Was wir von Tieren lernen können - Renée Herrnkind - E-Book

Was wir von Tieren lernen können E-Book

Renée Herrnkind

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Beschreibung

Tierisch gut! Tiere sind Gefährten mit Charakter. Sie bieten uns in der Begegnung Antworten auf die essenziellen Fragen von Nähe und Distanz, Freiheit und Kontrolle, Vertrauen und Verantwortung. In 24 Geschichten aus einem tierisch guten Leben erzählt Renée Herrnkind mit einer Mischung aus Tiefsinn und Leichtigkeit vom prägnanten Führungsstil der Ziege Emely, den unwiderstehlichen Erziehungsmethoden von Glucke Bertha oder dem würdevollen Altern ihrer Hündin Kira. Schmunzeln, ertappt fühlen, den Blick weiten - Tiere (und sich selbst) mit anderen Augen sehen, das sind erwünschte und geradezu unvermeidliche Nebenwirkungen der Lektüre sowie der Betrachtung der humor- wie liebevollen Illustrationen von Franziska Viviane Zobel. Und welch große und wesentliche Verantwortung im Umgang mit Tieren für uns Menschen besteht, beschreibt in ihrem Vorwort die Journalistin und Autorin Dr. Tanja Busse - klar, schnörkellos und voll Liebe zu allen Lebewesen.

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1. Auflage 2022

Verlag Freies Geistesleben

Landhausstraße 82, 70190 Stuttgart

www.geistesleben.com

eISBN 9783772546211

© 2022 Verlag Freies Geistesleben

& Urachhaus GmbH, Stuttgart

Umschlaggestaltung & Illustrationen: Franziska Viviane Zobel

INHALT

Vom Miteinanderwerden

Willkommen in diesem Buch

Tierisch viel Seele

Guckst du?

Rosa und der eigene Wille

Mütter in der Zickenzone

Wortlos glücklich

Loslassen lernen

Doch lieber Nestflüchter sein

Einfach mal sitzen

Wenn’s das Leben fordert

Gendern wirkt

Wer bewegt wen?

Schau in meinen Spiegel

Von wegen Muckies

Ziegengeburt – Das Wunder hautnah erleben

Zweisprachig

Kira coacht

Führung mit Stil

Große Sprünge

Gut dosiert

Gut beflügelt

Handlungsschnell

Wahre Liebe

In Würde altern

Abschied von Lea

Vom Miteinanderwerden

Wir müssen etwas zurechtrücken: unseren Platz in der Welt und damit auch unser Verhältnis zu Tieren, also zu den anderen Tieren, den «nicht-menschlichen Tieren». In den letzten Jahren haben Biologen und Biologinnen neue Erkenntnisse zu Tage gefördert, die für viele, die mit Tieren leben, schon lange selbstverständlich waren. Nun ist es auch wissenschaftlich bewiesen: Tiere können doch denken, fühlen, leiden beinahe wie wir, sie entwickeln sogar unterschiedliche Kulturen.

Noch vor wenigen Jahrzehnten wären Forscherinnen und Forscher ausgelacht worden, die gesagt hätten: Tiere denken. Tun sie nicht, hatte mich meine Lehrerin im Biounterricht in den achtziger Jahren sehr vehement korrigiert: «Nur Menschen denken, Tiere folgen ihren Instinkten.» Schon damals hatten meine Pferdefreundinnen und ich das Gefühl, dass das irgendwie falsch war. Auf unseren Ausritten über die Stoppelfelder spekulierten wir darüber, wie Pferde denken und was – das «Verbot» der Bio-Lehrerin trotzig ignorierend. Ich musste an sie denken, als ich viele Jahre später las, dass die Forschung unsere romantischen Vorstellungen von damals inzwischen bestätigt hatte.

Menschen, die mit Tieren leben oder arbeiten, haben schon immer gespürt, dass Tiere mehr sind als instinktgesteuerte Wesen ohne Charakter und eigenen Willen – und dass sie mehr sind als «Sachen». Auch wenn sie das deutsche Recht so einstuft. Ich glaube, jeder Schäfer wusste das, jede Milchbäuerin und jeder Reiter sowieso. Dennoch haben wir Tiere lange so behandelt, als seien sie Sachen. Und tun es noch immer.

