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Bestsellerautorin Alexandra Zykunov trägt in ihrem neuen Buch unbekannte, absurde, aber leider sehr reale Zahlen, Studien und Unmöglichkeiten zusammen, die schmerzvoll aufzeigen, wo Frauen benachteiligt werden und wodurch ihr Leben anstrengender, ärmer und im Zweifelsfall lebensgefährlicher wird. Auch heute noch. Oder wussten Sie, dass Algorithmen Frauen automatisch kleinere Kredite gewähren? Dass die Energiekrise die Preise für weibliche Produkte höher steigen ließ als für männliche? Und war Ihnen klar, dass deutsche Gesetze Väter daran hindern, Kindkranktage zu nehmen? Nein? Dann sollten Sie dieses Buch lesen. In ihrem unnachahmlich wütend-witzigen Ton schreibt Alexandra Zykunov das Anti-Male-Gaze-Buch, das uns allen gefehlt hat. Das Patriarchat ist wohl noch nicht ganz am Ende – aber der Kampf ist eröffnet!
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»Was wollt ihr denn noch alles?!«
Alexandra Zykunov, geb. 1985, ist Journalistin für feministische und gesellschaftliche Themen bei der BRIGITTE und Autorin des Bestsellers »Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!«. Als Speakerin hält sie Keynotes in internationalen Unternehmen zu Themen wie Feminismus, Care-Arbeit oder Gender bias und ist als @alexandra___z eine reichweitenstarke Stimme auf Social Media. Ihre pointierten Texte und Analysen zur Unsichtbarkeit von Frauen- und Familienthemen in der Politik sprechen Tausenden von Frauen aus der Seele und gehen regelmäßig viral.
»ALEXANDRA ZYKUNOV WILL DAS PATRIARCHAT BRENNEN SEHEN.«JULIA KNÖRNSCHILD, AUTORIN UND PODCASTERINIn ihrem neuen Buch versammelt die Bestsellerautorin unbekannte, aber leider sehr reale Zahlen, Studien und Absurditäten, die nicht nur aufzeigen, wo Frauen hierzulande benachteiligt werden, sondern wie ihr Leben dadurch anstrengender, ärmer und im Zweifelsfall lebensgefährlicher wird. Auch heute noch. Ein paar Beispiele? Frauen haben ein 32 Prozent höheres Risiko zu sterben, wenn sie von einem männlichen Chirurgen operiert werden. Die Energiekrise hat die Preise für Frauenbekleidung und andere weibliche Produkte höher steigen lassen als für männliche. Algorithmen zeigen Frauen absichtlich schlechter bezahlte Jobs an, und deutsche Gesetze hindern Väter daran, Kinderkrankentage zu nehmen. In ihrem wütend-witzigen Ton zerlegt Alexandra Zykunov das Märchen von der Gleichberechtigung und liefert endlich stichfeste Antworten auf die nervtötende Frage: »Was wollt ihr denn noch alles?!«»ALEXANDRA ZYKUNOV BRICHT KOMPLEXE ZUSAMMENHÄNGE SO VERSTÄNDLICH RUNTER, DASS ES SELBST DER LETZTE BOOMER VERSTEHT.«PATRICIA CAMMARATA, AUTORIN UND SPEAKERIN
Alexandra Zykunov
Zahlen, Fakten und Absurditäten über unsere ach-so-tolle Gleichberechtigung
Ullstein
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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Dezember 2023© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Umschlaggestaltung: semper smile, MünchenTitelabbildung: © Hans ScherhauferFoto der Autorin: © Hans ScherhauferE-Book Konvertierung powered by pepyrusISBN: 978-3-8437-3064-8
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Das Buch
Titelseite
Impressum
Disclaimer
Bevor es losgeht
Gender Wikipedia Gap
Der wahre Grund, warum Frauen sich nicht auf Führungspositionen bewerben
Gender Confidence Gap und seine vielen Kumpels
Der Gender Confidence Gap in unserer Erziehung
Der Gender Confidence Gap in Kinderbüchern
Der Gender Confidence Gap in Kinderserien
Gender Confidence Gap im Unterricht, die Erste
Gender Confidence Gap im Unterricht, die Zweite
Wie Algorithmen Frauen in prekäre Jobs locken
Wenn Sprache absurde Realitäten schafft
Die Lügen hinter dem »bereinigten« Gender Pay Gap
Lüge 1: Der Gender Pay Gap ist überall ein Problem, nicht nur in Deutschland.
Lüge 2: Der »bereinigte« Gender Pay Gap ist viel aussagekräftiger.
Lüge 3: Frauen sollten einfach mehr Vollzeit arbeiten, dann gäbe es auch keinen Gender Pay Gap.
Gender Pay Gap und seine vielen Kumpels
Gender Boni Gap
Migration Wage Gap
Weight Wage Gap
Class Pay Gap
Gender Tax Gap, die Erste
Gender Kinderkrankentage Gap
Gender Tax Gap, die Zweite
Gender Pension und Gender Lifetime Earnings Gap
Die gruselige Belohnungs-Erwartungs-These
Die noch gruseligere Entwertungsthese
Wieso Mentorinnenprogramme auch keine Hilfe sind
Gender Stadtplanungs-Gap
Gender Health Gap und seine vielen Kumpels
Gender Pain Gap
Gender Trust Gap
Toxische Männlichkeit
Gender Data Gap
Gender Diagnose Gap
Racial Data Gap
Gender Depression Gap. Oder: »Aber was ist mit den Männern?«
Die absurdesten Elterngeldfacts der Welt
Wie sich weder Wissenschaft noch Politik fürs Wochenbett interessieren
Die Vermessung des Gender Care Gaps
Das Märchen von »Der Gender Care Gap betrifft ja meist nur Frauen mit Kindern«
Warum unsere Zivilisation ohne Care-Arbeit zusammenbrechen würde
Wie viele Stunden Frauen wirklich arbeiten und wie viel das eigentlich kosten würde
Wie viel könnte man für Care-Arbeit pro Monat verlangen?
