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Wo in Deutschland ist Weihnachten am gefährlichsten? Selbstredend in Bayern. Da wird in der staden Zeit gemordet, was das Zeug hält. Immer schön landestypisch, gemütlich aber gnadenlos. Ein Mord mit einem Eisstock in der todschicken Münchener Schickeria, bajuwarischer geht es nicht. Auch in Rosenheim bei den Cops „gabat’s a Leich“, auf der Zugspitze desgleichen. Im Bayerwald geht der Teufel um, im Spessart stirbt wieder mal das Schneewittchen und vor Schloss Neuschwanstein eine vermummte Gestalt. Auch im Umfeld der Augsburger Puppenkiste fährt jemand in die Kiste, selbst das Christkind persönlich betätigt sich als Killer. Ja, glaubst es? Bald schon, Leute, wird’s was geben, Bald schon werden wir uns freun. Denn so mancher kommt ums Leben, Es wird superspannend sein. Rachemorde, Giftanschlag, Heißa, bald ist Weihnachtstag!
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Seitenzahl: 145
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Die Kurzgeschichten spielen hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion.Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über https://www.dnb.de© 2024 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von: 123rf.comEPub-Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbHeISBN 978-3-8271-8735-2
WeihnachtsanektötchenSpannende Geschichtenaus Bayernvon Wolfgang Hofer
Prolog
Bayern, die Heimat der unergründlichen Südlichter, war schon immer anders. Und so ist es heute noch, erst recht zur Weihnachtszeit.
Zwar donnert auch hier der Weihnachtsmann mit dem Coca-Cola-Truck durch die Städte, aber gegen das Christkind kommt er nicht an. Das engelhafte Wesen, von Martin Luther erfunden, taugt einfach viel besser als liebenswerter Gabenbringer. Da kann der Opa mit dem dicken Bauch und dem Wuschelbart Gummi geben, wie er will. Außerdem verpestet er mit seinem 470-PS-Monster die Atmosphäre. Das himmlische Kind indessen fliegt emissionsfrei sowie geräuschlos und muss nicht einmal an einer Stromtanke aufgeladen werden.
In Bayern bekommt man auch keine Geschenke, sondern ein Christkindl.
„Wos fia oa Christkindl host heia griagt?“
„Oa neichs Eifon, fei pfundig!“
„Was für ein Weihnachtsgeschenk hast du dieses Jahr bekommen?“
„Ein neues iPhone, ganz super!“
Eines ist in Bayern allerdings auch nicht besser als anderswo. Hier gehen ebenfalls die Übeltäter um, sogar wenn das himmlische Kind segensbringend über ihnen flattert. Da mag der Söder Markus samt seiner Staatsregierung noch so zufrieden mit irgendwelchen Statistiken wedeln, dass der Freistaat gleich nach dem Vatikan das sicherste Land der Erde sei. Nix da!
Allerdings ist es unumstößlich, dass in weiß-blauen Landen einfach stimmungsvoller gemordet wird. Auf dem weltberühmten Nürnberger Christkindlesmarkt beispielsweise, im Kreise von gruseligen Perchten oder in der ebenso gruseligen Münchner Schickeria. Erst recht beim Schneewittchen hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen und bei den Rosenheim-Cops.
Neugierig geworden? Dann ran die Verbrechen! Auf der nächsten Seite geht es los. Umbracht is!
Skandal in der Schickeria
Eine Schickeria besteht aus Menschen, die wahnsinnig wichtig sind. Oder die wenigstens so tun, als wären sie wahnsinnig wichtig.
Unverzichtbar in einer gescheiten Schickeria sind die Frauen, die hier Ladys genannt werden. Business-Ladys, falls sie selbst etwas auf die Beine gestellt haben, oder Society-Ladys, falls sie nur die Gattin von irgendwem Wichtigen sind. Die Notwendigkeit der weiblichen Komponente ist einleuchtend und in jeder bunten Galazeitschrift deutlich zu erkennen. Ladys kommen auf Pressefotos einfach besser rüber als Kerle. Das hat mit der Anatomie zu tun. Anatomie ist zwar etwas, das wir alle haben, aber bei den Mädels sieht sie einfach besser aus.
