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Wir verwenden täglich sprachliche Bilder, die verdeutlichen, wie wir uns fühlen: "Mir wird die Last zu schwer", "Ich fühle mich wie gelähmt", "es schnürt mir die Kehle zu" oder "Ich bin heute mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden". Selten beschreiben diese Formulierungen körperliche Zustände. Vielmehr drücken sie eine emotionale Gestimmtheit aus, die wir körperlich spüren. Auch bei Hunden spiegeln sich psychische Prozesse in Körperhaltung und -spannung, in der Bewegung und damit letztendlich im körperlichen Ausdruck und der psychosomatischen Gesundheit. Hunde werden also im wahrsten Sinne des Wortes auch von ihren Erfahrungen oder Erlebnissen der Vergangenheit bewegt. Psyche, Verhalten und Bewegung sind ein Regelkreis, in dem sich alles gegenseitig und in beide Richtungen beeinflusst. Dieses Buch bietet erstmalig eine Perspektive auf diese Zusammenhänge und macht sie konkret beobacht- und verstehbar. Im ersten Teil werden mögliche Entwicklungsstörungen durch frühe traumatische Erfahrungen, Psychomotorik, Emotionen, unterschiedliche psychische Störungsbilder und die ganz alltägliche Erlebniswelt der Hunde dargestellt. In Teil zwei werden dann die wesentlichen anatomischen Zusammenhänge erläutert und die Grundlagen von Motorik und Wahrnehmung erklärt, bevor es anhand konkreter Tabellen daran geht, die individuellen Bewegungs- und Verhaltensmuster von Hunden zu erfassen und auszuwerten. Im dritten Teil schließlich werden konkrete Bewegungs-Übungen vorgestellt, die auch und ganz besonders von Hundehaltern zuhause einfach in den Alltag mit dem Hund integriert werden können, um maßgeblich zur Verbesserung der körperlichen und seelischen Harmonie, der Selbstwahrnehmung und sozialen Kompetenz der Hunde beizutragen. Spannende neue Anregungen und Einsichten, die auch erfahrenen Hundemenschen und Therapeuten so manches Aha-Erlebnis bieten werden!
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eBook (epub) Ausgabe der Printversion 2024
ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-95464-326-4
eBook (epub)-ISBN: 978-3-95464-341-7
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Homburg, Nicole: S. 15, 19, 21, 23, 24, 25, 27, 31, 32, 33, 42, 56, 60, 61, 71, 75, 80, 81, 83, 93, 107, 115, 117, 122, 123, 126, 127, 128, 129, 139, 142, 143, 147, 149, 154, 156, 159, 162, 164, 166, 168, 169, 172, 175, 176, 178, 188, 190, 197, 201, 205, 207, 210,
Jansen, Nina: Titelfoto, S. 11, 29, 34, 35, 39, 47, 48, 65, 66, 68, 105, 114, 131, 132, 146, 170, 180, 181, 195, 202, 208, 217, 219, 223
orthoVET Dr. med. vet. Patrick Blättler Monnier: S. 100, 101
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Vorwort
Einführung
Konvergenz oder die Vergleichbarkeit der Arten
Beobachten, Zuhören, Hineinfühlen
Was bewegt Ihren Hund? – MotoKynogogik®
Teil 1: Die Kraft der Psyche
1. Entwicklungsphasen des Hundes
Geburt: Das große Wunder oder die erste Hürde
Die ersten vier Wochen: Der Himmel auf Erden oder die große Abhängigkeit
Ausnahmen bestätigen die Regel
Neues Heim, neue Chance
Pubertät: Wenn Hormone Purzelbäume schlagen
Endlich erwachsen
Wenn alles schwerer wird …
2. Von weißen Haien und dunklen Gruften
Wahrnehmung ist keine Glückssache
Angst und Angststörungen
Vegetative Symptomatik: Der Körper spielt verrückt
Psychische Symptomatik und Verhalten: Wie die Angst sichtbar wird
Phobische Störungen oder die Sache mit dem Knall
Die Schlangengrube: generalisierte Angststörung
Trauma – wenn der Alptraum Realität wird
Klassifizierung von Traumata
„Men Made Desasters“ oder die schwerwiegenden Folgen der Ahnungslosigkeit
Zufällige Traumata: Wenn das Schicksal an die Tür klopft
Traumaverarbeitung
Trauma-Verarbeitungsstörungen: Sand im Getriebe
Fragmentierung oder die defekte Festplatte
Dissoziation: in Slow Motion weggedriftet
Intrusion: Und täglich grüßt das Murmel-Monster
Flashback: Und plötzlich ist alles wieder da
3. „Guter“ Hund, „böser“ Hund
Auch Hunde dürfen wütend sein
Reaktiv impulsive Wut: der explosive Vulkanausbruch
Kontrolliert instrumentelle Wut, oder: Alles eine Frage der Berechnung
Die Psyche hat immer recht!
4. Bewegung ist Leben
Anspannung ist erstarrte Bewegung
5. Emotionen und ihr Widerhall im Körper
Spannung und Entspannung sind wie Ebbe und Flut, Sonne und Mond
Angst und Muskulatur: „Lass doch einfach mal locker“ ist leicht gesagt
Angst, Muskulatur und Knochen: Im Schraubstock gefangen
Auf zur sensiblen Spurensuche
Teil 2: Diagnostik
1. Was war zuerst? Die Henne oder das Ei?
Motorik: Der bewegte Körper
Gangarten: Von Takt und Rhythmus
Koordination: Auf die Feinjustierung kommt es an
Muskelkraft
Sensorik: Datenflut im Rechenzentrum
Sinneswahrnehmung
Sensomotorik und Körperschema: Von Elfen und Elefanten
Soziomotorik: Macht und Ohnmacht
Proxemik: Wie viel Nähe darf es sein?
