Wayne of Gotham: Batman - Tracy Hickman - E-Book

Wayne of Gotham: Batman E-Book

Tracy Hickman

5,0

Beschreibung

Hinter jeder Maske steckt auch nur ein Mensch. Der heimtückische Mord an Martha und Thomas Wayne markierte den qualvollen Moment, der aus dem Milliardärssohn Bruce Wayne den dunklen Ritter Batman machen sollte. Der Fledermausmann selbst hat den Fall längst zu den Akten gelegt und das Geheimnis seiner wahren Identität ist wohlbehütet. Doch als ein unerwarteter Gast Wayne Manor heimsucht und beginnt unangenehme Fragen zu stellen, wird Batmans Welt in Ihren Grundfesten erschüttert … Von New York Times-Bestseller-Autor Tracy Hickman

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Tracy Hickman

Aus dem amerikanischen Englisch von Timothy Stahl

 

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87, 70178 Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten.

Englische Originalausgabe: “Wayne of Gotham” by Tracy Hickman, First published 2012 by it books/HarperCollins Publishers, New York.

Copyright © 2012 DC Comics. BATMAN and all related characters and elements are trademarks of and © DC Comics. All Rights Reserved.

No part of this publication may be reproduced, stored in or introduced into a retrieval system, or transmitted, in any form, or by any means (electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise) without the prior written permission of the publisher. Any person who does any unauthorized act in relation to this publication may be liable to criminal prosecution and civil claims for damages.

Übersetzung: Timothy Stahl

Lektorat: Caspar D. Friedrich, Uwe Raum-Deinzer

Redaktion: Holger Wiest

Chefredaktion: Jo Löffler

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Satz und E-Book: datagrafix, Philippinen

ISBN 978-3-8332-2889-6

Gedruckte Auflage:

ISBN 978-3-8332-2874-2

1. Auflage, Juni 2014

www.paninicomics.de

Dieses Buchist Ryan Hickman gewidmet.Weil er darum gebeten hat.

Sei ein Mann!

Wayne Manor / Bristol / September 1953

„Verdammt, Junge, halt dich gerade!“

Thomas Wayne zuckte erneut zusammen. Ein Reflex, der tief in ihm verwurzelt war. In all den fünfzehn Jahren seines Lebens war dieses Zusammenzucken für ihn so natürlich gewesen wie das Atmen, so automatisch wie ein Blinzeln.

„So hält man doch kein Gewehr!“ Patrick Wayne war ein großer Mann in einer großen Stadt, und seine kräftigen, breiten Hände hatten, daran bestand für Thomas kein Zweifel, den Stahl, der das Fundament von Gotham City bildete, selbst zurechtgebogen und geformt. Übertroffen wurde Patrick Waynes mächtige Erscheinung noch von seiner Stimme – sie dröhnte durch die Dunkelheit und zerstob an den unsichtbaren Wänden zu einer Kaskade von Echos, die bis ins Innerste der Erde hinabdrangen. Der gelbe Lichtstrahl der Taschenlampe des alten Mannes stach dem Jungen schmerzhaft in die Augen. „Pack den Kolben mit der rechten Hand am Abzug, damit du den Lauf mit dem Vorderschaft anheben kannst! Und halt das Schießeisen um Gottes willen mit der Mündung nach unten quer vor dem Körper.“

Pflichteifrig nahm Thomas das Jagdgewehr entsprechend in den Griff. Seine Hände zitterten so stark, dass er Angst hatte, die Waffe fallen zu lassen. Trotz der feuchten Kühle in der Höhle sammelte sich unter Pullunder und Hemd Schweiß zwi­schen seinen Schulterblättern. Eher unterbewusst nahm er zur Kenntnis, dass seine neue Jeans hinüber war. Ein Ablenkungs­manöver seines Denkens. Er spürte, was als Nächstes kam.

Die große Hand traf Thomas in den Rücken und trieb ihn nach vorn, hinein in die Höhle. Der junge Mann hasste die Finsternis. Er zog die Schultern hoch und verkroch sich noch tiefer in sich selbst, während er über den lockeren Schiefer des Bodens stolperte, der unter seinen Füßen zerbröselte.

„Ich mach einen Mann aus dir, Junge – weder Tod noch Teufel werden mich daran hindern!“, brüllte Patrick hinter ihm. Thomas kannte die Mischung besser als die Cocktails, die er seiner Mutter jeden Abend mixen musste – und in letzter Zeit auch schon nachmittags. Patrick war zu gleichen Teilen erfüllt von Wut und Alkohol, versetzt mit einem Spritzer Enttäuschung. Wo diese Laune herrührte, wer oder was sie ausgelöst hatte, war einerlei, wie Thomas wusste. Jetzt zählte nur noch, dass sich das Missfallen seines Vaters auf Thomas konzentrierte … wieder einmal. Irgendetwas hatte seine Mannhaftigkeit bedroht, und nun würde er seinen Sohn zum Mann machen, koste es, was es wolle. „Glaubst du, diese Comichefte helfen dir, in Gotham am Leben zu bleiben? Da draußen heißt es, töten oder getötet werden … anders als in dieser Comicwelt, in der du lebst! Und heute wirst du lernen, wie man tötet, mein Sohn. Du wirst irgendetwas töten!“

Thomas konnte sie hören.

Selbst über die donnernde Stimme seines Vaters hinweg konnte er hören, wie die Fledermäuse wach wurden.

Es war Nachmittag, und er hatte sie aus dem Schlaf ge­schreckt. Das trübe Licht der schwachen Batterien in der Taschenlampe seines Vaters spiegelte sich in tausend Augen­paaren, die über ihnen an der Decke zu kleben schienen.

Die Fledermäuse waren unter Wayne Manor zu Hause, und mit ihrem Eindringen in die Höhle hatten Patrick und sein Sohn das stille Gleichgewicht zwischen der Ober- und der Unterwelt gestört.

„Nun mach schon, Junge!“

Thomas zuckte noch heftiger zusammen. Seine Hände hörten nicht auf zu zittern. Er versuchte, den Lauf der Büchse zu heben, aber das fremdartige Ding schien unfassbar schwer zu sein, und Thomas’ Willenskraft reichte nicht, um seine Arme zu bewegen. Tränen brannten ihm in den Augen, quollen hervor und ergossen sich im Dunkeln über seine Wangen.

Mit bebenden Lippen versuchte Thomas zu sprechen.

„Was hast du gesagt, Junge?“

Thomas konnte spüren, wie hinter ihm die gewaltige Präsenz seines Vaters aufragte, der die schwächer werdende Taschenlampe von einer Hand in die andere wechselte.

„Mach den Mund auf, Junge!“ Patricks Stimme erschütterte die Höhle.

Thomas kam sich wie erstarrt vor, aber er wusste, dass Un­gehorsam alles nur noch schlimmer machen würde. Er presste seine Antwort immerhin so laut heraus, dass sie zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hindurchdrang.

„Ich … ich kann nicht!“

„Du … kannst nicht?“ Patrick tobte. „Du bist der Nach­komme von Rittern, die in den Kreuzzügen kämpften! An jeder Schlacht, die in oder um Amerika geführt wurde, waren Waynes beteiligt … Sie gaben ihr Blut für dieses Land … Wir bauen die Waffen, die dieses Land stark und groß machen … Und du sagst, du kannst nicht?!“

Die große Hand. Die starke Hand. Die Hand, die den Stahl von Gotham gebogen hatte, drosch dem Jungen quer übers Gesicht und schleuderte ihn zu Boden.

