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Eine schicksalhafte Begegnung
Auch wenn Elspeth Argeneau bereits über 142 Vampirjahre hinter sich gebracht hat - viel gelebt hat sie noch nicht! Aber jetzt hat sie die Zügel in die eigenen Hände genommen, ist bei ihrer Mutter ausgezogen und macht Jagd auf abtrünnige Vampire. Doch immer wieder wird sie in seltsame Unfälle verwickelt. Zum Glück springt Wyatt - Enkel ihrer Vermieterin und Elitesoldat - als Elspeths Bodyguard ein, um die Frau zu retten, die für ihn die Ewigkeit bedeuten soll ...
Sands‘ Charaktere sind witzig und vielschichtig ... Respekt an die Autorin!" ROMANTIC TIMES
Band 27 der Argeneaus
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Seitenzahl: 537
LYNSAY SANDS
Was der Vampir begehrt
Roman
Ins Deutsche übertragen von Ralph Sander
Elisabeth Pimms ist Vampirin, 142 Jahre alt – und steht unter der Fuchtel ihrer Mutter Martine. Das Einzige, sich Elspeth sich je gewünscht hat, ist ein normales Leben. Doch all ihre Träume wurden immer und immer wieder zerschlagen, denn Martines Fürsorge kann man nur schwer entkommen. Jeder Ausbruch endete stets damit, dass Elspeth nach Hause zurückkehrte in die Fänge ihrer Mutter – ob sie wollte oder nicht. Doch jetzt hat die junge Vampirin endgültig die Nase voll von Reglementierungen und Vorschriften. Elspeth hat die Zügel in die Hand genommen und sich nach Kanada abgesetzt, um einen Neustart anzugehen. Tagsüber hilft sie nun ihrer süßen älteren Vermieterin aus, während sie des Nachts auf die Jagd nach abtrünnigen Vampiren geht. Ein Leben voll Freiheit und Abenteuer … bis sechs Wochen später Martine vor Elspeths Tür steht. Wie gern würde Elspeth jetzt beweisen, dass sie hervorragend allein klarkommt. Allerdings ist das Dasein einer Jägerin nicht ungefährlich, und sie wird immer wieder in seltsame Unfälle verwickelt. Offenbar trachtet ihr jemand nach dem Leben. Und das ausgerechnet jetzt! Zum Glück springt Wyatt – Enkel ihrer Vermieterin und Elitesoldat – als Elspeths Bodyguard ein. Zwischen beiden sprühen gewaltig die Funken. Jede Berührung scheint pure Magie – und Wyatt muss alles daransetzen, Elspeths brandgefährlichen Verfolger auszuschalten, ehe die Frau seiner Träume ihr Leben verliert …
Elspeth stolperte in ihr Apartment, drückte die Tür hinter sich zu und sank erleichtert gegen selbige. Normalerweise machte es ihr nichts aus, dass sie im ersten Stock wohnte, und die steile, schmale Treppe, die dort hinaufführte, stellte ebenso wenig ein Hindernis dar. Aber der heutige Tag war kein normaler Tag. Heute war diese Treppe mörderisch gewesen. Der Schmerz bei jeder einzelnen Stufe hatte bewirkt, dass sie schweißgebadet und am ganzen Leib vor Schwäche zitternd oben angekommen war.
Da sie jetzt nichts anderes wollte, als sich in ihr Bett fallen zu lassen, stieß sie sich von der Tür ab und ging leicht wankend durch den Flur. Schlüsselbund und Handtasche ließ sie auf dem Beistelltisch an der Tür zurück, die Jacke warf sie beim Durchqueren des Wohnzimmers auf die Couch. Im Apartment war alles dunkel und ruhig, lediglich das leise Schlurfen ihrer Schritte war zu hören, als sie auf dem Parkettboden in Richtung Schlafzimmer ging. Dort angekommen zog sie weder ihre Kleidung noch die Stiefel aus, sondern schleppte sich bis an die Bettkante und ließ sich am Fußende quer auf die Matratze fallen. Erschrocken schrie sie auf, als ihr Gesicht schmerzhaft auf etwas aufschlug, das viel härter und klobiger war, als ihre Schaummatratze hätte sein sollen. Als ein ähnlicher Schrei von irgendwoher ertönte und sich dann auch noch das Bett unter ihr bewegte, rollte Elspeth sich instinktiv zur Seite.
Dabei fiel sie vom Bett und landete so unglücklich auf dem harten Fußboden, dass ein brutaler Schmerz durch ihren Körper fuhr und sie die Augen schließen musste. Sie nahm verschiedene Geräusche um sich herum wahr – das Rascheln auf dem Bett, die leisen Schritte im Flur. Allerdings hatte sie genug damit zu tun, tief und gleichmäßig durchzuatmen, um die Schmerzen in den Griff zu bekommen, dass sie sich nicht noch die Mühe machte, nach links und rechts zu sehen, bis sie auf einmal eine Frauenstimme hörte: »Was um alles in der Welt ist denn hier los? Elspeth? Was machst du auf dem Fußboden?«
Elspeth zwang sich dazu, die Augen aufzumachen. Das Zimmer war jetzt hell erleuchtet, und in der Tür zum Flur stand Martine Argeneau Pimms. Die große blonde Frau trug ein langes rotes Satinnachthemd und sah Elspeth an, als sei sie diejenige, die in diesem Apartment nichts zu suchen hatte.
»Mutter?«, fragte Elspeth verwundert. »Was machst du hier?«
»Deine Schwestern und ich hatten beschlossen, dir einen Überraschungsbesuch abzustatten.« Dabei deutete sie auf das Bett, und als Elspeth sich umdrehte, entdeckte sie die Zwillinge Julianna und Victoria. Beide knieten am Fußende ihres Betts und trugen die gleichen pinkfarbenen Babydolls, die nicht einmal ansatzweise ihre üppigen Kurven verdeckten. Sie sahen aus wie zwei Pornostars, die unter dem Künstlernamen Boobsy Twins arbeiteten und gerade auf den Pizzaboten warteten, weil sie nicht nur die Pizza vernaschen wollten.
»Überraschung«, riefen sie beide, wobei ihre fehlende Begeisterung nicht zu überhören war.
Frustriert ließ sie den Kopf hängen. »Wie seid ihr reingekommen?«
»Mithilfe deines Vermieters. Er hat uns aufgeschlossen«, meinte Martine beiläufig.
Elspeth hob abrupt den Kopf, Beunruhigung verdrängte augenblicklich die eben noch verspürte Erschöpfung. Ihr Vermieter war eine reizende ältere Dame namens Meredith MacKay. »Er hat euch aufgeschlossen?«
»Ja, und er ist so süß«, antwortete Julianna.
Victoria nickte bestätigend. »Total süß.«
»Kinder«, knurrte Martine gereizt. »Hört auf mit dem Unsinn. Die Sonne geht bald auf und … wo willst du hin?«, unterbrach sie sich, als Elspeth auf einmal aufsprang und an ihr vorbeilief.
Elspeth erwiderte nichts, allein schon aus dem Grund, weil sie sonst nicht länger die Lippen hätte zusammenpressen können, wozu sie jedoch gezwungen war, wenn sie verhindern wollte, dass irgendjemand ihr schmerzgeplagtes Ächzen und Stöhnen hörte. Sie schnappte sich ihren Schlüsselbund und eilte nach draußen in den Flur. Treppab zu gehen, fiel ihr mit dem verletzten Bein und dem schmerzenden Rücken deutlich leichter als der Weg nach oben. Dennoch zitterte sie vor Anstrengung, als sie endlich vor der Tür ihrer Vermieterin stand. Sie klopfte an und durchsuchte den Bund nach dem Ersatzschlüssel für Merediths Apartment.
»Elspeth Pimms! Was machst du da?«, zischte ihre Mutter ihr zu, während sie ihr die Treppe nach unten folgte.
»Es ist alles in Ordnung, Mutter. Geh wieder nach oben«, flüsterte sie ihr zu.
»Nein, du kommst jetzt her. Ich will mit dir reden. Wieso kommst du erst so spät nach Hause? Und wieso gehorchst du mir nicht? Du …« Der Rest ihrer Worte verlor sich, als Elspeth endlich den richtigen Schlüssel fand und leise die Tür zur Wohnung ihrer Vermieterin aufschloss.
Sie drückte die Tür auf, wäre dabei aber um ein Haar mit einem großen, kräftigen Mann zusammengestoßen, der mitten im Weg stand. Der blonde Riese war anscheinend durch ihr Klopfen aus dem Schlaf gerissen worden, denn seine kurzen Haare standen in alle Richtungen ab. Seine babyblauen Augen starrten ihr aus seinem an eine Statue erinnernden Gesicht entgegen. Hinzu kam, dass er zwar seine Jeans trug und den Reißverschluss hochgezogen, den Knopf aber nicht zugemacht hatte. Ein Hemd trug er auch nicht, sodass seine breite, muskulöse Brust und … verdammt, was roch er gut, ging es Elspeth durch den Kopf, während sie seinen Oberkörper musterte und sein intensives, würziges Aroma inhalierte. Von irgendwoher kannte sie diesen Geruch.