2. Der Vagusnerv: Der Alleskönner
Die Polyvagal-Theorie: Im Notfall scheintot
3. Kleine Anatomie des Hundekörpers
Vom Atlas zum Kreuzbein
Symptome von Wirbelblockaden oder: Die Symptomsprache der Wirbelsäule
Der erste Halswirbel: Atlas (C1)
Der zweite Halswirbel: Der Axis (C2)
Der dritte Halswirbel (C3)
Der vierte Halswirbel (C4)
Der fünfte Halswirbel (C5)
Der sechste Halswirbel (C6)
Der siebte Halswirbel (C7)
Der ersten drei Brustwirbel (Th1, Th2, Th3)
Der vierte Brustwirbel (Th4)
Der fünfte und sechste Brustwirbel (Th5, Th6)
Der siebte, achte und neunte Brustwirbel (Th7, Th8, Th9)
Der zehnte, elfte und zwölfte Brustwirbel (Th10, Th11, Th12), erster bis fünfter Lendenwirbel (L1, L2, L3, L4, L5)
Der sechste, siebte Lendenwirbel (L6, L7) und das Kreuzbein (S1)
Die Schwanzwirbel
4. Faszien: In der Hülle liegt die Kraft
Oberflächliche Faszien
Faszinierte Hunde
5. Motodiagnostik: Jetzt mal „Butter bei die Fische“!
6. Checkliste Motorische Verhaltensweisen: Wie bist du wirklich?
7. Tabellen zur Diagnostik
Kraft und Vorne-Hinten-Koordination: Höher, weiter, passender
Sensomotorik, Propriozeption
Körperschema, Gleichgewichtssinn
Sensomotorik, Vorzugsseite, Sensibilität
Sensorik: Hörsinn, Sehsinn
Soziomotorik: Soziale Kontaktaufnahme, motorische Empathie
Teil 3: Praxis
1. Erlernte Hilflosigkeit
2. Auswertung motorischer Verhaltensweisen
Typ 1 – Freudige Spontanmotorik: Allzeit bereit
Typ 2 – Beherrschte Motorik: Erst denken, dann handeln
Typ 3 – Anmutige Motorik: Die Balletttänzer unter den Hunden
Typ 4 – Schwerfällige Motorik: Die ernsthaften, sensiblen Riesen
Typ 5 – Enthemmte Motorik: Geduld ist für Katzen!
Typ 6 – Gehemmte Motorik: Wer nichts wagt, verliert auch nichts
Typ 7 – Überschießende Motorik: Dynamit im Körper
Typ 8 – Eckige Motorik
Und was kommt jetzt?
3. Motokynogische Förderung: Hilfe zur Selbstwahrnehmung und Selbstbewegung
Auswertung der motorischen Tabellen aus Teil 2 und therapeutische Maßnahmen
Wie erkläre ich meinem Hund, wie es geht?
Die hohe Kunst der Förderung
Kraft und Vorne-Hinten-Koordination: kraftvoll und kontrolliert
Auf Plattform springen, stehen, sitzen, umdrehen
Rückwärtsgehen: Koordination und Orientierung im Raum
Basisübungen Cavaletti
Isometrische Übungen: Kraft- und Koordinationstraining ohne Geräte
Drei-Pfoten-Stand: Krafttraining ohne Geräte
Sensomotorik, Propriozeption
Paket auspacken: Sensomotorik, Propriozeption und Spannungsabbau
Auge-Maul-Hand-Koordination
Körperschema, Gleichgewichtssinn
Ein Bild der individuellen Wirklichkeit: Körperschema verändern
Im Gleich-Gewicht mit sich
Sensomotorik, Vorzugsseite, Sensibilität
Vorzugsseite: Mit und gegen den Uhrzeigersinn
Der beliebte Supertrick, der sogar förderlich ist: Pfötchen geben
Pfotensensorik: Input und Output
Hörsinn und Sehsinn
Augenmuskeltraining
Training des Hörsinns
Training des Geruchssinns
Der Tastsinn
Soziomotorik: Soziale Kontaktaufnahme, motorische Empathie
Koordination trainieren für Fortgeschrittene
4. Stresstoleranz stärken – Vagusnerv aktivieren
Miteinander schnurren
Tiefe Atmung: Zwerchfelldehnung
Ein Herz für das Herz
Massage und Berührung
5. Traumafolgen: Eine Reset-Taste gibt es nicht
Erlernte Hilflosigkeit
6. Fasziniere deinen Hund: Faszien behandeln
Mobilisierung schafft Beweglichkeit
Die Bewegungswinkel
Dehnung und Entspannung
Flexibilisieren
Exploration
Albern sein erwünscht: Die Zauberkiste
Kniffelspaß für ungeduldige Hunde
Den Gefühlen Freilauf lassen
Von zuhause in die Welt
Die Moral von der Geschichte …
Nachwort
Quellen
Danksagung
Über die Autorin
Was wäre, wenn wir über unsere Hunde in der Beobachtung und Berührung viel mehr erfahren könnten, als wir in unseren kühnsten Träumen erhoffen könnten?
Wir könnten ihnen helfen. Helfen zu entspannen, helfen zu vertrauen, helfen locker zu lassen, helfen ihre Gefühle von Ohnmacht und Kontrollverlust zu überwinden. Wir könnten sie sich selbst spüren lassen, sie darin unterstützen, sich in angespannten Situationen nicht zu verlieren, sich nicht mehr belastet zu fühlen und unbeschwerter mit uns durch das gemeinsame Leben zu gehen.
Das können wir tatsächlich! Wenn wir uns einfühlen, unsere fünf Sinne ganz für unsere Hunde öffnen und uns ein wenig Zeit nehmen, um unser Miteinander etwas anders zu gestalten.
Schon drei Mal 20 Minuten pro Woche konzentriertes Wahrnehmen und Behandlung zuhause kann für unsere Hunde ihre Welt verändern.
Und eine „motokynogogische“ (s. S. 14) Behandlung ist kein Hexenwerk, sondern eine Essenz aus Osteopathie, Physiotherapie, Grundkenntnissen der Psychodynamik und der Bereitschaft zur Resonanz für den eigenen Hund.
Viele Hunde sind so aufgeregt, angespannt oder gestresst, wenn sie zur Behandlung zu einem Physiotherapeuten oder Osteopathen gebracht werden, dass die Wirksamkeit der Behandlung nach kurzer Zeit bereits verflogen ist oder gar nicht erst entsteht.
