Wege und Irrwege der Sexualpädagogik -  - E-Book

Wege und Irrwege der Sexualpädagogik E-Book

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Beschreibung

Über Form und Inhalt die Sexualpädagogik sind seit langem heftige Kontroversen entbrannt. Vor allem anhand der Frage, ob die dominierende (neo-)emanzipatorische Sexualpädagogik ("Sexualpädagogik der Vielfalt") Kinder weltanschaulich einseitig beeinflusst, in Intimbereiche eindringt und den Elternwillen missachtet. Aufgrund ihrer queertheoretischen Ausrichtung wird die biologische Binarität des Menschen inzwischen bezweifelt. Das hat gravierende Auswirkungen auf pädagogische Diskurse um Reproduktion, Körperlichkeit und Religion. Grundnahmen der (neo-)emanzipatorischen Sexualpädagogik werden in diesem Buch hinterfragt, Folgen und Irrwege skizziert und gegenüber ideologischer Einseitigkeit neue Denkhorizonte eröffnet.

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Inhalt

Cover

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Zur Konzeption der Buchreihe »Pädagogik kontrovers«

Vorwort

Literatur

1 Sexualpädagogik heute. Eine Kritik – Rückblick und Ausblick

1.1 Einleitung

1.2 Juristische Rahmung und Grundsätze

1.3 Die (neo-)‌emanzipatorische Sexualpädagogik

1.4 Neutralität, Toleranzgebot und Indoktrinationsverbot am Beispiel der Transsexualität

1.5 Literatur

2 Fehleinschätzungen in der Sexualpädagogik

2.1 Fehleinschätzungen in der Wissenschaft

2.2 Fehleinschätzungen in der Sexualpädagogik

2.2.1 Helmut Kentler – »ein Leuchtturm und Vorbild«?

2.2.2 Sexuelle Bildung – ein Beitrag zur Missbrauchsprävention?

2.2.3 Von der Vielzahl der Geschlechter

2.3 Literatur

3 Mädchen und junge Frauen mit Autismus-Spektrum- Störung, Genderdysphorie und Sexualpädagogik

3.1 Einleitung

3.2 Das Problem der geschlechtstypischen Rollenverständnisse

3.3 Autismus und Geschlechtsdysphorie – eine nicht seltene Kombination

3.4 Herausforderungen für die Sexualerziehung

3.5 Literatur

4 Körper als Orte der Freude? Neue Aufträge an die Sexualpädagogik

4.1 Sexuelle Gesundheit als sexualpädagogischer Auftrag

4.2 Die (Be-)‌Deutung des Körpers

4.3 Problematische Auswirkungen von Körperidealen

4.3.1 Sport und Fitness

4.3.2 Schönheits- und Schlankheitsnormen

4.3.3 Be-hinderte Körper

4.3.4 Geschlechterrollenerwartungen und Körperformung

4.4 Sexualpädagogische Implikationen

4.4.1 Geschlechterstereotypien hinterfragen

4.4.2 Umgang mit Grenzen und dem »Nein«

4.5 Fazit – Körper als Räume der Begrenzung oder der Freude?

4.6 Literatur

5 Moderne Familienplanung, Reproduktionsmedizin und ihre Auswirkungen auf die Sexualbildung

5.1 Kinderwunsch

5.2 Diagnostische Verfahren

5.3 Social Freezing

5.4 Eine gewünschte Schwangerschaft bleibt aus – Medizinische Wege zum Kind

5.5 Weitere, in Deutschland nicht zugelassene Maßnahmen

5.6 Gesundheitliche Risiken und psycho-soziale Folgen für die Eltern-Kind-Beziehung bei assistierter Reproduktion (ART)

5.7 Entwicklungsaufgaben für die sozialen Eltern bei Gametenspende und Leihmutterschaft

5.8 Erfolge reproduktionsmedizinischer Maßnahmen

5.9 Kinderlosigkeit – ein gesellschaftliches Problem?

5.10 Welche Aufklärung sollten Jugendliche hinsichtlich der medizinischen Reproduktionsformen in der Schule erhalten?

5.11 Fazit

5.12 Literatur

6 Sollte ›queere Theologie‹ Teil einer vielfaltsorientierten inklusiven Religionspädagogik sein? Eine kritische Prüfung

6.1 Einleitung

6.2 Stillschweigende Ersetzung von Geschlecht durch Geschlechtsidentität

6.3 Queere Bibelauslegung kritisch analysiert

6.4 Fazit – und Entwicklungen in den evangelischen Landeskirchen

6.5 Literatur

AutorInnenverzeichnis

Die Autorinnen und Autoren

Kohlhammer

Pädagogik kontrovers

Herausgegeben von Bernd Ahrbeck, Karl-Heinz Dammer, Marion Felder und Anne Kirschner

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/paedagogik-kontrovers

Der Herausgeber, die Herausgeberin

Bernd Ahrbeck, Prof. Dr., Diplom-Psychologe, Erziehungswissenschaftler, Psychoanalytiker. International Psychoanalytic University Berlin (IPU).