Erfunden wurde die Schickeria in den 70er-Jahren in München, sie ist dort legendär und immer noch quicklebendig. Auch wenn der schillernde Modezar Rudolph Moshammer sich hat umbringen lassen und Stars wie Jack Nicholson, Sean Connery oder Mick Jagger längst woanders ihre Champagner-Partys feiern. Tina Turner feiert auch nicht mehr im P1-Club, sondern im Himmel. Schade, aber wir haben ja noch Bully Herbig, Uschi Glas, Simone Ballack und Roberto Blanco.
Die Schickeria der Isarstadt scheut auch nicht die eisigste Kälte, um aufzufallen. So geschehen beim 1. Münchener Prominenten-Eisstockschießen zugunsten der Obdachlosen. Die allerdings während des Events weiterhin in ihren U-Bahn-Stationen bleiben sollten. Bei einem hochkarätigen Turnier auf dem zugefrorenen Nymphenburger Schlosskanal würden sie optisch ja eher deplatziert wirken. Das mochten ihnen die Wohltäter nicht zumuten.
Was sich als Vorteil herausstellte: Keiner konnte später den grausigen Mord am Filmproduzenten Wolfgang P. Alexander einem Wohnsitzlosen in die abgewetzten Schuhe schieben. Einen Mord, der die wohltätige Veranstaltung daran gehindert hatte, überhaupt stattzufinden.
Aber beginnen wir ganz von vorne. Ein Schickeria-Ereignis braucht unbedingt ein elegantes Vorglühen. In diesem Fall ein Sektfrühstück im Königlichen Hirschgarten. Das Restaurant liegt im eigentlichen Hirschgarten, der ehemals ein Jagdrevier für Blaublütige war. Heute dient er als Freizeitoase mit Wildgehege und einem Biergarten für 8.000 Durstige. Das einstige Jägerhaus wurde zu einer gediegenen Großgaststätte erweitert, und da trafen sie nun alle ein, die Eisstock-Amateure mit den großen Herzen und den großen Armbanduhren. Man trug vornehmlich hochmodische Winterjacken von Bogner, schließlich war der Chef des Labels, der fesche Bogner Willy, ja auch einer von ihnen.
Rüschi war ebenfalls da, Ehrensache. Er wurde so genannt, weil er ausschließlich Rüschenhemden trug, die zwar aus der Zeit gefallen waren, aber ein schwuler Nobelfriseur darf alles. Weil eine Schickeria ohne schwulen Haarstylisten nur halb so schrill daherkommt. Rüschi hing am Rockzipfel von Rosi, der momentan angesagten Trachtendesignerin, deren Profession ebenfalls essenziell ist in Schickimicki-Kreisen.
Die Blubberbrause, selbstredend aus der Kellerei Nymphenburg, floss in Strömen, der Geräuschpegel war enorm, das Gewusel beträchtlich. So fiel niemandem auf, dass der Wolferl abgängig war. Wolfgang P. Alexander, seines Zeichens Regisseur und Filmproduzent mit extra großer Besetzungscouch.
Bis draußen ein Mordskonzert von Polizeisirenen losging. Blaulicht wischte über die Fenster des holzgetäfelten Stüberls, das Geplapper wurde leiser, die Neugier stieg.
Sie mussten nicht lange warten.
Schloss Nymphenburg hat als Geschenk angefangen. Der bayerische Kurfürst Ferdinand Maria von Savoyen ließ es als Dankeschön für seine Frau Adelaide erbauen, als sie ihm nach zehn Jahren Ehe den ersehnten Thronfolger gebar. Allein für das Gelände soll er 10.000 Goldgulden bezahlt haben, also umgerechnet fünf Millionen Euro. Das Wohnen in München war schon immer teuer.
Auch der weltberühmte Märchenkönig Ludwig II. ist in diesem Palast zur Welt gekommen, und der fast weltberühmte Wolferl Alexander hat gleich um die Ecke sein Leben ausgehaucht. Womit wir wieder bei unserer Geschichte wären und sich die Frage stellt, wer ihm den Stecker gezogen hat.
