Was uns frei macht - Dietmar Hübner - E-Book

Was uns frei macht E-Book

Dietmar Hübner

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Beschreibung

Können unsere Handlungen frei und verantwortlich sein, wenn sie kausal determiniert sind? Ja, sagt Dietmar Hübner in seinem faszinierenden Buch, aber sie müssen dabei zugleich durch etwas geleitet sein, das jenseits der kausalen Ordnung liegt. In der modernen Debatte ist man sich vielfach einig, dass Gründe diese Rolle spielen können. Wenn Gründe – seien sie moralischer oder logischer, mathematischer oder ästhetischer Art – jedoch keine kausalen Größen sind, was genau ist dann ihr Wesen? Wie werden sie wirksam in unserem Tun? Und welche Bedeutung kommt hierbei dem menschlichen Bewusstsein zu? Hübners Buch bietet eine fundierte Einführung in ein unverändert aktuelles Thema und entwickelt hieraus eine eigenständige und originelle Theorie des freien Willens.

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Cover

Titel

3Dietmar Hübner

Was uns frei macht

Ein Versuch über die Autonomie des Willens

Suhrkamp

Impressum

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2443

© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2024

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-77926-2

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Danksagung

Einleitung

I

. Freiheit des Willens und Kausalität der Natur

1.

Wille und Wollen, Willensfreiheit und Handlungsfreiheit

2.

Was sind Ursachen?

3.

Was nicht hilft

II

. Zwei Wege des Kompatibilismus

4.

Kompatibilismus und Inkompatibilismus

5.

Anders-handeln-Können, Anders-wollen-Können

6.

Vorzüge des Kompatibilismus

III

. Der Ansatz von Harry Frankfurt

7.

Frankfurt über »Wille« und »Volition«

8.

Anknüpfungen

9.

Grenzen

IV

. Der Zugang von Wilfrid Sellars

10.

Sellars über den »Mythos des Gegebenen« und den »Raum der Gründe«

11.

Verbindungen

12.

Aussichten

V

. Für einen Platonismus des Rationalen

13.

Psychische, soziale und rationale Entitäten

14.

Was sind Gründe?

15.

Ein milder Platonismus

VI

. Gegen einen Dualismus von Perspektiven

16.

Ontologische, phänomenale und semantische Betrachtungen

17.

Was nicht genügt

18.

Drei Differenzen, drei Identitäten

VII

. Über die Wirksamkeit von Gründen

19.

Das Phänomen der »logischen Indeterminiertheit«

20.

Die Idee eines »perfekten Vorhersagers«

21.

Raum der Gründe, Kraft der Gründe

VIII

. Die Rolle von Repräsentationen

22.

Wie soll das gehen?

23.

Zwei Mysterien

24.

Gegen »Unterbestimmtheiten« und »Spielräume«

IX

. Die Bedeutung des Bewusstseins

25.

Waren wir zu raffiniert?

26.

Bewusstsein von Gründen

27.

Computer und Tiere

X

. Freiheit des Willens und Bewusstsein von Gründen

28.

Reflexivität des Bewusstseins

29.

Synthese

30.

Noch einmal Offenheit, Unvorhersagbarkeit, Indeterminiertheit

XI

. Von der Metaphysik zur Ethik

31.

Willensfreiheit und Verantwortlichkeit

32.

Metaphysische Fragen

33.

Ethische Fragen

Literaturverzeichnis

Personenregister

Sachregister

Fußnoten

Informationen zum Buch

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7Danksagung

Zahlreiche intensive, offene und wohlwollende Diskussionen zu dem hier behandelten Thema durfte ich im Lauf der Jahre mit Kolleginnen und Kollegen, mit Studierenden und Mitarbeitenden führen, die allesamt ihre klugen, kritischen und skeptischen Spuren in dem nun vorliegenden Text hinterlassen haben. Besonders hervorheben möchte ich Bert Heinrichs, Sebastian Knell und Ulrich Pothast, die mich mehrfach hingebungsvoll in meiner Gedankenführung begleitet, ihre Ratschläge erteilt und ihre Bedenken eingebracht haben, sowie Eva Gilmer und Jan-Erik Strasser vom Suhrkamp Verlag, die das Manuskript mit ihrer gewissenhaften Prüfung in seine bestmögliche Form zu bringen halfen. Wichtige Rahmenbedingungen für die Niederschrift wurden durch die Gewährung von zwei Forschungssemestern an der Leibniz Universität Hannover in den Winterhalbjahren 2016/17 und 2020/21 geschaffen. Meiner Frau Kathrin Sehestedt danke ich aus ganzem Herzen für die Geduld, das Verständnis und die Teilnahme an einem Buchprojekt, das mich einmal mehr mit Haut, Haar und Hirn verschlungen hat.

9Einleitung

Auf den ersten Blick betrachtet, kommt dieses Buch reichlich spät. Die große Welle öffentlicher Aufmerksamkeit und Beunruhigung, die das Problem des freien Willens noch vor wenigen Jahren erzeugt hat, insbesondere aufgrund neurologischer Forschungen und ihrer populärwissenschaftlichen Deutung, ist inzwischen spürbar abgeebbt. Unabhängig hiervon hatte bereits das vergangene Jahrhundert vor allem in seiner zweiten Hälfte eine Reihe von Arbeiten hervorgebracht, in denen Fragestellungen und Antwortmöglichkeiten, die sich mit dem Thema Willensfreiheit verbinden, in ihren wesentlichen Zügen skizziert und in zahlreichen Details ausformuliert worden waren. Schließlich hält die philosophische Tradition spätestens seit den aufklärerischen Bewegungen und der jüngeren Neuzeit ein beträchtliches Arsenal von begrifflichen Zugängen und argumentativen Figuren bereit, die hilfreich und unerlässlich sind, um ein vertieftes Verständnis und eine begründete Meinung dahingehend zu entwickeln, was Freiheit des Willens in der natürlichen Welt und für menschliche Wesen bedeuten könnte und was nicht.

Mit einem Wort: Das Thema scheint durch zu sein.

Indessen kann sich ein solcher Moment fortgeschrittener Ausdifferenzierung mitunter auch als idealer Zeitpunkt für weitere Anstrengungen erweisen. Zum einen nämlich mag in den vorliegenden Ansätzen ein reicher Bestand an Materialien und Ideen versammelt sein, die unentbehrlich und wegweisend für eine Lösung des Problems sind. Zum anderen aber mögen diese Vorgaben nicht in jeder Hinsicht konsequent ausgelegt und korrekt zusammengefügt worden sein, um die Aufgabe in aller Konsequenz zu bewältigen. Genau in dieser Lage befinden wir uns nach meiner Auffassung gegenwärtig bei der Frage nach der Willensfreiheit.

In der Freiheitsdebatte muss man sich von Beginn an damit abfinden, dass die eigene Position, welche auch immer es sein mag, eine deutliche Stimmenmehrheit gegen sich hat. Dies ist zumindest so lange der Fall, wie man den eigenen Standpunkt einigermaßen präzise konturiert, statt seine Tätigkeit darauf zu beschränken, dass man fremde Ansichten zurückweist. Auch ich werde mit meinem Beitrag vornehmlich auf Widerspruch stoßen, und zwar nicht nur 10seitens jener Ansätze, die ich selbst ausdrücklich ablehne, sondern auch bei jenen Zugängen, die ich für meine Überlegungen in Anspruch nehmen und fortschreiben möchte. Ich werde also nicht nur in Opposition zu Deterministen und Libertariern geraten, die menschliche Freiheit entweder rundheraus verwerfen oder aber in allzu spekulativen Formen ausmalen, sondern mich auch im Lager der Kompatibilisten zwischen die Stühle setzen, indem ich ihre jeweiligen Positionen keineswegs durchgängig befürworte und unverändert übernehme, sondern in wesentlichen Teilen kritisiere und modifiziere.

Der aktuelle Kompatibilismus kommt vor allem in zwei Hauptvarianten daher. Die erste Version erklärt im Anschluss an Harry Frankfurt Willensfreiheit als eine reflexive Hierarchie im menschlichen Entscheiden, bei der höherstufige »Wünsche zweiter Ordnung« sich auf niederrangige »Wünsche erster Ordnung« beziehen, diese billigen oder auch durchsetzen. Die zweite Version deutet im Stil von Wilfrid Sellars Willensfreiheit als rationale Bestimmung menschlichen Handelns, das sich als solches nicht allein im »Raum der Ursachen« bewegt, sondern stets auch im »Raum der Gründe«. In beiden Fällen ist die dergestalt begriffene Willensfreiheit mit einer durchgängigen Naturkausalität verträglich, was eben die definierende Grundüberzeugung kompatibilistischer Freiheitstheorien darstellt und deren maßgeblichen Unterschied zu deterministischen oder libertaristischen Auffassungen ausmacht.

Die Ansätze von Frankfurt und Sellars zeigen in Methode und Duktus gewisse Gemeinsamkeiten, was sich nicht zuletzt daraus erklärt, dass beide ihre philosophischen Wurzeln in der analytischen Philosophie haben. Dennoch handelt es sich ihrem Inhalt nach um sehr unterschiedliche und durchaus gegenläufige Freiheitsdeutungen, indem sie einmal auf das mentalistische Modell einer Hierarchie von Wünschen setzen, einmal das logizistische Konzept eines Raums der Gründe heranziehen. Mein Programm wird darin bestehen, diese beiden Zugänge zum einen in engere Verbindung miteinander zu bringen, zum anderen aber auch an entscheidenden Stellen mit einigem Nachdruck umzudenken. Genauer werde ich Frankfurts Struktur des reflexiven Bewusstseins nicht auf subjektive Wünsche beziehen, sondern eben auf das Feld objektiver Gründe anwenden, während ich Sellars’ Betonung der rationalen Bestimmung menschlichen Handelns dahingehend zuspitzen wer11de, dass jene Gründe hierbei als platonische Entitäten aufzufassen sind.