Der durch seinen Halter an körperliche Behandlungen im heimischen Umfeld gewöhnte Hund wird sich in der Praxis zum einen weniger unwohl fühlen und die Ergebnisse einer Behandlung können zum anderen durch die Anwendungen zuhause unterstützt werden.
Physiotherapeut und Tierarzt orientieren sich vordergründig an den medizinischen Untersuchungsergebnissen, die durch bildgebende Verfahren und Diagnostik entstehen. Seltener werden psychische oder psychodynamische Prozesse in die Anamnese aufgenommen.
Gute Tier-Osteopathen behandeln ihre tierischen Patienten mit einem erheblichen Einfühlungsvermögen und Resonanz und auf Grundlage von medizinischer Diagnostik und Beobachtung unter Einbeziehung der Berichte des Tierhalters. Dabei wird auch das Verhalten des Hundes berücksichtigt.
Nur wenn ein Individuum, egal ob Mensch oder Hund, sich selbst wahrnimmt, spürt, fühlt und ausdrücken kann, wird der Kontakt zum Rest der Welt harmonisch, stressfrei und erfüllt verlaufen können. Was liegt also näher, als die Selbstwahrnehmung unserer Hunde zu betrachten und zu versuchen zu verstehen, wie sie die Welt erleben, wie sie sich darin spüren und in Verbindung zu ihrer Umwelt setzen. Das kann uns ermöglichen, es unseren Hunden in ihrem Leben an unserer Seite leichter zu machen.
Dieses Buch soll jeden Hundehalter dazu ermutigen, mehr für den geliebten Hund zu tun, als es vielleicht bei einem Termin in einer Praxis pro Woche möglich ist.
Lassen Sie uns gemeinsam beginnen.
Dieses Buch setzt sich aus drei Teilen zusammen. Im ersten Teil erläutere ich, „worum es geht“. Mögliche Entwicklungsstörungen der Hunde durch frühe traumatische Erfahrungen, Psychomotorik, Emotionen, unterschiedliche psychische Störungsbilder und die ganz alltägliche Erlebniswelt der Hunde in unserer menschlichen Umwelt sind hier die Themen.
Im zweiten Teil beschäftigen wir uns dann mit der Diagnostik. Hier werden einige wesentliche anatomische Zusammenhänge dargestellt und Motorik, Sensorik und andere Grundlagen zum allgemeinen Verständnis von Bewegung erläutert. Anhand von Tabellen stelle ich mögliche Tests zur Erfassung der motokynogogischen Verhaltensweisen des Hundes und deren Auswertung vor.
Im dritten Teil beschäftigen wir uns dann mit der möglichen Behandlung bzw. dem Training der Hunde zuhause.
René Descartes (1596 – 1650) bezeichnete Tiere als Automaten, die weder Gefühle noch eine Seele hätten. Ihre Schreie seien nichts anderes als das Quietschen eines Rades. Diese Auffassung wird heute glücklicherweise nicht mehr geteilt. Dennoch gibt es keine einheitliche wissenschaftliche Meinung zur Gefühlsfähigkeit bzw. der Intensität und Vergleichbarkeit von Gefühlen von Mensch und Hund.
Werden Hunden jedoch nicht die gleichen emotionalen Zustände wie uns Menschen zugestanden, so werden ihnen auch die möglichen Störungen in Bezug auf dieses Gefühlsleben abgesprochen. Das bedeutet, dass Angststörungen, Traumafolgestörungen und stressbedingte Erkrankungen bei Hunden nicht angemessen behandelt werden.
Es ist jedoch zunehmend zu beobachten, dass Erkenntnisse aus der Neurobiologie auf Hunde angewendet werden. Neurobiologisch sind Gefühle und deren Auswirkungen auf den Organismus zum Beispiel durch MRT nachweisbar (Adam Miklosi, 2021).
Die Parallelen zwischen Mensch und Hund lassen sich durch die Vergleichbarkeit der Gehirnaktivitäten beim Menschen (durch MRT nachgewiesen) und Mäusen (durch Elektrostimulation der verschiedenen Gehirnareale im Tierversuch) rückschließen: Was bei Mensch und Maus gleich angelegt ist, ist auch beim Hund anzunehmen.
Neurotransmitter und Hormone wie Adrenalin, Serotonin, Dopamin, Oxytocin und Noradrenalin finden sich bei Mensch, Maus und Hund. Die Produktion und der Abbau von Cortisol und andere für die Entstehung von Gefühlen wichtige Prozesse sind ebenso beim Hund wie beim Menschen nachweisbar.
Da also offensichtlich alle Voraussetzungen zur Entstehung von Gefühlen beim Hund gegeben sind, muss man auch annehmen, dass eine Störung dieser Affekte vorliegen kann. Insbesondere deshalb, da auch die Lebenskontexte von Mensch und Hund vergleichbar sind: Mensch und Hund leben in einem sozialen Familiensystem, interagieren und kommunizieren, handeln planvoll und zeigen Gruppendienliches Verhalten (Sozialverhalten). Diese komplexen Strukturen ermöglichen den Hunden eine optimale Anpassung an ihre Lebensverhältnisse, dennoch überfordert unser menschlicher Alltag viele Hunde und ihre Beziehungsfähigkeit macht sie emotional verletzlich.
Die im Folgenden beschriebenen Vergleiche oder Ableitungen von Mensch zu Hund gehen von der Grundlage dieser Konvergenz, also der Vergleichbarkeit der Arten, aus. Diese Art des Vergleiches wurde bereits in Bezug auf die unterschiedlichen Lerntheorien (siehe zum Beispiel „Pawlowscher Hund“ > klassische Konditionierung etc.) zu Beginn des 20. Jahrhunderts angewendet, auch wenn zu diesem Zeitpunkt weit weniger über die Funktionsweise von Säugetiergehirnen bekannt war, als dies heute der Fall ist. Diverse Theorien über das Lernverhalten von Menschen wurden seit jeher von Tauben, Ratten, Mäusen und eben Hunden abgeleitet.