»El? Wie …? Was machst du denn hier?«
Diese in verwundertem Tonfall ausgesprochene Frage lenkte Elspeths Aufmerksamkeit von der Brust des Mannes zu seinem attraktiven Gesicht. Sie stutzte, als sie am Mienenspiel ihres Gegenübers Wiedererkennen und Ratlosigkeit ablas. »Wer sind Sie? Und was machen Sie in Merrys Apartment?«
Aus einem unerfindlichen Grund ließen ihre Fragen den Mann ein wenig zurückzucken, als hätte er mit allen möglichen Reaktionen gerechnet, nur nicht mit dieser. Ehe sie jedoch länger darüber nachdenken konnte, ertönte eine Stimme hinter dem Mann: »Guten Morgen, meine liebe Ellie. Perfektes Timing, so wie immer. Der Wasserkessel hat eben angefangen zu pfeifen.«
Elspeth beugte sich zur Seite, damit sie um den großen Mann herum in Richtung Küche sehen konnte. Dort stand die weißhaarige Frau in der Tür, was Elspeth mit einem erleichterten Lächeln zur Kenntnis nahm. Als ihr auffiel, wie fit und gesund die Frau aussah, konnte sie sich nur wundern. »Guten Morgen, Merry. Alles in Ordnung?«
»Oh ja, es ist alles wunderbar.« Merry verzog den Mund zu einem breiten Lächeln. Fältchen bildeten sich rund um ihre Augen, deren funkelndes Blau auffallend den Augen des jungen Mannes entsprach, der im Weg stand. »Der junge Herr da ist mein Enkel Wyatt MacKay. Er ist zu Besuch gekommen … völlig überraschend«, fügte sie in staubtrockenem Tonfall hinzu.
Elspeth zog die Augenbrauen hoch, dann verstand sie und ließ ihr Mitgefühl erkennen. Merediths Sohn arbeitete für eine große Versicherung. Angefangen hatte er hier in Toronto, aber vor zwanzig Jahren war ihm eine Beförderung angeboten worden, die mit einem Umzug nach British Columbia verbunden war. Obwohl es für ihn bedeutet hatte, seine Freunde und den Rest seiner Familie zurückzulassen, war er mit seiner Frau und dem damals kleinen Wyatt weggezogen – und aus dem kleinen Wyatt war der große, attraktive Wyatt vor ihr geworden. Deshalb kannte er auch ihren Namen. Zweifellos hatte Merry von ihr erzählt. Die Frage war nur, warum er ihr diesen »Überraschungsbesuch« abstattete.
»Elspeth, komm bitte her.«
Sie sah über die Schulter und stutzte, als sie ihre Mutter im Satinnachthemd in der Tür stehen sah. Sie hatte tatsächlich für einen Moment vergessen, dass sie selbst ja auch Besuch hatte, um den sie sich kümmern musste.
»Ist das eine von deinen Schwestern, Liebes?«, fragte Meredith. »Ich war etwas erstaunt, als Wyatt mir gestern Abend erzählte, dass deine Schwestern eingetroffen waren und er sie in dein Apartment gelassen hatte, weil ich zu dem Zeitpunkt gerade im Bad war. Du hast mir gar nicht gesagt, dass sie kommen.«
Sie hörte den besorgten Unterton aus der Stimme der Frau heraus, drehte sich wieder um und sah um Wyatt herum, damit sie Meredith besänftigend zunicken konnte. »Das liegt daran, dass ich nichts davon wusste. Meine Mutter und meine Schwestern waren ebenfalls auf die Idee gekommen, mir einen Überraschungsbesuch abzustatten.« Sie verzog den Mund und fügte hinzu: »Vermutlich haben wir Vollmond oder etwas in der Art.«
»Oh ja«, stimmte Meredith ihr mit einem verschwörerischen Grinsen auf den Lippen zu.
»Mutter und Schwestern?«, fragte Wyatt ungläubig, wodurch Elspeth auf ihren Fehler aufmerksam wurde. Ihre Mutter sah nicht älter als fünfundzwanzig aus, weshalb sie sie normalerweise als ihre Schwester vorstellte. Dass sie das verpatzt hatte, war eine grobe Nachlässigkeit gewesen. Bevor sie sich überlegen konnte, wie sie das am besten ausbügelte, meldete sich ihre Mutter wieder zu Wort.
»Na ja, wir mussten dich ja notgedrungen überraschen, Elspeth«, sagte Martine mürrisch. »Wenn wir darauf warten würden, dass du uns einlädst oder uns besuchen kommst, dann würden wir dich nie zu Gesicht bekommen. Seit du den Job an der Universität angenommen hast und hierhergezogen bist, hast du uns nicht einmal daheim besucht.«
»Das ist gerade mal zwei Monate her, Mutter«, knurrte Elspeth ihr zu und musste mit ansehen, wie die jugendlich wirkende Frau die Wohnung betrat und zielstrebig auf sie zugesteuert kam. Erschrocken wich Elspeth vor ihr zurück, da sie wusste, wenn ihre Mutter die Gelegenheit bekam, sie anzufassen, würde sie die Kontrolle über sie übernehmen und sie zwingen mitzukommen. Sie war ohnehin überrascht, wieso ihre Mutter sie nicht schon längst kontrolliert hatte, aber dann fiel ihr deren Verwunderung darüber ein, dass sie keiner Aufforderung nachkam. Konnte es sein, dass die Schmerzen, die ihr so zu schaffen machten, sich irgendwie störend auswirkten und es ihr möglich machten, sich den Anweisungen ihrer Mutter zu widersetzen?
»Nein, Liebes, du bist genau heute vor sechs Wochen hier eingezogen«, korrigierte Meredith sie freundlich.
»Ja, richtig«, sagte Elspeth und lächelte der Frau dankbar zu. An ihre Mutter gewandt fuhr sie dann fort: »Noch keine zwei Monate, sondern gerade mal sechs Wochen ohne Besuch. Ich weiß wirklich nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Ich bin zwar gerade erst auf einen anderen Kontinent gezogen, muss mich in meiner Wohnung einrichten, mich auf die Sommerkurse vorbereiten und ganz nebenbei noch Mortimer helfen, aber ich hätte doch wirklich die Zeit finden müssen, um jedes Wochenende nach England zu fliegen und euch zu besuchen.«
Martine kniff die Augen zusammen, als wollte sie ihren Ohren nicht trauen. Sie machte noch einen Schritt auf sie zu. »Du hilfst Mortimer?«
Erschrocken wurde ihr bewusst, was sie da gerade gesagt hatte. Sie wich wieder einen Schritt zurück und machte den Mund auf, um sich rauszureden, doch anstelle eines Schwalls von Worten kam ihr nur ein klägliches »Uh« über ihre Lippen. Im gleichen Moment stieß sie gegen Wyatt, der sich nicht von der Stelle gerührt hatte. Angesichts der Alarmglocken, die in ihrem Kopf schrillten, und der Tatsache, dass ihr der Angstschweiß auf die Stirn trat, war sogar dieses »Uh« schon eine beachtliche Leistung.
»Elspeth?« Martine betrachtete sie mit frostigem Blick, während Wyatt die Hände auf ihre Schultern legte, um ihr Halt zu geben. Diese Berührung irritierte sie so sehr, dass sie kaum hörte, wie ihre Mutter weiterredete. »Was hast du dir …?«
»Oh, das Teewasser ist heiß!«, rief Meredith munter, als aus der Küche ein schrilles Pfeifen drang. »Kommt und lasst uns alle eine schöne Tasse Tee trinken. Mögen Sie Tee, Mrs. Pimms? Falls nicht, kann ich Ihnen auch einen Kaffee kochen.«
Sekundenlang herrschte Stille, da Elspeth weiter vom Blick ihrer Mutter durchbohrt wurde, doch dann wandte sie sich ab und lächelte Meredith an. »Tee hört sich wunderbar an.«
»Oh, gut. Ein paar Kekse habe ich auch noch. Wyatt hat sich zwar große Mühe gegeben, aber er hat es nicht geschafft, mir alle wegzuessen«, erklärte Meredith an Elspeths Mutter gewandt. »Elspeth liebt meine Kekse.«
»Davon bin ich überzeugt«, gab Martine giftig zurück, während Elspeth sich auf die Lippe biss. Ihre Mutter war nicht der Typ, der Kekse backte. Aber genau genommen konnte sie sich ohnehin nicht daran erinnern, dass ihre Mutter jemals irgendetwas gekocht oder gebacken hatte.
»Dann kommt mit, Mädels, und du auch, Wyatt«, sagte Meredith in entschiedenem Tonfall und ging zurück in die Küche.
Zu Elspeths großer Erleichterung nickte ihre Mutter und kam Merediths Aufforderung nach. Als sie aber an ihrer Tochter vorbeikam, raunte sie ihr zu: »Wenn wir wieder oben sind, werden wir uns unterhalten, was du für Mortimer tust.«
Elspeth verzog den Mund, nickte aber. »Ja, natürlich, Mutter.«
»Sie ist deine Mutter?«, fragte Wyatt ungläubig, als Martine Merry in die Küche folgte. »Sie sieht nicht aus, als wäre sie alt genug, um deine Mutter zu sein.«
»Sie ist älter, als sie aussieht«, sagte Elspeth zerknirscht. Als Wyatt verwundert eine Augenbraue hochzog, sah sie Richtung Küche und fügte abfällig hinzu: »Schon erstaunlich, was ein bisschen Hautabschleifen und Botox bewirken können.«
»Botox?«, rief ihre Mutter aus der Küche, die im nächsten Moment den Kopf durch die Tür steckte und Elspeth tadelnd ansah. »Ich würde niemals so tief sinken und mir dieses Gift spritzen lassen.« Dann schaute sie zu Wyatt: »Ich habe einfach nur hervorragende Gene.«
Elspeth verdrehte die Augen und humpelte um Wyatt herum zur Küche.
»Wieso humpelst du?«, fuhr Martine ihre Tochter an, als die an ihr vorbeiging.