Diese Verknüpfung und Umgestaltung wird etwas durchaus Unvertrautes entstehen lassen. Wie sehr meine Überlegungen daher zunächst auch dem gegenwärtigen Mainstream zu entsprechen scheinen, indem sie menschliche Freiheit auf reflexives Bewusstsein und rationale Gründe stützen, so deutlich wird sich meine Theorie zuletzt gegen den dominierenden Trend wenden, wenn sie diese Komponenten in ihren Rahmen integriert und auf ihre Weise akzentuiert. Zudem hat sich nach langer Lektüre und vielen Diskussionen mein Eindruck verstärkt, dass eine solche Freiheitsdeutung bislang noch nicht entworfen und verteidigt worden ist. Konventionell dürfte sie daher kaum sein, sondern vielleicht eher schon häretisch.

Also keine Sorge: Wahrscheinlich ist noch genug Arbeit zu tun.

Die Debatte um die Willensfreiheit zeichnet sich durch eine eigentümliche Konstellation aus, die bisweilen einen durchaus entmutigenden Effekt haben kann. Dies gilt zumindest für jene Teilnehmer an der Diskussion, die menschliche Willensfreiheit nicht rundheraus abstreiten, sondern an der Möglichkeit und Wirklichkeit einer wie auch immer gearteten Freiheitsidee festhalten wollen. Ein Autor mit solcher Haltung, gleich in welch geschliffenen Konzepten und über welch gewissenhafte Argumente er sein Verständnis von Freiheit auch ausarbeitet und vertritt, kann sicher sein, dass sein Vorschlag aus mindestens einem von zwei sehr gegensätzlichen und zudem gleichermaßen unangenehmen Gründen abgelehnt werden wird. Und je mehr es ihm gelingen mag, sich der einen Kritik zu entziehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass er der anderen Kritik anheimfällt.

Entweder nämlich wird seine Auslegung von Willensfreiheit als zu stark, zu gewagt, zu voraussetzungsreich erachtet werden. Solche Vorbehalte können ihm insbesondere in metaphysischer Hinsicht entgegenschlagen, speziell dahingehend, dass seine Deutung von Freiheit zwar vielleicht verbreiteten Intuitionen entgegenkomme, unter welchen Bedingungen Menschen als willensfrei gelten könnten, zugleich aber den Inhalten eines aufgeklärten Weltbildes, den Befunden der modernen Naturwissenschaften zuwiderlaufe. Nicht zuletzt libertaristische Ansätze, die menschliche Willensfreiheit und lückenlose Naturkausalität für unvereinbar halten, aber an Ersterer 12festhalten wollen und somit Letztere bestreiten müssen, sehen sich dergleichen Vorwürfen ausgesetzt. Beanstandet wird dann, dass ihr Bemühen, Unterbrechungen im natürlichen Kausalgeschehen aufzudecken, um hierdurch Spielräume für willensfreie Handlungen zu schaffen, philosophisch überspannt bleibe, wissenschaftlich unhaltbar sei, womöglich einem unglaubwürdigen Cartesianismus von Geist und Körper verschrieben sei oder einer zweifelhaften Akteurskausalität in Abgrenzung zur üblichen Ereigniskausalität anhänge.

Oder aber seine Auffassung von Willensfreiheit wird als zu schwach, zu beschränkt, zu gehaltlos eingeschätzt werden. Solche Vorwürfe können ihn namentlich in ethischer Hinsicht treffen, speziell dahingehend, dass sein Verständnis von Freiheit zwar womöglich auf keinen übermäßigen Spekulationen beruhe, wie die Welt beschaffen ist und was Menschen darin vermögen, dafür aber kaum als Grundlage moralischer Zuschreibungen dienen könne, die man bei willensfreien Personen in der Regel vornimmt. Vor allem kompatibilistische Ansätze, die lückenlose Naturkausalität und menschliche Willensfreiheit für vereinbar halten, also auch in einer vollständig determinierten Welt noch von freien menschlichen Handlungen sprechen möchten, sind oft von derartigen Vorbehalten betroffen. Bezweifelt wird dann, ob ihre theoretischen Modelle auch nur ansatzweise jene praktischen Verhältnisse begründen können, die man üblicherweise mit der Freiheit des Willens verbindet, insbesondere ob eine Person, die in diesem Sinne frei wäre, ernsthaft für ihre Entscheidungen und Handlungen verantwortlich gemacht werden dürfe, also etwa Lohn oder Strafe verdiene.

Diese Ablehnungsgründe sind so fundamental und durchschlagend, dass selbst die klarste und detaillierteste Darstellung weitgehend kraftlos bleibt, sobald sie sich verdächtig macht, von einem der beiden betroffen zu sein. Keine Theorie, gleich wie aufwändig und subtil sie auch gebaut sein mag, kann gegenüber den basalen und schlichten Einwänden bestehen, entweder gegen alle glaubhaften Annahmen eines modernen Naturverständnisses und Menschenbilds zu verstoßen oder aber hinter einer halbwegs befriedigenden Auslegung menschlicher Freiheit und Verantwortlichkeit zurückzubleiben. So kommt es bisweilen zu der seltsamen Erscheinung, dass Freiheitstheorien mit größter konzeptueller Sorgfalt und gewaltigem argumentativen Aufwand konstruiert werden, in diesen 13Qualitäten auch allseits anerkannt und geschätzt werden und dennoch kaum Resonanz finden und ihre Gegner weitgehend unbeeindruckt lassen. Die einfachen und ursprünglichen Intuitionen, wie Freiheit in dieser Welt keinesfalls realisiert sein könne oder was Freiheit ihrem Sinn nach unbedingt beinhalten müsse, machen selbst die bestgebaute philosophische Auffassung zunichte, falls sie ihnen zuwiderlaufen sollte.

Meine Überlegungen in diesem Buch werden durchaus immer wieder auf solche Intuitionen Bezug nehmen. Ihr Fortgang erklärt sich im Wesentlichen dadurch, dass sie zwei kompatibilistische Positionen als maßgebliche philosophische Ausgangspunkte nehmen, bei deren genauerer Entfaltung aber gewisse Abzweigungen wählen, die sich gerade danach bestimmen, was eine gehaltvolle Freiheitskonzeption leisten muss und wie sie mit einem glaubhaften Weltbild zusammenpassen kann. Anhand dieser doppelten Struktur lässt sich eine knappe Skizze vorausschicken, wie meine Arbeit aufgebaut ist, nachdem die wesentlichen Begriffe und Positionen der Debatte geklärt sind (Kapitel I und II). Nicht zuletzt zeichnen sich darin bereits die markanten Punkte ab, in denen sich meine Theorie von anderen Ansätzen unterscheidet, sowohl was ihre metaphysische Anlage als auch was ihren ethischen Horizont betrifft (Kapitel XI).

So scheint zunächst die insbesondere von Harry Frankfurt vertretene mentalistische Freiheitskonzeption in ihrer vorliegenden Gestalt wenig vielversprechend zu sein. Speziell die Zweistufigkeit in der Wunschbildung von Personen, die Frankfurt hervorhebt, genügt als solche kaum für einen nachvollziehbaren Begriff von Willensfreiheit, da nicht erkennbar ist, wie eine Bewusstseinsstruktur auch dieses besonderen Typs eine rein kausale Willensbestimmung überschreiten sollte (Kapitel III). Demgegenüber wirkt eine namentlich an Wilfrid Sellars angelehnte logizistische Freiheitsauffassung im ersten Zugriff weitaus attraktiver. Vor allem die Eigenständigkeit des Raums der Gründe, die Sellars betont, liefert einen aussichtsreichen Ansatz für Willensfreiheit, insofern sich dafürhalten lässt, dass ein Gründebezug auf solcher Basis eine teilweise nichtkausale Willensbestimmung eröffnen könnte (Kapitel IV).

Damit dieses Programm jedoch zu einer wirklich soliden Freiheitsdeutung führt, muss man sich nach meiner Überzeugung zu drei wesentlichen Weichenstellungen bekennen, die in der aktuel14len Debatte kaum explizit vorgenommen werden und die absehbar energischen Widerspruch provozieren müssen: Erstens dürfen Gründe nicht einfach als psychische oder soziale Phänomene konzipiert werden, als Erscheinungen mentaler oder kultureller Art, sondern sind als platonische Wesenheiten zu verstehen, die als solche eine unabhängige abstrakte Existenz haben und in psychischen oder sozialen Prozessen lediglich erschlossen werden (Kapitel V). Zweitens darf die auf sie gegründete Freiheit nicht allein zu einer Frage der phänomenalen oder semantischen Perspektive deklariert werden, aus der man menschliches Wollen und Tun betrachtet, sondern ist als ontologischer Bestand zu begreifen, der eine echte Alternative zu kausaler Bestimmung bildet (Kapitel VI). Drittens darf Gründen vor diesem Hintergrund nicht nur ein quasi passiver Status zuerkannt werden, indem man sie als mögliche Pfade in argumentativen Räumen ansieht, sondern ihnen ist eine reale Wirksamkeit zu attestieren, die sie auf menschliche Entscheidungen und Handlungen entfalten können (Kapitel VII).