Marion Felder, Prof. Dr., Diplom-Heilpädagogin, Master of Education (M. Ed.). Hochschule Koblenz, Fachbereich Sozialwissenschaften.

Bernd Ahrbeck, Marion Felder (Hrsg.)

Wege und Irrwege der Sexualpädagogik

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-044101-9

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-044102-6epub:ISBN 978-3-17-044103-3

Zur Konzeption der Buchreihe »Pädagogik kontrovers«

Seit ihrer Entstehung als wissenschaftliche Disziplin im ausgehenden 18. Jahrhundert ist die Pädagogik ein widersprüchlicher und damit auch exemplarischer Ort für Kontroversen. Erkennbar wird dies bereits bei ihrem Begründer Rousseau, der in seinem Erziehungsroman Émile ou de l'Éducation den Erzieher vor die Alternative stellt, einen Menschen oder einen Bürger zu erziehen, sich also an den Entwicklungspotenzialen des Individuums zu orientieren und zu ihrer ungehinderten Entfaltung beizutragen oder ein auf gesellschaftliche Zwecke hin ausgerichtetes Wesen hervorzubringen; beides zugleich, so sagt Rousseau ausdrücklich, sei unmöglich. Wenig später wird diese Dichotomie in Deutschland als programmatischer Streit zwischen den am nützlichen Bürger interessierten Aufklärungspädagogen und den Neuhumanisten als emphatischen Verteidigern des sich frei bildenden Individuums erneut ausgefochten.

Im Kern ist dieser Streit bis heute nicht geschlichtet, wie beispielsweise die Auseinandersetzung um den auf Nützlichkeit fokussierten Bildungsbegriff zeigt, der der PISA-Studie zugrundeliegt. In den Debatten wird erkennbar, dass Erziehungs- und Bildungskontroversen nicht nur ein zentraler Reflexionsmodus der Disziplin sind, sondern dass mit der Frage »Bildung und Erziehung wozu?« auch immer wieder neu zu führende Aushandlungsprozesse von Gesellschaft- und Menschenbildern verbunden sind.

Diese kritische Funktion der Pädagogik scheint nun seit einiger Zeit zugunsten unterschiedlicher, aber stets widerspruchsfrei erscheinender und moralisch hoch aufgeladener Diskurse in den Hintergrund zu treten: Chancengleichheit - vor der Jahrhundertwende noch ein beispielhaftes bildungspolitisches Streitthema - wird nun einhellig gefordert, Vielfalt ist wertzuschätzen, Inklusion hat sich normativ immunisiert und empirische Messungen konnten sich bildungspolitisch als der vermeintlich einzig gültige Maßstab für die Qualität von Schulen und Unterricht etablieren. Damit verschiebt sich pädagogisches Denken von einem streitbaren Ort in Richtung einer Konsenszone, in der die gesellschaftspolitische Dimension der pädagogischen Kritik zunehmend an den Rand gedrängt wird.

Die Reihe »Pädagogische Kontroversen« will, an diese kritische Funktion der Pädagogik anknüpfend, wieder Kontroversen initiieren, indem sie nach der Berechtigung des als selbstverständlich Geltenden fragt, andere Sichtweisen einbringt und auf diese Weise für produktive Irritationen sorgen und Denkanlässe schaffen möchte, um ideologische Moden (wieder) erkennbar und zum Gegenstand von Streit werden zu lassen.

Da die Bedeutung pädagogischer Kontroversen, wie eingangs angedeutet, über die Erziehung hinausweist, wird der Begriff »pädagogisch« hier nicht nur als erziehungswissenschaftlicher verstanden, sondern es geht dabei auch um die gesellschaftlichen, psychologischen und philosophischen Implikationen der Kontroversen.

Geplant sind Sammelbände oder Monographien zu entsprechenden Themen, verfasst von Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis unterschiedlicher Disziplinen (Erziehungswissenschaft, Soziologie, Philosophie, Psychologie). Die Buchreihe wendet sich aber explizit nicht nur an die Fachgemeinde, sondern an alle Personenkreise, die an bildungspolitischen Fragen und offener gesellschaftlicher Auseinandersetzung interessiert sind. Mit Blick auf diesen weiten Adressatenkreis werden auch unterschiedliche Darstellungsformen gewählt, also neben konventionellen wissenschaftlichen Beiträgen auch essayistische Reflexionen, um neue Denkräume zwischen wissenschaftlichem Fachbuch und populärem Sachbuch zu schaffen und der öffentlichen Debatte um Erziehungsfragen neue Impulse zu geben.

