Weird India - Andrea Glaubacker - E-Book

Weird India E-Book

Andrea Glaubacker

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Beschreibung

Die Nation, in der 1,4 Milliarden Menschen leben, ist an Vielfalt, aber auch an Wunderlichkeit kaum zu überbieten. Während in den Megametropolen gnadenlos Reichtum und Armut kollidieren, suchen Millionen Menschen Ruhe und einen Lebenssinn in den bekanntesten Aschrams der Welt. Folgen Sie unserer Expertin auf den Subkontinent und ergründen Sie mit 55 Fragen die Seele einer der interessantesten Gesellschaften der Welt.

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Seitenzahl: 150

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Andrea Glaubacker

Weird

INDIA

55 unverschämteFragen an das Landder Extreme

Impressum

© Bruckmann Verlag GmbH

Infanteriestraße 11a

80797 München

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7343-3248-7

eISBN: 978-3-9588-9500-3

Autorin: Andrea Glaubacker

Verantwortlich: Matthias Walter

Produktmanagement: Svenja Müller

Lektorat: Daniela Hansjakob

Korrektorat: Christiane Gsänger

Umschlaggestaltung: Mathias Frisch

Satz: Röser MEDIA, Karlsruhe

Druck und Verarbeitung: Printed in Türkiye by Elma Basim

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Umschlagabbildung: © Stock.adobe.com / Refresh(PIX)

INHALT

Vorwort

1Ist Indien im Umbruch?

2Sind die Kastengrenzen noch intakt und gibt es noch Unberührbare?

3Wie leben die Gipsys in Indien?

4Ist mein indischer Teppich von Kinderhänden gewebt?

5Wird Indien zum totalitären Überwachungsstaat?

6Schönheit in Indien: fair and lovely?

7Wie viel Armut gibt es in Indien?

8Was ist das Besondere an den Sikh?

9Warum verlassen so viele junge InderInnen das Land?

10Wird Indien bald bargeldfrei?

11Ist Gandhi in Indien noch populär?

12Wer blickt noch durch bei dem GöttInnengewusel?

13Gibt es in Indien AtheistInnen?

14Warum werden in Indien Leichen öffentlich verbrannt?

15Wer sind die Männer im orangen Wickelrock?

16Was ist das für ein phallisches Symbol, das die Hindus anbeten?

17Trinkt man in Indien den Urin von Kühen?

18Warum ist der Ganges heilig?

19Ist in Indien eine Kuh mehr wert als ein Mensch?

20Ist der Hinduismus eine politische Waffe geworden?

21Sind Gurus immer erleuchtet und heilig?

22Machen alle InderInnen Yoga?

23Werden alle in Indien von ihren Eltern verheiratet und haben dann erst Sex?

24Wie verhütet Indien?

25Sind Töchter in Indien weniger wert als Söhne?

26Wie werden indische Kinder erzogen?

27Warum ist Indien trotz Kamasutra so prüde und verklemmt?

28Ist die Menstruation tabu?

29Kann man unverheiratet sein?

30Werden Witwen noch immer verstoßen oder verbrannt?

31Wie denken moderne Millennials?

32Ist Homosexualität verboten?

33Wie leben Transsexuelle in Indien?

34Was gibt es Neues aus Bollywood?

35Welche Auswirkungen hat das Internet auf die indische Gesellschaft?

36Warum ist indisches Essen so scharf?

37Warum wackeln InderInnen mit dem Kopf?

38Deutsche arbeiten in Indien – geht das überhaupt?

39Ist Kiffen in Indien erlaubt?

40Was liest Indien?

41Warum bekommt man in Indien leicht einen Kulturschock?

42Ist in moderner Zeit die klassische indische Musik überhaupt noch beliebt?

43Ist in Indien die Presse frei?

44Gibt es Punk und andere alternative Musik in Indien?

45Was passiert eigentlich mit den abrasierten Haaren der PilgerInnen?