Schluchzend lag Thomas auf dem Rücken. Er schmeckte im Mundwinkel, wo Patricks Ring hängen geblieben war. Die Gesichtshälfte würde für eine Weile brennen, der Schmerz in seiner Seele würde jedoch nie vergehen … sich nur sum­mieren.

Das Gewehr lag auf ihm, während er dalag und weinte. Die Augen hielt er zum Schutz vor der Finsternis der Höhle ringsum geschlossen … die noch viel tiefere Finsternis seines Vaters ragte über ihm auf. Dahinter drohte die wachsame Dunkelheit der feinsinnigen Fledermäuse.

Die große Hand. Die starke Hand.

Thomas fühlte, wie sich sein Hemdkragen im Nacken zusammenzog. Die Hand dehnte seinen Pullunder und zerrte ihn auf die Füße. Die Waffe landete klappernd auf dem Schieferboden.

Patrick Wayne hielt seinen Sohn im eisernen Griff und zog ihn zu sich heran, bis ihre Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. Die Taschenlampe flackerte, als sie nach oben gerichtet wurde, und warf kontrastierende Schatten auf ihrer beider Gesichter. Thomas starrte in die Augen seines Vaters.

„Du bist ein Wayne, Junge!“, knurrte Patrick seinem Sohn ins Gesicht. Die Worte rochen wie faulige Früchte, die von der mit Scotch getränkten Zunge seines Vaters fielen. „Es gibt nur zwei Arten von Menschen auf dieser Welt – die Jäger und die Gejagten … und du entscheidest dich besser auf der Stelle, dass du jagen willst! Ich werde nicht zulassen, dass das Imperium, das ich aufgebaut habe, von der Regierung auseinandergenommen wird. Und auf gar keinen Fall werde ich es einem Sohn übergeben, der ein Bücherwurm ist und nur Buck Rogers im Kopf hat, aber keinen Mumm zum Überleben.“

Patrick hob die Flinte vom Boden auf. Der polierte Lauf reflektierte das schwache Licht, als er dem jungen Thomas die Waffe in die Hände drückte.

„Sei ein Mann! Zeig mir, dass du ein Mann bist!“, knurrte Patrick dem Jungen wieder ins Gesicht. „Nimm das Ding! Und töte irgendetwas!“

Thomas hörte auf zu zittern. Seine Augen fokussierten sich mit einem Mal, ohne zu blinzeln. Seine Lippen teilten sich und entblößten aufeinandergepresste Zähne. Seine Hände packten den Kolben wie von selbst.

„Zeig’s mir!“, brüllte Patrick.

Thomas drehte sich um, hob das Gewehr in einer schnellen Bewegung, so wie er es seinen Vater Dutzende Male auf dem Tontaubenschießstand hinter dem Haus hatte tun sehen.

Der Bogen, den die Mündung dabei beschrieb, führte auch quer über Patricks Gesicht hinweg.

Thomas erstarrte. Der Lauf wies schwankend auf das Gesicht seines Vaters.

Ich könnte es beenden. Ich könnte abdrücken, und er würde aufhören. Er wäre fort und könnte mir nicht mehr wehtun … er könnte Mutter nicht mehr wehtun … niemandem mehr. Es wäre alles besser, wenn ich dafür sorgte, dass er aufhört … wenn ich ihn …

Aber der Finger des Jungen rührte sich nicht.

Patrick ging um seinen Sohn herum und stellte sich hinter ihn, während der Lauf unsicher in der Luft schwankte. Thomas konnte die Härchen des Schnurrbarts seines Vaters fast im Nacken spüren. Er roch den sauren Atem.

„Worauf wartest du?“, drängte Patrick. Seine Stimme grollte in den Ohren seines Sohns. „Glaubst du, die warten auf dich? Glaubst du, die würden auch nur einen Moment lang zögern, wenn sie hinter dir her wären? Mach schon, mein Sohn! Töte sie … bring sie um, bevor sie dich umbringen!“

Thomas’ Hände fingen wieder an zu zittern.

„Töte sie!“, schrie Patrick.

Die Büchse brüllte auf. Der Rückstoß des Schusses rammte dem Jungen den Kolben in die Schulter, stieß ihn nach hinten und ließ ihn unbeholfen gegen die massige Gestalt seines Vaters taumeln. Die Decke explodierte, die Höhlenwände verschwanden hinter wild flatternden, ledrigen Flügeln.

„Noch mal, Junge!“, rief Patrick. „Schieß noch mal!“

Thomas spürte die Hand auf seiner Schulter. Die Hand, die Stahl gebogen hatte …

Er hatte keine Wahl.

Tränen liefen ihm über das Gesicht, als er wieder schoss …

Und wieder …

Und wieder …

Im Bann

Gotham City / Gegenwart

Ihr könnt nicht davonlaufen … ihr könnt euch nicht verstecken …

Batman ließ sich hinabfallen und landete in geduckter, kraftvoller Haltung auf dem Beton. Sein Cape sank um ihn herum zu Boden. Es ließ seine Silhouette mit der Dunkelheit verschmelzen. Die rechte Faust fest auf den Untergrund gestemmt, hob er den Kopf.

Kommt raus, kommt raus, wo ihr auch seid …

Es war eine Albtraumlandschaft wie aus einem Gemälde von M. C. Escher. Eiserne Stufen führten von dem kleinen Balkon ab, der auf scheinbar unmögliche Weise mit weiteren Treppen verbunden war. Die sinnverwirrenden Stufen münde­ten auf weitere Absätze oder gingen über in noch mehr dieser unmöglichen Treppen. Eine Kaskade aus Metallwerk, die sich unendlich weit ausdehnte. Kreuz und quer hingen mit Schirmen versehene Arbeitslampen. Ihr schwaches Licht reichte kaum aus, um die Schemen zu erhellen, die darunterstanden. Manche befanden sich auf den gegenüberliegenden Seiten ein und derselben Treppe, als wäre die Schwerkraft eine Frage der persönlichen Einstellung. Ihre schattenhaften Umrisse bewegten sich unruhig im Dunkeln. Revolver, Pistole, Flinte, Gewehr … eine Vielfalt verschiedener Waffen wies in bizarren Winkeln in alle Richtungen. Jede war anders … dennoch glichen sie einander in wichtigen Punkten.

Nervöse Hände hielten sie fest.

Nervöse Finger ruckten an den Abzügen.

Ein Bild blitzte in seinem Kopf auf, ein Bild aus einer anderen Zeit, von einem anderen Ort, weit fort, aber nie weit fort von ihm. Joe Chills Hände hatten nicht gezittert. Sie waren starr gewesen wie Granit. Seine Augen unbarmherzig und kalt wie ein Gletscher …

Batman duckte sich tiefer. Der Anzug war neu, und er war zufrieden damit. Im Grunde war es eine Art energiegespeiste Rüstung, deren Möglichkeiten, Schaden auch tatsächlich abzuwehren, allerdings noch in der Praxis geprüft werden mussten. Die Außenseite des Anzugs bestand nach wie vor aus einer leichten Variation des Nomex/Kevlar-Gewebes. Allerdings war durch den Verzicht auf die Panzerplattierung Gott sei Dank auch ein Großteil des Gewichts verschwunden. Stattdessen verbarg sich unter der Außenhaut nun eine komplexe Exomuskulatur-Konstruktion. Somit war dies sein „Muskelanzug“, der seine natürlichen Bewegungen und Kräfte künstlich verstärken konnte. Der bidirektionale Nano-Feedback-Loop sorgte für eine dynamische Stabilisierung, die sowohl mit den bewussten als auch den unbewussten Nervenimpulsen seines Körpers verknüpft war. Dass er die arrectores pilorum seiner Körperbehaarung als Neuroquelle für die Steuerung verwenden konnte, machte das Ganze noch praktikabler. Die elektroaktiven Polymere waren flüssig verbundene ionische EAPs, die für eine niedrige Stromspannung im Anzug sorgten und die Hitzeentwicklung minimierten. Kevlar war prinzipiell passiv. Dieser Anzug verfügte über eine aktive Abwehr, eine Ionenstoß-Ladung, die auf Gewalteinwirkung reagierte. Der Nachteil war, dass der Anzug „bluten“ konnte, wenn die Reaktion nicht schnell genug erfolgte.

