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Aller guten Morde sind acht. Sie ereignen sich zur Weihnachtszeit im Schwabenland, deshalb sind sie aber nicht weniger tödlich als anderswo – dafür umso spannender. Die Opfer erwischt es auf der Bühne beim Krippenspiel, in der Kirche beim Oratorium, im eisigen Winterwald und in der Seniorenresidenz. Gut, da passt es wenigstens. Überhaupt nicht passt ein unfreiwilliger Abgang zum Edelrestaurant des lebenslustigen Sternekochs Vincent Klink, aber der Meister der Maultaschen ist dennoch darin verwickelt. Ja Herrgottsack! Dass in der schwäbischen Fastnacht Hexen ums Leben kommen, ist auch nicht alltäglich, und sogar Weltmeistertrainer Jogi Löw ist in högscht rätselhafte Angelegenheiten verstrickt. Allerdings ohne Mord, denn geschossen wird bei ihm nur aufs Tor. Um im Jargon zu bleiben, dieses Buch ist ein fesselnder und amüsanter Volltreffer nach dem Motto: „Wer das nicht liest, Advent, Advent, der hat Weihnachten verpennt!“
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Seitenzahl: 144
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Die Kurzgeschichten spielen hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion.Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über https://www.dnb.de© 2024 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.comEPub-Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbHeISBN 978-3-8271-8734-5
WeihnachtsanektötchenSpannende Geschichtenaus dem Schwabenländlevon Wolfgang Hofer
Prolog
Weihnachten hat schon immer genervt. Vor allem die Maria und den Josef. Erstens, weil sie wegen der beknackten Volkszählung von Kaiser Augustus mitten im Winter nach Bethlehem mussten, und zweitens, weil sie dort keine Herberge fanden. Alles ausgebucht.
Heutzutage besuchen uns die lieben Verwandten und finden eine Herberge. Nämlich unser Wohnzimmer, wo sie sich einnisten und den ganzen Tag bespaßt werden wollen. Sogar der bewährte Zyniker Woody Allen gibt da klein bei: „Es ist schon das siebte Mal, dass meine Schwiegermutter an Weihnachten zu uns kommt. Diesmal lassen wir sie rein.“
Dazu gehen uns die Radiomacher auf den Geist, die der Ansicht sind, es gäbe nur ein einziges Weihnachtslied, nämlich „Last Christmas“. Das zunächst ein Osterlied gewesen war mit dem Titel „Last Easter“. Als die Plattenfirma auf die Schnelle einen Weihnachtssong einforderte, änderte George Michael kurzerhand den Titel, fertig war der Nervtöter.
Also lieber fernsehen. Ganz schlechte Idee. Kevin ist schon wieder allein zu Haus. Wie immer an Weihnachten. Irgendjemand sollte endlich das Jugendamt informieren!
Okay, Smart TV wieder aus und aufs Handy gucken. Die Leute posten ohne Ende megaspaßige Videos, in denen Rentiere mit den Ohren oder dem Hintern wackeln, und dazu läuft was? „Last Christmas“!
Der Paketbote klingelt an der Haustür. Natürlich bringt er das Päckchen nicht hoch; also zwei Etagen runter, dann wieder rauf, und wofür? Für das obligatorische Geschenk von Tante Lisa. Dieses Jahr ein dreiteiliges Männer-Pflegeset mit „Anti-Aging-Effekt und Ginseng-Extrakt für den aktiven Lifestyle“. Also bitte! Als hätte ich Anti-Aging und Ginseng nötig.
Ach, liebe Leute, es gibt so viele Zeitgenossen, denen man in den stillen Tagen am liebsten an den Kragen möchte. Aber wir machen das nicht, wir sind ja die Guten. Wir lesen nur darüber.
Wir haben einen Becher Weihnachtspunsch neben uns stehen, einen Teller mit Nussmakronen und Dominosteinen, leise flackert eine Kerze, und wir schlagen unser Buch auf.
Seid ihr so weit?
Dann ist es jetzt Zeit für die erste Geschichte. Auf der nächsten Seite geht’s los!