Vorwort

Bernd Ahrbeck & Marion Felder

Zu Beginn des Jahres 2024 wurde der Abschlussbericht zur Aufdeckung des pädophilen Netzwerks um Helmut Kentler vorgestellt (Baader et al. 2024). Kentler war ein Pädagogikprofessor, der über drei Jahrzehnte, bis in die frühen 2000er Jahre hinein, Jugendliche in Notlagen mithilfe des Berliner Landesjugendamts an pädophile Ziehväter vermittelt hatte. Der Bericht bestätigt auch, was früher nur vermutet wurde: Kentler selbst hat Jugendliche massiv sexuell missbraucht. Strafrechtlich konnte er nicht mehr verfolgt werden, weil die Taten bereits verjährt oder noch gar nicht bekannt waren. Kentler starb 2008.

Der Abschlussbericht zeigt auf erschreckende Weise, wie weit Helmut Kentlers pädophiles Netzwerk reichte, bis tief in Universitäten, Behörden, Pflegekinderhilfen und Kirchen der gesamten Republik hinein. Kentler hat aus voller Überzeugung gehandelt. In der sexuellen Stimulierung, die psychosozial stark belastete Jugendliche erfuhren, sprich: ertragen mussten, sah er ein vorwärtstreibendes Element. Man mag es kaum aussprechen: Sie sollte zu einer Stärkung der Persönlichkeit führen, getreu der Annahme, dass die sexuelle Aktivierung für eine gelungene psychische Entwicklung unerlässlich ist.

Die Personen »des Beziehungsgeflechts zeichnen sich [...] dadurch aus, dass sie ›pädagogische Reformgedanken‹ [...] teilten, die dazu beitrugen, sexualisierte Gewalt im Zuge von Befreiungsrhetoriken, Neuausrichtungen oder sog. ›Experimenten‹ zu legitimieren und zugleich zu verdecken [...], indem sie sich selbst als zentrale Akteure von Reformkonzepten positionierten, zu deren Sprecher, Vertreter und Deuter sie sich machten« (Baader et al. 2024, S. 15).

Der Fall Kentler belegt, wohin Vorstellungen einer grenzenlos befreiten Sexualität führen können und wie selbst Wissenschaftler sexuellen Missbrauch geduldet oder ignoriert haben. Baader et al. (2024) bezeichnen diese Personen als »Bystander«, die von einem gefährlichen und grenzverletzenden Geschehen wussten, aber nicht eingriffen. Trotz des Elends, das Kentler über unzählige junge Menschen gebracht hat, leben seine Ideen zur Sexualität und Sexualerziehung bis heute fort. Sie bilden eine wesentliche Grundlage der »Sexualpädagogik der Vielfalt«, die in weiten Bereichen die Sexualbildung in Deutschland und anderen Ländern bestimmt. »Kentlers Einfluss auf die heutige ›sexuelle Bildung‹, die der Forderung ›Lernen durch Tun‹ folgt, ist enorm, wenn auch kaum diskutiert« (Voigt 2024, S. 6).

Die Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen ist ein uralter Traum, der über die Generationen fortwährt und jeweils zeittypische Ausdrucksformen annimmt. Gegenwärtig sind es die Themen Gender und Transgender, die Befreiungsvisionen bedienen. Das Geschlecht, selbst das biologische, wird zu einer sozialen Konstruktion verklärt, die zu verändern in das Belieben des Einzelnen gestellt wird. Dem sind kaum noch Grenzen gesetzt, auch hinsichtlich des Lebensalters. Nach dem neuen Selbstbestimmungsgesetz können bereits 14-Jährige standesamtlich ihr Geschlecht per Sprachakt wechseln, mit familienrichterlicher Unterstützung auch gegen das Votum ihrer Eltern. Ihrem Willen soll gefolgt werden. Einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Begutachtung bedarf es nicht mehr, da sie als diskriminierend gilt.

Dieser transaffirmative Weg wird auch durch die »Neue-S2k-Leitlinie-zu-Geschlechtsinkongruenz-und-dysphorie-im-Kindes-und-Jugendalter« gestärkt. »Man verlegt sich darauf, den Transitionswunsch gar nicht mehr zu hinterfragen« (Korte in Louis 2024, S. 2). Die hohen psychischen Belastungen dieser Personengruppe gelten primär als Folge sozialer Diskriminierung. Der Einsatz von Pubertätsblockern gehört jetzt zu den gängigen Behandlungsempfehlungen, ohne dass Altersgrenzen formuliert werden. Gleiches gilt für irreversible geschlechtsangleichende Operationen. Entscheidend sei der psychische Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen, ihre Fähigkeit, über sich selbst zu entscheiden. Damit wird wesentlich der nicht unumstrittenen »World Professional Association for Transgender Health« gefolgt. Diese Leitlinie beruht auf einer Konsensentscheidung, keiner gesicherten Empirie.

