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Als Kind wurde London Danvers aus dem Haus ihrer Eltern entführt. Seither haben immer wieder Frauen vorgegeben, die verschwundene Erbin der Hotel-Dynastie Danvers zu sein. Auch Adria Nash behauptet dies und kennt sogar Details, von denen nur London selbst wissen kann. Adria ist wild entschlossen, ihre Identität zu beweisen … Doch sie weiß nicht, dass es jemanden gibt, der ihr glaubt. Jemanden, der sie beobachtet. Jemanden, der nur darauf wartet, zu sehen, wie sie rennt … wie sie schreit … wie sie stirbt! Action und Thrill - Mörderische Spannung bei Knaur.
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Seitenzahl: 745
Lisa Jackson
Wehe dem der Böses tut
Thriller
Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Hartmann
Knaur e-books
Adria versuchte das Gefühl abzuschütteln, dass etwas nicht stimmte, zögerte jedoch sekundenlang, als sie nach dem Türknauf griff. Die Angst ließ ihre Hand mit dem Schlüssel mitten in der Bewegung verharren. So albern es auch sein mochte, sie hatte das unheimliche Gefühl, dass jemand oder etwas kürzlich in böser Absicht hier gewesen war. Eine düstere Vorahnung jagte ihr kalte Schauer über den Rücken.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Zachary so dicht hinter ihr, dass sie seinen Atem im Nacken spürte.
»Nein, nein, alles in Ordnung.«
»Soll ich vorangehen?«
»Nein, ich glaube, das schaffe ich selbst. Hör auf mit diesen Bodyguard-Allüren, ja?« Sie rang sich ein halbherziges Lächeln ab, steckte den Schlüssel ins Schloss und stieß mit der Schulter die Tür auf.
Adria trat einen Schritt ins Zimmer. Als ihr Blick an dem mannshohen Spiegel neben dem Schrank hängen blieb, stockte ihr schier das Herz und sie konnte nur mit Mühe einen Aufschrei unterdrücken. »O Gott«, hauchte sie entsetzt.
»Was ist?«, wollte Zach wissen und drängte sich an ihr vorbei, doch bei dem Anblick, der sich ihm bot, blieb er ebenfalls wie vom Donner gerührt stehen.
Der Spiegel war gesplittert und blutverschmiert, als hätte jemand mit der bloßen Faust hineingeschlagen. Auf das geborstene Glas war ein großes, verstümmeltes Foto von Adria geklebt. Ihr Kopf war vom Körper abgetrennt; der blutige Riss im Spiegel zog sich quer über ihren Hals. Ihre Augen waren ausgeschnitten und mit Blut gerändert, der Spiegel voller roter Schlieren, sodass Adria, wenn sie das Bild betrachtete, ihre eigenen Augen wie durch einen blutigen Schleier sah.
Sie begann zu zittern. »Welches Ungeheuer tut so etwas?«
Zach legte den Arm um ihre Schultern. »Jemand, der will, dass du von der Bildfläche verschwindest …«
1980
Heißes Wasser prasselte auf ihren nackten Rücken. Dampf erfüllte die große, gekachelte Kabine und beschlug die Glastür. Kat Danvers hoffte, unter der Dusche einen klaren Kopf zu bekommen, diese Lethargie und Benommenheit abspülen zu können, die Folge von zu vielen Drinks, mit denen sie eine Handvoll … oder waren es zwei? … ihrer Lieblingspillen hinuntergespült hatte.
Valium, Dicodid und Wodka – kein Wunder, dass ihr Verstand benebelt, ihr Blick getrübt war und ihr jede Bewegung unendlich mühsam erschien. Ein schlechter Geschmack stieg ihr in der Kehle auf, und sie hatte das Gefühl, als bewege sie sich durch Fließsand. Langsam atmete sie aus. Sie war kurz davor, sich übergeben zu müssen.
Jetzt hör schon auf damit, Kat. Reiß dich zusammen! Ihr Gewissen ließ keine Gelegenheit aus, sie zu plagen.
Sie schloss die Augen und stützte sich mit den Armen gegen die schlüpfrigen Kacheln. Das Wasser war so heiß, dass sie sich beinahe verbrühte. Sie musste nüchtern werden, und zwar schnell. So rasch sie konnte, drehte sie den Hahn. Mit einem Schlag wurde das Wasser eisig kalt und sie rang nach Luft. Für einen Augenblick wurde ihr Kopf ganz klar.
Und da spürte sie es – eine seltsame Empfindung, als ob sich etwas bewegte, und über das Rauschen der Dusche hinweg hörte sie einen schwachen, undefinierbaren Laut. Sie riss die Augen auf und spähte durch das beschlagene Glas. Sah sie da einen Schatten an der offenen Tür zum Schlafzimmer? Oder bildete sie es sich nur ein? Gaukelten ihr müder, von Drogen betäubter Verstand, ihr verschwommener Blick ihr etwas vor? Sie brauchte ihre Kontaktlinsen oder die Brille.
Wahrscheinlich war da gar nichts.
Trotzdem überlief ihren nassen Körper eine Gänsehaut, die nicht nur durch das kalte Wasser verursacht war.
»Alles Einbildung«, murmelte sie, drehte jedoch den Wasserhahn zu. Zitternd und tropfnass stand sie da, ohne sich zu rühren, und lauschte.
Nichts. Nur das stetige Tropfen aus dem Duschkopf, das leise Summen der Heizung, die Weihnachtsmelodien aus den verborgenen Lautsprechern – und weiter entfernt, gedämpft, das leise Rauschen des Stadtverkehrs. Aber kein Geräusch von Schritten auf dem hochflorigen Teppich der Präsidentensuite, kein Klappern des Servierwagens vom Zimmerservice, kein Klicken eines Schlüssels im Schloss … nichts Beunruhigendes.
Träge öffnete sie die Glastür und griff nach ihrem Bademantel.
»Mama …«
Ein dünnes Stimmchen. Eine Mädchenstimme.
Kats Herz setzte einen Schlag aus. Sie erstarrte.
Nein! Das konnte nicht sein. Sicher spielte ihre Wahrnehmung ihr wieder mal einen Streich … die Kombination aus Drogen und Alkohol …
»Mama?«
O Gott.
Kats Knie drohten nachzugeben.
Hastig stieg sie aus der Duschkabine und wäre beinahe auf dem schlüpfrigen Marmor ausgeglitten. Die Melodie von »Stille Nacht« erfüllte den Raum. »Baby?«, flüsterte sie.
Barfuß, eine nasse Spur hinterlassend, taumelte sie zur Tür. Im Gehen schob sie mühsam ihre Arme, die ihr nicht gehorchen wollten, in die Ärmel des Bademantels. Reiß dich zusammen! Es war nur wieder eine Halluzination, das weißt du genau. Dein Baby ist nicht hier. Komm zu dir! Kat hielt sich am Türrahmen fest und spähte ins Schlafzimmer. Das große Doppelbett war zerwühlt, eine schmale Delle war auf der Bettdecke zu sehen, wo sie kurz zuvor eingeschlafen war. Ihr fast leeres Glas stand beschlagen auf dem Nachttisch neben zwei ebenfalls leeren Tablettenröhrchen.
Der Schrank stand einen Spalt offen, darin hingen ihre Kleider ordentlich auf hoteleigenen Bügeln.
»Mama?«, drang es klar und deutlich durch die offenen Fenstertüren herein.
»Oh, Liebling«, rief Kat, und ihre Stimme brach. Sie fuhr hastig – zu hastig – zum Wohnbereich herum, stürzte gegen den Nachttisch und schürfte sich den Arm und die Wange auf. Die antike Lampe fiel zu Boden, die Glühbirne zersprang.
Glaub es nicht, Kat! Glaub nicht, dass sie lebt. Wage es nicht, deinem dummen Herzen zu trauen.
Doch ein Fünkchen Hoffnung nistete sich trotz allem in ihrem Herzen ein. Als sie wieder auf die Füße kam, drehte sich der Raum um sie. Kat blinzelte heftig, bemühte sich vergebens, das Schwindelgefühl unter Kontrolle zu bringen. Nichts deutete auf einen Eindringling hin, alles war an seinem Platz. Auf einem Glastisch standen Blumen und ein Obstkorb, zwei Queen-Anne-Stühle und ein kleines Zweiersofa waren um den antiken Kamin gruppiert, in dem ein behagliches Feuer brannte.
Kein finsterer Unbekannter lauerte in den Schatten.
Und auch ihre Tochter wartete nicht auf sie.
Natürlich nicht – ihre Einbildung, ihr Verfolgungswahn hielten sie nur wieder einmal zum Narren. Sie war drauf und dran, den Verstand zu verlieren. Als sie flüchtig ihr verschwommenes Bild im Spiegel sah, verzog sie das Gesicht. Zerzaustes, nasses Haar, ein magerer Körper in einem zu großen Bademantel, kein Make-up, die ehemals schönen Gesichtszüge verhärmt von Schmerz und Schuldgefühlen. Bei dem Anblick traten ihr Tränen in die Augen. Sie verlor langsam, aber sicher den Verstand.
Kat wischte sich mit dem Handrücken die Nase und schalt sich selbst eine Närrin. Ausgerechnet sie, eine Frau, die immer gewusst hatte, was sie wollte, und es sich genommen hatte. Die sich mit ihrer Schönheit und ihrem Verstand den reichsten Mann in Portland geangelt hatte. Sie, die noch vor kurzer Zeit alles gehabt hatte, was eine Frau sich wünschen konnte. Jetzt war von all dem nichts mehr geblieben als Scherben bitterer Erinnerungen, schlaflose Nächte und endlose Stunden, in denen sie den Schmerz mit rezeptpflichtigen Medikamenten und Alkohol zu betäuben suchte.
