Was befürchtet Israel von Palästina? - Raja Shehadeh - E-Book

Was befürchtet Israel von Palästina? E-Book

Raja Shehadeh

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Beschreibung

Eine erschütternde Reflexion über das Versagen der Konfliktparteien im Nahost-Konflikt, einander als Gleichberechtigte zu behandeln, als Partner auf dem Weg zum Frieden, anstatt als Feinde und Völkermörder. Nach der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 kam es zur Nakba (arab. "Katastrophe"): die Vertreibung des palästinensischen Volkes, die Bruchlinien schuf, welche bis heute fortbestehen. In den folgenden Jahrzehnten, während die Berliner Mauer fiel und Südafrika die Apartheid abschaffte, lehnten die israelische Regierung und die PLO jede Gelegenheit zur Aussöhnung ab. Raja Shehadeh, Menschenrechtsanwalt und Palästinas größter lebender Schriftsteller, zeigt auf, dass dies trotzdem nicht bedeutet, dass die beiden Nationen nicht als Partner auf dem Weg zum Frieden zusammenarbeiten können. Im Gegenteil: Wenn dieser gewaltsam ausgetragene Konflikt enden soll, müssen beide Seiten gegen ihre Extremisten kämpfen. In seinem beobachtenden Stil öffnet dieses Werk eine neue Perspektive in einer Zeit großer Not.

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Seitenzahl: 92

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Ebook Edition

Inhalt

Cover

Wie sind wir überhaupt an diesen Punkt gekommen?

Der Krieg in Gaza

Anmerkungen

Wie sind wir überhaupt an diesen Punkt gekommen?

Der Krieg in Gaza

Orientierungspunkte

Cover

Inhaltsverzeichnis

Raja Shehadeh

Was befürchtet Israel von Palästina?

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN: 978-3-98791-054-8

© Westend Verlag GmbH, Waldstr. 12 a, 63263 Neu-Isenburg

Titel der Originalausgabe: What does Israel fear from Palestine?

© Raja Shehadeh, 2024, first published in Great Britain in 2024 by Profile Books Ltd.

This essay is based on a lecture given at SOAS, University of London, and Ritsumeikan University, Japan, in 2016, and has been revised and extended in 2024.

Übersetzung & Lektorat: Emil Fadel

Umschlaggestaltung: Buchgut Berlin

Satz: Publikations Atelier, Weiterstadt

Teil Eins

Wie sind wir überhaupt an diesen Punkt gekommen?

Die späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre waren eine Zeit der Hoffnung. Der Kalte Krieg schien vorbei zu sein. Im Sommer 1987 sang David Bowie an der Berliner Mauer, und es war, als ob er damit den Weg für das vorbereitete, was zwei Jahre später dort geschehen sollte, als der Sprecher der Kommunistischen Partei Ost-Berlins am 9. November 1989 eine Änderung der Beziehungen der Stadt zum Westen ankündigte. Ab Mitternacht konnten die Bürger der DDR die Grenzen frei überschreiten. Die Mauer war gefallen.

In Südafrika vollzog sich in derselben Zeit eine ähnlich positive Wende, die in den Wahlen vom 27. April 1994 gipfelte, bei denen alle Südafrikaner – unabhängig von ihrer Hautfarbe oder Herkunft – wählen durften. Als Südafrika das Bevölkerungsregistrierungsgesetz aufhob, das weiten Teilen der Bevölkerung aufgrund ihrer Rasse ihre Rechte abgesprochen hatte, wurde das Apartheidsystem effektiv beendet.

Die erste Frage, die ich hier stellen möchte, lautet: Warum haben solche hoffnungsverheißenden Ereignisse, die zur Beseitigung langjähriger Ungerechtigkeiten führten, die israelische Regierung nicht dazu bewogen, die Besetzung der palästinensischen Gebiete zu beenden und einen dauerhaften Frieden zwischen Palästinensern und Israelis herbeizuführen? Damit hängen zwei weitere Fragen zusammen: Erstens, warum hat sich die Welt nicht mit aller Kraft dafür eingesetzt, dass dies geschieht? Und zweitens, welche Rolle könnte der Gaza-Krieg mit seinem schrecklichen menschlichen Tribut für den Beginn einer globalen Veränderung spielen?