»Aussagekräftige Langzeitstudien fehlen bisher. Die aktuelle Studienlage deutet derzeit nicht darauf hin, dass sich die GD [Geschlechtsdyphorie] im Speziellen und die psychische Gesundheit im Allgemeinen im Verlauf der weiteren Entwicklung nach Gabe von PB [Pubertätsblockern] oder CSH [Cross-Sex-Hormonen] bedeutsam verbessern« (Zepf et al. 2024, S. 1).

Deshalb hat in Ländern wie Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden ein Umdenken eingesetzt. In England kommt der Cass Review (NHS England and NHS Improvement 2024) zu dem Schluss, dass dem transaffirmativen Weg die wissenschaftliche Evidenz fehlt. In allen Bereichen: von sozialer Transition bis hin zu pharmakologischen und operativen Behandlungen. Der Bericht mahnt insbesondere bei pharmakologischen Interventionen zu größter Vorsicht. Die Gabe von Pubertätsblockern wird in England nur noch unter strikten klinischen Versuchsbedingungen und in einigen Privatkliniken erlaubt (John 2024). Auch Schottland schließt sich den Erkenntnissen des Cass Review an. Unter 18-Jährige erhalten keine Gegenhormone mehr (McCool 2024). In Deutschland hingegen wird das transaffirmative Modell unbeirrt durchgesetzt.

Die skandalösen Handlungen und Überzeugungen Kentlers haben inzwischen eine breite Öffentlichkeit erreicht. Sie stoßen auf Empörung und Ablehnung, zugleich unterbleibt jedoch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine Auseinandersetzung mit ihren sexualpädagogischen Folgen, die bis heute währen (Andresen & Tippelt 2018; Baader 2018). Hier herrscht überwiegend Schweigen. Im Falle der Genderdysphorie und Transsexualität verhält es sich anders. Dort sind heftige Kämpfe entbrannt, mit massiven Angriffen und Anschuldigungen gegenüber denjenigen, die den transaffirmativen Weg infrage stellen. Die Bedrohungen, die sich daraus für die Wissenschaftsfreiheit ergeben, sind nicht unerheblich (Ahrbeck, Felder, Kunze & Reichardt 2024).

Vor diesem Hintergrund ist das vorliegende Buch entstanden, das sich mit Irrungen und Wirrungen der Sexualpädagogik befasst. Es nimmt Themen auf, die bisher nur unzureichend oder höchst einseitig behandelt wurden, obgleich sie von erheblicher wissenschaftlicher wie praktischer Relevanz sind und einer dringenden Klärung bedürfen.

Bernd Ahrbeck und Marion Felder (»Sexualpädagogik heute. Eine Kritik – Rückblick und Ausblick«) beschreiben und analysieren den gegenwärtigen Stand der Sexualpädagogik unter ideengeschichtlichen, juristischen, psychologischen und pädagogischen Gesichtspunkten. Sie setzen sich dabei kritisch mit den Grundlagen und Folgen der »Sexualpädagogik der Vielfalt« auseinander. Exemplarisch wird am Beispiel Transgender ausgeführt, welche Fehlentwicklung sich an Schulen und Kindertagesstätten einstellen können, wenn einer vermeintlichen Befreiungsvision unbedacht gefolgt wird.

Karla Etschenberg bezieht sich in ihrem Beitrag »Fehleinschätzungen der Sexualpädagogik« auf drei große Themenkomplexe. Zunächst wird dem Einfluss nachgegangen, den Helmut Kentler, obgleich längst als Förderer der Pädophilie entlarvt, bis in die heutige Zeit auf die Sexualpädagogik ausübt. Sodann erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Zudem beschäftigt sich Etschenberg mit der inzwischen verbreiteten Annahme, biologisch gäbe es mehr als zwei Geschlechter.

Monika Klissenbauer berichtet über »Mädchen und junge Frauen mit Autismus-Spektrums-Störungen«, die auffällig häufig Genderdysphorien aufweisen und dadurch sexualpädagogische Aufmerksamkeit erfordern. Der Komplexität dieses Phänomens wird nachgegangen und auf Identitätsprobleme, die sich daraus ergeben, verwiesen. Die Autorin ist besorgt darüber, dass ein transaffirmatives Umfeld diese jungen Menschen noch weiter verunsichern kann, sodass sie in einer Transition einen Ausweg sehen, obgleich ihre Probleme ganz andere sind.