Der Anzug könnte mir auf dem Leib sterben.

Ich könnte im Leib des Anzugs sterben.

Ein Lächeln spielte bei dem Gedanken um seine Lippen.

Welch wunderbare Symmetrie!

Das Cape umfloss ihn. Der Stoff bestand aus dem gleichen reaktiven Polymermaterial und bewegte sich ebenfalls, als besäße es einen eigenen Willen. Es regte sich wie etwas Lebendiges. Ursprünglich hatte es zur Wärmeableitung für die Exomuskulatur gedient, doch der ewig erfinderische und adaptive Geist Bruce Waynes hatte andere kreative Nutzungsmöglichkeiten für das Cape gefunden.

So ist die Jagd. Pirsch dich an den Jäger heran! Mach Jagd auf ihn!

Batman hob den Kopf, ließ seinen Blick über das irrsinnige Labyrinth gleiten, das sich in alle Richtungen ins Unendliche erstreckte. Seine Gedanken rasten. Die Zeit verlangsamte sich. Im Geist bereitete er das Spiel vor.

Jetzt sah er die Spielfiguren deutlicher. Im Kopf stellte er sie alle auf. Gewichtete sie. Entwarf eine Strategie.

Jillian Masters. Moderatorin der Spätnachrichten auf WXYZ. Sie überfiel vier Banken in drei Tagen. Spazierte jedes Mal einfach davon. Alle dachten, sie berichte über die Story. Es stellte sich heraus, dass sie selbst die Story war. Sie hält die Pistole seitlich und mit steter Hand. Wenn sie die Mündung bewegt, verharrt sie felsenfest auf ihrem Ziel. Die Neun-Millimeter-Kanone in ihrer Hand scheint ihr vertraut zu sein wie ein alter Freund.

Aaron Petrov. Präsident der Diamantenbörse. Leitete die Untersuchungen der Diebstähle im Diamond District. Niemand dachte daran, in seine Taschen zu schauen. Sturmgewehr, gute Deckung und Schussposition. Freier Blick auf alle Treppenabsätze zwischen hier und dort. Unruhige Hand. Kein Präzisionsschütze, nicht mit der Waffe vertraut. Drei oder vier Schüsse, bevor er ein feststehendes Ziel trifft.

Batman setzte die Katalogisierung der Hindernisse zwischen ihm und seinem Gegner auf der anderen Seite dieses verqueren Spielbretts fort. Um wen es sich dabei handelte, lag für ihn auf der Hand. Spellbinder – ehemals Fay Moffit – hatte es irgendwie geschafft, vor sechs Wochen aus Arkham entlassen zu werden, und war umgehend von der Bildfläche verschwunden. Fay war nicht die Erste, die als Spellbinder auftrat. Ihr Geliebter, der vorherige Spellbinder – ein drittklassiger Krimineller namens Delbert Billings –, hatte sie in Hypnose ausgebildet. Den Namen hatte sie sich geholt, indem sie Delbert mit einem Kopfschuss in den Ruhestand verabschiedete. Und nun hatte sie mit ihrer Begabung eine Anzahl aufrechter Bürger von Gotham dazu gebracht, Raubüberfälle für sie zu begehen … wie ihr Vorgänger.

Alte Geschichte … und nicht einmal eine interessante. Nur ein Test des neuen Anzugs … verbunden mit einem Spaziergang.

Im Geist listete er die weiteren Gegenspieler auf.

Angel Jane-Montgomery: High Society, Schrotflinte … William Raymond: Feuerwehrmann mit einer Vollautomatik … Diana Alexandra: Popstar mit einem Granatwerfer … James Gordon …

Batman legte unter der Haube die Stirn in Falten.

Gordon würde einiger Raffinesse bedürfen.

Batman schloss die Augen.

Die Haube, die seinen Kopf bedeckte, war ebenfalls neu. Ihre Nutzung hatte beträchtliches Training verlangt, aber es war die Mühe wert gewesen. Die Ränder der Öffnungen für die Augen waren besetzt mit Sensoren, die das Schließen seiner Lider registrierten und ein Unterschall-Bildsystem aktivierten – wie das Echolot einer Fledermaus –, das direkt mit einem Implantat in seinem Sehnerv kommunizierte. Hinsichtlich der Details war das Bild zwar noch undeutlich, aber er hatte sich darauf eingestellt … und es gewährte ihm ein Blickfeld, das er ringsum dreidimensional interpretieren konnte. Es war, als hätte er Augen im Hinterkopf und über den Ohren … eine taktische Wahrnehmung, die sämtliche Richtungen umfasste.

Justitia ist blind. Batmans Lippen teilten sich vor aufeinan­dergepressten Zähnen.

Der Sonar-Bildgeber bot noch einen weiteren Vorteil. Er basierte auf Schall … und würde die Illusionen in Spellbinders Funhouse, die durch Lichtbrechung und -verzerrung entstanden, verschwinden lassen.

Zu einfach …

Batman sprang. Die synthetischen Muskeln des Anzugs verstärkten die Kraft seiner Beine. Er schoss durch die Leere, wirbelte durch das verzerrte Licht der Spiegel, die überall in der Halle befestigt waren.

Schüsse krachten rings um ihn her. Die Mündung des Sturmgewehrs spie ihre Kugeln salvenweise mit einem tiefen, lauten Tschaff! aus. Wut- und Angstschreie durchdrangen den dröhnenden Lärm, denn Batman schien auf einmal überall zugleich zu sein. Seine dunkle Gestalt flog durch den verspiegelten Raum der Illusionen und vervielfältigte sich plötzlich tausendfach.

Spiegel aus Sicherheitsglas wurden von einem Hagel aus heißem Blei durchlöchert. Etliche gingen lautstark zu Bruch, die stumpfen Scherben ihrer Überreste rieselten wie glitzernder Schnee zwischen den nun schaukelnden Arbeitslampen nach unten.

Das ist ein Anfang.

Jillian Masters schwang ihre Neunmillimeter just in dem Moment herum, da Batman mit der Schulter auf der Plattform landete. Die Anspannung seines Schultermuskels übertrug sich auf die Außenhaut des Anzugs, die sich ebenfalls spannte und den Aufprall dämpfte, als er sich abrollte. Die Pistole bellte nur einmal auf, bevor Batman vom eigenen Schwung getragen wieder auf den Beinen war und mit dem Unterarm nach Jillian Masters’ Waffenhand schlug. Die verstärkte Muskulatur des Anzugs traf die Pistole mit solcher Kraft, dass sie der Frau eine lange, klaffende Wunde in die Hand riss.

Tschaff! … Ping! Die Kugel aus dem Sturmgewehr prallte von einer der Metallstufen ab.

Erster Versuch, Aaron.

Die anderen, die unter Spellbinders Bann standen, feuerten weiter, aber das Labyrinth war ihnen im Weg und brachte ihre Schüsse aus der Bahn. Die Spiegel trugen immer noch den größten Schaden davon. Sekündlich zersplitterten weitere.

Keine Zeit mehr.

