„Wenn du nett zu den anderen Kindern bist, werden sie dich auch mögen.“ Ein Glaubenssatz, den viele von uns noch als Erwachsene mit sich herumtragen. Woher kommt dieses Harmoniebedürfnis um jeden Preis? Woher die Angst vor Kritik? All diese Fragen haben Nele Süß dazu bewegt, über das Thema „Nicht jeder muss mich mögen“ intensiv nachzudenken. Sie zeigt Wege auf, aus dieser Nettigkeitsfalle auszusteigen – und zwar ohne zum Arschloch zu mutieren. Sie gibt Übungen an die Hand, die uns schrittweise voranbringen: kleine Erkenntnisse und Anstöße, ohne sich umzukrempeln. Ziel ist, sich mit mehr Selbstbewusstsein auszustatten, um gelassener mit Ablehnung und damit verbundenen schwierigen Situationen umzugehen.
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Seitenzahl: 245
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Geleitwort
Schön, dass Sie hier sind!
Wer ich bin
Für wen dieses Buch richtig ist
Was dieses Buch mit mir zu tun hat
Was Sie in diesem Buch finden
Und noch ein Versprechen
Ein paar Anwendungstipps
Einsicht? Reicht nicht!
Unsere Komfortzone – alles andere als dauerhaft komfortabel
Vom Risiko, auch mal nicht gemocht zu werden
Wie Sie mit diesem Buch arbeiten
Seien Sie auch mal rebellisch!
Die 72-Stunden-Regel
Wie Veränderung möglich ist: Schritt für Schritt
Der Wille als Anschubser
Das Gehirn mit kleinen Schritten überlisten
Die Bedeutung positiver Gefühle für den Erfolg
Die Neuroplastizität des Gehirns
Kleiner Exkurs zum Thema Heldenreise
Was tun bei Rückschlägen?
Das Umfeld als Stütze
Stress als Gegenspieler von Veränderung
Der Fluchtmodus
Es ist alles nur in Ihrem Kopf
Warum nett nicht das gleiche ist wie freundlich
Das süddeutsche und das norddeutsche Nett
Warum schadet nett sein uns und anderen?
Nicht-nett-Sein ist viel spannender als Nett-sein
Warum kann nicht jeder jeden mögen?
Das Gegenteil von nett
Ihr Gewinn: Authentizität
Tappen mehr Frauen als Männer in die Nettigkeitsfalle?
Bestandsaufnahme
Wann sind Sie gerne nett?
Kleiner Exkurs zum Thema Gefühle
Wann waren Sie schon einmal erfolgreich nicht nett?
Was ist Selbstwirksamkeit?
Wann wären Sie gerne nicht nett gewesen, waren es aber doch?
Die Sache mit der Tagesform
Auf einer Skala von 1 bis 10
Ursachenforschung
Wie ticken Sie und warum ticken Sie so?
Wer bin ich eigentlich – und wie viele?
Wie Sie Ihr inneres Team nutzbringend einsetzen
Was wir glauben und warum
Mach es allen recht!
Vom Außen zum Innen
Selbstliebe – ganz unesoterisch
Selbstmitgefühl und Selbstnachsicht
Immer schön bei sich selbst bleiben
Vom Automatismus zur Impulskontrolle
Neue Wege fürs Gehirn
Warum uns Achtsamkeit helfen kann
Achtsamkeit als Bremse im Kopf
Aus alt mach neu
Zeit gewinnen durch Übersprungshandlungen
Durch äußere Haltung innere Stabilität erreichen
Hallo, ich bin’s! Dein Körper!
Vom Kopf in den Körper
Fake it ’til you become it
Entdecken Sie Ihren Körper
Ein paar kleine Körperübungen
Ein paar Worte zum Thema Meditation
Kleine Hilfsmittel für alle Sinne
Du bist, wie du sprichst – Was Sprache ausmacht
Warum das gar nicht so einfach ist mit der Sprache
Vorbereitet sein
Bleiben Sie Sie selbst!
Entrümpeln Sie Ihre Sprache
Schritt 1: Checken Sie Ihren Wortschatz
Schritt 2: Checken Sie Ihren Satzbau
Schritt 3: Checken Sie Ihre Satzmelodie
Schritt 4: Frage oder Aufforderung?
Selbstverteidigung durch Kommunikation
Auf welchem Ohr hören Sie?
Die eigenen Bedürfnisse klären
Nur nicht rechtfertigen!
Lieber face-to-face als schriftlich
Wenn nichts mehr geht: Ab durch die Mitte!