Diese Wirksamkeit der Gründe darf weder auf spekulative Weise überhöht noch in physikalistischer Manier verkürzt werden: Gründe bestimmen Entscheiden und Handeln nicht auf mirakulösem Wege, indem sie Lücken in der kausalen Struktur der natürlichen Welt erzeugen oder ausnutzen, sondern sie wirken ganz innerhalb der kausal geschlossenen realen Welt, nämlich über ihre jeweiligen mentalen und letztlich neuronalen Repräsentationen (Kapitel VIII). Damit kollabiert der Ansatz indessen in kein Modell reiner Kausalbestimmung, die jeglichen Ausblick auf Willensfreiheit wieder zunichtemachen müsste, sondern kann das nichtkausale Element im menschlichen Entscheiden und Handeln bewahren, sofern jene Repräsentationen von Bewusstsein begleitet sind und der Handelnde entsprechend am nichtkausalen Charakter der Gründe teilhat (Kapitel IX). Eben dieses Bewusstsein von Gründen, in ihrem nichtkausalen Wesen, in ihrer rationalen Beschaffenheit, ist es dann, in dem die Ansätze von Frankfurt und Sellars zuletzt zusammenfließen müssen, um Willensfreiheit zu begründen (Kapitel X).

Die entstehende Gesamtkonzeption ist nach wie vor kompatibilistischer Art. Freiheit des menschlichen Willens ist verträglich mit einer durchgängigen Kausalität der Natur, sie setzt nicht voraus, dass es ursachenlose Episoden im realen Geschehen gäbe, sondern stützt sich allein darauf, dass wirksame Gründe das jeweilige Han15deln leiten. Dies geschieht sogar gerade dadurch, dass Gründe über ihre neuronalen Repräsentationen kausale Wirksamkeit auf den Willen entfalten. Sofern man sich dabei aber der leitenden Gründe in ihrem nichtkausalen Charakter bewusst ist, lässt sich immer noch mit vollem Recht davon sprechen, dass man von diesen nichtkausalen Strukturen selbst bestimmt wird, also willensfrei ist, auch wenn die Repräsentationen der Gründe, wie alle Vorkommnisse in der Natur, durchweg kausal geartet sind.

Diese Überlegungen werde ich in den folgenden Kapiteln genauer verständlich zu machen versuchen. Sie werden sich über insgesamt elf Hauptthesen erstrecken, die zur besseren Orientierung dem Anfang des jeweiligen Kapitels vorangestellt sind. Diese Thesen markieren die wesentlichen Zwischenschritte, über die meine Argumentation verläuft. Nicht zuletzt orientieren sie sich daran, was eine tragfähige Freiheitskonzeption enthalten muss und wie sie mit einem modernen Weltbild zusammenstimmen kann.

Meine Argumentation ist damit an zentralen Stellen gerade von dem Ziel geleitet, eine substanzielle Freiheitsdeutung zu entwickeln, die sich gleichviel keiner spekulativen Exzesse schuldig macht. Dennoch ist absehbar, dass sie kaum jenen Formen grundsätzlicher Ablehnung entgehen wird, die ich oben skizziert habe. Vermutlich wird sie sogar das unangenehme Schicksal ereilen, beide Vorbehalte zugleich auf den Plan zu rufen, also von manchen Seiten als zu stark, von anderen Seiten als zu schwach eingeschätzt zu werden. Womöglich wird es mitunter sogar vorkommen, dass ihr diese zwei konträren Vorwürfe von ein und derselben Partei gemacht werden.

Zum einen werden Kritiker es als gewagt ansehen, dass ich Gründen eine platonische Existenz zuspreche, Freiheit als ontologischen Bestand deute und sie dann genauer über die reale Wirksamkeit jener Gründe erklären will: Die moderne Philosophie im Allgemeinen und die analytische Tradition im Besonderen scheuen derart nachdrückliche, offen metaphysische Einlassungen und bevorzugen demgegenüber weitaus sparsamere, rein semantische Zugänge. Dies scheint mir jedoch im vorliegenden Fall schon aus konzeptuellen Gründen nicht ausreichen zu können: Die Frage nach der Willensfreiheit ist eine ontologische Frage. Und auf eine ontologische Frage kann man keine semantische Antwort geben. Es geht beim Thema Freiheit darum, wie Welt und Dinge, Entschei16dungen und Handlungen beschaffen sind. Hierfür genügt es nicht zu untersuchen, wie Welt und Dinge, Entscheidungen und Handlungen aus abweichenden Sichtweisen oder in unterschiedlichen Sprachspielen beschrieben werden mögen. Der Versuch, metaphysische Probleme ohne metaphysische Überlegungen zu bearbeiten, ist zwar in einigen Bereichen der gegenwärtigen Philosophie durchaus verbreitet, aber bei Licht besehen kaum einträglich. In aller Regel endet er nicht mit einer metaphysikfreien Lösung, sondern in schlechter Metaphysik.

Zum anderen werden Zweifel aufkommen, ob meine Auffassung von Willensfreiheit als Bewusstheit von Gründen inhaltlich ausreichend sein kann: Diese Bedenken liegen nicht zuletzt mit Blick auf die Frage nahe, ob mein metaphysischer Begriff von menschlicher Freiheit für den ethischen Gedanken moralischer Verantwortlichkeit genügt, also ob ein in meinem Sinne freier Mensch tatsächlich für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Prekär mag vor allem erscheinen, dass ich in meiner Deutung von Freiheit auf das Prinzip des Anders-handeln-Könnens beziehungsweise Anders-wollen-Könnens verzichte: Um willensfrei in dem von mir beschriebenen Sinne zu sein, ist nicht erforderlich, dass man unter identischen Umständen sich hätte anders verhalten oder entschließen können, als man es getan hat. Insbesondere setze ich nicht voraus, dass man in seinem Tun und Denken unabhängig von vorausliegenden Ursachen und natürlichen Gesetzen wäre. Wichtig ist allein, dass der Handelnde bei alledem von Gründen bestimmt wird und dass er sich dieser Gründe in seinem Handeln bewusst ist. Die Handlung selbst darf dabei, ohne dass dies ihrer Freiheit Abbruch täte, in ihrem Verlauf kausal bestimmt und sogar streng determiniert sein, so dass es entsprechend nicht möglich war, anders zu handeln oder anders zu wollen. Ebenso ist es nach meiner Einschätzung legitim, in diesem Fall Verantwortlichkeit, namentlich Verdienst oder Schuld, zuzusprechen. Dass diese Auffassung haltbar und sinnvoll ist, wird, wie ich hoffe, im Schlusskapitel dieses Buches deutlich werden.

Ich bin mir somit im Klaren darüber, dass auch mein Freiheitsansatz sich nicht der grundsätzlichen Skylla-und-Charybdis-Konstellation entziehen kann, entweder als metaphysisch überzogen oder als ethisch unzulänglich befunden zu werden. Ob es ihm gelingt, eine schiffbare Passage zwischen beiden Übeln zu nehmen, 17ob er damit letztlich eine erwägenswerte Alternative zu den bisherigen Freiheitskonzeptionen anbieten kann, muss dem Urteil des Lesers überlassen bleiben. Dass dieser Ansatz nicht nur einem der zwei Vorwürfe ausgesetzt ist, sondern beide Vorbehalte in gleichem Maße auf sich ziehen wird, mag man mit ein wenig Wagemut als Hinweis darauf deuten, dass er den richtigen Mittelweg zwischen falschen Extremen einschlägt. Aber es wird einiger Argumentation bedürfen, um darzulegen, dass diese Sachlage nicht eher das Gegenteil anzeigt, nämlich dass er auf einen völligen Holzweg von allseits Absurdem geraten ist.

Schließlich gibt es einen weiteren Umstand, der auf den ersten Blick davon abschreckt, das Thema Willensfreiheit erneut anzugehen. Denn die Liste von Disziplinen, die an dieser Debatte beteiligt sind und entsprechend im Blick behalten werden wollen, ist beängstigend lang. Die Frage, ob und wie menschliche Willensfreiheit in einer kausal bestimmten Natur existieren kann, fällt klassischerweise in die Metaphysik. Das Problem, ob und wie sich moralische Verantwortlichkeit vor diesem besonderen ontologischen Hintergrund rechtfertigen lässt, verweist letztlich in die Ethik. Untersucht man das Feld und seine Gegenstände genauer, indem man etwa die Natur von Ursachen und Wirkungen, die Beziehung von Gehirn und Bewusstsein, die Struktur von Überlegungen und Gründen oder die Rechtfertigung von Lohn und Strafe erörtert, können Wissenschaftstheorie, Philosophie des Geistes, Argumentationstheorie oder Philosophie der Gerechtigkeit relevant werden. Hinzu kommen spezielle Einzelwissenschaften, die zu den aufgelisteten Fragestellungen mitunter wesentlich beitragen, darunter Grundlagenphysik und Neurobiologie, aber auch Psychologie und Soziologie.

Es mag nicht zuletzt diese Vielzahl von Sujets und Zugängen sein, welche die Frage nach Willensfreiheit und Verantwortlichkeit zu einem der herausforderndsten Gebiete von Philosophie und Wissenschaft insgesamt macht. Zudem sorgt sie dafür, dass ein einzelner Autor schwerlich beanspruchen kann, der Thematik vollumfänglich gewachsen zu sein. Wer immer sich an der Diskussion beteiligt, tut dies in einer jeweils speziellen und notwendig begrenzten Weise. Problemfokus und Lösungsansätze sind durch individuelle Wahrnehmung und disziplinären Hintergrund wesentlich mitbestimmt.