»Nichts, alles in Ordnung«, murmelte Elspeth, setzte ein Lächeln auf und wandte sich an Meredith: »Wie kann ich dir behilflich sein, Merry?«
»Eigentlich ist schon alles fertig, Liebes«, versicherte ihr ihre Freundin, während sie mit der einen Hand den Wasserkessel zurück auf den Herd stellte und mit der anderen den Deckel auf die Teekanne legte. »Es war schon alles vorbereitet, ich habe nur noch darauf gewartet, dass das Wasser anfängt zu kochen. Aber du kannst gern den Teller mit den Keksen auf den Tisch stellen. Ich muss bloß noch eine Tasse holen. Ich war davon ausgegangen, dass es nur du, Wyatt und ich sein würden.«
»Du hast sie erwartet?«, fragte Wyatt, der im Begriff war, das Tablett mit Kanne, Zucker, Milch, Tellern und Löffeln nach nebenan zu tragen. Als er damit im Wohnzimmer ankam, stellte Elspeth den Teller mit Keksen auf den Tisch. Dabei fiel ihr auf, dass dort bereits drei Tassen standen.
»Aber ja, natürlich. Ellie kommt oft noch auf einen Tee vorbei, wenn sie von der Arbeit heimkehrt. Für mich ist das eine angenehme Art, den Tag zu beginnen, und sie kann noch ein bisschen abschalten, bevor sie ins Bett geht«, sagte Meredith und lächelte freundlich in die Runde.
Da Elspeth spürte, dass sein Blick auf ihr ruhte, sah sie Wyatt an, dessen Mienenspiel erkennen ließ, dass in ihm diverse Gefühlsregungen miteinander wetteiferten. Letztlich erzielten eine Mischung aus Ratlosigkeit und Argwohn die Oberhand. Vermutlich war er in Sorge, sie könnte versuchen, sich in das Testament seiner Großmutter einzuschleichen. Wenn man allerdings wusste, was mit Madeleine Cartwright vorgefallen war, der vormaligen Mieterin in der Erdgeschosswohnung, dann konnte man Wyatt eigentlich keinen Vorwurf machen …
Das dürfte der Grund dafür sein, dass Wyatt hergekommen war, überlegte Elspeth. Sie wusste von den Bemühungen des Sohns, Merry zum Umzug in ein Heim für betreutes Wohnen zu bewegen, seit deren Mann vor fünf Jahren gestorben war. Als Merry ihr davon erzählt hatte, war Elspeth noch der Meinung, der Sohn wolle so nur sein schlechtes Gewissen beruhigen, weil er nicht für sie da sein konnte. Doch nachdem Madeleine Cartwright versucht hatte, Merry um ihr Geld zu erleichtern, und dann auch noch jemand per Telefon mit einem dieser berüchtigten Tricks bestrebt gewesen war, an ihr Erspartes heranzukommen, befürchtete Wyatts Vater wohl, sie könnte sein Erbe einfach an Fremde weggeben. Zweifellos war Wyatt zu dem Zweck losgeschickt worden, sie von den Vorzügen eines Seniorenheims zu überzeugen. Oder aber er sollte Beweise dafür sammeln, dass sie nicht länger in der Lage war, für sich zu sorgen, damit der Sohn einen zwangsweisen Umzug seiner Mutter ins Heim herbeiführen konnte.
Sollte das der Fall sein, würde Elspeth alles in ihrer Macht Stehende tun, um so etwas zu verhindern. Merry liebte ihr Zuhause, und sie war bestens in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Lediglich das Autofahren behagte ihr nicht mehr, weshalb sie jemanden brauchte, der mit ihr zur Bank und zum Supermarkt fuhr. Für so was gab es Dienstleister, die man in Anspruch nehmen konnte. Und was Madeleine anging … Merry hatte in diesem Fall einfach nur der falschen Person vertraut. Das hatte aber mit Senilität oder anderen Alterserscheinungen nichts zu tun. Es lag lediglich daran, dass sie ein freundlicher Mensch war.
»Ellie arbeitet nachts?«
Elspeth verkniff sich ein frustriertes Aufstöhnen, als sie die mehr als interessierte Frage ihrer Mutter hörte. Sie wusste nur zu gut, dass ihre Mutter die Einladung zum Tee nur deshalb als »wunderbar« bezeichnet hatte, weil sie sich davon erhofft hatte, genau solche Informationen zu erhalten. Sie konzentrierte sich darauf, die Teller vom Tablett zu nehmen und neben den zerbrechlich wirkenden, von Hand bemalten Teetassen hinzustellen.
Dann ging sie zurück in die Küche, um einen vierten Teller zu holen. Ihre Mutter würde zwar nichts essen, aber wenn sie ihr keinen Teller hinstellte, würde Merry ihr einen holen, und die Mühe wollte sie der älteren Frau ersparen.
»Oh ja, ganz genau, das macht sie. Aber wenn die Sommerkurse anfangen, geht das natürlich nicht mehr, wie Sie ja wissen«, erklärte Merry.
Elspeth musste sich auf die Lippe beißen. Natürlich wusste ihre Mutter nichts davon. Oder zumindest hatte sie nicht gewusst, dass Elspeth nachts unterwegs war, um Abtrünnige zu jagen. Natürlich hatte sie auch gehofft, Martine würde nie davon erfahren. Doch Merry plauderte fröhlich weiter drauflos: »Aber bis dahin hilft sie eben nachts dieser Spezialeinheit der Polizei. Sie sind bestimmt sehr stolz auf sie.«
»Mhm«, machte ihre Mutter und warf Elspeth einen ausgesprochen finsteren Blick zu.
»Du arbeitest für die Polizei?«, wollte Wyatt wissen.
Elspeth war froh, dass sie ihre Aufmerksamkeit von ihrer Mutter auf ihn lenken konnte, doch dann sah sie, dass Merrys Enkel sie auf eine Weise ansah, als wisse er nicht, was genau er mit dieser Information anfangen sollte – oder als sei er sich nicht sicher, ob er ihr überhaupt ein Wort glauben sollte.
»Ja, ganz richtig, mein Lieber. Ellie erforscht kriminelles Verhalten«, bestätigte Merry, die keinen Zweifel daran ließ, wie sehr sie das beeindruckte. »Wenn die Sommerkurse beginnen, wird sie an der Universität Kriminologie unterrichten, aber in der Zwischenzeit arbeitet sie für die Polizei. Genau genommen ist Ellie ja auch diejenige, die meine ehemalige Mieterin Madeleine durchschaut und dazu gebracht hat, ihr Verbrechen zu gestehen und mir das gestohlene Geld zurückzugeben.«
Aber leider nicht die gesamte Summe, denn Madeleine hatte den größten Teil davon längst ausgegeben. Elspeth hatte sie zwar dazu gebracht, den noch verbliebenen Rest auszuhändigen, aber die Differenz hatte Elspeth beigesteuert. Merry hatte sie davon nichts gesagt, weil ihr klar gewesen war, dass die dieses Geld nicht annehmen würde. Dabei war Merry auf das Geld angewiesen, da sie nur geringe Ersparnisse besaß und die mit den Apartments erzielte Miete gerade genügte, um Darlehensraten und alle Nebenkosten abzudecken. Aber sie musste ja schließlich auch noch etwas essen und die vielen Medikamente gegen Arthritis, Bluthochdruck und andere Gebrechen bezahlen.
Elspeth sah, wie Martine erst Wayne und dann Merry konzentriert betrachtete. Es gab so gut wie keinen Zweifel, dass ihre Mutter den Verstand der beiden las, um herausfinden, worum genau es hier eigentlich ging. Als sie damit fertig war, fragte sie scheinbar ahnungslos: »Wer ist diese Madeleine? Und was genau hat sie gestanden?«
»Ach ja«, machte Merry und schüttelte den Kopf, während sie sich an den Tisch setzte. »Ihr hatte ich das Apartment im Erdgeschoss vermietet. Sie wohnte seit ungefähr einem Jahr dort, als Elspeth im ersten Stock einzog, und sie war …« Merry verstummte, schaute kurz verbissen drein und räumte dann betrübt ein: »Im letzten Winter machte mir meine Arthritis sehr zu schaffen, dadurch hatte ich etwas Schwierigkeiten, mich um alles zu kümmern, was erledigt werden musste. Madeleine war so nett und bot sich an, mir zu helfen, indem sie für mich zum Supermarkt und zur Bank fuhr. Ich fand das ganz reizend von ihr, doch kurz nachdem Elspeth eingezogen war, kam diese dahinter, dass Madeleine nicht nur mir half, sondern auch sich selbst bei meinen Konten bediente.« Wieder schüttelte Meredith den Kopf. »Ich war überrascht und enttäuscht, als Madeleine mir die Wahrheit gestand. Ich weiß einfach nicht, warum sie das getan hatte. Vermutlich war ich einfach zu vertrauensselig, aber sie machte einen so netten Eindruck auf mich.«
Elspeth beugte sich vor und tätschelte mitfühlend Merrys Hand. »Ich fand sie ja auch nett.«
»Ja, aber du hast sie wenigstens durchschaut«, betonte Merry.
Da Elspeth Waynes forschenden Blick spürte, zwang sie sich zu einem Lächeln und erklärte wie aus der Pistole geschossen: »Um ehrlich zu sein, ich hatte sie wiedererkannt, weil ich vor einer Weile einen Bericht über einen früheren Fall gesehen hatte, an dem sie beteiligt gewesen war.« Sie war es gewohnt, Lügen aufzutischen, weil sie von klein auf entsprechend darauf gedrillt worden war – so wie alle Unsterblichen. Lügen zu verbreiten war notwendig, damit solche ihrer Art überleben konnten. Sterbliche würden nicht sehr erfreut sein, wenn sie wüssten, dass sie sich ihre Welt mit Unsterblichen teilen mussten. Die meisten würden sie sowieso als Vampire abstempeln, aber das gefiel ihr und ihresgleichen überhaupt nicht. Davon abgesehen war es eine völlig falsche Bezeichnung, da Unsterbliche keine toten und seelenlosen Wesen waren, wie es den Vampiren nachgesagt wurde.
