Was ist der Mensch?. Ein Gespräch über die Welt und Gott - Mark Twain - E-Book

Was ist der Mensch?. Ein Gespräch über die Welt und Gott E-Book

Mark Twain

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Beschreibung

Ist der Mensch vom Wesen her gut? Oder tut er nur Gutes, um sich gut zu fühlen? Hat der Mensch einen freien Willen? Welchen Zwängen ist er unterworfen? Über diese und viele andere große Fragen des Lebens lässt Mark Twain einen »Alten Mann« und einen »Jungen Mann« wortgewandt diskutieren. Das philosophische Zwiegespräch, das beweist, dass Leichtfüßigkeit und Tiefsinn einander nicht ausschließen, erscheint nun erstmals in deutscher Übersetzung. »Alter Mann: Was auch immer ein Mensch ist, verdankt sich seiner Beschaffenheit und den Einflüssen seines Erbguts, seiner Umgebung, seiner Beziehungen. Er wird bewegt, gesteuert und beherrscht von äußeren Faktoren – und sonst nichts. Er selbst erschafft nichts, nicht einmal einen Gedanken. Junger Mann: Ach was! Woher habe ich denn dann meine Meinung, dass du völligen Unsinn redest?«

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Seitenzahl: 139

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Mark Twain

Was ist der Mensch?

Ein Gespräch über die Welt und Gott

Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Hans-Christian Oeser

Reclam

Englischer Originaltitel: What Is Man?

 

2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: it’s me design

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961952-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014211-0

www.reclam.de

Inhalt

FEBRUAR 1905. Die Vorarbeiten ...

Was ist der Mensch?

I

a. Der Mensch, eine Maschineb. Persönliches Verdienst

II

Der einzige Antrieb des Menschen: das Streben nach der eigenen Billigung

Eine kleine Geschichte

III Einschlägige Beispiele

Weitere Beispiele

Schulung

IV

Schulung

Ermahnung

Eine Parabel

V

Mehr über die Maschine

Noch einmal die menschliche Maschine

Der Denkprozess

Instinkt und Denken

VI

Instinkt und Denken

Freier Wille

Nicht zwei Werte, sondern nur einer

Eine schwierige Frage

Die vorherrschende Leidenschaft

Schlussbetrachtung

Zu dieser Ausgabe

FEBRUAR 1905. Die Vorarbeiten zu dieser Abhandlung wurden vor fünfundzwanzig oder siebenundzwanzig Jahren begonnen. Die Abhandlung selbst wurde vor sieben Jahren verfasst. Seitdem habe ich sie ein- oder zweimal im Jahr geprüft und für überzeugend befunden. Eben erst habe ich sie abermals geprüft und bin nach wie vor davon überzeugt, dass sie die Wahrheit sagt.

Jeder Gedanke, den sie enthält, ist von Millionen und Abermillionen Menschen gedacht (und als unanfechtbare Wahrheit akzeptiert) worden – und er ist verheimlicht, verschwiegen worden. Weshalb haben sie nicht freiheraus gesprochen? Weil sie die Missbilligung der Leute um sich her fürchteten (und nicht ertragen konnten). Weshalb habe ich sie nicht veröffentlicht? Ich glaube, derselbe Grund hat auch mich davon abgehalten. Einen anderen kann ich nicht finden.

Was ist der Mensch?

I

a. Der Mensch, eine Maschineb. Persönliches Verdienst

[Der alte Mann und der junge Mann hatten sich unterhalten. Der alte Mann hatte behauptet, der Mensch sei nur eine Maschine und nichts weiter. Der junge Mann erhob Einspruch und bat ihn, Einzelheiten zu erläutern und seine Position zu begründen.]

ALTER MANN. Aus welchen Materialien wird eine Dampfmaschine gebaut?

JUNGER MANN. Aus Eisen, Stahl, Messing, Weißmetall und so fort.

A. M. Wo finden sich diese?

J. M. In Gestein.

A. M. In reinem Zustand?

J. M. Nein – in Erzen.

A. M. Werden die Metalle über Nacht in den Erzen abgelagert?

J. M. Nein – es ist die geduldige Arbeit ungezählter Zeitalter.

A. M. Könnte man die Maschine auch aus dem Gestein selbst fertigen?

J. M. Ja, aber nur eine zerbrechliche, keine sehr wertvolle.

A. M. Von einer solchen Maschine würde man nicht viel erwarten?

J. M. Nein – im Grunde genommen nichts.

A. M. Wie würde man vorgehen, um eine funktionstüchtige und leistungsfähige Maschine herzustellen?

J. M. Man würde Tunnel und Schächte in die Berge treiben; das Eisenerz heraussprengen; es zerkleinern, verhütten, zu Roheisen reduzieren; einen Teil davon dem Bessemerverfahren unterziehen und daraus Stahl erzeugen. Die unterschiedlichen Metalle, aus denen Messing hergestellt wird, würde man abbauen, weiterverarbeiten und legieren.