Sie band den Gürtel ihres Bademantels straffer um ihre schmale Taille. Da spürte sie einen Luftzug, einen leisen Hauch, der ihren Nacken streifte. Kat sah sich um und bemerkte, dass sich die Vorhänge an den Balkontüren bewegten. Aber sie hatte die Fenstertüren doch geschlossen, bevor sie unter die Dusche ging … oder? Ihren Drink hatte sie auf dem kleinen Balkon genommen, hatte über die Stadt hinweggeschaut, an Selbstmord gedacht und diesen Schritt dann als zu dramatisch, zu beängstigend, zu erniedrigend verworfen.
Warum waren die Türen jetzt geöffnet?
Hatte sie sie nicht verriegelt, nachdem sie ins Zimmer zurückgekehrt war? Doch, ganz gewiss … Sie hatte abgeschlossen, noch einen letzten Schluck von ihrem Drink genommen und das Glas dann auf dem Nachttisch abgestellt, bevor sie sich auszog und ins Bad wankte. So war es doch gewesen …?
Oder brachte sie alles durcheinander?
Weshalb konnte sie sich nicht erinnern?
Warum war alles so verschwommen?
Vielleicht hatte sie sich nur eingebildet, sie habe die Tür abgeschlossen.
Vielleicht hatte sie, als sie unter der Dusche stand, wirklich jemanden in diesen Zimmern gehört.
Ihre Kehle wurde trocken.
Wieder spürte sie, dass jemand da war.
Etwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Sie streckte die Hand nach dem Telefon aus.
»Mama.«
Eine dünne, verängstigte Stimme.
Kat blieb beinahe das Herz stehen. »London? Baby?« Die Stimme kam vom Balkon, drang durch den Türspalt ins Zimmer. Das war doch verrückt. Sie sollte den Sicherheitsdienst des Hotels rufen. Die Polizei.
Wie schon einmal?
Damit dich alle ansehen, als hättest du den Verstand verloren?
Damit sie bedeutungsvolle Blicke wechseln, wenn sie die Röhrchen auf dem Nachttisch bemerken?
Damit sie dir raten, dich jemandem »anzuvertrauen«?
Möchtest du das noch einmal durchmachen?
Nein.
Mit heftig pochendem Herzen tastete sie sich zur Balkontür, deren Vorhänge sich im kühlen Dezemberwind leicht blähten. Durch den hauchdünnen Stoff sah sie einen dunklen Schatten. Klein. Zitternd.
London?
Liebstes, heißgeliebtes Kind!
Kat riss die Tür auf.
Ein frostiger Windstoß schlug ihr entgegen.
Eine Kakophonie aus Straßenlärm, Verkehrsgeräuschen, Musik und Stimmen scholl bis zum neunzehnten Stock herauf.
Die zusammengekauerte Gestalt regte sich.
»Oh, Schätzchen …«, flüsterte Kat, und plötzlich war ihre Kehle wie zugeschnürt.
Drinnen ging das Licht aus.
Die Gestalt wandte sich ihr zu, und trotz ihrer Benommenheit und des Halbdunkels über der Stadt erkannte sie die Züge: Es war nicht das Gesicht ihrer verschollenen Tochter, sondern das einer verräterischen, bösartigen, verschlagenen Person.
»Du«, fauchte sie und wollte sich abwenden, schlug blindlings um sich in dem Versuch zu entkommen.
Zu spät.
Starke Finger packten ihre Schultern und mit der Kraft wilder Entschlossenheit stieß die Gestalt sie an die niedrige Balkonbrüstung. Kat schrie. Ihre Knie schrammten gegen die hundert Jahre alten Backsteine; verzweifelt suchte sie nach einem Halt, jedoch vergebens. Ihr Angreifer warf sich mit aller Macht gegen ihren Rücken, schleuderte sie nach vorn, dichter an den Abgrund und an die zerbröckelnde … »Nein! O Gott, nein!«, schrie Kat, als sie aus den Augenwinkeln eine behandschuhte Hand sah, die ein Stück Ziegel umklammerte. Kat zuckte zurück.
Bam!
Schmerz explodierte hinter ihren Augen und Dunkelheit umfing sie. Ihre Beine gaben nach, doch ihr Angreifer hielt sie aufrecht, stieß sie nach vorn gegen das Geländer, das unter dem Anprall nachgab.
Und dann stürzte sie plötzlich, fiel durch die kalte Nachtluft …
Wenn sie sich doch nur erinnern könnte. Wenn sie doch die Wahrheit wüsste.
Wenn sie doch sicher wäre, dass ihre Mission nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Sie blickte zum dunklen Oktoberhimmel Oregons auf und spürte die sanfte Feuchtigkeit des Nebels auf dem Gesicht. Hatte sie schon jemals so den Kopf in den Nacken gelegt, bis sich der Nebel auf ihre Lippen und Wangen legte? Hatte sie an genau dieser Straßenecke gestanden, gegenüber dem alten Hotel Danvers, und an der Hand ihrer Mutter darauf gewartet, dass die Ampel auf Grün schaltete?
Der Verkehr strömte an ihr vorbei, unter den Rädern der Autos und Busse stoben Wasserfontänen auf. Obwohl sie sich fest in ihren Mantel hüllte, fröstelte sie, jedoch nicht wegen der kalten Herbstluft oder des Windes, der vom modrigen Willamette River ein paar Blocks weiter östlich herüberwehte. Nein, was sie frösteln ließ, waren die Gedanken an ihren Plan – ihr Schicksal, wie man ihr gesagt hatte. Sie wusste, dass ihr der Kampf ihres Lebens bevorstand.
Doch sie hatte sich nun einmal darauf eingelassen und konnte jetzt nicht aufgeben. Sie war hunderte Meilen gereist, war emotional durch die Hölle gegangen, während sie stundenlang, tagelang in mühseliger Kleinarbeit Bibliotheken und Zeitungsarchive überall im Nordwesten durchstöberte. Sie hatte jede Chronik, jeden Artikel, jede Schlagzeile über die Familie Danvers gelesen, die sie finden konnte.
Und nun sollte ihr Plan Früchte tragen. Oder sie ins Verderben stürzen. Sie blickte an dem Hotel hinauf: sieben Stockwerke viktorianischer Baukunst, um die Jahrhundertwende eines der größten Gebäude der Stadt, nun jedoch von neueren Bauwerken aus Beton und Stahl überragt, Wolkenkratzern, die sich majestätisch über den schmalen Straßen der Innenstadt erhoben. »Gott steh mir bei«, flüsterte sie. Trotz seiner Schönheit wirkte das Hotel Danvers doch irgendwie feindselig, als bewahrte es düstere Geheimnisse – Geheimnisse, die ihr Leben für immer verändern konnten.
Was für eine alberne Vorstellung.
Dennoch vermochte Adria die Kälte nicht abzuschütteln.
Ohne länger abzuwarten, lief sie bei Rot über die Ampel. Ein heftiger Windstoß riss ihr die Kapuze vom Kopf. Das Tageslicht wurde bereits schwächer, die wolkenverhangene Sonne senkte sich hinter die Berge im Westen, wo inmitten üppig grüner Waldlandschaft vereinzelt teure Landhäuser standen.
Das Hotel Danvers war bereits seit Monaten wegen Restaurierung für den Publikumsverkehr geschlossen. Nun waren die Arbeiten beinahe vollendet und bald würde das Hotel sich wieder in seiner früheren Großartigkeit präsentieren. In den vergangenen zwei Tagen hatte Adria beobachtet, wie Lieferwagen Tische, Stühle und andere Möbel zum Service-Eingang gebracht hatten. Heute waren für die große Neueröffnung am Wochenende Tischwäsche, Gläser und sogar Lebensmittel geliefert worden.
Gerüchten zufolge hielt sich der gesamte Danvers-Clan – Witt Danvers' erste Frau und seine vier noch lebenden Kinder – in der Stadt auf. Gut so.
Böse Vorahnungen krampften ihren Magen zusammen wie eine kalte Faust. Seit sie von der Schließung und der bevorstehenden Wiedereröffnung des Hotels gehört hatte, plante sie ihre Einführung in die Familie. Doch vorher musste sie, um das Terrain zu sondieren, mit dem Mann sprechen, der den Umbau des Hotels leitete: Zachary Danvers, der Rebell der Familie, Witts zweiter Sohn. Nach allem, was in der Presse berichtet worden war, hatte Zachary sich nie so recht eingefügt. Die Familienähnlichkeit der Danvers', die bei seinen Geschwistern so unübersehbar war, trat bei ihm nicht zutage. Außerdem war er in seiner Jugend mehr als einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Nur das Vermögen seines alten Herrn hatte Zachary vor ernsthaften Schwierigkeiten bewahrt, und es wurde gemunkelt, er sei nicht nur das ungeliebteste von Witts Kindern, sondern werde auch in seinem Testament kaum bedacht.
Ja, Zachary war der Mann, den sie zuerst aufsuchen musste. Sie hatte sich sein Foto gut eingeprägt, sodass sie ihn sicher auf Anhieb erkennen würde. Etwas über einsachtzig groß, mit pechschwarzem Haar, bräunlichem Teint und tief liegenden grauen Augen unter dichten Brauen, war er der einzige von Witt Danvers' Söhnen, der seinem Vater nicht ähnlich sah. Er war schmaler gebaut als die übrigen Männer der Familie, und seine Gesichtszüge wirkten wie aus dem Stein der Klippen gemeißelt, die sich über dem Pazifik erhoben. Er war ein schroffer Kerl, zäh wie Leder, mit einem harten Mund, der auf Fotos kaum jemals lächelte. Über dem rechten Ohr hatte er eine Narbe, die durch den Haaransatz verlief, und seine gebrochene Nase zeugte von einem ungestümen Temperament.
