Was wurde aus den Grünen? - Andreas Wabl - E-Book

Was wurde aus den Grünen? E-Book

Andreas Wabl

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Beschreibung

War es das wert? 50 Jahre grüne Bewegung, 30 Jahre in Landesämtern und seit drei Jahren in der Regierung – und doch immer wieder kurz vor der Selbstabschaffung: die Grünen in Österreich. Was wollten sie ursprünglich? Was haben sie erreicht? Wohin führt ihr Weg? Das grüne Urgestein Andreas Wabl trifft Weggefährten und Kritikerinnen und spannt den Bogen von den Anfängen in den 1980er-Jahren über die Regierungsarbeit bis zur Zukunft. Ein Buch über Politik als Anrennen gegen Widerstände, über Machtkampf und Selbstzerfleischung, aber auch über Zukunftsdenken und die Chance auf Veränderung. Zu Wort kommen u.a.: Heinz Fischer, Eva Glawischnig, Werner Kogler, Sigi Maurer, Peter Pilz, Lena Schilling, Johannes Voggenhuber.

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WAS WURDE AUS DEN GRÜNEN?

EINE SPURENSUCHE VON ANDREAS WABL

Aufgeschrieben von Stephan Wabl

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel I

Alternative aller Bundesländer vereinigt euch

Die Grünen am holprigen Weg ins Parlament

„Dafür haben wir die Grünen nicht gegründet!“

Gespräch mit Johannes Voggenhuber

Kapitel II

Einzug in das Raucherkammerl

Die Grünen im Parlament als Angriff auf das Machtsystem

„Es ist keine Schande, die Grünen zu wählen“

Gespräch mit Heinz Fischer

Kapitel III

Richtig Streiten!

Warum die Grünen regelmäßig vor der Selbstzerfleischung stehen

„Die Grünen sind politisch gescheitert“

Gespräch mit Peter Pilz

Kapitel IV

Die Welt gestalten, Hoffnungen enttäuschen

Setzen die Grünen an der Macht um, was sie versprechen?

„Nicht zu regieren, wäre feig“

Gespräch mit Sigi Maurer

Kapitel V

Sind die Grünen noch Verbündete?

Die Straße, die Zivilgesellschaft und die Grünen

„Viele sind von den Grünen enttäuscht“

Gespräch mit Lena Schilling

Kapitel VI

Message Control und die Hakenkreuzfahne

Wo sind die starken Bilder der Grünen?

„Am Ende war ich ausgebrannt“

Gespräch mit Eva Glawischnig

Kapitel VII

War es das wert?

Die Zukunft der Grünen und ein Leben für die Politik

„Nicht sicher, ob Regierung mehr bringt als Opposition“

Gespräch mit Werner Kogler

Danksagung

Endnotenverzeichnis

Personenregister

Vorwort

Fast alles, was ich als Kind liebte, ging verloren. Der Mühlgang, einer der schönsten Abenteuerbadeplätze, wurde gesperrt. Die Abwässer aus den umliegenden Fabriken und Haushalten hatten dazu geführt, dass unsere Haut verätzt wurde. Die Bäche, in denen wir spielten und kleine Fische fingen, wurden reguliert. Wir fanden keine Barsche oder Schlammbeißer mehr in ihnen. Die Radwege durch den Wald wurden breit geschottert und es verschwanden die Pfützen, die den Unken mit ihren gelb gefleckten Bäuchen ein Zuhause boten. Die Straße vor dem Schulhaus, in dem ich mit meinen Eltern und vier Brüdern gelebt hatte, wurde zu einer langen Schlange aus Fahrzeugen. Als Staub und Lärm nicht mehr auszuhalten waren, wurde eine Autobahn durch die umliegenden Felder und Wälder gebaut. Schritt für Schritt wurden die Lebensräume von Tieren, Pflanzen und uns Kindern zerstört.

Ungefähr zur gleichen Zeit – ich war gerade zehn Jahre alt – wurde ich auf das Gymnasium in Graz geschickt. Im Internat, in dem nur Burschen waren, habe ich rasch gelernt, wie Politik funktioniert. Wir wurden in „Familien“ zu je 20 Zöglingen eingeteilt und jede Gruppe wählte einen Sprecher. Innerhalb meiner Gruppe fiel die Wahl mit großer Mehrheit auf mich – sehr zum Missfallen des Erziehers. In einer eindringlichen Ansprache stellte er infrage, ob ich wirklich die richtige Wahl wäre. Er ließ nochmals wählen und ich bekam nur mehr zwei Stimmen – jene meines besten Freundes und meine eigene. Die Wahl hat mir gezeigt, wie Macht in Österreich funktionierte. Diese beiden Erfahrungen – die Zerstörung unserer Lebensräume und das Missachten der Demokratie – haben mich früh zu einem politischen Menschen gemacht. Es war diese politische Prägung, die mich Jahre später zu den Grünen und in den Nationalrat gebracht hat.