Ein bisschen Spaß muss sein – Humor als Puffer
Töten durch Umarmen
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Literaturtipps
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
ich erinnere mich noch sehr gut an einen Akquise-Termin bei einem Energieversorger, der mich mit einer Personalsuche beauftragen wollte. Da mich ein anderer Dienstleister empfohlen hatte, ahnte ich nichts Böses. Leider geriet ich ausgerechnet am ersten Tag meiner Selbstständigkeit an einen dickbäuchigen und selbstgefälligen Geschäftsführer des Grauens, der gleich bei der Begrüßung mein Standing testen wollte: „Herr Müller hat mir schon erzählt, was Sie die Stunde nehmen. Das sind ja Preise wie im Bordell!“
Na, das konnte ja heiter werden …
Ich bekam einen hochroten Kopf, eiskalte feuchte Hände und wusste vor lauter Schreck so überhaupt nicht, wie ich reagieren sollte. Mein Hirn ratterte fieberhaft und suchte nach einer passenden Antwort, vor allem aber nach einem „Nein, mit einem wie Ihnen will ich nicht zusammenarbeiten!“
Damals liefen noch alle klassischen „Nein-sag-Verhinderer“ in mir zusammen: Höflichkeit, Nettigkeit und der Wunsch, von jedem Dödel gemocht zu werden. Selbst von Menschen, die ich ziemlich dämlich finde, so wie dieses wichtigtuerische Großmaul. Kurzum: Ich saß wie festgetackert in der Nettigkeitsfalle und fand bei diesem Termin auch nicht heraus. Bei meiner familiären Prägung war das allerdings auch kein Wunder, wurde ich doch im Wesentlichen von zwei Frauen geformt, die ständig zu allem „Ja“ sagten, selbst wenn sie „Nein“ meinten. Ihre Ja-Sager-Waagschalen waren randvoll mit sich selbst limitierenden Glaubenssätzen.
Meine Mutter war mit „Was sollen die Leute denken?!“, „Nur nicht unangenehm auffallen“ und „Der Klügere gibt nach“ groß geworden, und ihre Mutter, also meine Oma, konnte keinem Klinkenputzer eine Kamelhaardecke, ein Zeitschriften-Abo oder einen Staubsauger abschlagen. Was dazu führte, dass diese Dinge bei uns nie Mangelware waren.
Dank meines Vaters – „Mir doch egal, was die Leute denken“ und „Man darf sich nix gefallen lassen!“ – hätte ich wenigstens zwei Gewichte in die andere Waagschale werfen können, was ich jedoch nur verschämt tat. Das lag daran, dass sich mein Vater mit dieser Haltung über kurz oder lang mit seinen Mitmenschen anzulegen pflegte und in der Nachbarschaft als kauziger Brausekopf galt. Er war für mich somit auch nicht das ideale Rollenmodell, da hielt ich mich lieber an mein harmoniefreudiges Frauen-Duo.
Hätte ich damals dieses Buch von Nele Süß schon gehabt, wären meine Waagschalen bereits viel früher ins Lot gekommen. Das Bild der Waagschale verdeutlicht sehr schön, dass beides möglich ist und irgendwie auch zusammengehört: freundlich sein und dennoch nein sagen können. „Freundliche Stärke“ nenne ich das inzwischen. Dieses Buch hilft Ihnen, Ihren Verhaltensmustern humorvoll auf die Schliche zu kommen und viele bekömmliche Gegengewichte in Ihre Nein-Waagschale zu werfen – ohne, dass Sie es sich mit anderen verscherzen.
Freuen Sie sich auf viele heitere Anekdoten, hilfreiche Metaphern, spannende Übungen und wertvolle Tipps!
Herzlichst
Sabine Dinkel
www.sabinedinkel.de
PS: Ich habe damals übrigens den Auftrag bekommen und wohlerzogen angenommen – schließlich wurde er wenigstens gut bezahlt. Gefreut habe ich mich darüber allerdings nicht, eher die Zähne zusammengebissen und durch. Eines hat mich diese Begebenheit jedenfalls gelehrt: Ich möchte nicht mehr von jedem gemocht werden. Schon gar nicht von einem schmierigen Businesskasper.
Damit Sie wissen, mit wem Sie es hier zu tun haben und was mit diesem Buch auf Sie zukommt, starte ich erst mal mit einer kleinen Vorstellungsrunde und ein paar Erläuterungen für Sie – sozusagen zum Warmwerden!