»Diese Madeleine hatte das schon mal gemacht?«, fragte ein hellhörig gewordener Wyatt.
»Offenkundig ja«, entgegnete Elspeth beiläufig.
»Und warum wurde sie dann diesmal nicht sofort angezeigt?«, wollte er prompt wissen.
»Weil ich das nicht wollte«, stellte Meredith klar. »Jedenfalls nicht wegen der Sache, die sie mir angetan hat. Ich hatte mein Geld zurück, und ich war nicht versessen darauf, den ganzen Trubel eines Gerichtsverfahrens über mich ergehen zu lassen. Außerdem hätte ich diese peinliche Angelegenheit sowieso nicht öffentlich zugeben wollen. Und abgesehen davon«, fügte sie dann noch hinzu, als sie die Teebeutel aus der Kanne zog, »laufen gegen Madeleine verschiedene Verfahren. Sie wandert so oder so ins Gefängnis, ob ich sie nun auch noch anzeige oder nicht.«
Elspeth nickte nur beiläufig und murmelte »Danke«, als Meredith genug Tee in ihre Tasse eingeschenkt hatte.
Nachdem sie sich von der alten Dame ausdrücklich hatte bestätigen lassen, dass diese von einer Anzeige absehen wollte, war Elspeth mit Madeleine zur Polizei gefahren. Dort hatte sie sie dazu veranlasst, sich zu allen Verbrechen zu bekennen, an denen sie beteiligt gewesen war. Meredith war bei Weitem nicht das erste Opfer gewesen, und Madeleine Cartwright war nicht mal ihr richtiger Name. Sie war als Nina Albrecht zur Welt gekommen und hatte sich den falschen Namen zugelegt, weil sie in Alberta wegen etlicher ähnlicher Vergehen von Unterschlagung bis Scheckbetrug von der Polizei gesucht wurde. Madeleine alias Nina war auf der Stelle festgenommen worden, und da sie sich bereits den Behörden in Alberta entzogen hatte, indem sie nach Ontario geflohen war, entschied der Richter, sie wegen Fluchtgefahr bis zum Prozessbeginn in Haft zu nehmen. Danach würde sie sicher für ein paar Jahre hinter Schloss und Riegel verschwinden.
»In welchem Dezernat arbeitest du denn?«, wollte Wyatt wissen, gerade als seine Großmutter ihm Tee einschenkte.
Da Elspeth nicht sofort antwortete, sprang ihr abermals Merry zur Seite.
»Sie arbeitet in einer Spezialabteilung, die Informationen und Hinweise auswertet, um zu einer Einschätzung darüber zu gelangen, in welchen Fällen Ermittlungen erforderlich sind und was nur der Fantasie irgendwelcher Leute entspringt. Und sie bewertet auch das Bedrohungspotenzial der Fälle, die als echt eingestuft werden«, führte seine Großmutter mit solcher Begeisterung aus, dass ihre Wangen vor Eifer glühten.
Wyatt sah Elspeth nachdenklich an. »Hat das was mit diesem Crime-Stoppers-Programm zu tun?«
»Oh, nein, nein, das ist viel umfassender als Crime Stoppers«, stellte Meredith wie aus der Pistole geschossen klar. »Sie bekommen Informationen über irgendwelche Vorgänge aus ganz Nordamerika, aus den USA und aus Kanada. Und dabei geht es nicht nur um Hinweise von Anrufern. Sie verfolgen auch, wer bestimmte Dinge in großen Mengen kauft. Das ist eine ganz neue Initiative«, verkündete sie voller Stolz das, was Elspeth ihr einen Monat zuvor erzählt hatte. »Und eine wirklich aufregende Sache.«
»Mir war gar nicht bekannt, dass irgendwelche Einheiten unserer Polizei unmittelbar mit den USA zusammenarbeiten«, sagte Wyatt, der immer argwöhnischer wirkte. »Außer vielleicht die Royal Canadian Mounted Police oder der Canadian Security Intelligence Service.«
Nach kurzem Zögern zuckte Elspeth nur flüchtig mit der Schulter. Nachdem das Adrenalin allmählich verschossen war, kehrten nun ihre Erschöpfung und die Schmerzen zurück, weshalb sie einfach keine Lust hatte, sich irgendwelche weiteren Lügen auszudenken, um ihm eine zufriedenstellende Antwort zu geben. Sie überlegte, ob sie vielleicht einfach in seinen Verstand eindringen und ihm seine Zweifel nehmen sollte, doch selbst dafür fühlte sie sich viel zu müde. Sollte Merediths Enkel doch glauben, was er wollte. Wenn er für sie zum Problem werden sollte, konnte sie sich immer noch mit ihm befassen. Ihr Blick wanderte über seine kühl taxierenden Augen und die finstere Miene. Wyatt war ein bemerkenswert attraktiver Mann – oder wäre es vielmehr gewesen, wenn er mal gelächelt hätte.
»Elspeth?«
Sie drehte sich zu ihrer Mutter um und wunderte sich über deren besorgte Miene.
»Du schwankst hin und her, und du hast Blut an Merediths Sessel geschmiert«, erklärte sie und stand auf.
Irritiert sah Elspeth nach unten und entdeckte etwas Blut auf dem hellgrauen Kunstleder … und sie schwankte tatsächlich ein wenig hin und her, wie sie beunruhigt feststellen musste. Noch beunruhigender aber war, dass sie Mühe hatte, ihre Augen auf irgendeinen Punkt zu fokussieren. Sie hätte besser noch eine Portion Blut zu sich genommen, anstatt sich einfach ins Bett fallen zu lassen. Das hatte sie eigentlich auch vorgehabt, aber als sie heute Morgen in die Auffahrt zum Haus eingebogen war, hatte sie nichts anderes mehr im Sinn gehabt als ihr Bett.
»Kannst du aufstehen?«
Elspeth konzentrierte sich auf ihre Mutter, die eine Serviette aus dem Halter auf dem Tisch genommen hatte und darauf wartete, den Sessel sauber zu wischen. Sie nickte und zwang sich aufzustehen, musste sich jedoch sofort an der Tischkante festhalten, weil sich das Zimmer um sie herum zu drehen begann.
Wow, ich bin ja in gar keiner guten Verfassung, musste sie zugeben, als sie merkte, wie ihre Beine zitterten. Außerdem war sie schweißgebadet … und der Schmerz wurde nahezu unerträglich. Oh Gott, das ist überhaupt nicht gut, wurde ihr voller Entsetzen klar.
»Nein, gar nicht gut«, bestätigte ihre Mutter mit ernster Stimme, während sie das Blut vom Sessel wischte. Dann wandte sie sich Elspeth zu und nahm sie in den Arm, als wäre sie ein kleines Kind.
Elspeth schnappte erschrocken nach Luft und blickte sich irritiert um.
»Ich habe die Kontrolle über sie übernommen«, erklärte Martine in dem Moment, in dem Elspeth sah, dass Meredith und Wyatt mit ausdrucksloser Miene dasaßen. »Ich habe ihnen stattdessen die Erinnerung gegeben, dass du gegangen bist, weil du dich schlafen legen wolltest, während sie beide weiter über alte Zeiten geredet haben.«
»Aha«, keuchte Elspeth und ließ sich in die Arme ihrer Mutter sinken.
»Schlaf mir ja nicht ein«, knurrte ihre Mutter sie auf dem Weg nach draußen an. »Du hast mir erst mal einiges zu erklären.«
»Was ist passiert?«
Elspeth schreckte aus dem Schlaf hoch, als sie ihre Mutter reden hörte. Sie sah sich um und stellte fest, dass sie vor ihrem Apartment standen. Offenbar war sie auf dem Weg nach oben eingedöst, mutmaßte sie, während ihre Mutter der Wohnungstür einen Tritt verpasste, damit die hinter ihr ins Schloss fiel. »Sag schon, was passiert ist! Woher stammt diese Verletzung?«
»Ist halb so wild«, murmelte Elspeth und stutzte, da ihre Mutter sie ins Wohnzimmer trug und auf das weiße Sofa zuhielt. »Nicht auf die Couch! Das Blut kriege ich nie wieder ab. Bring mich ins Schlafzimmer. Die Matratze hat eine Schutzhülle, damit kein Blut durchsickern kann.«
Ihre Mutter blieb stehen. »Die Mädchen schlafen da«, sagte sie.
»Die Mädchen können woanders schlafen«, gab Elspeth entschieden zurück. »Es ist immer noch mein Bett.«
»Aber wo sollen sie schlafen?«
»Wie wär’s mit einem Hotel?«, entgegnete sie bissig. Sie hatte schließlich keinen von ihnen eingeladen und war über diesen »Überraschungsbesuch« nicht gerade erfreut. Und ihr Bett wollte sie schon gar nicht aufgeben.
Ihre Mutter versteifte sich plötzlich.