Als ich rund um die Regierungsbeteiligung der Grünen im Jänner 2020 im Abstellraum meines Bauernhauses alte Kartons mit Fotos, Zeitungsartikeln und Plakaten durchforstete, hat mich eine Frage beschäftigt: Bin ich der Einzige, der noch übrig ist? Nein, ich bin nicht der einzige Grüne, den es noch gibt. Im Parlament und in der Regierung sitzen so viele Grüne wie noch nie zuvor. Auch Wähler:innen der Grünen gibt es – da bin ich mir sicher. Aber von jenen acht, die im Jahr 1986 erstmals in den Nationalrat eingezogen sind, bin ich tatsächlich der letzte, der noch bei den Grünen ist. Alle anderen haben sich von der Politik zurückgezogen, sich komplett mit den Grünen verworfen oder sind nicht mehr am Leben. Dieses Dasein als Rarität, zudem ich aktiv nichts beigetragen habe, war der Anlass, mich zu fragen, was aus den Grünen geworden ist. Aus der Euphorie und den Idealen der Anfangszeit, den Verletzungen und Kränkungen, den Erfolgen und Errungenschaften. Aber auch: Wohin die Reise der Grünen führen soll. Das wollte ich nicht alleine tun. Ich habe daher alte Kampf- und Weggefährt:innen eingeladen, mir zu erzählen, warum sie von den Grünen enttäuscht sind. Ich habe junge Aktivist:innen getroffen, um herauszufinden, warum die Grünen nicht ihre Partei sind. Ich habe den Vizekanzler gefragt, wie es ist, als Grüner der ersten Stunde in einer Regierung zu sein und ständig hören zu müssen, er würde die Werte der Grünen verkaufen. Verbunden habe ich diese Gespräche mit meinen Erinnerungen, Anekdoten und Gedanken zu 50 Jahren Grün-Bewegung in Österreich. Entstanden ist eine Spurensuche, die der Frage nachgeht, ob es das wert war – für die Grünen und für mich selbst. Vollständig ist meine Antwort natürlich nicht. Das war auch nicht mein Anspruch. Mit der Auswahl meiner Gesprächspartner:innen habe ich dennoch versucht, vielfältige Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Die Gespräche habe ich gemeinsam mit meinem Autor Stephan Wabl geführt. Wiedergegeben haben wir sie – aus Gründen der Lesbarkeit – als Dialog zwischen meinem Gegenüber und mir.

Die Grünen waren immer auch eine Bewegung, an der tausende engagierte Menschen beteiligt waren. Ohne sie würden die Grünen wahrscheinlich gar nicht mehr existieren. Auch daran möchte ich mit diesem Buch erinnern, auch wenn der Lauf der Geschichte viele Spuren verwischt hat.

„Ist aus der Grünen Ideologie eine Machtpartei geworden?“ Diese Frage höre ich häufig, seitdem die Grünen in der Regierung sind. Mir wurde dieselbe Frage gestellt. In einer ORF-Pressestunde im März 1990.1 Mehr als drei Jahrzehnte später werden wir Grüne immer noch mit den gleichen Fragen konfrontiert:

Steht die Partei noch für die alten Ideale? Haben die Grünen die Jugend von heute verloren? Was ist aus dem grünen Kampfgeist geworden?

Finden wir es heraus. Solange ich noch übrig bin.

Andreas Wabl

Großklein im August 2023

Kapitel I

Alternative aller Bundesländer vereinigt euch

Die Grünen am holprigen Weg ins Parlament

Österreich im Sommer 1982. Die Mur ist einer der dreckigsten Flüsse Europas, die Fußballnationalmannschaft mit Herbert Prohaska und Hans Krankl kämpft bei der WM in Spanien um den Einzug in das Halbfinale, SPÖ und ÖVP haben gemeinsam 172 von 183 Sitzen im Nationalrat, Niki List feiert mit seiner New-Wave-Komödie „Café Malaria“ seinen ersten Kinoerfolg und im Radio singt Udo Jürgens in seinem Lied „5 Minuten vor 12“ über Betonwüsten und das Waldsterben: „Und ich sah einen Wald, wo man jetzt einen Flugplatz baut. Ich sah Regen wie Gift, wo er hinfiel, da starb das Laub. Und ich sah einen Zaun, wo es früher nur Freiheit gab. Ich sah grauen Beton, wo vor kurzem die Wiese lag. Und ich sah einen Strand, der ganz schwarz war von Teer und Öl.“

Udo Jürgens war nie mein Lieblingsmusiker, aber dieses Lied ist mir bis heute in Erinnerung. 40 Jahre später wird die Umweltbewegung Fridays for Future den Song bei ihren Aktionen wieder aufgreifen.