A. M. Und dann?

J. M. Aus dem Endresultat würde man die funktionstüchtige Maschine bauen.

A. M. Von der würden Sie viel erwarten?

J. M. O ja.

A. M. Sie könnte Drehbänke, Bohrer, Hobel, Schlagstempel und Schleifscheiben antreiben, kurzum, alle ausgeklügelten Geräte einer großen Fabrik?

J. M. So ist es.

A. M. Was könnte die Maschine aus Stein leisten?

J. M. Möglicherweise eine Nähmaschine antreiben – sonst vermutlich nichts.

A. M. Die andere Maschine würden die Menschen bewundern und begeistert loben?

J. M. Ja.

A. M. Aber nicht die aus Stein?

J. M. Nein.

A. M. Die Verdienste der Maschine aus Metall lägen weit über denen derjenigen aus Stein?

J. M. Selbstverständlich.

A. M. Die persönlichen Verdienste?

J. M. Die persönlichen Verdienste? Wie meinen Sie das?

A. M. Sie hätte einen persönlichen Anspruch auf Anerkennung ihrer Leistung?

J. M. Die Maschine? Natürlich nicht.

A. M. Warum nicht?

J. M. Weil ihre Leistung nicht persönlicher Natur ist. Sie ist Resultat des Gesetzes ihrer Konstruktion. Es ist kein Verdienst, dass sie die Dinge leistet, für die sie vorgesehen ist – sie kann nicht anders.

A. M. Und es ist nicht das persönliche Unverdienst der Maschine aus Stein, dass sie so wenig leistet?

J. M. Natürlich nicht. Sie leistet nicht mehr und nicht weniger, als was das Gesetz ihrer Machart ihr erlaubt und ihr abverlangt. Daran ist nichts Persönliches; sie kann nicht wählen. Wollen Sie, wenn Sie sich so ›zu der Sache hinarbeiten‹, etwa auf die Behauptung hinaus, dass Mensch und Maschine annähernd dasselbe sind und dass in der Leistung keines von beiden ein persönliches Verdienst liegt?

A. M. Ja – aber seien Sie nicht gekränkt; ich will Sie nicht kränken. Worin besteht der große Unterschied zwischen der Maschine aus Stein und der Maschine aus Stahl? Sollen wir es Ausbildung nennen, oder Bildung? Sollen wir die Maschine aus Stein einen Wilden nennen und die aus Stahl einen zivilisierten Menschen? Das ursprüngliche Gestein enthielt das Material, aus dem die Maschine aus Stahl gebaut wurde – allerdings zusammen mit einer Menge Schwefel, Geröll und anderen hinderlichen angeborenen Erbanlagen, die vergangenen geologischen Zeitaltern entstammen – nennen wir sie Voreingenommenheiten. Voreingenommenheiten, die zu beseitigen nichts im Gestein selbst die Macht oder den Wunsch hatte. Wollen Sie diesen Satz zur Kenntnis nehmen?

J. M. Ja. Ich habe ihn aufgeschrieben: »Voreingenommenheiten, die zu beseitigen nichts im Gestein selbst die Macht oder den Wunsch hatte.« Fahren Sie fort.

A. M. Voreingenommenheiten, die durch äußere Einflüsse beseitigt werden müssen oder gar nicht. Notieren Sie das.

J. M. Wie Sie wünschen. »Die durch äußere Einflüsse beseitigt werden müssen oder gar nicht.« Fahren Sie fort.

A. M. Die Voreingenommenheit des Eisens gegen die Befreiung vom hemmenden Gestein. Genauer gesagt, die absolute Gleichgültigkeit des Eisens in Bezug darauf, ob das Gestein beseitigt wird oder nicht. Dann tritt ein äußerer Einfluss hinzu, zermahlt das Gestein zu Pulver und setzt das Erz frei. Das Eisen ist noch immer im Erz gefangen. Ein äußerer Einfluss schmilzt es aus dem hinderlichen Erz heraus. Jetzt ist das Eisen befreites Eisen, weiteren Fortschritten gegenüber jedoch gleichgültig. Ein äußerer Einfluss lockt es in den Bessemerofen und veredelt es zu Stahl von bester Qualität. Jetzt erst ist es gebildet – seine Ausbildung ist abgeschlossen. Und es ist an seine Grenzen gestoßen. Durch kein denkbares Verfahren kann es zu Gold gebildet werden. Wollen Sie das festhalten?