Da Elspeth vermutete, dass diese ihre Gedanken gelesen hatte, lenkte sie ein. »Im Wäscheschrank ist eine Luftmatratze. Die können sie aufpumpen und dann im Wohnzimmer schlafen.«
Martine nickte widerwillig und trug sie durch den Flur zum Schlafzimmer, dessen Tür natürlich geschlossen war. Ihre jüngeren Schwestern mussten sie zugemacht haben, nachdem Elspeth die Flucht ergriffen hatte. Dann hatten sie sich wohl wieder hingelegt und waren vermutlich auf der Stelle eingeschlafen. Pech für sie, aber Elspeth wollte in ihr Bett. Sie griff nach dem Türknauf und drehte ihn, nachdem ihre Mutter angehalten hatte.
»Aufwachen, Mädchen«, säuselte Martine, als sie sich dem Bett näherten. »Aufstehen und raus aus dem Bett.«
Die einzige Reaktion bestand darin, dass Juliana leise ächzte und sich das Kissen auf den Kopf drückte, um die Stimme ihrer Mutter auszublenden.
»Julianna und Victoria Argeneau Pimms, steht sofort auf!«, herrschte Martine die beiden an und hatte Erfolg damit, denn die zwei schlugen die Augen auf und setzten sich prompt auf.
»Was ist denn los?«, wollte Julianna wissen, die noch völlig verschlafen dreinblickte.
»Warum trägst du Elspeth durch die Wohnung?«, fragte Victoria von einem Gähnen unterlegt.
»Weil sie blutet, da sie offenbar verletzt ist«, fuhr Martine die Mädchen an. »Und jetzt raus aus dem Bett mit euch. Julianna, schlag die Bettdecke zur Seite, damit ich Elspeth hinlegen kann. Victoria, du gehst in die Küche und holst Blut.«
Die Zwillinge gaben sich alle Mühe, ihre Aufträge schnellstmöglich zu erledigen. Victoria sprang auf, lief in ihrem rosa Babydoll quer übers Bett und stürmte aus dem Zimmer, während Julianna Tagesdecke und Bettdecke packte und weit genug nach unten zog.
»Warum bringst du sie hierher?«, fragte Julianna argwöhnisch.
»Weil es mein Bett ist«, gab Elspeth bissig zurück, während ihre Mutter sie auf das vorgewärmte Bett legte, das ein Stück weit nachgab.
»Aber wir schlafen doch hier«, beklagte sich Julianna bei ihrer Mutter, die auf dem Weg nach draußen war.
»Nein, das tut ihr nicht«, machte Elspeth ihr klar. »Du kannst mit Victoria im Wohnzimmer auf der Luftmatratze schlafen. Die ist im Wäscheschrank verstaut.«
»Du bist eine miserable Gastgeberin«, beklagte sich Julianna und stampfte mit dem Fuß auf. »Du solltest auf der Luftmatratze schlafen.«
»Ich bin überhaupt keine Gastgeberin, weil ich keinen von euch eingeladen habe«, fauchte Elspeth ihre Schwester an. »Und stampf nicht so auf, ich habe Nachbarn!«
»Na und?«, konterte sie. »Wenn sie raufkommen und sich beschweren, kontrollieren wir sie einfach und schicken sie wieder weg.«
»Das werdet ihr tunlichst bleiben lassen«, widersprach Elspeth ihr. »Du wirst nett und höflich sein, und du wirst dich entschuldigen und Meredith und ihren Enkel in Ruhe lassen.«
Als Julianna nur mürrisch guckte, betrachtete Elspeth sie etwas eingehender. »Wer hatte eigentlich die Idee, mich zu besuchen?«
Sie zuckte missmutig mit den Schultern. »Mutter hat uns wahnsinnig gemacht. Wenn du nicht da bist, um etwas von ihrer Aufmerksamkeit auf dich zu lenken, ist sie absolut unerträglich. Also habe ich vorgeschlagen, dich zu besuchen. Ich wollte mich umsehen, ob es mir hier so gut gefällt, dass ich auch hierherziehe. Aber natürlich wollte Victoria nicht ohne mich sein. Und dummerweise hat Mutter inzwischen beschlossen, dass wir alle nach hier umziehen sollen.«
»Das ist nicht dein Ernst«, rief Elspeth bestürzt.
»Doch. Ich weiß, das ist ein Albtraum, nicht wahr?«
»Der Albtraum besteht eigentlich darin, dass ich den Mist schon hundert Jahre über mich habe ergehen lassen, bevor ihr überhaupt auf der Welt wart. Und dann warte ich, bis ihr die Schule abgeschlossen habt, um erst dann auf einen anderen Kontinent zu ziehen. Und ihr zwei haltet nicht mal zwei Monate durch, da kommt ihr mir schon hinterhergerannt und schleppt sie gleich noch mit an?«
»Du weißt ja nicht, wie das ist«, beklagte sich Julianna. In diesem Moment kam Victoria zurück und brachte ein paar Blutbeutel mit. »Sie lässt uns nie allein irgendwo hingehen. Nicht mal zur Toilette, wenn wir im Restaurant sind. Wir müssen immer zu zweit gehen. Und wenn wir länger als ein paar Minuten brauchen, kommt sie gleich hinterhergerannt, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist.«
»Tja, wenigstens kannst du dich von deiner Zwillingsschwester begleiten lassen«, betonte Elspeth. »Bei mir hat Mutter darauf bestanden, mich zur Toilette zu begleiten, als wäre ich eine Zweijährige. Und da war ich schon weit über fünfzig.«
»Na, siehst du! Dann weißt du ja, wie das ist«, sagte Julianna.
Victoria nickte und ließ die Blutbeutel aufs Bett fallen. »Es ist total verrückt.«
Elspeth kniff die Augen zusammen und weigerte sich, Mitgefühl für ihre Schwestern zu zeigen. Sie war einhundertelf Jahre lang der alleinige Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ihrer Mutter gewesen, und dann hatte sie auch noch die Jahre über sich ergehen lassen, bis die beiden die Schule abgeschlossen hatten, ehe sie den Abflug gewagt hatte. Dass ihre Schwestern nicht so lange durchhalten würden wie sie, war nicht anders zu erwarten gewesen, aber … sechs Wochen?
»Nicht mal zwei Monate«, wiederholte sie mürrisch.
»Wenn du dabei bist, ist es viel lockerer«, flehte Victoria sie an.
»Dann ist Mutter nicht ausschließlich auf uns fixiert.«
Elspeth lachte humorlos auf. »Tja, ihr vergesst dabei eines: Ihr werdet nicht hier bei mir leben. Mutter wird ganz sicher ein Haus am Stadtrand kaufen, und dann werdet ihr beide mit ihr dort einziehen. Das heißt, ich werde dann auch nicht bei euch sein, um Mutter von euch abzulenken. Zumindest nicht, wenn ihr in eurem Haus seid.«
»Oh nein«, stöhnte Julianna entsetzt auf.
Victoria prophezeite dagegen völlig unbeeindruckt: »Sie wird dafür sorgen, dass du auch einziehst.«
Entschieden schüttelte sie den Kopf. »Ich bin raus, und ich bleibe auch draußen.«
»Klar. Bis sie dich kontrolliert und dich zum Umzug zwingt«, merkte Julianna an.
Bei dem Gedanken verkrampfte sich Elspeth am ganzen Leib. Sie hatte geglaubt, mit dem Umzug nach Kanada all dem entflohen zu sein, aber es gab tatsächlich keinen Grund, warum ihre Mutter das alles nicht mehr tun sollte, nur weil sie sich nicht länger in England befanden. Aus genau diesem Grund hatte sie auch alle Vorbereitungen lange im Voraus getroffen, ohne ihrer Mutter etwas davon zu sagen, und sie hatte sogar abgewartet, bis Martine mit ihrem Vater und den Zwillingen im Ausland unterwegs war. Erst als sie bereits im Taxi auf dem Weg zum Flughafen war, hatte sie angerufen. Zwar hatte ihre Mutter ihr auch übers Telefon die schlimmsten Dinge an den Kopf geworfen, die jeder mithören konnte, der wollte, aber wenigstens konnte sie nichts unternehmen, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Und nun hatte sie ihren Schwestern zu verdanken, dass das alles vergebens gewesen war.
»Julianna, Victoria, holt die Luftmatratze aus dem Schrank und pumpt sie auf. Ihr solltet längst im Bett sein«, sagte Martine energisch, als sie mit einer Schüssel mit heißem Wasser, einem Waschlappen und einem Handtuch ins Schlafzimmer zurückkam. »Und Elspeth, du fängst jetzt an das Blut zu trinken.« Sie stellte die Schüssel auf den Nachttisch.
Elspeth nahm prompt einen der Beutel und schob ihn über ihre Fangzähne. Solange sie den Beutel vor dem Mund hatte, konnte ihre Mutter sie nicht zum Reden bringen. Allerdings würde das Martine nicht daran hindern, ihre Gedanken zu lesen und ihrerseits zu reden. Das wurde ihr in dem Moment klar, als Martine sie an den Armen fasste und in eine sitzende Position hochzog, damit sie ihr die Jacke ausziehen konnte.
»Du hast mich angelogen«, warf ihre Mutter ihr vor.
»Mh-mh«, murmelte Elspeth, die sich wegen des Blutbeutels nicht besser artikulieren konnte.
»Du hast gesagt, du ziehst hierher, um einen Posten als Lehrerin anzunehmen. Du hast gesagt, du kannst nicht länger in England unterrichten, weil dort jeder jeden kennt und es bald auffallen würde, dass du nicht alterst. Du hast gesagt, dass es für dich besser ist, wenn du das Land verlässt und vorzugsweise nach Kanada umziehst, weil wir hier so viele Verwandte haben.« Sie warf die Jacke zur Seite und machte sich daran, ihr das langärmelige schwarze Baumwollshirt auszuziehen. Elspeth nickte währenddessen mit allem Nachdruck, um ihr zu verstehen zu geben, dass das alles der Wahrheit entsprach.