Liebe Leserin, lieber Leser,
säßen Sie jetzt in einem meiner Workshops, würde ich Sie bitten, sich kurz vorzustellen und eine meiner gefürchteten Überraschungsfragen zu beantworten, und dann würden wir uns mithilfe einer geeigneten Methode näher kennenlernen, beispielsweise anhand von Symbolen oder Hashtags. Nun ist dies ein Buch, eine gegenseitige Vorstellung wird also schwierig. Da Sie jedoch im besten Fall in den kommenden Wochen viel Zeit mit mir verbringen werden, finde ich, dass Sie wissen sollten, mit wem Sie es zu tun haben (und wen Sie, zumindest in Gedanken, nervig finden können, falls Ihnen eine Übung zu blöd ist …). Also lege ich jetzt einfach mal los – und wenn Sie mögen, schicken Sie mir eine Mail mit Ihrer Vorstellung. Ich würde mich sehr freuen, mit Ihnen in Kontakt zu treten!
Hier also meine drei Hashtags:
#eierlegendewollmilchsau: Weil ich sowohl beruflich als auch in meinen privaten Interessen so vielfältig bin, dass ich gar nicht alles so schnell aufzählen kann. Ich bin Pressereferentin, Coach, Kommunikationstrainerin, Seminarhausbesitzerin und nun auch noch Autorin – und ich liebe dieses bunte Leben!
#lebenaufdemlande: Das hätte ich als geborene Münchnerin wirklich nicht gedacht: dass ich, wenn ich mal groß bin, in einem Ort lebe, der aus vier Häusern besteht, und das einfach großartig finde (abgesehen vom miesen Internet). Aber wenn ich an meinem Küchentisch sitze und auf unser knapp zwei Hektar großes Grundstück schaue, alles Grün und Natur, dann weiß ich: Hier bin ich richtig.
#netzwerkerinausleidenschaft: Auf die Frage „Kennst du jemanden, der …?“ habe ich fast immer eine Antwort parat. Manchmal kenne ich die passenden Leute nur um drei Ecken, aber ich weiß immer, wen ich wofür ansprechen kann. Auch dieses Buch habe ich meiner Leidenschaft fürs Netzwerken zu verdanken: Ohne meine Freundin Maya wäre ich auf Facebook vermutlich nicht auf Sabine Dinkel gestoßen, mit der ich mich zuerst virtuell und dann ganz echt befreundet habe. Und die wiederum war so großartig (und vielleicht auch so verrückt), mich beim humboldt Verlag als Autorin zu empfehlen.
„Die neue Schule wird dir gefallen! Wenn du nett zu den anderen Kindern bist, werden sie dich auch mögen.“ Diese Sätze hörte ich vor einiger Zeit eher zufällig vor einer Grundschule. Gesagt wurden sie von einer besorgten Mutter, die ihr mindestens ebenso besorgtes Kind trösten wollte, das ganz offensichtlich Angst vor der neuen Situation oder vielleicht schlechte Erfahrungen auf seiner vorherigen Schule gemacht hatte. Ganz sicher waren die Worte gut gemeint – aber wie die Band „Kettcar“ in einem ihrer Songs so treffend singt: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Denn was nimmt das kleine Mädchen nun mit in ihre neue Klasse zu ihren noch unbekannten Mitschülern? Dass sie nur recht brav sein muss, damit die anderen sie lieb haben. Ein Glaubenssatz, den viele von uns – fast immer unbewusst – mit sich herumtragen. Oft ein Überbleibsel aus der Kindheit, vielleicht auch aus der Pubertät oder dem ersten Job.
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Horchen Sie mal in sich rein: Kommt Ihnen der Satz irgendwie bekannt vor? Klingelt da etwas in Ihnen? Wenn ja, dann sind Sie hier und mit diesem Buch genau richtig – und haben damit einen prima Grundstein in Sachen Veränderung gelegt: weil Sie wahrgenommen haben, dass Ihnen etwas an Ihrem Verhalten nicht passt. Es ist etwa so wie mit einem Loch in Ihrer Lieblingsjeans: Solange Sie das Loch nicht wahrnehmen, können Sie es auch nicht stopfen. Sobald Sie es aber bemerkt haben, greifen Sie zu Nadel und Faden. Aber Obacht: Ein Loch in einer Hose zu stopfen, geht einigermaßen fix – Verhaltensveränderungen jedoch brauchen Zeit und viel Übung!
Wenn Sie erwarten, dass Sie nach dem Lesen dieses Buches ein neuer Mensch mit völlig neuen Verhaltensmustern sind, dann lesen Sie bitte nicht weiter, denn das wird nicht klappen. Und sollten Sie merken, dass die Problematik sehr tief sitzt und Sie nicht allein weiterkommen, dann holen Sie sich professionelle Hilfe. Das ist keine Schande! Um bei dem Beispiel mit der Jeans zu bleiben: Wenn das Loch zu groß ist, geben Sie die Hose ja auch zur Schneiderin und schmeißen sie nicht gleich weg – schließlich ist es Ihre Lieblingsjeans!
Wenn Sie bereit sind, viel über sich nachzudenken, aktiv mitzuarbeiten und auch mal über Ihren Schatten zu springen, dann ist dieses Buch genau richtig für Sie!