J. M. Ja. »Alles hat seine Grenzen – Eisenerz kann nicht zu Gold gebildet werden.«

A. M. Es gibt goldene Menschen und zinnerne Menschen und kupferne Menschen und bleierne Menschen und stählerne Menschen und so fort – und jeder von ihnen erfährt die Begrenztheit seiner Natur, seiner Erbanlagen, seiner Erziehung und seiner Umgebung. Aus jedem dieser Metalle kann man Maschinen bauen, und sie alle werden funktionieren, aber von den Schwachen darf man nicht erwarten, dass sie die gleiche Arbeit leisten wie die Starken. Um die besten Resultate zu erzielen, muss man das Metall in jedem Fall von seinen hinderlichen, schädlichen Erzen befreien – durch Bildung, durch Schmelzen, Veredeln und so fort.

J. M. Jetzt sind Sie beim Menschen angelangt?

A. M. Ja. Der Mensch, eine Maschine – der Mensch, eine unpersönliche Maschine. Was immer ein Mensch ist, verdankt sich seiner Machart und den Einflüssen, die dank seiner Erbanlagen, seinem Lebensraum und seinen Verbindungen auf sie einwirken. Er wird ausschließlich von äußeren Einflüssen bewegt, gelenkt, BEFEHLIGT. Nichts bringt er selbst hervor, nicht einmal einen Gedanken.

J. M. Ach, kommen Sie! Woher beziehe ich dann meine Meinung, dass das, was Sie da reden, die reinste Torheit ist?

A. M. Es ist eine ganz natürliche Meinung – in der Tat eine unvermeidliche Meinung –, aber Sie haben die Materialien, aus denen sie geformt ist, nicht geschaffen. Diese sind ein Sammelsurium an Gedanken, Eindrücken und Gefühlen, die unbewusst aus tausend Büchern, aus tausend Gesprächen und aus Strömen von Gedanken und Gefühlen übernommen wurden, welche über die Jahrhunderte aus den Herzen und Hirnen von Vorfahren in Ihr Herz und Ihr Hirn geflossen sind. Persönlich haben Sie nicht einmal das mikroskopisch kleinste Bruchstück der Materialien geschaffen, aus denen Ihre Meinung besteht; und persönlich können Sie nicht einmal das dürftige Verdienst für sich in Anspruch nehmen, die geborgten Materialien zusammengefügt zu haben. Das geschah automatisch – mittels Ihrer geistigen Maschinerie, in strikter Übereinstimmung mit dem Konstruktionsgesetz dieser Maschinerie. Und nicht nur haben Sie diese Maschinerie nicht selbst geschaffen, Sie haben nicht einmal irgendeine Gewalt über sie.

J. M. Das ist zu arg. Sie glauben, ich hätte mir keine andere Meinung als diese eine bilden können?

A. M. Spontan? Nein. Und auch diese eine haben nicht Sie sich gebildet; Ihre Maschinerie hat es für Sie getan – automatisch und augenblicklich, ohne jedes Nachdenken oder auch nur die Notwendigkeit dazu.

J. M. Angenommen, ich hätte nachgedacht? Was dann?

A. M. Angenommen, Sie versuchen es?

J. M.(nach einer Viertelstunde) Ich habe nachgedacht.

A. M. Sie meinen, Sie haben versucht, Ihre Meinung zu ändern – in einer Art Experiment?

J. M. Ja.

A. M. Mit Erfolg?

J. M. Nein. Sie bleibt dieselbe; es ist unmöglich, sie zu ändern.

A. M. Es tut mir leid, aber Sie sehen selbst, dass Ihr Verstand nur eine Maschine ist, nichts weiter. Sie haben keine Gewalt über sie, sie hat keine Gewalt über sich selbst – sie wird ausschließlich von außen betrieben. Das ist das Gesetz ihrer Machart; es ist das Gesetz aller Maschinen.

J. M. Kann ich denn keine dieser automatischen Meinungen jemals ändern?

A. M. Nein. Sie selbst nicht, äußere Einflüsse dagegen schon.

J. M. Und nur äußere?

A. M. Ja – nur äußere.

J. M. Diese Position ist unhaltbar – ich könnte sagen, lächerlich unhaltbar.

A. M. Was veranlasst Sie zu dieser Annahme?

J. M. Es ist keine bloße Annahme, ich weiß es. Gesetzt den Fall, ich beschließe, einem Gedanken, einem Studium, einer Lektüre nachzugehen in der bewussten Absicht, diese meine Meinung zu ändern; und gesetzt den Fall, es gelingt mir. Das ist nicht das Werk eines äußeren Anstoßes, das Ganze ist mir persönlich anzurechnen; denn der Urheber des Projekts bin ich.