18Zugleich ist bemerkenswert, dass es immer noch einen zusammenhängenden Diskurs über Willensfreiheit und Verantwortlichkeit gibt. Wie vielfältig die Auffassungsweisen und Standpunkte auch sein mögen, man redet keineswegs fortwährend aneinander vorbei. Insofern dürfte die Debatte ein tröstliches Beispiel dafür liefern, dass große Herausforderungen zuweilen vereinte Anstrengungen entstehen lassen. Dies könnte umso mehr dann der Fall sein, wenn solche Unternehmungen einem Thema gewidmet sind, das die Interpretation unser selbst als Menschen sehr unmittelbar und sehr tiefgreifend berührt.

Wenn man über Willensfreiheit im menschlichen Denken und Tun arbeitet, liegt es nahe, auch diese Beschäftigung selbst im Horizont menschlicher Freiheit zu betrachten. Versteht man Willensfreiheit dabei als Entscheiden und Handeln nach bewussten Gründen, wird man konsequenterweise auch Erörterungen jener Freiheit als autonom ansehen, sofern sie in ihrem Fortgang bewussten Gründen folgen. Diese Deutung wiederum wird nicht zuletzt den Umgang mit den Werken anderer Autorinnen und Autoren prägen. Insbesondere wird man in ihren Beiträgen nicht so sehr die subjektiven Besonderheiten und persönlichen Nuancierungen suchen, die sie für ihre Gedanken entwickeln und vortragen, sondern eher die übergreifenden Argumente und allgemeingültigen Positionen hervorheben, die sie an ihrem Gegenstand auffinden beziehungsweise zu ihm einnehmen.

Entsprechend ist die Art meines Zugriffs auf fremde Arbeiten in diesem Buch durchaus begründet und bewusst gewählt. Stets geht es mir darum, sie als exemplarische Repräsentationen von rationalen Zusammenhängen heranzuziehen, als Abbildungen und Darlegungen relevanter Gründe, die hinsichtlich des Für und Wider menschlicher Freiheit existieren. Das heißt nicht, dass ich diese Gründe durchweg als stimmig ansehe, insbesondere nicht jene, die gegen menschliche Freiheit sprechen. Aber es heißt, dass ich sie als objektive Strukturen verstehe, denen nachzugehen gerade das ausmacht, worin menschliche Freiheit besteht.

Ich habe mich beim Schreiben dieses Buchs zu einer Darstellung entschlossen, die auch für Leserinnen und Leser ohne philosophische Vorbildung zugänglich bleibt. Insbesondere habe ich versucht, die Begrifflichkeit auf einem einfachen Niveau zu halten und die Argumentation auf die wesentlichen Gesichtspunkte zu beschrän19ken. Bezüge auf andere Theorien finden nur an den Stellen und in dem Umfang statt, wie sie für den Fortgang meiner Gedankenführung notwendig sind. Die eigene Position skizziere ich knapp, ohne mich in Nebenaspekten zu verlieren. Natürlich ist dieses Vorgehen mit einem Preis verbunden. Das wirklich Anstrengende am wissenschaftlichen Arbeiten sind ohnehin nicht die Passagen, die man niederschreibt, sondern die Teile, die man auslässt. Dieses Buch hat vor lauter Verzicht inzwischen die bedrohliche Gestalt eines Eisberges angenommen, von dem acht Zehntel unsichtbar und ungemütlich unter einer brüchigen Oberfläche dümpeln. Doch dies ist durchaus das Ergebnis einer freien Entscheidung, für die zwei bewusste Gründe den Ausschlag gegeben haben.

Erstens ist Willensfreiheit ein Thema, das über die Grenzen der Philosophie hinaus zu Recht auf Interesse stößt. Ohne in einen im prekären Sinne populären Stil verfallen zu wollen, schien es vor diesem Hintergrund den Versuch wert, eine Schrift zu verfassen, die auch außerhalb der Fachdiskussion gelesen werden kann. Die Frage der Willensfreiheit ist so fest mit unserer humanen Lebensform verbunden und so wichtig für unser menschliches Selbstverständnis, sie begegnet uns in so zahlreichen Kontexten unseres Daseins und Zusammenlebens und hat so erhebliche Auswirkungen auf unseren Selbstwert und Umgang, dass es ebenso seltsam wie beunruhigend wäre, wenn eine Antwort auf diese Frage dem engeren akademischen Kreis vorbehalten bliebe. Philosophie, zumindest zu diesem Thema, sollte imstande sein, sich auch dem aufmerksamen nichtphilosophischen Publikum mitzuteilen.

Zweitens hat sich herausgestellt, dass eine solche Darstellung mir erlaubt, alles zu sagen, worum es mir im vorliegenden Zusammenhang geht. Mein Ziel ist nicht eine vollständige Aufarbeitung des Problemfelds, sondern die klare Skizze einer Idee, und das Mittel dazu ist keine umfassende Wiedergabe der Diskussionslage, sondern die deutliche Positionierung gegenüber den Alternativen. Insoweit ein solches Vorgehen auch innerhalb der Fachdiskussion legitim ist, hoffe ich, dass dieses Buch für die akademische Debatte ebenfalls annehmbar sein wird. Entsprechend werfe ich meine Flasche hiermit demutsvoll in den Strom, der in unserer Zeit bekanntlich längst nicht mehr aus Wasser, sondern aus endlosen Wellen gläserner Botschaften besteht.

20I. Freiheit des Willens und Kausalität der Natur

Das Problem der Willensfreiheit läuft in seinem Kern auf die Frage hinaus, ob und inwiefern angesichts der kausalen Beschaffenheit der Natur ein autonomes Entscheiden und Handeln von Menschen innerhalb jener Natur möglich sein kann. Nicht aussichtsreich wäre, die Lösung für dieses Problem darin suchen zu wollen, dass die für menschliches Wollen und Tun relevanten Prozesse und Systeme möglicherweise indeterministisch, unvorhersagbar oder offen für externe Einflüsse kausaler Art sind.

1. Wille und Wollen, Willensfreiheit und Handlungsfreiheit

1.1. Es ist gar nicht leicht zu sagen, was genau man unter dem menschlichen Willen eigentlich verstehen soll, jedenfalls wenn man hiermit etwas anderes bezeichnen möchte als ein schlichtes Wollen. Beide Wörter leiten sich offenkundig von demselben Verbstamm her, der in Wendungen wie »Ich will mich künftig bessern« oder »Er wollte es unbedingt haben« begegnet, doch werden sie zuweilen verwendet, um durchaus unterschiedliche Regungen beziehungsweise die hierbei zugrunde liegenden Fähigkeiten zu benennen.

Die Philosophie der klassischen Antike kennt sehr wohl ein Wollen, im Sinne eines handlungsleitenden Wunsches, und auch ein zugehöriges Vermögen der Seele, von dem jenes Wollen ausgeht. Dieses taucht in den einschlägigen Darstellungen unter Bezeichnungen wie orektikon (»das Strebende«) oder thymoeidēs (»das Beherzte«) auf und wird von anderen Bereichen und Tätigkeiten der Seele klar abgegrenzt. Zum einen wird es von der Vernunft (dianoētikon, »dem Überlegenden«, logistikon, »dem Denkenden«) unterschieden, also der Fähigkeit, das jeweils Richtige zu erfassen, sowohl im theoretischen Bereich des Erkennens als auch im praktischen Bereich des Handelns. Zum anderen wird es von dem Gefühlsleben (aisthētikon, »dem Wahrnehmenden«, epithymētikon, »dem Begehrenden«) abgehoben, insbesondere der Fähigkeit, unmittelbare Affekte zu erfahren, wie Lust oder Unlust, Freude oder Leid, Liebe oder Hass, Hoffnung oder Furcht.[1] 

21Dieses Strebevermögen besteht in der Fähigkeit, Dinge oder Eigenschaften anzuvisieren, und in der Kraft, derartige Ziele gegen widerstreitende Regungen durchzusetzen, wobei es den Einsichten der Vernunft folgen und die Anwandlungen des Gefühlslebens überwinden kann. Es ist aber kein Wille im Sinne eines separaten Wahl- und Entschlussvermögens, das seinerseits Alternativen des Handelns abwägen und sich selbst durch Vorsatz eine Richtung geben würde.

Antike Debatten mögen sich daher mit Phänomenen wie prohairesis oder akrasia befassen, die zuweilen als »Willenswahl« beziehungsweise »Willensschwäche« übersetzt werden. Doch können sie nicht ohne weiteres mit späteren Diskussionen in Verbindung gebracht werden, die unter jenen Begriffen eigentümliche Tätigkeiten oder Beschaffenheiten eines gesonderten Seelenvermögens namens Wille thematisieren. Prohairesis meint vielmehr einfach eine Entscheidung oder ein Vorziehen, bei dem eine vorab erfolgende Überlegung (bouleusis) der Vernunft den Gegenstand des Strebens (orexis) bestimmt.[2] Akrasia bezeichnet ihrerseits schlichtweg eine Unenthaltsamkeit oder ein Unbeherrschtsein, bei dem eigentlich vorhandenes Wissen (epistēmē) der Vernunft sich aufgrund des Einflusses eines Affekts (pathos) nicht durchsetzt.[3] 

All dies verbleibt ganz im Rahmen einer Dreiteilung der Seele in Vernunft, Strebevermögen und Gefühlsleben. Ein besonderer Wille, der neben diesen Instanzen bestünde, souverän zwischen deren Tendenzen wählen und sich autark zu einem Vollzug entschließen könnte, tritt nicht auf. Wenn sich die klassische Antike daher überhaupt mit dem Problem der Willensfreiheit befasst, dann jedenfalls nicht im Geiste der Frage, ob ein spezieller Wille innerhalb der menschlichen Seele frei sei. Allenfalls geht es darum, ob der Mensch in seinem Streben von der Vernunft beherrscht wird oder aber den Launen und Einfällen der Affekte unterworfen bleibt und welches Maß an Unabhängigkeit und Eigenständigkeit ihm dies gegenüber dem Lauf der Natur oder des Schicksals verleiht.