Ich sage es ganz ehrlich: Auch ich tappe immer mal wieder in die Nettigkeitsfalle – und bin in der Vergangenheit manchmal auch ganz schön tief hineingefallen. Diesen inneren Zensor, der mir einflüstert, dass ich jetzt bloß die Klappe halten und ja nicht unhöflich werden soll, kenne ich recht gut. „Aber wie kann sie denn dann so ein Buch schreiben, wenn ihr das auch immer wieder passiert?“, fragen Sie sich jetzt vielleicht.
Genau deswegen! Weil ich weiß, wie ätzend es ist, sich zusammenzureißen, statt offen und ehrlich zu reagieren. Weil ich weiß, wie krank es einen machen kann, wenn man sich ständig verstellt, weil man jemandem auf Teufel komm raus alles recht machen will. Weil ich weiß, wie unangenehm es sich anfühlt, wenn man aus Nachsicht anderen gegenüber die Nachsicht sich selbst gegenüber vernachlässigt. Und weil ich auch weiß, wie es ist, wenn man dann irgendwann ausflippt und sämtliche Höflichkeitsregeln hinter sich lässt, weil es einfach nicht mehr geht. Bei mir ist dann „Grumpie in da house“, wie eine Freundin das mal genannt hat. All das ist nicht sehr förderlich – weder für die eigene Gesundheit noch für das Leben und Arbeiten mit anderen. Deswegen habe ich irgendwann beschlossen, dass es anders gehen muss.
Auch ich tappe immer mal wieder in die Nettigkeitsfalle – und genau deswegen habe ich dieses Buch geschrieben.
Was war mein Weg, um aus der Nettigkeitsfalle rauszukommen? Ich habe immer wieder in mich reingehorcht, mich und mein Verhalten reflektiert, Freunde um Rat gefragt, an meiner Kommunikation gearbeitet – und ganz viel hinterfragt: Warum handle ich jetzt genau so? Was für Muster haben sich da in mir verfestigt? Was steckt eigentlich hinter meinen Gedanken? Das war nicht immer einfach und hat auch nicht immer Spaß gemacht.
Heute kann ich sagen: Die Gelegenheiten, in die Nettigkeitsfalle zu tappen, sind natürlich immer noch in rauen Mengen vorhanden – aber ich falle entweder gar nicht mehr rein oder kann mich oft gerade noch am Rand festkrallen und mich wieder nach oben ziehen. Klar – ab und zu rausche ich noch mit Vollkaracho in die Tiefe. Vor allem in Situationen, die sehr komplex sind – dann brauche ich ein Weilchen, um mich wieder rauszuarbeiten, aber irgendwann gelingt es mir immer.
Also, noch mal: Warum ich dieses Buch schreibe? Weil ich nachvollziehen kann, wie es Ihnen gerade geht. Und weil ich weiß, dass es auch anders geht.
Was werden Sie in diesem Buch finden? Viele Anregungen, Übungen, ein bisschen Theorie, persönliche Geschichten von mir und aus meinem Freundeskreis, Ermunterung, Ehrlichkeit, Wertschätzung. Was werden Sie in diesem Buch nicht finden? Ein Geheimrezept für die sofortige Totalverwandlung. Klar, das hätten wir alle gern – vom Ich-bin-immer-und-jederzeitnett-Menschen in jemanden, der freundlich, aber bestimmt, herzlich, aber nicht unterwürfig ist und das auch noch ohne schlechtes Gewissen. Würde ich über diese Wahnsinnsrezeptur verfügen, hätte ich sie patentiert, in Tütchen gepackt, für viel Geld verkauft und würde gerade Mai-Tai schlürfend in einer Hängematte in der Karibik liegen. Stattdessen sitze ich in einem 200 Jahre alten Haus in Schleswig-Holstein und schreibe dieses Buch.
Ein Geheimrezept für die sofortige Totalverwandlung werden Sie in diesem Buch nicht finden, sonst läge ich längst in einer Hängematte in der Karibik.
Sie werden immer wieder Menschen begegnen, die Ihnen versprechen, dass sie Sie ganz easy und ohne großen Aufwand in einen neuen Menschen verwandeln können und dass sie den Weg für alle haben. Ich bitte Sie inständig: Suchen Sie dann ganz schnell das Weite, denn aus meiner Sicht kann so etwas keinesfalls funktionieren. Mich erinnern solche Versprechen immer an die fahrenden Händler aus dem Mittelalter, die ihren Kunden Fläschchen mit ominösem Inhalt als Mittel gegen alle möglichen Krankheiten andrehten – und dann war da nur eine völlig wirkungslose Flüssigkeit (oder Schlimmeres) drin. Menschen sind nun mal unterschiedlich, und jeder muss seinen ganz eigenen Weg finden.