Grüner Wind in einem grauen Land

Als „5 Minuten vor 12“ noch nicht lange im Radio läuft, bin ich mit meinem Bruder Christian auf dem Weg nach Wien zur damals größten Demonstration der Zweiten Republik. Am 15. Mai 1982 versammeln sich 70.000 Menschen aus ganz Österreich in der Hauptstadt, um unter dem Motto „Den Atomkrieg verhindern! Abrüsten!“ im Kalten Krieg ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Ich arbeite als Volksschullehrer in der Südsteiermark, bin 31 Jahre alt und in der Dorfpolitik aktiv, engagiere mich in der Umweltbewegung und bin wie viele andere nach Wien zur Demonstration angereist. Im Sternmarsch vom Westbahnhof, Praterstern, Südbahnhof und Franz-Josefs-Bahnhof setzt sich die Menge unter blauem Himmel Richtung Rathausplatz in Bewegung. Die unterschiedlichsten Menschen – Hippies, Pensionist:innen, Student:innen, Punks, Arbeiter:innen und Beamt:innen – halten Transparente in die Höhe mit Sprüchen wie „Donawitz gegen Rüstungswahnsinn“, „Sät Cannabis statt Hass“ oder „Zerstört das Patriachat, bevor es Mutter Erde zerstört“. Gerufen werden Parolen wie „Im Westen und im Osten, die Waffen sollen verrosten“ oder „Hopp, hopp, hopp, Atomraketen stopp!“ Eine ältere Dame – Perlenohrstecker, schicke Armbanduhr, modische Brille – ist an diesem Tag aus antikapitalistischen Motiven auf die Straße gegangen. „Wir wissen, Kapitalismus trägt den Keim Krieg in sich. Die können nur zusammenschlagen und aufbauen. Das ist ihre Arbeitsbeschaffung. Da bin ich dagegen“, erklärt sie und genießt ihr Stanitzel Eis. „Für mich ist es eine grundlegende Angelegenheit, für den Frieden einzutreten“, legt wiederum ein Mann im dunklen Anzug seine Gründe dar, warum er heute dabei ist. Seine Krawatte hat er vorbildlich gebunden, das Eisenbahnerkapperl sitzt gut. „Endlich lebt Wien einmal auf“, freut sich eine junge Frau mit lässigem Pony-Haarschnitt, die mit zig anderen einen buntbemalten Plastikwal in der Luft trägt. Ihr Anliegen: „Wale statt Atom-U-Boote.“

Es ist eine beeindruckende Zusammenkunft an diesem sonnigen Tag im Mai: laut, bunt, ernst, fröhlich, lebendig.1 Wir spüren: Es tut sich was im grauen Österreich der Nachkriegszeit.

Ich marschiere gut gelaunt über die Wiener Ringstraße und treffe in der Menge zufällig zwei alte Bekannte: Josef Cap, Vorsitzender der Sozialistischen Jugend und im Parteivorstand der SPÖ, und Alfred Gusenbauer, junger Politik-Student und SPÖ-Schriftführer. Die Partei der beiden Jungpolitiker ist mir bestens vertraut, da mein Vater zu dieser Zeit SPÖ-Bürgermeister in Kalsdorf bei Graz ist und mein älterer Bruder Martin für die SPÖ im Bundesrat sitzt. Gleichzeitig formieren sich in ganz Europa zahlreiche Grünparteien, da die alten Volksparteien den Fragen unserer Zeit immer hilfloser gegenüberstehen. Trotz des frischen, grünen Windes frage ich Cap und Gusenbauer inmitten der Friedensdemonstration, ob die SPÖ nicht neue Kräfte aus der Umweltbewegung für die Modernisierung ihrer Partei brauchen könne. Cap – schick in hellem Sakko gekleidet und im André-Heller-Stil ein blau-grünes Tuch um den Hals gebunden – antwortet auf meine Frage etwas herablassend: „Weißt eh, Wabl, die SPÖ hat 600.000 Mitglieder. Ein Mitglied mehr oder weniger macht da keinen Unterschied.“

Aus Caps Aussage spricht die Überheblichkeit des politischen Systems: Kanzler Bruno Kreisky regiert mit einer absoluten Mehrheit, die SPÖ ist eine der größten Parteien Europas und ihre Vorfeldorganisationen wie Gewerkschaft oder Arbeiterkammer sind mächtige Instrumente zur politischen Durchsetzung. Wachstum, Industrie und Energieverbrauch sind Teil ihrer DNA. Die ÖVP – immerhin die Partei der Schöpfung – ist ebenfalls mit der neuen Zeit überfordert. Die Massenlandwirtschaft schädigt die Natur und die Industriellenvereinigung sowie die Wirtschaftskammer haben kein Interesse daran, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch durch Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit zu gefährden. Fast 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lebt unser Land zwar im Wohlstand, aber der Preis dafür ist hoch. Für Viele zu hoch, wie die Demonstration in Wien zeigt. „Die Grenzen des Wachstums“, wie der 1972 von der Forscherorganisation Club of Rome veröffentlichte Bericht zur Zukunft der Weltwirtschaft heißt, sind unübersehbar.

Es ist Zeit, neue Wege zu wagen. Die 70.000 Menschen, die im Mai 1982 in Wien auf die Straße gehen und für Frieden, Gleichberechtigung, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit demonstrieren, sind – so wie ich – auf der Suche nach einer politischen Alternative. Als mein Bruder Christian und ich am Abend nach der Demonstration wieder auf dem Weg in die Südsteiermark sind, wird mir endgültig klar, dass sich diese Alternative nicht innerhalb der regierenden Parteienlandschaft aus SPÖ und ÖVP verwirklichen lässt. Die dritte Kraft im Parlament, die FPÖ, kommt für mich ohnedies nicht infrage. Eine neue Partei ist nötig, die den Tausenden Menschen auf der Demonstration – der Frau mit dem Pony-Haarschnitt, der Dame mit den Perlenohrsteckern und dem Mann mit dem Eisenbahnerkapperl – eine alternative politische Heimat bieten würde können. Eine Kraft, die auf der einen Seite die Vernetzung der damals zahlreichen Bürger:innenbewegungen bewerkstelligen kann, auf der anderen Seite aber auch bei Wahlen am Stimmzettel steht, um konkrete Politik und Gesetze umzusetzen.