Batman packte das Handgelenk der wütenden Nachrichten­frau, drehte sich und schleuderte sie neben einer der Metall­treppen zu Boden. Sie rollte sich schnell auf den Bauch und stemmte sich mit den Händen hoch. Batman drückte ihr rasch ein Knie in den Rücken und griff nach seinem Einsatzgürtel.

Tschaff! … Klong! Die Kugel traf nur ein paar Fuß entfernt eine der Stufen.

Das war der zweite, Aaron … vielleicht schießt du ja doch besser, als ich dachte.

Der Dunkle Ritter zog einen langen schwarzen Plastikstreifen aus seinem Gürtel, ergriff Jillians Hände und schlang den Streifen sowohl um ihre beiden Handgelenke als auch um eine Metallstrebe der Treppe. Ein Ruck, ein Ratschen, und Jillian war an die Strebe gefesselt.

Kabelbinder. Manchmal sind die einfachsten Mittel die besten.

Im selben Moment: Tschaff! … Krack!

Aber Batman kniete schon nicht mehr dort, wo Aarons dritte Kugel Splitter aus dem Beton sprengte.

Seine schwarze Gestalt rauschte durch die Luft, sprang von Absatz zu Absatz … Montgomery, Raymond, Alexandra …

Gordon. Wo ist Gordon?

Aaron Petrov stand schwitzend auf dem Treppenabsatz. Eine einzige Arbeitslampe war noch übrig. Sie warf ihr Licht auf seinen glänzenden haarlosen Schädel. In die Dunkelheit rief er: „Du kriegst sie nicht! Sie gehören mir, und du kannst sie mir nicht wegnehmen! Du kannst … du … du kannst nicht …“

Aaron schaute nach oben.

Das Licht schwand, und Dunkelheit umfing ihn.

Batman erhob sich. Aaron Petrov lag an Händen und Füßen gefesselt unter ihm, wimmernd und schluchzend wie ein Kind.

„Keine Bewegung!“

Er hat auf mich gewartet. Er ist hinter mir. Dienstpistole. Gordon war schon immer ein hervorragender Schütze. Irgendwie habe ich es in meinem Innersten stets gewusst, dass er dabei sein würde, wenn ich sterbe. Aber nicht heute …

Batman setzte dazu an, sich langsam umzudrehen.

„Ich sagte, keine Bewegung!“

Batman verharrte. „Beruhigen Sie sich, Gordon! Sie werden von Spellbinder manipuliert und benutzt.“

„Von wegen!“, erwiderte Gordon. Ein Zittern lag in seiner Stimme. „Spellbinder sitzt in Arkham … Ich habe sie dort gestern selbst gesehen, bevor … bevor du …“

Er ist wütend. Er leidet. Was sieht er? Was hat Moffit ihm vorgegaukelt?

Gordons Worte waren scharf wie die Glassplitter, die ringsum am Boden lagen. „Wie konntest du … Du Dreckskerl hast sie umgebracht!“

„Wen? Wen habe ich umgebracht, Gordon?“

„Du weißt nicht einmal mehr ihren Namen?“ Gordons Stimme wurde kalt. „Barbara. Meine kleine Barbara … Deinetwegen saß sie in diesem Rollstuhl, und jetzt hast du ihr den Rest gegeben!“

„Denken Sie nach, Gordon! Der Joker hat sie in den Rollstuhl gebracht … erinnern Sie sich! Sie lebt noch, Jim …“

„Ich sollte dich einfach umlegen, auf der Stelle!“, schrie Gordon.

„Aber das werden Sie nicht tun. Sie werden mich fest­nehmen.“

„Nein! Ich werde dieser Stadt eine Menge Ärger und Geld sparen … Ich werde …“

„Sie sind ein guter Polizist, Gordon.“ Batman bewegte sich ganz langsam und hob beide Hände. „Sie werden mich festnehmen. Sie werden dafür sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird.“

Batman legte beide Hände hinter den Kopf. Er schloss die Augen.

Justitia ist blind.

Gordon hob seine Waffe, trat vor. Die Mündung der Dienst­pistole stieß unterhalb von Batmans Fingern gegen seinen Nacken.

Direkt unterhalb des Hinterhauptbeins.

Keine Panzerung – ob nun aktiv oder wie auch immer geartet – hätte ihn auf diese Distanz geschützt.

„Stimmt, Batman!“, fauchte Gordon. „Ich werde dafür sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird! Ich bin die Gerechtigkeit, du elender …“

Das Cape hob sich und flog Gordon unvermittelt ins Gesicht, diente nicht mehr nur optischen Zwecken.

Gordon schoss genau in dem Augenblick, da Batman den Kopf zur Seite nahm.

Der Mündungsknall explodierte in Batmans Ohr, als er zu Gordon herumfuhr. Die neurobionische Schnittstelle war unterbrochen, und einen Moment lang war Batman wirklich blind. Das Cape hielt das Handgelenk des Police Commis­sioners immer noch fest, zog ihn nach vorn und in Batmans Reichweite.

Der Spin-Kick kostete Gordon seine Brille, doch der Com­missioner wurde von Zorn, Rachsucht und Verzweiflung getrieben. Er schaffte es, in ungezügeltem Zorn seine Waffe noch zweimal abzufeuern, bevor es Batman gelang, sie ihm aus den Händen zu winden. Sie verschwand sich überschlagend in der Leere um sie herum, während sie sich im Kampf ineinander verkeilten. Gordon hatte mit dem Tod seines Gegners nichts zu verlieren. Batman dagegen alles.

Endlich ging Gordon unter den wohldosierten Hieben seines alten Freundes wankend zu Boden. Batman fesselte ihn wie schon die anderen, wenn auch vielleicht nicht ganz so fest.

Er stand auf und schloss die Augen.

Die Haube reagierte wieder.

Das Spiel war vorbei.

Für ihn war es an der Zeit, seinen Gewinn einzufordern.

„Ich habe getan, was du verlangt hast, Meister“, murmelte sie. „Genauso, wie du es wolltest. Bist du zufrieden? Bist du mit mir zufrieden?“

Batman fand sie in einem kleinen Raum, in dem ein einzelner hochlehniger Stuhl stand. Sie saß vor einem Schrein.

Auf dem Schrein saß eine Bauchrednerpuppe, die dem Eintretenden aus toten Glasaugen entgegenstarrte.

Batman spannte den Kiefer an. Er kannte die hölzerne Puppe zu gut, um ihr den Rücken zuzukehren.

Als sie seinerzeit in Blackgate geschnitzt worden war, hatte sie den Namen Woody bekommen. Nach einer verpatzten Hinrichtung im Jahr 1962 war der Galgen des Zuchthauses abgebaut worden, und ein Lebenslänglicher namens Donne­gan hatte sich einen Teil des Holzes genommen, damit seine Hände etwas zu tun hatten. Donnegan war ein großer Fan von Gangsterfilmen und insbesondere der Schwarzen Serie, und entsprechend kleidete er die Bauchrednerpuppe, die er geschnitzt und gebaut hatte, in einen Nadelstreifenanzug. Als es in Blackgate voller wurde, mussten sich Donnegan und Woody ihre Zelle mit einem ziemlich merkwürdigen Mörder teilen, einem im Grunde scheuen Mann namens Arnold Wesker.