Deswegen ist dieses Buch auch keine Anleitung, die Sie 1:1 umsetzen sollen, sondern wie ein Workshop aufgebaut, den Sie nach und nach und in Ihrem Tempo absolvieren können. Das Ziel ist, dass Sie für sich die passenden Lösungen und den für Sie passenden Weg finden: mithilfe von Denkanstößen, unterschiedlichen Übungen und dem einen oder anderen aus dem Leben gegriffenen Beispiel. Das wird nicht immer leicht sein. Wären Veränderungen einfach, bräuchten Sie jemanden wie mich gar nicht – aber Veränderung ist ein Prozess, den Sie nur innerhalb Ihrer gerade gegebenen Möglichkeiten gehen können.
Und nun komme ich doch noch mit einem Versprechen um die Ecke. Nein, es ist nicht das Versprechen, dass alles gut wird, wenn Sie dieses Buch lesen und brav alle Übungen machen – da würde ich mich ja selbst ad absurdum führen. Ich gebe Ihnen aber die Hand darauf, dass Ihr Leben anders wird, wenn Sie sich anders verhalten. Viele warten darauf, dass sich endlich die Umwelt oder die Situation, in der sie sich befinden und die sie als unangenehm empfinden, ändert – und dass dann alles gut wird. Aus Erfahrung kann ich sagen: Vergessen Sie’s! Immer, wenn ich für mich gemerkt habe: Das geht gerade nicht mehr, musste ich ganz aktiv etwas tun, um rauszukommen. Also, auf geht’s!
Ehe Sie starten, möchte ich Ihnen ein paar Hinweise an die Hand geben, die Ihnen die Arbeit mit diesem Buch und an sich selbst erleichtern sollen. Mir ist es wichtig, dass Sie wissen, was in etwa auf Sie zukommt, denn, so leid es mir tut: Die Befreiung aus der Nettigkeitsfalle wird kein gemütlicher Spaziergang, sondern eine immer wieder mühsame und manchmal auch anstrengende Wanderung, die meistens bergauf geht. Aber: Wenn Sie oben angekommen sind, werden Sie sich großartig fühlen!
Ich sagte es schon im vorigen Kapitel: Dieses Buch wird keinen neuen Menschen aus Ihnen machen – aber das muss auch gar nicht sein, denn ich bin sicher, es gibt viele Seiten, die Sie sehr gern an sich mögen. Sie hätten dieses Buch aber nicht gekauft, wenn alles fein wäre.
Die gute Nachricht ist: Veränderung ist möglich. Die vielleicht nicht ganz so gute Nachricht lautet: Veränderung gelingt nur durch Reflexion des eigenen Tuns und durch viel Üben. Das Lesen dieses Buches reicht also nicht aus, damit sich etwas bewegt – Sie müssen auch etwas dafür tun! Denn die Erkenntnisse müssen ihren Weg von der Theorie in die Praxis finden, sie müssen angewendet werden, und Sie müssen sie fühlen. Ohne Gefühle läuft nämlich nichts in Sachen Lernen – oder, wie es Christian Peter Dogs und Nina Poelchau in ihrem lesenswerten Buch „Gefühle sind keine Krankheit“ sehr treffend auf den Punkt bringen:
„Einsichten verändern kein Verhalten.Das funktioniert nur, wenn die Gefühle beteiligt sind.“
Deswegen gibt es in jedem Kapitel Übungen, die Sie dazu anregen sollen, Ihren Verhaltensmustern auf die Spur zu kommen und sie aktiv zu verändern. Das ist nicht immer einfach, oftmals sogar sehr schwer – und wird sich auch manchmal erst einmal richtig bescheuert anfühlen. Aber da müssen Sie durch, sonst bleibt alles, wie es ist.
In jedem Kapitel gibt es Übungen, die Sie dazu anregen sollen, Ihren Verhaltensmustern auf die Spur zu kommen und sie aktiv zu verändern.
Was sich da so mies anfühlt, wenn Sie mal wieder in die Nettigkeitsfalle getappt sind, sind Ihre kleinen Wächter an der Schwelle von der Komfortzone zur Lern- und Wachstumszone. Ich habe Ihnen das mal auf Seite 16 aufgezeichnet, damit es leichter zu verstehen ist.