Simone Danz analysiert die Rolle der modernen Sexualpädagogik angesichts aktueller Debatten um die Körperlichkeit, einschließlich des sozialen Drucks, der von geschlechtsrollenbasierten Identitätsentwürfen, Körperidealen und Schönheitsnormen ausgeht (»Körper als Orte der Freude? Neue Aufträge an die Sexualpädagogik«). Anstelle einer Selbstoptimierung, die zu riskanten Körpermodifikationen führen kann, verweist sie auf die Bedeutung der Resonanz in zwischenmenschlichen Beziehungen. Der eigene Körper, auch wenn er nicht perfekt ist, sollte als Quelle der Freude betrachtet werden.

Heike Stammer beschäftigt sich mit »Moderne‍[r] Familienplanung, Reproduktionsmedizin und ihre‍[n] Auswirkungen auf die Sexualbildung«. Vorgestellt werden die wichtigsten medizinischen Behandlungsansätze bei unerfülltem Kinderwunsch, die zu neuen Familienmodellen und entsprechenden Dynamiken führen können. Dabei geraten auch die Schattenseiten reproduktionsmedizinischer Methoden in den Blick. Anhand von Eizellspenden und Leihmutterschaft wird gezeigt, dass das Kindeswohl und die Gesundheit anderer Beteiligter oft zu wenig Beachtung finden.

Jantine Nierop widmet sich neueren Entwicklungen in der Religionspädagogik (»Sollte ›queere Theologie‹ Teil einer vielfaltsorientierten inklusiven Religionspädagogik sein? Eine kritische Prüfung«). Im Zentrum steht, ob die Religionspädagogik gut beraten ist, wenn sie die Kategorie Geschlecht durch den Begriff der Geschlechtsidentität ersetzt. Nierop verneint diese Frage anhand einer Auseinandersetzung mit der Mainzer Hochschulpfarrerin Kerstin Söderblom. Sie plädiert dafür, das Geschlecht als binäre, körperlich bestimmte Kategorie beizubehalten, so wie es in der Bibel geschieht.

Literatur

Ahrbeck, B., Felder, M., Kunze, A.-B. & Reichardt, T. (2024): Worüber wird in der Pädagogik publiziert? Welche Themen bleiben ausgespart? Eine Auswertung von vier Fachzeitschriften. In: Netzwerk Wissenschaftsfreiheit e. V. (Hrsg.), Jahrbuch Wissenschaftsfreiheit, 1 (S. 11 – 36). Berlin: Duncker & Humblot.

Andresen, S. & Tippelt, R. (Hrsg.) (2018): Sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend. Theoretische, empirische und konzeptionelle Erkenntnisse und Herausforderungen erziehungswissenschaftlicher Forschung. Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 64, 9 – 17.

Baader, M. S. (2018): Tabubruch und Entgrenzung. Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft 64, 28 – 39.

Baader, M., Böttcher, N., Ehlke, C., Oppermann, C., Schröder, J. & Schröer, W. (2024): Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe – Aufarbeitung der organisationalen Verfahren und Verantwortung des Berliner Landesjugendamtes. Online verfügbar unter https://hilpub.uni-hildesheim.de/entities/publication/bf1500ba-b8ea-4757-8cb2-10f14fc85098/details, Zugriff am 23. 04. 2023.

John, T. (2024): England's health service to stop prescribing puberty blockers to transgender kids. Online verfügbar unter: https://edition.cnn.com/2024/03/13/uk/england-nhs-puberty-blockers-trans-children-intl-gbr/index.html, Zugriff am 23. 04. 2023.

Louis, Ch. (2024): »Trans-Kinder: Ein Medizin-Skandal (Interview mit Alexander Korte). EMMA-Online verfügbar unter: https://www.emma.de/artikel/trans-kinder-ein-medizin-skandal-340959, Zugriff am 23. 04. 2023.

McCool, M. (2024): Scotland's under-18 s gender clinic pauses puberty blockers. Online verfügbar unter: https://www.bbc.com/news/uk-scotland-68844119, Zugriff am 23. 04. 2023.

Neue-S2k-Leitlinie-zu-Geschlechtsinkongruenz-und-dysphorie-im-Kindes-und-Jugendalter. Online verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/150071/Neue-S2k-Leitlinie-zu-Geschlechtsinkongruenz-und-dysphorie-im-Kindes-und-Jugendalter-vorgestellt, Zugriff am 23. 04. 2023.

NHS England & NHS Improvement (Hrsg.) (2024): The Cass Review. Online verfügbar unter: https://cass.independent-review.uk/home/publications/final-report/, Zugriff am 23. 04. 2023.

Voigt, M. (2024): Wo endet Sexualpädagogik, und wo beginnt Mißbrauch? Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. 04. 2024, Nr. 83, 6.

Zepf, F. D., König, L., Kaiser, A., Ligges, C., Ligges, M., Roessner, V., Banaschewski, T. & Holtmann, M. (2024): Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2024), 1 – 21. Online verfügbar unter: https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000972, Zugriff am 23. 04. 2023.

