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Gehört zu jedem Weihnachtsfest: die weltberühmte, bei Groß und Klein beliebte Geschichte von der wundersamen Wandlung des Geizhalses Ebenezer Scrooge. Der Klassiker in neuer Übersetzung von Melanie Walz.
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Seitenzahl: 161
Charles Dickens
Weihnachtslied
Eine Gespenstergeschichte
Aus dem Englischen
von Melanie Walz
Mit Illustrationen von
Tatjana Hauptmann
und einem Nachwort von
John Irving
Die Originalausgabe
erschien 1843 in London unter dem Titel:
›A Christmas Carol in Prose.
Being a Ghost Story of Christmas‹
Der Essay von John Irving wurde dem Band
›Trying to Save Piggy Sneed‹,
erschienen 1996 bei Arcade Publishing, Inc.,
New York, entnommen
Copyright © 1993 by Garp Enterprises, Ltd.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Irene Rumler
Frontispiz: ›Denn da erhob sich Mr.Fezziwig,
um mit Mrs.Fezziwig zu tanzen …‹ (S.67)
Umschlagillustration von
Tatjana Hauptmann
Neuübersetzung
Alle deutschen Rechte vorbehalten
Copyright © 2013
Diogenes Verlag AG Zürich
www.diogenes.ch
ISBN Buchausgabe 978 3 257 06791 0 (1. Auflage)
ISBN E-Book 978 3 257 60393 4
Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.
[5] Inhalt
Vorbemerkung [7]
Erste Strophe
Marleys Geist[9]
Zweite Strophe
Der erste der drei Geister[46]
Dritte Strophe
Der zweite der drei Geister[80]
Vierte Strophe
Der letzte der Geister[125]
Fünfte Strophe
Das Ende der Geschichte[156]
[7] Vorbemerkung
Es war mein Bestreben, in diesem gespenstischen kleinen Buch das Gespenst einer Idee zum Leben zu erwecken, und es soll meine Leser nicht verdrießlich stimmen, weder über sich selbst noch untereinander, noch über die Weihnachtszeit, noch über mich. Möge es in ihren Heimen freundlich herumspuken, und möge niemand es zu bannen wünschen.
Ihr getreuer Freund und Diener,
C. D.
[9] ERSTE STROPHE
Marleys Geist
Marley war tot, so viel vorab. Daran besteht nicht der geringste Zweifel. Der Geistliche, der Schreiber, der Totengräber und der Hauptleidtragende hatten seine Bestattung schriftlich bezeugt. Scrooge hatte es schriftlich bezeugt. Und in der Londoner City war Scrooges Name so gut wie bares Geld bei allem, was er unternahm. Der alte Marley war so tot wie ein Türnagel.
Wohlgemerkt! Ich will nicht etwa behaupten, ich wüsste aus eigener Anschauung, was an einem Türnagel besonders tot sein sollte. Persönlich könnte ich dazu neigen, einen Sargnagel für das toteste Stück Metall im ganzen Eisenwarenhandel zu halten. Aber in dem Vergleich steckt die gesammelte Weisheit unserer Vorfahren, und fern sei mir, ihn mit frevlerischen Händen anzutasten und das Vaterland in den Ruin zu stürzen. Man wird mir also gestatten, nachdrücklich zu wiederholen, dass Marley so tot war wie ein Türnagel.
Wusste Scrooge, dass er tot war? Gewiss wusste er es. Wie hätte es anders sein sollen? Scrooge und [10] er waren seit wer weiß wie vielen Jahren Partner gewesen. Scrooge war sein einziger Testamentsvollstrecker, sein einziger Nachlassverwalter, sein einziger Rechtsnachfolger, sein einziger Erbe und Vermächtnisnehmer, sein einziger Freund und sein einziger Hinterbliebener. Und selbst Scrooge war von dem traurigen Ereignis nicht so sehr am Boden zerstört, dass er es sich als ausgezeichneter Geschäftsmann hätte nehmen lassen, noch am Tag der Beerdigung ein unstreitig gutes Geschäft abzuschließen.