Wesker wollte sich erhängen, aber den Berichten des Gefäng­nispsychiaters zufolge wurde ihm das „ausgeredet“ – und zwar von der Puppe, die, wie Wesker behauptete, mit ihm zu sprechen begonnen hatte. Woody stiftete Wesker dazu an, einen Fluchtversuch mit ihm zu unternehmen, durch einen Tunnel, an dem Donnegan bis vor einem Jahr gegraben hatte. Donnegan erklärte sich bereit, bei der Fertigstellung des Tunnels zu helfen, damit Wesker ihn benutzen konnte. Als Donnegan jedoch herausfand, dass Wesker Woody mitnehmen wollte, wurde er wütend. Er war in seiner Zelle mit Woody froh und zufrieden und wollte ihn nicht gehen lassen. Wesker, der sich einbildete, die Puppe würde ihn tatsächlich anspornen, ging in der gemeinsamen Zelle mit einem Korkenzieher auf Donnegan los. Sein erster Angriff verfehlte Donnegan und traf dafür Woody quer übers Gesicht, wo er eine lange, hässliche Narbe hinterließ. Wesker tötete Donnegan, floh mit der Puppe und setzte sich rasch in die Unterwelt von Gotham ab. Es hieß, die Bauchrednerpuppe sei verflucht oder besessen … und in der Unterwelt gab es etliche, die schworen, dass sie auch zu ihnen gesprochen habe.

Die Augen der Puppe schienen Batman zu folgen, als er um den Stuhl herumging.

Fay Moffit saß da, starrte sie mit leerem Blick an und führte ein sehr einseitiges Gespräch mit ihr. „Das ist zu freundlich, Scarface! Danke! Vielen Dank …“

Sie verstummte, ihr Blick ging ins Leere, ihr Atem flach. Ihr Kopf sackte kraftlos zur Seite.

Spellbinder … selbst unter fremdem Bann? Wer hypnotisiert einen Hypnotiseur?

Batman fesselte ihre Hände. Sie rührte sich kaum, geschweige denn, dass sie sich widersetzte. Er warf sich ihren schlaffen Körper über die Schulter und wandte sich zum Gehen.

„Wieder einen Fall gelöst, was, Bulle?“

Batman drehte sich auf der Stelle um.

Scarface sprach mit ihm.

„Trotzdem hast du dein Ziel verfehlt, Plattfuß.“ Der Mund der Puppe bewegte sich beim Sprechen, die toten Augen fixierten Batman. „Der große Fisch ist dir durch die Lappen gegangen. Ich bin der Kopf dieser Operation, und du liest nur die Krümel auf. Aber du hast ja noch nie weiter gesehen, als die Nasenspitze reicht.“

Eine Apparatur. Ein Audio-Abspielgerät, das mit Aktuatoren gekoppelt ist. Aber es gilt mir. Diese ganze Sache diente nur dazu, mir eine Nachricht zu übermitteln … aber wie lautet die Nach­richt, und von wem ist sie?

„Nimm zum Beispiel deine Eltern! Salz der Erde! Die Heiligen Gothams! Ein Jammer, dass ein durchgeknallter Ganove sie in der Crime Alley umgelegt hat.“ Der Kopf der Puppe bewegte sich vor und zurück. „So hat man’s dir jedenfalls erzählt … eine nette Gutenachtgeschichte, damit du in deinem schönen warmen Bett in Bristol gut schlafen konntest.“

Batman erstarrte.

Wer auch immer hinter dieser Sache steckt, er weiß, wer ich bin.

Scarface schüttelte seinen hölzernen Kopf heftig hin und her. „Aber jetzt bist du ein großer Junge, nicht? Jetzt hast du neue Spielsachen … also brauchst du vielleicht keine Märchen mehr. Vielleicht ist es für dich an der Zeit aufzuwachen, damit du siehst, dass alle Heiligen einen Preis zu zahlen haben und dass ihre Seelen nicht immer rein sind. Ich schmeiß ’ne Party, nur für dich … Was meinst du? Bist du alt genug, um zu kommen?“

Die Puppe hörte schlagartig auf, sich zu bewegen.

Erst jetzt bemerkte Batman die Karte in ihrer Hand. Er würde die Puppe mitnehmen, mitsamt dem ganzen Audio-Equipment. Diese Worte durften im Zuge der bevorstehenden polizeilichen Untersuchungen nicht noch einmal abgespielt werden.

Aber zunächst griff er mit der behandschuhten Hand zu und nahm die ihm dargebotene Karte auf. Standardgröße, die Rückseite war nicht bedruckt, nur auf der Vorderseite stand eine einzelne Textzeile.

Ein ungeklärter Fall

Batman öffnete die Flügeltür des Batmobils, hielt sich an dem Titanrahmen fest und versuchte aufzustehen. Seine Beine zitterten, aber sie trugen ihn, als er sich unter Schmerzen aus dem tief liegenden Sitz erhob. Er hatte die Kondensatoren für die Energieversorgung des Anzugs in Spellbinders Funhouse am Nordufer des Newton Districts erschöpft. Normalerweise hätte er den Anzug auf der Rückfahrt mittels der Bordenergie des Fahrzeugs wieder aufgeladen, aber dazu war der Weg von Newton unter der Kane Memorial Bridge hindurch nach Bristol zu kurz gewesen. Deshalb hing der Anzug nun als zusätzliches Gewicht an ihm, das sein schmerzender Körper kaum tragen konnte.

Langsam richtete er sich neben dem Wagen auf und drückte der Reihe nach die Entriegelungsknöpfe am unteren Rand der Haube. Der weiche Kragen, der passgenau um seinen Hals lag, löste sich, und er zog sich mit einer hastigen, kraftvollen Bewegung die Haube vom Kopf. Sein dunkles Haar schien geradezu zu explodieren und stand ihm zerzaust vom Kopf ab. Schweiß tropfte von seiner Stirn. Die Maske war ab, und er war wieder Bruce. Er atmete etwas schwerer, als ihm lieb war. Die Haube in seinen Händen musterte er, als wäre sie ein jetzt abgetrennter Teil seiner selbst. Er hob eine Hand und fuhr sich mit deren Rücken über die spürbaren Stoppeln in seinem Gesicht. Der neue Anzug funktionierte gut … aber er ließ sich noch verbessern.

Alles muss noch verbessert werden. Es passt nicht. Noch nicht.

Bruce blickte auf das Batmobil.

Batmobil … was für ein Witz! Die Presse Gothams hatte seinem Spezialfahrzeug diesen Namen verliehen, als er zum ersten Mal in einem aufgetaucht war. Es entsprach nicht ihren Klassifizierungen für Standardtransportsysteme, also hatten sie ihm einen Namen verpasst, mit dem sie etwas anfangen konnten: Batmobil. In Wahrheit gab es viele verschiedene „Bat­mobile“, die ihm im Laufe der Jahre zur Verfügung gestanden hatten. Einige davon waren spezialisiert, andere hatten die Zeit und die Technik überholt. Eines seiner Lieblingsmodelle war ein gründlich umgebauter 1954er Ford Futura, der ursprüng­lich seinem Vater gehört hatte und den Bruce im letzten Mo­ment vor dem Schrottplatz gerettet hatte. Er hatte jahrelang an dem Auto gearbeitet, und heute benutzte er es zwar nie, aber er betrachtete es gern. Die meisten seiner Fahrzeuge ordneten sich praktischen Zwecken unter. Ihr Design orientierte sich an den speziellen Anforderungen der Zeit, und fast alle bedurften ständiger Reparaturen oder wurden immerzu aufgerüstet. Viele waren leicht als „Batmobil“ zu identifizieren – ihre Karosserien gingen fließend in die allgegenwärtigen skulptierten, ausgekehlten Heckflossen über, die sich irgendwie immer in seine Entwürfe stahlen. Die Modelle aus den Achtzigerjahren wirkten muskulös, ihre Herzstücke waren Strahl- oder andere gewaltige Triebwerke, die in die Nacht brüllten. Damals war er jünger gewesen und hatte die Kraft unter seinen Händen genossen. Mit ihrer Weiterentwicklung waren die Batmobile raffinierter geworden, wenn auch nicht weniger „muskulös“: In zunehmendem Maß hatte er Stealth-Technik in die rohe Kraft integriert.