Am Anfang steht die Beobachtung: Menschen erkennen, dass ihr Hund angespannt ist, bemerken, dass sich sein Verhalten trotz Training und Übung nicht ändert, fragen sich, ob sie etwas nicht verstehen oder übersehen. Oder ich bemerke in der Beratung oder einem Coaching-Prozess, dass ein Hund sich ungleichmäßig bewegt, unter Spannung steht, Gliedmaßen entlastet, also motorisch kompensiert. Hundehalter berichten, dass ihr Hund in bestimmten Situationen nicht ansprechbar erscheint und situativ abhängig nicht auf Signale und Kommandos reagiert.
Daran schließt sich ein diagnostischer Prozess an, der mit dem gezielten Beobachten von Bewegungsabläufen beginnt und sich mit einem Abtasten des Hundes fortsetzt.
Denn seelische Spannung bewirkt körperliche, spürbare Verspannung. Selbstverständlich ersetzen eine fundierte Beobachtung und das Abtasten nicht eine medizinische Diagnostik mit bildgebenden Verfahren et cetera. Am Anfang steht jedoch die aufmerksame Wahrnehmung körperlicher Auffälligkeiten, die den Hundehaltern manchmal nicht möglich ist, da sie ihren Hund täglich sehen und Veränderungen eventuell nicht bemerken.
Muskeln und Faszien, aber auch Organe können anspannen. Oft geschieht dies unwillkürlich, unbemerkt und auf Dauer entstehen manifeste Veränderungen in Körper, Seele und Geist. Darum versuche ich gemeinsam mit dem Hundehalter zu ergründen, was den Hund bewegt bzw. ihn sich nicht oder nur eingeschränkt bewegen lässt.
Stress, Schmerzen, vorangegangene Traumata seelischer oder körperlicher Natur, die ungefilterte Spiegelung menschlicher Gefühle wie Wut, Trauer oder Verzweiflung, körperliche Einschränkungen, aber auch hormonelle Ursachen, zum Beispiel durch eine unerkannte Schilddrüsenunterfunktion, kommen als Ursache für motorische Kompensation in Frage. Die motorische Kompensation entsteht zum Beispiel durch erhöhte oder herabgesetzte Körperspannung während der motorischen Entwicklung (frühe Traumata) und in akut belastenden Situationen. Auch das dauerhafte oder länger anhaltende Vermeiden von Schmerzen (Schonhaltung führt zu Dysfunktionalität) oder die durch seelische Anspannung verursachte Spannung in der Haltemuskulatur (tonische Muskulatur) beeinflusst die Motorik.
Haben wir die Ursachen identifiziert, können wir mit der Behandlung beginnen.
Das können motorische Übungen für den Alltag, Massagen, verhaltenstherapeutische Maßnahmen, Coachings für den Menschen, notwendige medizinische Behandlung, Physiotherapie oder Osteopathie sein. Aber vor allem sind das Einfühlungsvermögen, die Aufmerksamkeit und Responsivität des Menschen für den Hund gefragt.
Das Wort MotoKynogogik® setzt sich aus Motion (Bewegung), Kynos (gr. des Hundes) und Agogik (gr. Anleitung, Begleitung) zusammen. Ich habe dies aus dem Fachbereich der Motopädagogik abgeleitet.
Wir verwenden ganz selbstverständlich Formulierungen wie „die Last wird mir zu schwer“, „in die Knie gehen“, „gramgebeugt“, „alles zieht sich zusammen“, „Herzschmerz“, „herzzerreißend“, „es nimmt mir den Atem“, „schweigendes Entsetzen“, „lass mal locker!“, „mach dich mal gerade!“ et cetera. Diese Formulierungen beschreiben die enge Verknüpfung von körperlichen und seelischen Empfindungen.
„Über diese Brücke gehe ich nicht“, „unüberwindliche Hindernisse“, „ergreif die Chance“ oder „lass mich bitte nicht fallen“ und so weiter drücken die Verbindung von Bewegung, Handlung und inneren Zuständen, Hoffnungen, Ängsten und Befürchtungen aus.
Und unsere Sprache stellt auch eine körper-seelische Verknüpfung in Verbindung zu unseren Hunden her: „Er sieht aus wie ein begossener Pudel“, „Kneif nicht immer den Schwanz ein“, „Dackelblick“, „hinterherdackeln“ oder „jemanden anpinkeln“ sind der Hundehaltung entlehnte Formulierungen, die uns sofort über emotionale Zustände oder Motive hinter einer Handlung oder Bewegung aufklären. Sie hinterlassen ein Bild in uns, das wir eindeutig Gefühlen zuordnen können.
Auch bei Hunden gibt es einen Zusammenhang zwischen Körper, Seele und Geist. Anders als wir Menschen können Hunde uns jedoch keine sprachliche Auskunft über ihre seelischen und körperlichen Zustände geben.
Mittels beobachtender und sensorischer (fühlender) Diagnostik in bestimmten vorgegebenen Bewegungsabläufen und im Ruhezustand können wir den psychischen und körperlichen Zustand des Hundes in Bezug auf psychodynamische Zusammenhänge erschließen.
So kann es zum Beispiel sein, dass ein Hund aufgrund eines Geburtstraumas wie einem Kaiserschnitt eine wenig entwickelte Selbstwahrnehmung hat und seine Gefühle nur wenig oder sehr heftig über Bewegung ausdrücken kann. Die Folge davon können eine schlechte Reizverarbeitung, körperliche Hyper- oder Hyposensibilität, Nervosität, Ängstlichkeit etc. sein.
Die Diagnostik, Behandlung und motorische Förderung unserer Hunde sowie das Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Seele, Körper und Geist und daraus resultierend der Umgang mit auftretenden Schwierigkeiten im Zusammenwirken dieser drei Teile des Systems Hund ist die Zielsetzung der MotoKynogogik®.
Dabei sind die wesentlichen Werkzeuge der Diagnostik die gezielte Beobachtung von Bewegungsabläufen, die manuelle sensorische Wahrnehmung von Spannungszuständen in der Muskulatur und den Faszien sowie die Resonanzfähigkeit des Menschen. Resonanz bedeutet in diesem Fall, sich ganz auf den Hund einzustimmen, ihn unabhängig von Erziehung, Erwartungen und Erscheinung wahrzunehmen und seine Stimmungen nachzufühlen, um ihn vollständig wahrzunehmen.