22Möglicherweise bereits in der Philosophie der jüngeren Stoa, spätestens jedoch in der christlichen Spätantike und dem Mittelalter, taucht demgegenüber der Wille auf, im skizzierten Sinne eines separaten Wahl- und Entschlussvermögens und dessen spezifischer Aktivität. Dieses besondere Vermögen beziehungsweise seine charakteristische Tätigkeit wird mit Titeln wie voluntas oder arbitrium belegt und erneut von der Vernunft und deren Leistungen (ratio, intellectus) sowie dem Gefühlsleben und dessen Gehalten (cupiditas, passio) abgegrenzt. Zugleich kommt es aber auch nicht einfach mit jenem Strebevermögen überein, das im antiken Denken thematisch ist und das in diesen neueren Entwürfen ebenfalls wieder aufgegriffen wird, sondern bildet ausdrücklich eine zusätzliche Schicht in der menschlichen Seele, sowohl hinsichtlich seiner systematischen Verankerung als auch in seiner inhaltlichen Bestimmung (was sich unter anderem schon darin zeigt, dass orektikon oder thymoeidēs bereits nichtmenschlichen Tieren zugesprochen werden, voluntas oder arbitrium hingegen erst dem Menschen zukommen sollen). Dieser Wille ist nicht mehr identisch mit jenem »Strebenden« oder »Beherzten«, das unter dem Einfluss der Vernunft und vor dem Hintergrund des Gefühlslebens gewisse Dinge oder Eigenschaften anzielen und durchsetzen mag, sondern benennt ein weiteres Vermögen, das seinerseits zwischen den Einsichten der Vernunft und den Forderungen des Gefühlslebens wählen kann, das von sich aus Optionen bewertet und sich durch Entschluss selbst bestimmt (sich selbst ausrichtet, sich selbst bewegt).[4] 

Die Einführung dieses Willens geht erkennbar auf konkrete Herausforderungen der damaligen Debatten zurück. Nicht zuletzt versucht man, mit seiner Hilfe gewisse Phänomene, die man im menschlichen Verhalten und Erleben zu beobachten meint, besser zu verstehen und adäquat zu interpretieren.

Beispielsweise soll jener Wille eine Erklärung dafür bieten, woher angesichts von Gottes unbegrenzter Güte, unbegrenzter Macht und unbegrenztem Wissen die ständige Versündigung des Menschen in der Welt rührt, insbesondere da sie regelmäßig auch dann aufzutreten scheint, wenn die Vernunft das Richtige eigent23lich erkennt, das Streben durchaus von ihr affiziert wird und die Affekte keineswegs übermächtig sind (dies lässt sich einsichtig machen, wenn statt der Vernunft der Wille das zuletzt maßgebliche Beschlussvermögen ist und der Wille mitunter nicht das wählt, was die Vernunft ihm anzeigt beziehungsweise was der Vernunft gemäß wäre – kurz: wenn ein Fehler in der »Willenswahl« vorliegt). Oder jener Wille soll eine Deutung dafür liefern, inwiefern Menschen mit ihren Überzeugungen, Wünschen und Regungen in einem dauerhaften Zwiespalt liegen, der typischerweise gerade darin zu bestehen scheint, dass sie das von ihnen erkannte Schlechte gezielt und tätig anstreben, obwohl sie es aus tieferer Einsicht heraus gar nicht wirklich wollen (dies lässt sich begreiflich machen, wenn Wille und Streben zwei verschiedene Antriebsvermögen sind und der Wille sich bisweilen als zu schwach erweist, um das Streben zu bestimmen beziehungsweise sich gegen das Streben durchzusetzen – kurz: wenn es zur Erscheinung der »Willensschwäche« kommt). Innerhalb solcher Konzeptionen erhält auch das Problem der Willensfreiheit eine spezielle Nuancierung, nämlich als Frage nach der Ungebundenheit und Selbständigkeit jenes besonderen Willens, etwa wenn er sich als böser Wille frevelnd von der richtigen Einsicht abwendet oder wenn er sich als guter Wille vergeblich gegen schlechte Bestrebungen stemmt.[5]  Zugleich bleibt die Natur jenes besonderen Willens, im Gegensatz zum bloßen Wollen, notorisch schwer fassbar, und seine Existenz ist in der philosophischen Debatte entsprechend umstritten.[6] 

Tatsächlich dürften sich nämlich Vernunft, Gefühlsleben und auch Strebevermögen im Denken, Empfinden und Trachten von Menschen einigermaßen glaubhaft abzeichnen und somit als reale Fähigkeiten hinter den psychischen Erscheinungen durchaus berechtigt anzunehmen sein. Hingegen mag ein spezieller Wille, der von ihnen unterschieden sein sollte, eine eher theoretische Grö24ße mit letztlich fragwürdiger Referenz bleiben. Er bietet sich womöglich zur Erläuterung gewisser Konstellationen an, die man im menschlichen Verhalten und Erleben auszumachen glaubt. Aber er ist vielleicht kein nachweislicher Bestandteil der seelischen Wirklichkeit, kein greifbares Vermögen hinter den mentalen Phänomenen.

1.2. Ähnlich schwierig zu beantworten ist, was ein Konzept etwaiger Willensfreiheit genauer meinen sollte, namentlich was hierunter in Abgrenzung zu bloßer Handlungsfreiheit zu verstehen wäre. Wie nachvollziehbar der letztere Gedanke eines »freien Handelns« auch sein mag, so problematisch mutet die erstere Idee eines »freien Willens« an.

Handlungsfreiheit ist recht leicht zu erklären, nämlich durch den Hinweis, dass jemand, der handlungsfrei ist, tun kann, was er will (oder auch unterlassen kann, was er nicht will). In Anlehnung an Autoren wie Isaiah Berlin oder Friedrich Hayek wird solche Handlungsfreiheit üblicherweise in zwei Varianten differenziert:[7]  Zum einen kann sie eine negative Freiheit meinen, das heißt die Freiheit von fremden Beschränkungen oder sonstigen Vorgaben, die bloße Abwesenheit von Hindernissen und anderweitigen Einmischungen (Freiheit im Sinne von Ungebundenheit, Unabhängigkeit, Nichtbegrenztsein, Nichtgestörtwerden). Zum anderen kann sie eine positive Freiheit bezeichnen, das heißt die Freiheit zu eigenen Zielerreichungen aufgrund hinreichender Ressourcen, die tatsächliche Zugänglichkeit von Optionen angesichts geeigneter Ausstattungen (Freiheit im Sinne von Selbständigkeit, Eigenständigkeit, Befähigung, Macht).[8] 

Diese klassische Aufteilung lässt sich weiter verfeinern. Beispielsweise können verschiedene Beschränkungen von Handlungsfreiheit, also mögliche Verletzungen ihrer negativen Variante, genauer voneinander abgehoben werden, namentlich Gewalt und Zwang: Gewalt (force, constraint, violence) besteht darin, dass man eine Option, die der Handelnde sonst wählen würde, durch unmittelbare 25Blockaden verwehrt (etwa indem man ihn einsperrt oder festbindet). Das sich hieraus ergebende Geschehen ist dann gar nicht mehr seine eigene Handlung (er kann nicht mehr tun, was er will, das heißt nicht mehr jene Ziele erreichen, die er tatsächlich anstrebt), und stattdessen hat man es mit einem fremdbestimmten Vollzug zu tun, der entgegen seiner aktuellen Entscheidung mit ihm stattfindet (die »Selbstbestimmung«, die hier unterbunden wird, hat also noch nichts mit Willensfreiheit, sondern allein mit Handlungsfreiheit zu tun). Zwang (coercion, compulsion, duress) liegt demgegenüber vor, wenn man eine Option, die der Handelnde sonst wählen würde, mit unerträglichen Sanktionen belegt (etwa indem man ihn erpresst oder nötigt). Die sich hieran anschließende Entscheidung entspricht dann nicht mehr seinem eigentlichen Bestreben (er kann nicht mehr tun, was er will, das heißt nicht mehr jene Ziele verfolgen, die er sich ursprünglich gesteckt hat), und stattdessen entsteht eine unfreiwillige Handlung, zu der er entgegen seiner angestammten Präferenz genötigt ist (auch »Freiwilligkeit« hat demnach, obgleich es terminologisch seltsam erscheinen mag, noch nichts mit freiem Willen, sondern wiederum allein mit freiem Handeln zu tun).[9] 