Die Erwähnung von Marleys Beerdigung bringt mich zu meinem Ausgangspunkt zurück. Es besteht kein Zweifel daran, dass Marley tot war. Das muss man sich mit aller Deutlichkeit vor Augen führen, denn sonst wäre an der Geschichte, die ich erzählen will, nichts Außergewöhnliches. Wären wir nicht felsenfest davon überzeugt, dass Hamlets Vater vor Beginn des Stücks starb, wäre sein nächtliches Herumspazieren im Ostwind auf seinen eigenen Befestigungen nicht bemerkenswerter als das plötzliche Auftauchen eines beliebigen Herrn mittleren Alters nach Einbruch der Dunkelheit an einem zugigen Ort – zum Beispiel auf dem Kirchhof von St.Paul’s –, um den verzagten Geist seines Sohnes buchstäblich in Furcht und Schrecken zu versetzen.
Scrooge ließ den Namen des alten Marley nie übermalen. Jahre später stand er noch über der Tür [11] des Kontors: Scrooge & Marley. Die Firma war unter dem Namen Scrooge & Marley bekannt. Manchmal nannten Leute, die neu im Geschäft waren, Scrooge Scrooge, und manchmal Marley, aber er hörte auf beide Namen. Ihm war es einerlei.
Oh! Was für ein knausriger Schinder war dieser Scrooge! Was für ein unnachgiebiger, knickriger, wucherischer, raffgieriger, habsüchtiger, geldgieriger, geiziger alter Sünder! Hart und kalt wie Feuerstein, aus dem kein Stahl jemals einen großherzigen [12] Funken geschlagen hatte, verschlossen und wortkarg und einsiedlerisch wie eine Auster. Die Kälte seines Inneren hatte seine alten Züge vereist, seine spitze Nase gezwickt, seine Wangen zerknittert, seinen Gang versteift, hatte seine Augen gerötet und seine dünnen Lippen blau gefärbt und gellte bissig in seiner schrillen Stimme. Frostiger Rauhreif lag auf seinem Kopf und hing in seinen Augenbrauen und an seinem hageren Kinn. Die eigene niedrige Temperatur trug er immer mit sich herum; an den Hundstagen kühlte er sein Büro damit; und zu Weihnachten taute er es um keinen einzigen Grad auf.
Äußerliche Hitze und Kälte hatten wenig Einfluss auf Scrooge. Keine Wärme konnte ihn wärmen, keine Winterkälte konnte ihn abkühlen. Kein Wind war so beißend, kein Schneefall so unbeirrbar, kein prasselnder Regen so abweisend wie er. Garstiges Wetter konnte ihm nichts anhaben. Der unbarmherzigste Regen, Schnee, Hagel und Schneeregen konnte sich nur in einer Hinsicht brüsten, ihm überlegen zu sein: Sie zeigten sich oft verschwenderisch, und das tat Scrooge nie.
Niemand hielt ihn auf der Straße an und sagte freudig: »Mein lieber Scrooge, wie geht es Ihnen? Wann werden Sie mich besuchen?« Kein Bettler flehte ihn um eine kleine Gabe an, kein Kind fragte ihn nach der Uhrzeit, kein Mann und keine Frau [13] hatten sich bei ihm auch nur ein einziges Mal in seinem Leben nach dem Weg zu diesem oder jenem Ort erkundigt. Sogar die Blindenhunde schienen Scrooge zu kennen; denn wenn sie ihn kommen sahen, zerrten sie ihre Schutzbefohlenen in Eingänge und Hinterhöfe und wedelten dabei mit dem Schwanz, als wollten sie sagen: »Lieber kein sehendes Auge haben als den bösen Blick, blinder Herr!«
Aber was scherte das Scrooge? Es kam ihm gerade zupass. Sich an den Rand des Menschengewühls und seiner Lebenswege zu drücken und sich jegliche menschliche Anteilnahme vom Leib zu halten, das war für Scrooge, was Schlauköpfe »kapital« nennen.
Vor langer, langer Zeit – es war ausgerechnet Heiligabend – saß Scrooge in seinem Kontor und arbeitete. Das Wetter war kalt, düster, beißend, neblig obendrein, und er hörte, wie die Leute in dem Hof draußen hin und her gingen und schnieften und sich mit den Händen an die Brust klopften und auf das Pflaster stampften, um sich die Füße zu wärmen. Die Uhren in der City hatten eben erst drei geschlagen, doch es war schon fast dunkel; es war den ganzen Tag nicht recht hell geworden; und in den Büroräumen ringsum flackerten Kerzen wie rötliche Schlieren in der dicken braunen Luft. Durch [14] jede Spalte und jedes Schlüsselloch drang der Nebel herein, und draußen war er so dicht, dass die Häuser gegenüber bloße Phantome waren, obwohl der Hof kaum enger hätte sein können. Wenn man sah, wie die schmutzige Wolke sich schwer herabsenkte und alles verdüsterte, hätte man meinen können, Mutter Natur wohnte nebenan und braute in großem Maßstab.
Die Tür von Scrooges Kontor stand offen, damit er seinen Schreiber im Auge behalten konnte, der in einer trostlosen kleinen Zelle hinter dem Büro, einer Art Käfig, Briefe abschrieb. Scrooge hatte ein sehr kleines Feuer, doch das Feuer des Schreibers war noch viel kleiner, so dass es aussah wie eine einzige Kohle. Er konnte jedoch nichts nachlegen, denn die Kohlenkiste stand in Scrooges Zimmer; und jedes Mal, wenn der Schreiber mit der Kohlenschaufel hereinkam, drohte Scrooge ihm unweigerlich mit baldiger Kündigung. Woraufhin der Schreiber sich seinen weißen Wollschal um den Hals schlang und sich an der Kerze zu wärmen versuchte, was ihm nicht gelingen wollte, da er über keine lebhafte Phantasie gebot.
»Frohe Weihnachten, Onkel! Gott segne dich!«, rief eine fröhliche Stimme. Es war die Stimme von Scrooges Neffen, der so rasch hereingekommen war, dass Scrooge es gar nicht bemerkt hatte.
[15] »Pah!«, sagte Scrooge. »Unfug!«
Scrooges Neffe war vom schnellen Gehen in Nebel und Frost so erhitzt, dass er geradezu glühte; sein Gesicht war gerötet und erfreulich anzusehen; seine Augen funkelten, und sein Atem erzeugte Rauchwölkchen.
»Weihnachten Unfug, Onkel!«, sagte Scrooges Neffe. »Das ist doch gewiss nicht dein Ernst.«
»O doch«, sagte Scrooge. »Frohe Weihnachten! Welches Recht hast du, froh zu sein? Welchen Grund hast du, froh zu sein? Du bist schließlich arm.«
»Wohlan denn«, erwiderte der Neffe gut gelaunt. »Welches Recht hast du, Trübsal zu blasen? Welchen Grund hast du, sauertöpfisch zu sein? Du bist schließlich reich.«
Da Scrooge nicht sogleich eine Antwort zur Hand hatte, sagte er noch einmal »Pah!«, und fügte hinzu: »Unfug.«
»Sei nicht verdrießlich, Onkel«, sagte der Neffe.
»Was soll ich sonst sein«, erwiderte der Onkel, »wenn ich in einer solchen Welt der Narren leben muss? Frohe Weihnachten! Pfui Schande, frohe Weihnachten! Was ist die Weihnachtszeit für dich anderes als eine Zeit, wo du Rechnungen ohne Geld begleichst, eine Zeit, wo du dich ein Jahr älter und keine Stunde reicher weißt, eine Zeit, wo du Bilanz [16] ziehst und jeder einzelne Posten in deinen Rechnungsbüchern ganze zwölf Monate hindurch unfehlbar zu deinen Ungunsten ausfällt? Wenn es nach mir ginge«, sagte Scrooge ungehalten, »sollte jeder Schwachkopf, der ›Frohe Weihnachten‹ ruft, zusammen mit seinem eigenen Pudding gekocht und mit einem Stechpalmenzweig als Pflock im Herzen begraben werden. Jawohl!«
»Onkel!«, flehte der Neffe.
»Neffe!«, erwiderte der Onkel unerbittlich. »Feiere Weihnachten auf deine Weise, und lass es mich auf meine Weise feiern.«
»Feiern?«, wiederholte Scrooges Neffe. »Aber das tust du ja nicht.«
»Dann lass’ ich es eben bleiben«, sagte Scrooge. »Und dir wünsche ich alles Gute. Wie es dir dein Weihnachten all die Jahre beschert hat.«
»Gewiss gibt es viele Dinge, die mir Gutes hätten bescheren können und die ich nicht zu nutzen verstand«, erwiderte der Neffe, »darunter auch Weihnachten. Aber ich bin überzeugt, dass die Weihnachtszeit und das Christfest für mich noch jedes Jahr – abgesehen von der Verehrung, die dem heiligen Namen und dem Ursprung des Brauchtums gebührt, sofern man davon überhaupt absehen kann – immer eine gute Zeit war: eine Zeit der Nächstenliebe, des Verzeihens, der Barmherzigkeit [17] und der Freude, die einzige Zeit, die ich im langen Kalender des Jahres kenne, zu der Männer und Frauen einmütig ihre verschlossenen Herzen weit zu öffnen und der Leute unterhalb ihrer zu gedenken scheinen, als wären sie wahrhaftig Mitreisende auf dem Weg zum Grab und nicht eine andere Gattung von Geschöpfen auf einer anderen Reise. Und deshalb, Onkel, glaube ich, dass Weihnachten mir Gutes beschert hat und mir Gutes bescheren wird, auch wenn ich darum kein bisschen mehr Gold oder Silber in der Tasche habe; und ich sage: Gott segne es!«
Der Schreiber in dem Käfig klatschte unwillkürlich Beifall, wurde sich der Ungehörigkeit seines Tuns sogleich gewahr und schürte das Feuer, womit er den letzten schwachen Funken für immer löschte.
»Wenn ich noch einen Ton von Ihnen höre«, sagte Scrooge, »werden Sie zur Feier des Festtages umgehend Ihre Stellung verlieren. Du bist ja ein gewaltiger Redner, junger Mann«, fügte er an die Adresse seines Neffen hinzu. »Wie geschaffen für das Parlament.«
»Sei nicht so missmutig, Onkel. Komm! Besuche uns morgen zum Abendessen!«
Scrooge sagte, bevor er das tue, wolle er ihn lieber – ja, das sagte er wirklich, die ganze Wendung [18] mit allen Worten – lieber wolle er ihn vorher, hm, in dieser mehr als misslichen Lage sehen.
»Aber warum?«, rief Scrooges Neffe. »Warum?«
»Warum hast du geheiratet?«, fragte Scrooge.
»Weil ich mich verliebt habe.«
»Weil du dich verliebt hast!«, knurrte Scrooge, als wäre das die einzige Sache auf der Welt, die noch abgeschmackter war als frohe Weihnachten. »Guten Tag!«
»Komm schon, Onkel, vor meiner Heirat hast du mich doch auch nie besucht. Warum soll sie der Grund sein, dass du diesmal nicht kommen willst?«
»Guten Tag«, sagte Scrooge.
»Ich will nichts von dir; ich bitte dich um nichts; warum können wir nicht Freunde sein?«
»Guten Tag«, sagte Scrooge.
»Ich bedaure von ganzem Herzen, dass ich dich nicht umstimmen kann. Wir hatten nie einen Streit miteinander. Aber ich habe zur Ehre des Weihnachtsfests diesen Versuch unternommen, und meine weihnachtliche Gesinnung werde ich bis zuletzt beibehalten. Und deshalb frohe Weihnachten, Onkel!«
»Guten Tag!«, sagte Scrooge.
»Und ein glückliches neues Jahr!«
»Guten Tag!«, sagte Scrooge.
[19] Sein Neffe verließ den Raum dennoch ohne ein böses Wort. An der Tür des Kontors blieb er stehen, um dem Schreiber frohe Weihnachten zu wünschen; und obwohl dem Schreiber noch so kalt sein mochte, war sein Herz wärmer als Scrooges, denn er erwiderte die guten Wünsche voller Herzlichkeit.
»Das ist noch so einer«, brummte Scrooge, der mithörte; »mein Schreiber – verdient fünfzehn Shilling die Woche, hat Frau und Familie und faselt von einem frohen Weihnachtsfest. Das bringt mich bald ins Tollhaus.«
Als der Irrenhäusler im Vorraum Scrooges Neffen hinausgelassen hatte, waren zwei andere Leute hereingeschlüpft. Es waren stattliche Herren, erfreulich anzusehen, die nun barhäuptig in Scrooges Büro standen. Sie hielten Bücher und Papiere in Händen und verneigten sich.
»Scrooge und Marley, wenn ich nicht irre«, sagte einer der beiden und warf einen Blick auf seine Liste. »Habe ich das Vergnügen mit Mr.Scrooge oder mit Mr.Marley?«
»Mr.Marley ist seit sieben Jahren tot«, erwiderte Scrooge. »Er ist heute auf den Tag vor sieben Jahren gestorben.«
»Wir bezweifeln nicht, dass seine Freigebigkeit von seinem überlebenden Partner fortgesetzt wird«, [20] sagte der Herr und überreichte seine Empfehlungsschreiben.
Seine Worte trafen zweifellos zu, denn die Firmenpartner waren beide vom gleichen Schlag gewesen. Als er das ominöse Wort »Freigebigkeit« hörte, runzelte Scrooge die Stirn, schüttelte den Kopf und gab dem Herrn seine Empfehlungsschreiben zurück.
»Zu dieser festlichen Jahreszeit, Mr.Scrooge«, sagte der Herr und nahm einen Stift in die Hand, »ist es noch wünschenswerter als sonst, dass wir das Los der Armen und Mittellosen ein wenig lindern, denn sie leiden gegenwärtig große Not. Viele Tausende entbehren das Nötigste, und Hunderttausende entbehren die einfachsten Dinge, Sir.«
»Gibt es keine Gefängnisse?«, fragte Scrooge.
»Es gibt viele«, sagte der Gentleman und legte den Stift hin.
»Und die Armenhäuser?«, fragte Scrooge. »Sind sie noch in Betrieb?«
»Sie sind es. Aber«, erwiderte der Herr, »ich wünschte, ich könnte sagen, sie wären es nicht.«
»Tretmühle und Zwangsarbeit sind also nicht abgeschafft?«, sagte Scrooge.
»Das Gegenteil ist der Fall, Sir.«
»Aha! Was Sie vorhin sagten, ließ mich befürchten, diese nützlichen Einrichtungen seien [21] versehentlich abgeschafft worden«, sagte Scrooge. »Ich bin sehr froh, dass dem nicht so ist.«
»Unter dem Eindruck, dass diese Anstalten dem niederen Volk nicht unbedingt christlichen Trost für Leib oder Seele spenden«, erwiderte der Herr, »sind einige von uns bestrebt, Spenden zu sammeln, um den Armen Speise und Trank und Heizmaterial zu kaufen. Wir haben diese Zeit gewählt, weil in der Weihnachtszeit die Not als besonders bitter empfunden wird und zugleich der Überfluss frohlockt. Welchen Betrag darf ich auf Ihren Namen verzeichnen?«
»Gar keinen!«, erwiderte Scrooge.
»Sie wünschen, anonym zu bleiben?«
»Ich wünsche, in Ruhe gelassen zu werden«, sagte Scrooge. »Da Sie mich fragen, was ich wünsche, Gentlemen, ist das meine Antwort. Ich treibe zu Weihnachten kein Allotria, und ich kann es mir nicht leisten, Tagedieben dazu zu verhelfen. Ich helfe, die Einrichtungen zu unterhalten, die ich erwähnte; sie sind kostspielig genug; und wer in Not ist, muss sich dorthin bequemen.«
»Viele können es nicht; und viele würden lieber sterben.«
»Wenn sie lieber sterben wollen«, sagte Scrooge, »dann hindert sie niemand, es zu tun und die überschüssige Bevölkerung zu vermindern. Im [22] Übrigen – Sie müssen entschuldigen – ist mir das unbekannt.«
»Es könnte Ihnen aber bekannt sein«, bemerkte der Herr.
»Es geht mich nichts an«, erwiderte Scrooge. »Unsereins hat genug damit zu tun, seine eigenen Angelegenheiten zu verstehen und sich nicht in die anderer Leute einzumischen. Meine Angelegenheiten nehmen mich zur Gänze in Anspruch. Guten Tag, meine Herren!«
Die Herren begriffen, dass es aussichtslos war zu beharren, und gingen. Scrooge machte sich wieder an die Arbeit, sehr zufrieden mit sich selbst und gehobenerer Laune als üblich.
Unterdessen verdichteten Nebel und Dunkelheit sich so sehr, dass Leute mit brennenden Fackeln unterwegs waren und ihre Dienste anboten, den Kutschpferden zu leuchten und ihnen den Weg zu zeigen. Der alte Kirchturm, dessen grimmige alte Glocke durch ein Spitzbogenfenster in der Wand immer hinterhältig zu Scrooge hinunterspähte, wurde unsichtbar und schlug die Stunden und Viertelstunden in den Wolken mit bebendem Nachhall, als klapperte er in seinem eisigen Kopf dort oben mit den Zähnen. Die Kälte wurde durchdringend. Auf der Hauptstraße, an der Hofecke, reparierten Arbeiter die Gasleitungen, und sie hatten [23] in einem Kohlenbecken ein großes Feuer entfacht, um das herum sich eine Gruppe zerlumpter Männer und Jungen versammelt hatte, die sich die Hände wärmten und verzückt in die Glut zwinkerten. Die Wasserpumpe war vereinsamt, und ihr Tropfwasser gefror trotzig zu misanthropischem Eis. Die Festbeleuchtung der Läden, in deren Schaufenstern Stechpalmenzweige und -beeren in der Wärme der Lampen knisterten, warf einen rötlichen Schein auf die bleichen Gesichter der Passanten. Das Gewerbe der Geflügelhändler und der Krämer wurde zu einem hellen Vergnügen: einem herrlichen Schauspiel, das es schier unmöglich machte zu glauben, so nüchterne Vorgänge wie Kauf und Verkauf könnten etwas damit zu tun haben. Der Lord Mayor von London in der Trutzburg des mächtigen Mansion House gab seinen fünfzig Köchen und Hausdienern Anweisung, eine Weihnachtsfeier auszurichten, wie es dem Haushalt eines Lord Mayor gebührte; und selbst der kleine Schneider, dem der Lord Mayor am Montag zuvor eine Geldbuße von fünf Shilling auferlegt hatte, weil dieser sich auf der Straße betrunken und blutrünstig aufgeführt hatte, rührte in seiner Dachstube den Pudding für den kommenden Tag, während seine magere Frau sich mit dem Baby aufmachte, um das Rindfleisch zu kaufen.
Noch nebliger und kälter! Schneidend, stechend, [24] beißend kalt. Hätte der gute Sankt Dunstan die Nase des bösen Feindes mit ein wenig solchen Wetters gezwickt, statt seine gewohnten Waffen zu benutzen, dann hätte dieser weiß Gott laut gebrüllt. Der Besitzer einer kümmerlichen jungen Nase, von der hungrigen Kälte benagt und zerbissen wie ein Knochen, an dem ein Hund nagt, bückte sich zu Scrooges Schlüsselloch, um ihn mit einem Weihnachtslied zu erfreuen, doch bei den ersten Tönen von »God bless you merry gentleman! May nothing you dismay!« griff Scrooge so energisch nach seinem Lineal, dass der Sänger in Todesangst entfloh und das Schlüsselloch dem Nebel und Scrooges noch engerem Geistesverwandten, dem Frost, überließ.
Schließlich kam die Stunde, zu der das Kontor geschlossen wurde. Widerwillig stieg Scrooge von seinem Hocker und gab damit dem Schreiber in seinem Käfig wortlos zu verstehen, worauf dieser nur gewartet hatte, denn wie der Blitz löschte er seine Kerze und setzte seinen Hut auf.
»Sie wollen morgen den ganzen Tag frei haben, nehme ich an?«, sagte Scrooge.
»Wenn genehm, Sir.«
»Es ist nicht genehm«, sagte Scrooge, »und es ist nicht fair. Wenn ich Ihnen dafür fünf Shilling vom Lohn abzöge, würden Sie das vermutlich nicht in Ordnung finden, oder?«
[25] Der Schreiber lächelte verzagt.
»Aber ich«, sagte Scrooge, »soll mich damit abfinden, Ihnen einen Tageslohn zu zahlen, obwohl Sie nicht zur Arbeit kommen.«
Der Schreiber bemerkte, dass das ja nur einmal im Jahr vorkomme.
»Eine erbärmliche Ausrede dafür, einem anderen jeden fünfundzwanzigsten Dezember in die Tasche zu greifen!«, sagte Scrooge, während er seinen Übermantel bis zum Kinn zuknöpfte. »Aber ich nehme an, Sie bestehen darauf, den ganzen Tag zu bekommen. Seien Sie am Morgen darauf umso zeitiger wieder da!«
Das versprach der Schreiber; und Scrooge ging mit einem Knurren hinaus. Das Kontor war im Handumdrehen zugesperrt, und der Schreiber, dem die Enden seines weißen Schals um die Beine baumelten (denn einen Übermantel nannte er nicht sein Eigen), schlitterte am Ende von Cornhill hinter einer [26]