Der Kulturwissenschaftler Ulrich Raulff hat über die kulturelle und militärische Bedeutung der Pferde in der Vor-Automobil-Gesellschaft geschrieben, über das Pferd als Tempo- und Kriegsmaschine, ohne das unsere Geschichte völlig anders verlaufen wäre. In seinem Buch Das letzte Jahrhundert der Pferde hat er Bilder von Pferden auf den Schlachtfeldern der beiden Weltkriege zusammengetragen, die zeigen, wie sehr Menschen Pferde für ihre niederen Zwecke missbraucht und gequält haben. Damals wurde wenig Anstoß daran genommen, natürlich nicht. Eine Gesellschaft, die nichts Schlimmes daran findet, Kinder mit Prügel zu strafen, wird sich kaum über eine Pferdepeitsche echauffieren.

Wie Menschen mit Tieren umgehen, ist ein Spiegel ihres jeweiligen Weltbildes, so viel ist klar. Jahrhunderte von autoritären Gesellschaften haben eine autoritäre Reiterei hervorgebracht, die jetzt – im Zeitalter von Emanzipation und Kommunikation – langsam durch die Pferdeflüsterei abgelöst wird. Das ist der Versuch, mit Pferden in der Sprache der Pferde zu kommunizieren und zu beweisen, dass technische Hilfsmittel und Gewalt nicht nötig sind, um Pferden zu vermitteln, was der Mensch im Sattel will. Das ist zweifellos eleganter als mit Sporen und Kandare und vor allem schmerzfreier für die Tiere, doch es bleibt die gleiche Geschichte: Das Pferd soll tun, was wir wollen. Weil uns das gefällt. Lässt man sich auf die Überlegungen der Tierrechtsbewegung ein, gibt es dafür keine Rechtfertigung. Und ab da wird es sehr kompliziert, unser Verhältnis zu den Tieren.

Der laute Protest gegen eine Moderne Fünfkämpferin, die bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio ihr panisches Pferd über den Parcours prügelte, zeigt, dass etwas in Bewegung geraten ist – während gleichzeitig die alte Selbstverständlichkeit, mit der wir Menschen über Tiere zu verfügen glauben, noch da ist. Während der Sportreporter live im Fernsehen die Reiterin bedauerte, weil sie ein so unwilliges Pferd zugelost bekommen hatte, lief in den sozialen Medien die Empörungsmaschine heiß. Dort wurde nicht nur der Rücktritt der Sportlerin und ihrer Trainerin gefordert, sondern auch die Abschaffung sämtlichen Sports mit Pferden.

Ähnliches lässt sich auch in anderen Bereichen beobachten. Die einen bauen Rettungshöfe für geschundene Tiere aus der Intensivlandwirtschaft, die anderen sprechen schon von Tierwohl, wenn intelligente Wesen wie Schweine einen halben Meter Platz in einem öden Stall bekommen, in dem sie ihr gesamtes Leben fristen. Und manchmal finden sich beide Extreme sogar in einer Person vereint, bei Tierfreunden, die all ihr Geld zum Hundefriseur und Pferdeosteopathen tragen, damit es ihren Lieblingen an nichts fehle, um anschließend beim Discounter Billigfleisch zu kaufen. Irgendwo dazwischen suchen Landwirtinnen und Landwirte nach einem guten Weg, tierische Lebensmittel zu produzieren und ihren Tieren trotzdem gerecht zu werden. Nicht einfach.

In der Argumentation der Tierrechtsbewegung gibt es keine Rechtfertigung dafür, Tiere zu töten, die nicht sterben wollen. Folgt man jedoch den Biodiversitätsforscherinnen und -forschern, versteht man, dass wir Grünland beweiden müssen, um die biologische Vielfalt der Kulturlandschaften Mitteleuropas zu erhalten. Beweiden mit Weidetieren, die wir töten dürfen, weil es keine großen Beutegreifer mehr gibt, die das für uns übernehmen würden.