Zahlreiche Fragen schließen sich hieran an. Nicht zuletzt betreffen sie die Reichweite jenes Freiheitsbegriffs, und zwar sowohl in seiner negativen Form als auch in seiner positiven Version: Wird die Freiheit, tun zu können, was man will, nur durch offene Restriktionen und unzureichende Kapazitäten begrenzt oder auch durch fremde Lügen, Falschangaben, Verheimlichungen, Vorenthaltungen sowie durch eigene Irrtümer, Fehleinschätzungen, Missverständnisse oder Uninformiertheiten (so dass die fraglichen Handlungen oder ihre Ergebnisse letztlich unabsichtlich, das heißt versehentlich werden)? Wird sie allein durch menschliche Barrieren, Drohungen, Verweigerungen, Versagungen untergraben oder auch durch natürliche Grenzen, Gefahren, Mängel oder Defizite (wenn also Handlungen aufgrund faktischer Umstände »undurchführbar« oder auch »unzumutbar« werden)? Wird die Freiheit, tun zu können, was man will, einzig dann geschmälert, wenn jene Optionen 26unzugänglich bleiben, die man tatsächlich zu ergreifen wünscht, oder auch dann, wenn dies mit Optionen geschieht, die man gar nicht wählen möchte (so dass man zwar alles tun kann, was man tatsächlich tun will, aber manches andere nicht tun könnte, wenn man es tun wollte)? Wird sie lediglich dadurch vermindert, dass Sperren errichtet, Strafen angekündigt, Gelegenheiten nicht eröffnet, Unterstützungen nicht gewährt werden, oder auch dadurch, dass man in bestimmte Zustände versetzt oder mit unwiderstehlichen Anreizen konfrontiert wird (wenn man also »gewaltsam« durch übermächtiges fremdes Einwirken in eine Situation gebracht wird, zu der man keine vorherige eigene Zustimmung erteilt hat, oder wenn man sich durch das Angebot einer dringend benötigten Hilfe »gezwungen« sieht, eine eigentlich ungewollte Gegenleistung zu erbringen)?[10] 

All dies sind herausfordernde Probleme (die entsprechend intensiv und kontrovers diskutiert werden). Ihrer Grundidee nach ist Handlungsfreiheit indessen ein leicht nachvollziehbares und gut anwendbares Konzept (von dem auch kaum jemals behauptet wird, es sei undurchschaubar oder wirklichkeitsfern). Ihre philosophische Bedeutung lässt sich ohne spekulative Wagnisse klären, ihre reale Anwendung auf menschliche Beziehungen ist zumeist geradlinig. Dies betrifft sowohl den privaten Umgang als auch die politischen Verhältnisse. Nicht zuletzt bildet Handlungsfreiheit einen Zentralbegriff der Individualethik und der Rechtsphilosophie: Tun zu können, was man will, stellt zwar gewiss keinen absoluten Anspruch, aber sicherlich ein hohes Gut dar. Als solches ist Handlungsfreiheit Gegenstand zwischenmenschlicher Normen wie auch staatsbürgerlicher Grundrechte: Ihre Abwägung und ihre Einschränkung bedürfen stets geeigneter Begründung, ihr Schutz und ihre Unterstützung sind grundsätzlich relevante Gebote.

Würde man diese Struktur unbesehen übernehmen, um ein Verständnis davon zu entwickeln, was Willensfreiheit bedeuten könnte, so liefe dies wohl darauf hinaus, dass jemand, der willensfrei ist, wollen kann, was er will (oder auch nicht wollen kann, was er nicht will). Wie schon John Locke und Arthur Schopenhauer festgestellt 27haben, mutet diese Erklärung indes kaum vielversprechend an:[11]  Entweder scheint Willensfreiheit in diesem Sinne auf eine simple Tautologie hinauszulaufen, die trivialerweise stets erfüllt ist, da man augenscheinlich immer will, was man will, also offenbar auch jederzeit wollen kann, was man will (womit Willensfreiheit ein inhaltsleerer Begriff wäre). Oder es droht ein unendlicher Regress, falls man die Formel dahingehend deutet, dass für Willensfreiheit der unmittelbare Wille einem anderen, übergeordneten Willen folgen müsse, der dann aber seinerseits wohl im gleichen Sinne frei zu sein hätte, also erneut einem weiteren, höherstufigen Willen gemäß sein sollte, welcher wiederum in der geforderten Weise frei sein müsste, und immer so fort, ohne dass man die Kette jemals abschließen könnte (womit Willensfreiheit ein unerreichbarer Zustand bliebe).[12] 

Man mag dieses Dilemma zu vermeiden suchen, indem man die obige Formel geeignet uminterpretiert und ihre scheinbar gleichlautenden Begriffe mit einer hinreichend getrennten Deutung versieht. Nicht zuletzt die obige Unterscheidung von Wollen und Wille scheint sich für derartige Projekte anzubieten: So könnte man zunächst Handlungsfreiheit als Zustand definieren, in dem das Handeln dem Wollen (das heißt dem üblichen Strebevermögen) folgen kann (man also in diesem gewöhnlichen Sinne »tun« kann, was man »will«). Willensfreiheit ließe sich demgegenüber als Zustand konzipieren, in dem das Wollen dem Willen (das heißt einem besonderen Entscheidungsvermögen) folgen kann (man also in diesem speziellen Sinne »wollen« kann, was man »will«). Auch ein solcher Ansatz dürfte allerdings die Schwierigkeit nicht sofort ausräumen, solange man ihn nicht präziser fasst. Insbesondere müsste Willensfreiheit dann wahrscheinlich heißen, dass der Wille selbst in seinem Entscheiden frei ist, nicht allein, dass das Wollen in seinem Streben ihm entsprechen kann.[13] 

Alternativ mag man das Problem lösen wollen, indem man die verschiedenen Freiheitsbegriffe unterschiedlichen Sphären des personalen Daseins zuordnet. Für solch ein Vorhaben scheint sich etwa die übliche Trennung von sozialer oder physischer Situierung 28einerseits und psychischer oder mentaler Konstitution andererseits aufzudrängen: So könnte man Handlungsfreiheit als einen Zustand deuten, in dem man keinen »äußeren« Beschränkungen unterliegt (Gewalt, Zwang, auch körperlichen Behinderungen, körperlichen Schmerzen etc.) beziehungsweise mit »äußeren« Ressourcen versehen ist (Geldmitteln, Hilfsangeboten, vielleicht körperlicher Ausdauer, körperlicher Kraft etc.), um seine Ziele zu erreichen. Willensfreiheit ließe sich demgegenüber als ein Zustand verstehen, in dem man keine »inneren« Hindernisse vorfindet (Süchte, Zwänge, auch Erinnerungslücken, Angststörungen etc.) beziehungsweise über »innere« Ausstattungen verfügt (Einsicht, Klugheit, vielleicht Gedächtnisleistung, Entschlusskraft etc.), um seine Ziele umzusetzen. Einmal mehr dürfte ein solcher Entwurf die Angelegenheit jedoch nicht unmittelbar erledigen, solange man ihn nicht näher erläutert. Nicht zuletzt sollte Willensfreiheit dann wohl nicht nur meinen, dass innere Bedingungen geeignet sind, gegebene Ziele zu erreichen, sondern auch und vor allem, dass der Wille selbst frei darin ist, solche Ziele überhaupt erst zu wählen.[14] 

Es wäre sicherlich voreilig zu erklären, dass angesichts dieser Probleme der Begriff der Willensfreiheit unhaltbar oder sinnlos sei (auch wenn dies immer wieder behauptet wird). Aber es zeichnet sich zumindest ab, dass er erheblich schwieriger zu fassen ist als das Konzept der Handlungsfreiheit (wobei dieser Unterschied an Zugänglichkeit vielleicht schon deshalb zu erwarten war, weil Handlungsfreiheit wohl bereits nichtmenschlichen Tieren zugesprochen werden kann, während Willensfreiheit vermutlich erst bei vernunftbegabten Wesen vorkommen dürfte). Wenn Handlungsfreiheit meint, dass das Handeln frei ist, insofern man tun kann, was man will, muss Willensfreiheit offenbar darauf abzielen, dass der Wille selbst frei ist, während man will, dass man etwas tut. Aber was dies genauer bedeutet, was man also wollen können muss, um in diesem Sinne frei zu sein, wovon man unabhängig oder wozu man eigenständig zu sein hat, um jene Freiheit aufzuweisen, ist zunächst alles andere als offensichtlich. Wie immer man diese Probleme indes auch lösen mag, grundsätzlich wird davon auszugehen sein, dass in den faktischen Fragen, ob Handlungsfreiheit vorliegt und ob Willensfreiheit besteht, alle vier Kombinationen auftreten 29könnten: Manche Personen, die handlungsfrei agieren, mögen auch willensfrei sein, andere nicht, manche Personen, die nicht handlungsfrei agieren, mögen dennoch willensfrei sein, andere nicht. Auch könnten alle vier Kombinationen in der normativen Frage entstehen, ob man Handlungsfreiheit gewähren sollte, je nachdem ob Willensfreiheit gegeben ist: Manche Handlungen, die aus freiem Willen erfolgen, sollte man womöglich auch geschehen lassen oder sogar unterstützen, andere nicht, manche Handlungen, die nicht aus freiem Willen erfolgen, sollte man womöglich dennoch dulden oder sogar befördern, andere nicht.

1.3. Trotz der skizzierten Unwägbarkeiten gibt es ein gewisses Vorverständnis für den Sinn, der sich mit der Frage nach der Freiheit des Willens verbindet. Und es wäre falsch, diese Frage als gehaltlos oder unwesentlich abzutun, indem man erklärte, dass die Vorstellung eines Willens nur eine irreführende Erdichtung aus einer vergangenen historischen Epoche darstelle oder dass das Problem der Willensfreiheit bloß ein abwegiges Rätselspiel ohne verständliche systematische Bedeutung bilde. Vielleicht sind wir nicht sicher, ob ein besonderer Wille neben dem bloßen Wollen überhaupt existiert oder wie wir ihn hiervon trennscharf abgrenzen sollten. Aber wir verstehen doch den Sinn der Frage, ob wir in unserem Entscheiden und Handeln frei sind oder nicht. Vielleicht können wir nicht sofort definieren, was wir hierbei genauer mit dem Begriff der Willensfreiheit meinen im Unterschied zu Handlungsfreiheit. Aber wir verstehen doch den Sinn der Frage, ob unser Wollen und Tun vollständig von der gesetzhaften Struktur der natürlichen Welt bestimmt ist oder ob es dieser teilweise entzogen bleibt beziehungsweise darüber hinausweist. Eben um dieses Problem geht es, wenn wir uns mit der Freiheit unseres Willens und nachfolgend mit der Verantwortung für unser Handeln befassen. Dabei lässt sich jenes Vorverständnis, ähnlich wie schon im Falle der Handlungsfreiheit, anhand der Unterscheidung von negativer und positiver Freiheit genauer entfalten.