Die Alternativen tun sich zusammen

Sechs Monate nach der größten Demonstration der Zweiten Republik ist es am 5. November 1982 soweit und ich sitze im Minoritensaal in Graz, um mit zahlreichen Gleichgesinnten die „Alternative Liste Österreich“ (ALÖ) zu gründen – die Vorgängerpartei der Grünen. Unser bescheidenes Ziel: die Welt zu verändern. Im Großen wie im Kleinen. Sofort und nachhaltig. Armut in der Dritten Welt? Beenden. Plastikflaschen und Aludosen? Abschaffen. Weltfrieden? Sofort umsetzen. Das Patriarchat? Abschaffen. Waldsterben? Beenden. Transitverkehr in Tirol? Einschränken. Luftverschmutzung durch die VÖEST? Beenden. Gleichberechtigung für Schwule und Lesben? Sofort umsetzen. Schnellere Straßenbahnen in Graz? Aber flott. Atomkraft? Verbieten. So vielfältig die Themen, so vielfältig sind auch wir an diesem grauen Novembertag in Graz: laut, bunt, widersprüchlich. Aber ist dieser widersprüchliche Haufen auch in der Lage, eine schlagkräftige Partei zu gründen? Darauf gibt es nur eine Antwort: loslegen und herausfinden.

Einen alternativen politischen Weg zu gehen, brauchte damals in Österreich besonderen Mut. Das Land war nach dem Nazifaschismus noch tief gefangen in autoritären und verknöcherten Strukturen. Sich persönlich als „Alternativer“ zu exponieren, hatte häufig negative Konsequenzen am Arbeitsplatz oder im Umgang mit Behörden. Das bekam auch ich zu spüren. Nach dem Abschluss an der Pädagogischen Akademie in Klagenfurt arbeitete ich seit den späten 1970er-Jahren als Volkschullehrer in St. Peter am Ottersbach in der Südsteiermark. Ich wohnte mit meinem jüngeren Bruder Bernhard, der damals ebenfalls Lehrer war, in der Nähe der Schule, wo es eines Abends an unserer Haustür klopfte. Ich öffnete und war etwas erstaunt, als der Gendarmeriekommandant aus St. Peter am Ottersbach samt Gefolgschaft vor der Tür stand. „Hausdurchsuchung!“, hieß es kurz und knapp. Bereitwillig ließ ich die Herren gewähren und sie nahmen unser Haus unter die Lupe. Nach einigen Minuten fragte ich dann doch, was der Grund ihres Besuches sei. „Wir suchen eine Angel“, war die Auskunft. „Eine Angel?“, reagierte ich verdutzt. Ich hatte mit Fischerei nichts am Hut, aber – so wurde mir mitgeteilt – in St. Peter waren am Tag zuvor 600 Forellen gestohlen worden und ich war einer der Hauptverdächtigen. Nachdem die Suche nach dem potentiellen Diebeswerkzeug in unserem Haus erfolglos verlaufen war, stellte ich dem Gendarmeriekommandanten die rhetorische Frage, was ich denn, bitteschön, mit 600 Forellen anfangen sollte. „Herr Wabl, das habe ich mich auch gefragt“, antwortete mir der rüstige Mann in Uniform. So amüsant die Geschichte 40 Jahre später klingen mag, so zeigt sie auch, welcher Geist damals herrschte. In Deutschland wurde zu dieser Zeit infolge der RAF-Anschläge die Rasterfahndung eingeführt, in Österreich ging kein Treffen der Grünalternativen ohne Beobachtung durch die Staatspolizei über die Bühne. Als „Alternative“ mussten wir zwar im Vergleich zu Deutschland nicht unbedingt fürchten, dass spätnachts die eigene Wohnung gestürmt wird. Aber zumeist reichten schon lange Haare, um als Verdächtiger ins Visier der Exekutive zu geraten. Mein Wuschelkopf musste den Behörden offenbar ein besonderer Dorn im Auge gewesen sein. Uns war also klar, dass die Gründung einer alternativen Partei auf starken Widerstand stoßen würde. Aber zunächst mussten wir unsere eigenen Widersprüche und Widerstände in den Griff bekommen. Das war mühsam genug.