Ein wesentlicher Unterschied zum Physiotraining besteht darin, dass auch die seelischen Spannungen und Gefühle der Hunde erfasst werden. Zudem dürfen die emotionalen Spannungen der Hunde Ausdruck finden (aktiver Spannungsabbau), damit auch dieser Ursprung von körperlicher Spannung aufgelöst werden kann (Psychodynamik).
Merke!
MotoKynogogik® beobachtet und berücksichtigt nicht nur die Bewegungsabläufe, sondern auch die seelischen Spannungen und Gefühle.
Der junge Doggenrüde P überwindet seine anfängliche Skepsis und lässt sich freiwillig behandeln.
In den folgenden Kapiteln beschäftigen wir uns mit den Grundlagen von psychischem Erleben, Motorik, Sensorik und dem Zusammenwirken von Psyche und Körper. Das Verständnis für die Zusammenhänge zwischen dem individuellen Erleben einer (Hunde-)Person und den spürbaren Auswirkungen dieses Erlebens stellen die Grundlage der Diagnostik dar. Es geht nicht darum, eine notwendige, gute physiotherapeutische oder osteopathische Behandlung oder gar medizinische Diagnostik zu ersetzen, sondern darum, diese zu ergänzen. Die engste Bezugsperson eines Hundes kennt diesen am besten, genießt das meiste Vertrauen der Hunde und diese können sich ihrem Menschen entspannt gegenüber verhalten. Die Zusammenhänge zwischen seelischer, geistiger und körperlicher Spannung sind am ehesten zu erfassen, wenn der Hund sich „ganz normal“, also wie immer verhält.
Und das tut er normalerweise zuhause, in seinem gewohnten Umfeld.
Daher planen wir unsere Beobachtungen auch in unserem Zuhause, im Garten, genau dort wo unser Hund sich wohl- und vor allem sicher fühlt.
Oft bekomme ich geschildert, dass Hunde, die zuhause kaum noch kriechen können beim Tierarzt alle vorhandenen Zähne zusammenbeißen und kein Leid erkennen lassen. Die Angst vor dem Tierarzt lässt sie so gut es irgendwie geht alle Anzeichen körperlicher Versehrtheit verbergen und sie erscheinen kerngesund.
Daher stellt die Unterstützung durch den eigenen Menschen oder den eventuell aus der Hundeschule bekannten Coach für MotoKynogogik® eine gute Möglichkeit der Ergänzung einer Behandlung und Diagnostik dar.
Merke!
Es geht nicht darum, eine physiotherapeutische oder osteopathische Behandlung oder gar medizinische Diagnostik zu ersetzen, sondern darum, sie zu ergänzen.
Beschäftigen wir uns nun erst einmal mit der Entwicklung unserer Hunde. Bereits die allerersten Erfahrungen im Leben beeinflussen das psychische und körperliche Empfinden unserer Hunde. Ein Hund hat zwar eine größere Begabung im Moment zu leben als die allermeisten Menschen, dennoch wird seine psychische und körperliche Gesundheit sehr stark von frühesten Erfahrungen beeinflusst, die sich aufgrund der Tatsache, dass noch keine Resilienz entwickelt werden konnte, keine positiven Erfahrungen einer schlechten entgegengesetzt werden können, sehr stark auf das gesamte Hundeleben auswirken können.
Säugetiere entwickeln sich in der Gebärmutter bis zu ihrem Geburtstermin zu unterschiedlichen Stadien. Hundewelpen werden nach circa 63 Tagen geboren und kommen blind und taub zur Welt, sehen aus wie zauberhafte Mini-Meerschweinchen und sind komplett abhängig von ihrer Mutter. Erst zwischen dem 10. und 16. Lebenstag öffnen sich die Augen und Ohren.
Schafe kommen viel weiter entwickelt auf die Welt und können schon nach kürzester Zeit auf wackeligen Beinen stehen. Die Tragzeit liegt bei etwa 150 Tagen. Grasfresser als potenzielle Beutetiere für Beutegreifer wie Hunde, Wölfe, Füchse, Katzen und Greifvögel müssen von Beginn an fluchtbereit sein. Dennoch sind auch Lämmer zuerst vollkommen abhängig von ihren Müttern und brauchen diese zum Überleben. Die ersten Momente ihres Lebens verbringen Grasfresser wie Schafe damit, ihre Mutter kennenzulernen, ihre Stimme zu identifizieren und ihren Geruch zu speichern, um ihre Mütter in einer Herde wiederzufinden und von ihr als eigener Nachwuchs anerkannt zu werden.
Finegan
Der erste Moment, das Ankommen in der hellen, kalten und somit bedrohlichen Welt ist ein entscheidender Augenblick im Leben jedes Säugetieres: Nur wenn die Mutter sich kümmert, da ist, Zuwendung spendet, für Nahrung und Wärme sorgt, fühlt sich das Neugeborene willkommen und sicher.
Ist der erste Moment eines Hundes überschattet durch Geburtskomplikationen, eine überforderte oder kranke Mutter oder ungünstige Rahmenbedingungen beim Züchter, dann wird der erste Moment zum Schatten, der sich auf die Seele legt.
Da zum Zeitpunkt der Geburt noch keine positiven anderen Erfahrungen dieser einen großen, defizitären Erfahrung gegenüberstehen, es noch keine rationalen Verarbeitungskompetenzen bei einem Neugeborenen geben kann, bleibt diese Erfahrung als unreflektierter Schrecken bestehen.
Auch uns Menschen beeinflussen diese allerersten Lebenserfahrungen, obwohl wir uns nicht bewusst daran erinnern können. Immer wieder erlebe ich im Coaching Menschen, die bei ihrer Geburt ein Bindungs-Trauma erfahren haben, zum Beispiel, weil sie nach der Geburt zur Adoption freigegeben wurden und in den ersten Monaten keine liebende Bezugsperson um sich hatten. Obwohl sie dies wissen und rational begreifen, können sie das mangelnde Urvertrauen, dieses erste Defizit, nicht überwinden. Gefühle von Einsamkeit, Selbstzweifeln oder Ablehnung bleiben.