Willensfreiheit scheint zunächst zu bedeuten, dass Entscheidungen und Handlungen nicht, oder zumindest nicht nur, das Ergebnis einer kausalen Bestimmung sind, das heißt des Zusammenspiels von Ursachen und Wirkungen unter vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten. Dabei ist unerheblich, auf welcher Ebene jene Kausalität verortet 30wird. Man mag, wie es lange Zeit üblich war, vor allem psychische Verursachungen (die Mechanik der individuellen Neigungen, Bedürfnisse etc.) oder auch soziale Verursachungen im Blick haben (die Dynamik von kollektiven Gruppeninteressen, Machtstrukturen etc.). Man mag, wie es in jüngerer Zeit bevorzugt wird, biologische und physikalische Verursachungen (die dem Psychischen oder Sozialen womöglich zugrunde liegen) oder genetische und neuronale Verursachungen in den Vordergrund rücken (insbesondere die Kausalität des Gehirns). Willensfreiheit in diesem ersten Sinne meint jedenfalls eine negative Freiheit, eine Freiheit von (rein) kausaler Prägung – gleich ob man diese als eine »äußere« Kausalität sozialer oder vielleicht physikalischer Faktoren oder aber als eine »innere« Kausalität psychischer oder letztlich neuronaler Parameter verstehen will.

Willensfreiheit scheint darüber hinaus zu meinen, dass statt, oder jedenfalls ergänzend zu, einer solchen Abhängigkeit von kausalen Bedingungen ein Zustand der autonomen Bestimmung vorliegt, das heißt eine Form von Selbstbewegung oder Selbstgesetzgebung in einem nachvollziehbaren Sinne. Wie dieser Zustand der Autonomie genauer zu denken wäre, ist sicherlich zu klären. Er könnte beispielsweise erreicht sein, wenn das Entscheiden und Handeln dem eigenen Überlegen folgt (es mit den Vorgaben zentraler eigener Präferenzen übereinkommt, sein Verlauf der stabilen eigenen Kontrolle untersteht), man in dieser Weise also der maßgebliche Ursprung des eigenen Verhaltens ist (durch ausdrückliches Bejahen der eigenen Wünsche, durch gezielte Formung des eigenen Strebens). Er könnte sich auch einstellen, wenn das Wollen und Tun von gewissen Gründen geleitet wird (moralischen oder prudentiellen, womöglich auch ästhetischen oder epistemischen), man in solcher Art mithin das eigene Verhalten an relevanten Maßstäben orientiert (richtigen oder zumindest starken, vielleicht aber auch schwachen oder falschen). Willensfreiheit in diesem zweiten Sinne meint jedenfalls eine positive Freiheit, eine Freiheit zu (zusätzlich) autonomer Prägung – wie immer diese genauer zu erläutern wäre.

Diese beiden Vorverständnisse von Willensfreiheit liefern längst keine vollständige Klärung des Begriffs, schon allein deshalb nicht, weil in den skizzierten Erläuterungen unterschiedliche konkrete Optionen angedacht wurden und auch das wechselseitige Verhältnis der negativen und positiven Aspekte darin genauer ausge31leuchtet werden müsste. Aber sie bieten eine erste Darstellung des Grundgedankens, der sich mit der Vorstellung eines freien Willens verbindet.

Dabei ist für eine solche Konzeption von Willensfreiheit nicht unbedingt erforderlich, dass sich neben der üblichen Fähigkeit des Wollens noch ein besonderes Vermögen namens Wille identifizieren lässt. Wenn Willensfreiheit bedeutet, nicht, oder zumindest nicht allein, durch kausale Beziehungen bestimmt zu sein, sondern stattdessen, oder jedenfalls zusätzlich, eine gewisse Autonomie zu entfalten, so könnte sie beispielsweise auch ganz auf dem Verhältnis zwischen Vernunft und Streben beruhen, indem etwa die Vernunft in ihrem Überlegen oder mit ihren Gründen das Streben leitet.

Insofern mag sich am Ende herausstellen, dass das antike Modell von Vernunft, Streben und Gefühlsleben ausreicht für jene eigentümliche Beziehung, die mit Willensfreiheit angesprochen ist. Zwar mag dieses Modell zu holzschnittartig sein, um der Komplexität menschlicher Psyche gerecht zu werden. Aber zumindest bedürfte es keiner Ergänzung durch eine zusätzliche Instanz eines Willens, der als solcher die spezielle Eigenschaft der Freiheit aufweisen müsste. Die beiden philosophischen Entwürfe, von denen ich in diesem Buch maßgeblich ausgehen werde, weisen eine solche Komponente jedenfalls nicht auf. Was etwa Harry Frankfurt als will bezeichnet, ist in der Tat nur ein Wollen im Sinne eines üblichen Strebevermögens, kein Wille im Sinne eines besonderen Entscheidungs- und Beurteilungsvermögens. Und wenn Wilfrid Sellars sich auf reasons bezieht, sind diese Gründe voll und ganz der Vernunft zugänglich, ohne ein separates Wahl- oder Entschlussvermögen vorauszusetzen.

Eine vertiefte Interpretation dessen, was unter Wille und Willensfreiheit zu begreifen wäre, kann erst eine vollständige Theorie liefern, die menschliches Verhalten in das besondere Spannungsfeld von Kausalität und Autonomie einordnet. Dabei sollte sie klare Standards dafür aufstellen, wann ein Wille, beziehungsweise das daraus hervorgehende Handeln, das spezifische Merkmal der Willensfreiheit aufweist statt allein die Eigenschaft der Handlungsfreiheit. Die folgenden Erörterungen werden versuchen, dieser Vorgabe gerecht zu werden. Auch sie werden sich dabei, ähnlich den antiken Modellen, damit begnügen können, den Willen als ein Wollen im üblichen Sinne menschlichen Strebens zu verstehen. Seine Freiheit werden sie aber als ein spezielles Zusammenspiel von 32Komponenten entwerfen, die sich in den Theorien von Frankfurt und Sellars angelegt finden. Ein freier Wille, so werde ich zu zeigen versuchen, ist ein Wille, der von bewussten Gründen geleitet wird.

So einfach sich diese These auch formulieren lässt, so weit wird der Weg sein, den ich im Folgenden beschreiten muss, um ihren Gehalt verständlich und glaubhaft zu machen. Insbesondere wird es notwendig sein, die zentralen Begriffe und maßgeblichen Argumente sorgfältig vorzubereiten, um auf diese Weise unnötige Missverständnisse und störende Abschweifungen im weiteren Verlauf zu vermeiden.

Ich werde daher zunächst erläutern, was ich unter Ursachen verstehe und weshalb gewisse Befunde, die dem Gedanken einer deterministischen, vorhersagbaren oder abgeschlossenen Naturkausalität entgegenstehen, als solche nichts für die Frage der Willensfreiheit eintragen (Abschnitt 2 und 3). Sodann werde ich die zentralen Grundpositionen innerhalb der Freiheitsdebatte skizzieren und anhand ihrer die Frage angehen, ob es für ein willensfreies Entscheiden und Handeln erforderlich ist, dass man unter identischen Bedingungen hätte anders handeln oder anders wollen können, als man es getan hat (Kapitel II). Ich werde zwei aktuelle Interpretationen von Willensfreiheit nachzeichnen, die nach meiner Einschätzung besonders vielversprechend sind und von denen her ich meine Theorie entwickeln möchte, nämlich eben die erwähnten Freiheitsdeutungen von Harry Frankfurt und Wilfrid Sellars (Kapitel III und IV). Anschließend werde ich erklären, wie das Konzept der Gründe zu verstehen ist und welche Rolle das Bewusstsein spielen muss, um Willensfreiheit im negativen wie im positiven Sinne begreiflich zu machen (Kapitel V bis XI).

2. Was sind Ursachen?

2.1. Die Hauptfrage bezüglich der Willensfreiheit lautet, wie eine etwaige Autonomie menschlichen Entscheidens und Handelns angesichts der augenscheinlichen Kausalität natürlicher Systeme und Prozesse gedacht werden kann. Nicht zuletzt geht es darum, ob Freiheit des Willens voraussetzen würde, dass das Entscheiden und Handeln der natürlichen Kausalität in irgendeiner Weise entzogen wäre (Inkompatibilismus), oder ob es möglich ist, Willensfreiheit 33und Naturkausalität miteinander zu versöhnen (Kompatibilismus). Dabei hängt die Schwierigkeit dieses Problems, aber auch der Inhalt jener Lösung, die ich im Verlauf dieses Buchs vorschlagen werde, nach meiner Einschätzung nicht wesentlich von der Frage ab, welches genaue Verständnis von Kausalität man bei alledem zugrunde legt. Dennoch werde ich auf den folgenden Seiten ein paar Bemerkungen dazu machen, was ich mit Kausalität, das heißt mit dem Verhältnis einer Ursache zu ihrer Wirkung, meine.

