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Daten schlagen Intuition Entscheidungen treffen ist nicht immer leicht. Im Zweifel entscheiden viele dabei nach Bauchgefühl. Was sich gut anfühlt, wird schließlich auch gut sein, oder? Doch unsere Intuition ist weit weniger zuverlässig, als wir glauben, wie Seth Stephens-Davidowitz in seinem Buch unterhaltsam belegt. Der frühere Google-Datenwissenschaftler und Bestsellerautor zeigt auf Basis der neuesten Big-Data-Forschung und anhand von vielen lustigen Anekdoten, wie leicht wir oft falschliegen, wenn es darum geht, instinktiv die richtige Wahl zu treffen. Von überraschenden Erfolgsstrategien beim Dating bis hin zu außergewöhnlichen Karriereboostern – sein Buch ist voll von verblüffenden Erkenntnissen darüber, was uns Daten, auch über uns selbst, verraten, und wie sie unser Leben zuverlässig einfacher machen.
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Seitenzahl: 345
Seth Stephens-Davidowitz
Seth Stephens-Davidowitz
... und nur Daten helfen, herauszufinden, was man wirklich will
Übersetzung aus dem Englischen von Bärbel Knill
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen
1. Auflage 2023
© 2023 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Türkenstraße 89
D-80799 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
© 2022 by Seth Stephens-Davidowitz
Die englische Originalausgabe erschien 2022 bei Dey Street Books unter dem Titel Don’t Trust Your Gut.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Bärbel Knill
Redaktion: Christiane Otto
Umschlaggestaltung: Karina Braun
Umschlagabbildung: Fafarumba/Shutterstock
Satz: Satzwerk Huber, Germering
eBook: ePUBoo.com
ISBN Print 978-3-86881-928-1
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-498-4
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-499-1
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.redline-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
Für Julia
Wenn die Daten sagen, dass dich zu lieben falsch sei, möchte ich nicht richtig handeln.
Einführung: Selbsthilfe für Datenfreaks
Kapitel 1: Das KI-Heiratsprojekt
Kapitel 2: Der Standort, der Standort, der Standort. Was gute Eltern ausmacht
Kapitel 3: Der wahrscheinlichste Weg zu sportlicher Spitzenleistung ohne Talent
Kapitel 4: Wer sind die heimlichen Reichen in Amerika?
Kapitel 5: Die lange und öde Plackerei zum Erfolg
Kapitel 6: Wie man seinem Glück auf die Sprünge hilft
Kapitel 7: Typveränderung für Nerds
Kapitel 8: Die lebensverändernde Magie, wenn man das Sofa verlässt
Kapitel 9: Die Unglücksfallen des modernen Lebens
Schlussfolgerung
Danksagung
Anhang
Über den Autor
Endnoten
Sie können im Leben bessere Entscheidungen treffen. Und Big Data können Ihnen dabei helfen.
Wir erleben im Moment eine stille Revolution in unserem Verständnis der wichtigsten menschlichen Lebensbereiche – dank des Internets und der vielen Daten, die es generiert hat. In den letzten paar Jahren haben Wissenschaftler in verschiedenen Bereichen enorme Datensammlungen erstellt – von Tinder-Nachrichten über Wikipedia-Profile bis hin zu Facebook-Beziehungsstatusangaben. Unter diesen Tausenden oder Millionen von Einzeldaten fanden sie, vielleicht zum ersten Mal überhaupt, glaubhafte Antworten auf grundlegende Fragen. Fragen wie:
Was macht gute Eltern aus?
Wer ist insgeheim reich – und warum?
Wie wird man berühmt?
Warum haben manche Leute so ungewöhnlich viel Glück?
Was sind die Indikatoren für eine glückliche Ehe?
Und, noch allgemeiner formuliert: Was macht Menschen glücklich?
Oft sind die Antworten, die sich aus den Daten ergeben, nicht die, die man erwartet hätte, und die Entscheidungen, die sich daraus ergeben, sind anders als die, die man ansonsten getroffen hätte. Es gibt ganz einfach Erkenntnisse aus diesen riesigen Datenmengen, die es Ihnen oder einer Person, die Sie kennen, ermöglichen, bessere Entscheidungen zu treffen.
Hier sind drei Beispiele für sehr unterschiedliche Lebenssituationen und was Wissenschaftler dazu herausgefunden haben:
Beispiel #1: Nehmen wir an, Sie sind ein Single-Mann oder eine Single-Frau, der oder die nicht so viele Dates bekommt, wie Sie sich das wünschen würden. Sie versuchen, sich in allem zu verbessern, worauf andere Sie hinweisen. Sie kleiden sich besser. Sie lassen sich ein Zahn-Bleaching machen. Sie lassen sich für teures Geld eine neue Frisur verpassen. Aber nichts passiert. Es kommen einfach keine Anfragen für Verabredungen.
Ein paar Einblicke aus Big Data könnten hier helfen.
Der Mathematiker und Autor Christian Rudder untersuchte zig Millionen bevorzugte Eigenschaften auf OkCupid, um herauszufinden, welche Eigenschaften die Teilnehmer mit den meisten Verabredungen aufwiesen. Er stellte fest – und das war keine große Überraschung –, dass die begehrtesten Teilnehmer*innen solche waren, die mit den herrschenden Schönheitsidealen übereinstimmten: die Brad Pitts und Natalie Portmans auf dieser Welt.
Aber er fand in den Datenbergen auch andere Teilnehmer*innen, die sich überraschend gut schlugen: diejenigen, die einen extremen Look hatten. Zum Beispiel Leute mit blauen Haaren, Tätowierungen, verrückten Brillen oder kahl rasiertem Schädel.
Warum? Der Schlüssel zum Erfolg dieser unkonventionellen Teilnehmer*innen ist, auch wenn sich viele von ihnen nicht besonders angezogen fühlen oder sie sich sogar unattraktiv finden, dass sie für manche Menschen wirklich sehr attraktiv sind.1 Und beim Dating ist das das Allerwichtigste.
Beim Dating ist die beste Strategie – wenn Sie nicht atemberaubend schön sind – mit Rudders Worten »eine Menge Jas, eine Menge Neins, aber nur sehr wenig Na jas zu bekommen«. Eine solche Strategie, so fand Rudder heraus, kann bis zu 70 Prozent mehr Nachrichten führen. Sei eine extreme Version deiner selbst, so sagen die Daten, und manche Menschen werden dich extrem attraktiv finden.
Beispiel #2: Nehmen wir an, Sie haben gerade ein Baby bekommen.[1] Nun müssen Sie sich für eine Wohngegend entscheiden, in der Sie dieses Kind aufwachsen lassen wollen. Sie wissen schon, wie man das macht. Man fragt ein paar Freunde, googelt ein paar grundsätzliche Faktoren, schaut sich ein paar Häuser an. Und zack! Schon haben Sie ein Heim für Ihre Familie. Sie denken, das sei ja keine große Wissenschaft.