Wie Care-Arbeit Frauen krank macht
Wie Care-Arbeit zu Scheidungen führt
Warum das Patriarchat wissentlich Geld ins Klo spült
»Was wollt ihr denn noch alles?!« – Na, das hier!
Weniger Arbeiten für alle!
Care-Arbeit bezahlen? Klar geht das!
Wie genial andere Länder und Firmen die Care-Krise lösen
Hey, Männer, ihr seid dran!
Danke
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Disclaimer
Es geht in diesem Buch viel um Erhebungen, Zahlen und Daten zu Verhaltensmustern von »Männern« und »Frauen«, um Rollenbilder, die typischerweise »Männern« und »Frauen« zugeordnet werden, und um die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft gegenüber »Männern« und »Frauen« in verschiedenen Alltagssituationen. Dabei verwende ich »Männer« und »Frauen« immer wieder verallgemeinernd, was natürlich Quatsch ist, weil es nicht die Männer oder die Frauen gibt.
Ich schreibe auch viel über Partnerschaften, Ehen und Familien, die aus Männern und Frauen bestehen, und verwende diese Begriffe ebenfalls verallgemeinernd, obwohl das natürlich genauso Quatsch ist, weil es nicht das Beziehungs- oder Familienmodell gibt.
Zum Glück leben wir in einer Gesellschaft, in der es vielfältige Geschlechtsidentitäten gibt. Zum Glück leben wir in einer Gesellschaft, in der es vielfältige Beziehungs-, Lebens-, und Familienmodelle gibt. Das Problem ist nur, dass diese Vielfältigkeit ständig und überall von einem patriarchalen System unterdrückt und verschleiert wird, und das dazugehörige Familienbild sieht so aus: Es gibt die weiße, heterosexuelle, christliche, normschöne, ablebodied cis-Frau, es gibt den weißen, heterosexuellen, christlichen, normschönen, ablebodied cis-Mann, und wenn sie sich verlieben und zusammen ein weißes, heterosexuelles, christliches, normschönes, ablebodied cis-Kind bekommen, sind sie die perfekte deutsche Vorzeigefamilie.
Um diese patriarchalen, oft ableistischen, klassistischen, queer- und fremdenfeindlichen Strukturen aufzuzeigen, die uns immer wieder in die typischen Rollenzuschreibungen von »dem Mann« und »der Frau« zwängen, muss ich diese Begrifflichkeiten einsetzen – um sie herauszuarbeiten und dadurch zu entlarven.
Wenn ich in diesem Buch vom Patriarchat spreche, möchte ich keinen Männerhass schüren oder sämtliche Männer über einen Kamm scheren, sondern das System dahinter sichtbar machen, das sehr viele gesellschaftliche Gruppen unterdrückt, die – überspitzt gesagt – nicht aus alten, weißen heterosexuellen Männern bestehen. Und es ist ein System, das auch viele heterosexuelle cis-Männer unterdrückt, auch wenn sie es selbst auf den ersten Blick vielleicht gar nicht merken.
Eine letzte Sache: Wenn ich auf den folgenden Seiten vom Feminismus spreche, meine ich einen Feminismus, der nicht nur Diskriminierungen weißen, christlichen, heterosexuellen cis-Frauen gegenüber abschaffen will, sondern sämtliche Diskriminierungsformen allen marginalisierten Gesellschaftsgruppen gegenüber.
Wem jetzt der Kopf raucht vor lauter Gender-Sprech: Keine Sorge, das war’s schon mit dem feministischen Fachjargon, und wir kommen zu der alles entscheidenden Frage: Bock, ganz ohne feministische Vorkenntnisse das Patriarchat anzuzünden? Ja? Gut. Ich auch.
»Frau Zykunov, welche Zahlen zur Diskriminierung von Frauen in Deutschland haben Sie während Ihrer Recherche am meisten schockiert?«
Im Grunde kam diese Frage in jedem einzelnen Interview, das ich vor zwei Jahren zu meinem ersten Buch »Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!« geführt habe, und in jeder einzelnen Lesung aus dem Publikum. Dabei saßen in der Regel Frauen vor mir, die bereits verstanden haben, dass das System sie absichtlich ausbremst und erschöpft. Nur, in welchem Ausmaß und in welchen Bereichen des Alltags (Spoiler: in allen) – das war und ist den allermeisten Frauen auch heute noch nicht bewusst. Warum auch? Nur ein Bruchteil aller Bücher, die in weiterführenden Schulen im Fach Deutsch gelesen werden, ist von Frauen geschrieben. Erfinderinnen, die in der Vergangenheit Wissen und Forschung voranbrachten, sind aus Geschichtsbüchern systematisch rausgestrichen worden. Mehr als 90 Prozent aller Bürgermeister*innen hierzulande sind männlich, 87 Prozent aller Chefredakteur*innen in Lokalzeitungen sowie 72 Prozent der Lehrstuhlinhaber*innen an den Universitäten dieses Landes sind Männer. Also werden Zahlen, Fakten und statistische Abfucks zur Frauendiskriminierung in allen diesen Instanzen auch wenig bis gar nicht thematisiert. Diese Zahlen sind kaum Thema in Schulbüchern, kaum Aufmacher in Tageszeitungen und auch nicht Grundbausteine eines jeden Studiengangs in Deutschland. Folglich wird es nicht zum Allgemeinwissen, und dementsprechend wird in der Mitte der Gesellschaft auch kaum gegen diese Ungerechtigkeiten gekämpft. Warum auch, wenn man sich des Ausmaßes gar nicht bewusst ist. Deswegen schreibe ich dieses Buch. Es soll all die absurden, teils völlig unbekannten, aber leider sehr realen Zahlen, Studien und Abfucks in den Fokus rücken, die aufzeigen, wo und wie Frauen in unseren ach so aufgeklärten Industrieländern benachteiligt werden, wodurch ihr Leben unbequemer, anstrengender, langweiliger, ärmer, ungesünder und im Zweifelsfall auch lebensgefährlicher wird. Ja, auch heute noch. Ja, auch in einem vermeintlich hoch entwickelten und reichen Land wie Deutschland.