Das sollte die ermittelnde Beamtin herausfinden, Hauptkommissarin Elli Eder, eine rothaarige Schönheit. Bei ihrem Eintritt in die Behörde waren sofort die fernseherfahrenen Kobold-Experten auf der Bildfläche erschienen, die ihr den Spitznamen Pumuckl verpassten. Frei nach dem Schreinermeister Eder und seinem kleinen Werkstattgeist mit der feuerroten Haarpracht.
Diese Namensgebung interessierte allerdings in der High Society niemanden, denn Kommissarinnen gehören da eh nicht hin, außer sie sind Schauspielerinnen, die eine Kommissarin spielen. Maria Furtwängler war natürlich auch da.
Hätte sie als „Tatort“-Kommissarin Charlotte Lindholm die Zeugenbefragung durchgeführt, wäre bestimmt etwas herausgekommen. Sie hätte ja nur im Drehbuch nachlesen müssen. Elli Eder hatte kein Drehbuch, also wurde die Befragung ein Schlag ins Wasser, in diesem Fall eher in den Sekt. Die werten Herrschaften hatten keinen Schimmer von gar nichts.
„Sie sehen doch selbst, meine Schöne, wie voll es hier ist, da sieht man ja vor lauter Hirschen den Garten nicht mehr“, witzelte der Hotelerbe Manni Meerkatz, um gleich danach in tiefer Trauer zu versinken. „Grundgütiger, der arme Wolferl, so ein lebenslustiger Kerl, und jetzt ist er tot. Ich bin ganz außer mir!“
Kommissarin Pumuckl begann, den tieferen Sinn des Begriffes Small Talk zu verstehen.
Meerkatz hatte übrigens den Ferrari heute nicht auf dem Gehweg geparkt, wie es sonst seine Gepflogenheit war. Es gab nämlich keinen Gehweg vor dem Hirschgarten. Und es gab auch keinen Ferrari mehr. Der Manni bewegte ab sofort einen rein elektrischen Porsche Taycan in Vulkangraumetallic mit gelben Bremsbacken. Schickeria goes Öko! Schickeria kauft nur noch Bio-Dinkel-Vollkorn-Frühstücksbrötchen und Porsche Taycans, weil es dem Image dient. Und weil die Presse darauf abfährt; das ist schließlich existenziell. „Wenn dich keine Sau mehr kennt, dann hast du einen Trend verpennt!“
Sekt war augenscheinlich ebenso existenziell. Die Kommissarin musste feststellen, dass einige Anwesende schon recht fleißig vorgeglüht hatten, somit war Informatives bei ihnen nicht zu holen. Der andere Teil hatte weder etwas Sachdienliches gesehen noch etwas gehört.
„Mein Gott, das tut mir jetzt leid, dass ich nichts weiß, schon wegen dem Wolferl, er war ja so ein unverzichtbarer Spezi, ein ganz wertvoller Mensch!“
Der wertvolle Mensch und unverzichtbare Schürzenjäger Wolfgang P. Alexander war im Dickicht hinter dem Parkplatz des Königlichen Hirschgartens erschlagen worden. Einfach gnadenlos zack, bumm, aber wenigstens dem Anlass angemessen. Mit einem Eisstock. Mit einem edlen Eisstock aus Birnenholz gedrechselt, der Griff aus Esche, Gewicht viereinhalb Kilogramm, sicher ist sicher. Ein einziger wuchtiger Schlag hatte ausgereicht. Keinerlei Fingerabdrücke auf der Tatwaffe, sie war offensichtlich nagelneu, wohl für das Verbrechen extra erworben.
Übrigens ein Frauen-Eisstock. Wann sich wohl die erste Grünen-Politikerin findet, die geschlechterneutrale Eisstöcke fordert?
In Pumuckls Kommissariat III rauchten die Rechner. Die Drucker spuckten alles aus, was über den Gemeuchelten zu finden war und über den glamourösen Haufen der Eisstockspieler, die ihr Turnier pietätvoll gecancelt hatten. Natürlich hatten sie vorher, genauso pietätvoll, vor den Pressefotografen posiert und ein eilig geschriebenes Transparent in die Kamera gehalten: „Unser Wolferl – unvergessen!“ Dann waren sie ihrer Wege gegangen, besser gesagt mit dem SUV nach Starnberg, an den Tegernsee oder ins Glockenbachviertel gefahren. Wo man halt so wohnt, wenn man wer ist.
