieren und vielleicht schlimmere Folgen haben könnten als die Katastrophen, vor denen sie uns bewahren sollen.
Doch Sie ahnen mittlerweile vielleicht, was als Nächstes passierte. Bevor jemand anmerken konnte, dass der Weltuntergang schon wieder ausgefallen war, war schon das Gerede von der nächsten Katastrophe da. DerSpiegeltitelte 1981: »Saurer Regen über Deutschland. Der Wald stirbt.« Kurze Zeit später war ein Baby mit Atemschutzmaske auf dem Titelblatt, darunter die Schlagzeile: »Saurer Regen – Lebensgefahr für Babys«. Forstexperten warnten, in den Wäldern ticke eine »Zeitbombe«. Eine »Umweltkatastrophe von unvorstellbarem Ausmaß« stehe bevor, »die gigantischste Umweltkatastrophe, die es je gab«, das Waldsterben sei nur der »Auftakt zu einem gigantischen, globalen Vegetationssterben, das auch den Menschen nicht verschont«. Da erschien der Vergleich zu »einem ökologischen Hiroshima«, den derSpiegelzog, schon fast untertrieben. Professor Peter Schütt hatte gar Zweifel, »ob wir noch fünf Jahre haben«, umden Tod der großen Wälder abzuwenden. Professor Bernhard Ulrich war sich sicher: »Die ersten großen Wälder werden schon in den nächsten fünf Jahren sterben. Sie sind nicht mehr zu retten.« Es regne schon kein Wasser mehr, sondern »verdünnte Lösungen von Schwefel- und Salpetersäure«. Man solle sich auf »Krebsepidemien vor allem bei Kindern« vorbereiten. Im Jahr 2000 werde Deutschland »keine Straßenbäume mehr in den Städten« haben. Und diesmal sei wirklich kein Zweifel möglich, »allenfalls ein pathologischer Ignorant« würde übersehen, dass der Wald stirbt.35
Doch die pathologischen Ignoranten behielten wieder einmal recht; das Waldsterben fiel aus. Derselbe Professor Ulrich, der Anfang der 1980er Jahre meinte, große Wälder seien nicht mehr zu retten, bemerkte 1995 in einem Artikel einer Fachzeitschrift lapidar: »Die Hypothese weitverbreiteten Waldversterbens in der nahen Zukunft ist nicht durch Daten unterstützt.«36Dabei war das Waldsterben ein Jahrzehnt zuvor noch unvermeidbar gewesen. Es fand allerdings nicht in den Wäldern, sondern in den Köpfen statt. Denn anstatt Experten mit unterschiedlichen Meinungen zu befragen oder selbst in den Wald zu gehen, sprachen Journalisten fast ausschließlich mit den Professoren Schütt und Ulrich. Und nachdem der Mythos einmal in der Welt war, schrieben sie einfach voneinander ab: Der Mythos konnte sich halten, obwohl er mit der Realität kaum etwas zu tun hatte. 2003 wurde das Waldsterben dann offiziell für beendet erklärt.
Aber bitte nicht durchatmen. Denn eine Regel galt auch hier: Bevor der eine Untergang ausfallen konnte, stand der nächste schon vor der Tür. Noch bevor das Waldsterben abgesagt wurde, begannen die Vereinten Nationen im Jahr 1992 ihre Agenda 21 mit der Feststellung, der Hunger auf der Welt werde immer schlimmer. Spitzenpolitiker bezeichneten Rinderwahnsinn als potentielle »Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes«. Die Medien fragten, ob wir Monate oder nur noch Wochen haben, bis die ersten Ebola-Fälle in Deutschland bekannt werden. Und erinnert sich noch jemand an den Y2K Bug, der Computer auf der ganzen Welt lahmlegen sollte, weil diese Jahreszahlen nur zweistellig speichern? DerSpiegelbezeichnete ihn als »Armageddon der Generation Microsoft«. Experten in derZeitäußerten angesichts des Y2K Bug nur »verhaltene Zuversicht […], die Struktur der Gesellschaft zusammenzuhalten«.37Da erschien die grassierende Angst vor Arbeitslosigkeit schon fast nebensächlich.
Und was passierte? An Rinderwahnsinn sind weltweit bisher weniger als 300 Menschen gestorben, in Deutschland kein einziger. Gegen Ebola wurde ein Impfstoff entwickelt, was den Medien jedoch kaum eine Meldung wert war. Der Y2K Bug sorgte für keine einzige gravierende Störung. Und als die Vereinten Nationen meinten, der weltweite Hunger nehme zu, lebten noch 35 Prozent der Menschheit in absoluter Armut; heute sind es unter 10 Prozent. Dass die Arbeitslosigkeit im vereinten Deutschland noch nie so niedrig war wie heute, scheint angesichts der derzeitigen Horrorszenarien auch schon fast nebensächlich.
Mittlerweile würde es Sie vielleicht selbst verwundern, wenn das Fehlschlagen irgendwelcher Negativprognosen zum Innehalten der Untergangspropheten geführt hätte. Und als im neuen Jahrtausend das menschliche Genom entschlüsselt wurde, dauerte es tatsächlich nicht lange, bis der Philosoph John Gray wusste: »Wenn etwas über das gegenwärtige Jahrhundert sicher ist, dann, dass die Macht, die die Menschheit durch neue Technologien hinzugewinnt, dazu führt, dass grausame Verbrechen gegen sie begangen werden. Wird es möglich, Menschen zu klonen, so werden daraus Soldaten ohne oder mit verkümmerten Emotionen gezüchtet.«38Auch sollten Eltern ihre Kinder bald aus einem Katalog zusammenstellen. Tatsächlich werden heute Gentests durchgeführt, aber vor allem, um Tot- und Fehlgeburten auszuschließen.