Ein Weihnachtsstern für Vincent Klink
„Ich liebe es, mit Wein zu kochen“, hatte der amerikanische Filmkomiker W. C. Fields einst erklärt, „gelegentlich gebe ich ihn sogar ins Essen.“
Dieser Satz hätte auch vom schwäbischen Kochkaliber Vincent Klink stammen können, der sich selbst Sitting Küchenbull nennt. Ein Vincent Dampf in allen Gassen. Ohne eigenes Verschulden war er in Hessen auf die Welt gekommen, wuchs aber dann zur Wiedergutmachung in Schwäbisch Gmünd auf. In der Folge wurde er Klosterschüler, Metzgerlehrling, Bundeswehrsoldat, schließlich Sternekoch und Fernsehstar im 16:9-Format. Neuester Höhepunkt seiner Karriere: Verdächtiger in einer Mordermittlung zur Weihnachtszeit.
Klink ließ sich die seltsamen Ereignisse noch einmal durch den Kopf gehen, während er an einem Fenster seines Edelrestaurants Wielandshöhe stand und versonnen über das nächtliche Stuttgart blickte. Es schneite gerade, was hier eher selten vorkommt. In der Schwabenmetropole ist das Klima mild, da sind ein paar romantische Schneefleggla am Nachthimmel schon ebbes Bsonders.
Der Restaurantkritiker Ansgar Stahlmann war kein Weihnachtsmann, im Gegenteil, er war knallhart, nomen est omen. Ein Anwalt des teuren Geschmacks, ein Primus der Branche. Die Petersilienschaumsüppchen bebten vor Angst um ihren guten Ruf, wenn er in der gehobenen Gastronomie auftauchte. Dabei war sein Werdegang nicht unbedingt ein Ruhmesblatt. Begonnen hatte er als Autor von Groschenromanen. Stahlmann verantwortete damals die Serie Berge des Schicksals. Alle zwei Wochen ein Heft mit 64 Seiten, da raucht der Rechner, doch das Honorar ist übersichtlich. Ausgabe 122 brachte die Wende. In dieser Geschichte verirrt sich ein erfolgreicher und natürlich umwerfend gut aussehender Gastrokritiker in eine einfache Zillertaler Gaststätte und bekommt dort Tiroler Knödel serviert. Gerade hat ihn seine Frau verlassen, und der Bedauernswerte erlebt dank der Specksemmelknödel unerwartete Linderung seines Schmerzes. Merke: Nicht nur Liebe, auch Trost geht durch den Magen. Wie der Groschenroman es so will, ist auch die Köchin kürzlich verlassen worden und entflammt im Herzen ob der lobenden Worte des Gastes. So findet eines zum anderen, beide finden auf Seite 63 ins Bett, und wenn sie im Liebesrausch nicht gestorben sind et cetera pp. Beim Schreiben der Story kam Stahlmann auf die Idee, Restauranttester zu werden. Lag doch auf der Hand. Schreiben konnte er, essen ebenfalls, sein Verlag brachte neben preisgünstigen Heftchen von der Stange auch richtige Bücher heraus, fertig war der neue Fresspapst.
Diesen Vincent Klink hatte er seit Anbeginn auf dem Zettel. Ganz eindeutig ein Nestbeschmutzer, der mit faulen Eiern und Tomaten nach den hehren Tempeln des Genusses warf. Der Dicke wetterte gegen die Pâté de foie gras, die Gänseleberpastete, wegen der angeblich armen Viecher, denen der Nahrungsbrei gnadenlos in den Hals gestopft wird, damit sie eine gourmettaugliche Fettleber entwickeln. Na und? Als Feinschmecker muss man auch mal wegschauen können. Und mit Trüffel verfeinert schmeckt die sündhaft teure Pampe doch köstlich!
Das hochtrabende San-Pellegrino-Wasser hatte Klink ebenfalls aus seinem Laden verbannt. Weil es vom Schweizer Weltkonzern Nestlé kommt, dem unter anderem Ausbeutung und Kinderarbeit in der Dritten Welt vorgeworfen werden. Was soll’s? Dafür können westliche Kiddies sich an KitKat, Smarties und Choco Crossies erfreuen und sich damit die Zähne ruinieren. Wenn das kein Ausgleich ist! In seinem Tagebuch-Blog hatte sich Klink auch noch über die Konkurrenz lustig gemacht, wo steife Kellner beim Servieren sämtliche Details des Gerichtes herunterbeten, als wären die Gäste verkalkte Dummerle, die nicht mehr wissen, was sie bestellt haben: „Sorgsam gegrillte Atlantik-Seezunge auf Champagner-Kaviar-Spiegel an wildem Spinat mit Strohkartöffelchen.“ Noblesse oblige, Adel verpflichtet, Koch-Adel dichtet, Kellner schwafelt.