Sie befinden sich mit Ihrem üblichen Verhalten in der Komfortzone. Die Komfortzone heißt nicht etwa so, weil es dort immerzu wahnsinnig komfortabel ist, sondern weil wir uns dort in einem Bereich befinden, in dem wir uns auskennen. Hier fühlen wir uns sicher, denn alles ist vorhersehbar. Natürlich brauchen wir eine solche Zone unbedingt, um zur Ruhe zu kommen. Stellen Sie sich vor, Sie befänden sich ständig in der Lern- und Wachstumszone – da wären Sie ganz schön schnell mit den Nerven am Ende! Doch Veränderung ist in der Komfortzone niemals möglich.
Veränderung ist in der Komfortzone niemals möglich.
Ich gebe mal ein Beispiel für eine typische Szene aus meiner Komfortzone: Ich bin regelmäßig mit meiner Hündin Pippa in der Hundeschule. Dort gilt die Regel: Füttere nur deinen eigenen Hund. Niemals die Hunde der anderen mit Leckerli belohnen – und wenn sie dich noch so bedürftig ansehen! Eine frühere Mitteilnehmerin sah das anders, lächelte mich an, gab meinem Hund ein Leckerli und sagte: „Ich hab das jetzt einfach mal gemacht. Ist doch okay, oder?“ Pippa war natürlich glücklich, ich stinkig – gesagt habe ich aber nichts, um des lieben Friedens willen. Man will sich ja schließlich nicht streiten … Ich bin also brav in meiner Komfortzone geblieben, die ich in diesem Fall auch in Harmoniezone hätte umbenennen können.
Wie hätte das Ganze ausgesehen, wenn ich mich da rausbewegt hätte? Ich hätte zu der anderen Teilnehmerin gesagt: „Nein, das ist nicht in Ordnung. Und ich möchte dich bitten, das nicht mehr zu machen.“ Was hätte ich riskiert? Klaro: vermutlich ihren Missmut. Wäre das schlimm gewesen? Ganz rational gesehen: Nein. Zum Kuckuck – es geht um ein Hundeleckerli! Und vielleicht hätte sie auch mit einem „Okay, sorry!“ geantwortet. Wer weiß? Ich bin aber nicht gegen meine Wächter angekommen. Diese fiesen kleinen Mistkerlchen haben mir eingeflüstert: „Sei mal lieber nett zu ihr, denn das gehört sich so. Wenn du nicht nett bist, dann hat sie dich nicht mehr lieb und redet vielleicht nicht mehr mit dir!“
Und so ist es ganz oft. Wir tragen eine große Angst mit uns herum, die uns einredet, niemand hätte uns mehr lieb, wenn wir mal nicht nett sind, wenn wir mal ehrlich und klar sind, wenn wir mal Nein sagen. Die Angst zensiert und bewacht uns und hält uns davon ab, den Schritt raus aus der Komfortzone zu machen, denn wer weiß, vielleicht ist es da draußen noch viel blöder als in unserer Blase, in der es zwar irgendwie auch doof ist, aber es könnte ja noch doofer werden. Veränderung ist also nichts, was sich von Anfang an gut anfühlt. Anatole France, ein französischer Schriftsteller, hat das mal so aus gedrückt:
Wir tragen eine große Angst mit uns herum, die uns einredet, niemand hätte uns mehr lieb, wenn wir mal nicht nett sind.
„Allen Veränderungen, selbst jenen, die wir ersehnt haben, haftet etwas Melancholisches an; denn wir lassen einen Teil von uns selbst zurück; wir müssen ein Leben sterben, ehe wir ein anderes beginnen können.“
Ich will es nicht verhehlen: Natürlich gehen Sie mit der Entscheidung, nicht mehr zu jedem lieb und nett zu sein, ein Risiko ein. Die Menschen in Ihrem Umfeld werden irritiert bis missmutig reagieren – schließlich funktionieren Sie nicht mehr so, wie es dem einen oder anderen immer so gut gepasst hat. Sie sind nicht mehr berechenbar. Sie sagen auf einmal Ihre Meinung. Sie schwimmen nicht mehr mit dem Strom.
Der Kollege, der immer auf den letzten Drücker seine unerledigten Aufgaben bei Ihnen abgeladen hat, muss seinen Kram in Zukunft selbst machen. Die Nachbarin, die immer Ihre Katze gefüttert, dabei aber auch die ganze Bude durchstöbert hat, wird ihrer Neugier auf einmal nicht mehr nachgehen können. Die Freundin, der Sie immer bei Ihrer ewigen Lamentiererei zugehört und sie mit zusammengebissenen Zähnen in ihrer Alle-sind-ungerecht-zu-mir-Haltung unterstützt haben, wird ab sofort kein Gehör mehr bei Ihnen finden. Die Kollegin, die immer Ihre Ideen geklaut und als ihre eigenen verkauft hat, wird in Zukunft selbst denken müssen. Das wird nicht auf Begeisterung stoßen.