Ihre Mutter nahm von dieser Geste keine Notiz und redete unbeirrt auf sie ein: »Und nun bist du hier, aber von Unterrichten ist keine Rede mehr, sondern du arbeitest als Vollstreckerin und machst Jagd auf Abtrünnige.«
Zu ihrer großen Erleichterung war der Beutel in dieser Sekunde leer, und sie konnte ihn von den Fangzähnen ziehen. »Ich werde an der Universität unterrichten, sobald die Sommerkurse beginnen. Ich dachte nur, da ich bis dahin ohnehin die Zeit totschlagen muss, kann ich solange im Haus der Vollstrecker aushelfen. Du weißt, wie unterbesetzt die sind, seit mehr als die Hälfte von ihnen in Venezuela im Einsatz ist. Sie brauchen Hilfe, und ich war nicht da, um Abtrünnige zu jagen. Ich analysiere in erster Linie alle eingehenden Hinweise und entscheide, was davon eher eine falsche Fährte ist und bei welchen es sich lohnen dürfte, den Tipps nachzugehen.«
Die letzten Worte klangen irgendwie erstickt, weil ihre Mutter sich genau diesen Moment aussuchte, um ihr das Shirt über den Kopf zu ziehen. Sie warf es achtlos beiseite und begutachtete Elspeths blutige Stellen.
Ihre Miene nahm einen härteren Zug an. »Und wie kann auf einen eingestochen werden, wenn man nur eingehende Hinweise analysiert?«
Elspeth verdrehte sich nach Kräften, konnte aber nur so gerade eben einen Blick auf die klaffende Wunde im unteren Bereich des Rückens werfen. Bei deren Anblick zuckte sie unwillkürlich zusammen, da die Verletzung viel schlimmer war als die am Bein.
Dummerweise hatte der Angreifer die Klinge nicht bloß in ihr Fleisch getrieben, sondern auch noch so gedreht, dass ein gut fünf Zentimeter großes Loch entstanden war, dessen Heilung weitaus mehr Zeit in Anspruch nehmen würde. Sie verzog den Mund und drehte sich zu ihrer Mutter um. »Es war …«
»Komm nicht auf die Idee, mich anzulügen, indem du mir erzählst, du wärst nicht auch vor Ort diesen Hinweisen nachgegangen«, warnte Martine sie ungehalten. »Ich habe dich längst gelesen und weiß genau, dass du heute auf dem Heimweg einen von diesen Tipps an Ort und Stelle überprüft hast!«
Seufzend schüttelte Elspeth den Kopf. Also ehrlich, eine Mutter zu haben, die Gedanken lesen konnte, war eine echte Qual. Auf die Weise waren die Kinder zwar wohlerzogen, aber todunglücklich.
»Also gut«, lenkte sie ein. »Manchmal überprüfe ich, ob an einem vagen Hinweis was dran sein könnte, wenn das Ganze auf meiner Strecke liegt. Mortimer weiß nichts davon«, fügte sie hastig hinzu. »Und das sind wirklich nur die vagen Hinweise, die ich als nicht gefährlich einstufe.«
»Tja, dann hast du dich diesmal offenbar geirrt«, sagte ihre Mutter mit ernster Miene. »Das war ja wohl eindeutig ein gefährlicher Tipp.«
»Nein, es war bloß ein vager Hinweis«, beharrte sie. »Es war kein Abtrünniger in die Sache verwickelt, nur ein Sterblicher mit psychischen Problemen. Der Mann hatte Wahnvorstellungen und war davon überzeugt, dass sein Nachbar ein Vampir ist.« Sie verzog den Mund, dann redete sie weiter: »Als mir das klar wurde, bin ich dummerweise unvorsichtig geworden. Ich bin seiner Frau in die Küche gefolgt, wo ich mit ihr darüber gesprochen habe, dass sie ihn ins Krankenhaus einweisen lassen sollte. Er muss uns belauscht haben und ist dabei wohl zu dem Schluss gekommen, dass ich auch ein Vampir sein muss. Nachdem ich gegangen war, stach er auf seine Frau ein, weil sie angeblich gemeinsame Sache mit Vampiren machte. Ich hörte sie schreien und bin zurück ins Haus gelaufen, aber da hatte er sich schon hinter einer Tür verschanzt. Als ich vorbeilief, griff er mich an und stach auf mich ein.«
Sie unterbrach sich kurz, seufzte erschöpft und schüttelte den Kopf. »Er hat mich so überrumpelt, dass ich erst reagieren konnte, als er anfing, das Messer zu drehen. Als ich mich dann zu ihm umdrehte, erwischte er mich am Bein. Danach habe ich ihn k. o. geschlagen und die Polizei gerufen, damit die sich um die Frau kümmert und den Ehemann mitnimmt. Allerdings«, betonte sie mit Nachdruck, »war das bloß ein Sterblicher. Es war genau genommen eine falsche Fährte.«
»Hmm«, machte Martine und dirigierte Elspeth auf ihre unversehrte Seite, damit sie das Blut von ihrem Rücken abwischen konnte. Als sie damit fertig war, trat aus der Stichwunde zum Glück kein Blut mehr aus. Sie war auch schon deutlich kleiner, also verheilte sie bereits.
»Wenn er geistig verwirrt war, konntest du allein nicht seine Erinnerung löschen«, überlegte ihre Mutter. »Hast du Mortimer angerufen, damit er alles Notwendige veranlassen kann?«
Elspeth sah ihre Mutter verdutzt an. »Nein, ich wollte es ihm heute Abend erzählen, wenn ich zum Dienst erscheine. Ich bin davon ausgegangen, dass es noch etwas Zeit hat, weil der Mann völlig durchgeknallt ist und ihm sowieso niemand glauben wird.«
»Nein, das wird nicht reichen«, erwiderte Martine entschieden. »Ich werde Mortimer sofort anrufen, damit er sich darum kümmern kann.« Sie legte den blutigen Waschlappen in die Schüssel und stand auf. »Wie heißt der Mann und wohin wurde er gebracht?«
Elspeth rasselte die Informationen runter und war froh darüber, dass ihre Mutter mal mit etwas anderem befasst war. Ansonsten würde sie ihr jetzt auch noch die Hose ausziehen, um das Bein versorgen zu können. Das waren genau die Dinge, vor denen sie die Flucht ergriffen hatte: die ständige Kontrolle und das Gefühl, wie eine Dreijährige behandelt zu werden. Sechs Wochen lang hatte sie als eigenständige, erwachsene Frau leben können. Ganze sechs Wochen.
»Kann ich wenigstens davon ausgehen, dass du die Polizei kontrolliert und dafür gesorgt hast, dass sie sich nicht an dich erinnern können?«, fragte Martine, während sie das Telefon von Elspeths Nachttisch nahm und eine Nummer eintippte.
»Ja, natürlich, Mutter«, gab Elspeth aufgebracht zurück.
»Den Tonfall kannst du dir sparen. Du hast nicht dafür gesorgt, dass sich jemand um den Verrückten kümmert. Woher soll ich dann wissen, ob du die Erinnerung der Polizisten gelöscht hast?«, konterte ihre Mutter ungehalten.
»Weil ich nicht völlig blöd bin«, antwortete Elspeth, doch davon bekam ihre Mutter nichts mit, denn inzwischen musste sich Mortimer gemeldet haben. Nachdem Martine mit einer energischen Geste auf die Blutbeutel gezeigt hatte, die neben Elspeth auf dem Bett lagen, wandte sie sich ab, um Mortimer in aller Ruhe die Situation zu schildern.
Erleichtert griff Elspeth nach einem Beutel und schob ihn über die Fangzähne. Eigentlich hätte sie gleich nach der Rückkehr in ihre Wohnung zum Kühlschrank gehen sollen, um sich mit Blut zu versorgen. Stattdessen ins Schlafzimmer zu wanken und sich aufs Bett fallen zu lassen, war ausgesprochen dumm von ihr gewesen. Wäre das Bett nicht bereits von ihren Schwestern in Beschlag genommen gewesen, wäre sie einfach hingesunken und nach einer Weile ohnmächtig geworden. Zugegeben, sie hätte nicht daran sterben können, nur wäre sie beim Aufwachen in ein paar Stunden von schrecklichen Schmerzen geplagt worden.
Der durch die erlittenen Verletzungen herbeigeführte Schock musste der Grund dafür gewesen sein, dass sie nach der Heimkehr nicht den Kühlschrank, sondern ihr Bett angesteuert hatte.
Nackte Angst und eine gehörige Portion Adrenalin hatten dann aber auch schon wieder genügt, um sie im Eiltempo nach unten zu ihrer Vermieterin rennen zu lassen, nachdem sie gehört hatte, dass ein Mann ihrer Mutter und ihren Schwestern die Wohnung aufgeschlossen hatte. Es war die Angst um Merediths Wohlergehen, die sie zu dieser Reaktion veranlasst hatte, wurde ihr jetzt klar, während sie den leeren gegen einen vollen Beutel austauschte. Es hätte durchaus sein können, dass Meredith einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erlitten hatte und ein Bekannter oder ein Verwandter sich in der Wohnung aufhielt, um ein paar Dinge für sie zusammenzusuchen, die sie im Krankenhaus brauchte. Ebenso konnte auch jemand in die Wohnung eingedrungen sein, der sie gefesselt und geknebelt hatte – und der sich gegenüber ihrer Mutter und ihren Schwestern ganz dreist als Vermieter ausgegeben hatte.