Vincent, der unmögliche Küchenrebell, machte drei Kreuze, als der Gourmet-Schreiberling samt Freundin endlich aus seinem Laden in die Winterwelt hinaus verschwunden war. Mit Vergnügen hatte er ihm persönlich die Rechnung präsentiert. Nur die reichlich genossenen Schnäpsle am Schluss waren aufs Haus gegangen. Alles andere war fein säuberlich aufgelistet als Wiedergutmachung für den Verriss des Ostermenüs, den sich der geschmacklose Vielschreiber vor einem Dreivierteljahr geleistet hatte. Stahlmann war natürlich beleidigt, weil er zahlen musste. Zähneknirschend hatte er das Mäppchen mit seiner schwarzen Kreditkarte zurückgereicht, allerdings ohne ein sternegerechtes Trinkgeld zu gewähren. Okay, die Angestellten würden es verkraften. Beim nächsten Mal würde Klink wieder gnadenlos vorgehen, nahm er sich vor. Nicht ahnend, dass es kein nächstes Mal geben würde.
Cheyenne hatte gerade die Kerzen am Adventskranz angezündet, als sie Ansgars Stöhnen aus dem Schlafzimmer hörte. Sie eilte zu ihm und bekam gerade noch mit, wie der Seufzer erstarb, der Ansgars letzter sein sollte. Stille. Kein Atemzug mehr, nur noch Stille. Cheyenne suchte an der Halsschlagader nach dem Puls, fand aber keinen.
Der Notruf ging exakt um 20 Uhr ein, Rettungswagen und Notarzt wurden losgeschickt. Weinhaldenstraße 110 bei Stahlmann. Blaulicht, Martinshorn und durch! Die Helfer fanden ein modernes Einfamilienhaus vor, von hohen Hecken umstellt. Auf der Terrasse lag ein Weihnachtsbaum, noch im Netz gefesselt. Eine sichtlich mitgenommene Dreißigjährige mit aufgelöstem Haar öffnete die Tür.
Im Schlafzimmer roch es penetrant nach Alkohol. Ansgar Stahlmann lag auf der einen Seite des Doppelbettes, die Decke war halb zu Boden gerutscht. Auf dem Nachttisch eine Dose Red Bull und eine geöffnete Packung Schmerzmittel.
Der Mann war tot, zweifellos. Kein Fall für den Rettungswagen, ein Fall für Polizei und Rechtsmedizin. Als die Sanitäter gerade abziehen wollten, drang aus dem Wohnzimmer Brandgeruch. Der Adventskranz! Kurz entschlossen erstickten die Sanis das Feuer mit einem der voluminösen Kissen, die in der Sitzlandschaft herumlagen. Wenigstens eine Rettung gelungen!
Als die Kripo eintraf, hatte der Notarzt seine Untersuchung abgeschlossen. Keine äußeren Verletzungen. Der Tod möglicherweise eine Wechselwirkung von Alkohol und Schmerzmittelgaben. So etwas ist immer ungesund, selten letal, aber manchmal doch. Er übergab an den Rechtsmediziner, nahm seine Sachen und verließ das Haus.
Im Garten, wo eine LED-geschmückte Zypresse romantisch in den Schneefall strahlte, griff er zu seinem Mobiltelefon: „Falco, ich hab was für dich! Einen seltsamen Todesfall mit einer prominenten Leiche.“
Falco Freiwald, genannt FF, Klatschreporter beim Stuttgarter Kurier, war höchst angetan. Er hatte einen Deal mit dem Notarzt. Für jeden Tipp eine finanzielle Zuwendung. Das medizinische Personal im öffentlichen Dienst ist ja hierzulande nicht gerade überbezahlt. FF bedankte sich für die Information, die eine Steilvorlage war für eine Knaller-Schlagzeile: „Restaurant-Kritiker gibt bei Klink den Löffel ab!“
Schimanski hatte sein Team versammelt.