Wie soll es dann unseren Hunden gelingen, ohne unsere im Laufe des Lebens hoffentlich erworbenen rationalen Fähigkeiten, diese ersten Erfahrungen zu bearbeiten und zu überwinden? Sie bleiben im Unterbewusstsein bestehen, sind somit nicht vom Verstand zu erfassen.
Auf der einen Seite ist die psychische Erfahrung des ersten Momentes auf dieser Welt von wesentlicher Bedeutung. Hinzu kommt aber auch noch das körperliche Erleben. Durch das Trockenlecken des Welpen stimuliert die Mutter die Hautnerven des Neugeborenen, eine erste Wahrnehmung der eigenen „Außenhülle“ entsteht.
Wir erleben es häufig, dass unsere erstgebärenden Auen (Schafe) etwas überfordert sind, wenn sie zwei Lämmer bekommen. Dann legen wir das zweite Lamm auf das erste, damit die Mutter auch das zweite trockenleckt. Wenn das nicht funktioniert, reiben wir das kleine Lamm selbst trocken, ganz in der Nähe der Mutter, damit es gut ins Leben kommt, sich selbst spüren und in seinem Körper ankommen kann.
Schafe machen ganz bestimmte, sehr individuelle Mähgeräusche, die ihre Lämmer sofort erlernen und anhand derer sie ihre Mütter wiederfinden. Später kommt das laute, individuelle „Mäh“ dazu.
Hundewelpen nehmen zuallererst den Geruch der Mutter und die fürsorgliche Berührung wahr. Zwischen den einzelnen Geburten der Wurfgeschwister liegt normalerweise Zeit genug, damit die Hundemama einen Welpen abnabeln und versorgen kann. Das ist ein erstes Kennenlernen und für den Welpen entsteht ein Gefühl des „Aufgehobenseins“, angenommen zu werden und körperlich versorgt zu werden mit Wärme und Milch. Diese erste Prägung ist essenziell für das Urvertrauen des kleinen Welpen. Es ist sicher gut vorstellbar, was es in der Psyche und der Körperwahrnehmung des kleinen Hundes bewirkt, wenn die Mutter überfordert, hektisch und ängstlich ist oder sogar ganz in den ersten Momenten fehlt.
Der allererste Kontakt, den Säugetiere auf dieser Welt haben, sollte also ein liebevolles Kennenlernen der eigenen Mutter sein.
Aber auch während der Geburt kann sich ein prägender Schrecken für das kleine Leben ergeben. Im Geburtskanal stecken zu bleiben oder ohne Geburtsvorgang per Kaiserschnitt zur Welt zu kommen ist traumatisierend und wirkt sich massiv auf die Selbstwahrnehmung und somit auf die Kontaktfähigkeit zur Umwelt aus.
Welpen, die im Geburtskanal für einen längeren Zeitraum feststeckten, werden ohne Hilfestellung durch den Menschen zu erwachsenen Hunden, die Probleme mit Begrenzung haben, die es schwer haben, Frustrationstoleranz zu erlernen und die zu extremen Gefühlslagen neigen – haben sie doch in einer schier ausweglosen Situation festgesteckt und Todesangst erlebt. Das ist ein existentielles Trauma, an dem keiner die Schuld trägt.
Bei einer Kaiserschnittgeburt wird durch die fehlende Passage durch den Geburtskanal die Körperwahrnehmung nicht ausreichend „angeschaltet“, eventuell sind die Welpen auch noch gar nicht in „Geburtslaune“, sondern wären noch gern ein Weilchen in ihrem paradiesischen Gebärmutterhörnchen geblieben. Selbstverständlich gibt es medizinische Notlagen, die einen Kaiserschnitt erforderlich machen und dennoch sollten sich Züchter der Folgen insofern bewusst sein.
Es lässt sich vermuten, dass der vorgeburtliche (pränatale) Verlust von Geschwistern für Hunde zumindest ein körperliches Trauma darstellt. Der somatische Stress der Mutter durch die Totgeburt und die psychische Belastung der Mutter wirken chemisch durch Stresshormone auf die überlebenden Welpen.
Eine gestresste Hundemutter gibt durch den gemeinsamen Stoffwechsel die Stresshormone an die ungeborenen Welpen weiter.
Ich erinnere mich an die Riesenschnauzer-Hündin einer Kundin, deren Mutter noch während der Tragzeit im Schutzdienst geführt wurde und an Wettbewerben teilnahm, die sich extrem leicht aufregte und schnell „die Fassung verlor“. Selbst wenn ihr der Sport Spaß gemacht haben sollte, hat sie doch eine Menge Aufregung währenddessen erlebt, was sich wohl auf die Welpen ausgewirkt hat.
Auch die Enge in der Gebärmutter durch eine sehr große Anzahl von Welpen kann unbewusst zu Abwehrverhalten bei Begrenzung, Berührung und Körperkontakt im späteren Leben führen.
Wir können leider nicht alles verhindern, nicht jeder Katastrophe vorbeugen und jede noch so gute Planung kann schicksalshaft durchkreuzt werden, aber wir können versuchen, zu verstehen, wie es den Hunden damit ergeht.
Es ist möglich, durch Förderung der Selbstwahrnehmung, durch Abbau von Spannungen und durch das Ausleben von unterdrückten Emotionen diese frühesten Erlebnisse zumindest zu einem Teil zu integrieren und zu verarbeiten.
Merke!
Eine gestresste Hundemutter gibt durch den gemeinsamen Stoffwechsel die Stresshormone an die ungeborenen Welpen weiter.
Matti
Matti ist ein Australian Cattledog Rüde, der seine Besitzerin mit plötzlichen Beißattacken sehr gefordert hat.
Sobald Matti eine reizstarke Situation erlebte, insbesondere die Begegnung mit anderen Hunden, explodierte er förmlich und schnappte, vollkommen außer sich, um sich und erwischte dabei häufig seine Hundehalterin, die daraufhin unter anderem den Kindern den Kontakt und insbesondere das Rausgehen mit Matti strikt untersagen musste.