46Warum reise ich trotz der Schattenseiten immer wieder nach Indien?

47Wie lebt und feiert der reichste Inder?

48Lassen sich die Leute in Indien tätowieren?

49Wird man in Indien leichter taub und lungenkrank?

50Verrichten InderInnen ihr Geschäft lieber draußen als auf dem Klo?

51Warum holt Indien eigentlich so gut wie keine olympischen Medaillen?

52Sind Deutsche in Indien beliebt?

53Was ist aus indischer Sicht »weird« an Deutschland?

54Freie Fahrt für den indischen Tourismus?

55Warum sind in Indien 5 Minuten nie 5 Minuten?

Nachwort und Danksagung

5 der 55 Fragen an Indien

Warum …

… werden in Indien Leichen öffentlich verbrannt?

… ist der Ganges heilig?

… seid ihr trotz Kamasutra so prüde?

… holt ihr so gut wie keine olympischen Medaillen?

… trinkt ihr den Urin von Kühen?

VORWORT

Indien ist im Wandel begriffen. Medial tauchen meist Nachrichten auf, die entweder die Modernisierung des Landes oder Indiens Rolle als politischer Machtblock behandeln. Natürlich ist Indien so viel mehr. Davon will dieses Buch berichten und den Blickwinkel auf das »moderne« Indien richten. Was hat sich im Land verändert und wer partizipiert davon? In welche Richtung entwickelt sich Indien? Dies sind die Fragestellungen, die ich als Schwerpunkt wählte, denn Indien wandelt sich rasant und wird immer wichtiger in der Welt. In unterschiedlichen Bereichen, politisch, wirtschaftlich und damit auch kulturell, wird es seinen Einfluss stetig erweitern. Außerdem will ich Indieninteressierten eine Grundlage bieten, mit der das Land besser einzuordnen und zu verstehen ist. So ist ein buntes Sammelsurium entstanden, das sowohl aktuelle Bezüge aus Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur aufgreift, als auch einen Blick auf die festen Grundlagen der indischen Kultur wirft.

Ich habe viele Reisen in unterschiedliche Teile der Welt unternommen, und doch ist Indien das Land geblieben, das mich am meisten fasziniert und in das ich am liebsten zurückkehre. Abgesehen von der Fülle an Neuem, das es stets zu entdecken und zu verstehen gilt, sind es die Menschen selbst, die mich berühren. Herzliche und hilfsbereite Menschen, immer offen für ein Gespräch und schöne Begegnungen, machen Indien aus. Wer sich der Fremdartigkeit möglichst vorurteilsfrei hingeben kann, wird reich belohnt. Dann lässt uns Indien innerlich aufblühen. Auch in der alles durchdringenden Spiritualität, liegt das Potenzial einer Neuausrichtung. Wenn wir offen sind für neue Konzepte und Ideen, kann das zu einem tiefgreifenden inneren Wandel führen. Wir fühlen uns nicht mehr vereinzelt und losgelöst, sondern verwoben und als Teil von allem. Außerdem liegt im Abgleich mit dem Fremden immer auch die Möglichkeit eines tieferen Weltverständnisses und die Erkenntnis der eigenen Persönlichkeit. Das alles (und noch viel mehr) kann uns Indien lehren. Es ist die Bandbreite Indiens, die uns staunend und manchmal überwältigt sein lässt.

Doch es ist längst nicht alles gut. Messerscharf schneiden die Anblicke der Ungerechtigkeit, der Armut und harter, unerbittlicher Lebensrealitäten in unser vergleichsweise sattes Fleisch und rütteln uns durch. Bei jeder Indienreise ist ein großes Spannungsfeld auszuhalten und es gilt, den eigenen, ganz individuellen Weg des Umgangs damit zu finden. Resignieren wir nicht und halten wir den Blick stärker auf das Bereichernde, die Schönheiten des Landes und auf die Menschen, so wird uns Indien immer wieder neu mit seiner Fülle und Magie bezaubern. Die Bandbreite an möglichen Entdeckungen ist unermesslich und Indien ist am allerbesten mit offenen Augen und weitem Herz und frei von Vorurteilen zu bereisen.

Reisen Sie nach Indien. Erleben, fühlen, schmecken und riechen Sie es. Es wird Sie tief beeindruckt und innerlich reicher zurückkehren lassen!

Ist Indien im Umbruch?

»2047 WIRD INDIEN EIN ENTWICKELTES LAND SEIN«, VERSPRACH INDIENS PREMIER NARENDRA MODI IN EINER BERÜHMT GEWORDENEN REDE ZUM INDISCHEN UNABHÄNGIGKEITSTAG IM JAHR 2022. DAS KÖNNTE SCHWIERIG WERDEN, DENN IN INDIEN GIBT ES RIESIGE UNTERSCHIEDE ZWISCHEN EINEM LEBEN IN DER STADT UND EINEM AUF DEM LAND.

Indien verändert sich und gibt sich nach außen hin einen modernen Anstrich. Seit dem Wahlerfolg der rechtskonservativen BPJ und von Narendra Modi 2014 hat sich die Zahl der indischen Flughäfen und die der Autobahnkilometer verdoppelt und die Elektrizität wurde stark ausgebaut. An jeder Bude kann digital bezahlt werden und das Bruttosozialprodukt steigt jährlich zwischen 6 und 7 Prozent. In den Metropolen werden Millionen staatlicher Gelder in Forschungs- und Innovationsunternehmen gesteckt. Es wird getüftelt, geforscht und Start-ups schießen wie Pilze aus dem Boden.

Mit dem Programm »Make in India« will Premierminister Modi das Land zur neuen Werkbank der Welt wandeln und China diese Rolle streitig machen. Unternehmen wie Microsoft, Toyota und Samsung haben bereits in Indien investiert und beschäftigen Zehntausende in ihren Entwicklungs- und Fertigungsabteilungen. Delhi lockt mit Sonderregeln und Steueranreizen und eifert China nach, das durch seine Investitionsstrategien dort für einen heftigen Aufschwung gesorgt hat.

Indien wird zunehmend interessanter für die Weltwirtschaft, doch noch gibt es viele Hürden und Probleme. Abschreckend wirken, verglichen mit China, schlechter ausgebildete Arbeitskräfte, außerdem die katastrophale Luftqualität in den Städten, also Smog und Hitze. So wurden beispielsweise im Juni 2024 in Mungeshpur bei Delhi 52,9 Grad Celsius gemessen – die höchste je in Indien gemessene Temperatur. Von den EU-Richtlinien für Umwelt und Soziales ganz zu schweigen. Es bleibt also, zumindest derzeit noch, schwierig.

Mit Blick auf die quirligen Städte könnte man annehmen, Indien hätte eine umfassende Modernisierung erfasst. Die Mittelschicht ist auf 371 Millionen Menschen angewachsen und mit ihrer Konsumbereitschaft ist sie eine Triebfeder für den Aufschwung. Doch das Bild täuscht.

Zwei Drittel aller InderInnen leben auf dem Land. Indien ist noch immer ein Land der Dörfer. Und dort, jenseits der Ballungsräume, hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum etwas geändert. Vom hochgepriesenen Aufschwung spürt man auf dem Land so gut wie nichts. Die Einkünfte sind für viele so niedrig, dass selbst das blanke Überleben nicht immer gesichert ist. Auch an den alten starren Regeln der Kasten hat sich hier nichts geändert. Auf dem Land ist Indien so wenig im Wandel wie ein schwergewichtiger Elefant durch einen brennenden Reifen zu springen vermag. Hier zeigt sich der größte Kontrast des Landes und hier liegt eine der riesigen Herausforderungen, will Modi ganz Indien modernisieren.