Dass sie dabei auf Merediths Enkel gestoßen war, hatte sie schon überrascht, aber viel überraschender war, wie verdammt gut dieser Mann aussah. Auf den Fotos, die Merediths Sohn von seiner Familie geschickt hatte, war Wyatt höchstens vierzehn oder fünfzehn gewesen. Schon da hatte er ansprechend ausgesehen, aber mehr auf eine knuddelige Art, nicht so wie der gut gebaute sexy Hengst, der er heute war.
»Mir ist klar, dass du es nicht gewusst hast, Mortimer«, knurrte Martine in den Hörer, während Elspeth nach dem nächsten Blutbeutel griff. »Aber darum geht es nicht. Man kann sie nicht ohne Weiteres irgendwelchen Anrufen auf den Grund gehen lassen. Sie ist keine Jägerin!«
Elspeth verdrehte die Augen. Sie war inzwischen hundertzweiundvierzig Jahre alt, und dennoch war ihre Mutter fest davon überzeugt, dass sie sich nach wie vor in ihr Leben einmischen durfte.
»Was soll das heißen, wie du sie von etwas abhalten sollst, wenn du gar nicht weißt, was sie überhaupt macht? Verbiete ihr einfach grundsätzlich, so was zu machen.«
Elspeth verzog den Mund. Diese Idee würde sich so nicht umsetzen lassen. Sie machte ihre Arbeit komplett freiwillig, und damit war Mortimer nicht ihr Boss. Außerdem war er im Vergleich zu ihrer Mutter so harmlos wie ein Kätzchen. Ihr konnte er keine Angst machen, und sie würde auch weiterhin den eher harmlosen Beobachtungen nachgehen, wenn sie auf ihrem Weg lagen. Nur würde sie sich beim nächsten Mal nicht überrumpeln lassen. Wie groß war schon die Wahrscheinlichkeit, dass noch mal jemand auf sie einstechen würde?
Nein, sagte sich Elspeth entschieden, während sie zum letzten Blutbeutel griff. Ihr einziger Fehler hatte darin bestanden, unvorsichtig zu werden, als feststand, dass sie es nur mit Sterblichen zu tun hatte. Beim nächsten Mal würde sie Bescheid wissen … und es würde ein nächstes Mal geben, denn sie hatte die feste Absicht, weiter auf ihre Art mitzuhelfen und solch vagen Meldungen nachgehen, wenn die auf ihrem Heimweg lagen.
Plötzlich nahm sie ein leichtes Rascheln in ihren Gedanken wahr und versteifte sich. Sie sah zu ihrer Mutter, von der sie wie befürchtet sehr konzentriert angesehen wurde. Verdammt! Sie las ihre Gedanken! Sofort began sie, lautlos »Hänschen klein« zu singen.
»Zu spät«, knurrte Martine und konzentrierte sich wieder ganz auf ihr Telefonat. »Also gut, Mortimer. Da Elspeth weder auf dich noch auf mich hören will, hast du damit einen weiteren Jäger. Ich werde ab sofort mit Elspeth zusammenarbeiten. Wohin sie geht, werde ich auch gehen.«
Oh verflucht, dachte Elspeth und ließ sich nach hinten aufs Bett sinken.
»Was meinst du, mein Lieber?«
Als Wyatt als Reaktion auf die Frage seiner Großmutter gedankenverloren nickte, war er längst darauf konzentriert, einerseits das Geschirr abzuspülen und andererseits seinen Gedanken nachzugehen. Daher bekam er kaum mit, was sie zu ihm sagte. Er konnte einfach nicht aufhören, an Elspeth zu denken. Er konnte es nicht fassen, dass er sie wiedergefunden hatte, aber noch unglaublicher war, dass sie sich allem Anschein nach nicht an ihn erinnern konnte. Hatte ihr diese Begegnung vor Jahren denn tatsächlich so wenig bedeutet? Für ihn hatte sich dadurch seine gesamte Einstellung zum Leben verändert. Nach der ersten Begegnung hatte er monatelang nach ihr gesucht, und auch wenn es ihm nicht gelungen war, sie wiederzufinden, hatte er sie dennoch nie vergessen können.
»Wyatt?«
Die energische Stimme seiner Großmutter holte ihn aus seinen Überlegungen, er drehte sich um und sah sie fragend an.
»Ich sagte, ich spiele mit dem Gedanken, Ellie und ihre Familie heute zum Abendessen einzuladen«, sagte sie mit einem leicht ironischen Unterton. »Was hältst du davon?«
»Klingt gut«, sagte er prompt und befasste sich gleich wieder mit dem Abwasch. Dabei starrte er düster vor sich hin, da er sich daran zu erinnern versuchte, wann genau Elspeth und ihre Mutter eigentlich gegangen waren. Er wusste zwar noch in etwa, dass El müde gewesen war und die beiden hatten gehen wollen, damit er sich seiner Großmutter widmen konnte. Aber das war auch schon alles. Er konnte sich nicht daran erinnern, sie zur Tür begleitet zu haben, obwohl er genau das getan hätte, weil er genau zu einem solch höflichen Verhalten erzogen worden war. Und abgesehen davon hätte er sich dann auch vergewissern können, dass die Wohnungstür tatsächlich verriegelt war.
Diese Tatsache machte ihn stutzig, und nach einem winzigen Zögern stellte er die Teetasse in die Spüle und drehte den Wasserhahn zu, wischte die Hände am Küchentuch trocken und verließ die Küche.
»Wohin gehst du?«, fragte seine Großmutter überrascht.
»Ich will nur nachsehen, ob ich die Wohnungstür abgeschlossen habe«, antwortete er, als er durch den Flur weiterging.
»Ach, das hast du doch bestimmt erledigt«, meinte sie. »Ellie ist immer in Sorge um mich, sie besteht darauf, dass ich hinter ihr abschließe. Oder sie schließt beim Rausgehen selbst ab. Sie … oh!«, machte Meredith erschrocken, als ihr Enkel an der Tür angekommen den Knauf fasste und nach einem kurzen Drehen feststellen musste, dass die Tür nicht abgeschlossen war. »Wie eigenartig. Sie macht sonst immer so ein Theater deswegen. Na ja, dann muss sie wohl sehr übermüdet gewesen sein. Hoffentlich hat sie sich nichts eingefangen. Sie war ja schon heute Morgen so bleich gewesen.«
Wyatt sah, dass seine Großmutter mit sorgenvoller Miene in die Küche zurückkehrte. Er überprüfte den Türknauf daraufhin, ob der Riegel diesmal gefasst hatte. Zufrieden, aber auch nachdenklich folgte er ihr in die Küche.
»Gran?« Wyatt stellte sich zu ihr an die Spüle, wo sie die Teetassen abwusch, da die ihrer Meinung nach für die Spülmaschine zu empfindlich waren und daher von Hand gespült werden sollten.
»Ja, mein Lieber?«, gab sie, ganz auf ihre Arbeit konzentriert, zurück.
»El hatte angeklopft und war dann hereingekommen, noch bevor ich ihr die Tür öffnen konnte«, sagte er nachdenklich.
»M-hm. Sie hat einen Schlüssel«, antwortete sie beiläufig.
»Einen Schlüssel?«
»Ja, mein Lieber. Das sind diese kleinen metallenen Dinger, mit denen man Schlösser öffnet«, erklärte sie amüsiert.
»Ich weiß, was ein Schlüssel ist«, knurrte er mürrisch. »Aber warum hat sie einen?«
»Damit sie die Tür aufschließen kann natürlich«, kam die belustigte Antwort seiner Großmutter.
»Aber Gran, du kennst sie doch kaum. Du hast selbst gesagt, dass sie noch keine zwei Monate hier wohnt.«
»Gut, ich kenne sie noch nicht lange, aber dafür kenne ich sie schon sehr gut. Sie ist ein reizender Mensch, und sie ist absolut zuverlässig. Ich vertraue ihr.«
»Madeleine hast du auch vertraut«, wandte er ein und bereute sofort seine Worte, da er seiner Großmutter damit einen Stich versetzt hatte. Es war ja auch nicht so, dass er El nicht vertraute. Zumindest wollte Wyatt ihr vertrauen. Allerdings hatte sie ihm auch versprochen, sich mit ihm zu treffen, dieses Versprechen aber nicht gehalten. Und jetzt musste er feststellen, dass sie sich in einem der Apartments seiner Großmutter eingenistet hatte, dabei aber so tat, als würde sie ihn nicht kennen.
»Madeleine hat mich für dumm verkauft«, räumte Meredith ein. »Aber Elle ist nicht wie Madeleine.«
»Da bin ich mir sicher«, stimmte er ihr besänftigend zu, auch wenn er sich in keiner Weise sicher war, dass das zutraf. »Trotzdem solltest du aus deiner Erfahrung mit Madeleine die eine oder andere Lehre ziehen und etwas vorsichtiger im Umgang mit anderen Menschen sein.«
Seine Großmutter schwieg danach so lange, dass Wyatt schon glaubte, sie wolle gar nichts mehr sagen, als sie ihn auf einmal eindringlich ansah und in ernstem Tonfall zu ihm sagte: »Wyatt, wenn du dein Leben lang jedem misstraust, der dir begegnet, wirst du nie wissen, wer vertrauenswürdig ist und wer nicht.«
»Und wenn du jedem vertraust, dem du begegnest, stehst du am Ende ohne einen Cent auf dem Sparkonto da«, konterte er prompt.