Matti, der Cattledog
Es ist Mattis Glück, dass er bei einer derart geduldigen und sachverständigen Person gelandet ist, die schnell erkannt hat, dass seine Entwicklung und Problematik nichts mit Erziehung oder Verhaltensschulung zu tun haben konnte!
Matti ist bei der Geburt im Geburtskanal stecken geblieben und nach einer größeren Lücke zu seinen Geschwistern in grünem Fruchtwasser geboren worden. Das bedeutet, dass er zu lange nicht auf die Welt konnte und das Fruchtwasser bereits Keime entwickelt hatte, die ihn zu vergiften drohten. Also hat er auf der einen Seite in einem beengten Tunnel festgesteckt, konnte weder vor noch zurück, zum anderen wurde die Versorgung mit Luft knapp und in der Gebärmutter, seiner Schutzhülle, herrschte zum Zeitpunkt der Geburt ein entzündliches Niveau, das ihn hätte vergiften können. Es kann wohl kaum ein größerer Alarmzustand in einem Körper ausgelöst werden, der sich immer wieder in jeder überfordernden Situation als abwehrende Panikreaktion manifestiert hat.
Für Matti war es ein Problem, gehalten zu werden, Begrenzung zu erfahren (steckenzubleiben!), nicht handeln zu können, nicht wegzukönnen (z. B an der Leine) und es war eine unglaubliche Herausforderung, sein Vertrauen zu gewinnen und ihn schrittweise in seiner Selbstwahrnehmung dahingehend zu fördern, dass er nicht in jeder minimalen Reizlage die „Fassung verlor“.
Im Rahmen eines MotoKynogogik®-Kurses hat seine Halterin die ersten Schritte unternommen und Matti mit sich, seinem Körper, seinen Spannungen und Erfahrungen vertrauter und entspannter gemacht und arbeitet seitdem kontinuierlich weiter daran.
Mattis Erfahrungen, die sich seiner rationalen Erinnerung aufgrund seines Alters zum Zeitpunkt des Traumas entziehen, können nicht gelöscht werden, sondern die Auswirkungen auf sein gesamtes Erleben, die Reizverarbeitung und Selbstwahrnehmung kann nur gemildert werden.
Heinerle
Heinerle ist ein Golden Retriever, den ich mit einem halben Jahr bei einem MotoKynogogik®-Seminar kennen gelernt habe.
Heinerle hat einen sehr starken Nystagmus (Augenzittern) und ein Anfallsleiden. Beides kann die Folge von Sauerstoffmangel während der Geburt gewesen sein und er hat zu keinem bewussten Zeitpunkt seine Umwelt „normal“ wahrnehmen können. Er kennt also die Welt nur in zitternden Bildern.
Wenn Heinerle aus dem Schlaf erwachte, hat er um sich geschnappt und alles, was er dabei zwischen die Zähne bekam, erst einmal festgehalten, ohne dass er dies willentlich beeinflussen konnte. Daher war es immer unglaublich wichtig, wo Heinerle einschlief. Während des Essens unter dem Tisch konnte fatale Folgen für die Menschen, die am Tisch saßen, haben.
Als ich Heinerle kennenlernte, konnte er aufgrund seines Nystagmus nicht geradeaus laufen, weil er mit seinen Augen nichts fixieren konnte, sich visuell im Raum nicht „festhalten“ konnte. Er konnte auch nichts mit dem Maul greifen oder apportieren, da es für das Zugreifen eine Auge-Maul-Koordination braucht, die er nicht bewerkstelligen konnte. Dennoch war (und ist!) Heinerle ein sehr freundlicher, fröhlicher Hund. Seine Besitzerin hat dann im Rahmen des Seminars damit begonnen, ihn über farbige Matten, die wir wie auf einem Schachbrett ausgelegt haben (schwarz / weiß im Wechsel) an der Leine geführt gehen zu lassen, um sein räumliches Sehen zu trainieren.
Heinerle auf den kontrastierenden Matten
Allein schon durch dieses Angebot der Gestaltung des Bodens durch Farbkontraste konnte Heinerle noch während des Seminars mit dem Maul erstmalig nach Spielzeugen greifen und diese erkunden. Das war für ihn ein großer Schritt, da er nun imstande war, mit seiner Umwelt bewusste Erfahrungen zu machen, die seine Gehirnentwicklung sehr positiv beeinflussten.
Heinerle erprobt einen Fetzfilz auf den Puzzlematten.
Bei einem Seminar (sechs Monate später) konnte Heinerle rund um eine der Matten, an der er sich orientieren konnte, mit einem sehr freundlichen jungen Ridgeback-Rüden das erste Mal mit einem Hund spielen.
Diesen Augenblick werde ich wahrscheinlich nie vergessen und ich bewahre dieses Video bis heute auf!
Manchmal braucht es nur kleine Impulse für die Hunde und flexible, liebende Menschen, die bereit sind, diese Impulse umzusetzen, um für die Hunde so viel mehr Lebensqualität zu gewährleisten, Entwicklung anzustoßen und individuelles Wachstum möglich zu machen.
Heinerle und Matti haben das große Glück, dass ihre Menschen dies für sie möglich machen.
In den rund ersten vier Wochen ihres Lebens halten sich die Welpen von Caniden (Hund, Wolf, Fuchs, Schakal etc.) in einer sicheren Wurfhöhle oder bei Züchtern in einer Wurfbox auf. Sie werden von ihrer Mutter versorgt und der Rest der Familie hat nur Zutritt, wenn die Welpenmama ihren Familienmitgliedern sehr vertraut und den Kontakt zulässt.
In dieser ersten Zeit erleben die Welpen die Umwelt in der Abhängigkeit von der Stillung ihrer Bedürfnisse, ohne selbst großartig Einfluss auf ihre kleine Welt nehmen zu können.