Durch eine Seitentür, die für die Arbeiter geöffnet war, gelangte Adria in das Foyer, wo gerade zwei Männer unter dem Gewicht eines langen, in Folie verpackten Sofas ächzten. Sie hörte Stimmen im Hintergrund, sah Hotelangestellte und Handwerker zwischen dem Speisesaal und der Küche gegenüber der Eingangstür hin und her eilen. Der Geruch von Reinigungsmitteln, Terpentin und Möbelpolitur schlug ihr entgegen und das Kreischen einer Säge mischte sich in das Summen von Industriestaubsaugern.
Während die Arbeiter das Sofa an einem riesigen Kamin abstellten, blieb Adria im Foyer stehen und sah sich um. Dieses Hotel war einmal das prächtigste in ganz Portland gewesen, ein Versammlungsort für Würdenträger und Stadtväter, an dem Entscheidungen getroffen und Zukunftspläne geschmiedet wurden. Sie hob den Blick zu den kunstvollen Bleiglasfenstern über den Außentüren, die die letzten Strahlen des Tageslichts einfingen und bernsteinfarbene, rosige und blaue Flecken auf den Fliesenboden vor dem Empfangstresen warfen.
Adria schluckte krampfhaft, doch der Kloß in ihrem Hals wollte nicht verschwinden. Dieses Hotel war ihr Erbe. Ihr Geburtsrecht. Ihre Zukunft.
Oder nicht?
Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Entschlossen ging sie auf die breite, geschwungene Treppe zu, die hinauf zur Galerie führte.
»He, Sie da! Lady, hier ist geschlossen!« Die tiefe Stimme gehörte zu einem kräftigen, grobschlächtigen Mann, der auf einem Gerüst unter dem Treppenabsatz des ersten Stockwerks stand und sich an dem Kronleuchter über dem Empfangstresen zu schaffen machte.
Adria ignorierte ihn und stieg die mit Teppich ausgelegte Treppe hinauf.
»Hey, ich rede mit Ihnen!«
Sie zögerte, eine Hand auf dem Geländer. Ihr Vorhaben versprach nicht einfach zu werden, doch der Elektriker war nur ein unbedeutendes Hindernis. Das erste von vielen. Mit einem entwaffnenden Lächeln drehte sie sich um und straffte die Schultern. »Sind Sie Zachary Danvers?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort kannte.
»Nein, aber …«
»Sind Sie mit den Danvers' verwandt?«
»Was soll das?« Der Handwerker sah sie unter seinem Schutzhelm hervor finster an. »Nein, natürlich nicht, aber Sie dürfen da nicht raufgehen!«
»Ich habe eine Verabredung mit Zachary Danvers«, erklärte sie, kühle Autorität in der Stimme.
»Eine Verabredung?«, wiederholte der Elektriker skeptisch.
Sie hielt seinem Blick stand. »Ja, eine Verabredung.«
»Das ist mir neu. Ich bin sein Vorarbeiter und er hat mir nichts davon gesagt.« Der Mann musterte sie mit Argwohn.
»Vielleicht hat er es vergessen«, entgegnete Adria und zwang sich zu einem unterkühlten Lächeln. »Aber ich muss mit ihm oder einem anderen Mitglied der Familie Danvers reden.«
»Er kommt ungefähr in einer halben Stunde zurück«, sagte der Mann widerwillig.
»Ich werde auf ihn warten. Im Ballsaal.«
»Hey, ich glaube nicht …«
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, eilte Adria die übrigen Treppenstufen hinauf. Der hochflorige Teppich verschluckte das Geräusch ihrer Schritte. Ihr Atem ging flach vor Nervosität.
»Scheiße«, fluchte der Mann leise, blieb jedoch auf dem Gerüst und setzte seine Arbeit fort. »Verdammte Weiber …«
Adrias Herz schlug so heftig, dass sie kaum zu atmen vermochte, doch am oberen Treppenabsatz angekommen, wandte sie sich zielstrebig nach links und stieß eine Doppeltür auf. Es war dunkel in dem Raum. Ihre Kehle wurde eng und sie tastete rasch nach dem Lichtschalter.
Plötzlich tauchten hunderte Miniaturkerzen in Kristalllüstern den gesamten Saal in strahlendes Licht. Ihr stockte der Atem beim Anblick des polierten Eichenbodens, der hohen Bogenfenster und des schwindelerregenden Lichtes von einer Million kleiner Glühbirnen, das sich im Kristall brach.
Sie spürte einen Kloß im Hals und musste blinzeln, um die Tränen zurückzuhalten. Hier war es geschehen? Hier war ihr junges Leben aus der vorbestimmten Bahn gerissen worden, einer ungewissen Zukunft entgegen?
Warum? Sie nagte an ihrer Unterlippe. Lieber Himmel, weshalb konnte sie sich nur nicht erinnern?
Der Oktoberregen tropfte aus seinem Haar in den Kragen seiner Jacke. Totes Laub klebte auf dem Gehsteig, dichter Oktobernebel schien von den nassen Straßen aufzusteigen und sich an den Häuserecken zu verdichten. Autos, Lieferwagen und LKW donnerten vorüber. Ihre Scheinwerfer durchdrangen schwach den von Straßenlaternen erhellten Dunst.
Zachary Danvers war übel gelaunt. Dieses Projekt hatte sich zu lange hingezogen, er hatte zu viel Zeit damit vergeudet. Das war es nicht wert, auch wenn er einen gewissen Stolz auf seine Leistungen empfand. Hier zu arbeiten, diese Restaurierung zu leiten gab ihm das Gefühl, ein Heuchler zu sein. Er war froh, dass die Arbeiten so gut wie abgeschlossen waren. Leise auf sich selbst, seine Brüder und vor allem auf seinen verstorbenen Vater fluchend, öffnete er die Glastür des alten Hotels. Ein Jahr seines Lebens hatte er hier verbracht. Ein ganzes Jahr – und das nur wegen eines Versprechens, das er vor ein paar Jahren am Sterbebett seines Vaters geleistet hatte. Aus Habgier.
Bei dem Gedanken stieg es ihm säuerlich in die Kehle. Vielleicht war er dem alten Herrn doch ähnlicher, als er sich eingestehen mochte.
Der kürzlich eingestellte Hotelmanager, ein nervöser Typ mit schütterem Haar und einem Adamsapfel, der ständig in Bewegung war, stand hinter einem langen Mahagonitresen, dem Prunkstück des Foyers, und wies einen neuen Mitarbeiter ein. Zachary hatte das geschundene Stück aus dunklem Holz in einer jahrhundertealten Kneipe in einem heruntergekommenen Haus abseits von Burnside entdeckt. Die Kneipe sollte abgerissen werden, doch Zach hatte sich entschieden, den Bartresen zu restaurieren. Die Arbeit war zeitraubend gewesen, aber nun schimmerte das einst verschrammte Mahagoni herrlich im Lampenlicht.
Sämtliche Installationen waren durch Antiquitäten oder sehr gute Nachbildungen ersetzt worden, und nun strahlte das Hotel den authentischen Charme der 1890er aus, gepaart mit den Annehmlichkeiten der 1990er.
Den Werbeleuten hatte diese Formulierung ausgezeichnet gefallen.
Warum er eingewilligt hatte, das alte Hotel zu renovieren, war ihm selbst immer noch ein Rätsel. Womöglich gar aus einem latenten Familienstolz heraus. »Scheiße«, knurrte er. Er war die Stadt mit ihrem Lärm und der schlechten Luft leid, vor allem aber war er seine Familie leid oder das, was von ihr geblieben war.
»Hey, Danvers!«, schrie sein Vorarbeiter Frank Gillette ihm von seinem Platz hoch oben auf dem Gerüst aus zu, als er ins Foyer trat. Gillette arbeitete gerade an der Verkabelung eines besonders launischen Kronleuchters. »Da sind Sie ja. Oben im Ballsaal wartet eine Frau auf Sie, schon seit über einer Stunde.«
Zachs Augen wurden schmal. »Was für eine Frau?«
»Hat sich nicht vorgestellt. Sie behauptet, sie hätte eine Verabredung mit Ihnen.«
»Mit mir?«
»Sagt sie.« Frank stieg die Leiter hinunter. »Mit mir konnte sie nicht reden, weil ich kein – wie war das – kein ›Mitglied der Familie Danvers‹ bin.«
Frank sprang zu Boden und rieb sich den Staub von den Händen. Dann zog er ein zerknittertes Taschentuch aus der Gesäßtasche und wischte sich damit unter seinem Schutzhelm den Schweiß ab.
Irgendwo aus der Nähe der Küche ertönte ein Scheppern, gefolgt vom Klappern von Besteck, das durch das gesamte Hotel hallte.