1 Sexualpädagogik heute. Eine Kritik – Rückblick und Ausblick

Bernd Ahrbeck & Marion Felder

1.1 Einleitung

In der Pädagogik finden sich seit jeher Überlegungen, die sich mit der Rolle der Sexualität in der kindlichen Entwicklung beschäftigen und nach pädagogischen Antworten suchen. Das Bild der Sexualität hat sich dabei über die Jahrhunderte und Jahrzehnte erheblich gewandelt. Standen zunächst Gefahren und Fehlentwicklungen im Mittelpunkt des Interesses, die Sexualität galt als etwas Bedrohliches, so hat sich im Laufe der Zeit und nach zähem Ringen ein die Sexualität bejahendes Verständnis durchgesetzt.

Seit den späten 1960er Jahren ist die Sexualpädagogik schulisch und vorschulisch durch Richtlinien und Lehrpläne fest verankert, wobei ihr Ziel weit über eine reine Wissensvermittlung hinausgeht. Kinder sollen emotional angesprochen und ihnen sexuelle Themen nahegebracht werden, die für ihr eigenes Leben bedeutsam sind. Zunehmend gewann die individuelle Selbstbestimmung an Gewicht, unterschiedliche Ausrichtungen der Sexualität und Sexualpraktiken wurden miteinbezogen, was einen wichtigen Fortschritt darstellt.

Während die Aufklärung früher noch in der elterlichen Hand lag, sind inzwischen institutionelle Einflüsse hinzugetreten. Beide sollen, so war es ursprünglich geplant, in einem gleichwertigen Ergänzungsverhältnis stehen, das elterliche Recht und die Verpflichtung zur Erziehung sowie ein staatlicher Erziehungsauftrag, der eigene Akzente setzt. Ob ein solches Gleichgewicht heute noch besteht, bedarf einer genaueren Überprüfung. Seit längerem wird das Feld von der neo-emanzipatorischen Sexualpädagogik beherrscht, die auch als »Sexualpädagogik der Vielfalt« in Erscheinung tritt. Sie hat eine Richtung eingeschlagen, die bei vielen Eltern ebenso wie in der öffentlichen Wahrnehmung auf erhebliche Kritik gestoßen ist. Ihr wird vorgeworfen, sie würde Kinder altersinadäquaten Themen aussetzen, sie überfordern und verstören, Grenzen niederreißen und in persönliche Intimbereiche eindringen. Die Sexualpädagogik der Vielfalt setze dabei Schwerpunkte, die Randgruppen überrepräsentieren, die Interessen und Lebensformen der Bevölkerungsmehrheit aber viel zu wenig beachten. So, als sei die klassische Familie zu einem Auslaufmodell geworden (Ahrbeck & Felder 2020).

Nach 1968: Das ist ein gutes Stichwort, denn diese Jahreszahl steht für einen Aufbruch, der die damalige Ordnung erschüttert hat. Die Befreiung der Sexualität aus den Fesseln der bürgerlichen Spießigkeit, so lautete die Losung. Dabei ging es nicht nur um die Sexualität im engeren Sinne, sondern auch um das weitreichende Versprechen, die sexuelle Revolution könne zu einer allgemeinen Befreiung des Menschen beitragen, wie Wilhelm Reich (1936) bereits in den 1930er Jahren behauptet hatte.

Allerdings meldeten sich bereits früh Stimmen zu Wort, die das für eine Illusion hielten, wie zum Beispiel Reimut Reiche, der 1971 den Bestseller »Sexualität und Klassenkampf« verfasst hatte. Herbert Marcuse (1968) hielt die befreite Sexualität für ein Phänomen, das mit der damals so heftig kritisierten kapitalistischen Herrschaftsform durchaus kompatibel ist. Unter dem Begriff der repressiven Entsublimierung beschreibt er, dass die Anpassungsbereitschaft steigt, wenn lebensgeschichtlich kaum noch Grenzen gesetzt werden. Unterbleibt der Kampf um das Sexuelle, steht nichts mehr im Weg, das erstritten werden muss, entstünden strukturell geschwächte Persönlichkeiten, die dann umso leichter zu manipulieren seien, »die Gesellschaft hat nicht die individuelle Freiheit erweitert, sondern ihre Kontrolle über das Individuum« (Marcuse 1968, S. 102). Das ist Marcuses resignative Einsicht, der sein Interesse zunehmend auf gesellschaftliche Randgruppen verschob, denen ein revolutionäres Potenzial attestiert wurde.