Es gibt auf diese Fragen natürlich keine einfachen Antworten, aber ich möchte in diesem Buch zumindest einige neue Wege vorschlagen, über diese Probleme nachzudenken. Wenn ich in der Vergangenheit meine (eher links orientierten) israelischen Freunde fragte, warum das Ende der Apartheid in Südafrika keine Inspiration für die Israelis sei, erhielt ich zwei unterschiedliche Antworten: Die erste war, dass die Weißen in Südafrika verloren haben, die Israelis aber nicht. Diese Denkweise beunruhigte mich, denn sie setzte das Ende der weißen Vorherrschaft mit einer Niederlage für die weiße Bevölkerung gleich. Meine Freunde konnten – oder wollten – offenbar nicht erkennen, dass es in Wirklichkeit ein Sieg für beide Seiten war. Die zweite, überzeugendere Antwort lautete, dass die Israelis ihre Situation in keiner Weise mit der Apartheid vergleichen würden und daher nicht der Meinung seien, dass sie eine ähnliche Lösung benötigten. Einige Leser fragen sich vielleicht, warum ich ihnen diese Fragen stellte, wenn die Antwort doch offensichtlich war. Die Welt unternahm 1991 mit der Einberufung der Internationalen Friedenskonferenz in Madrid einen Versuch, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Und diese Bemühungen endeten schließlich 1993 mit der Unterzeichnung des Osloer Abkommens, das mit dem berühmten Händedruck zwischen dem israelischen Premierminister Jitzchak Rabin und dem PLO-Vorsitzenden Yasser Arafat auf dem Rasen des Weißen Hauses gefeiert wurde, der wiederholt auf den Fernsehbildschirmen in aller Welt zu sehen war.

Doch bevor ich näher darauf eingehe, warum ich glaube, dass diese Ereignisse nur illusorische Hoffnungen weckten, möchte ich auf die zweite Antwort meiner israelischen Freunde zurückkommen, um das Versäumnis zu erklären, eine Verbindung zwischen dem Apartheidregime in Südafrika und der Situation in Israel/Palästina herzustellen. Um den Unterschied zwischen der Sichtweise der Israelis und der der Palästinenser auf die Geschichte ihres Staates zu verstehen, müssen wir zu den prägenden Ereignissen von 1948 – dem Jahr der Gründung des Staates Israel – zurückgehen und über die »Nakba« (arab. »Katastrophe«) nachdenken, wie die Palästinenser die Ereignisse von damals nennen. In Israel hingegen spricht man in diesem Zusammenhang vom »Unabhängigkeitskrieg«. Das ist seltsam, denn es suggeriert, dass Israel seine Unabhängigkeit von den Briten erlangt hat. Es war jedoch Großbritannien selbst, das in der Balfour-Erklärung von 1917 (also inzwischen vor mehr als einem Jahrhundert) den Juden das Land mit seiner mehrheitlich palästinensischen Bevölkerung versprach. In der Erklärung hieß es: »Die Regierung Seiner Majestät betrachtet die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina mit Wohlwollen […].« Und es waren auch die Briten, die während des britischen Mandats über Palästina von 1922 bis 1948 darauf hinwirkten, die Gründung eines jüdischen Staates dort gemäß den Bedingungen dieses Mandats zu ermöglichen. Ich würde vermuten, dass der wahre Grund für diese Namensgebung darin liegt, dass die damalige israelische Führung bestrebt war, sich innerhalb der Gruppe der dekolonisierten Nationen zu positionieren.

Das neue Land ging unverzüglich dazu über, die Geschichte so neu zu erfinden, dass die Anwesenheit der ursprünglichen nichtjüdischen Bewohner nicht anerkannt wurde, indem es nicht nur die meisten von ihnen vertrieb, sondern auch jedes Zeichen ihrer früheren Anwesenheit und Geschichte in dem Land beseitigte. Um dies zu bewerkstelligen, behandelte Israel das Alte Testament als historisches Dokument und nutzte es, um die Behauptung zu untermauern, das Land gehöre den Juden seit jeher, da es ihnen vom Allmächtigen versprochen worden sei. Mit anderen Worten: 1948 wurde die gesamte Geschichte Palästinas neu geschrieben: Dies war das Jahr null. Die Städte und Dörfer, aus denen die Palästinenser vertrieben worden waren, wurden rasch abgerissen, und es wurde eine weltweite Spendenkampagne angestrengt, um Gelder für die Anlegung von Wäldern zu sammeln, wo diese Dörfer einst gestanden hatten, um damit ihre frühere Existenz völlig zu verbergen. In einigen Fällen wurden neue israelische Städte und Kibbuzim direkt auf den Ruinen errichtet und mit hebräischen Namen versehen. Das Nationale Namensgebungskomitee war ein von der israelischen Regierung eingesetztes öffentliches Gremium, das die bis 1948 bestehenden arabischen Namen durch hebräische ersetzte, obwohl Spuren der arabischen Namen den Prozess verfolgten. So leitet sich der Name des berühmten Ramon-Kraters im Negev nicht, wie in israelischen Reiseführern behauptet, von dem hebräischen Adjektiv »ram«(»erhöht«) ab, sondern vom arabischen »Wadi Rumman« (»Tal der Granatäpfel«), und »Nahal Roded« hieß früher »Wadi Raddadi«.1