»Herrgott noch mal!« Frank hob ruckartig den Kopf und warf einen erbosten Blick in Richtung Küche. »Zum Teufel mit Casey.«
»Ist sie Reporterin?«
»Die Frau?« Frank klopfte seine Taschen nach Zigaretten ab. »Wenn ich das wüsste. Ich sag ja, sie wollte nicht mit mir reden, weil ich kein Danvers bin. Dabei hätte ich gar nichts dagegen gehabt, mich ein bisschen um sie zu kümmern.«
»Hübsch?«
Frank nickte. »Allerdings.«
»M-hm.«
»Hören Sie, ich hab keine Ahnung, was es mit der Dame auf sich hat, aber wenn wir sie nicht gerade eigenhändig hier rauszerren wollen, haben wir ein Problem. Das Betreten des Hotels ist verboten. Wenn sie ausrutscht und sich den Hals bricht und die Aufsichtsbehörde kriegt Wind davon …«
»Sie machen sich zu viele Sorgen.«
»Dafür bezahlen Sie mich schließlich.« Frank fand sein verknittertes Päckchen Camel und klopfte eine Zigarette heraus.
»Machen Sie nur ihre Arbeit. Ich kümmere mich um die Versicherung und um die Frau.«
»Gut.« Zufrieden ließ der Vorarbeiter sein Feuerzeug klicken und sog den Zigarettenrauch tief ein. »So, dann wollen wir mal sehen, ob das Ding jetzt funktioniert. Hey, Roy, schalte den Saft wieder ein.« Er griff hinter den Tresen und betätigte den Schalter für den Kronleuchter. Glühlampen in der Form von Kerzen leuchteten eine Sekunde lang auf, flackerten dann und verloschen. »Diese verdammten Leitungen«, knurrte Frank erbost. Die Zigarette hüpfte zwischen seinen Lippen. »Ich hab diesem Schwachkopf Jerry doch gesagt, er soll … ach, zum Teufel!« Gereizt blies er den Rauch durch die Nase aus. »Roy, mach den Strom wieder aus!«, brüllte er.
»Dann gehe ich jetzt mal rauf und rede mit der geheimnisvollen Dame.«
»Tun Sie das«, brummte Frank, drückte seine Zigarette aus und stieg wieder auf das Gerüst. Zach zweifelte nicht daran, dass rechtzeitig zur grandiosen Eröffnungsfeier alles perfekt funktionieren würde. Frank würde dafür sorgen, und wenn er persönlich zwei Drähte aneinanderhalten müsste.
Von der Treppe aus ließ Zach den Blick über das Foyer schweifen. Dabei dachte er an seinen Vater, Witt Danvers. Ein Mann, der einem den letzten Nerv rauben konnte.
Im Augenblick wäre Witt stolz gewesen auf den Sohn, den er ein halbes Dutzend Mal enterbt hatte. Nicht dass das jetzt noch einen Unterschied gemacht hätte – Witt Danvers war tot und kremiert, seine Asche war vor zwei Jahren über die bewaldeten Hügel Oregons verstreut worden. Ein angemessenes Ende für einen Bauholzbaron, der sein Leben lang das Land ausgebeutet hatte.
Zach rieb durch seine Lederjacke hindurch die Narbe an seiner Schulter, ein Andenken daran, dass er Witt Danvers' Sohn war. Es hatte Jahre gedauert, bis er mit dem alten Herrn auf einen grünen Zweig gekommen war, und jetzt war es zu spät für eine Wiedergutmachung.
»Ruhe in Frieden, du elender Schweinehund«, sagte Zachary vor sich hin und presste die Lippen zusammen, während er für einen Moment vor der Tür zum Ballsaal stehen blieb. Sein Vater hatte Zach immer anders behandelt als seine übrigen Kinder. Doch das brauchte ihn heute nicht mehr zu kümmern. Zach besaß sein eigenes Gewerbe, führte sein eigenes Leben. Die Schlinge um den Hals, die man als Sohn eines der reichsten Männer von Portland stets spürte, erschien ihm nicht mehr so eng.
Er öffnete die Tür, ging zwei große Schritte in den Ballsaal hinein und blieb dann beim Anblick der Frau wie vom Donner gerührt stehen. Sie trug einen langen schwarzen Mantel und dazu passende kniehohe Stiefel. Als sie ihn eintreten hörte, drehte sie sich um, und noch bevor sie ein Wort gesprochen hatte, wusste er, warum sie gekommen war.
Glänzende schwarze Locken umspielten ein makelloses Gesicht. Blaue Augen, eingerahmt von dichten schwarzen Wimpern, sahen ihm offen entgegen. Sie zog fragend die schmalen schwarzen Augenbrauen hoch, dann lächelte sie, und Zach hatte das Gefühl, als setze sein Herz einen Schlag aus beim Anblick der gleichmäßigen weißen Zähne, der zart geschwungenen Wangenknochen und des kräftigen, etwas eigenwilligen Kinns.
Atemlos starrte er sie an.
»Du bist Zachary«, sagte sie, als sei es ihr gutes Recht, in diesem Ballsaal zu stehen – als gehörte sie hierher.
Zachs Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet und lang verdrängte Erinnerungen wollten sich Bahn brechen. »Ganz recht.«
»Danvers«, vervollständigte sie mit leiser Stimme, und ihr Mund wurde ein wenig schmaler. Dann ging sie mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. »Ich wollte dich schon lange einmal kennenlernen«, sagte sie mit gezwungenem Lächeln. »Ich bin …«
»London«, vollendete er den Satz, und jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an, als der Schmerz der Vergangenheit über ihn hereinbrach.
»Du erkennst mich?« Hoffnung glomm in ihren blauen Augen auf.
»Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit. Ich habe geraten.«
»Oh.« Sie zögerte, war merklich verunsichert.
»Aber darum bist du hier, nicht wahr?«
»Ja.«
»Du hältst dich also für meine lang verschollene Schwester.« Der Zynismus in seinen Worten war nicht zu überhören.
Ihre klaren blauen Augen trübten sich und sie ließ die zum Gruß ausgestreckte Hand sinken. »Ich denke, dass ich es bin, aber ich weiß es nicht mit Sicherheit. Deswegen bin ich hergekommen.« Sie schien wieder zu ihrer früheren Selbstsicherheit zurückzufinden. »Mein Name ist schon seit langer Zeit Adria.«
»Du weißt es nicht?« Eine Minute lang starrte er wie gebannt in diese großen blauen Augen – Augen so ähnlich jenen anderen, trügerischen, die bis in den Grund seiner Seele zu blicken schienen. Doch dann besann er sich. Wie konnte er auch nur eine Sekunde lang glauben, diese Frau sei möglicherweise London? Erkannte er Betrügerinnen nicht längst auf eine Meile gegen den Wind? Schön, sie war also seiner Stiefmutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Na und? »Meine Schwester ist seit fast zwanzig Jahren tot«, sagte er in ausdruckslosem Ton, so, wie er mit Lügnern und Betrügern zu reden pflegte.
»Halbschwester.«
»Egal.«
Sie schaute sich im Saal um. »Ich wollte nur sehen, ob ich mich an diesen Ort erinnern kann …«
»London war vier.«
»Beinahe fünf. Und selbst Vierjährige haben Erinnerungen – vielleicht nur vage Eindrücke, aber dennoch …« Ihr Blick wanderte zu einer Ecke bei den Fenstern. »Dort in der Nische saß die Band und da standen Pflanzen … Bäume in Kübeln, glaube ich.« Sie zog die Augenbrauen zusammen, als versuchte sie, eine flüchtige Erinnerung zu greifen. »Und da war ein großer Brunnen und eine Skulptur aus Eis, ein … ein Pferd, das heißt … ein galoppierendes Pferd, und –«
»Du hast gründlich recherchiert.«
Sie presste die Lippen zusammen. »Du glaubst mir nicht.«
»Du solltest lieber gehen.« Zachary wies mit einer Kopfbewegung zur Tür. »London ist tot. Sie starb vor mehr als zwanzig Jahren. Also Schluss mit dem Theater – verschwinde, geh nach Hause, bevor ich dich vor die Tür setze.«
»Woher weißt du, dass London tot ist?«
Seine Kehle schnürte sich zu. Er erinnerte sich mit schmerzlicher Klarheit an die Vorwürfe gegen ihn, daran, wie man mit Fingern auf ihn gezeigt, ihm argwöhnische Blicke zugeworfen hatte. »Es ist mein Ernst. Du solltest jetzt gehen.«
»Mir ist es auch ernst, Zach.« Sie vergrub die Hände in den Taschen, sah sich noch einmal in dem Saal um und blickte ihm dann in die Augen. »Nur dass du's weißt: Ich gebe nicht so schnell auf.«
»Vergiss es.«
»Wer hat hier das Sagen?«
»Das spielt keine Rolle.« Seine Stimme klang hart, seine Miene drückte rücksichtslose Entschlossenheit aus. »Meinetwegen kannst du mit meinen Geschwistern reden, mit meiner Mutter oder mit den Anwälten, die sich mit dem Nachlass meines Vaters als Finanzgötter aufspielen – keiner von ihnen wird dich auch nur grüßen. Also spar dir die Mühe und vergeude nicht meine Zeit. Ich rate dir, geh einfach nach Hause.«
»Das hier könnte mein Zuhause sein.«
»Unsinn.«
»Schade, dass Katherine nicht mehr lebt.«
Bei der Erwähnung seiner schönen, viel zu jungen Stiefmutter überlief es Zachary kalt. Die Ähnlichkeit zwischen der Frau, die hier so selbstbewusst vor ihm stand, und der zweiten Ehefrau seines Vaters, Katherine, Kat – der Frau, die ihm jahrelang das Leben zur Hölle gemacht hatte –, war nicht zu übersehen. »Ist das wirklich schade oder doch eher günstig für dich?«, fragte er eisig.
Sie wurde ein wenig blass.