Die aktuelle Version war, wie immer, eine Vervollkommnung der vorherigen. Gotham war zum größten Teil eine Insel, die der Gotham River vom Festland trennte. Das hieß, es gab nur eine Handvoll Brücken, welche die verschiedenen Stadtbezirke mit der Außenwelt verbanden – und viele davon waren zur Zeit des Berufsverkehrs ein Albtraum für alle Pendler.

Bruce lächelte kurz und kläglich. Die Vorstellung eines „Batmobils“ – schwarze Heckflossen, bedrohlich wirkende Ecken und Kanten und dazu ein dröhnender Motor –, das über die Trigate Bridge kroch, weil es im Stau feststeckte, war lachhaft.

Wer Gerechtigkeit üben will, muss schnell sein … und entschie­den … und präzise.

Diese Inkarnation des „Batmobils“ war also eine Modifi­zierung, die er als TS8c führte. Grundlage war der Rahmen eines militärischen Aufklärungsfahrzeugs gewesen. Den hatte er mit einem modifizierten Flugzeugtriebwerk sowie einem maßgefertigten Getriebe und Differenzial zusammengeführt. Normalerweise wurde es mit RP-1-Kerosin-Raketentreibstoff betankt, der relativ gebräuchlich und leicht zu beschaffen war. Die Schalldämpfung des kreischenden, durchzugsstarken Antriebs war eines der größten Probleme gewesen. Zur Lösung hatte ein sekundäres elektrisches Antriebssystem beigetragen, das auf Kurzstrecken zum Einsatz kam oder in Fällen, in denen Lautlosigkeit gefragt war. Zusätzlich gab es vier modifizierte und kardanisch aufgehängte RCS-Raketenmotoren – alle abgeschirmt durch die Karosserie und ebenfalls mit RP-1-Raketentreibstoff betrieben –, die ihm als Fahrer mehr Kontrolle über das Fahrzeug gaben, wenn es keinen Bodenkontakt hatte. Am hinteren Teil des Rahmens waren darüber hinaus vier verkleinerte PAM-D-Starthilfsraketen befestigt. Die konnte er einzeln benutzen, wenn er eines kräftigen Schubs bedurfte. Das Design der Waffen erlaubte verschiedene Ladungen, abhängig davon, was Batman für die jeweilige Mission als erforderlich erachtete. Das Cockpit war mit einer Lage passiver Panzerung versehen, während die Fahrzeughülle über eine aktive Panzerung verfügte, die der seines Anzugs glich – sie schützte nicht nur die Kontrollen, die Waffen, den Antrieb und die Sensorsysteme sowie den Fahrer selbst, sondern ermög­lichte darüber hinaus eine Veränderung der äußeren Fahrzeug­form: So konnte sie bei Hochgeschwindigkeitsfahrten quasi selbsttätig eine optimale aerodynamische Form annehmen und bei niedrigerem Tempo ihr Aussehen verändern, um bei Verfolgungsjagden den Flüchtigen zu verwirren. Das Fahrzeug hatte weder Fenster noch Scheinwerfer, der Fahrer verließ sich ganz und gar auf eine Batterie von Kameras sowie Radar- und Sonarsensoren, die ihm ein Bild seiner Umgebung lieferten. Da die Außenhülle jedoch imstande war, von einem Augenblick zum anderen von poliert auf matt zu wechseln, konnte sie das Aussehen von dunkel getöntem Glas, wie man es in herkömm­licheren Fahrzeugen fand, imitieren und so nötigenfalls im Verkehrsfluss untertauchen.

Nominell sah es wohl aus wie ein „Mobil“, das räumte Bruce ein, aber auch das war eine Art Illusion, denn die Räder des Fahrzeugs waren nicht ausschließlich zur Straßennutzung entworfen. Brücken waren Engpässe, die der Zivilverkehr oder die fehlgeleitete Umsicht des Gotham City Police Departments allzu leicht verstopfen konnte. Deshalb hatten die Stadtwerke, Gotham Power and Light, im vorigen Jahr – dank des Einflusses einer Reihe von Subunternehmen, die zu Wayne Industries gehörten – in ganz Gotham die Strom- und Wasserversorgungssysteme sowie das Kanalnetz ausgebaut. Der wahre Zweck hatte darin bestanden, in der gesamten Stadt Schnellzugriffspunkte an bestimmten Stellen zu schaffen, wo das TS8c abbiegen und von der Straße verschwinden konnte. Die Aufhängung passte dann die Radstellung an, sodass das Fahrzeug durch verlassene U-Bahn-Tunnel, Wartungsgänge oder sogar, wenn der Verkehr es zuließ, über Hauptstrecken der U-Bahn rasen konnte. Zu seinem Lieblingssystem gehörte ein Paar Schienenhalter, die sich vorn und hinten aus dem Fahrzeug ausfahren ließen und Halt an den speziell entworfenen Stromleitungen fanden, die der Länge nach unter allen Brücken Gothams verliefen. Dank der regelbaren Aufhängung war es dann möglich, die Unterseite der Brückenkonstruktion als auf dem Kopf stehende Straße zu nutzen, sodass er den Fluss ungehindert unter den Brücken überqueren konnte, während sich über ihm der gestaute Verkehr mit den gelegentlichen Straßensperren herumärgern musste, die man errichtete, um seiner habhaft zu werden.

Bruce ging langsam zum Prüftisch. Der befand sich auf dem Laufsteg, der einen Teil der Drehscheibe säumte, auf dem das Fahrzeug jetzt stand. Er legte seine Haube hin, stützte sich auf den Tisch und holte ein paarmal tief und unter Schmerzen Luft.

Ich war doch mal jung … oder nicht? Ich kann mich nicht mehr erinnern, jung gewesen zu sein. Mein Gesicht wirkt noch kraftvoll, aber es hat mehr Falten, als ich in Erinnerung habe. Ist es Nacht oder Tag? Gibt es eigentlich noch Jahreszeiten?

Bruce drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an den Prüfstand. Das Batmobil stand in der Mitte der Drehplatte. Dahinter lagen sechs dunkle Tunnel, die in die vergessenen Adern unter Gotham führten. Vier schwarze Mäuler auf der einen und zwei weitere auf der anderen Seite des natürlichen Ausgangs aus der Höhle.

Ältere Modelle seiner Fahrzeuge waren früher durch den Wasserfall dahinter hinausgefahren, durch den nachtverhan­genen Wald geschlingert und dann auf die Nebenstraßen der Gemeinde Bristol eingebogen, jenseits derer die düstere Silhou­ette der Stadt aufragte, gleich hinter den Flussufern, und sie rief ihn zurück in die Crime Alley. Rief ihn einmal mehr zur Jagd. Er hatte es immer genossen, durch den reinigenden Wasserfall zu fahren – eine rituelle Taufe, die seine Mission heiligte.

Die Zeit ändert alles. Und die Zeit ändert nichts.

Bruce lauschte dem niederstürzenden Wasser, dessen Rauschen ihm aus dem natürlichen Ausgang der Höhle entgegenhallte. Dahinter lag das sanfte Grün des umliegenden Waldes seines Anwesens. Eine andere Welt.

Die Tunnel sind besser als der Wasserfall. Nicht perfekt … aber besser.