Wir müssen als Gesellschaft ganz neu aushandeln, wie wir mit Tieren umgehen wollen. Auf der Grundlage der Wissenschaft, die uns gezeigt hat, dass wir Menschen auch nur Tiere unter Tieren sind, dass uns nichts fundamental von «nichtmenschlichen Tieren» unterscheidet, und dass wir selbst Teil von Ökosystemen sind, ohne die wir nicht überleben könnten. Tiere und Natur sind also nichts, was uns als Anderes gegenübersteht. Vielmehr sind wir Teil der Natur. Wir Menschen sind nur diejenige Spezies, die den Globus so verändert hat, dass beinahe alle anderen gefährdet sind, deshalb haben wir eine besondere Verantwortung – nicht nur für uns, sondern für alle anderen mit.

Die Biologin, Wissenschaftstheoretikerin und Feministin Donna Haraway macht klar, dass wir uns deshalb neu positionieren müssen. Wir sind nicht die, die sich anmaßen dürfen, über Tiere und Natur zu verfügen, wir hängen mittendrin im Netz des Lebens. «Keine Art handelt allein, nicht einmal unsere eigene arrogante, die auf Basis sogenannter moderner, westlicher Skripte so tut, als würde sie aus artigen Individuen bestehen», schreibt sie. «Diese Zeiten, Anthropozän genannt, sind die Zeiten einer artenübergreifenden Dringlichkeit, die auch die Menschen umfasst. Es sind Zeiten von Massensterben und Ausrottung; einer Weigerung, sich die kommende Katstrophe rechtzeitig präsent zu machen; Zeiten eines nie dagewesenen Wegschauens.»*

Der fossilienverbrennende Mensch, so bringt Haraway es klar und scharf auf den Punkt, scheine darauf aus zu sein, in kürzester Zeit so viele neue Fossilien wie möglich herzustellen.

Um dem etwas entgegenzusetzen, müssen wir über das Anthropozän hinausdenken, schlägt Donna Haraway vor. Wir sollten all die Vorstellungen hinter uns lassen, die uns überhaupt erst in diese Situation gebracht haben: unseren Anspruch, die Natur und die Tiere dominieren zu dürfen, die Idee von Technik als Fortschritt und das Konzept von uns Menschen als wirkmächtige Individuen, als Einzelkämpfer. Haraways Gegenmodell sind «artenübergreifende Praktiken des Miteinander-Werdens», und das ist ein guter Neuanfang. Um das zu schaffen, müssen wir uns zurechtrücken – auf Augenhöhe mit den anderen Tieren. Wir sollten ihnen zuhören und auch von ihnen lernen.

Dr. Tanja Busse

* Donna J. Haraway: Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, übersetzt von Karin Harrasser, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2018, Seite 54.

Willkommen in diesem Buch

Alle wesentlichen Themen meines Lebens habe ich (auch) mit meinen Tieren bearbeiten können, manches Mal sogar sehr eindringlich «besprechen» müssen. Für mich ist dieses Leben mit Tieren seit Jahrzehnten selbstverständlich. Aber viele meiner Freundinnen und Freunde bekommen immer noch ganz große Augen, wenn ich erzähle, wie Hündin Kira mir morgens eine unüberhörbar klare Ansage zu meiner aktuellen Verfassung macht, die Ziegen Emely und Lara mir Varianten von Führungsstilen zeigen, Glucken Vorbilder im Loslassen werden oder meine damals kleine Tochter dank unserer ersten Katze Rosa verstanden hat, dass es nicht immer nur nach ihrem Kopf geht.

Die essenziellen Fragen von Nähe und Distanz, Freiheit und Kontrolle, Vertrauen und Verantwortung, die wortlose Verständigung in der universellsten aller Sprachen, der Körpersprache, die Wirkung von Ausstrahlung und innerer Haltung – all das spiegelt sich im Tier, das mir nahe ist. In diesen Spiegel kann ich schauen und erkennen, was meine Lernaufgabe ist.