Graz als zentraler Ort der Grünbewegung

Graz war ein naheliegender Ort für die Gründung der „Alternativen Liste Österreich“ (ALÖ). Bereits eine Woche nach der Volksabstimmung über das Kernkraftwerk Zwentendorf kam es im November 1978 auf Einladung der „Erklärung von Graz“ – ein Verein, der sich für die solidarische Entwicklung mit den Ländern des Südens einsetzte – zum ersten österreichweiten Treffen alternativer Bewegungen. Im Zuge der Proteste gegen Zwentendorf2 war die Anti-AKW-Bewegung Ende der 1970er-Jahre in ganz Österreich ein wichtiger politischer Faktor geworden. Freda Meissner-Blau, die 1986 die erste Klubobfrau der Grünen im Nationalrat wurde, hatte im Windschatten der Proteste gegen Zwentendorf erste Bekanntheit erlangt. Damals war sie noch SPÖ-Mitglied. Die Abstimmung am 5. November 1978 ging ganz knapp mit 50,5 Prozent der Stimmen gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes aus. Eine herbe Niederlage für Bundeskanzler Bruno Kreisky und die SPÖ, die den Bau mit der Schaffung von Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum und steigendem Energiebedarf zu rechtfertigen versuchte. Die ÖVP konnte sich aus wahltaktischen Gründen lange nicht entscheiden, ob sie für oder gegen das Kernkraftwerk war. In dieses Vakuum stieß die Ökologie- und Anti-AKW-Bewegung und hatte mit Zwentendorf einen konkreten Ort, an dem sie ihre Ideen festmachen konnte. Auch wenn die Protestbewegung alles andere als eine homogene Gruppe war und von rechtskonservativen Naturschützer:innen bis zu linksradikalen Antikapitalist:innen ein breites Spektrum umfasste. Der Protest gegen das Kernkraftwerk brachte Menschen aus allen Parteien und Lagern zusammen. Graz war damals als Student:innenstadt Anziehungspunkt vieler AKW-Gegner:innen und alternativ Gesinnter. Gleichzeitig war die steirische Landeshauptstadt die „Feinstaubhauptstadt“ Österreichs. Ökologische Themen waren in Graz sowohl Teil des täglichen Stadtlebens als auch des theoretischen Diskurses.

Das alternative Milieu in Graz war mir bestens bekannt. Als Schüler habe ich viele Jahre in Graz verbracht und mehrere Schulen besucht – unter anderem die Bundeserziehungsanstalt Liebenau, eine gefürchtete Internatsschule. Nach der Matura besuchte ich die Pädagogische Akademie in der steirischen Landeshauptstadt, aus der ich allerdings nach einigen Verwerfungen mit dem Direktor rausgeschmissen wurde. Durch meinen älteren Bruder Matthias hatte ich schon als Schüler Kontakt mit den „Alternativen“ der Stadt. Als Mitglied der Grazer 1968er-Gruppe „Die Aktion“ setzte er sich für mehr Mitsprache und Demokratie an der Universität ein. In der Folge trafen sich seit den frühen 1980er-Jahren jeden Mittwoch engagierte Leute aus der Ökologie-, Alternativ- und Friedensbewegung in der „Dezentrale für Alternativen“ am Färberplatz im Stadtzentrum – ein offenes Forum für Diskussionen und Veranstaltungen. Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt bereits in der Südsteiermark lebte, nahm ich halbwegs regelmäßig an den Treffen in der „Dezentrale“ teil. Am 5. November 1981 – genau drei Jahre nach der Abstimmung über Zwentendorf – fand schließlich das Gründungstreffen der „Alternativen Liste Graz“ (ALG) mit 200 Leuten im Minoritensaal statt. Mit dabei: Werner Kogler. Die ALG beschrieb sich selbst als „eine bunte lebendige Mischung aus alten ‚Bürgerinitiativ-Kämpfern‘, Hausfrauen und Studenten/innen, bis hin zu ganz ‚normalen Unzufriedenen‘. Wir betrachten uns als eine Art ‚kommunalpolitischer Feuermelder‘ für Aktivbürger und Bürgerinitiativen gegenüber der (ohn-)mächtigen Rathauspolitik. Wir sind die Alternative zur ewiggestrigen Einheitspartei SPÖVPFPÖ. Die Alternative Liste Graz versteht sich als ein Teil der weltweit sich entfaltenden Ökologie- und Friedensbewegung.“3 Gleichzeitig stellten meine alternativen Freund:innen aus Graz aber auch fest: „Wir haben […] nichts zu tun mit diversen, aus Wien oder Salzburg ferngesteuerten ‚Grünen‘, bei denen man sich fragen muß, warum sie sich eigentlich grün nennen.“

Was war damit gemeint? Den Grazer:innen waren die alternativen Gruppen in Wien oft zu dogmatisch. Die Alternativen in Salzburg wiederum waren den Freund:innen in der Steiermark häufig zu konservativ. Bevor die Grünen überhaupt eine österreichweite Partei wurden, war die Bewegung bereits von Widersprüchen und Grabenkämpfen gezeichnet. Der bunte Haufen brachte zwar viel Farbe und Energie in die politische Auseinandersetzung, strebte aber immer wieder in unterschiedliche Richtungen und lief ständig Gefahr, sich selbst aufzureiben. Vor allem die unterschiedlichen Vorstellungen der „Alternativen Liste Graz“ (ALG) und der „Alternativen Liste Wien“ (ALW) sollten die ersten Jahre der Partei prägen und immer wieder Zerwürfnisse innerhalb der eigenen Reihen hervorrufen. Ich selbst war damals als „Grüner vom Land“ Vorstandssprecher der „Alternativen Liste Steiermark“ (ALS), die als Landespartei der „Alternativen Liste Österreich“ (ALÖ) fungierte. Klingt kompliziert? Willkommen bei der Gründung der Grünen!