»Raus.«
»Du hast Angst vor mir.«
»Ich sagte: raus.«
Sie schaute ihm noch eine Sekunde lang eindringlich in die Augen, dann schritt sie durch die Tür des Ballsaals und die Treppe hinunter. Zachary trat ans Fenster und sah ihr nach, während sie mit langen, zielstrebigen Schritten durch den Regen die Straße entlangging.
Sie würde wiederkommen. Sie versuchten es immer von Neuem, so lange, bis sie vor der Macht der Danvers' kapitulieren und ihre kühnen Träume, ein wenig vom Geld des alten Herrn an sich zu bringen, aufgeben mussten.
Auf Nimmerwiedersehen, dachte er, doch als sie um eine Straßenbiegung verschwand, überkamen ihn dunkle Vorahnungen. Plötzlich wusste er mit beängstigender Sicherheit, dass diese hier – diese Hochstaplerin, die sich als London Danvers ausgab – irgendwie anders war als alle bisherigen.
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Liebling«, flüsterte Katherine Danvers ihrem Mann ins Ohr, während sie über das glänzend polierte Parkett des Ballsaals tanzten. In einer Nische nahe den Fenstern spielte eine Band »As Time Goes By«, und die Melodie schwebte sanft über der Gästeschar. »Überrascht?«, fragte sie, während sie sich an ihn schmiegte und ihre Füße in den hochhackigen Satinschuhen sich im Rhythmus der Musik bewegten.
»Nichts, was du tust, kann mich überraschen.« Er lachte leise tief in der Kehle. Natürlich hatte er gewusst, dass sie den Ballsaal seines eigenen Hotels im Namen irgendeiner fiktiven Schwesternschaft gemietet hatte. Wer auf einen sechzigjährigen Aufstieg zum gewieftesten Geschäftsmann in Portland zurückblickte, dem entging nicht so leicht etwas. Als er seine Frau spielerisch an sich drückte, spürte er ihre Brüste unter dem schwarzen Seidenkleid. Noch vor ein paar Jahren hätten allein der Duft ihres Parfüms und das Wissen, dass sie unter ihrem Kleid völlig nackt war, ihn unsäglich erregt. Sie trug nichts außer dem Kleid und ihren Stilettos.
Katherine zog einen niedlichen Schmollmund, während der Pianist ein Solo spielte. Ihr schwarzes Haar schimmerte im gedämpften Licht der Kronleuchter unter der gewölbten Decke und ihre tiefblauen Augen schauten ihn durch dichte, dunkle, schön geschwungene Wimpern hindurch vielsagend an.
Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er sein Vermögen geopfert für eine Nacht in ihrem Bett. Sie war sinnlich und klug und wusste genau, wie sie einem Mann Lust bereiten konnte. Er hatte sie nie danach gefragt, woher sie so bewandert in der Liebeskunst war, sondern war nur dankbar gewesen, dass sie ihn als Liebhaber angenommen hatte und ihm die Lust wiederschenkte, die er irgendwann in den mittleren Jahren verloren zu haben schien.
Im Bett verwandelte sich Kat von einem Schmusekätzchen in eine Wildkatze, und für ein paar Jahre hatte ihre ungezügelte sexuelle Energie genügt, um ihn zu befriedigen. Er hatte sie geheiratet, war ihr treu geblieben und hatte in den ersten Jahren jeden zweiten Tag mit ihr geschlafen. Doch sein Begehren war wie immer kurzlebig, und inzwischen konnte er sich nicht mehr entsinnen, wann sie zuletzt Sex gehabt hatten. Bei dem Gedanken an seine Impotenz stieg ihm das Blut heiß in den Kopf. Selbst jetzt, da sie ihre Schenkel fest gegen seine presste und mit der Zungenspitze eine empfindliche Stelle hinter seinem Ohr liebkoste, empfand er nichts, keine Spur von Feuer in seinem Blut, keine willkommene Härte zwischen den Beinen. Nicht einmal das stürmischste Vorspiel konnte ihn noch zur Erektion bringen. Es war ein Wunder, dass es ihnen gelungen war, ein Kind zu zeugen.
In plötzlichem Zorn stieß er sie grob von sich, um sie gleich darauf wieder in seine Arme zu reißen. Sie lachte dieses leise, kehlige Lachen, das beinahe schmutzig klang. Er mochte ihr Lachen. Er mochte alles an ihr. Plötzlich verspürte er den Wunsch, sie hier aufs Parkett zu werfen und sie zu nehmen, wie sie es liebte – mit animalischer Wildheit, während vierhundert Augen entsetzt zusahen, wie er bewies, dass er noch ein Mann war und in der Lage, seine Frau zu befriedigen.
Sie hatte es mit allen Raffinessen versucht, die ihr zu Gebote standen. Mit hauchzarten Negligés. Mit Guckloch-BHs, die die Brustwarzen freiließen, und mit langen schwarzen Strapsen an ihren wohlgeformten Oberschenkeln. Sie hatte ihn mit der Zunge und mit unflätigen Worten gereizt, ihm spielerisch Klapse auf Hintern und Eier gegeben, doch nichts konnte ihn noch erregen, und die Vorstellung, dass er zu keiner Erektion mehr fähig war, vielleicht nie wieder im Leben Sex haben konnte, fraß an seinem Inneren, ja, versetzte ihn schier in Todesangst.
Der Song war zu Ende. Er beugte sich vor, bog ihren Rücken weit durch, sodass sie sich an ihm festhalten musste. Ihre Augen senkten sich in seine, ihr schwarzes Haar streifte den mit pinkfarbenen Rosenblättern bestreuten Boden. Ihr Busen, der sich vor Anstrengung heftig hob und senkte, drohte aus dem tiefen Ausschnitt ihres Kleides zu quellen.
Vor den Augen des Publikums drückte er einen Kuss tief auf ihr Dekolleté, als könne er sich vor Geilheit kaum beherrschen, dann riss er sie wieder hoch, und um ihn herum brach alles in Lachen und Applaus aus.
»Du alter Hengst, du!«, rief ein Mann, woraufhin Kat errötete wie eine unschuldige Jungfrau.
»Geh doch mit ihr nach oben. Worauf wartest du noch?«, rief ein anderer, ein durchtriebener Bursche mittleren Alters. »Wird es nicht allmählich Zeit, dass ihr zwei einen Sohn bekommt?«
»Später.« Witt zwinkerte den Gästen zu, froh, dass sie sein Geheimnis nicht kannten. Kat würde niemals ein Sterbenswörtchen über seine Schande äußern. Ein Sohn – wenn diese Schar von Freunden, Verwandten und Geschäftspartnern nur wüsste …
Er würde keine Kinder mehr bekommen. In seiner ersten Ehe mit Eunice hatte er drei Söhne und eine eigenwillige Tochter gezeugt. Mit Katherine hatte er nur London, seine vierjährige Tochter, sein Lieblingskind. Er machte keinen Hehl daraus, dass dieses Kind ihm mehr bedeutete als die übrigen vier zusammen. Die anderen Kinder – von denen die Ältesten bereits erwachsen waren – hatten ihm so viel Schmerz bereitet, und ihre Mutter … Herrgott, was hatte er jemals an Eunice Prescott finden können, einer hageren Frau mit spitzer Zunge, die Sex mit ihm nur als eine leidige Pflicht ansah? Er war zu dem Schluss gekommen, sie sei frigide, bis … Zum Teufel, er wollte nicht daran denken, wie Eunice ihn hinter seinem Rücken betrogen und zum Narren gemacht hatte.
Wütend über die Richtung, die seine Gedanken einschlugen, geleitete Witt seine Frau zur Mitte des Saals, wo im Schein der Kronleuchter eine Eisskulptur in Form eines galoppierenden Pferds zu schmelzen begann. Nicht weit davon plätscherte schäumend ein mehrstöckiger Champagnerbrunnen.
Die Band stimmte »In the Mood« an und eine Handvoll mutiger Paare verteilte sich auf der Tanzfläche. Witt nahm ein Glas Champagner von einem Silbertablett und leerte es in einem Zug.
»Daddy!« Als er aufblickte, sah er London vor sich. Die schwarzen Locken tanzten um ihr Gesicht. Die pummeligen Ärmchen ihm entgegengestreckt, lief sie in einem marineblauen Kleid mit weißem Spitzenkragen und weißen Manschetten auf ihn zu und warf sich in seine ausgestreckten Arme.
Er drückte sie fest an sich, verknitterte den Samt ihres Kleides, während ihre Beine in weißen Strumpfhosen sich um seine Taille klammerten. »Wie gefällt dir die Party, Prinzessin?«
Ihre blauen Augen waren groß und rund, ihre Wangen vor Aufregung gerötet. »Es ist laut.«
Er lachte. »Ja, das ist es.«
»Und alles ist voller Rauch!«
»Lass das nicht deine Mutter hören. Sie hat diese Feier als besondere Überraschung geplant, und wir wollen doch nicht, dass sie enttäuscht ist«, sagte Witt und zwinkerte seiner Tochter verschwörerisch zu.
Sie zwinkerte zurück, drückte ihr keckes kleines Näschen an seinen Hals, und er roch den Duft von Babyshampoo. Sie zupfte an seiner Fliege und er lachte wieder. Nichts machte ihn so glücklich wie dieses ungestüme, vorwitzige kleine Ding.