Da ihr beim Lesen wahrscheinlich ähnlich wie ich beim Schreiben zeitweise sehr wütend sein werdet, möchte ich euch von einer Sache erzählen, auf die ich ebenfalls auf meinen Lesungen der letzten Jahre immer wieder angesprochen wurde. Nämlich: wie man es eigentlich erträgt, den ganzen Tag so wütend zu sein? Und das wird man zwangsläufig bei all den Zahlen und Daten, die wir auf den nächsten knapp 300 Seiten kennenlernen werden. Es muss doch extrem ermüdend sein, erschöpfend und frustrierend, all das zu lesen und aufzuschreiben, oder?
Ich laufe allerdings gar nicht die ganze Zeit geladen durch die Gegend. Ich komme auch nicht mit einem Puls von 180 morgens in die Büroküche oder mit geballten Fäusten Sonntagnachmittag zum Familienkaffeekränzchen. Schließlich möchte ich trotzdem einen funktionierenden Freundeskreis haben, ich möchte auch noch eine Weile mit meinem Partner zusammenbleiben und auch in Zukunft auf Familienfeiern eingeladen werden. Auf die meisten jedenfalls.
Wenn ich jedoch wütend werde – und das werde ich doch ziemlich oft –, frustriert oder ermüdet mich diese Wut gar nicht. Sie ist nicht destruktiv, sie ist nicht erschöpfend, lähmend oder selbstzerstörerisch. Sie ist viel eher ein unzerstörbarer Drang nach Veränderung. Sie ist ein Ventil. Und wie ich jetzt weiß, ist Wut auch ein liebevoller Schutzmechanismus.
Ich las neulich die Einordnung einer Therapeutin zum Thema Wut, die für mich augenöffnend war:»Deine Wut weiß, wenn du schlecht oder respektlos behandelt wurdest oder wenn deine Bedürfnisse vernachlässigt wurden. Sie gibt dir ein Zeichen, wenn du einen Ort oder eine Situation verlassen solltest. Lerne, auf die Wut zu hören, und mache sie zu deiner besten Freundin. Denn die Wut ist der Teil von dir, der dich am meisten liebt.«
Ich fand diesen letzten Satz so bahnbrechend. Meine Wut ist der Teil von mir, der mich am meisten liebt. Der Teil, der meine Bedürfnisse im Sinn hat. Kein Wunder also, dass Frauen Wut seit Generationen abtrainiert und aberkannt wurde! Sollten Frauen doch stets für die Erfüllung der Bedürfnisse anderer zur Verfügung stehen. Frauen sollten auch ganz sicher keine Emotion nach außen tragen, die Raum einnimmt, Aufmerksamkeit auf sich zieht, auf Missstände hinweist und Veränderungen fordert. Und ganz sicher sollten sie sich nicht selbst lieben und beschützen wollen.
Und so empfinde ich meine Wut nicht als Bürde, sondern als diese verloren gegangene Freundin, die wie keine andere meine Bedürfnisse, meine Werte und meinen Sinn für Gerechtigkeit im Blick hat.
Also freut euch, wenn sich diese Freundin meldet – das wird sie während der folgenden Lektüre sehr oft tun –, und sperrt sie nicht aus, nur weil euch von klein auf eingeredet wurde, sie sei keine gute Spielgefährtin. Sie ist eine super Spielgefährtin! Und eine, vor der das Patriarchat eine Scheißangst hat.
Wo fange ich an? Das war eine der größten Fragen, die mich umtrieb, als ich mit der Arbeit an diesem Buch startete. Womit beginne ich? Welche Statistik ist die absurdeste, schockierendste, unbekannteste? Womit kann ich die Leser*innen am meisten schocken, mit welcher Zahl am meisten den Kopf schütteln lassen und sie dazu bringen, dass sie diese vor lauter Unfassbarkeit mit sämtlichen Freundinnen, Social-Media-Kanälen und Online-Netzwerken teilen? Welche Zahl eignet sich dafür besonders gut?
Die Antwort ist: alle. Ohne Witz. Es gibt einfach zu viele dieser Zahlen. Also dachte ich mir, lege ich einfach damit los, was ich in letzter Zeit an statistischen Abfucks selbst erlebt habe, und wir schauen mal, wohin uns das bringt.
Man muss dazu wissen, dass zum Zeitpunkt, zu dem ich diese Zeilen schreibe, mein erstes Sachbuch »Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!« bereits sieben Monate in der SPIEGEL-Bestsellerliste ist. Sieben Monate ist eine ziemlich lange Zeit, finde ich. Es gab dazu Interviews, Gespräche und Rezensionen mit mir oder über mich in mehr als 65 Zeitungen, Magazinen, Podcasts oder TV-Beiträgen und unzählige Posts auf Social Media. Und seit das Buch herausgekommen ist, hielt ich mehr als 60 öffentliche Lesungen, Keynotes bei parlamentarischen Abenden vor Politiker*innen und Entscheider*innen oder saß auf Panels bei großen börsennotierten Unternehmen wie SAP, E.ON, Pfizer Pharma, Axa, Sparkasse, Johnson & Johnson usw.
Warum erzähle ich das alles? Nicht um mich hier abzufeiern – obwohl ein Thomas das im Zweifelsfall auch einfach tun und nicht mit so einem entschuldigenden Einschub relativieren würde. Warum also schreibe ich das alles? Weil mich vor einer Weile bei den Verhandlungen für eine potenzielle Keynote bei einer Veranstaltung eines großen internationalen Unternehmens die zuständige Mitarbeiterin vorsichtig fragte, bei welchen Firmen ich denn schon alles eine Keynote hielt, damit sie den Vorstand von meiner Relevanz überzeugen könne.
Ich will dem Vorstand jetzt nicht zu nahe treten, aber da Statistiken zeigen, dass in Deutschland zu diesem Zeitpunkt in den 160 größten deutschen Börsenunternehmen 599 Männer und nur 99 Frauen in Vorständen saßen und damit eine Frauenquote von 14,2 Prozent2 hatten, war mir in diesem Moment recht klar, dass besagter Vorstand wahrscheinlich auch eher alt und männlich ist und folglich mehr Überzeugungsarbeit brauchen könnte, um eine Person für eine Keynote zu engagieren – und vor allem zu bezahlen –, mit der er sich – sagen wir es mal so – eher weniger identifizieren kann.
Und ich meine das wirklich nicht gehässig, es ist tatsächlich so, dass Menschen dazu tendieren, Personen sympathischer zu finden und auch einzustellen, die so sind wie sie. In der Arbeitswelt hat dieses Phänomen sogar schon einen Namen, der zugegebenermaßen ein bisschen lustig ist. Die Rede ist vom Thomas-Kreislauf3 – ein Thomas stellt einen Thomas ein, der einen Thomas einstellt, der einen Thomas einstellt. Es sei denn, Quoten hindern all die Thomasse an genau diesem Unterfangen – aber: anderes Thema.
Der Thomas-Kreislauf ist für Frauen natürlich nicht nur in Vorständen von Nachteil. Sondern überall dort, wo vermehrt Thomasse sitzen. Und das ist quasi überall der Fall, wo sich Macht, Geld und Sichtbarkeit zentrieren. So gab es bis vor Kurzem in Bayern unter 71 Landräten mehr Landräte, die Thomas hießen, als Frauen.4In den deutschen Großstädten gibt es mehr Oberbürgermeister, die Thomas heißen, als Frauen. Und auch bei Volkswagen beispielsweise gab es im September 2022 mehr Thomasse im Vorstand, als es Frauen gab.5 Und ja, es ist tatsächlich immer der Thomas, der hier die Frauen übertrumpft. Aber nicht nur: Auch Hans war und ist als Führungsname sehr beliebt. So hat 2019 ein Bundesministerium selbst in einer Statistik festgestellt, dass es zu dem Zeitpunkt seit mehr als 70 Jahren Bundespolitik beispielsweise mehr Staatssekretäre gab, die Hans hießen, als Frauen,6 die dieses Amt bekleideten.
Wer das jetzt spitzfindig findet oder nach einem Zufall hinter dieser Hans-Thomas-Dominanz sucht – ich kann diese erste Abwehrhaltung gut verstehen –, googelt bitte mal den aktuellen Bericht der Allbright Stiftung.7 Die Non-Profit-Organisation veröffentlicht jährlich die Zahlen von Frauen in börsennotierten Unternehmen. Und während ihr jetzt vielleicht mit den Augen rollt, weil ihr denkt, Oh nee, jetzt kommt sie mir wieder mit den ollen Vorstandszahlen. Nein, darauf will ich nicht hinaus. Was wesentlich einprägsamer ist als irgendwelche Vorstandsquoten, ist eine andere Tatsache, und damit kommen wir zu unserem ersten absurden Gender Gap: Die Zahlen der Allbright Stiftung zeigen, dass es seit Jahren auch unter den Vorstandsvorsitzenden der größten börsennotierten Unternehmen mehr Männer gab, die Thomas hießen, als Frauen.8
Kann doch nicht sein, könnte man jetzt meinen, das muss ja eine unfassbar veraltete Statistik sein! Ja, die Erhebung war tatsächlich veraltet. Im September 2022 gab es neue Zahlen, die zeigten, dass unter den Vorstandsvorsitzenden nun Gott sei Dank nicht mehr mehr Thomasse saßen als Frauen. Ein Grund zur Freude? Leider nein. Die Statistik belegte lediglich, dass dort nun mehr Christians saßen als Frauen. Kein Witz! Christian hat Thomas einfach abgelöst. An dem Umstand selbst hatte sich aber nichts geändert: Unter den Vorstandsvorsitzenden kamen nun auf zehn Christians neun Frauen.9
Dass die wenigen Frauen, die in den Vorständen überhaupt auftauchen, zu einem absoluten Großteil weiß oder weiß gelesen sind, muss wohl nicht noch extra erwähnt werden.10
Warum erzähle ich das alles? Weil ich offensichtlich weder ein Thomas noch ein Christian, Jürgen oder Günther bin. Das wurde mir in dem Gespräch mit der Mitarbeitenden am Telefon noch mal richtig deutlich. Mein Nicht-Thomas-Dasein könnte mir also sowohl bei dieser als auch bei zukünftigen Keynote-Anfragen zum Verhängnis werden, dachte ich.
Im Grunde ist es ja bei sämtlichen Vorgängen, bei denen Männer über das Engagement entscheiden, ein Nachteil für eine Frau, dass sie eine Frau ist. Sei es bei Line-ups für Konzerte, bei Besetzungen von Panels, bei Expert*innenrunden, Workshopsgeber*innen, Expert*innenanfragen für Fernsehbeiträge, Berufungen für Professuren usw. usf. Sind die Entscheider*innen der Besetzung mittelalt, weiß, männlich und heißen Thomas, werden sie dazu tendieren, auch mittelalte, weiße, männliche Thomasse zu besetzen und diese sichtbar zu machen.
Was würde also helfen, sich gegen den Thomas- oder aktuell eher Christian-Kreislauf durchzusetzen? Erstens: wenn sämtliche Auftraggeber*innen und Entscheider*innen wüssten, dass es diesen Kreislauf überhaupt gibt und wie man aktiv dagegen anarbeiten kann. Und zweitens: wenn weibliche Auftragnehmerinnen eine Extraportion Sichtbarkeit hätten, eine Extraportion Expertise, eine Extraportion spannender Fakten, Arbeiten, Auszeichnungen, die ein Thomas, Christian oder wie auch immer er heißen mag bei gleicher Qualifikation im Zweifelsfall nicht vorweisen kann. Eigentlich ja ganz einfach. Und gleichzeitig unfassbar unfair. Denn es bedeutet im Umkehrschluss, dass Frauen – bei gleicher Qualifikation – immer einen Ticken besser sein müssen als Männer, um überhaupt in irgendeine Vorauswahl für irgendein Gespräch infrage zu kommen.
Wer auch das latent übertrieben findet, dem kann ich unzählige Studien ans Herz legen, die exakt das belegen. Oder ihr schaut einfach in meinem ersten Buch »Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!«11 vorbei, in dem ich verschiedenste Untersuchungen dieser Art zitiere: Wenn in Studien etwa identische Lebensläufe mit exakt denselben Abschlüssen, Berufsstationen und Weiterbildungen an Personaler*innen verschickt werden, die Personaler*innen aber Frauen grundsätzlich eine Schulnote niedriger einstufen; oder wenn gleichqualifizierte Männer und Frauen jenseits der 50 in Bewerbungsanschreiben dieselbe Jahressumme X bei ihren Gehaltsvorstellungen aufrufen und diese Summe X bei Männern als angemessen, bei Frauen jedoch als überhöht angesehen wird; oder, oder, oder. Und natürlich müssen Frauen oder Mütter of Color oder Frauen mit einem ausländisch klingenden Namen dann noch mal besser sein als weiße Frauen mit deutsch klingendem Namen, die dann wiederum besser sein müssen als weiße, deutsche Männer. Puh!
Es ist also unsagbar unfair und erschöpfend, dass Frauen offensichtlich per se nur dann eine höhere Chance haben, engagiert oder auf einem Panel besetzt zu werden, wenn sie besser, schlauer, sichtbarer oder erfolgreicher als ein Thomas sind, und sie ja aber gleichzeitig beim Erreichen dieser Extra-Erfolge von eben diesen Thomassen gebremst werden. Also ihnen dieses Extra-Herausstechen, das sie brauchen, um überhaupt eingeladen zu werden, wiederum durch die sowieso schon grundsätzlich viel zu seltenen Einladungen erschwert wird. Oder kurz gesagt, das typische Katze-beißt-Schwanz-Phänomen: Damit Frauen bei Panels und Co. genauso oft besetzt werden wie Thomasse, müssen sie vermehrt auf eben diesen Panels vorher gesessen haben, was sie nicht können, weil sie keine Thomasse sind.
Zurück zu meinem Gespräch: Ich erzählte also der Mitarbeitenden des großen Unternehmens von meinen bisherigen Auftraggebern, wie SAP, E.ON, Bosch, Axa, Johnson & Johnson und Co. und dachte, wenn mich ihr Vorstand dann googelt, sieht er ja die zahlreichen Aufträge und Interviews und wird schon einigermaßen davon überzeugt sein, dass ich eine schlaue Besetzung für die Keynote wäre. Was mir zu meinem Sichtbarkeitsglück allerdings zusätzlich noch fehlte, das wurde mir in dem Moment klar, war ein Wikipedia-Eintrag. Was uns langsam, aber sich zum zweiten Gender Gap dieses Buches bringt.
Ich fragte also (wahrscheinlich ein bisschen naiv) in meiner Instagram-Community nach, ob sich denn dort eigentlich auch Wikipedianer*innen tummeln, ob ich wohl »wichtig« genug bin, einen Wikipedia-Artikel zu bekommen und, wenn ja, ob nicht eine*r von ihnen Bock hätte, einen kleinen Artikel über mich zu schreiben. Es fanden sich tatsächlich ein paar Leute und schrieben drauflos. Noch am selben Tag entstand ein kurzer, knackiger Artikel über mich. Da jede*r bei Wikipedia mitschreiben kann, ergänzte ich den Artikel an einigen Stellen, da beispielsweise mein Studium fehlte oder die Unternehmen, auf deren Panels ich schon mal saß. (Später erfuhr ich, dass es innerhalb von Wikipedia verpönt ist, wenn jemand seine eigene Biografie ergänzt – ergibt ja auch Sinn –, also ließ ich meine Ergänzungen dann bleiben.)
Es kam, wie es kommen musste: Keinen halben Tag später wurde der Artikel von der Seite genommen. Und in eine Art Backend verschoben, weil der Artikel – so die Begründung von Wiki-Administrator*innen – »zu dünn« war und nicht genug Relevanzpunkte und Belege aufwies. Fair enough, dachte ich und googelte erst mal, welche Relevanzkriterien Buchautor*innen und / oder Journalist*innen eigentlich so erfüllen müssen, um für Wikipedia als »relevant« genug zu gelten.
Auf den Seiten von Wikipedia selbst wurde ich fündig.12 Dort ist für Autor*innen u. a. als Relevanzvoraussetzung von mindestens vier veröffentlichten Sachbüchern die Rede. Gut, die habe ich (noch) nicht erfüllt, denn ihr haltet in diesem Moment erst mein zweites Buch in den Händen. Einen reputablen Literaturpreis – eine alternative Voraussetzung – habe ich auch (noch) nicht gewonnen. Dann las ich etwas, das mir Hoffnung machte: Für Wikipedia gilt man laut den eigenen Regeln als Autor*in nämlich sehr wohl als »relevant«, wenn sie »ein Standardwerk verfasst haben, das in reputablen externen Quellen als solches bezeichnet wird«, oder wenn das Buch »in besonderer Weise öffentlich wahrgenommen werde (beispielsweise Rezensionen in renommierten überregionalen Zeitungen)« .
Und da wurde ich tatsächlich stutzig: War ich mit all den Interviews und / oder Rezensionen und mit einem siebenmonatigen SPIEGEL-Bestsellerlisten-Status nicht in besonderer Weise öffentlich wahrgenommen worden? Und: Ich bekam Nachrichten von Lehrer*innen, Dozent*innen und tatsächlich auch Professor*innen, die Inhalte aus meinem Buch in ihre Unterrichtseinheiten, ihre Seminare und Vorlesungen einbauten. Da wir Frauen aber nicht dazu neigen, all diese Vernetzungen öffentlich zu machen, und da sicherlich – und so schließt sich dieser absurde Kreis – auch all die besagten Dozentinnen und Professorinnen sehr wahrscheinlich nicht auf Wikipedia vertreten sind, wo sie sich gegenseitig zitieren und die jeweils verwendeten Literaturlisten in ihren Seminaren samt Verlinken der besagten Autor*innen öffentlich machen könnten, war auch dieser Fakt für die Entscheider bei Wikipedia nicht sichtbar und war ich in dem Fall immer noch nicht relevant genug.
In den folgenden Stunden entbrannte also ein kleiner Wikipedia-Beef zwischen engagierten feministischen Wikipedianer*innen und offenbar noch engagierteren Wikipedia-Administratoren, die trotz verschiedenster Ergänzungen, Zitate aus medienrelevanten Artikeln und Rezensionen über mein Buch mir keinen Platz in der Wikipedia-Sonne gewähren wollten. Und ich konnte diese Debatten live mitverfolgen.
Der Artikel über mich wurde wie ein Pingpongball mehrere Stunden hinweg ins Backend und zurück verschoben, um dann schlussendlich mit der Begründung »Relevanzkriterien werden hoffnungslos verfehlt«, »wenig Chance für eine enzyklopädische Relevanz«, »Promoaktion« und – Achtung – »Sie sollten sich schämen« gelöscht zu werden. Jepp. Leute, die meinen Artikel erstellt haben, sollten sich also dafür schämen, dass sie es getan hatten.
Mehr noch: Weil daraufhin die Wikipedianer*innen versucht haben, meinen Artikel noch mal zu erstellen, wurde der Name »Alexandra Zykunov« als Artikelname – Trommelwirbel – für die nächsten 365 Tage gänzlich gesperrt und – Doppel-Trommelwirbel – konnte von nun an nicht mehr von jeder*m Wikipedianer*in einfach so auf der Seite veröffentlicht werden, sondern nur noch von einem der Administratoren selbst. So viel also zum eigentlich urdemokratischen Gedanken hinter Wikipedia.
Und selbst das war noch nicht das Ende: In der dazugehörenden Diskussionslöschseite, die es für jeden Artikel gibt, der zur Löschung vorgeschlagen wird, wurde weiter für und gegen mich argumentiert. Es wurde etwa darüber debattiert, warum es kaum eine Feministin zu einem Wikipedia-Eintrag schaffe, es dafür aber akribisch geführte Wikipedia-Listen über Pornofilme und jede einzelne darin auftretende Pornodarstellerin gibt.13 Und als ich mich schließlich selbst als eine von vielen IP-Adressen persönlich einschaltete, um zu erklären, dass ich laut den offiziellen Relevanzkriterien von Wikipedia diese eigentlich erfüllen würde14 – wurde daraufhin auch meine eigene IP-Adresse für das weitere Diskutieren gesperrt, sodass ich selbst mich nicht mehr an der Diskussion um meinen eigenen Namen und meineneigenen beruflichen Werdegang beteiligen konnte. Wow.
Ein Wikipedia-Trauerspiel in mehreren Akten, das weniger als 24 Stunden dauerte.
Macht die jetzt »Mi mi mi«, weil Wikipedia sie nicht für wichtig genug hielt?, könnte man sich jetzt fragen. Keine Sorge, diese Frage stellte ich mir dann auch. Zumal ich »nur« eine Sachbuchautorin bin, vielleicht brauchte ich auch nicht unbedingt einen eigenen Eintrag. Es ist ja nicht so, dass ich Alzheimer geheilt, einen Impfstoff gegen Krebs entwickelt oder die Klimakrise gelöst habe. Da gibt es sicher weitaus wichtigere Frauen als mich, um bei Wikipedia aufzutauchen, dachte ich mir dann. Donna Strickland zum Beispiel. Die als dritte Frau überhaupt im Oktober 2018 den Nobelpreis für Physik bekommen hat, weil sie – Zitat der Nobelpreisjury – mit ihrer Forschung der Welt den größten Nutzen gebracht hat. Aber anscheinend nicht in den Augen der Wikipedia-Administratoren, die zu der Relevanz von Donna Strickland offenbar eine andere Meinung hatten: Nur wenige Monate vor ihrem Nobelpreis nämlich war nicht nur gar kein Artikel über Donna Strickland bei Wikipedia zu finden.15 Mehr noch: Als eine Biografie über sie entstand, wurde sie prompt wieder gelöscht mit der Begründung, dass auch bei ihr, die »genannten Referenzen [nicht] zeigen, dass sie sich für einen Eintrag qualifiziert.«
Thekla Schild war eine der ersten Frauen in Deutschland überhaupt, die Anfang 1913 einen Abschluss als Diplomingenieurin bekommen hatte. Eine Galionsfigur für kleine Mädchen, könnte man meinen. Nicht aber für Wikipedia: 13 Minuten nachdem ein Eintrag über sie in der größten weltweiten Online-Enzyklopädie angelegt wurde, wurde er auch schon wieder zur Löschung vorgeschlagen, weil der Administrator nicht nur keine Relevanz in der Biografie von Schild sah, sondern unterstellte, Thekla Schild sei frei erfunden und hätte einfach niemals existiert!16
Herrscht da etwa eine latent frauenfeindliche Stimmung auf dieser weltweit bekannten und vielfach zitierten Informationsplattform? Ich begab mich also in den wikipedianischen Kaninchenbau – und sollte kurze Zeit später komplett vom Glauben abfallen.
Ich begann erst mal ganz simpel mit meinem eigenen Fall und schaute mir einen der an meiner Verschiebung beteiligten Wikipedianer an. Dieser Wikipedianer war offenbar ein Biografienliebhaber und hatte laut seiner eigenen Wikipedia-Seite mehr als 1000 Biografien für das Nachschlagewerk verfasst. Hut ab, der wird viel Zeit haben, dachte ich. Ein Privileg der freien Zeit übrigens, das meist Männern obliegt, während Frauen zunehmend im Zustand der Zeitarmut17 leben, aber dazu später mehr.
Ich schaute mir die Aufzählung seiner verfassten Biografien genauer an – und wusste an der Stelle schon wieder nicht, ob ich weinen oder lachen sollte: Denn das Geschlechterverhältnis unter seinen mehr als 1000 verfassten Biografien las sich in etwa so: zehn Thomasse, Wolfgangs und Herberts, eine Brunhilde. Zehn Manuels, Richards und Johanns, eine Mathilda.
Ja, gut, Alex, könnte man jetzt meinen, ist ja auch nur ein einziger Typ von rund 20 000 Autor*innen im deutschsprachigen Raum, der eben total zufällig einen leichten Hang zu Männerbiografien hat. Könnte man meinen, ja. Ist nur leider kein Zufall. Sondern ein ganz großes und durch und durch strukturelles Wikipedia-Problem – oder seien wir mal ganz ehrlich: ein Wikipedia-Skandal: In einer Studie des Mutterkonzerns von Wikipedia, der Wikimedia, wurde bereits 2018 ermittelt, dass nur 9 Prozent aller dort ehrenamtlich beitragenden Menschen weiblich waren.18 Heißt, mehr als 90 Prozent aller Autor*innen bei Wikipedia sind männlich. Und so überrascht es nicht, dass diese Zusammensetzung der Wikipedia-Autoren (und ich gendere hier jetzt absichtlich nicht) bis zu diesem Zeitpunkt naturgemäß dazu geführt hat, dass bisher nur 17 Prozent aller Wikipedia-Biografien das Leben von berühmten Frauen beleuchteten, dafür aber 83 Prozent das Leben von berühmten Männern.19 Bezieht man dieses Verhältnis auf deutsche Wikipedia-Seiten, bedeutet das, das von den aktuell etwa 900 000 bestehenden Biografien20 nur 153 000 von Frauen handeln, dafür aber 747 000 von Männern.
Mehr noch: In einer Studie von 202121 wurden Biografien, die zwischen 2017 und 2020 zur Löschung »nominiert« wurden, untersucht, und es wurde festgestellt, oh Wunder, dass weibliche Biografien – obwohl sowieso schon so viel seltener vorhanden – häufiger zur Löschung nominiert wurden als männliche. Und dass bei weiblichen Biografien auch die Relevanz an sich häufiger angezweifelt wurde als die Relevanz männlicher Lebenswerke.
Auch Biografien über Transmenschen, Menschen der LGBTQIA+-Community oder non-binäre Künstler*innen, Politiker*innen und Co. wurden häufiger als nicht relevant erachtet und auch ihre Biografien öfter zur Löschung nominiert als Biografien von heterosexuellen cis-Männern.22Und auch People of Color oder Menschen mit migrantischen Wurzeln, wie etwa nicht weiße Fußballspieler, wurden trotz vergleichbarer athletischer Erfolge als weniger relevant eingestuft als weiße Sportler.23
Und es geht munter weiter: Schaut man sich die geografische Zusammensetzung der Wikipedianer*innen an, kommt gerade unter den Autor*innen eine überragende Mehrheit aus Westeuropa – ist also vorwiegend weiß. Was zusätzlich dazu führt, dass nicht nur in Bezug auf Biografien, sondern auch im geschichtlichen Kontext zu 90 Prozent die weiße, westliche Sichtweise tradiert wird – die aber bei Weitem und nicht zwangsweise der Wahrheit entspricht, wodurch das historische Bild der Menschheit verfälscht wird. Und das in der größten Enzyklopädie der Welt.
So haben die Journalist*innen Jascha Hannover und Lorenza Castella für eine Arte-Dokumentation recherchiert, dass die Qualitätsüberprüfung, ob jemand als relevant oder nicht relevant erachtet wird, darauf beruht, dass es mehrere schriftliche Quellen für einen beschriebenen Menschen oder ein beschriebenes Ereignis geben muss. In der Tradition vieler afrikanischer Länder sei es aber kultureller Brauch, dass Erzählungen über Ereignisse oder Menschen mündlich überliefert werden. Was wiederum bedeutet, dass viele geschichtliche Ereignisse nur lückenhaft, falsch oder gar nicht erzählt werden, »weil dann die einzigen Quellen, die vorliegen, die der weißen Kolonialisten [waren]«.24 Oder um es mit den Worten der feministischen Architektin und Autorin Karin Hartmann auszudrücken: »Wer heute nicht googelbar ist, war gestern nicht vorhanden.«25
Können wir uns diese Absurdität mal kurz vor Augen führen? Es gibt also sowieso schon viel zu wenig Biografien über Frauen, viel zu wenig Biografien über People of Color oder aus der LGBTQIA+-Community. Statt also jede einzelne von ihnen zu feiern und sie vielleicht sogar zu bevorzugen, um dieser wikipedianischen Ungerechtigkeit entgegenzuwirken – wird sogar diesen wenigen marginalisierten Biografien das schiere Überleben auf Wikipedia noch schwerer gemacht? Und die Messlatte offenbar noch höher angesetzt?
Ich möchte wirklich, dass wir uns die Relevanz dieser Tatsachen auf unser aller Zungen noch mal zergehen lassen: 90 Prozent dessen, was öffentlich, politisch, gesellschaftlich und kulturell als wichtig und relevant für die Nachwelt erachtet wird, quasi unser digitaler Nachlass als Zivilisation – wird also kuratiert, interpretiert, debattiert, (um)formuliert oder gänzlich gelöscht von: weißen, westeuropäischen Männern. Und so sieht es für unsere Nachfahren aus, als ob unter all den weltbewegenden und weltverändernden Erfinder*innen, Politiker*innen, Revoluzzer*innen, Künstler*innen oder Autor*innen auf diesem Planeten nur 17 Prozent Frauen waren. Sie also folglich nicht gut genug, nicht schlau genug, nicht relevant und talentiert genug oder einfach zu blöd waren, um mehr als diese 17 Prozent hervorzubringen. Und der Anteil der schlauen und ideenreichen Männer einfach größer war.
Ja komm, Alex, könnte man jetzt meinen, es gab in der Geschichte nun mal nicht so viele »wichtige« Frauen, weil es ihnen einfach nicht erlaubt war, öffentlich wichtige Dinge zu tätigen. Joa, würde ich antworten. Erstens ist dieses Argument verwandt mit dem der Vorstände, die sich bei wenigen weiblichen Führungskräften herausreden mit »Es gab einfach nicht genug Bewerberinnen«, statt sich mit der Frage zu beschäftigen, warum es wohl nicht genug Bewerberinnen gab – ein Thema, dem ich später noch ein ganzes Kapitel widme.
Und zweitens ist es fatal, die beiden Aussagen »Frauen wurde es früher nun mal nicht erlaubt« und »Deswegen tauchen sie natürlich bei Wikipedia nicht auf« gleichzustellen: Nur weil es Frauen lange schwer gemacht wurde, Bücher zu schreiben, Physikerinnen zu werden oder Herrscherinnen, heißt es nicht, dass es sie nicht gegeben hat und sie es nicht trotzdem taten, unter falschem Namen etwa oder im Hintergrund. Mehr noch: Es heißt, dass es ihnen doppelt, dreifach, vielfach schwer gemacht wurde; dass sie aus Geschichtsbüchern und Patentanmeldungen rausgestrichen wurden und damit absichtlich von der Geschichte unsichtbar gemacht – wir werden das später noch an vielen Beispielen sehen. Es wäre also erst recht die Aufgabe der weltweit größten Enzyklopädie, diese Frauen sichtbar zu machen, statt die Hände in den Schoß zu legen und sich auf das »Na ja, es gab damals halt so wenig wichtige Frauen« zu berufen.
So viel also zum gruseligen Geschlechterverteilungs-Status-quo der größten Enzyklopädie der Welt. Kommen wir nun zu dem Wie: Wie kommt diese Schieflage, diese wikipedianische Ungerechtigkeit zustande? Wie kommt es, dass es so wenige Autorinnen unter den Wikipedianer*innen gibt? Das fragte sich auch die damalige Wikimedia-Chefin Sue Gardner26 und analysierte verschiedene Gründe, warum Frauen so viel seltener unter den Wikipedia-Autor*innen zu verzeichnen sind. Und es ist schon wieder so lustig, wie sich der Kreis hier schließt: Denn die Gründe, warum auf einem globalgesellschaftlich wichtigen Portal wie Wikipedia die Hälfte dieser globalen Bevölkerung nicht stattfindet, finden sich in all den längst bekannten patriarchalen Strukturen und Sozialisationen, aufgrund derer Frauen bereits im analogen beruflichen Kontext unsichtbar gemacht und unsichtbar gehalten werden.