Aber es hilft nichts: Auf dem Weg zu sich selbst werden Sie die Zuneigung des einen oder anderen Mitmenschen verlieren. Allerdings sind das fast immer diejenigen, die Ihnen zu viel Kraft geraubt und nichts zurückgegeben haben – so ist zumindest meine Erfahrung. Hinter all dem Verlust steckt also letztlich ein ganz großer Gewinn: mehr Freiraum, mehr Zeit, mehr Man-selbst-Sein, weniger Ärger – und vielleicht der eine oder andere neue Freund, denn Menschen, die authentisch sind und für sich einstehen, sind ausgesprochen attraktiv. Mit diesem Ziel vor Augen werden Sie auch doofe Phasen überstehen.
MUSIK HÖREN GEGEN DEN FRUST
Wenn’s mal zwischendurch nicht so gut läuft, dann machen Sie was Schönes, zum Beispiel laut Musik hören – besonders empfehlen kann ich den Song „Sowieso“ von Mark Forster. Singen Sie die folgenden Zeilen mit möglichst viel Inbrunst und möglichst wenig Rücksicht auf Mitbewohner oder Nachbarn mit:
„Egal was kommt,
es wird gut, sowieso,
Immer geht ’ne neue
Tür auf, irgendwo.
Auch wenn‘s grad nicht
so läuft, wie gewohnt.
Egal, es wird gut, sowieso.“
Dieses Buch ist aufgebaut wie ein Workshop. Natürlich können und sollen Sie auch mal neugierig darin blättern, damit Sie wissen, was noch so auf Sie zukommt. Vielleicht springt Sie auch ein Kapitel ganz besonders an, so dass Sie es zuerst lesen müssen. Ich empfehle jedoch, die Übungen in der vorgegebenen Reihenfolge zu machen. Sie bauen aufeinander auf, und mir ist es wichtig, dass Sie sich nicht gleich mit den etwas schwereren Übungen aus dem hinteren Teil des Buches überfordern und es dann genervt in die Ecke pfeffern. Starten Sie lieber langsam und behutsam – dann haben Sie gleich am Anfang das eine oder andere Erfolgserlebnis, und die Wahrscheinlichkeit, dass Sie dranbleiben, ist viel höher.
Ich möchte Sie außerdem bitten, die Übungen nicht nur im Kopf zu machen, sondern Ihre Ergebnisse auch schriftlich festzuhalten – und zwar handschriftlich. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass es sehr förderlich für die Konzentration und die Verbindung von Körper und Geist ist, wenn mit der Hand geschrieben wird. Es gibt sogar Studien, die nahelegen, dass Lernstoff besser behalten wird, wenn er mit der Hand niedergeschrieben wird. Das Schreiben mit der Hand aktiviert sehr viel mehr Hirnareale als das Tippen auf Rechner, Tablet oder Smartphone. Natürlich kann ich Ihnen nicht vorschreiben, wie und auf welchem Medium Sie Ihre Gedanken zusammentragen, ich würde mich aber freuen, wenn Sie sich trotz Rundumdigitalisierung Stift und Papier schnappen und dieser ganz und gar analogen Form eine Chance geben würden.
Machen Sie die Übungen nicht nur im Kopf, sondern halten Sie Ihre Ergebnisse auch schriftlich fest.
Ich persönlich stehe auf schöne Notizbücher. Mit gutem Papier und buntem Einband, der sich gut anfühlt. Gleiches gilt für meine Schreibutensilien – sie müssen gut in der Hand liegen und dürfen nicht zu sehr übers Papier kratzen. Ja, ich gebe es zu: Da bin ich ein echter Nerd. Das heißt ja nicht, dass Sie sich diesem Spleen anschließen müssen. Wenn es für Sie auch eine alte Kladde tut oder eine Loseblattsammlung, die Sie in einem Ordner zusammentragen, oder die Rückseiten alter Ausdrucke und dazu irgendein Werbekugelschreiber – wunderbar! Generell würde ich allerdings dazu raten, kein zu kleines Format zu nehmen – nutzen Sie mindestens DIN A5, vielleicht sogar DIN A4. Und, ganz wichtig: Lassen Sie bitte Platz bei allem, was Sie notieren – für weitere Gedanken, Ergänzungen und Anmerkungen. Also nicht alles futzelklein untereinander schreiben, sondern ruhig großzügig arbeiten.
Suchen Sie sich außerdem einen Ort, an dem Sie ungestört Ihren Gedanken nachhängen können und an dem nicht alle naselang jemand vorbeikommt und etwas von Ihnen will. Vielleicht haben Sie einen Lieblingsplatz, an dem Sie es besonders muckelig haben?