In einer der Edelkarossen hatte der Tod am Steuer gesessen. Aber in welcher?
Die Älteren unter uns erinnern sich noch an die Fernsehserie „Kir Royal“ mit den Geschichten rund um den Klatschreporter Baby Schimmerlos und seine prominente Klientel. Damals ein Straßenfeger. Heute war eine Schulfreundin von Kommissarin Pumuckl Eder für die News aus den besseren Kreisen verantwortlich. Sie nannte sich Josephine, nach der Tänzerin Josephine Baker, die als Spionin für den französischen Geheimdienst gearbeitet hatte. Allerdings trug Pumuckls Freundin keine Bananen-Röckchen.
Sie saßen beim Franziskaner in der Residenzstraße und genossen den landesweit weltbekannten Leberkäs mit süßem Senf und lauwarmem Kartoffelsalat. Ein echtes bayerisches Schmankerl.
„Was ich dir jetzt erzähle, hast du alles nicht von mir“, schickte die Journalistin streng voraus.
„Geht klar, wie immer. Wenn mir mal Internes herausrutscht, hast du das ja auch nicht von mir.“
Schon in der Schulzeit hatten sie voneinander abgeschrieben, aber jede Kooperation standhaft geleugnet.
„Der Herr Wolfgang war ein Produzent gewesen, wie er im Enthüllungsbuch steht“, begann Josephine mit ihren Auskünften. „Sein Weg vom kleinen Set-Fotografen zum Filmtycoon war gepflastert mit Mega-Erfolgen, ebensolchen Abstürzen und Skandalen. Privat drei gescheiterte Ehen und Affären bis zum Abwinken, das ist ja alles bekannt. Was nicht bekannt ist, aber jetzt ans Licht kommen dürfte, sind spezielle Partys, die er in seiner Villa arrangiert hat. Sie sollen sehr exklusiv gewesen sein. Nur handverlesene Gäste. Außerdem soll der Herr Alexander ein Freund der Jugend gewesen sein, der nachts durch Discos streifte und nach hübschen jungen Dingern suchte, die diese Partys bereicherten.“
Pumuckl verschlug es die Sprache. Der Typ war ja ein Sausack hoch drei gewesen.
„Also jede Menge Motive für jede Menge Leute“, stellte sie fest. „Rache einer Ehefrau ist zwar ausgeschlossen, weil keine vorhanden, aber Erpressung im Rahmen der lüsternen Spiele oder auch kurzer Prozess wegen eines Mädchens. Den kriege ich!“
Sie tratschten noch ein Viertelstündchen, was Frauen halt so tratschen, also über ihr Liebesleben. Das war leider nicht aufregend, sondern eher deprimierend, bei beiden Damen herrschte derzeit Flaute. Sie bedauerten sich gegenseitig, dann bestellte Josephine die Rechnung. „Investition in einen Exklusiv-Artikel, okay?“
„Okay, aber vorher kein Sterbenswörtchen!“, mahnte die Kommissarin.
„Sterbenswörtchen ist in diesem Fall eine geniale Formulierung. Ich halte mich zurück.“
Die Freundinnen drückten sich und traten hinaus in den frisch gefallenen Schnee. Pumuckl stieg die Treppen zur Operngarage hinunter und wunderte sich am Kassenautomaten, was es in München kostet, ein Auto abzustellen. Ein Auto, mit dem man nach der Ausfahrt aus der Garage gleich wieder dumm herumsteht, und zwar im Stau der Maximilianstraße. Aber wenigstens mit Aussicht auf weihnachtlich geschmückte Nobelläden von Gucci, Cartier, Ralph Lauren und Dior.
Aufgabenverteilung im Kommissariat III. Elli Eder hatte ihre Truppe um sich versammelt. Zugegeben, Truppe war übertrieben, gerade mal zwei Leute, aber echt gute.