A. M. Nicht ein Fitzel davon. Hervorgegangen ist es aus dem Gespräch mit mir. Ohne dieses Gespräch wären Sie nie darauf verfallen. Kein Mensch hat jemals irgendetwas hervorgebracht. Alle seine Gedanken, alle seine Anstöße kommen von außen.

J. M. Dieses Thema ist zum Verzweifeln. Der erste Mensch jedenfalls hatte originelle Gedanken; es gab ja niemanden, von dem er sie hätte beziehen können.

A. M. Das ist ein Irrtum. Adams Gedanken kamen von außen. Sie haben Angst vor dem Tod. Die haben Sie nicht erfunden – Sie haben sie von außen bekommen, durch Gespräche und Unterweisung. Adam hatte keine Angst vor dem Tod – nicht die geringste.

J. M. Doch.

A. M. Als er erschaffen wurde?

J. M. Nein.

A. M. Wann dann?

J. M. Als ihm mit dem Tod gedroht wurde.

A. M. Also kam sie von außen. Adam ist auch so schon bedeutend genug; versuchen wir nicht, einen Gott aus ihm zu machen. Nur Götter haben jemals einen Gedanken gehabt, der nicht von außen kam. Wahrscheinlich hatte Adam einen klugen Kopf, aber der nützte ihm ganz und gar nichts, bis er von außen gefüllt wurde. Adam war außerstande, mit ihm auch nur die kleinste Kleinigkeit zu erfinden. Er hatte nicht die leiseste Ahnung von dem Unterschied zwischen Gut und Böse – er musste die Idee von außen bekommen. Weder er noch Eva kamen von selbst auf die Idee, dass es unschamhaft sei, nackt zu sein; diese Erkenntnis kam mit dem Apfel, von außen. Das Gehirn eines Menschen ist so konstruiert, dass es nichts von selbst hervorbringen kann. Es kann nur Material verwenden, das außerhalb seiner selbst gewonnen wurde. Es ist lediglich eine Maschine; und es funktioniert automatisch, nicht durch Willenskraft. Es hat keine Gewalt über sich, sein Besitzer hat keine Gewalt über es.

J. M. Nun, lassen wir Adam beiseite; aber Shakespeares Schöpfungen sind doch bestimmt –

A. M. Nein, Sie meinen Shakespeares Nachahmungen. Shakespeare hat nichts erschaffen. Er hat richtig beobachtet, und er hat wunderbar gemalt. Menschen, die Gott erschaffen hatte, porträtierte er genau; doch keinen von diesen erschuf er selbst. Ersparen wir ihm die Kränkung, ihn des Versuchs zu zeihen. Shakespeare konnte nichts erschaffen. Er war eine Maschine, und Maschinen erschaffen nichts.

J. M. Worin lag dann seine Vortrefflichkeit?

A. M. Im Folgenden. Er war keine Nähmaschine wie Sie und ich; er war ein Gobelin-Webstuhl. Die Fäden und die Farben kamen von außen in ihn hinein; äußere Einflüsse, Anregungen, Erfahrungen (lesen, Stücke sehen, Stücke spielen, Ideen borgen und so fort) bildeten Muster in seinem Verstand und setzten dessen bewundernswert komplexe Maschinerie in Gang, und diese produzierte automatisch jene prächtigen Bildteppiche, die noch immer das Staunen der Welt erregen. Wäre Shakespeare auf einem kargen, menschenleeren Felsen im Ozean geboren und aufgewachsen, so hätte sein gewaltiger Intellekt kein Material von außen zur Verfügung gehabt, mit dem er hätte arbeiten können, und er hätte auch keines ersinnen können; er hätte keine äußeren Einflüsse, Lehren, Modelle, Überzeugungen, Inspirationen wertvoller Art zur Verfügung gehabt und auch keine ersinnen können; und so hätte Shakespeare nichts hervorgebracht. In der Türkei hätte er etwas hervorgebracht – im Rahmen türkischer Einflüsse, Verbindungen und Schulungen. In Frankreich hätte er etwas Besseres hervorgebracht – im Rahmen französischer Einflüsse und Schulungen. In England stieg er auf – bis an die äußerste Grenze dessen, was sich durch Hilfe von außen erreichen ließ, eine Hilfe, die die Ideale, Einflüsse und Schulungen dieses Landes leisteten. Sie und ich, wir sind nichts als Nähmaschinen. Wir müssen produzieren, was wir können; wir müssen unser Bestes geben und dürfen uns nicht darum scheren, wenn uns gedankenlose Menschen vorwerfen, dass wir keine Gobelins produzieren.