Verstreut in allen Bundesländern

Grüne Bürger:innenbewegungen gab es zur Zeit der Gründung der „Alternativen Liste Österreich“ aber nicht nur in den großen Städten, sondern im ganzen Land. In Schwanenstadt in Oberösterreich wurde 1979 die „Partei für Umweltschutz und Menschlichkeit“ (PUM) von Heini Staudinger gegründet. Rudi Anschober war bereits als Jugendlicher bei der PUM aktiv. In Steyregg bei Linz erreichte die „Bürgerinitiative für Umweltschutz“ (SBU) von Josef Buchner bei den Gemeinderatswahlen im Jahr 1979 auf Anhieb 18 Prozent der Stimmen. Ihr Hauptthema war die Luftverschmutzung durch die VÖEST. Bereits 1977 erreichte die „Bürgerliste Salzburg“ zwei Mandate in der Landeshauptstadt. Die Initiative trat gegen die Verbauung von Grünflächen am Stadtrand von Salzburg auf und für den Schutz der Altstadt. Kopf der Bewegung war der Schauspieler Herbert Fux. 1982 erreichte die Bürgerliste bereits 17,7 Prozent der Stimmen und sechs Mandate im Salzburger Stadtparlament. Johannes Voggenhuber war daraufhin als erster Grüner Stadtrat in Europa zuständig für die Themen Umweltschutz, Raumplanung, Verkehr und Altstadterhaltung. In Vorarlberg kämpfte der katholisch geprägte Bio-Bauer Kaspanaze Simma Anfang der 1980er-Jahre für eine nachhaltige Landwirtschaft, kehrte der ÖVP enttäuscht den Rücken und erreichte 1984 bei den Vorarlberger Landtagswahlen erstmals mit einer Grünbewegung den Einzug in den Landtag mit 13 Prozent der Stimmen. In Baden bei Wien wiederum schaffte es Fritz Zaun 1980 als erster Grüner mit seiner „Alternativen Liste Baden“ in den Gemeinderat.

Harter Kampf um die Parteigründung

Genau ein Jahr nach dem Gründungstreffen der Grazer Alternativen sitze ich am 5. November 1982 im Minoritensaal in Graz und freue mich, dass wir gemeinsam die „Alternative Liste Österreich” ins Leben rufen. Mit mir im Saal: Die Alternativen aus Salzburg, Wien, Linz, Baden, Schwanenstadt, Innsbruck und ganz Österreich, mit denen so mancher aus der Grazer Gruppe „nichts zu tun haben wollte“. Das Ganze ging schon gut los. Hier sind wir: Klimaschützer:innen, Dritte-Welt-Unterstützer:innen, Altstadtbewahrer:innen, Müllvermeider:innen, Feminist:innen, Waldretter:innen, Kapitalismusgegner:innen, Schwule und Lesben. Überzeugt davon, eine bessere Welt zu schaffen. Orientiert an den vier grünen Grundwerten ökologisch, solidarisch, basisdemokratisch und gewaltfrei. Während die einen über die drohende Atomgefahr diskutieren wollen, meinen die anderen, dass ohne Abschaffung des Patriachats ohnedies alles sinnlos wäre. Und zwischendurch schreit jemand verzweifelt: „Aber der Wald stirbt!“ Es waren nicht alle überzeugt, dass sich hier eine neue politische Kraft formiert, die das herrschende System zum Beben und die Wiesen zum Blühen bringen würde. Gottfried Hirz, der mit seinem Freund Rudi Anschober aus Oberösterreich angereist kam, schüttelte bei der Heimfahrt nur den Kopf und war sich sicher, dass aus diesem zersplitterten Haufen „nie im Leben eine Partei wird“.4 Man konnte es ihm nicht verdenken.

Eine Partei, das war für viele von uns ohnedies kein Sehnsuchtsort, sondern ein pragmatisches Mittel, um im politischen Entscheidungsprozess mitwirken zu können. Parteigründung? Wenn es sein muss. Aber bitte keine „normale“ Partei. Lieber eine Art Antiparteien-Partei. Einen konkreten Vorteil hatte es jedoch, eine Partei zu sein: Es war die einfachste Möglichkeit, eine juristische Person zu werden. Der Grazer Sozialwissenschaftler und ALG-Mitgründer Erich Kitzmüller, der 1982 das erste programmatische Papier der ALÖ vorlegte, formulierte das Wechselspiel zwischen Bürger:innenbewegungen und Partei so: Dem alternativen Standbein (Bürger:inneninitiativen) wird durch die Partei ein Spielbein in den Volksvertretungen (Gemeinderat, Parlament) hinzugefügt.5 Klingt gut, musste in der Realität aber erst erprobt werden.