Da ist mir jetzt nichts durcheinandergeraten, der hieß wirklich so. Mitten in Schwaben, wo alle, die nicht Brüderle heißen, Häberle heißen oder wenigstens Vögele. Der Kommissar aber hieß Schimanski. Immerhin nicht mit Horst davor, sondern mit Heinz. Mit dem Ruhrpott-Rambo aus dem Duisburger Tatort, Gott hab ihn selig, hatte er rein gar nichts gemein. Er vermied Prügeleien, ernährte sich nicht von Currywurst, sondern von Spätzle, und trank statt Bier lieber Trollinger.
Er war nicht nur ein gemütlicher, sondern auch ein moderner Schwabe. Was im Grunde Pflicht ist im Land von Daimler, Bosch und Carl Zeiss. Technisch voll auf der Höhe der Zeit, hatte er die Flipcharts abgeschafft und durch einen Großbild-Monitor ersetzt. Neben dem stand er jetzt und stellte die Frage aller Fragen: „Was habet mr?“
Auf Kriminal-Hochdeutsch: „Was haben wir?“
Als Hauptdarsteller hatten sie den toten Ansgar Stahlmann, Schriftsteller und Restaurant-Kritiker. Auf dem Bildschirm erschien ein Foto von Stahlmann aus lebendigen Zeiten.
„Umstrittene Figur“, ließ sich Lavinia vernehmen, die Recherche-Göttin der Truppe. „Karrierist, ehrgeizig ohne Ende, hatte etliche Köche an den Rand der Existenz geschrieben, ging über Leichen. Jetzt ist er selbst eine.“
Als nächstes Bild erschien eine Spätzle-Werbung, die eine attraktive Brünette zeigte.
Lavinia fuhr fort: „Stahlmann war zusammen mit Cheyenne Seitenbacher, ein in Schwaben weltbekanntes Model für Teigwaren-Werbung. 31 Jahre, polizeilich unauffällig.“
Zu guter Letzt noch der Kopf aller Köpfe. Vincent Klink, Gastronom, bei dem das Opfer am Abend vor seinem Ableben zum Essen war. Lavinia erklärte dazu: „Da der Tote wohl vergiftet wurde, müssen wir Herrn Klink zu den Verdächtigen zählen, ob wir wollen oder nicht. Die toxische Substanz ist dem Gast ja wohl mit einem Getränk oder einer Speise zugeführt worden.“
Kommissar Schimanski grinste innerlich: „Toxische Substanz!“ Lavinia liebte es, sich so auszudrücken, als hätte sie sämtliche Bachelor-Grade nur um Haaresbreite verpasst.
Jetzt lag es am Rechtsmediziner, die toxische Substanz näher zu erläutern. Der Mann war ein elendiglich dürrer, blasser und strohtrockener Kerl. Den Großbildschirm ignorierte er, schließlich hatte er alles mit schwäbischer Gründlichkeit in einer Kladde notiert. Der Doc setzte seine Brille auf, räusperte sich und begann.
„Das Ableben ist in der Tat auf eine Vergiftung zurückzuführen. Mit Methylalkohol, kurz Methanol. Das Gift geht immer wieder durch die Presse, wenn Leute sterben, die gepanschten Schnaps getrunken haben, der mit billigem Methanol versetzt worden war. In dieser Hinsicht sollten wir Vincent Klink ausschließen. Es ist kaum vorstellbar, dass er seine edlen Obstwässerle mit Billigfusel streckt.“
Der Doc machte eine Pause, aber niemand tat ihm den Gefallen, wegen der läppischen Pointe in Begeisterung auszubrechen.
Auch gut, Fortsetzung folgte: „Die Beschwerden bei einer Intoxikation mit Methylalkohol ähneln einem Alkoholkater enormen Ausmaßes. Hämmernde Kopfschmerzen, grauenhafte Übelkeit, Bewusstseinsstörungen, Schwindel. Der Betroffene kann davon ausgehen, dass er sich einfach einen riesigen Rausch angetrunken hat.