Da war Chrissi, tiefgläubige Anhängerin der Manga-Kultur. Mangas, wir wissen es alle, das sind diese japanischen Comics, von denen Walt Disney seinen Welterfolg abgekupfert hat. Ihre Tradition geht bis ins Mittelalter zurück, da kann nicht einmal der alte Onkel Dagobert mithalten. Die charakteristischen Elemente der Mangas sind pastellige Farben, große Augen, süße Gesichter, das pure Kindchenschema. Zu bewundern an Chrissi mit ihren hellviolett gefärbten Haaren und der speziellen Kleidung. Heute ein rosa Hoodie mit einem weißen Pferdchen vor einem roten Japanmond, dazu schwarze Leggins mit Blümchenmuster.
John war das genaue Gegenteil. Ein Easy Rider in Jeans, Holzfällerhemd, Bikerjacke und Boots. Eigentlich hieß er Johann, aber bei seinen Spezis im Harley-Davidson-Club wäre er damit unten durch. Mit der Harley kam er auch jeden Tag zum Dienst. Und es kostete ihn stets Überwindung, sich auf den bürgerlichen Dienstwagen der Mittelklasse umzustellen. Wenigstens war es ein BMW.
Chrissi bekam die Abendschicht aufgebrummt, eine Tour durch die üblich verdächtigen Clubs, um etwas über Wolferls nächtliche Unternehmungen herauszufinden.
„John, du kommst mit mir, wir inspizieren die Villa des Toten. Ist der Durchsuchungsbeschluss da?“
„Ist eingetroffen, Chief.“ John war durch und durch Easy Rider, auch in der Wortwahl.
„Ach, der abgemurkste Produzent“, stellte die Barfrau respektlos fest, als Chrissi ihr das Foto von Wolfgang P. Alexander unter die Nase hielt. „Der hat uns des Öfteren beehrt, immer auf der Suche nach den Schönen der Nacht. Vor ungefähr zehn Tagen habe ich ihn zum letzten Mal gesehen. Da hat er gleich zwei abgeschleppt, ziemlich junge Dinger.“
Bingo, gleich im ersten Laden ein Volltreffer!
„Wer die Mädels waren, wissen Sie nicht?“
„Keine Ahnung, aber vielleicht kennt Gernot sie, mein Kollege. Der hatte damals auch Dienst, ist aber heute nicht da. Freier Tag.“
„Dann soll er mich bitten anrufen.“
Chrissi überreichte ihre Karte und glitt Manga-mäßig niedlich vom Barhocker.
Als sie zur Tür ging, stellte ihr ein peinlich cooler Typ sein Bein in den Weg: „Hey Baby, wie wärs mit uns zwei? Ich bin dein Traummann, musst du wissen.“
Chrissi sah ihn mit ihren großen, auf süß geschminkten Augen an: „Und ich bin eine Bullenfrau, musst du wissen. Halt also die Klappe, du Würstchen, und geh mir aus dem Weg.“
Auch Traummänner haben manchmal den Dreck im Schachterl.
Die Villa war erlesen eingerichtet, das mussten die Kommissare dem Lustmolch lassen. Pumuckl durchstreifte die Räume von oben bis unten, John übernahm das Arbeitszimmer. Es war mit kühler Eleganz möbliert, der Schreibtisch ein Designklassiker von USM Haller, Sofagruppe und eine Chaiselongue von Le Corbusier, eine echte Bergpalme bis unter die Decke. In den Metallregalen Fernsehpreise, goldene Kamera, goldenes Rehlein, chromblitzend gerahmte Fotos von Stars und Sternchen, signiert „für den lieben Wolferl“.
John kannte sich nicht nur mit Harleys aus, sondern auch mit Rechnern. War aber gar nicht nötig, denn die Dateien waren ungesichert. Auch der Ordner mit den Fotos. Fotos von den Bunga-Bunga-Partys, die offensichtlich im verglasten Poolbereich stattgefunden hatten. Dort war wohl jede Ecke mit Kameras ausgestattet. Die hatten sowohl Gruppenbilder mit Damen geliefert als auch Nahaufnahmen der teilnehmenden Herren. Überzeugendes Material für schwierige Verhandlungen: „Du finanzierst mein neues Projekt volles Risiko mit, oder ich rede mit deiner Frau.“ Noch mehr Risiko.