„Master Bruce!“

Die irritierend vertraute Stimme echote zwischen den Industrieplattformen, Aufhängungen und Spannern herab und durch die Höhle. Bruce schloss die Augen und erwog einen Moment lang, einfach nicht zu antworten, überlegte es sich dann aber doch anders.

„Auf der Fahrzeugbühne, Alfred“, rief er zurück. Die Ge­räusche der harten Schuhsohlen seines früheren Butlers auf dem Metallgitter der Plattform klangen wie das Hacken eines Eispickels. „Diese Version des TS8 hat sich heute Nacht gut bewährt.“

„Das sollte man angesichts der Kosten auch erwarten dür­fen“, erklang die hallende Antwort. „Mr Fox bat mich zu erwähnen, dass es zu der einen oder anderen Budgetüber­schreitung gekommen sein könnte …“

„Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Konten, Alfred.“ Bruce lachte leise. „Davon steht nichts in Ihrer Arbeitsplatzbeschreibung.“

„Meine Arbeitsplatzbeschreibung, wie Sie es nennen, war seit jeher etwas nebulös“, erwiderte Alfred, während er leicht­füßig von der Metalltreppe auf der anderen Seite der Fahr­zeugdrehbühne trat. Er war ein hochgewachsener, schlanker Mann mit einem anachronistisch dünnen Oberlippenbart und weißem Haar, das streng nach hinten gekämmt war. Alfred Pennyworth bewegte sich in seinem exquisit geschneiderten dunkelgrauen Nadelstreifenanzug von Collezioni mit einer selbstsicheren Agilität, die über sein Alter hinwegtäuschte. Er sprach mit britischem Oberschichtakzent, in dem eine Spur London lag, obwohl er größtenteils auf dem Wayne-Anwesen aufgewachsen war und London nur gelegentlich besucht hatte. Sein Vater Jarvis Pennyworth war das „Familienfaktotum“ gewesen, wie man es in der Zeit von Bruce’ Großvater so ori­ginell genannt hatte. Der Akzent, so schien es, ging mit der Familienberufung einher. Für Bruce hatten die Pennyworths einfach zum Haus gehört wie das Grundstück oder die Möbel. Sie waren immer da gewesen, auch wenn Alfred für Bruce zum einzigen lebenden Verbindungsglied zu seiner eigenen Vergangenheit geworden war … zur einzigen Familie, die er kannte.

Familienbeziehungen können kompliziert sein.

„Was gibt es, Alfred?“, seufzte Bruce. „Warum stören Sie mich?“

„Gewisse Angelegenheiten bedürfen Ihrer Aufmerksamkeit, Master Bruce, und ich hatte gehofft …“

„Nennen Sie mich nicht so“, versetzte Bruce.

„Aber, Sir, ich habe Sie doch immer …“

„Verdammt noch mal, wie alt sehe ich in Ihren Augen denn aus?“, raste Bruce.

„Sie werden am neunzehnten Februar einundfünfzig“, sagte Alfred plötzlich kühl.

Einundfünfzig? Wie lange laufe ich eigentlich schon in diesem irren Rennen? Wirklich schon so lange?

Bruce hob den Kopf. Dabei knackten seine Nackenwirbel. „Ich bin der Präsident des größten multinationalen Konzerns mit Sitz in den Vereinigten Staaten, und Sie reden immer noch mit mir, als trüge ich kurze Hosen. Mit meinem Vater hätten Sie nie und nimmer so gesprochen.“

Die Worte polterten wie Steine zwischen sie.

„Sie sind nicht Ihr Vater, Master Bruce“, erklärte Alfred.

„Und Sie werden nicht müde, mich daran zu erinnern“, entgegnete Bruce kopfschüttelnd, richtete sich gerade auf und streckte sich. „Ich nehme an, Sie sind nicht den ganzen Weg heruntergekommen, nur um das Blech zu polieren?“

„Nein, Sir“, erwiderte Alfred in seinem besten Geschäftston. „Wie Sie es selbst so eloquent in Worte fassten, sind Sie der Kopf des größten multinationalen Konzerns in den Vereinigten Staaten … möglicherweise jedoch nicht mehr lange.“

Bruce ging um die Drehscheibe herum, zog die Zapfpis­tole aus ihrer Halterung und schritt damit, den Schlauch im Schlepp, auf das Fahrzeug zu. Er berührte ein Muster auf der Fahrzeugoberfläche, und wo die Verkleidung eben noch fugenlos ausgesehen hatte, öffnete sich der Tankdeckel. „Geht es wieder um den Vorstand? Die alte Leier, mich auszubooten?“

„Nein, Sir … nun, ja, Sir, aber diesmal ist es die Börsenaufsicht, die Druck ausübt“, fuhr Alfred fort. „Sie erinnern sich an den Skandal, in den Tristate Home & Hearth verwickelt war?“

Bruce schob die Zapfpistole in den Tankstutzen und aktivierte die Pumpe. Dann lehnte er sich mit dem Rücken an die Fahrzeugflanke, spürte, wie die verformbare Oberfläche unter seinem Gewicht leicht nachgab, und verschränkte die Arme. „Angesichts all dieser Macht plus eines bereitstehenden Butlers sollte man eigentlich meinen, dass ich mein Auto nicht selbst betanken muss, finden Sie nicht?“

„Sir, konzentrieren Sie sich bitte einfach nur kurz auf …“

Bruce löste die Verschlüsse seiner Handschuhe und machte sich daran, sie auszuziehen. „Ja, ich erinnere mich an Tri­state … Tristate war die Hypotheken-Holdingabteilung unseres Finanzbereichs. Diejenigen, die all diese zweitklassigen Kredite gewährt haben. Carl Rising war der Geschäftsführer, und er und sein Finanzchef Ward Olivier haben dieser Strate­gie entgegen unseren Konzernrichtlinien zugestimmt.“

Alfred hob eine Augenbraue.

„Ich trage nicht ausschließlich dieses Cape, Alfred“, sagte Bruce und rieb sich die Augen. Die Zapfpistole klickte, und er zog sie aus dem Stutzen und schloss die Öffnung wieder. Während er Zapfpistole und Schlauch zurückbrachte, fuhr er fort: „Wir haben bei Tristate aufgeräumt und den Laden offen gelassen … und ich erinnere mich, dass ich sowohl Rising als auch Olivier gefeuert habe. Beiden steht eine Anklage ins Haus.“

„Ja, aber die Börsenaufsicht will sich mit den beiden nicht begnügen“, sagte Alfred und richtete nervös die Manschetten seines maßgeschneiderten Hemds. Die aus Onyx gefertigten Manschettenknöpfe blitzten selbst im spärlichen Licht der Höhle. „Man hat die Bundeshandelskommission und auch das Justizministerium aufgefordert, sich Wayne Enterprises unter Anwendung des Sherman Acts vorzuknöpfen.“

„Kartellrechtlich?“ Bruce lachte. „Wirklich?“

„Auch vom RICO-Act ist die Rede, Sir.“ Alfred schluckte hart, nachdem er die Worte hervorgepresst hatte.