In Graz hatte die Parteigründung jedenfalls ihren Zweck erfüllt und die ALG erreichte im Jänner 1983 bei den Gemeinderatswahlen sieben Prozent der Stimmen und damit auf Anhieb vier von 56 Mandaten. Eines der vier Mandate übernahm Doris Pollet-Kammerlander, die von 1994 bis 1999 auch Abgeordnete der Grünen im Nationalrat, Frauen- und außenpolitische Sprecherin der Partei war. Neben Kitzmüller und Pollet-Kammerlander war Peter Pritz ein wichtiges Mitglied der ALG. Pritz leitete das Afro-Asiatische Institut in Graz und bemühte sich in den frühen 1980er-Jahren um die Ausarbeitung programmatischer Grundsätze, um den zersplitterten alternativen Bewegungen eine Klammer zu geben. In seinen „Skizzen der Alternativbewegung“6 plädierte er für ein breites Bündnis von emanzipatorischen und ökologischen Kräften, die Vernetzung alternativer Lebensformen sowie die Bewusstseinsbildung auf breiter Basis für einen radikalen Wandel und die Absicherung des Erreichten auf der parlamentarischen Ebene. Bedingungsloses Wirtschaftswachstum stand diesem Ziel entgegen. Dieser Balanceakt zwischen Ablehnung des herrschenden Wirtschaftssystems an einem Ende des Spektrums und Wandel innerhalb der existierenden Strukturen am anderen Ende begleitete die Grünbewegung seit ihren Anfängen. Ob das Beste aus den beiden Welten Ökologie und Ökonomie – wie es bei der Präsentation der schwarz-grünen Regierung im Jänner 2020 angekündigt wurde – überhaupt möglich ist, daran arbeiten sich die Grünen bereits seit ihrer Gründung ab. Neben Peter Pritz hat sich zu Beginn der 1980er-Jahre innerhalb der „Alternativen Liste Graz“ auch ein junger Volkswirtschaftsstudent mit dieser Frage beschäftigt: Werner Kogler.

Die „Alternative Liste Österreich“ als Sammelbecken der grünalternativen Bewegungen war jedenfalls gegründet und die ersten Wahlen einzelner Gruppen auf lokaler Ebene erfolgreich geschlagen. Mit der Gründung im November 1982 wurde auch beschlossen, bei der Nationalratswahl im Frühling 1983 anzutreten. An dieser Stelle kam jedoch noch eine Kleinigkeit hinzu: Wir waren nicht die einzigen Grünen, die ins Parlament wollten.

Eine Wahl, zwei Grüne Parteien

Rund um die Proteste gegen das Kernkraftwerk Zwentendorf formierte sich nicht nur eine Vielzahl von „Alternativen Listen“ im Land. Es versuchte sich auch eine Grünbewegung institutionell zu sammeln, die einen konservativen Blick auf die Welt hatte. Ihr wichtigster Vertreter war Alexander Tollmann, Vorstand des Instituts für Geologie an der Universität Wien und Aushängeschild der „ARGE Nein zu Zwentendorf“.

Tollmann wurde im Sommer 1982 Chef der kurz zuvor gegründeten Partei „Vereinigte Grüne Österreichs“ (VGÖ). Die VGÖ war eine reformistische Protestpartei mit den Schwerpunkten Umweltschutz und Bürgerrechte, die durch manche Protagonist:innen und Ansichten auch sehr weit am rechten Rand anstreifte. Inhaltlich trennten die VGÖ und die ALÖ bei den meisten Themen Welten. Und auch was die Personen betraf, hätten beide Bewegungen kaum unterschiedlicher sein können. Waren viele der „Alternativen“ vom Geist und Aussehen der 68er-Bewegung geprägt, so galten die Mitglieder der VGÖ als „Lodenmantel-Grüne“. Manch Grüner der ersten Stunde stand jedoch auch zwischen den Stühlen. Herbert Fux von der „Salzburger Bürgerliste“ zum Beispiel nahm sowohl an den Versammlungen der ALÖ wie auch der VGÖ teil und war hinter den Kulissen bemüht, eine gemeinsame Wahlplattform zu gründen. Denn eines war klar: Zwei Grünparteien würden es nicht in den Nationalrat schaffen.

Ich selbst hatte aus strategischen Gründen kein Problem mit einer Zusammenarbeit mit der VGÖ. Mir war aber auch klar, dass es die berühmte Quadratur des Kreises brauchen würde, um die beiden Bewegungen unter einen Hut zu bekommen. So meinte damals auch mein ALÖ-Kollege Erich Kitzmüller treffend: „Kurzfristig würde so ein Zusammengehen sicher Erfolg haben, langfristig hätte es aber keine gute Prognose.“7 Der Versuch, vor der Wahl eine gemeinsame Kandidatur auf die Beine zu stellen, scheiterte jedoch und so traten die beiden Parteien bei der Nationalratswahl am 24. April 1983 mit jeweils eigener Liste an. Das Ergebnis? Sowohl unsere ALÖ mit 1,4 Prozent als auch die VGÖ mit 1,9 Prozent verpasste den Einzug in den Nationalrat klar. Ein schmerzliches Ergebnis für alle, die versucht hatten, die Grüne Bewegung voranzubringen. Nach der Wahl schrieb der Politikwissenschaftler Fritz Plasser folgenden Satz, der wie eine Mahnung klingen sollte: „Hätten die Vereinigten Grünen Österreichs (VGÖ) und die Alternative Liste Österreichs (ALÖ) […] auf einer gemeinsamen Liste kandidiert, wären sie im neu gewählten Nationalrat mit insgesamt sieben Abgeordneten vertreten gewesen.“8