Guillebaud (1999) spricht aus einer anderen Perspektive von einer »Tyrannei der Lust«. Er bezeichnet damit eine Kehrseite der sexuellen Freizügigkeit, die zu neuen Zwängen führt. Die Lust, ehemals verboten, wird jetzt zur Pflicht. »Sex ist zum Hintergrundrauschen unseres Alltags geworden« (Guillebaud 1999, S. 13). Nun, da nichts mehr untersagt ist, steht die ständige Anforderung im Raum, den hohen eigenen und fremden Erwartungen zu entsprechen. Nach allzeitiger Bereitschaft, perfektem Funktionieren, Offenheit und Tabulosigkeit. All das kann überfordernd sein, als grenzen- und strukturlos erlebt werden, zu Rückzug und Resignation führen. Nicht zufälligerweise ist die sexuelle Lustlosigkeit zu einem wichtigen Thema geworden. Oder es kommt, wie Guillebaud ebenfalls anmerkt, zu einer Rückkehr zu strengen Regeln, einem mitunter unerbittlichen moralischen Rigorismus, der heute ebenfalls zu verzeichnen ist. Nicht nur aufgrund des Erschreckens über eine pädophile Grenzenlosigkeit und andere Formen der sexuellen Gewalt, sondern auch, weil die Sexualität selbst gefährlich erscheint, da sie reichlich Anlässe für Missverständnisse, Verstrickungen und Verletzungen bietet. Deshalb der Wunsch nach Kontrolle, verbindlichen Absprachen, der Zähmung des vor allem männlichen Triebhaften. Es ist schon bemerkenswert, wie sehr sich die Idee, die Sexualität sei genuin gefährlich, durch die Hintertür wieder eingeschlichen hat.

Im Rückblick haben sich die hohen Erwartungen nicht erfüllt. Weder verlief die sexuelle Emanzipation in sich widerspruchsfrei noch trug sie kraftvoll zu politischen Bewegungen bei. Dennoch sind die alten Sehnsüchte zurückgekehrt, nun – wie von Bruckner und Finkielkraut (1979) erwartet – ausgerichtet auf spezielle Personengruppen, ihren Wunsch nach Anerkennung und gesellschaftlicher Akzeptanz. Mehr noch, ihren Anspruch, im besonderen Maße für den gesellschaftlichen Fortschritt zu stehen. All diejenigen, die außerhalb der Heterosexualität stehen, nehmen inzwischen in der öffentlichen Wahrnehmung einen prominenten Platz ein. Sie sind aus dem Schatten des Verborgenen herausgetreten, vertreten ihre Interessen offensiv und stoßen sehr oft auf eine positive Resonanz. Die Reihe LSBQ ist längst um ein Pluszeichen erweitert worden, das eine noch größere Vielfalt von Objektwahlen und Geschlechtsidentitäten signalisieren soll. Diese Entwicklung wird von der Sexualpädagogik aufgenommen und ihrerseits vorangetrieben.

Ein Fortschritt besteht darin, dass früher tabuisierte oder nur am Rand behandelte Themen nunmehr stärker beachtet werden. Homosexuelle befanden sich noch vor einigen Jahrzehnten in einer prekären Lage. Sozial wurden sie diskriminiert und bis 1969 bestand in Westdeutschland die Möglichkeit, sie strafrechtlich zu verfolgen. Zu einer vollständigen Streichung des Paragraf 175 kam es erst 1994. Die Weltgesundheitsorganisation hatte die Homosexualität 1990 als Krankheitskategorie getilgt. Insofern mussten Homosexuelle einiges erleiden und es bedurfte harter Kämpfe, bis sich ihre Situation besserte. Inzwischen hat sich die Situation grundlegend gewandelt. Die Gesellschaft ist sehr viel toleranter geworden. Von bedauerlichen Ausnahmen abgesehen, ist jetzt ein freies Leben möglich, freier jedenfalls als jemals zuvor.

Transidentität und Transsexualität sind zu einem viel beachteten Thema geworden, medial und im wissenschaftlichen Diskurs. Über das Anliegen von Menschen, die ihr Geschlecht wechseln wollen, wird inzwischen offen gesprochen. Es verbleibt nicht mehr wie früher weitgehend im Dunkeln. Auch hier wurden Diskriminierungen abgebaut und der Toleranzrahmen hat sich unübersehbar geweitet. Bestehende Einschränkung, die verfassungsrechtlich beanstandet wurden, werden im Rahmen neuer Gesetzgebungen aufgegriffen und beseitigt.