Weiters habe ich erhebliche Mengen an Schmerzmitteln nachweisen können. Wenn der Schädel brummt, greift man eben zu Acetylsalicylsäure und Co. Kombinationen von Alkohol und Analgetika sind jedoch unberechenbar und können sich in der Wirkung aufschaukeln.
Hier wollte also jemand wirklich auf Nummer sicher gehen. Entweder Stahlmann selbst, falls es Suizid war, oder sein Mörder, falls es eine vorsätzliche Tötung war. Aber das müssen Sie herausfinden. Ich danke Ihnen!“
Der Doc nahm die Brille ab, schloss die Kladde und entschwand in seinen Leichenkeller. Wo er eindeutig hingehörte, nicht nur wegen seiner Profession, sondern auch wegen seines Aussehens.
Fehlten noch die Erkenntnisse der Kriminaltechnik, also von den Spürnasen in den weißen Plastik-Klamotten, die jeden Tatort so lange auseinandernehmen, bis es sich gelohnt hat. In ganz vielen heutigen Fernsehkrimis wird die Truppe auch als Spusi bezeichnet.
Kommissar Schimanski konnte es kurz machen: „Die Spurensicherung hat nichts Nennenswertes gefunden. Die Red-Bull-Dose war unauffällig, die Schmerzmittel ebenso.
Also Aufgabenverteilung: Lavinia, Sie reden mit dieser Cheyenne von Frau zu Frau, und ich suche den Sternekoch auf.“
Schimanski hatte sich ganz bewusst für den Koch eingeteilt, es könnte ja sein, dass dort gerade ein paar Maultäschle in der Brühe brodelten.
Sie brodelten tatsächlich. Klink hatte auch den Blick des Kommissars gesehen und fragte unschuldig: „Mögad Sie probiere?“
Schimanski mochte. Sie gingen aus der edelstahlblitzenden Küche, wo der ganz normale gastronomische Wahnsinn tobte, ins Restaurant und nahmen an einem Zweiertisch Platz. Der war schon eingedeckt für das Mittagsgeschäft. Es zierte ihn ein minimalistischer Adventskranz aus dem Schwarzwald mit Kerze in der Mitte. Dazu Stoffservietten, blank polierte Gläser, Silberbesteck mit den Initialen VK.
Und der Chef vom Ganzen sollte ein potenzieller Mörder sein? Schimanski beschloss, dass er es nicht war. Außer die Ermittlung ergab etwas anderes.
Der Souschef persönlich brachte die Herrgottsbscheißerle in der Terrine und schenkte anschließend zwei Riesling ein. Klink und Schimanski hoben die Gläser, anschließend langte der Kommissar zu.
Mit großem Appetit und kulinarischem Geschichtsbewusstsein, auf das er stolz war. Denn er wusste genau, wie die schwäbischen Ravioli zu ihrem Spitznamen gekommen waren.
Im Dreißigjährigen Krieg, in dem das Leben karg war und die Mägen meist leer, waren die darbenden Mönche des Klosters Maulbronn unverhofft an ein anständiges Stück Fleisch gekommen. Ein flüchtender Dieb hatte es verloren. Dummerweise war gerade Fastenzeit, Fleischverzehr strikt verboten. Also kamen die gewitzten Zisterzienser auf die Idee, das Fleisch – Simsalabim! – einfach zu verstecken. Sie hackten es klein, mischten Spinat und die Kräuter des Klostergartens hinein und wickelten das Brät in einen Nudelteig. Dann kochten sie die Teigtaschen in einer Brühe. Nationalgericht erfunden, Beschiss gelungen!
Als hätte der liebe Gott, der alles sieht, Spätzle auf den Augen und würde ausgerechnet bei einem Nudelteig nicht durchblicken. Wie es heißt, hat der Allmächtige einfach darüber hinweggesehen und seinen hungrigen Dienern den Triumph gegönnt.
„Sensationell!“, befand der Kommissar kauend, „trotzdem muss ich Sie fragen, wie das vorgestern Abend war, als dieser Stahlmann hier gegessen hat.“
„Keine außergewöhnlichen Vorkommnisse“, erwiderte Klink, „er tauchte mit seiner Spätzle-Schönheit auf, sie bestellten beide die Keule von der Martinsgans, tranken dazu zwei Flaschen von meinem besten Roten und erwarteten wohl, dass ich alles spendiere. Aber meine Spendierhosen waren gerade in der Reinigung.“ Klink feixte spitzbübisch.
„Den Digestiv habe ich ihnen ausgegeben, sie haben ganz schön zugeschlagen. Dann hat er ein Taxi gerufen, und sie sind Arm in Arm hinausgewankt. Türe zu, Ende der Geschichte.“
Schon wieder kam das kulinarische Geschichtsbewusstsein des Kriminalers Heinz Schimanski zum Tragen. Er wusste nämlich auch, warum man Martinsgänse isst und nicht Herrmannsgänse oder Friedrichsgänse. Der heilige Martin von Tours war ein Bischof gewesen und stand in seiner Cathédrale Saint-Gatien gerade auf der Kanzel, um eine Predigt zu halten. Da kam eine schnatternde Gänseschar in den Dom gewatschelt und störte den Bischof bei seiner Ansprache. Daraufhin wurden die Gänse eingefangen und kamen nach dem Hochamt in den Ofen. Die heilige Kirche ist nicht immer zimperlich. Und auf Sünder, auch auf tierische, warten eben die Flammen der Hölle. Welch ein Glücksfall für Feinschmecker!
„Restaurant-Kritiker gibt bei Klink den Löffel ab“. Sternekoch Dallmeier vom ländlichen Nobellokal Gutshofstüble nahm gerade seinen dritten Morgen-Espresso und dazu das bewährte Aufputschmittel aus der kleinen Tüte. Mit Genugtuung las er im Stuttgarter Kurier den Artikel über das Ableben des Ansgar Stahlmann und grinste innerlich: „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. In Teufels Küche erst recht!“
Lavinia wurde aus dem Spätzle-Model nicht so recht schlau. War diese Cheyenne Seitenbacher jetzt ein naives Dummchen oder ein abgefeimtes Luder? Wie auch immer, sie würde ihr auf die Schliche kommen.
Die beiden saßen in einer hochmodernen und hochpreisigen Wohnlandschaft. Auf dem quadratmetergroßen Couchtisch winzige Espressotassen, kristallene Wassergläser und ein ebenso kristallener Teller mit exquisiten, kleinen Macarons aus der Confiserie Breuninger. Stückpreis zwei Euro, aber jeder Brösel sein Geld wert. Ohne künstliche Aromen, ohne Farbstoffe, ohne Konservierungsmittel. Das heißt auffuttern, denn nach drei Tagen sind sie hinüber.
Ach ja, Macarons sind luftige Baisers aus Mandelmehl in wohlschmeckenden Geschmacksrichtungen wie Salzkaramell, Pistazie oder Champagner. Zur Weihnachtszeit brillieren die Sorten Nussknacker und Bratapfel.
Die Geschmacksrichtung des ausladenden Wohnzimmers war angekokelter Adventskranz. Cheyenne ließ stockend die letzten beiden Tage aus ihrer Sicht Revue passieren.
„Vorgestern war ein Arbeitstag von der unangenehmen Sorte. Ansgar machte Reiseabrechnungen, und ich beantwortete seine Fanpost. Nervig, sag ich Ihnen. Sie glauben nicht, was die Leute alles wollen. Einer hat geschrieben, er sei nächste Woche in Stuttgart, ob er kurz vorbeikommen könne?
Am Nachmittag haben wir zum Durchschnaufen eine Flasche Wein aufgemacht. Einen feinen Cabernet Sauvignon, ausgezeichnet mit dem Mundus Vini Preis. Ein Geschenk von Hubertus Dallmeier vom Restaurant Gutshofstüble, das Sie wahrscheinlich nicht kennen.“
„Blöde Kuh“, dachte Lavinia, „jetzt hast du es dir verscherzt!“
Nach außen gab sie sich beeindruckt: „Nie gehört. Was ist das für ein Laden?“
„Kein Laden“, gab Cheyenne zurück, „das Haus hat immerhin einen Stern. Zu Unrecht, wie Ansgar meinte, und das hat er auch in mehreren Kritiken sehr deutlich geschrieben. Deswegen das Weinpräsent. Pure Bestechung, aber lecker. Die gestrige Flasche war die letzte aus einem Sechserkarton.“