»He, dafür bin ich zuständig«, protestierte Kat lächelnd und löste Londons Finger sanft von Witts Hals. Sie gab ihrer Tochter einen Kuss auf den Scheitel und mahnte: »Lass Daddys Fliege in Ruhe.«
»Wie wäre es mit einem Tänzchen?«, fragte Witt das kleine Mädchen. Zwischen Kats Augenbrauen erschienen diese vertrauten kleinen Fältchen stummer Missbilligung, doch Witt störte sich nicht daran. Er leerte ein weiteres Glas Champagner und wirbelte die lachende London über die Tanzfläche. Das Kind, seine Prinzessin, jauchzte vor Vergnügen.
»Widerlich, nicht?«, bemerkte Trisha, die neben der Band stand. Sie lehnte sich an den glänzenden Konzertflügel und nippte mürrisch an einer Sektflöte. Da sie kürzlich einundzwanzig geworden war, durfte sie Alkohol trinken.
Zachary zuckte leicht mit der Schulter. Er war an das Theater des alten Herrn gewöhnt; was Witt trieb, störte ihn längst nicht mehr. Zachary hatte sich nie gut mit seinem Vater verstanden, erst recht nicht, nachdem Witt sich von seiner ersten Frau scheiden ließ und später eine heiratete, die nur sieben Jahre älter war als sein ältester Sohn Jason, Zacharys Bruder. Zach wäre zu dieser Feier am liebsten gar nicht erschienen. Er hatte sich lediglich dem Zwang gebeugt und konnte es kaum erwarten, dem verräucherten, lauten Ballsaal voller langweiliger alter Leute – Speichellecker, einer wie der andere – zu entkommen.
»Dad kann die Finger nicht von Kat lassen«, sagte Trisha mit leicht schleppender Stimme. »Es ist widerwärtig.« Sie trank noch einen Schluck. »Dieser geile alte Bock.«
»Vorsicht, Trish«, warnte Jason, der sich zu seinen Geschwistern gesellte. »Dad hat den Saal sicher verwanzen lassen.«
»Sehr komisch«, versetzte Trisha und warf ihr langes kastanienbraunes Haar zurück. Doch sie lachte nicht. Ihre blauen Augen waren ausdruckslos und gelangweilt, und ihr Blick glitt unablässig über die Menschenmenge, als suche sie nach etwas oder jemandem.
Jason kniff die Augen zusammen. »Weißt du, die Hälfte der Leute hier würden den alten Herrn gern stürzen sehen.«
»Sie sind seine Freunde«, wandte Trisha ein.
»Und seine Feinde.« Jason lehnte sich mit der Hüfte gegen den Flügel. Die Band machte gerade eine Pause. Er beobachtete seinen Vater, der, immer noch mit London auf dem Arm, Konversation machte, von einer Gruppe juwelengeschmückter Gäste zur nächsten ging, ohne die Kleine abzusetzen.
»Wen schert das?«, fragte Zach.
»Ah, so spricht der ewige Rebell.« Jason lächelte unter seinem Oberlippenbart dieses Lächeln, das Zach so zur Weißglut trieb. Jason spielte sich auf, als sei er allwissend. Mit seinen dreiundzwanzig Jahren studierte er bereits Jura und ließ keine Gelegenheit aus, den sechs Jahre jüngeren Zach seine Überlegenheit spüren zu lassen.
Zach zupfte an dem engen Kragen seines Smokinghemds. Er konnte Jason genauso wenig ertragen wie seine Schwester Trisha. Beide gaben viel zu viel auf den alten Herrn und sein Geld.
Er überließ es Jason und Trisha, sich Sorgen um Witts große Zuneigung zu London zu machen und bahnte sich einen Weg zum Rand des Gedränges.
Im Vorbeigehen stibizte er von einem verlassenen Tisch ein Glas Champagner, dann schlenderte er hinüber zu den hohen Bogenfenstern, von denen aus man die Stadt überblicken konnte. Mit einem Anflug von Befriedigung schaute er hinaus in die heiße Julinacht und trank seinen Champagner. Der Verkehr strömte träge durch die Straßen. Heckleuchten blinkten und verschwammen, Autos und Lastwagen rollten durch die Stadt und über den breiten Willamette River hinweg, einen trägen schwarzen Wasserlauf, der den Westen der Stadt vom Osten trennte. Von den Straßen stieg Dunst auf.
Jenseits der Lichter der Stadt ragte in der Ferne eine Bergkette auf, die Cascades. Gewitterwolken, die sich schon den ganzen Tag über aufgetürmt hatten, verdeckten die Sterne und knisternde Blitze erhöhten noch die Spannung der schwülen Nacht. Zach trank seinen Champagner aus und ließ das Glas verstohlen im Kübel eines Baumes verschwinden, wo er es halb in der Erde vergrub.
Er fühlte sich fehl am Platze, wie immer im Kreis seiner Familie. Diese förmliche Feierlichkeit, die Kat organisiert hatte, führte ihm deutlicher denn je vor Augen, dass er anders war als seine Geschwister. Er sah den übrigen Mitgliedern des Danvers-Clans nicht einmal ähnlich. Alle außer ihm hatten helle Haut, blaue Augen und blondes bis brünettes Haar.
Zach ähnelte mehr als sonst irgendjemand in der Familie der kleinen London. Das brachte ihm bei Jason, Trisha und Nelson, seinem jüngeren Bruder, durchaus keine Pulspunkte ein; die drei ließen keine Gelegenheit aus, ihrem Hass auf die Halbschwester Ausdruck zu geben.
Er schnaubte verächtlich und dachte an London. Die Kleine war ihm im Grunde gleichgültig. Sicher, sie ging ihm auf die Nerven – Vierjährige waren nun einmal lästig, aber London war nicht so schlimm, wie die anderen sie darstellten. Zach fand es sogar ganz amüsant, dass sie jetzt schon gewisse Züge erkennen ließ, die Kat im Lauf der Jahre perfektioniert hatte. Und schließlich konnte London nichts dafür, dass der alte Herr tat, als sei sie ein Juwel oder sonst eine Kostbarkeit von unschätzbarem Wert.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, drängte London sich durch die Menge zu ihm und klammerte sich an sein Bein. Zach wollte sie fortschicken, doch da hatte sie bereits das Sektglas in der Kübelerde entdeckt.
»Fass das nicht an!«, flüsterte er streng. Sie hob rasch den Blick, ein durchtriebenes Funkeln in den Augen. Herrgott, wenn er doch einfach auf den Balkon hinausgehen und eine rauchen könnte – noch so ein Laster, das sein Vater und seine Stiefmutter missbilligten. Dabei war Kat niemals ohne ihr goldenes Zigarettenetui anzutreffen und Witt gönnte sich mit Vorliebe seine Zigarren, illegale Importware aus Havanna.
London ließ das Glas wieder in den Kübel fallen. »Versteck mich vor Mommy!« Mit einem frechen Kichern duckte sie sich hinter seine Beine.
»He, lass mich in Ruhe mit deinen albernen Spielchen.«
»Pssst. Sie kommt!«, flüsterte London.
Wunderbar. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
»London?« Katherines Stimme übertönte die sanfte Melodie einer Ballade.
Hinter ihm versuchte London ein Kichern zu unterdrücken.
»London, wo steckst du? Komm jetzt, es ist Zeit zum Schlafengehen. Ah, da bist du ja!« Kat, ihr einstudiertes Lächeln auf den Lippen, wich einer Gruppe von Männern aus, wobei sie im Vorübergehen mit den Fingern winkte, und spürte dann mit der Präzision eines Bluthundes ihre kleine Tochter auf.
»Nein!«, kreischte London, als ihre Mutter sich näherte.
»Komm, Schätzchen, es ist schon fast zehn Uhr.«
»Na und!«
»Du solltest ihr lieber folgen«, riet Zach und streifte mit dem Blick flüchtig seine Stiefmutter. Ihm war durchaus klar, was der alte Herr an seiner jungen Frau fand. Ihm selbst war nie eine Frau mit einer erotischeren Ausstrahlung begegnet. Und mit seinen siebzehn Jahren war ihm zügelloses sexuelles Verlangen nicht unbekannt – es konnte glühend, überwältigend den Körper eines Mannes durchströmen und ihm den Verstand vernebeln.
»Komm.« Katherine beugte sich hinunter, um ihre Tochter auf den Arm zu nehmen. Die Seide spannte über ihrem wohlgeformten Hinterteil, die Brüste quollen beinahe aus dem Ausschnitt.
»Ich bringe sie zu Bett«, bot einen andere Frau an. Es handelte sich um Londons Kindermädchen Ginny, eine kleine, unscheinbare Frau in einem schlichten olivgrünen Kostüm und Gesundheitsschuhen. Neben Katherine wirkte sie schlampig und alt, wie eine betuliche Matrone. Dabei konnte sie nicht weit über dreißig sein, kaum älter als Kat.
»Ich will nicht ins Bett«, protestierte London.
»Sie ist ungezogen.« Kat hob den Blick und bemerkte, dass einer der Kellner ihr ein Zeichen gab. Mit einem Seufzer wandte sie sich ihrer Tochter zu. »Hör zu, Schätzchen, gleich wird die Geburtstagstorte hereingebracht. Du kannst noch aufbleiben und zusehen, wie Dad die Kerzen auspustet. Danach musst du aber hinaufgehen.«
»Darf ich auch ein Stück Torte haben?«
Katherines Lippen wurden schmal, doch sie erwiderte: »Natürlich, Schätzchen. Aber dann gehst du mit Ginny nach oben. Wir haben ein Extra-Zimmer für dich, gleich neben dem von Mommy und Dad, und wir kommen später noch einmal zu dir und decken dich zu.«
Einigermaßen besänftigt mischte sich London wieder ins Partygetümmel. Katherine richtete sich auf und strich sich das Kleid an den Hüften glatt, während Ginny ihrer widerspenstigen Schutzbefohlenen folgte.