Die gesellschaftliche Öffnung ist zu einer Leitlinie der Moderne geworden, die Akzeptanz von Vielfalt ihr Credo. Das gilt nicht nur für die Objektwahl und Fragen des körperlichen Selbst, sondern auch für sexuelle Präferenzen, die sich in speziellen Praktiken niederschlagen, sadomasochistischen zum Beispiel. Den früheren Perversionen, heute Paraphilien genannt, wird mit dem Erscheinen der DSM-5 (2013) ebenfalls kein zwingender Krankheitswert mehr zugeschrieben. Frühere Generationen hätten sich wohl kaum vorstellen können, mit welcher Gelassenheit heute auf diese Phänomene reagiert wird, jedenfalls von der übergroßen Mehrheit der Gesellschaft. Und dennoch kehrt keine Ruhe ein. Das Erreichte scheint nicht auszureichen, weit über das hinaus, was weiterhin als Reformbedarf besteht. Mitunter wird der Eindruck erzeugt, als lebten wir in einer überaus bedrückenden Gegenwart, in Zeiten, die noch nie so repressiv waren, wie sie es heute sind (ausführlich Ahrbeck 2024). Dementsprechend heftig wird ein Veränderungsbedarf deklariert, der auch in die Sexualpädagogik eingreift und sie zu einem Vehikel kultureller Veränderung machen will. Inhaltlich ist eine Annäherung an die Queer-Theorie erfolgt, die eine Neuordnung der Geschlechterverhältnisse im Sinn hat.

1.2 Juristische Rahmung und Grundsätze

Die Sexualerziehung in der Schule wird durch eine Vielzahl von Gesetzen geregelt. Aufgrund der Kulturhoheit der Bundesländer kommt in Deutschland den länderspezifischen Richtlinien und Lehrplänen besondere Bedeutung zu. Internationale Konventionen wie die UN-Kinderrechtskonvention mit dem Art. 2 (Diskriminierungsverbot), Art. 13 (Meinungs- und Informationsfreiheit) und Art. 19 (Schutz vor Gewalt) bilden dafür den Rahmen. Ebenso wie das Grundgesetz mit Art. 3 (Diskriminierungsverbot). Besonders wichtig ist der Art. 6, Abs. 2 GG, der das elterliche Erziehungsrecht garantiert: »Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.«

Es ist also die Sache der Eltern, ihre Kinder so zu erziehen, wie es ihren weltanschaulichen oder auch religiösen Vorstellungen entspricht. Daneben steht der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule. 1968 erließ die westdeutsche Kultusministerkonferenz einen ersten Erlass zur Sexualaufklärung in Schulen. In der DDR war der Sexualkundeunterricht schon seit 1959 in den Schulen verankert (von Leszczynski 2019). Schließlich erfuhr die sexuelle Aufklärung eine weitere staatliche Legitimation durch die Verabschiedung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes von 1992, besonders durch § 1 Sexualaufklärung (Verhütung und Familienplanung). Aktualisierungen erfolgten 1995 und 2022.

Der Begriff Sexualpädagogik kommt im Schwangerschaftskonfliktgesetz nicht vor. Dennoch interpretieren Vertreterinnen und Vertreter der aktuell dominierenden (neo-)‌emanzipatorischen Sexualpädagogik (Stichwort: »sexuelle Bildung«) den Text in eigenem Interesse so: »Mit dem Jahr 1992 schreibt erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik ein Bundesgesetz Sexualpädagogik fest« (Sielert 2015, S. 19). Das hat dazu geführt, dass sich der Rahmen immens ausgedehnt hat, ohne dass sich die staatlich Zuständigen daran störten. Weit über die Verhütung von Schwangerschaftskonflikten hinausgehend, gelang es den Sexualpädagogen durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Mittel für Projekte und Materialien einzuwerben, die zwar sexualpädagogisch relevant sein mögen, aber ganz andere Gebiete betreffen wie etwa den Umgang mit der »Sexualität« von Säuglingen und Kleinkindern.

Sexualerziehung in der Schule war von Beginn an mit Widerständen von Eltern und anderen an Erziehung Beteiligten oder Interessierten verbunden. Sie steckt bis heute in einem Dilemma. Auf der einen Seite steht der Auftrag einer Gefahrenabwehr, historisch etwa anhand von HIV-Infektionen oder aufgrund vom Missbrauchsskandalen, die sich durch die Jahrzehnte ziehen. Anderseits soll eine positive Sicht auf Sexualität vermittelt werden (von Leszczynski 2019). Dieser Spannungsbogen beschäftigt insbesondere Sexualpädagogen und Fachkräfte, die an Schulen in der Prävention des sexuellen Missbrauchs arbeiten (Christmann, Lamour, Wazlawik, Schmidt & Dekker 2021). Sexueller Missbrauch ist ein allgegenwärtiges und bedrückendes Thema. Hinzu kommt, dass bereits Grundschüler pornografisches Material mit oftmals verstörendem Inhalt konsumieren, was sich in ihrem Verhalten niederschlägt (Ross 2023).

Mit dem Verhältnis von staatlichen Rechten und denen der Eltern hat sich das Bundesverwaltungsgerichts 2008 infolge einer elterlichen Klage auseinandergesetzt. Dabei verweist es erneut auf die nach wie vor bindende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1977. Im Wortlaut: