Weihnachtsherz - Sigrid Wohlgemuth - E-Book

Weihnachtsherz E-Book

Sigrid Wohlgemuth

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Beschreibung

Die Wunder der Weihnachtszeit Weihnachten ist für viele Menschen die schönste Zeit des Jahres. Gemütliches Beisammensein, Lichterglanz, Weihnachtsmarkt, der Duft nach Tannen und Gebäck, traditionelle Gerichte und Glühwein. Sechs Geschichten erzählen auf unterschiedlichste Weise von der magischen Weihnachtzeit, die wir im Herzen tragen.

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Weihnachtsherz

Για τη

Μαργαρίτα και τον Γεώργιο

σ' αγαπώ

Inhalt

Vertraue der Stimme deines Herzens

Verregneter Weihnachtsmarkt

Hoffenster

Glitzer und Glamour

Die Bank vor dem

Weihnachtsschaufenster

Du bist anders

Persönliche Worte

Vita

Veröffentlichungen

VERTRAUE DER STIMME DEINES HERZENS

So einfach ist das nicht«, sagte Ella Klaus und schob sich energisch eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie saß auf ihrer gemütlichen Couch, das Handy auf laut gestellt und verfolgte unfreiwillig die Worte ihres Bruders Linus.

»Ella, wir brauchen dich. Vater ist in einem … nun ja, wie soll ich es vorsichtig ausdrücken, desolaten Zustand. Du bist die Ältere von uns beiden und musst in seine Fußstapfen treten.« Ella vernahm das hastige Atmen ihres Bruders. »Das werde ich nie und nimmer machen! Was glaubst du denn, warum ich das irdische Leben gewählt habe? Du bist Papas Nachfolger, denn du, mein lieber Bruder, bist mit deinem gesamten Herzen in der Tradition gefangen. Nicht ich. War es nie, werde es nie! Punkt!« Sie setzte sich gerade, drückte den Rücken durch, obwohl Linus es nicht sehen konnte. Für sie selbst als Bestätigung half es ihr Mut zu behalten, nicht auf die Forderung des Bruders einzugehen. Zum Nordpol, ins Land des Weihnachtsmannes, ihrem Geburtsort sollte sie auf der Stelle kommen.

Nein!

»Hör zu, Ella. Wir beenden das Gespräch und wenn du dich beruhigt hast, dann meldest du dich bitte bei mir«, bat Linus.

»Es gibt nichts zu überdenken, ich bleibe, wo ich bin. Ihr müsst allein zurechtkommen. Ich habe mich für ein Leben auf der Erde entschieden.«

»Das wissen und respektieren wir, das heißt aber noch lange nicht, dass du die Familie im Stich lassen kannst, wenn es brenzlig wird. Glaubst du, ich hätte dich angerufen, wenn es nicht ernst wäre?« Er hielt kurz inne. Ella blieb stumm.

»Melde dich bitte.« Linus beendete das Gespräch. Ella legte das Handy auf den Tisch, atmete tief durch, stand auf und holte sich in der Küche ein Glas Wasser. Trank es in großen Zügen leer. Dann stellte sie sich ans Wohnzimmerfenster, schaute hinaus in die langsam aufkommende Dunkelheit.

Seit einigen Jahre lebte sie in dem Haus, am Rande der Stadt. Ella hatte sich damals bewusst für ein Leben auf der Erde entschieden. Ihr Vater, der Weihnachtsmann, das Nordpolleben war für sie irgendwann nicht mehr real, keine Zukunft gewesen. In jungen Jahren war es ihr größter Traum, einmal in Vaters Fußstapfen zu treten. Als sie ins Teenageralter kam, beobachtete sie vermehrt die Kinder und die Erwachsenen auf der Erde. Niemand glaubte wirklich an den Weihnachtsmann, die Elfen und die Spielzeugfabrik am Nordpol. Und schon gar nicht an die sprechenden Rentiere. Ella zog sich immer mehr zurück aus dem Weihnachtsunternehmen, bis sie im Alter von dreiundzwanzig Jahren endlich den Absprung von der Familie vollzog. Die härteste Entscheidung in ihrem Leben, weit weg von den Eltern und dem Bruder sich eine neue Zukunft aufzubauen. Ella erdrückte das Weihnachtsland, sie wollte mehr sehen, mehr erleben. In Vaters Land hatte sie Privatlehrer, erlernte Marketing, Design, erfand neue Spielzeuge und kümmerte sich um die Buchhaltung. In ihrem Inneren jedoch schlummerte eine Grafikerin für Kinderbücher. Heimlich hatte sie nach dem Tageswerk an einer Mappe gearbeitet, diese an einen irdischen Verlag gesendet und wurde zu einem Vorstellungsgespräch gebeten. Das war der Anfang, von Ellas Abschied aus dem Land des Weihnachtsmannes. Sie erzählte den Eltern, dass sie die Enge nicht mehr ertragen könnte, sie wollte Neues sehen, Neues erleben. Nach langen Diskussionen ließen die Eltern die Tochter schweren Herzens ziehen. Ins Ungewisse, in ein fernes Land. Sie gaben Ella eine Nordsternschneekugel mit, dort konnte die Tochter, wenn sie wollte hineinschauen und bekam mit, was in der Heimat vor sich ging und es bestand zusätzlich die Möglichkeit miteinander zu telefonieren. Ella versprach sich zu melden.

Vor ihrer Abreise aus der Heimat hatte sie sich informiert, wie sie eine Wohnung finden könnte. Und falls es mit dem Vorstellungsgespräch nicht gut ausging, eine Anstellung und was für sie von großem Vorteil war, es gab ein Amt, auf dem sie Gelder beantragen konnte. Dieses suchte Ella bereits einen Tag nach dem unerfreulichen Vorstellungsgespräch auf und bat um Bewilligung für Wohngeldzuschuss und dem Bürgergeld. Die Mitarbeiterin war freundlich und da sie damals selbst aus dem Ausland bekommen war, hegte sie Sympathie für Ella und beschleunigte deren Anträge. Zu Anfang kam sie in einer Wohngemeinschaft unter. Ella ließ die Schneekugel stets im Koffer, damit kein Mensch per Zufall herausfinden würde, woher sie stammte. Wurde Ella gefragt, antwortete sie getreu aus dem Norden. Niemand fragte nach dem Ort.

Sie lebte sich schnell ein, bewarb sich bei verschiedenen Verlagen als Zeichnerin und fand eine Anstellung. Sie lernte den Umgang mit ihr nicht bekannten Computerprogrammen und nahm privat Aufträge von Autoren an. Nach einem Jahr zog sie in eine eigene Wohnung, kaufte sich Möbel und genoss es endlich allein zu wohnen. Von Jahr zu Jahr wurde Ella erfolgreicher und konnte sich kaum vor Aufträgen retten. Sie hatte Freundschaften geschlossen und seit drei Monaten beschlich sie das Gefühl von Verliebtheit zu Henrik. Ella konnte sich ein glücklicheres Leben nicht vorstellen und bereute nicht einen Tag, dass sie das Weihnachtsland verlassen hatte. Seitdem war sie nicht ein einziges Mal bei den Eltern gewesen. Bis auf die Telefonate hegten sie keinen Kontakt. Das war damals so besprochen worden und im Notfall war die Schneekugel da.

Ella hatte die letzten Jahre an sich Revue passieren lassen. Sie gab zu, Sehnsucht nach den Eltern beschlich sie das ein oder andere Mal, doch sie musste sich an so viel Neues gewöhnen, sich ein Leben einrichten und war ständig auf der Hut, dass niemand ihre wahre Identität herausfinden würde. Seitdem Henrik in ihrem Leben eine Rolle spielte, war sie übervorsichtig geworden. Sie wich ständig seinen Fragen nach ihrer Herkunft aus. Obwohl sie liebevolle Gefühle für ihn verspürte und sich wünschte viele Jahre mit ihm gemeinsam verbringen zu können, setzten sie seine Fragen hin und wieder unter Druck. Und jetzt der Anruf von Linus. Der Bruder war mit Herzblut mit dem Weihnachtsland verbunden, er wäre der passende Nachfolger des Vaters oder für ihn in diesem Jahr der Ersatz, bis es dem Weihnachtsmann besser gehen würde. Doch die Elfen nahmen von keinem, außer dem Weihnachtsmann, Anweisungen an und daher bestanden die Eltern auf der Tradition, die oder der Erstgeborene müsste in schwierigen Situationen aushelfen. Dabei waren die Geschwister Zwillinge. Ella war gerade mal fünf Minuten vor dem Bruder geboren und somit auch das erste Mädchen, das als Nachkomme in der althergerührten Überlieferung zur Welt gekommen war. Ella schüttelte den Kopf. Wäre der Bruder zuerst … dann hätten sie nun keine Sorgen zu bewältigen gehabt.

»Nein, und nochmals nein«, sagte sie laut vor sich selbst hin. »Das geht nicht, ich habe mir ein Erdenleben aufgebaut und ich kann doch nicht von jetzt auf gleich verschwinden. Wie soll ich das dem Arbeitgeber, den privaten Kunden, den Freunden und Henrik erklären? Ich bin dann gerade mal weg zum Nordpol, mein Vater der Weihnachtsmann braucht Hilfe.« Sie lachte auf. Dann kamen die Gewissensbisse. Der Bruder hatte sich ernst angehört. Besaß sie das Recht die Familie im Stich zu lassen? Ja. Denn es war damals lange besprochen worden, dass sie sich für das irdische Leben entschieden hatte. Es kam nicht aus einer Laune heraus, denn Ella wusste, welche Konsequenzen es mit sich bringen würde. Wie viele Jahre waren es? Sie rechnete nach. Sechs. Und es war nicht immer eine einfache Zeit gewesen, doch sie hatte es geschafft und sich durchgekämpft. Und gerade jetzt, wo die Schmetterlinge langsam anfingen im Bauch zu kribbeln, wenn sie an Henrik dachte, sollte sie alles aufgeben und zurück gehen? Henrik, der sie zum Lachen brachte, der sie auf Händen trug, immer für eine Überraschung gut war, der einem hervorragenden Job als Manager in einem Investmentkonzern nachging. Noch hatten sie keinen körperlichen Kontakt, doch sie fühlten sich auch ohne Sex gut miteinander. Ella wollte es langsam angehen lassen, zu ängstlich, ob sie sich mit einem Erdenmenschen einlassen durfte. Henrik schien mit ihrer Zurückhaltung in Sachen körperlicher Liebe klar zu kommen und obwohl sie erst drei Monate miteinander verbrachten, überlegten sie bereits zusammenzuwohnen. Henrik hatte vorgeschlagen, dass er in Ellas Haus mit einziehen könnte. Es war größer als seine Junggesellenwohnung, lag in einer ruhigen Gegend und zentral genug, um mit der Bahn oder dem Auto schnell in die Großstadt zu gelangen. Anfang des neuen Jahres wollten sie den Umzug in Angriff nehmen.

Ella stand von der Couch auf, ging zum Fenster. Ein Glück war Henrik gemeinsam mit einem Freund aus gegangen, sodass sie Zeit hatte, in Ruhe über alles nachzudenken. Könnte sie sich für kurze Zeit aus dem Staub machen? Der Familie helfen und zack schnell wieder zurück sein? Der Bruder hatte von Nachfolge gesprochen. Dabei war der Vater längst nicht in die Jahre gekommen, um sich zur Ruhe zu setzen, dafür liebte er seine Lebensaufgabe zu sehr. Das Telefon klingelte.

»Klaus«, meldete sie sich.

»Ich bin es noch mal«, hörte sie Linus bedrückte Stimme.

»Ich …«

»Ella«, unterbrach er sie, »ich habe mit den Eltern gesprochen, sie lassen sich nicht dazu überreden, dass ich für Vater einspringe. Die Elfen haben sich dagegen entschieden.« Ella hörte die Traurigkeit aus seinen Worten heraus. Der Bruder war der beste Ersatz für den Vater, wieso sah er das nicht ein und setzte sich gegen das Volk durch? Und dass die Mutter dem Sohn nicht beistand. Ella schüttelte den Kopf.

»Linus, wie soll das gehen, ich kann nicht mir nichts dir nichts einfach verschwinden. Ich bin nicht mehr allein.«

»Du hast einen Freund?«

»Seit Kurzem und es ist schön, Verliebtheit zu spüren. Ich habe es vermisst.«

»Mit einem Erdenmenschen, da ist ziemlich schwierig, deine Herkunft geheim zu halten, stelle ich mir vor.«

»Ja, das ist es.«

»Ich kann dich verstehen und glaube mir, ich würde mir nichts mehr wünschen, als Vater zu vertreten. Doch, mir sind die Hände gebunden und wenn wir nicht bald handeln, geht hier alles drunter und drüber. Vater sitzt den ganzen Tag im Haus, kümmert sich nicht um die Werkstatt und von mir nehmen die Elfen keine Anweisungen an. Die Produktion ist eingestellt und täglich kommen neue Wünsche an. Ich kann keine Rohmaterialien bestellen, keine Aufträge ausführen und schon gar nicht in der Heiligen Nacht ausliefern. Das heißt, Weihnachten fällt für uns aus oder Vater rafft sich auf und geht seiner Berufung nach.«

»Was hat er denn eigentlich?«, fragte Ella.

»Keine Ahnung, es geht seit dem Sommer so, dass ihm die Lust an allem verloren gegangen ist.«

»Du meinst, er hat einfach kein Interesse mehr Weihnachtsmann zu sein?«

»Er hat geäußert, dass die Menschen eh nicht an ihn glauben würden.«

»Aber das weiß er doch seit ewigen Zeiten, es gibt Menschen, die daran glauben und andere nicht. Das war doch immer schon so. Ich bekomme es ja selbst hautnah mit. Ich kann nicht behaupten, dass sich da etwas geändert haben soll.«

»Was bringt es, wenn wir darüber nachdenken, das hilf uns kein bisschen weiter. Ich möchte dich nicht unter Druck setzen, ganz bestimmt nicht, doch ich will nichts unversucht lassen, dich umzustimmen, dass du herkommst.«

»Es fällt mir schwer. Ich melde mich morgen, versprochen.«

»Danke, Ella.« Das Gespräch war beendet. Ella ließ sich ein Bad ein, sie wollte entspannen, in Ruhe über alles nachdenken. Sie zündete Kerzen an, schaltete den MP3-Player ein, löschte die Deckenbeleuchtung und stieg ins warme Wasser.

Drei Tage später hatte sie alles geregelt. Im Verlag hatte sie um eine kreative Auszeit gebeten, die privaten Kundenaufträge abgearbeitet und Henrik erzählt, sie müsste jemandem aus der Familie helfen. Er war überrascht, denn bis zu dem Zeitpunkt hatte sie nicht ein einziges Mal davon gesprochen irgendwo eine Familie zu haben. Henrik zeigte jedoch Verständnis und somit war der Moment gekommen. Ella nahm die Schneekugel aus dem Versteck, schaute hinein, zum ersten Mal, seit Damals. Wildes Schneetreiben war zu erkennen, im elterlichen Haus brannten die Lichter. Die Werkstatt lag im Dunklen. Nicht eine einzige Elfe konnte sie ausmachen. Im Stall scharrten die Rentiere mit den Hufen. Dort sah sie den Bruder, der das Fell eines der Tiere mit der Bürste bearbeitete.

»Linus, hörst du mich?«, fragte Ella. Er zuckte zusammen, sah sich um und dann nach oben. An der Decke konnte er die Schneekugel und Ellas Gesicht ausmachen.

»Hallo Ella, du hast mich ganz schön erschreckt.«

»Linus, ich komme nach Hause. Schickst du mir eines der Rentiere, um mich abzuholen? Ich werde in den Wald fahren, dorthin, wo ich damals abgesetzt wurde.«

»Ich schick dir Larry, der hat dich zur Erde gebracht.« Sofort machte sich Linus daran das Tier auf den Flug vorzubereiten.

Ella schaute sich in der Wohnung um, steckte die Schneekugel ein und schloss schweren Herzens hinter sich die Tür. Larry wartete bereits im Wald auf sie. Ella stieg auf und schon ging es hoch in die Lüfte. Linus empfing sie am Stall. Nahm die Schwester in die Arme, drückte sie fest an sich. Ellas Nase war rot, ihr war kalt und sie rieb sich fortwährend die Hände.

»Wissen die Eltern Bescheid?«, fragte sie.

»Ich habe sie darauf vorbereitet. Mutter hat sofort angefangen dein Lieblingsessen zu kochen. Vater hat es sogar geschafft sich von seinem Platz zu erheben und ging ihr zur Hand.«

»Dann geht es ihm doch gar nicht so schlecht wie du …«, meinte Ella.

»Bevor du voreilige Schlussfolgerungen ziehst, schau ihn dir selbst erst einmal an«, bat Linus.

Ella bedankte sich beim Rentier, nahm die kleine Reisetasche.

»Kannst du die mit ins Haus nehmen?« Ella reichte sie dem Bruder.

»Kommst du nicht mit?« Er nahm sie an.

»Ich komme gleich nach, möchte kurz in die Fabrik schauen.« Ohne eine Reaktion von Linus abzuwarten machte sie sich auf den Weg dorthin.

Vorsichtig öffnete sie die große Eingangstür, stieß sie auf. Stickige Luft stieg ihr in die Nase. Hier hatte länger keiner mehr gelüftet, stellte sie gedanklich fest. Sie schaltete die Deckenbeleuchtung an, eine Röhre nach der anderen leuchtete auf. Eine nie zuvor erlebte Stille schwebte in der Luft und eine totale Unordnung herrschte im Inneren. Arbeitsgeräte, Stoffballen und verschiedenartige Materialien lagen bunt verstreut auf dem Boden, den Werkbänken und auf den in die Jahre gekommenen Förderbändern. Ella nahm einen halbgefertigten Teddy hoch.

Wenn dieser Zustand in der Fabrik nicht ein Zeichen ist endlich mit dem Weihnachtsland aufzuhören, dachte Ella und legte das Stofftier zurück. Es gab genug andere Unternehmen, die seit Jahrzehnten derselben Geschäftsidee nachgingen und erfolgreicher waren. Beim Weihnachtsmann kamen Bestellungen an, von Kindern, die noch an ihn glaubten, ansonsten starb dieses Firmenmodell langsam, aber sicher aus. Sie schloss die Tür, atmete die eisigkalte Luft ein und schritt aufs elterliche Haus zu. In jedem Fenster leuchteten Kerzen und strahlten Harmonie aus, in der eisigen Nacht. Für Sekunden kamen in Ella warme, herzliche Gefühle für ihr altes Zuhause auf. Schnell versuchte sie, diese in die hinterste Ecke ihres Inneren zu verdrängen. Dieses Haus gehörte zur Vergangenheit, die Gegenwart spielte sich für Ella auf der Erde ab. Sie lächelte bei dem Gedanken an Henrik. Was er jetzt wohl macht?, fragte sie sich. Dann drückte sie die Klinke der Eingangstür hinunter. Mollige Wärme schlug ihr entgegen. Der Duft von Entenbraten schwebte in der Luft. Ellas Magen knurrte. Seit Stunden hatte sie nichts mehr gegessen, viel zu aufgeregt, die Eltern, ihre Heimat, den Bruder und die restlichen Bewohner des Weihnachtslandes wiederzusehen. Sie drückte den Rücken durch, hob den Kopf und ging in die Küche.

»Ella«, die Mutter kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. »Endlich bist du da.« Die Weihnachtsmannfrau drückte sie fest an sich, gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Lass dich ansehen.« Die Mutter setzte die Brille gerade. »Kind, bekommst du denn auch genug zu essen dort unten?«

»Sehe ich so ausgehungert aus.« Ella zog den Mantel aus, legte ihn über einen Stuhl. Der Vater kam auf sie zu.

»Mein Kind, ich freue mich, dich endlich wiederzusehen.« Der Weihnachtsmann rieb sich eine Träne von der Wange.

»Hallo Vater.« Sie nahmen sich in den Arm. Der Vater strich ihr sanft über den Rücken.

»Komm, setz dich.« Die Mutter zog die Tochter mit sich an den Tisch, rückte einen Stuhl für sie zurecht.

»Entenbraten mitten in der Woche«, bemerkte Ella.

»Für dich, den magst du doch immer noch, oder?«, fragte die Mutter und reichte Ella den Rotkohl.

»Seit damals, als ich von hier fortging, habe ich keine Ente mehr gegessen«, antwortete Ella mit leiser Stimme.

»Aber die Menschen haben diese Tradition in der Advents- und Weihnachtszeit seit Jahrzehnten übernommen.« Der Weihnachtsmann griff nach der Schüssel mit den Kartoffeln, nahm sich danach Soße und mischte sie unter. Ella lachte, es hatte sich nichts geändert, der Vater liebte es weiterhin Kartoffeln mit viel Soße zu essen. Die Mutter legte ihr ein Stück Entenbrust auf den Teller.

»Sie haben es übernommen, doch nicht ich. Es hätte mich zu sehr an die Zeit mit euch erinnert«, sagte Ella.

»Das hört sich an, als würdest du nicht glücklich sein und wir dir fehlen«, mischte sich Linus ins Gespräch.

»Sicher fehlt ihr mir. Es hat eine Zeit lang gedauert, bis ich mich eingelebt habe und Freunde fand. Familie ist nun mal Familie. Ich bereue keinen Moment, diesen Schritt gewagt zu haben, nicht dass ihr denkt, dass ich unglücklich bin. Ich habe euch am Telefon immer die Wahrheit gesagt, wie es um mich und mein Seelenheil steht.«

»Dann bin ich beruhigt. Und nun iss, mein Kind«, sagte die Mutter und nickte Ella auffordernd zu.

»Nein, bitte keinen Pudding mit heißen Früchten mehr für mich«, bat Ella. »Ich bin so satt, bei mir geht nichts mehr rein.« Sie legte die Hand auf den Bauch.

»Dann kannst du ihn morgen zum Frühstück essen. Ich stelle ihn extra nicht in den Kühlschrank, damit er nicht zu kalt sein wird.« Gemeinsam mit Linus fing die Mutter an den Tisch abzuräumen. Als Ella ihr behilflich sein wollte, machte sie eine Handbewegung und bat sie sitzen zu bleiben. Beide waren gerade aus dem Zimmer gegangen, da räusperte sich der Vater und Ella machte sich auf eine Auseinandersetzung gefasst. Doch der Weihnachtsmann blieb still. Das war Ella vom Vater nicht gewohnt. Nun konnte sie sich selbst ein Bild von Linus` Besorgnis um ihn machen.

»Sag mal, Vater«, fing sie das Gespräch an. »Was ist denn los, in der Fabrik sieht es ziemlich unordentlich aus. Wollen die Elfen keine Spielzeuge herstellen?«

»Ich habe keinen Auftrag dazu erteilt«, gab der Weihnachtsmann zur Antwort.

»Darf ich fragen, warum nicht?« Sie sah ihm in die Augen.

»Ich fühl mich nicht danach.«

»Bist du krank?«

»Eher habe ich das Interesse verloren.«

»Aber wieso?«

»Ach, das ganz Gehabe auf der Erde, es sind hauptsächlich Kleinkinder, die noch an den Weihnachtsmann glauben, sonst läuft da unten alles aus dem Ruder und es wird bei großen Unternehmen eingekauft, die ihre Waren in Ländern herstellen lassen, von Billigarbeitskräften. Da kommt die Qualitätsware aus dem Weihnachtsland mit den höheren Preisen nicht gegen an.« Er rieb sich den weißen, langen Bart.

»Willst du nicht mehr der Weihnachtsmann sein?«

»Ich bin unsicher.«

Ella war dem Vater dankbar für seine ehrlichen Antworten. Die Mutter kam zurück mit dem Nachtisch für ihren Mann, Linus uns sich selbst. Das Gespräch war für den Moment unterbrochen. Ella überlegte, wie sie dem Vater helfen könnte wieder Freude am Weihnachtsmanndasein zu verspüren. Später setzten sich alle ins Wohnzimmer, tranken einen alkoholfreien Punsch, der nach Nelke und Zimt duftete. Ella pustete an der Tasse, bevor sie den ersten Schluck zu sich nahm. Sie sah sich um, im gesamten Haus hatte sich nichts verändert. Der alte Lehnsessel für den Vater, die gemütliche Couch, die vielen bunten Kissen, die alten Perserteppiche. Das Zimmer war geschmückt mit Tannenranken, bestückt mit bunten Lichterketten, Kugeln in allerlei verschiedenen Farben. Der Weihnachtsbaum würde erst in der Heiligen Nacht aufgestellt werden. Auf den Anrichten standen Tannengestecke mit Kerzen, die angezündet waren und tanzende Schatten an die Wände warfen.

»Vater«, sagte Linus, »ich habe Ella gebeten herzukommen, das wisst ihr und wir sollten besprechen, was aus dem Weihnachtsland wird. Meine Einstellung kennt ihr, ich bin sofort bereit, das Amt zu übernehmen, wenn du Vater, mir die Erlaubnis dazu erteilst.«

»Die Tradition sieht es anderes vor«, sagte die Mutter.

»Da hast du ganz recht«, sagte der Vater, dann wandte er sich an Ella. »Wärst du bereit die Nachfolge anzutreten?«

Ella schüttelte den Kopf. »Ich wollte es schon früher nicht und jetzt auch nicht«, sagte sie.

»Dann ist hiermit das Ende des Weihnachtslandes beschlossen«, verkündete der Vater. Linus sprang vom Stuhl auf. »Das kannst du nicht machen, Vater. Ich liebe es hier zu leben, mit den Elfen zusammen zu arbeiten und die Fahrten auf die Erde würde ich liebend gerne übernehmen. Es ist mein sehnlichster Wunsch. Bitte schlage ihn mir nicht aus.«

»Das geht nicht, mein Junge. So sehr ich es auch wollte. Ella ist die Einzige, die das Land aus der Krise führen könnte. Du weißt doch, dass sich die Elfen querstellen. Obwohl ihnen ein männlicher Weihnachtsmann zusagen würde, denn es hat noch nie eine Weihnachtsfrau gegeben. Somit liegt es an Ella.« Der Vater sah seine Tochter wieder an.

»Da stimme ich dir nicht zu, Vater. Denn auch du könntest es retten, du willst nur nicht mehr, aus nichtigen Gründen. Es gibt im Laufe der Zeit immer wieder Veränderungen. Nichts bleibt, wie es immer war, das gehört zum Leben dazu.« Ella stand auf und ging zur Anrichte, holte drei Bilderrahmen, die dort zur Dekoration standen.

»Schau, auf den Bildern siehst du, dass sich auch in deinem Land etwas verändert hat. Damals gab es viel mehr Schneemassen, die Tannenbäume waren klein, sind im Laufe der Zeit gewachsen, es gab eine einzige nicht besonders große Hütte, um Spielzeug herzustellen, ein paar Holzhäuser für die Elfen. Und hier auf diesem Foto«, Ella hielt es dem Vater hin, »dort ist ein ganzes Elfendorf zu sehen und ein enormes Fabrikgelände.«

Der Weihnachtsmann grummelte Unverständliches in seinen Bart. Ella wusste dieses Zeichen zu deuten, der Vater hatte verstanden, was sie ihm damit zeigen wollte, konnte es jedoch nicht zugeben.

»Noch Punsch?«, fragte die Mutter. Wahrscheinlich wollte sie die Stille, die Einzug gehalten hatte, damit auflockern. Ella schüttelte den Kopf. Der Vater winkte ab und Linus hielt der Mutter seinen Becher entgegen. Sie schüttete ein.

»Ich mache einen Vorschlag, wir gehen schlafen, denn ich bin müde, von der Flugreise mit dem Rentier und morgen in aller Frühe setzen wir uns zusammen und arbeiten einen Plan aus. Seid ihr damit einverstanden?« Sie sah in die Runde und jeder nickte vor sich hin.

Am Morgen gab es keine gütige Entscheidung. Der Vater beharrte weiterhin darauf, wenn die Produktion anlaufen sollte, dann nur unter Ellas Leitung. Linus könnte ihr dabei hilfreich zur Seite stehen. Ellas Hoffnung, nach dem Gespräch sofort die Rückreise antreten zu können, löste sich in Luft auf. Auf der einen Seite wollte sie so schnell als möglich zurück in ihr irdisches Leben, auf der anderen, konnte und wollte sie die Kinder nicht enttäuschen, die an den Weihnachtsmann glaubten.

»Gut, ich gebe klein bei. Dieses eine Mal!«, sagte sie klar und deutlich. Linus atmete tief durch. Der Vater grummelte mal wieder in seinen Bart und die Mutter klatsche freudig in die Hände.

»Linus, kannst du die Elfen zu einer Versammlung zusammenrufen«, bat sie den Bruder, der sofort aufsprang und den Wunsch ausführte. Als er gegangen war, richtete sich Ella an den Vater, beugte sich ein Stück zu ihm hinüber. »Ich möchte, meinen Vater, den Weihnachtsmann zurückhaben. Den Mann, der mit ganzem Herzen seit vielen Jahren den Kindern und den Erwachsenen Freude schenkt. Das ist mein Ziel und ich gebe alles, um es zu erreichen. Ich habe auf der Erde gelernt mich in meinem Beruf durchzusetzen. Es war nicht immer einfach, schon allein daher, dass ich niemandem erzählen kann, wo ich eigentlich zur Schule gegangen bin. Mach dir bitte bewusst, dass ich alles dransetzen werde, mein Ziel zu erreichen.« Sie lächelte den Vater an.

»Du drohst mir?«, sagte er, jedoch in einem freundlichen Ton.

»Ich möchte, dass die Tradition nicht von irgendwelchen anderen Erdenunternehmen zerstört wird und dadurch du …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Drehte sich ab, zog sich den warmen Umhang an und ging hinaus und somit hinüber zum Fabrikgebäude. Sie wollte sich einen definitiven Überblick verschaffen. Vor der Tür stieß sie mit Finn zusammen, rutschte aus. Im letzten Moment fing er Ella mit seinen Armen auf.

»Na, das nenne ich ja mal eine Überraschung.« Er hielt sie weiterhin fest und lächelte sie mit seinen blaustrahlenden Augen an. Ella befreite sich, strich sich den Mantel glatt. »Danke, dass du mich vor dem Hinfallen gerettet hast.«

»Als Linus mir erzählte er würde nach dir rufen, hätte ich niemals gedacht, dass du kommst.« Er rieb sich die kalten Hände.