Sind zu viele Geschwister Konkurrenten um die Milch der Mutter oder hat diese nicht genug Milch, dann erleben die Welpen ohne Zufütterung durch den Züchter bereits die erste große Not: Hunger. Hunger ist zu jedem Zeitpunkt des Lebens bedrohlich. In der frühesten Entwicklungsphase aber psychisch prägend und körperlich höchst schädlich. Die notwendige Energie für Gehirnentwicklung, Aufbau der Organe, Knochen und Muskulatur und so weiter steht nicht zur Verfügung.
Ein Chihuahua hat mit 13 Wochen rund die Hälfte seines Endgewichtes erreicht. Wird er also mit einem Gewicht von 150 Gramm geboren, wiegt er mit 13 Wochen 1380 Gramm und ist mit acht Monaten ausgewachsen mit circa 2750 Gramm. Ein Chihuahua verachtzehnfacht also etwa sein Geburtsgewicht innerhalb von acht Monaten und benötigt daher kontinuierlich gut verfügbare und gesunde Nährstoffe.
Eine Dogge hat ein durchschnittliches Geburtsgewicht von 600 Gramm und ein Endgewicht von mehr als 60 kg. Und das wäre dann eine leichte, schlanke Hündin. Rüden können problemlos mehr als 75 kg Endgewicht erreichen. Eine schlanke, leichte Dogge von 60 kg verhundertsiebenfacht also ihr Geburtsgewicht bis zum zweiten Lebensjahr.
Wir können uns nun also leicht vorstellen, wie schnell es geht, dass ein Saugwelpe, der nicht genug Milch bekommt, in eine Notlage kommt, die er zwar körperlich und seelisch spürt, aber überhaupt nicht verstehen und noch weniger beeinflussen kann.
Wir verstehen auch, dass aus so einem Welpen leicht ein Hund werden kann, der ein übermäßiges Fressverhalten (nimmersatt), eine Futteraggression („ich teile nicht!“) oder sogar ein gestörtes Fressverhalten (alles, was essbar erscheint, wird gefressen – inklusive Kerzenwachs etc.) entwickelt.
Dabei ist Hilfe möglich: Von Beginn an kann mit Ziegenmilch zugefüttert werden und rechtzeitig mit wertvoller Nahrung (eine Proteinquelle, ein Gemüse, püriert, siehe Empfehlungen von Swanie Simon, Nadine Wolf oder Dr. Jutta Ziegler) so ergänzt werden, dass jeder Welpe satt und somit zufrieden ist und sich nicht in Not fühlt.
Selbstverständlich sollten die Welpen dabei kein Übergewicht bekommen, das sie in ihrer Bewegungsfähigkeit einschränkt und das Wachstum der Knochen beeinträchtigt. Auch ein für seine Rasse träger, weil zu dicker Welpe, kann sich nicht gut entwickeln und macht defizitäre Erfahrungen. Dabei unterscheiden sich die Hunderassen (oder ihre Mischlinge) erheblich in der körperlichen Entwicklung: Ein Mastiff-Welpe wird sich mit vier Wochen deutlich weniger bewegen als ein Kelpie-Welpe.
Zufriedene Welpen
Neben der (Zu-)Fütterung des Wurfes ist aber auch eine weitere körperliche Versorgung der Welpen notwendig:
Obwohl ein Welpe in den ersten 10 – 16 Tagen nach der Geburt nicht richtig sehen und hören kann, ist er bereits sehr aktiv. Die Suche nach Nahrung und Wärme lässt die Neugeborenen aktiv ihre Umgebung erfahren. Das Trockenlecken durch die Hunde-Mami, das Ankuscheln und Schlafen in der Geborgenheit der Wurfkiste, in sensorischem Kontakt mit den Geschwistern und Mama und die Erfahrung des liebevollen „Aufgehobenseins“ lässt einen Welpen die eigene Abhängigkeit nicht empfinden.
Erst wenn die Bewegungen, die Handlungen, das Suchen nach Wärme und Geborgenheit, nach Nahrung und Fürsorge des Welpen nicht erwidert werden, seine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt sind, erfährt er sich als hilflos.
Eine solche Hilflosigkeit schafft Abhängigkeit und aus dem Gefühl der Abhängigkeit und der nicht erfüllten Bedürfnisse entstehen Angst, Frustration, Wut und Verzweiflung. Gefühle, die eine Grundstimmung für das Leben prägen können.
Die Hundemama versorgt die Welpen rundum, wenn sie entspannt und erfahren genug ist oder wenn sie ausreichend Unterstützung durch menschliche Hilfe erfährt. Durch die Berührung und körperliche Fürsorge wird beim Welpen das sogenannte Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet, das im Welpengehirn stressmildernd und somit lernfördernd wirkt.
Ein körperlich und / oder seelisch gestresster Hund hat einen beschleunigten Stoffwechsel und das ausgeschüttete Cortisol behindert die Lern- und Wachstumsprozesse.
Das bedeutet, dass eine gestresste Hundemama auch gestresste und somit lern- und wachstumsbeeinträchtigte Hundewelpen großzieht. Auf der einen Seite wird sie sich nicht so entspannt und fürsorglich um ihre Welpen kümmern können, auf der anderen Seite gibt sie ihre eigenen Stresshormone über die Milch an ihre Welpen weiter.
Sogar der Stresslevel der Mutter während der Tragzeit beeinflusst die Welpen, weil sie sich einen Stoffwechsel mit der Mutter teilen.
Selbstverständlich kann man nicht jeden Stress im Leben von Hunden und Menschen verhindern. So ein Leben wäre nicht nur langweilig, sondern ohne Reize braucht ein Lebewesen auch keinerlei Verhaltensvariationen oder Strategien zu entwickeln und zu lernen. Es ist normal, dass Welpen untereinander Konflikte haben oder die Hundemutter die Welpen korrigiert, zum Beispiel mit der Schnauze stupst, wenn sie sich zu wild aufführen oder sie mit den wachsenden Zähnchen beim Trinken beißen.
Es schadet jedoch einem Welpen, wenn er oder sie immer der Unterlegene in einem Kontakt ist, immer der Schwächere, immer der „Underdog“. Daraus wird sicher nur im Ausnahmefall ein entspannter und souveräner Hund.