John wühlte sich durch den E-Mail-Verkehr im Rechner. Auch da gab es Interessantes. Am interessantesten eine Nachricht, die erst kürzlich an den Schauspieler Lukas Leitmüller gegangen war. „… sehe ich mich aufgrund der drastisch sinkenden Einschaltquoten gezwungen, die Zusammenarbeit mit Dir aufzukündigen und die Rolle des Erfolgskommissars Hundhammer mit einem Kollegen aus der aktuellen jungen Riege neu zu besetzen.“
Hundhammer war die Hauptfigur der Krimiserie Morden in München, ein Erfolgsformat, quasi ein lokaler bayerischer Tatort.
John war mit sich und den Ergebnissen hochzufrieden.
Pumuckl hatte die Räumlichkeiten durch, die so gut wie nichts ergeben hatten. Der Spielplatz der Lust war ja schon im Rechner dokumentiert, nur der Geruch dort nicht.
„Wie in einem thailändischen Edelpuff“, drückte sie sich drastisch aus. „Überall stehen große Flakons mit intensivem Parfüm herum, ich hab’s dummerweise ausprobiert.“
„Man riecht es deutlich. Aber woher kennst du dich mit thailändischen Freudenhäusern aus?“, grinste John.
Merke: Echte Easy Rider duzen auch ihren Chief.
Okay, die Villa war abgehakt, sie nahmen den Rechner mit und fuhren zurück ins Kommissariat. Dort ernteten sie verwunderte Blicke der Kollegen wegen des schwülen Duftes, den sie in den kargen Gängen hinter sich herzogen: „In welcher Klitsche waren die denn gewesen?“
Die Promimagazine der Fernsehsender kannten nur noch ein Thema. Da hätte Johnny Depp in der Badehose auf dem Hollywood-Boulevard tanzen können, sie hätten ihn ignoriert. Es gab nur noch Wolfgang P. Alexander, dem ein großer Unbekannter das Lebenslicht ausgeblasen hatte.
Die Schickeria leuchtete vorbildlich dagegen an. Mit Grabkerzen, die aufgestellt wurden, der Tatort verwandelte sich in einen Schrein mit Blumenschmuck, ja sogar mit Luftballons, auf denen per Filzstift R. I. P. geschrieben stand. Mehrere Kamerateams lagen auf der Lauer, um jede bekannte Nase abzufilmen, die sich an der exklusiven Kultstätte zeigte.
Elli Eder lümmelte auf der Couch und zog sich Rasant rein, das angeblich schnellste Klatschmagazin ever. Soeben war Manni Meerkatz mit dem vulkangrauen Taycan am Totenschrein vor dem Königlichen Hirschgarten eingetroffen. Die gelben Bremsbacken leuchteten im milden Kerzenschein, Manni trat an die Stätte der Erinnerung und legte eine einzelne weiße Rose in den Schnee. Dazu bewegte er die Lippen. Die Kommissarin hätte nur zu gerne gewusst, was er da lautlos von sich gegeben hatte.
Ha, Chrissi, die konnte helfen! Die Manga-Anbeterin war nämlich des Lippenlesens kundig.
„Holen Sie sich die Sendung aus der Mediathek und finden Sie heraus, was der Meerkatz sagt.“
Fünfzehn Minuten später der Rückruf: „Er sagt: ,Das ist für dich, du Arsch!‘ Nicht sehr fein, oder?“
Das war nicht nur unfein, sondern vor allem verräterisch. Der Herr Hotelerbe hatte wohl einen Pik auf den Wolferl. Hatte der Meerkatz den Eisstock geschwungen?
Chrissi bekam an diesem Abend keine Ruhe.
„Hier ist Gernot“, die Stimme war im Hintergrundlärm kaum zu verstehen.
„Welcher Gernot?“
„Vom Club Isarflimmern. Sie waren gestern da wegen Wolferl Alexander. Ich habe die beiden Mädels gesehen, und eine davon kenne ich. Charlene Meerkatz heißt sie. Dem Daddy gehört das Hotel Charivari in der Altstadt. Ein Möchtegern-Promi. Die andere habe ich nicht auf dem Schirm.“
Ui, das waren ja Neuigkeiten! Chrissi bedankte sich und schaltete das Smartphone stumm. Schluss für heute!