Dann kam der Angriff auf das World Trade Center, der uns alle verständlicherweise schockte. Denn nach unseren Maßstäben starbendabei viele Menschen. Doch die Anschläge von New York forderten so viele Todesopfer wie der Zweite Weltkrieg in drei durchschnittlichen Stunden. Jeder Tote ist einer zu viel. Aber musste man gleich den Dritten Weltkrieg ausrufen? Denn aufgrund dieser aufgeheizten Stimmung begannen die USA und ihre Verbündeten Kriege in Afghanistan und Irak, die wenig bewirkten, außer einer Million Toten.39
Aber ist die Angst vor Terror nicht gerechtfertigt? War es nicht sinnvoll, drastische Vergleiche zu ziehen und entsprechend drastisch zu handeln? Das Gefährlichste am Terrorismus ist die Angst vor dem Terrorismus. Nach 9/11 hatten die Amerikaner solche Angst, in ein Flugzeug zu steigen, dass sie auch lange Strecken mit dem Auto fuhren. Doch pro zurückgelegtem Kilometer ist die Wahrscheinlichkeit, im Auto zu sterben, höher als im Flugzeug. Nach Hochrechnungen von Gerd Gigerenzer sind 1595 Menschen gestorben, weil sie Auto gefahren und nicht geflogen sind. Das sind 6-mal so viele, wie in den gekaperten Flugzeugen 2001 umgekommen sind.40Die Angst vor Terror war insofern tödlicher als der Terror selbst. Ein Deutscher muss heute über 2 Millionen Jahre leben, um auch nur eine 50-prozentige Chance zu haben, Opfer eines Terrorangriffs zu werden. Selbst im Jahr 2016, von einigen deutschen Medien »Jahr des Terrors«41genannt, war es über 300-mal wahrscheinlicher, bei einem banalen Haushaltsunfall umzukommen, als durch einen Terroranschlag. Wenn Sie vor etwas Angst haben wollen, fürchten Sie sich vor Ihrer Leiter.42
Das Muster wiederholte sich wieder und wieder: Nie sind die Szenarien der Untergangspropheten auch nur annähernd so katastrophal eingetreten, wie sie prophezeit wurden. Vielmehr hat die daraus hervorgehende negative Sicht selbst große Schäden angerichtet. Es wird Zeit, daraus zu lernen und die Welt zu betrachten, wie sie ist, anstatt wieder und wieder in kopflose Panik zu verfallen, weil wir vermuten, dass die Welt den Bach runtergeht. Ein erster Schritt wäre, nur auf die Warnungen der Katastrophenlobby einzugehen, wenndies selbst keine Katastrophen produziert. Den Wald gäbe es wahrscheinlich auch noch, wenn Autos keine Katalysatoren bekommen hätten, aber geschadet hat es nicht. Nichts spricht dagegen, erneuerbare Energien zu erforschen, wenn der Club of Rome vor der Endlichkeit unserer Ressourcen warnt. Denn wenn sich alle Warnungen als Fehlalarm herausstellen, stehen im schlimmsten Fall ein paar mehr Solarzellen und Windräder herum. Zweitens sollten wir verlässliche Daten von den Weltuntergangspropheten fordern. Marx, Spengler, Carsons nahmen nicht für sich in Anspruch, statistisch repräsentative Daten zu haben. Und das störte auch kaum jemanden. Hätte man nachgemessen, hätte man allerdings keine langfristige Verarmung der Arbeiterklasse, keine Verunreinigung vermeintlich höherwertigen Blutes und keine verheerende Verpestung durch DDT gefunden. Das Problem ist, dass auch heute die meisten Menschen sich nicht auf Messungen verlassen, sondern auf Meinungen und Medien, deren Berichterstattung ein viel zu negatives Bild der Welt vermittelt, sodass wir – genau wie in der Vergangenheit – den Untergangspropheten auf den Leim gehen.
Um das zu illustrieren, habe ich eine Datenbank mit allen Zeitungsartikeln erstellt, die jemals in den WochenzeitungenDer SpiegelundDie Zeiterscheinen sind.43Damit kann man die Berichterstattung über Krieg zu den tatsächlichen Kriegstoten in Relation setzen. Die schwarze Linie in der folgenden Grafik zeigt Ihnen, dass im Jahr 1950 noch mehr als 20 von 100 000 Menschen in Kriegen umgekommen sind (insgesamt ungefähr 600 000 Menschen). Im Jahr 2015 sind dahingegen nur noch 1,7 von 100 000 Menschen in Kriegen gestorben (insgesamt ungefähr 120 000 Todesopfer). Damit ist die Wahrscheinlichkeit, in einem Krieg umzukommen, seit 1950 um über 90 Prozent zurückgegangen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich diese Zahlen zum ersten Mal gesehen habe. Dass unsere Zeit heute irgendwie nicht so schlimm ist wie jene des Zweiten Weltkriegs, war mir schon klar. Aber dass Kriege in den 1950er, 1960er, 1970er undsogar 1980er Jahren tödlicher waren als alles, was wir in den letzten 20 Jahren erlebt haben, davon hatte ich nicht die leiseste Ahnung.
Berichterstattung »Krieg« versus reale Kriegstote44
Die beiden unterbrochenen Linien zeigen jedoch, dass heute das Suchwort »Krieg« in den Artikeln derZeitund desSpiegelskaum seltener zu finden ist als früher, obwohl de facto immer weniger Menschen in Kriegen sterben. Auch Bücher thematisieren Kriege heute genauso oft wie früher.45