„Organisierte Kriminalität?“ Bruce schüttelte den Kopf. „Das kann nicht ihr Ernst sein.“

„Sir, man sucht nach einer Ausrede – nach irgendeiner Ausrede –, um Wayne Enterprises auseinanderzunehmen.“ Alfred fasste sich an den Kragen und zog daran. „Und in An­betracht der öffentlichen Stimmung gegen Großunternehmen und all der negativen Publicity, die wir nach der Tristate-Sache hatten …“

„Alfred, das ist Ihre Aufgabe“, sagte Bruce und griff noch einmal in den Wagen. Er holte die Scarface-Puppe heraus, deren Hand noch die Einladungskarte hielt. „Wir haben alle eine Aufgabe zu erfüllen. Ihre besteht darin, mein PR-Direktor und persönlicher Assistent zu sein … das waren die Titel, die ich Ihnen zusammen mit der Gehaltserhöhung gab. Und darüber schienen Sie damals sehr erfreut gewesen zu sein. Erinnern Sie sich?“

„Ja, Sir, daran erinnere ich mich sehr gut“, erwiderte Alfred. „Obgleich ich offenbar nach wie vor Ihre Mahlzeiten zubereite und das Treppengeländer abstaube.“

„Genau.“ Bruce hielt die grässliche Gangsterpuppe mit der Karte in der Hand hoch, während er rasch an Alfred vorbei in Richtung der Hauptrechercheplattform ging. „Und ich wiederum muss herausfinden, warum Spellbinder selbst im Bann der Scarface-Puppe des Bauchredners stand und was diese seltsame Einladung zu bedeuten hat …“

„Ich habe aber bereits eine, Sir.“ Alfred zuckte mit den Schultern.

„Wovon reden Sie?“, fragte Bruce und setzte die Puppe auf den Prüftisch.

„Diese Einladung“, antwortete Alfred und zog eine identische Karte aus der Brusttasche seines Jacketts.

Bruce runzelte die Stirn. „Wo haben Sie die her?“

„Wo hat die jeder her?“ Alfred hob abermals die Schultern und drehte die Karte in der Hand. „Jeder in Gotham und den umliegenden Gemeinden hat heute eine erhalten. Nachrichtenthema Nummer eins.“

„Jeder?“, hakte Bruce nach. Während Alfred sprach, trat er vor die Rüstkammer und drückte im Gehen auf die Verschlussstellen des neuen Anzugs. Die Arm-Exomuskulatur löste sich von den Befestigungspunkten an den Schultern, und er streifte sie von beiden Armen. Als Nächstes löste sich das Schultersegment mitsamt des Capes vom Torso. Er zog es sich über den Kopf und platzierte alles rasch auf den Stützhalterungen.

„Es heißt, ein Computerfehler bei der Gotham Powerball-Lotterie sei schuld, dass diese Karten heute allen Einwohnern der Stadt zugestellt wurden. Auf dem Posttisch im Foyer liegt eine, die an Sie adressiert ist.“

„Das war kein Computerfehler“, sagte Bruce, setzte sich auf die Bank neben der Kammer, öffnete die Stiefel und zog sie dann aus. Den Einsatzgürtel – eine Energiequelle des Anzugs –schob er in die Ladestation, die in die Rüstkammer eingebaut war. „Die Geschichte ist ein Verschleierungsmanöver, und zwar ein ziemlich durchsichtiges.“

Bruce stand auf. Er trug noch den Mikrofaseranzug, der ihn unter der energiebetriebenen Rüstung kühl hielt, als er zurücktrat, um seine jüngste Inkarnation des Dunklen Ritters zu betrachten.

Ein gutes Design. Nicht perfekt. Beim nächsten Mal wird’s besser.

„Master Bruce?“

Bruce schnappte sich die Einladung aus Alfreds Hand. „Ich habe zu arbeiten, Alfred. Das wäre dann alles.“

Alfreds Augenbraue schien seine Nase in die Höhe zu ziehen, während er die Treppe hinaufging. Es gab einen Sicherheitsaufzug, der ihn ins Herrenhaus emportragen würde, aber um den zu erreichen, musste er noch zwei Stockwerke durch die Dunkelheit der Höhle nach oben steigen. „Natürlich, Sir. Wünschen Sie zu frühstücken?“

Bruce nahm auf einem Hocker vor dem Labortisch Platz und schaltete das Licht seines gewaltigen Vergrößerungsglases ein. Darunter drehte er die Karte ein ums andere Mal hin und her. Sie machte einen ganz gewöhnlichen Eindruck. Bis auf den Aufdruck. Irgendetwas war sonderbar an der Tinte …

Bruce schaute auf.

„Haben Sie etwas gesagt, Alfred?“

„Ich fragte nur, ob Sie zu frühstücken wünschen, Sir.“

In Alfreds Stimme schwang ein schwermütiger Ton mit, den Bruce noch nicht gehört zu haben glaubte. „Ja, gern … danke, Alfred.“

Alfred nickte und stieg die Stufen weiter hinauf.

Bruce versuchte, sich die Karte genauer anzusehen, wurde aber plötzlich von einem Geruch abgelenkt, der in seiner Erinnerung aufstieg. Es war der warme, dumpfe Geruch von Herbstlaub und grünem Gras. Er ließ ihn an Gelächter denken.

„Alfred?“

Der alte Mann blieb auf der Treppe stehen. „Ja, Sir?“

„Wie ist es draußen?“

Eine Sekunde lang dehnte sich gedankenvolle Stille zwischen ihnen.

„Es verspricht, ein herrlicher Tag zu werden, Master Br… Es ist ein herrlicher Tag, Sir“, antwortete Alfred, während er hinabsah auf den Kreis aus mattem Licht, in dem Bruce allein inmitten der Höhle saß. „Altweibersommer nennt man das wohl. Das Unwetter hat sich gen Osten verzogen, und wir erwarten etwas wärmere Temperaturen und aufklarenden Himmel. Es ist windig … kühl, aber angenehm.“

„Angenehm.“ Das Wort kam ihm wie etwas Fremdes von der Zunge. Ein sonniger Tag in Gotham. Nein, dachte er, so etwas gab es nicht. Gotham war eine niemals endende Nacht. Gotham war ein Regen, der nie säuberte. Gotham war Dreck und Verfall und schwärende Fäulnis … eine Krankheit, deren Heilmittel allein er war. Und er allein stand zwischen dem gewaltigen Abgrund und der Gerechtigkeit für jene, deren Heimat die Dunkelheit war.

Die Dunkelheit ist Gotham. Die Dunkelheit ist meine Welt.

„Haben Sie noch einen Wunsch, Sir?“

Bruce blickte hoch.

Er roch Laub.

Er hörte Lachen.

„Sie können mich Master Bruce nennen, Alfred“, sagte er leise. „Es soll mir recht sein. Wenn Sie das möchten.“

„Danke, Master Bruce.“ Alfred drehte sich lächelnd um und setzte den Weg die Treppe hinauf fort.

Amanda

Bruce Wayne, der unermesslich reiche Playboy von Gotham, war der Howard Hughes des neuen Jahrhunderts geworden.

Über zehn Jahre lang war er aus dem öffentlichen Leben verschwunden. Landesweit verdienten sich Nachrichtenkom­mentatoren ihr Honorar, indem sie die klaffenden Lücken hinsichtlich der Bedeutung seiner Abwesenheit damit füllten, dass sie sein Verschwinden bis zum 11. September 2001 zurückverfolgten. Lokale Nachrichtensprecher füllten hingegen alljährlich und in regelmäßigen Abständen Sendezeit damit, dass sie das Archivmaterial über den gewaltsamen Tod seiner Eltern hervorkramten – in jüngster Zeit ergänzt um computergenerierte Nachstellungen der Morde – und seine einsiedlerischen Eigenheiten auf diese verständlichen Wurzeln zurückführten. Der Gotham Globe machte Auflage mit Artikeln im Wirtschaftsteil, die behaupteten, die geistige Verwirrung des Wayne-Erben habe ursächlich mit dem Aufkommen des Neoliberalismus Mitte der Neunzigerjahre zu tun. Das Konkurrenzblatt, die Gotham Gazette