Eine neue Geografie war im Entstehen, die das Land, in dem einst Palästinenser gelebt hatten, veränderte. Für die israelischen Juden gab es viel zu bewältigen, und es wurde viel Energie darauf verwendet, eine neue, israelisch-jüdische Nation in einem Land aufzubauen, das zu einem großen Teil von einem anderen Volk, den palästinensischen Arabern, bewohnt gewesen war. Doch während dies für die eine Seite eine herausfordernde Aufgabe war, war es für die andere Seite eine Zeit der Entwurzelung. Mehr als 700 000 Palästinenser, die während und nach dem Krieg von 1948 vertrieben wurden, mussten sich nach dem Verlust ihres Landes, ihres Eigentums und ihrer gesamten Lebensweise, irgendwie durchschlagen. Für die palästinensische Minderheit, die es schaffte, in ihren Dörfern und Städten zu bleiben, war es eine ebenso verwirrende Zeit – vor allem, als sie gezwungen waren, den Unabhängigkeitstag Israels zu feiern, das sich soeben ihres Landes bemächtigt hatte. Der Dramatiker Salim Dau beschreibt in seinem Stück Sag Salem mit einiger Süffisanz, wie den Palästinensern in Israel in der Schule derselbe Mythos beigebracht wurde, mit dem ganze Generationen israelischer Jugendlicher aufgewachsen sind, nämlich, dass die israelischen Juden ihre Unabhängigkeit von den Briten erkämpft und gewonnen haben. Damit werden nicht nur die palästinensischen Araber verleugnet (denen das Land entrissen werden musste), sondern auch die Geschichte verfälscht, indem der britische Beitrag zur Gründung Israels nicht gewürdigt wird, vor allem durch die bereits erwähnte Balfour-Erklärung von 1917 und die Bedingungen des britischen Mandats in Palästina selbst. Darüber hinaus wird Israel auf recht merkwürdige Weise in die Familie der Nationen eingeordnet, die den Imperialismus überwunden und ihre Unabhängigkeit von den Kolonialherren gesichert haben. Salim Dau und seine palästinensischen Nachbarn wussten, dass man als Bürger des neuen Staates dessen Unabhängigkeitstag feiern musste, da man sonst direkt mit Misstrauen betrachtet wurde. Was sollte der junge Salim davon halten, wenn seine Dorfgenossen nicht in ihre Heimatorte zurückkehren durften und als »Infiltratoren« bezeichnet wurden, wenn sie es doch versuchten – so, als ob die Rückkehr in den Ort, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatten, ein Akt der Sabotage wäre. Und wie seltsam muss es für diejenigen gewesen sein, die gerade alles verloren hatten, ihren Stolz herunterzuschlucken und den Unabhängigkeitstag jenes Landes feiern zu müssen, das die Nakba verursacht hatte?

Bei einer Aufführung seines Stücks im Kulturpalast von Ramallah im Sommer 2013 bot Salim uns eine andere Sichtweise, nämlich die, dass er und seine Freunde sich nur am israelischen Unabhängigkeitstag frei fühlten, wenn sie von der Arbeit freigestellt waren. Die Frauen bereiteten das Essen vor, und dann drängten sich alle in die Autos – an diesem Tag wurden keine Strafzettel ausgestellt – und fuhren zu einem Picknick los, wobei sie laut jubelten und sangen, immer dann, wenn sie sich einem Polizeiauto näherten. Sie erreichten den See Genezareth im Norden Israels früh, breiteten ihre Teppiche in der Nähe des Wassers aus und entfachten ihre Grillfeuer, während sie sangen und tanzten. Er beschrieb es so:

»Jedes Jahr starben ein paar Leute beim Schwimmen. Warum eigentlich nicht? Wir Araber ertrinken in ihrer Unabhängigkeit. Am Abend waren wir dann traurig und deprimiert, weil wir nach Hause zurückkehren mussten. Hier endet unsere Freiheit … damit die Freiheit der anderen, die Demokratie, beginnen kann.«