J. M. Und so sind wir denn bloße Maschinen? Und Maschinen dürfen sich ihrer Leistung weder rühmen noch stolz auf sie sein, dürfen weder persönliches Verdienst noch Lob und Beifall für sich beanspruchen? Das ist eine infame Doktrin.

A. M. Es ist keine Doktrin, es ist lediglich eine Tatsache.

J. M. Ich nehme an, dann liegt auch kein größeres Verdienst darin, mutig zu sein, als darin, ein Feigling zu sein?

A. M.Persönliches Verdienst? Nein. Ein mutiger Mensch erschafft seinen Mut nicht selbst. Er hat kein Recht auf persönliche Anerkennung, nur weil er ihn besitzt. Sein Mut ist ihm angeboren. Ein Kind, das mit einer Milliarde Dollar zur Welt kommt – worin liegt sein persönliches Verdienst? Ein Kind, das mit nichts zur Welt kommt – worin liegt sein persönliches Unverdienst? Dem einen wird von Speichelleckern geschmeichelt, es wird bewundert und vergöttert, das andere wird vernachlässigt und verachtet – wo ist da der Sinn?

J. M. Manchmal stellt sich ein furchtsamer Mann die Aufgabe, seine Feigheit zu überwinden und mutig zu werden – und hat Erfolg. Was sagen Sie dazu?

A. M. Es zeigt den Wert einer Schulung in die richtige Richtung gegenüber einer Schulung in die falsche Richtung. Unschätzbar wertvoll sind Schulung, Beeinflussung, Erziehung in die richtige Richtung – die Schulung der eigenen Selbstbilligung, um höherer Ideale willen.

J. M. Aber was nun das Verdienst betrifft – das persönliche Verdienst des siegreichen Feiglings an seinem Vorhaben und an seinem Erfolg?

A. M. Es gibt keines. In den Augen der Welt ist er ein würdigerer Mann als zuvor, aber nicht er hat die Veränderung herbeigeführt – das Verdienst daran gebührt ihm nicht.

J. M. Wem dann?

A. M. Seiner Machart und den Einflüssen, die von außen auf ihn einwirkten.

J. M. Seiner Machart?

A. M. Ja. Zunächst einmal war er kein völliger und vollkommener Feigling, sonst hätten die Einflüsse nichts gehabt, worauf sie hätten einwirken können. Er hatte keine Angst vor einer Kuh, wiewohl vielleicht vor einem Stier; keine Angst vor einer Frau, aber vor einem anderen Mann. Es gab also etwas, worauf sich aufbauen ließ. Es gab ein Samenkorn. Ohne Samenkorn keine Pflanze. Hat er dieses Samenkorn selbst hervorgebracht, oder war es ihm angeboren? Es war nicht sein Verdienst, dass das Samenkorn bereits vorhanden war.

J. M. Immerhin war der Einfall, es zu kultivieren, der Vorsatz, es zu kultivieren, verdienstvoll, und den hat er hervorgebracht.

A. M. Er hat nichts dergleichen getan. Der Vorsatz kam von dort, woher alle Impulse, gute wie schlechte, kommen – von außen. Hätte dieser furchtsame Mann sein ganzes Leben in einer Gemeinschaft menschlicher Kaninchen verbracht; hätte er nie von mutigen Taten gelesen; hätte er nie von ihnen gehört; hätte er niemanden sie jemals loben oder Neid auf die Helden ausdrücken hören, die sie vollbracht hatten, so hätte er keine genauere Vorstellung von Mut gehabt als Adam von Schamhaftigkeit, und es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, den Vorsatz zu fassen, mutig zu sein. Er konnte die Idee nicht hervorbringen – sie musste von außen kommen. Und als er hörte, wie Mut gerühmt und Feigheit verhöhnt wurde, wurde er wachgerüttelt. Er war beschämt. Vielleicht rümpfte seine Liebste die Nase und sagte: »Ich höre, dass du ein Feigling bist!« Nicht er schlug ein neues Kapitel auf – sie tat es für ihn. Er darf sich in seinem Verdienst nicht sonnen – es steht ihm nicht zu.

J. M. Immerhin züchtete er die Pflanze heran, nachdem sie das Samenkorn gewässert hatte.

A. M. Nein. Äußere Einflüsse züchteten sie heran. Auf ein Kommando hin marschierte er – und zwar zitternd – ins Feld, gemeinsam mit anderen Soldaten und bei Tag, nicht allein und im Dunkeln. Er spürte den Einfluss des guten Beispiels