Meredith presste missbilligend die Lippen zusammen. »Ich vertraue nicht jedem.«
»Gran, du hast dich gerade von Madeleine ausnehmen lassen, und jetzt hat Ellie schon deinen Wohnungsschüssel. Seit wann hat sie einen Schlüssel?«
»Seit zwei Wochen«, kam die knappe Antwort.
»Also nachdem du sie einen Monat gekannt hast. Hältst du das nicht für etwas riskant?«
»Nein, das tue ich nicht.«
»Als Nächstes gibst du ihr dann deine Kontodaten, so wie bei Madeleine«, fuhr er fort und befürchtete allmählich, dass sein Vater recht haben könnte und seine Großmutter tatsächlich jenes Alter erreicht hatte, in dem sie jemanden brauchte, der ihr bei der Bewältigung des Alltags half. Vielleicht war ein Seniorenheim gar keine so schlechte Idee.
»Ich bin keine senile alte Schachtel, Wyatt«, fuhr Meredith ihn ungehalten an. »Ich kannte Madeleine seit acht Monaten, ehe ich ihr meine Kontodaten anvertraute. Es gab keinen Hinweis darauf, dass sie mich um mein Geld bringen würde. Ich gebe zu, ich habe mich geirrt«, fügte sie rasch hinzu, als sie sah, dass er etwas einwenden wollte. »Aber diesmal irre ich mich nicht. Ellie arbeitet für die Polizei, und sie ist schließlich auch Madeleine auf die Schliche gekommen. Sie hat dem Ganzen ein Ende gesetzt und dafür gesorgt, dass Madeleine mir mein Geld zurückgibt. Ellie ist eine sehr vertrauenswürdige und verantwortungsvolle junge Frau, und sie ist meine Freundin.« Sie sah ihren Enkel mit ernster Miene an und warnte ihn: »Solange du hier bist, wirst du dich ihr gegenüber freundlich verhalten, sonst kannst du dich gleich wieder auf den Heimweg machen.«
Wyatt bekam vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Verdammt noch mal, er war ihr Enkel, und Ellie war praktisch eine Fremde, jedenfalls für seine Großmutter. Für ihn selbst war sie inzwischen auch eine Fremde, auch wenn er früher einmal geglaubt hatte, sie gut zu kennen.
»Und ich werde auch nicht in ein Altenheim ziehen!«
Schuldbewusst wich Wyatt ihrem Blick aus. »Wer hat denn was von Altenheim gesagt?«
»Hatte ich nicht gerade eben noch gesagt, dass ich keine senile alte Schachtel bin?«, gab sie bissig zurück. »Ich habe dich seit Jahren nicht mehr gesehen. Seit du zur Army gegangen bist, hast du keine Zeit mehr für mich gehabt. Und dann passiert diese Sache mit Madeleine, und ganz plötzlich stattest du mir einen Überraschungsbesuch ab?« Sie schnaubte verächtlich. »Davon kann wohl kaum die Rede sein. Dein Vater hat dich hergeschickt, um sicherzustellen, dass ich nicht sein Erbe verpulvere, und um zu sehen, ob ihr mich nicht vielleicht ins Heim abschieben könnt.«
»Also Gran …«
»Wer hat ihm das von Madeleine erzählt?«, wollte sie wissen. »War es Oscar?«
Es war tatsächlich Onkel Oscar gewesen. Dass seine Großmutter so zielsicher ins Schwarze getroffen hatte, ließ Wyatt unwillkürlich den Mund verziehen, was für Meredith einem Bekenntnis gleichkam.
»Ich wusste es«, zischte sie wütend. »Ich habe es Violet erzählt, und die hat nichts Besseres zu tun, als nach Hause zu rennen und es ihm zu erzählen. Und er hat es erwartungsgemäß deinem Vater hintertragen.« Missmutig kehrte sie zur Spüle zurück. »Ich weiß wirklich nicht, warum meine Schwester diesen Mann geheiratet hat. Und erst recht nicht, warum sie ihm absolut alles weitererzählen muss, was ich ihr anvertraue.«
»Oscar ist nur um dich besorgt, Gran«, sagte Wyatt beschwichtigend. »Erst lässt du dich in diesen iTunes-Skandal verstricken, dann …«
»Ich habe mich in gar nichts verstricken lassen!«, fiel sie ihm sofort ins Wort.
»Als Onkel Oscar und Tante Violet zu dir kamen, warst du mit dem Telefon am Ohr auf dem Weg nach draußen, um zur Bank zu fahren und dein Geld …«
»Ich wollte mit meinem Geld gar nichts machen!«, unterbrach sie ihn energisch. »Ich wollte zur Bank fahren und mich erkundigen, ob es diese iTunes-Karten wirklich gibt und ob es stimmt, dass sie auch als Zahlungsmittel anstelle von Bargeld akzeptiert werden. Hätten sie Nein gesagt, hätte ich einfach aufgelegt. Ich wusste es bloß nicht. Ich habe keinen Computer und somit keine Ahnung, welchen neumodischen Kram es heutzutage alles gibt. Außerdem hatte dieser Kerl mich am Telefon angebrüllt!«, herrschte sie ihren Enkel aufgebracht an.
»Schon gut, Gran, es ist alles in Ordnung«, versuchte er sie zu beschwichtigen.
»Nein, es ist gar nichts in Ordnung! Oscar gibt sich jede erdenkliche Mühe, mich vor deinem Vater als unfähige alte Schachtel hinzustellen, und er hat ja auch allen Erfolg damit. Aber so einfach ist das nicht. Ich muss nicht ins Heim, ich habe alle meine Sinne beisammen!« Ihr Gesicht war vor Wut ganz rot, und ihre Unterlippe bebte.
»Okay, okay, es tut mir leid.« Wyatt ging zu ihr, legte die Arme um sie und drückte sie sanft an sich. »Es wird alles gut werden.«
Seine Großmutter schniefte und schüttelte den Kopf. »Nein, das wird es nicht. Oscar ist ein hasserfüllter alter Stinkstiefel. Er will sich an mir rächen, weil ich Violet geraten habe, ihn zu verlassen. Seitdem gibt er keine Ruhe, bis er es geschafft hat, mich ins Heim zu verfrachten.«
Wyatt sah sie verwundert an. »Du hast Tante Violet geraten, sich von Onkel Oscar zu trennen?«
»Mehr als einmal«, antwortete sie wütend. »Der Kerl hat sie immer wieder betrogen, und jetzt ist er auch noch gewalttätig geworden und schlägt sie. Ich sage ihr seit Jahren, dass sie sich von ihm trennen soll.«
Erstaunt über diese Neuigkeit tätschelte er ihren Rücken. Wenn er schon mal hier war, sollte er Onkel Oscar und Tante Violet vielleicht auch einen Besuch abstatten.
»Du kannst Ellie fragen«, sagte Meredith plötzlich. »Sie kann dir bestätigen, dass ich nicht senil bin.«
»Sie kennt dich doch kaum, Gran«, wandte er ernst ein.
»Natürlich kennt sie mich«, beharrte sie. »Wir trinken jeden Morgen unseren Tee, und oft kommt sie abends noch zum Essen, bevor sie sich auf den Weg zur Arbeit macht. Wir verbringen viel Zeit miteinander.«
Unwillkürlich wurde Wyatt hellhörig. Das passte nicht zusammen. Warum verbrachte eine junge Frau wie Ellie so viel Zeit mit einer so viel älteren Frau? Worauf hatte sie es abgesehen?
»Die Ärmste ist ganz allein, seit sie hierhergezogen ist. Früher oder später wird sie neue Freunde finden, aber im Moment fehlt ihr ihre Familie und ihr altes Zuhause in England. Fehlte, um genau zu sein. Jetzt ist die Familie ja hier, und ich habe das Gefühl, dass sie ihr gar nicht so sehr gefehlt hat.« Sie musste leise lachen. »Vielmehr vermute ich, dass sie sich wünscht, sie wären nie hergekommen.«
»Und warum?«, fragte er interessiert.
»Weil ihre Mutter ganz offensichtlich etwas zu dominant ist und dazu neigt, sich in das Leben ihrer Töchter einzumischen. Darum ist Ellie überhaupt aus England weggezogen. Damit sie ihre Ruhe hat. Nichtsdestotrotz hat sie ihr gefehlt.«
»Ist das nicht ein Widerspruch?«, fragte er und wunderte sich, was es mit Els Mutter auf sich hatte. Bei seiner ersten Begegnung hatte Elspeth mit keinem Wort ihre Mutter erwähnt, aber andererseits war sie auch gar nicht auf ihre Familie zu sprechen gekommen.
»Nein«, antwortete Meredith zu seinem Erstaunen. »Das ist wie in jeder schlechten Beziehung. Eine Frau kann eine Beziehung beenden und wissen, dass sie sich richtig entschieden hat, und trotzdem kann sie bestimmte Dinge vermissen. Es ist ja nicht immer alles schlecht gewesen, aber wenn das Schlechte das Gute überwiegt, dann wird es Zeit zu gehen. Nur ist damit nicht ausgeschlossen, dass einem die wenigen guten Dinge anschließend fehlen.« Mit einem Schulterzucken löste sie sich aus seiner Umarmung. »Natürlich fehlen ihr die guten Seiten ihrer Mutter, und auf große Entfernung vergisst man gern schon mal das eine oder andere Schlechte. Aber spätestens seit heute Morgen weiß sie wieder ganz genau, warum sie auf einen anderen Kontinent gezogen ist.«
»Hmm«, machte Wyatt. Els Mutter war ihm eigentlich ganz nett vorgekommen, allerdings war die Tatsache, dass sie dabei nur Nachthemd und Morgenmantel getragen hatte, schon ein wenig … seltsam gewesen.
»Oh!«