Bei mir ist es unser Küchensofa, von dem aus ich einen wunderbaren Blick in die Natur habe. Außerdem ist die Kaffeemaschine nicht weit entfernt, und im besten Fall liegen unser Hund unter und die Katzen mit auf dem Sofa – herrlich! Wenn ich nicht gestört werden will, setze ich mir außerdem meine Kopfhörer auf, die die Außengeräusche auf ein Minimum reduzieren – eine ganz großartige Erfindung, diese Noise-Cancelling-Dinger. Ich habe manchmal nicht mal Musik an, sondern setze sie einfach auf, um meine Ruhe zu haben. Dann kann mein Mann trotzdem in der Küche rumwurschteln, und ich bin nicht genervt davon.
Suchen Sie sich einen Ort, an dem Sie ungestört Ihren Gedanken nachhängen können.
Dieses Muckelig-Machen hört sich vielleicht für manche merkwürdig an – schließlich ist das hier ein Arbeitsbuch, ein Workshop für daheim. Da darf es doch nicht zu gemütlich zugehen! Und ich sage: Doch! Das muss es sogar. Es ist so toll, dass Sie sich Zeit für sich selbst nehmen und etwas angehen, was nicht ganz einfach ist. Da ist es ganz wichtig, dass Sie sich eine Atmosphäre schaffen, in der Sie sich wohlfühlen. Das hat auch etwas mit dem wertschätzenden Umgang mit sich selbst zu tun. Stellen Sie sich einfach vor, Sie wären Ihre beste Freundin – die würden Sie zu einem intensiven Gespräch über ein aktuelles Problem ja auch nicht vor sich auf den Schreibtischstuhl tackern.
Ein weiterer Hinweis, der sich auf den ersten Blick irritierend anhören könnte: Machen Sie mit sich selbst Termine aus. Klingt schräg, aber seien wir mal ehrlich: Wie oft haben Sie sich in den letzten Monaten Zeit genommen, um über sich selbst nachzudenken? Und zwar nicht nur so nebenbei, sondern ganz gezielt? Genau – wenig bis gar nicht. Deswegen mein Tipp: Tragen Sie sich im Kalender Zeiten ein, in denen Sie sich diesem Buch widmen wollen. Das heißt nicht, dass Sie das unter allen Umständen einhalten müssen. Es gibt Tage, da gerät alles durcheinander, oder Ihr Hirn mag nicht so, wie Sie es wollen – dann schieben Sie die Verabredung mit sich selbst auf einen anderen Zeitpunkt.
Für alle, die Kinder haben, ist diese Hürde sicher eine der höchsten – sich aus dem regen Familienleben rauszuziehen und etwas nur für sich zu machen, ist oft eine große Herausforderung und nicht immer machbar. Vielleicht haben Sie ja die Möglichkeit, sich mit Ihrem Partner abzusprechen oder die Kinder einmal in der Woche an die (Schwieger-)Eltern abzugeben – und wehe, Sie putzen dann in dieser Zeit die Fenster, weil’s gar so schön ruhig ist!
Sich Freiräume für sich selbst zu schaffen, ist aber auch ohne Kinder nicht immer einfach – schnell plagt uns das schlechte Gewissen, vielleicht werfen Sie sich sogar Egoismus vor. Aber denken Sie immer daran: Ziel ist, dass es Ihnen auf Dauer besser geht. Dass es Ihnen gelingt, aus dem Nettigkeits-Hamsterrad auszubrechen. Und wenn es Ihnen besser geht, wenn Sie mit sich selbst im Reinen sind, kommt das auch Ihrem Umfeld zugute.
Sich Freiräume für sich selbst zu schaffen, ist nicht immer einfach – schnell plagt uns das schlechte Gewissen.
Und bitte: Hetzen Sie nicht durch dieses Buch. Ärgern Sie sich nicht, wenn Sie nicht so schnell vorankommen, wie Sie es sich vorgestellt haben. Jeder hat sein eigenes Tempo – Sie bestimmen, wann es wie weitergeht. Vielleicht verharren Sie an einem Punkt etwas länger oder beißen sich auch mal an einer Aufgabe fest – das ist völlig in Ordnung und normal. Gleiches gilt für Rückschläge, die vorkommen werden. In der Achtsamkeitspraxis gibt es den Begriff „Anfängergeist“. Gemeint ist damit eine bestimmte Haltung, die es jedem erlaubt, jede Situation immer wieder ganz neu zu betrachten und nicht in der Vergangenheit zu verharren, sondern ganz im Hier und Jetzt zu verweilen. Was sich ein klein wenig esoterisch anhört, ist unheimlich hilfreich für den Alltag, denn: Es geht nicht darum, ob Sie diese und jene Aufgabe schon erfüllt haben, sondern darum, immer wieder neu zu beginnen und sich nicht über Vergangenes zu ärgern.