Zach hoffte, Katherine möge jetzt schnell zum Bandleader gehen und die Musiker anweisen, »Happy Birthday« zu spielen. Doch stattdessen hob sie leicht das Kinn und musterte ihren Stiefsohn. Obwohl Zach acht Zentimeter größer war als Kat, fühlte er sich in ihrer Gegenwart klein. »Lass die Finger vom Alkohol.« Sie zog das leere Champagnerglas aus der Blumenerde und drehte den Stiel zwischen ihren langen, schlanken Fingern. Selbst wenn sie ihn ermahnte, war sie ungemein sexy. Als sei sie sich ihrer Macht über ihn und jeden Mann, der nicht mit Blindheit geschlagen war, vollauf bewusst, zog sie einen niedlichen Schmollmund und hielt ihm das Sektglas unter die Nase. »Wir wollen doch deinem Dad nicht die Party verderben, oder? Wenn du mit einem solchen Glas erwischt wirst, könntest du Schwierigkeiten bekommen.«
»Ich lasse mich schon nicht erwischen.«
»Du hältst dich wohl für ziemlich schlau, Zach. Aber ich habe gesehen, dass du Champagner getrunken hast, und ich glaube, ich war nicht die Einzige, die es bemerkt hat. Nun stell dir vor, Jack Logan hätte dich ertappt. Du weißt doch, er arbeitet bei der Polizei – ich nehme an, ihr kennt euch bereits.«
Zach biss die Zähne zusammen. Vor Verlegenheit schoss ihm das Blut in den Kopf. »Wie gesagt, ich lasse mich nicht erwischen.«
»Das wäre auch besser für dich, denn wenn du wieder mal im Gefängnis oder im Jugendvollzug landen solltest, wird Witt dir nicht mehr deinen süßen kleinen Arsch retten. Also« – sie lächelte zuckersüß – »sieh dich vor.«
Damit schlenderte sie weiter und mischte sich unter die Gäste. Zachary schäumte innerlich vor Wut. Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Er stellte sich vor, sie mit beiden Händen an der Kehle zu packen und zu schütteln, bis sie zur Vernunft kam, doch zugleich konnte er den Blick nicht von ihrem Hintern lösen, dem Spiel der Muskeln unter der schimmernden schwarzen Seide ihres Kleides. Sie ging ganz langsam, als wolle sie ihn mit ihren sinnlichen Bewegungen bewusst quälen. Ihre Absätze zertraten Rosenblätter. Ihr geschmeidiger Rücken, den das tief ausgeschnittene Kleid bis zum Ansatz der Taille frei ließ, war makellos und glatt, und Zach stellte sich vor, wie er sich unter dem richtigen Mann durchbiegen würde.
Er spürte den Beginn einer Erektion und riss sich von ihrem Anblick los. Oft genug hatte er den Eindruck, sie spiele absichtlich in seinem Beisein mit ihren Reizen. Dann wieder sagte er sich, es sei nur seine Einbildung und er sehe schon in den unschuldigsten Gesten sexuelle Anzüglichkeiten.
Um sich abzukühlen, lehnte er die Stirn an die kühle Fensterscheibe. Das Glas war von innen beschlagen. Es war so heiß im Raum, dass er glaubte ersticken zu müssen. Das Blut pochte in seinen Schläfen. Mit siebzehn war er noch Jungfrau, was ihn eigentlich nicht störte – außer wenn er mit Kat allein war, was er jedoch zu vermeiden suchte.
Er schob eine Hand in die Hosentasche, um die Ausbeulung in seinem Schritt zu kaschieren, ging zum nächsten Tablett mit gefüllten Gläsern, nahm sich eines und leerte es rasch, den Blick noch immer auf seine Stiefmutter gerichtet. Sie schien ihn nicht zu bemerken. Diese neu entdeckte Art der Rebellion reizte ihn, und so ging er zum nächsten unbeaufsichtigten Tablett, griff sich auch hier ein Glas und leerte es in einem Zug. Ein paar Tropfen Champagner rannen ihm übers Kinn, doch das kümmerte ihn nicht.
Es schien noch heißer zu werden im Saal und er musste seine Krawatte lockern. Röte stieg ihm ins Gesicht, ihm war ein wenig schwindlig – er war eindeutig im Begriff, sich einen Schwips anzutrinken. Nun, wenn er schon gezwungenermaßen hier war, konnte er sich wenigstens auf diese Weise etwas amüsieren.
Als er das nächste Glas zur Hälfte ausgetrunken hatte, spürte er eine weiche Hand auf seinem Arm. Er zuckte zusammen und vergoss dabei Champagner über sein Hemd und Jackett. Kats lange Finger gruben sich durch den Ärmel in seine Muskeln. Ihre Augen waren dunkel vor Zorn, ihre vollen Lippen erbost zusammengepresst. »Du weißt einfach nicht, wann es Zeit ist aufzuhören, wie?«
Er schüttelte ihre Hand ab. »Du hast mir gar nichts zu sagen.«
»Nicht?« Sie zog eine Augenbraue hoch, eine Geste, die geradezu beängstigend sexy wirkte. »Mhm. Wir werden sehen.«
Um sie zu provozieren, trank er sein Glas leer, doch das schien sie nicht zu stören. Stattdessen nahm ihr Gesicht einen weichen Ausdruck an und in ihren Augen spiegelte sich der Schein des Kronleuchters. Mit einem unschuldigen Lächeln verschränkte sie ihre Finger mit seinen. »Tanz mit mir, Zach.«
Zach witterte trotz seiner wohligen Benommenheit Ärger. »Ich … ich kann nicht tanzen.«
»Aber sicher doch. Es ist ganz einfach.«
»Aber ich kann nicht …«
Sie beugte sich zu ihm vor, ihre Lippen streiften sein Ohr. »Die Leute sehen her. Komm schon.«
Seine Kehle war plötzlich wie ausgedörrt. »Katherine, ich will wirklich nicht …« Doch sie hatte recht: Er spürte heiß die Blicke der neugierigen Gäste. Zach wäre am liebsten gestorben. Aus den Augenwinkeln sah er Jason, der ihn mit ausdrucksloser Miene anstarrte. Trisha betrank sich mit Champagner und wer weiß was sonst noch und lächelte hämisch über Zachs Zwangslage.
»Wirklich, Katherine. Ich möchte nicht …«
»O doch, du möchtest, Zach«, sagte sie, kam näher und streifte mit der Hüfte seinen Schritt. »Ich spüre es doch. Und wenn du mir nicht dieses kleine Tänzchen gönnst, werde ich es deinem Vater sagen.«
Er sah sich schuldbewusst nach Witt um, doch der alte Herr tanzte immer noch mit der kleinen London und bemerkte gar nicht, in welche Falle sein ungebärdiger Sohn geraten war. Zach konnte sich nicht vorstellen, mit Kat zu tanzen, ihren Körper so dicht an seinem zu spüren. Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Auf der Tanzfläche angelangt, wandte sie sich ihm zu, schmiegte sich an ihn und begann sich zum Rhythmus der Musik zu bewegen.
Ihre Hüften pressten sich intim gegen seine, ihre Brüste an seinen Oberkörper. »Nun, ist das nicht viel schöner?«, flüsterte sie heiser, und er schloss die Augen und kämpfte gegen die Lust an, die von seinem Körper Besitz ergriff. Er spürte die wachsende Erektion, so sehr er sich auch dagegen sträubte.
»Lass mich«, bat er.
»Du willst doch gar nicht fort.« Sie bewegte sich leicht und ihr Unterleib rieb sich an seinem. Gott, sie musste ja spüren, dass er einen Steifen hatte. »Das merke ich doch.«
»Nicht …«
Herr im Himmel, seine rechte Hand lag auf ihrem nackten Rücken, spürte ihre seidige Haut, das geschmeidige Spiel der Muskeln. Bildete er es sich nur ein, oder drang aus seiner Kehle tatsächlich ein leiser wollüstiger Ton?
»Du hast gelogen«, flüsterte sie, und ihr Atem streifte sein Haar dicht über dem Ohr.
Innerlich starb er tausend Tode. Er war so hart, dass es schmerzte, und vermochte nicht mehr klar zu denken. Ein Teil von ihm wollte sich losreißen, doch der andere Teil, befeuert durch seinen männlichen Stolz, den Champagner und das sexuelle Begehren, wollte nicht aufhören zu fantasieren. Er fragte sich, wie sie wohl reagieren würde, wenn er sich an ihr rieb, die Hand unter den schwarzen Stoff ihres Kleides schob. Was würde geschehen, wenn er mit Lippen und Zunge langsam an ihrem zarten Hals hinabstrich?
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, neigte sie den Kopf zur Seite, bot ihm noch mehr von ihrer weißen Haut dar, zeigte ihm noch ein bisschen mehr von ihrem herrlichen Busen.
»Darf ich abklatschen?« Witts Stimme schien durch den ganzen Ballsaal zu dröhnen. Zachary fuhr zusammen und ließ schuldbewusst die Hände sinken. Er wollte sich von Kat lösen, doch sie hielt ihn zurück.