Aber es gibt heute eine Wissenschaft, die sich mit der Suche nach Wohngegenden beschäftigt.
Forscher nutzten vor Kurzem neuere Steuerdaten, um die Lebenslinien von Hunderten Millionen Amerikanern zu untersuchen. Die Wissenschaftler entdeckten, dass es das Leben eines Menschen dramatisch beeinflussen kann, in welcher Stadt er aufwuchs – ja sogar in welchem Stadtviertel dort. Und die besten Wohnviertel sind nicht immer diejenigen, von denen man das erwarten würde. Und es sind auch nicht immer die teuersten. Es gibt heute Landkarten, die Eltern auf der Basis extensiver Datenanalyse über die Qualität jedes noch so kleinen Wohnviertels in den Vereinigten Staaten informieren können.
Und das ist noch nicht alles. Die Forscher haben auch nach Daten gesucht, um herauszufinden, welche Eigenschaften die besten Wohnviertel meist aufweisen, in denen Kinder am besten aufwachsen; dabei haben sie viele Irrtümer ausgeräumt, die bisher über Kindererziehung im Umlauf waren. Dank Big Data können wir heute Eltern endlich sagen, was für eine erfolgreiche Kindheit wirklich zählt (Stichwort: erwachsene Vorbilder), und was viel weniger wichtig ist (Stichwort: die angesagtesten Schulen).
Beispiel #3: Nehmen wir an, Sie sind eine aufstrebende Künstlerin, die einfach nicht den großen Durchbruch schafft. Sie kaufen jedes Buch über Ihre Kunstart, das Sie finden können. Sie bekommen Feedback von Ihrem Freundeskreis. Sie überarbeiten Ihre Stücke immer und immer wieder. Aber nichts scheint zu funktionieren. Sie verstehen einfach nicht, was Sie falsch machen.
Big Data hat hier einen häufigen Fehler entdeckt.
Eine neuere Studie über die Karrierewege von Hunderttausenden Maler*innen, durchgeführt von Samuel P. Fraiberger, hat ein bislang verborgenes Muster dafür aufgedeckt, warum manche Erfolg haben und andere nicht.2 Was ist also das Geheimnis, das die großen Namen von den Unbekannten unterscheidet, die sich einen solchen erkämpfen wollen?
Oft geht es darum, wie sie ihr Werk präsentieren. Künstler, die nie einen Durchbruch schaffen, so sagen uns die Daten, neigen dazu, ihre Werke immer wieder an denselben wenigen Orten auszustellen. Künstler, die groß herauskommen hingegen, stellen an viel mehr Orten aus und schaffen sich so die Möglichkeit, irgendwo auf den großen Durchbruch zu stoßen.
Viele haben schon darüber gesprochen, wie wichtig es für die Karriere ist, sich zu zeigen. Aber die Datenanalysten haben herausgefunden, dass es darum geht, an möglichst vielen verschiedenen Orten aufzutreten.
Dieses Buch soll nicht nur für Singles, frischgebackene Eltern oder aufstrebende Künstler*innen ein Ratgeber sein – auch wenn für all jene noch mehr Lektionen kommen werden. Mein Ziel ist, Lektionen aus den neuen, großen Datensammlungen zu präsentieren, die Ihnen etwas nützen, egal, in welcher Lebensphase Sie sich befinden. Es gibt Erkenntnisse, die erst kürzlich von Datenforschern entdeckt wurden, wie man glücklicher ist, besser aussieht, im Beruf vorankommt und vieles mehr. Und die Idee für dieses Buch kam mir an einem Abend, als ich … mir ein Baseballspiel ansah.
Ich kann nicht umhin, genau wie andere Baseballfans zu bemerken: Baseball ist heute ein ganz anderes Spiel, als es das noch vor drei Jahrzehnten war. Als ich noch ein kleiner Junge war und meinen geliebten New York Mets zujubelte, trafen die Baseballteams ihre Entscheidungen aus dem Bauchgefühl und der Intuition heraus. Sie entschieden sich, ob sie einen Bunt oder einen Steal spielen sollten, nach dem Gefühl des Managers. Sie wählten die Spieler, die sie anheuerten, nach dem Eindruck von Scouts aus.
Doch gegen Ende des 20. Jahrhunderts gab es Hinweise darauf, wie es besser gehen könnte. Jedes Jahr in meiner Kindheit brachte mein Vater ein neues Buch von Bill James nach Hause. James, der in Nachtschichten als Wachmann in einer Fabrik für Schweinefleisch mit Bohnen in Dosen in Kansas arbeitete, war ein obsessiver Baseball-Fan. Und er hatte eine unkonventionelle Herangehensweise bei der Analyse des Spiels: die seit Neuem verfügbaren Computer und digitalen Daten. James und seine Kollegen – Sabermetriker genannt – entdeckten bei ihrer Analyse der Daten, dass viele der Entscheidungen, die die Teams normalerweise trafen, komplett falsch waren, wenn sie aus dem Bauch heraus entschieden.
Wie oft sollten Teams einen Bunt spielen? Viel seltener, sagten die Sabermetriker. Wie oft sollten sie einen Steal spielen? Fast nie. Wie viel waren Spieler wert, die viele Walks machten? Mehr, als die Teams dachten. Wen sollten die Teams anheuern? Mehr College-Pitcher.
Mein Vater war nicht der Einzige, der von James’ Ansatz fasziniert war. Billy Beane, ein Baseballspieler, der Baseballmanager wurde, war ein großer Bill-James-Fan. Und als er General Manager der Oakland A’s wurde, beschloss er, sein Team anhand der Prinzipien der Sabermetrie zu führen.
Die Ergebnisse waren bemerkenswert. Wie im Buch und Film Moneyball bekanntermaßen erzählt wird, erreichten die Oakland A’s die Play-offs 2002 und 2003, obwohl sie ihre Spieler von allen Baseballmannschaften mit am schlechtesten bezahlten.3 Und die Rolle der Analytik im Baseball hat sich seitdem explosionsartig vergrößert. Die Tampa Bay Rays, von denen man sagte, sie seien »mehr Moneyball als die Moneyball A’s selbst«4, erreichten die World Series 2020, obwohl sie im Baseball am drittschlechtesten bezahlten.
Danach haben die Prinzipien des Moneyball und die ihm zugrunde liegende bahnbrechende Idee, dass Daten dazu beitragen können, unsere falschen Annahmen zu korrigieren, auch viele andere Bereiche transformiert. Zum Beispiel andere Sportarten. NBA-Teams richten sich zunehmend nach Analysen, bei denen die Flugbahn jedes Wurfs nachverfolgt wird.5 In den Daten über 300 Millionen Würfe wurden große Abweichungen vom optimalen Wurf festgestellt. So wird etwa der durchschnittliche NBA-Sprungwerfer mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit einen Wurf verfehlen, der zu kurz ist, als einen, der zu lang ist. Und wenn er aus der Ecke wirft, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass er das Backboard seitlich verfehlt, vielleicht weil er zu sehr fürchtet, es zu treffen. Die Spieler nutzen solche Informationen, um diese Fehler zu korrigieren – und mehr Körbe zu erzielen.
Die Unternehmen im Silicon Valley wurden weitgehend auf Moneyball-Prinzipien basierend aufgebaut. Bei Google, wo ich früher als Datenwissenschaftler arbeitete, glaubt man natürlich voll und ganz an die Macht der Daten, wenn es um größere Entscheidungen geht. Es ist ja bekannt, dass ein Designer das Unternehmen verließ, weil es oft die Intuition ausgebildeter Designer zugunsten der Daten ignorierte. Der Tropfen, der das Fass für den Designer zum Überlaufen brachte, war ein Experiment, bei dem man auf einem Link in einer Werbung auf Gmail 41 Blauschattierungen testete6, um Daten darüber zu sammeln, welche davon zu den meisten Klicks führen würde. Der Designer mag frustriert gewesen sein, aber das Datenexperiment brachte Google geschätzte 200 Millionen Dollar zusätzliche Werbeumsätze im Jahr ein, und Google ist nie von seinem Glauben an die Daten abgerückt, während es sein 1,8-Trillionen-Dollar-Unternehmen aufbaute.7 Wie es Eric Schmidt, sein früherer CEO, einmal ausdrückte: »Auf Gott vertrauen wir. Alle anderen müssen Daten bringen.«8
James Simons, Mathematiker von Weltrang und Gründer von Renaissance Technologies, brachte die rigorose Datenanalyse an die Wall Street. Er und ein Team von Datenanalysten erstellten eine nie da gewesene Datensammlung über Aktienkurse und Ereignisse in der Welt und suchten darin nach Mustern. Was passiert oft mit Aktien, nachdem Gewinne angekündigt wurden? Nach der Verknappung von Brot? Nach der Erwähnung eines Unternehmens in den Zeitungen?
Seit seiner Gründung hat das Aushängeschild von Renaissance, der Medaillon Fonds – bei dem ausschließlich aufgrund von Datenmustern verkauft oder gekauft wird – 66 Prozent Gewinn pro Jahr vor Gebühren eingebracht.9 In derselben Zeitspanne hat der S&P 500 zehn Prozent pro Jahr gebracht. Kenneth French, Wirtschaftswissenschaftler und Anhänger der Markteffizienzhypothese, die besagt, es sei praktisch unmöglich, die S&P 500 deutlich zu übertreffen, erklärte den Erfolg von Renaissance folgendermaßen: »Wie es scheint, sind sie einfach besser als wir anderen.«10
Aber wie treffen wir große Entscheidungen in unserem Privatleben? Wie entscheiden wir uns, wen wir heiraten, wie wir uns verabreden, wie wir unsere Zeit verbringen, ob wir einen Job annehmen sollten?
Sind wir eher wie die A’s im Jahr 2002 oder wie die anderen Baseballteams damals? Mehr wie Google oder eher ein Tante-Emma-Laden? Mehr wie Renaissance Technologies oder wie ein traditioneller Anlageverwalter?
Ich möchte behaupten, dass die große Mehrheit von uns sich die allermeiste Zeit stark auf das Bauchgefühl verlässt, wenn es um die wichtigsten Entscheidungen geht. Vielleicht ziehen wir noch Freund*innen, Familienangehörige oder selbst erklärte Lebensgurus zurate. Wir lesen vielleicht irgendwelche Ratgeber, die nicht viel Grundlage haben. Wir werfen vielleicht einen flüchtigen Blick auf irgendwelche sehr einfachen Statistiken. Und dann tun wir, was sich richtig anfühlt.
Was würde passieren, fragte ich mich, während ich dieses Baseballspiel ansah, wenn wir unsere wichtigsten Lebensentscheidungen aufgrund von Daten treffen würden? Was würde passieren, wenn wir unser Privatleben genauso führen würden wie Billy Beane die Oakland A’s?
Ich wusste, dass so eine Herangehensweise an das Leben in letzter Zeit immer mehr möglich wurde. In meinem vorherigen Buch, Everybody Lies, erforschte ich, wie all die neuen Daten, die uns dank dem Internet zur Verfügung stehen, unser Verständnis von Gesellschaft und menschlichem Denken transformieren. Vielleicht hat die Revolution der Statistiken den Baseballsport dank all der Daten, die seine statistikbesessenen Fans verlangten und selbst erstellten, zuerst erreicht. Die Revolution im Sport des Lebens ist nun dank all der Daten möglich, die unsere Smartphones und Computer gesammelt haben.
Stellen wir uns einmal diese gar nicht so triviale Frage: Was macht Menschen glücklich?
Im 20. Jahrhundert gab es keine Daten, um diese Frage auf exakte, systematische Weise zu beantworten. Als die Moneyball-Revolution den Baseball erreichte, waren die Sabermetriker vielleicht in der Lage, die Daten aller Spielzüge zu analysieren, die sorgfältig in jedem Spiel aufgezeichnet wurden. Doch damals hatten die Datenwissenschaftler kein Äquivalent zur Aufzeichnung jeder einzelnen Lebensentscheidung und der dadurch entstehenden Stimmung. Damals waren die Menschen, was das Glücksempfinden betrifft – anders als beim Baseball –, nicht offen für exakte quantitative Untersuchungen.
Heute ist das aber anders.
Brillante Forscher wie George MacKerron und Susana Mourato haben iPhones genutzt, um eine nie da gewesene Datensammlung über das Glücksempfinden zu erstellen – ein Projekt, das sie »Mappiness« nennen.11 Sie warben Zehntausende Nutzer an und schrieben sie mehrmals am Tag an. Sie stellten ihnen einfache Fragen, wie was sie gerade taten, mit wem sie zusammen waren oder wie glücklich sie sich fühlten. Daraus erstellten sie eine Datensammlung über mehr als drei Millionen Glückspunkte, das ist weit entfernt von den Dutzenden Datenpunkten, die zuvor den Stoff für Glücksforschung darstellten.
Manchmal sind die Ergebnisse aus diesen Millionen von Daten provokativ, wie zum Beispiel, dass Sportfans mehr Schmerz über Niederlagen ihrer Teams empfinden, als sie sich über Siege freuen. Manchmal sind die Ergebnisse kontraintuitiv, wie zum Beispiel, dass der Genuss von Alkohol einer Person mehr Glücksgefühl gibt, die gerade Hausarbeit verrichtet, als einer Person, die gerade mit Freunden zusammensitzt. Manchmal sind die Ergebnisse tiefgreifend, wie zum Beispiel, dass Arbeit Menschen eher unglücklich macht, außer wenn sie mit ihren Freunden zusammenarbeiten.
Aber immer sind die Ergebnisse hilfreich. Haben Sie sich je gefragt, wie genau sich das Wetter auf unsere Stimmung auswirkt? Bei welchen Aktivitäten wir uns systematisch darin irren, wie viel Freude sie uns bringen? Welche Rolle Geld für unser Glück wirklich spielt? Wie stark unser Umfeld bestimmt, wie wir uns fühlen? Wir haben heute, dank MacKerron, Mourato und anderen, glaubwürdige Antworten auf all diese Fragen – Antworten, die der Stoff der Kapitel 8 und 9 sein werden. Am Ende dieses Buches werde ich sogar eine zuverlässige Formel liefern, die aus Millionen von Smartphone-Pings hergeleitet wurde. Ich nenne sie »die datengestützte Antwort auf das Leben«.
Also bin ich in den vergangenen vier Jahren, motiviert durch ein Baseballspiel, in intensive Studien abgetaucht. Ich habe mit Forschern gesprochen. Ich habe wissenschaftliche Veröffentlichungen gelesen. Ich habe die Quellennachweise der Beiträge derart intensiv studiert, wie es sicher keiner der Forscher erwartet hätte. Und ich habe eigene Forschungen und Interpretationen vorgenommen. Ich sah meine Aufgabe darin, die Bill James’ der verschiedenen Disziplinen zu finden, wie Ehe, Elternschaft, sportliche Leistungsfähigkeit, Reichtum, Unternehmertum, Glück haben, einen eigenen Stil haben und glücklich sein. Ich gebe Ihnen allen damit die Möglichkeit, der Billy Beane Ihres eigenen Lebens zu werden. Ich bin jetzt bereit, Ihnen alles, was ich herausgefunden habe, zu berichten.
Sie können es auch »Moneyball für Ihr Leben« nennen.
Bevor ich meine Forschungen begann, stellte ich mir einige grundsätzliche Fragen: Wie könnte ein Leben aussehen, das man auf den Moneyball-Prinzipien aufbaut? Wie könnte unsere eigene Entscheidungsfindung aussehen, wenn wir wie die A’s und die Rays den Daten folgten anstatt unseren Instinkten? Was auffällt, wenn man sich Baseball heute, nach dem Film Moneyball, ansieht, ist, dass manche Entscheidungen, die von Teams getroffen werden, die sich auf Datenanalyse stützen, etwas … sagen wir, seltsam wirken. Nehmen wir einmal folgendes Beispiel: die Aufstellung der Infielders.
In der Post-Moneyball-Ära setzen die Baseballteams zunehmend Infield-Shifts ein. Sie stecken viele von ihren Verteidigern in einen Teil des Feldes und lassen dabei weite Bereiche des Feldes völlig unbewacht, und diese scheinen dann für einen Hitter weit offen zu stehen, um dort seinen Ball hinzuschlagen. Der Infield-Shift sieht für Fans des traditionellen Baseballs schlicht verrückt aus. Aber verrückt ist er nicht. Solche Shifts werden durch riesige Mengen an Daten gerechtfertigt, die vorhersagen, wo bestimmte Spieler mit der größten Wahrscheinlichkeit den Ball hinschlagen werden.12 Die Zahlen sagen den Baseballteams, dass es stimmt, auch wenn es falsch aussieht.
Wenn wir ans Leben mit dem Moneyball-Ansatz herangehen, könnten wir auf ganz ähnliche Weise feststellen, dass manche scheinbar seltsamen Entscheidungen – sozusagen die Infield-Shifts des Lebens – gerechtfertigt sind.
Ein paar davon haben wir schon angesprochen. Sich den Schädel kahl zu rasieren oder das Haar blau zu färben, um mehr Dates zu bekommen, ist ein Infield-Shift des Lebens. Und hier ist ein weiterer, entdeckt in den Big Data des Verkaufs.
Nehmen wir an, Sie versuchen, jemandem etwas zu verkaufen. Das erleben wir immer häufiger. Wie der Autor Daniel Pink es in seinem Buch To Sell Is Human ausdrückte: Ob wir nun »Kollegen von etwas überzeugen wollen, Unternehmensgründer zu etwas überreden oder Kinder zu etwas herumkriegen wollen … jeder von uns ist irgendwie im Verkauf tätig«.13
Egal, was Ihr Anliegen ist: Sie geben auf jeden Fall Ihr Bestes.
Sie schreiben Ihren Pitch auf. (Gut!) Sie üben Ihren Pitch. (Gut!) Sie gehen früh schlafen. (Gut!) Sie nehmen ein ordentliches Frühstück ein. (Gut!) Sie kämpfen gegen Ihre Nervosität an und gehen hin. (Gut!)
Und, während Sie Ihre Verkaufspräsentation halten, denken Sie daran, Ihre Aufregung mit einem ein breiten, herzlichen, zähnebleckenden Lächeln zu übermitteln. (Ähm … nicht gut.)
In einer vor Kurzem durchgeführten Studie wurden die Auswirkungen der Emotionalität eines Verkäufers auf dessen Verkaufszahlen analysiert.
Die Datensammlung: 99 451 Verkaufspitches auf einer Livestreaming-Handelsplattform. (Heutzutage kaufen die Menschen zunehmend Produkte über Services wie Amazon Live, was den Anbietern die Möglichkeit gibt, ihre Produkte potenziellen Kunden über Video anzubieten.) Die Forscher erhielten jeweils das Video jedes Verkaufspitches zusammen mit Angaben darüber, wie viel von dem Produkt danach verkauft wurde. (Sie hatten auch Daten über das Produkt, das verkauft wurde, den Preis des Produkts und darüber, ob eine kostenlose Lieferung angeboten wurde.)
Die Methoden: künstliche Intelligenz und Deep Learning (maschinelles Lernen). Die Forscher konvertierten die 62,32 Millionen Einzelbilder aus den Videos in Daten. Die KI war insbesondere in der Lage, den Ausdruck von Emotionen der Verkaufsperson während des Videos zu codieren. Erschien die Verkaufsperson wütend? Angeekelt? Ängstlich? Überrascht? Traurig? Oder fröhlich?
Das Ergebnis: Die Forscher stellten fest, dass der Ausdruck von Emotionalität einer Verkaufsperson ein zentraler Vorhersagefaktor war, wie viel von einem Produkt verkauft wurde. Es überrascht nicht, dass ein*e Verkäufer*in weniger verkaufte, wenn er*sie negative Emotionen wie Wut oder Ekel äußerte. Wut verkauft sich nicht. Was aber überraschte, war, dass eine Verkaufsperson ebenfalls weniger verkaufte, wenn sie äußerst positive Emotionen zeigte, wie Freude oder Überraschung. Freude verkauft sich nicht. Wenn es darum geht, die Verkaufszahlen zu steigern, erweist sich eine Verkaufsperson, die ihre Aufregung dämpft – also ein Pokerface aufsetzt anstatt eines Lächelns14 – als etwa doppelt so wertvoll wie eine kostenfreie Lieferung.
Manchmal, wenn man ein Produkt verkaufen will, sollte man das mit weniger Enthusiasmus für das eigene Produkt tun. Es fühlt sich vielleicht falsch an, aber die Daten sagen, dass es richtig ist.
Halten Sie nun einmal kurz inne, damit ich dieses Buch den Lesern meines ersten Buches gegenüber rechtfertigen kann, Everybody Lies (deutsch: Jeder lügt). Manche von Ihnen sind auf dieses Buch gekommen, weil sie das andere Buch auch gut fanden. Und wenn das nicht die Erklärung ist, wie Sie zu diesem Buch kamen, kann ich Sie vielleicht in den folgenden Abschnitten davon überzeugen, das andere Buch ebenfalls zu kaufen. Ich versuche es mal.
In Everybody Lies habe ich meine Forschungen darüber beschrieben, wie man die Google-Suche nutzen kann, um zu entdecken, was die Menschen wirklich denken und tun. Ich nannte die Google-Suche das »digitale Wahrheitsserum«, weil die Menschen der Suchmaschine gegenüber so ehrlich sind. Und ich nannte die Google-Suche die wichtigste Datensammlung, die jemals über die menschliche Psyche gesammelt wurde.
Ich habe Folgendes gezeigt:
Rassistische Google-Suchanfragen sagten voraus, wo Barack Obama in den Präsidentschaftswahlen 2008 und 2012 unterdurchschnittlich abschnitt.
Menschen schreiben oft ganze Sätze in die Google-Suchanfrage, wie »Ich hasse meinen Chef«, »Ich bin betrunken« oder »Ich liebe die Möpse meiner Freundin«.
Die häufigste Google-Suchanfrage in Indien, die mit »Mein Mann will …« beginnt, ist »Mein Mann will, dass ich ihn stille«. In Indien gibt es fast ebenso viele Google-Suchanfragen, wie man einen Ehemann stillt, wie dazu, wie man ein Baby stillt.
Google-Suchanfragen für selbst durchgeführte Abtreibungen konzentrieren sich fast ausschließlich auf die Teile der Vereinigten Staaten, in denen es schwer ist, legal abzutreiben.
Männer starten mehr Suchanfragen für Informationen darüber, wie sie ihren Penis vergrößern können, als wie man eine Gitarre stimmt, einen Reifen wechselt oder ein Omelett zubereitet. Eine der meist gegoogelten Fragen über ihren Penis lautet: »Wie groß ist mein Penis?«
Wenn ich mit diesem Buch fertig bin, könnte ich mein nächstes Buch ja Everybody (Still) Lies (deutsch: Jeder lügt [noch immer]) nennen und weiter erforschen, was uns die Google-Suchanfragen verraten. Nein, sorry, da habe ich nun wohl gelogen. Kein Wunder – beim Autor von Everybody Lies.
Dieses Buch ist – oberflächlich betrachtet – ganz anders. Und wenn Sie gehofft hatten, weitere Analysen über die Suchanfragen von Männern über ihre Genitalien zu finden, werden Sie bitter enttäuscht sein. Also gut, eines habe ich noch für Sie. Wussten Sie, dass Männer manchmal bei Google ganze Sätze eingeben, in denen sie die Größe ihres Penis angeben? Sie geben zum Beispiel bei Google ein: »Mein Penis ist 5 Inches (circa 12,7 Zentimeter) lang.« Und wenn man die Daten über all diese Suchanfragen analysiert, ergibt sich daraus eine etwaige Norm von bei Google angegebenen Penisgrößen von etwa 5 Inches.15
Google-Suchanfragen von der Art »Mein Penis ist …«
Quelle: Google Trends, erstellt mit Datawrapper
Aber lassen wir nun die verrückte Welt der Google-Suchdaten hinter uns, über die Sie, wie gesagt, in Everybody Lies mehr erfahren.
Die meisten Studien, die in diesem Buch angeführt werden, stammen, anders als in Everybody Lies, von anderen, nicht von mir. Dieses Buch ist praktischer ausgerichtet und fokussiert sich strikt auf die Selbstoptimierung anstatt auf die Erforschung zufälliger Teile des modernen Lebens. Außerdem geht es in diesem Buch wesentlich weniger um Sex als in meinem vorherigen Buch. Jegliche Diskussion über Sex in diesem Buch dreht sich nicht um die sexuellen Vorlieben oder Unsicherheiten von Menschen, Themen, die in meinem vorherigen Buch stark vertreten sind. Die Diskussion über Sex beschränkt sich hier dagegen auf die Frage, ob Sex Menschen glücklich macht (Spoiler: ja).
Doch aus zwei Gründen glaube ich dennoch, dass dieses Buch die natürliche Fortsetzung meines ersten Buches ist.
Erstens ist eine Motivation für dieses Buch, Daten über Themen zu analysieren, welche die Leser wirklich interessieren, und nicht die Themen, von denen sie behaupten, dass sie sie interessieren. Nachdem ich Everybody Lies geschrieben hatte, fragte ich die Leser wie jeder gute Marktforscher, was darin sie besonders bewegt habe. Die meisten sagten mir, dass vor allem die Abschnitte über die größten Probleme der Welt und wie wir sie vielleicht beheben könnten, sie berührt hätten – Abschnitte über Kindesmisshandlung oder Diskriminierung zum Beispiel.
Doch als Autor von Everybody Lies war ich skeptisch gegenüber den Aussagen der Menschen und wollte weitere Daten darüber sehen – vielleicht etwas digitales Wahrheitsserum. Ich betrachtete die am häufigsten unterstrichenen Abschnitte auf Amazon-Kindle-Versionen des Buches. Ich stellte fest, dass die Menschen häufig Passagen unterstrichen hatten, in denen stand, wie sie ihr Leben verbessern konnten, und selten Passagen darüber, wie sie die Welt verbessern konnten. Die Menschen finden Selbsthilfe interessant, schloss ich daraus, ob sie es nun zugeben oder nicht.
Eine breiter angelegte Studie von Amazon-Kindle-Daten kam zu einer ähnlichen Schlussfolgerung. Die Forscher stellten bei einer großen Menge von untersuchten Büchern fest, dass das Wort »Sie« und seine Formen mit zwölfmal höherer Wahrscheinlichkeit bei den meisten unterstrichenen Sätzen vorkam als in anderen Sätzen. Mit anderen Worten: Die Menschen lieben Sätze, in denen das Wort »Sie« vorkommt.16
Deshalb lautet der erste Abschnitt von Warum Sie Ihrem Bauchgefühl weniger trauen sollten auch: »Sie können im Leben bessere Entscheidungen treffen. Und Big Data können Ihnen dabei helfen.«
Das war ein erster Abschnitt auf der Basis von Daten, nicht aus dem Bauch heraus. Er wurde Ihnen in einem Buch präsentiert, das dazu geschrieben wurde, Ihnen zu helfen, damit Sie im Leben mehr von dem bekommen, was Sie wollen. Hat er Ihnen gefallen?
Die Beliebtheit von Büchern, die ihren Lesern Hilfe anbieten, wird ebenfalls durch einen Blick auf die beliebtesten Bücher der Geschichte bestätigt. Ich habe die größten Bestseller aller Zeiten untersucht.17 Selbsthilfe-Bücher machen die größte Kategorie der Sachbuch-Bestseller aus (etwa 42 Prozent der beliebtesten Sachbücher aller Zeiten sind Selbsthilfe-Bücher). Die nächstgrößte Kategorie sind die Memoiren von Prominenten (28 Prozent). Und die dritte sind Sex-Studien (8 Prozent).
Was ich damit sagen will, ist, dass ich, indem ich den Daten folge, zuerst dieses Selbsthilfe-Buch schreiben werde. Dann schreibe ich Sex: Die Daten. Dann hoffe ich, dass mich das berühmt genug machen wird, um das nächste Buch zu schreiben: Seth: Die Memoiren des Autors, der berühmt wurde, indem er den Daten darüber folgte, welche Bücher sich verkaufen.
Die zweite Verbindung zwischen Everybody Lies und Warum Sie Ihrem Bauchgefühl weniger trauen sollten ist, dass dieses Buch ebenfalls davon handelt, dass man Daten nutzt, um die Geheimnisse des modernen Lebens aufzudecken. Einer der Gründe, aus denen die Daten so hilfreich sind, um bessere Entscheidungen zu treffen, ist der, dass uns grundlegende Fakten über die Welt verborgen sind. Es gibt Geheimnisse darüber, wer bekommt, was er im Leben will, die von Big Data offengelegt werden.
Nehmen wir einmal folgendes Geheimnis: Wer ist reich? Dies zu wissen, würde jeder Person, die mehr verdienen möchte, ganz klar helfen. Aber das herauszufinden ist schwierig, weil viele reiche Leute nicht wollen, dass andere wissen, dass sie reich sind.
Eine Studie, die vor Kurzem durchgeführt wurde, nutzte erst kürzlich digitalisierte Steuerdaten, um die bei Weitem verständlichste Untersuchung über reiche Menschen zu erstellen.18 Die Forscher stellten fest, dass der typische reiche Amerikaner nicht der Technologie-Tycoon ist, der Unternehmer-Bonze oder etwas in der Art, was man natürlich erwartet hätte. Der typische reiche Amerikaner ist – mit den Worten der Autoren – der Inhaber eines »regionalen Unternehmens« wie »ein Autohändler oder Inhaber eines Getränkemarkts«. Wer hätte das gedacht?!? In Kapitel 4 werden wir darüber sprechen, warum das so ist – und was es für die Berufswahl bedeutet.
Die Medien belügen uns ebenfalls – oder geben uns zumindest einen irreführenden Eindruck davon, wie die Welt funktioniert, indem sie nur bestimmte Geschichten auswählen, die sie uns erzählen. Nutzt man Daten, um diese Lügen richtigzustellen, führt das oft zu Informationen, die beim Treffen von Entscheidungen hilfreich sind.
Ein Beispiel: Alter und Erfolg als Unternehmer*innen. Die Daten haben aufgedeckt, dass die Medien uns eine verzerrte Sicht auf das Alter des typischen Unternehmers und der typischen Unternehmerin vermitteln. Eine kürzlich durchgeführte Studie stellte fest, dass das mittlere Alter von Unternehmer*innen, die in Wirtschaftsmagazinen erwähnt werden, 27 ist.19 Die Medien erzählen uns gern die sexy Story vom Wunderkind, das ein großes Unternehmen gründete.
Aber wie alt ist der typische Unternehmer heute wirklich? In einer kürzlich durchgeführten Studie in der gesamten Unternehmerwelt wurde festgestellt, dass der durchschnittliche erfolgreiche Unternehmer 42 Jahre alt ist.20 Und die Wahrscheinlichkeit, ein erfolgreiches Unternehmen zu gründen, steigt bis zum Alter von 60 immer weiter an. Außerdem gilt der Vorteil des höheren Alters bei Unternehmer*innen sogar im Technologiebereich, ein Feld, von dem die meisten glauben, dass man hier jung sein müsse, um die neuen Tools zu beherrschen.21
Sicher ist die Information, dass ein höheres Alter ein Vorteil in allen Bereichen des Unternehmertums ist, eine nützliche Information für jemanden, die oder der im mittleren Alter ist und denkt, sie oder er habe die Chance, ein Unternehmen zu gründen, verpasst. In Kapitel 5 werden wir einige Mythen darüber ausräumen, wie man als Unternehmer Erfolg hat, und aus den Daten eine belastbare Formel herleiten, die die Chancen eines jeden Menschen maximieren kann, ein erfolgreiches Unternehmen zu gründen.
Wenn Sie die Daten darüber kennen, wie die Welt wirklich funktioniert – und die Lügen der anderen Menschen und der Medien ausklammern –, sind Sie gut gerüstet, um bessere Entscheidungen für Ihr Leben zu treffen.
Im letzten Kapitel von Homo Deus schreibt Yuval Noah Harari, dass wir im Moment eine »umfassende religiöse Revolution erleben, wie man sie seit dem 18. Jahrhundert nicht gesehen hat«. Die neue Religion, so sagt Harari, sei der Dataismus, oder der Glaube an die Daten.
Wie sind wir dahin gekommen?
Während des größten Teils der Geschichte der Menschheit schrieben die gebildetsten Menschen der Welt die höchste Autorität Gott zu. Harari schreibt: »Wenn die Menschen nicht wussten, wen sie heiraten, welchen Beruf sie ergreifen oder ob sie einen Krieg beginnen sollten, lasen sie in der Bibel und folgten ihrem Rat.«
Die humanistische Revolution, die Harari im 18. Jahrhundert verortet, stellte die Weltanschauung infrage, die Gott als Zentrum sah. Gelehrte wie Voltaire, John Locke und mein Lieblingsphilosoph, David Hume, behaupteten, Gott sei ein Produkt der menschlichen Vorstellungskraft, und dass die Regeln der Bibel mangelhaft seien. Da man nun keine äußere Autorität mehr hatte, schlugen die Philosophen vor, dass die Menschen selbst die Führung übernehmen sollten. Große Entscheidungen traf man im Zeitalter des Humanismus, so Harari, indem man »auf sich selbst hörte«, »den Sonnenuntergang betrachtete«, »ein privates Tagebuch führte« oder »vertrauliche Gespräche mit einem guten Freund führte«.22
Die Revolution des Dataismus, die gerade erst begonnen hat, und für die es, wie Harari sagt, Jahrzehnte oder länger dauern könnte, bis sie voll und ganz akzeptiert ist, stellte die humanistische Weltanschauung infrage, die die Gefühle als Zentrum sah. Der quasi-religiöse Status unserer Gefühle wurde von den Bio-Wissenschaften infrage gestellt. Sie entdeckten, dass – mit Hararis Worten – »Organismen Algorithmen sind« und Gefühle nichts als »biochemische Rechenprozesse«.23
Außerdem haben legendäre Verhaltenswissenschaftler wie Amos Tversky und Daniel Kahneman entdeckt, dass unsere Gefühle uns oft in die Irre führen. Das Denken, so erklärten Tversky und Kahneman, steckt voller Verzerrungen.24
Sie glauben, auf Ihr Bauchgefühl könnten Sie sich verlassen? Dem ist nicht so, sagten sie. Wir sind oft zu optimistisch; wir überschätzen den Wert von Geschichten, an die wir uns leicht erinnern können; wir halten uns an Informationen, die zu unseren Überzeugungen passen; wir denken fälschlicherweise, dass wir Ereignisse erklären könnten, die zur Zeit, als sie passierten, nicht vorhersehbar waren; und so weiter.
»Auf sich selbst zu hören« hat sich für die Humanisten vielleicht befreiend und romantisch angehört. Aber »auf sich selbst zu hören« hört sich, offen gesagt, gefährlich an, wenn man die letzte Ausgabe der Psychological Review oder den wunderbaren Wikipedia-Beitrag »Liste kognitiver Verzerrungen« gelesen hat.
Nun endlich bietet uns die Big-Data-Revolution eine Alternative dazu, auf uns selbst zu hören. Während die Intuition – und der Rat unserer Mitmenschen – den Humanisten die einzigen Quellen der Weisheit zu sein schienen, auf die wir in einem gottlosen Universum zurückgreifen konnten, erstellen und analysieren Datenwissenschaftler heute unglaublich große Datensammlungen, die uns von den Verzerrungen unseres eigenen Denkens befreien können.
Weiter mit Harari: »Im 21. Jahrhundert sind die Gefühle nicht mehr die besten Algorithmen der Welt. Wir entwickeln Algorithmen, die diesen überlegen sind und die über nie da gewesene Rechenkapazitäten und riesige Datenmengen verfügen.« Und zum Dataismus: »Wenn man überlegt, wen man heiraten soll, welchen Beruf man ergreifen oder ob man einen Krieg beginnen soll«, liegt die Antwort heute in »Algorithmen, [die] uns besser kennen als wir uns selbst«.
Ich bin nicht so anmaßend, zu behaupten, dass Warum Sie Ihrem Bauchgefühl weniger trauen sollten die Bibel des Dataismus sei oder dass ich versuchen würde, die Zehn Gebote des Dataismus zu schreiben – auch wenn ich es gut fände, wenn Sie die anderen Forscher, deren Werk ich bespreche, als Propheten des Dataismus betrachten würden. (Sie sind wirklich Wegbereiter dieses Formats.)
Ich hoffe aber, dass dieses Buch Ihnen zeigen wird, wie die neue Weltanschauung des Dataismus aussieht, und dass ich Ihnen ein paar Algorithmen an die Hand geben kann, die Ihnen oder einer Freundin nützlich sein könnten, die vor einer großen Entscheidung steht. Warum Sie Ihrem Bauchgefühl weniger trauen sollten ist in neun Kapitel aufgeteilt; jedes davon erforscht, was uns die Daten über einen wichtigen Lebensbereich sagen können. Und das erste Kapitel wird sich mit der vielleicht wichtigsten Entscheidung im Leben befassen, der Entscheidung, die Harari als Erstes aufführt als eine, die durch den Dataismus transformiert werden könnte.
Nun, liebe Dataisten und potenzielle Konvertit*innen zum Dataismus: Kann ein Algorithmus Ihnen dabei helfen, zu entscheiden, »wen Sie heiraten sollen«?
Wen sollte man heiraten?
Dies ist vielleicht die Frage im Leben eines Menschen, die die meisten Konsequenzen nach sich zieht. Der Milliardär und Investor Warren Buffett glaubt das jedenfalls. Er nennt die Entscheidung, wen man heiratet, »die wichtigste Entscheidung, die man je trifft«.25
Und doch wandten sich die Menschen bisher nur selten an die Wissenschaft, um sich für diese alles entscheidende Frage Hilfe zu holen. Und man muss zugeben: Die Wissenschaft hatte bisher auch nur wenig Hilfe anzubieten.
Die Erforscher von Beziehungen versuchten, Antworten zu finden. Doch es erwies sich als schwierig und teuer, große Datenmengen von Paaren zu sammeln. Die Studien auf diesem Gebiet neigten dazu, sich auf sehr kleine Stichproben zu stützen, und die Ergebnisse verschiedener Studien widersprachen einander oft. Im Jahr 2007 verglich der angesehene Wissenschaftler Harry Reis von der Universität Rochester das Gebiet der Beziehungsforschung mit einem pubertierenden Jugendlichen: »ausufernd, manchmal schwer zu kontrollieren und vielleicht mysteriöser, als wir uns das wünschen würden«.26
Doch vor ein paar Jahren nahm sich die junge, energische, überaus neugierige und brillante kanadische Forscherin Samantha Joel vor, das zu ändern. Joel interessierte sich, wie so viele in ihrem Bereich, dafür, was die Indikatoren für erfolgreiche Beziehungen sind. Aber ihr Ansatz war deutlich anders als der der anderen. Joel stellte nicht nur wieder eine kleine Stichprobe von Paaren zusammen, sondern sie führte die Daten aus anderen, bereits existierenden Studien zusammen. Joel überlegte sich: Wenn sie die Daten aus den bestehenden kleinen Studien verschmelzen könnte, bekäme sie eine große Datensammlung – und hätte genügend Daten, um zuverlässig herauszufinden, welche Indikatoren zu einer erfolgreichen Beziehung führen und welche nicht.
Joels Plan funktionierte. Sie nahm jeden Professor und jede Professorin mit ins Boot, die sie finden konnte, die Daten über Beziehungen gesammelt hatten – am Ende hatte ihr Team 85 weitere Wissenschaftler für sich gewonnen –, und war nun in der Lage, eine Datensammlung27 über 11 196 Paare zu erstellen.[2]
Die Größe der Datensammlung war beeindruckend. Und beeindruckend waren auch die Informationen, die sie enthielt.
Für jedes Paar hatten Joel und ihr Team Angaben darüber, wie glücklich jeder der Partner laut eigener Angabe in der Partnerschaft war. Und sie hatten Daten über praktisch alles, was man über die beiden Menschen in der Beziehung messen konnte.
Die Forscher*innen hatten Daten über:
demografische Angaben (zum Beispiel Alter, Bildungsgrad, Einkommen, Hautfarbe),
physisches Erscheinungsbild (zum Beispiel wie attraktiv andere jeden der Partner einstuften),
sexuelle Vorlieben (zum Beispiel wie oft jeder der Partner Sex wollte; wie eigenartig oder andersartig für den jeweiligen Partner der Sex sein sollte),
Interessen und Hobbys,
geistige und physische Gesundheit,
Werte (zum Beispiel politische Ansichten, Werte in der Beziehung oder bei der Kindererziehung),
und vieles mehr.28
Außerdem verfügten Joel und ihr Team nicht nur über mehr Daten als andere in dem Bereich. Sie hatten auch bessere statistische Methoden. Joel und ein paar andere Forscher beherrschten das Maschinenlernen, ein Teilgebiet der künstlichen Intelligenz, das zeitgenössischen Forschern ermöglicht, feine Muster in großen Datenmengen aufzuspüren. Man könnte Joels Projekt das »KI-Heiratsprojekt« nennen, denn es war eine der ersten Studien, die diese neuesten Techniken nutzten, um Vorhersagen über eine glückliche Beziehung zu treffen.
Wenn Sie Ratespiele mögen, können Sie jetzt versuchen, die Ergebnisse zu erraten. Was sind Ihrer Meinung nach die besten Indikatoren für den Erfolg einer Beziehung? Sind gemeinsame Interessen wichtiger als gemeinsame Werte? Wie wichtig ist die sexuelle Kompatibilität auf lange Sicht? Macht es glücklicher, wenn man aus ähnlichen Verhältnissen kommt?
Nachdem sie ihr Team zusammengestellt und die Daten gesammelt und analysiert hatte, war Joel bereit, die Ergebnisse zu präsentieren – die Ergebnisse des wohl aufregendsten Projekts in der Geschichte der Beziehungsforschung.
Joel setzte im Oktober 2019 einen Vortrag an der Universität Waterloo in Kanada an, mit dem aussagekräftigen Titel: »Können wir Menschen dabei helfen, sich bessere Partner auszusuchen?«29
Und, kann Samantha Joel Menschen nun helfen, sich bessere Partner auszusuchen, indem sie sich mit 85 von den anerkanntesten Wissenschaftlern der Welt zusammentat, die Daten aus 43 Studien zusammenführte, Hunderte von Variablen ausmachte, die von über 10 000 Paaren erhoben wurden, und indem sie die allerneuesten Methoden des Maschinenlernens anwandte?
Nein.
Die erste große Lehre aus den Daten – und die überraschendste –, so erzählte mir Samantha in einem Zoom-Interview30, ist, »wie unvorhersehbar Beziehungen offenbar sind«. Joel und ihre Co-Autor*innen stellten fest, dass die demografischen Daten, Vorlieben und Werte zweier Menschen überraschend wenig Einfluss darauf hatten, ob diese beiden Menschen in einer Liebesbeziehung glücklich waren.
Und da haben wir es jetzt, Leute: Künstliche Intelligenz kann heutzutage:
die begabtesten Menschen der Welt im Schach und Go schlagen;
nur aufgrund der Chats im Internet fünf Tage im Voraus zuverlässig soziale Unruhen vorhersagen;31 und
Menschen aufgrund des Geruchs, den sie verströmen, über eine beginnende Krankheit informieren, wie Parkinson.32
Aber wenn die KI herausfinden soll, ob sich zwei Menschen ein glückliches gemeinsames Leben aufbauen können, ist sie genauso ratlos wie wir.
***
Nun ja – das sieht ja nicht gerade gut aus und ist ein ziemlich übler Anfang für ein Kapitel in meinem Buch mit der kühnen These, dass die Datenwissenschaft die Art, wie wir Lebensentscheidungen treffen, revolutionieren kann. Hat die Datenwissenschaft uns wirklich nichts zu bieten, wenn es darum geht, einen Partner zu finden, was vielleicht die wichtigste Entscheidung ist, die wir im Leben treffen müssen?
Nicht so ganz. In Wahrheit gibt es wichtige Lehren aus dem Projekt des Maschinenlernens von Joel und ihren Co-Autor*innen, auch wenn die Fähigkeit der Computer, eine erfolgreiche Beziehung vorherzusagen, geringer ist, als viele von uns vermutet hätten.
Vor allem stellten Joel und ihr Team fest, dass sämtliche Variablen, die sie gesammelt hatten, um Vorhersagen über das Glück eines Paares zu erstellen, erstaunlich wenig Wirkung hatten. Doch sie fanden sehr wohl einige wenige Variablen bei Partnern, die zumindest die Chancen leicht erhöhten, dass man mit ihm oder ihr glücklich wird. Die überraschende Schwierigkeit, das Liebesglück eines Paares vorherzusagen, hat zur Folge, dass es oft kontraintuitiv ist, wie wir uns den Partner oder die Partnerin aussuchen sollten.
Überlegen Sie sich das einmal. Viele Menschen glauben sicherlich, dass viele der Variablen, die Joel und ihr Team untersuchten, bei der Auswahl des Partners wichtig sind. Sie stürzen sich wie wild in den Wettbewerb um Partner mit bestimmten Eigenschaften, in der Annahme, dass diese Eigenschaften sie glücklich machen werden. Wenn aber, wie Joel und ihre Mitverfasser*innen festgestellt haben, im Durchschnitt viele dieser Eigenschaften, die auf dem Partnermarkt am härtesten umkämpft sind, nicht mit dem Glück in der Liebe korrelieren, legt das nahe, dass viele Menschen sich um den falschen Partner bemühen.
Das bringt uns zu einer anderen uralten Frage, die ebenfalls in letzter Zeit mit revolutionären neuen Daten angegangen wurde: Wie suchen sich Menschen ihren Partner aus?