Die Folge des schlechten Abschneidens bei der Wahl war: Rückzug mancher Beteiligter, Konzentration auf lokale Projekte und – wie so oft nach Enttäuschungen – Streit. Vor allem die Auseinandersetzung zwischen den Grazer:innen und den Wiener:innen innerhalb der ALÖ nahm zu. Manche Protagonist:innen der Wiener Alternativen wie Ali Gronner, Peter Stepanek, Günter Schneider, Fritz Schiller oder Susi Harringer standen dem Parteibildungsprozess stets skeptisch gegenüber und warfen den Grazer:innen Anbiederung an das System vor. Die Grazer Alternativen waren wiederum der Meinung, die Wiener:innen seien zu dogmatisch und hätten keinen Sinn für das Pragmatische. So schrieb das Grazer ALG-Mitglied Erich Kitzmüller im Herbst 1984 über den Streit: „Die politische Durchsetzung der neuen Anliegen ist […] überhaupt nicht vorangekommen. Man ist eben viel zu individualistisch, um sich ‚mit denen‘ oder gar ‚mit jenen‘ einzulassen. Oder man ist viel zu klug.“9 Auch stellten uns die eigenen hehren Ansprüche an die politische Arbeit – Geschlechterquote, Basisdemokratie, Rotationsprinzip, Trennung von Funktion und Mandat – immer wieder vor Schwierigkeiten. Die Quote für Männer und Frauen hatte sich zwar bewährt, die Verankerung der Parteiarbeit in der Basis führte aber immer wieder dazu, dass wir uns im Kreis drehten. Hinzu kam, dass die Trennung von Parteifunktion und Ausübung eines politischen Mandats regelmäßig zu Streit führte. Die einen fühlten sich in ihrer Arbeit blockiert, die anderen befürchteten eine Dominanz der „Promis“. Ich selbst konnte beiden Seiten etwas abgewinnen, war aber davon überzeugt, dass politische Arbeit ohne den Gang in die Institutionen nur Stückwerk bleiben würde. Politik war für mich immer auch eine Frage der Macht. Das habe ich bereits zuhause bei meinem Vater, dem SPÖ-Bürgermeister, gelernt. Und in Österreich wurde diese Macht von zwei Parteien samt ihren zahlreichen Organisationen aufgeteilt. Das wurde mir bei jeder Sitzung vor Augen geführt, als ich Mitte der 1980er-Jahre als Grüner Mandatar in den Gemeinderat meiner Heimat Großklein einzog. Andererseits war ich seit Mai 1984 gemeinsam mit Ali Gronner (Wien) und Doris Eisenriegler (Oberösterreich) Bundesgeschäftsführer der ALÖ und musste auch dort erkennen: Gute Ideen zu haben ist schön. Es geht aber darum, sie durchzusetzen. Die ALÖ schmorte jedoch zunehmend im eigenen Saft und die alternative Bewegung versank im Treibsand der Agonie. Es brauchte zwei externe Ereignisse und die unfreiwillige Hilfe der SPÖ und FPÖ, um die internen Streitigkeiten zu überwinden, der Ökologiebewegung neuen Auftrieb zu geben und uns Grüne in das Parlament zu bringen. Das eine war die katastrophale Politik der SPÖ bei den Protesten gegen das Kraftwerk in der Hainburger Au zur Jahreswende 1984/85.10 Das zweite war – und das ist durchaus eine Ironie der Geschichte – die Übernahme der FPÖ durch Jörg Haider im September 1986.

Hainburg als Glücksfall

Hainburg war nach Zwentendorf das zweite zentrale Momentum der österreichischen Ökologiebewegung. Am 8. Dezember 1984 zogen 8.000 Menschen in einem Sternenmarsch in die Hainburger Au, um die Rodung für den Bau des geplanten Wasserkraftwerks an der Donau zu verhindern. Elf Tage später, am Morgen des 19. Dezember, kam es zu einem brutalen Polizeieinsatz, bei dem über 100 Auschützer:innen verletzt wurden. Am selben Nachmittag demonstrierten in Wien 40.000 Menschen gegen das Vorgehen der Regierung und gegen den Kraftwerksbau. Ich selbst habe damals einige Tage im Protestcamp verbracht. Die Direktorin meiner Schule in der Südsteiermark war so freundlich, mir für diese Zeit frei zu geben. Insgeheim war sie wohl der Meinung, dass ich in der Politik besser aufgehoben wäre als im Klassenzimmer. Der damalige SPÖ-Bundeskanzler Fred Sinowatz verkündete am 22. Dezember unter dem Druck der Öffentlichkeit einen „Weihnachtsfrieden“ in der Causa Hainburg. Ein Jahr später, im Herbst 1985, war das Kraftwerk endgültig Geschichte, da sich eine vom Bundeskanzler eingesetzte Ökologie-Kommission gegen das Projekt aussprach.