Langsam und mit verschleiertem Blick wandte sie sich ihrem Mann zu, lächelte anzüglich und flüsterte: »Ich fürchtete schon, du würdest nie fragen.«
Witts Gesicht war gerötet. Sein Blick ruhte fest auf Zachary, der einen Schritt zurückwich. Dann drückte sein alter Herr ihm London in die Arme. »Lass die Finger vom Champagner«, mahnte Witt. »Es wäre verdammt peinlich, wenn Jack dich hier vor allen Leuten verhaften müsste. Tanz jetzt ein bisschen mit London und fordere dann eines von den Kramer-Mädchen auf – die lassen dich schon den ganzen Abend nicht aus den Augen.«
Zach schluckte. In diesem Moment hätte er den Alten am liebsten erwürgt. Er sah Kat lachen, ein spöttisches Funkeln in den Augen. Sie machte sich über ihn lustig. Er ballte die Fäuste, und hätte er nicht London auf dem Arm gehalten, wäre die ohnehin hässliche Situation womöglich eskaliert. Es schien, als hätten sein Vater und seine Stiefmutter sich verschworen, um ihn zum Narren zu machen.
Er straffte die Schultern und das Blut stieg ihm heiß in den Kopf. Zwar bemühten sich mehrere Mädchen in teuren Kleidern um seine Aufmerksamkeit, doch Zach würdigte sie keines Blickes. Er reichte London an das Kindermädchen weiter, zerrte sich die Krawatte vom Hals und verließ, aufs Äußerste gereizt, die Tanzfläche. Wie hatte er nur so dumm sein können? Und all das nur wegen Kat. Zum Teufel mit dem Weib! In ohnmächtiger Wut ballte er die Fäuste. Er musste hier raus.
Jason schlenderte heran, einen Drink in der Hand, und wandte sich an Zach, der mit überheblicher Miene an einer der Säulen nahe der Tür lehnte und sich überlegte, wie er möglichst unauffällig verschwinden könnte. »Lass dich von ihr nicht provozieren«, redete Jason ihm zu.
»Von wem?«
»Kat.« Jason nippte an seinem Drink – Bourbon pur – und lächelte.
»Wie kommst du darauf?«, fragte Zach mit gespielter Gleichgültigkeit.
Jason schnaubte und wies mit einer Kopfbewegung zur Tanzfläche. »Ich habe die kleine Szene beobachtet.«
Zach biss die Zähne zusammen und wäre am liebsten im Boden versunken.
»Himmel, sie kann wirklich ein Miststück sein.« Jason fuhr sich ungeduldig mit den Fingern durch sein dichtes, kastanienbraunes Haar. »Ich habe gesehen, wie sie dich angemacht hat. Meine Güte, es hätte ja nicht viel gefehlt, und sie hätte sich mitten auf der Tanzfläche hingelegt und die Beine breit gemacht.« Er trank noch einen Schluck und sah zu Kat und Witt hinüber. »Das scheint für sie eine Art Spiel zu sein.«
Ein Muskel in Zachs Wange zuckte. Er spürte den Tic, konnte ihn jedoch nicht unterdrücken.
»Das hat sie mit Absicht getan, weißt du? Sie meinte wohl, dich in die Schranken weisen zu müssen – was ihr allerdings gelungen ist.«
»Ich hasse sie.«
»Tun wir das nicht alle?«, erwiderte Jason, während er seiner Stiefmutter beim Tanzen zusah. »Aber sie ist nun mal die Frau mit dem vielleicht ungeheuerlichsten Sexappeal auf der ganzen Welt. Ich wüsste gern, wie sie im Bett ist.«
»Ich will es nicht wissen.« Zachary furchte die Stirn und weigerte sich, Kat eines Blickes zu würdigen.
»O doch, das willst du. Jeder Mann hier im Saal hätte gern eine kleine Kostprobe von ihr.« Er legte Zach brüderlich den Arm um die Schultern. »Aber mit denen treibt sie ihre Spielchen nicht. Dafür hat sie dich auserkoren, weiß der Himmel warum. Man könnte beinahe glauben, sie ist scharf auf dich.«
»Ach, das ist doch absurd! Ausgeschlossen!«, widersprach Zach, doch sein Herz setzte einen Schlag aus.
»Da wäre ich mir gar nicht so sicher. Mich hat sie jedenfalls noch nie so angemacht wie dich eben, und ich habe sie gesehen, als sie sich unbeobachtet glaubte. Wie sie dich anschaut, lieber Himmel …«
»Ach, hör doch auf.«
»Aber du kannst dich nicht mit ihr einlassen. Wenn Dad davon erführe …«
»Schluss jetzt, Jason«, sagte Zach, der plötzlich geradezu ängstlich klang. Zuerst Kat und jetzt sein Bruder … »Ich habe nicht vor, mich mit ihr einzulassen.«
Jason zuckte mit einer Schulter. »Alle sagen immer, du wärst anders – mir scheint, Kat will sich einfach nur überzeugen, ob es stimmt.«
»Herrgott, Jason, du müsstest dich mal reden hören! Nein, lieber nicht. Es ist widerlich.«
»Weißt du, was du tun solltest?«
Zach antwortete nicht.
»Zieh los und lass dich aufs Kreuz legen.« Er beugte sich zu Zach hinüber und deutete auf einen Schwarm junger Mädchen, deren Make-up und Frisuren direkt aus einer Teenie-Zeitschrift zu stammen schienen. Im Vergleich zu Katherine wirkten sie jung und ungelenk und … verzweifelt. »Nur nicht von Kat. Der alte Herr würde dir das Fell über die Ohren ziehen, wenn er das herausbekäme. Aber Alicia Kramer ist so scharf auf dich, dass sie es kaum noch aushält. Möchte wetten, sie wird schon feucht, wenn sie dich nur anschaut.«
»Hör auf!«, zischte Zach, doch Jason lachte nur über die heftige Reaktion seines kleinen Bruders.
»Ich sag dir, wenn du es ihr besorgst, ist das, als würdest du dein Ding in heißen Pudding stecken.«
»Herrgott noch mal, hör endlich auf!« Zach sah sich flüchtig nach Alicia um und fing ihren hoffnungsvollen Blick auf. Sie war ein zierliches Mädchen mit großen Brüsten und unreiner Haut, die sie mit dickem Make-up kaschierte. Ihre Zähne waren dank der Spange, die sie zwei Jahre lang getragen hatte, gerade und regelmäßig. Insgesamt war sie durchaus nicht hässlich. Als sie Zachs Blick auffing, kicherte sie und errötete. Doch Zach interessierte sich nicht für Bankierstöchter. Nicht im Geringsten. Im Vergleich zu Kat wirkte Alicia wie ein Kind.
»Sie ist so geil, dass sie kaum ihr Kleid anbehalten kann. Hör mal, ich weiß aus Erfahrung, dass die Kramer-Mädchen wirklich heißblütig sind. Möchte wetten, Alicia besorgt es dir, dass du es im Leben nicht mehr vergisst.«
»Nein, danke«, erwiderte Zach.
»Ich sage dir, kleiner Bruder, es wird Zeit für dich. Ich kann dir auch die Bekanntschaft einer …«
»Vergiss es, Jason.«
Jason fasste ihn am Arm. »Ernsthaft, Zach. Ich weiß, wie du dich fühlst – wie ein Pulverfass kurz vor der Explosion. Glaub mir, lange hältst du das nicht mehr aus.« Er senkte ein wenig die Stimme. »Ich kenne da ein Mädchen … das heißt, eher eine Frau. Sie … hm, nun ja, sie weiß, was Männer mögen. Sie erwartet mich heute Nacht.«
»Eine Nutte? Sprichst du von einer Nutte?«, fragte Zach schockiert, aber auch mit einer gewissen Faszination. Ob Jason tatsächlich eine Nutte kannte? Lieber Himmel!
Jason führte seinen jüngeren Bruder in eine stille Ecke des Raumes, abseits von den Gästen und den leinengedeckten Tischen mit Speisen und Getränken. »Jetzt hör mir erst mal zu. Dieses Mädchen, Sophia … Glaub mir, du wirst sie mögen. Sie ist toll.«
Zach schnaubte. »Tolle Frauen verkaufen nicht ihren Körper.«
»Sie ist keine Bordsteinschwalbe. Sie ist im Geschäft, weil es ihr wirklich Spaß macht. Sie ist immer bereit.«
»O Gott …«
»Sie ist hübsch und sauber und tut nur, was du willst. Du kannst sie ficken bis zur Besinnungslosigkeit, wenn dir danach ist, aber wenn du einfach nur reden möchtest, hört sie dir auch zu. Wirklich. Es liegt ganz bei dir«, versicherte Jason im Tonfall brüderlicher Besorgnis.
Zach wusste, dass er einfach hätte gehen sollen, doch er konnte es nicht. Eine echte Nutte, die Jason erwartete? Eine Nutte, die einfach nur zuhörte?
»Ich weiß, wir sind nicht immer einer Meinung, aber hör mir um Gottes willen dieses eine Mal zu. Du brauchst eine Frau. Dringend. Und Kat kann es nicht sein.« Stirnrunzelnd griff er in die Tasche, zog einen Zimmerschlüssel hervor und drückte ihn in Zachs verschwitzte Hand. »Drei Blocks von hier. Das Hotel Orion. Sophia. Mach dir keine Gedanken wegen Geld. Das ist alles geregelt.«
»Ich will nicht –«
»Tu dir selbst den Gefallen. Vergiss Kat. Bums einfach mal.« Mit einem freundlichen Lächeln wandte sich Jason ab und ging zur Bar. Zach stand da, den verdammten Hotelschlüssel in der Faust. Er schluckte krampfhaft, dann öffnete er die Hand und betrachtete den Schlüssel zu Zimmer 307 – den Schlüssel zu seiner Männlichkeit, den Schlüssel zu seiner Befreiung von Kat.