Tatsächlich werden in Metaphysik und Wissenschaftstheorie sehr viele und sehr unterschiedliche Verständnisse kausaler Beziehungen diskutiert, die nicht zuletzt dahingehend voneinander abweichen, ob sie sich stärker an lebensweltlichen Vorstellungen oder eher an wissenschaftlichen Auffassungen von Ursachen und Wirkungen orientieren: Manche stellen auf Möglichkeiten von Interventionen, auf zumindest potentielle Ansatzpunkte für manipulierende Eingriffe und experimentelle Tätigkeiten ab (etwa »A ist Ursache für B« heißt: Wenn man B erreichen will, muss man A tun),[15]  andere fokussieren auf das Auftreten von Regularitäten, auf das rein faktische Vorliegen beständiger Objektzusammenhänge und wiederkehrender Eigenschaftsrelationen (beispielsweise »Kausalität zwischen A und B« heißt: Immer wenn Ereignis A eintritt, erfolgt auch Ereignis B).[16]  Manche beziehen sich auf kontrafaktische Szenarien alternativer Weltverläufe, in denen bestimmte Geschehnisse eingetreten oder ausgeblieben wären (etwa »A ist Ursache für B« heißt: Ohne A hätte es B nicht gegeben),[17]  andere konzentrieren sich auf aktuale Entwicklungslinien realer Naturprozesse, in denen gewisse Erhaltungsgrößen weitergeleitet und ausgetauscht werden (beispielsweise »Kausalität zwischen A und B« heißt: Zustand A zieht Zustand B unter Übertragung des Drehimpulses nach sich).[18]  Gelegentlich begegnet man sogar der Einschätzung, das Konzept der Kausalität solle vollständig aufgegeben werden: Die Rede von Ursachen und Wirkungen entstamme einem 34veralteten Alltagsverständnis, wie der Zusammenhang natürlicher Geschehnisse beschaffen sei. In modernen Forschungskontexten werde gar nicht mehr von kausalen Relationen gesprochen, sondern allein von funktionalen Abhängigkeiten oder strukturellen Beziehungen, von Mechanismen oder Dynamiken, die man in Formeln und Gleichungen abzubilden versuche.[19] 

Man sollte allerdings nicht meinen, das Problem der Willensfreiheit löse sich von allein auf, wenn man im Sinne des zuletzt genannten Einwandes das Denken in üblichen kausalen Begriffen schlichtweg vermeidet: Der Sache nach stellen funktionale Abhängigkeiten, strukturelle Beziehungen, Mechanismen, Dynamiken etc. die Freiheit des Willens nicht weniger in Frage, als dies kausale Verknüpfungen hergebrachter Art, namentlich das vertraute Schema von Ursachen und Wirkungen, tun.[20]  Die Annahme etwa, dass Bewusstseinszustände durchweg und funktional mit Hirnzuständen verbunden sind, wäre für die Willensfreiheit keine geringere Herausforderung als die Vorstellung, dass Bewusstseinszustände lückenlos und kausal durch Hirnzustände hervorgebracht werden.[21]  Und letztlich dürfte dies daran liegen, dass hierbei konzeptuelle Differenzierungen eingeführt werden, denen keine wirkliche Trennung entspricht: Auch jene alternativen Beschreibungen haben durchaus kausale Verknüpfungen zum Thema, betrachten allemal Verhältnisse zwischen Ursachen und Wirkungen, wie subtil und mathematisch sie diese auch fassen mögen. Daher ist kaum zu bestreiten, dass kausale Beziehungen unverändert als wesentliche Merkmale der physischen Wirklichkeit angesehen werden und kausale Begriffe entsprechend nach wie vor zum maßgeblichen Vokabular der empirischen Wissenschaften gehören.[22] 

Dies bestätigt sich, wenn man sich wesentliche Themen und Aspekte wissenschaftlicher Tätigkeit genauer vor Augen führt: Die Gesetzmäßigkeiten, die Forscherinnen und Forscher entdecken 35wollen (»Naturgesetze« im ontologischen Sinne jener Homogenitäten und Potentialitäten, von denen natürliche Phänomene bestimmt werden), sind zwar gewiss nicht allesamt kausaler Art – schon deshalb nicht, weil es sich bei ihnen teilweise gar nicht um Sukzessionsgesetze, sondern bloß um Koexistenzgesetze zwischen Objekten oder Phänomenen handelt (beispielsweise ergibt sich die Anziehungskraft zwischen zwei Körpern durch ihre Massen, wobei beides allemal gleichzeitig auftritt, die Massen und die Anziehungskraft). Aber zumindest sobald hierdurch mechanische Vorgänge eingeleitet und dynamische Prozesse gesteuert werden, hat man es mit Instanziierungen kausaler Beziehungen zu tun, in denen Wirkungen auf Ursachen folgen (wenn die beiden Körper sich aufgrund jener Anziehungskraft aufeinander zubewegen, bildet ein früherer Zustand des Systems die Ursache eines späteren Zustands, vermittelt durch eben dieses Kraftgesetz). Die funktionalen Erklärungen und strukturellen Interpretationen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausarbeiten (»Naturgesetze« im epistemologischen Sinne jener Formeln und Modelle, mit denen sie natürliche Erscheinungen zu beschreiben versuchen), machen zwar sicherlich nicht durchweg kausale Aussagen – allein darum nicht, weil sie manchmal überhaupt keine diachronen Abfolgen, sondern nur synchrone Beziehungen zwischen Variablen und Parametern beinhalten (beispielsweise bestimmt man die Schwingungsdauer eines Fadenpendels über seine Fadenlänge, ohne damit behaupten zu wollen, dass erst die Fadenlänge und dann die Schwingungsdauer aufträte). Aber spätestens sobald hiermit allgemeine Bewegungsgleichungen aufgestellt und spezielle Gleichungslösungen abgeleitet werden, treten Konkretisierungen kausaler Zuordnungen auf, in denen Wirkungen aus Ursachen abgeleitet werden (wenn man die Schwingungsdauer in eine Schwingungsgleichung einsetzt, kann man einen späteren Zustand des Pendels als Wirkung eines früheren Zustands berechnen, erfasst über eben diese Gleichungsbeziehung).

Diese hohe Präsenz und Relevanz kausaler Verbindungen und Auffassungen sollte nicht überraschen: Wissenschaftliche Forschungen und Resultate sind letztlich nichts anderes als systematische Fortsetzungen und planvolle Ausarbeitungen lebensweltlicher Erfahrungen und Vorstellungen. Jeweils geht es um die Beschaffenheit und Entwicklung der natürlichen Welt, und zwar gerade ge36mäß der fundamentalen Struktur von Ursachen und Wirkungen. In die folgenden Darstellungen werde ich daher gleichermaßen lebensweltliche wie wissenschaftliche Kausalvorstellungen aufnehmen. Dabei werden sie nicht so sehr als ernsthaft gegensätzliche Auffassungen, sondern eher als grundsätzlich verwandte Zugänge erscheinen.

Insbesondere formulieren all diese Darstellungen gleichermaßen eine Herausforderung für die These der Willensfreiheit: Es ist die kausale Verfasstheit der natürlichen Welt als solche, bei der fraglich wird, inwieweit sie sich mit einer autonomen Gestalt menschlichen Tuns vertragen kann. Dies gilt zuletzt unabhängig davon, ob man Kausalität in lebensweltliche oder in wissenschaftliche Begriffe fasst, und es ist weitgehend losgelöst davon, welcher genauen Deutung von Kausalität man sich hierbei anschließt: Dass man die Entscheidungen von Menschen durch Interventionen in ihre Gehirne manipulieren könnte, dass ihre Handlungen aus Anfangszuständen regelhaft hervorgehen sollten, dass Menschen unter alternativen Bedingungen und Einflüssen abweichende Entscheidungen getroffen hätten, dass sämtliche Handlungen realen Verlaufsbeziehungen folgen mögen, bildet jeweils ein vergleichbares Problem für die menschliche Freiheit.

Manche Autoren meinen zwar, dass bestimmte Kausalitätsauffassungen aus der obigen Liste grundsätzlich unproblematisch für menschliche Willensfreiheit seien. Tatsächlich dürften solche Einschätzungen aber voreilig sein und letztlich auf dem Umstand beruhen, dass gewisse Kausalitätsmodelle nahelegen können, Entscheidungen und Handlungen seien von ihrem Wirkungskreis ausgenommen. Beispielsweise ist es innerhalb einer interventionistischen Deutung verlockend, menschliche Handlungen nur als mögliche Interventionen in externe Systeme zu thematisieren, ohne die Frage zu stellen, ob sie selbst für entsprechende Einflussnahmen offenstehen.[23]  Ähnlich mag man in einem regularitätstheoretischen Ansatz dafürhalten, dass menschliche Entscheidungen überhaupt erst beobachtbare Regularitäten in der äußeren Welt entstehen lassen, ohne sich der Frage zu widmen, ob sie ihrerseits aus übergreifenden Regelhaftigkeiten hervorgehen.[24]  Die hierdurch suggerierten Asymmetrien zwischen Entscheidungen und Handlungen 37einerseits und sonstigen natürlichen Vorgängen andererseits sollen dann die Auffassung stützen, dass es gar keinen Konflikt zwischen Freiheit und Kausalität gebe. Sobald man indessen die letztgenannten Fragen ernst nimmt, dürften sich die behaupteten Asymmetrien weitestgehend auflösen, womit ein freier Wille ebenso problematisch bleibt wie zuvor.