Auch sonst sind die Kontraste extrem. Während die Upper Class Mumbais in Nachtclubs Cocktails mit Blattgold schlürft, liegen auf dem Land verzweifelte Eltern wach, weil sie nicht mehr wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Die Landflucht wird oft als letzter Ausweg gesehen, um einem elenden Leben zu entkommen. Doch das Leben in den Städten ist hart, die Städte platzen bereits jetzt aus allen Nähten und ein Drittel der dortigen Bewohner lebt in Slums. Den erträumten sozialen Aufstieg oder ein leichteres Leben erwartet kaum jemanden, stattdessen harte Arbeit im sogenannten informellen Sektor. Schuhe putzen, Chilis verkaufen, Autoscheiben wischen, Arbeit in Heimarbeit oder als Haushaltshilfe gehören dazu. Das Leben in den Städten bleibt für die Unterschicht weiterhin ein Überleben zu härtesten Bedingungen.

Aber es gibt auch jene, die durch ihren Einsatz viel Gutes tun. Es gibt abertausende Menschen, die mit viel Eigeninitiative und nach ihren Mitteln und Möglichkeiten Belange verbessern möchten. Sie helfen Obdachlosen oder psychisch kranken Frauen, kümmern sich um die Versorgung herumstreunender Tiere, sie initiieren ökologische Projekte, versorgen in der Hitzeperiode Menschen und Tiere mit Wasser, verteilen selbst gekochtes Essen an Bedürftige und und und. Hut ab!

GUT ZU WISSEN

In Mumbai liegt der größte Slum Asiens. Zwischen 700.000 und eine Million Menschen leben in diesem Labyrinth enger Gassen angefüllt mit Wellblechverschlägen, Werkstätten, Tempeln, Schulen, Märkten. Entgegen der weitläufigen Meinung, im Slum würde nur dahinvegetiert, ist Dharavi ein Mikrokosmos voll mit kleinen Betrieben. Färbereien, Recycling-Werkstätten, Nähereien und Bäckereien sind Teil des bunten Sammelsuriums von 20.000 Kleinunternehmen in Dharavi. Ökonomen beziffern den Jahresumsatz auf 500 Millionen bis zu 1 Milliarde Dollar. Seit Jahrzehnten will die Politik Dharavi entwickeln. Das bedeutet in der Regel Vertreibung, denn Dharavi liegt in bester Innenstadtlage inmitten Mumbais und so in einer der teuersten Gegenden der Stadt. Ausgleichswohnungen bekämen nur die Menschen, die sich vor 2001 angesiedelt haben. Alle anderen, und Dharavi ist nach wie vor ein starker Magnet für Wanderarbeiter und Landflüchtlinge, gingen leer aus. Jetzt hat ein Konzern, der von Herrscherfamilien der Arabischen Emirate mitfinanziert wird, den Auftrag bekommen, das Land auf dem Dharavi liegt, neu zu bebauen. Man kann nur hoffen, dass auch dieser erneute Versuch der Vertreibung im Sand verläuft.

Sind die Kastengrenzen noch intakt und gibt es noch Unberührbare?

ALLE INDER SIND GLEICH. SO STEHT ES IN DER VERFASSUNG, DIE SEIT 1950 GILT. DOCH VOR ALLEM AUF DEM LAND GIBT DAS HIERARCHISCHE KASTENWESEN NOCH IMMER DAS LEBEN DER MENSCHEN VOR.

Man sollte annehmen, dass mittelalterliche Denkweisen, wie die der angeborenen Unreinheit, im modernen Indien keinen Platz mehr haben. Weit gefehlt. Diskriminierung und Unterdrückung der ganz unten stehenden Dalit, früher Unberührbare genannt, sind alltäglich und sorgen für brutale Lebensumstände. Rund 250 Millionen Menschen in Indien gehören zur Kaste der Dalit. Sie machen etwa ein Fünftel der Bevölkerung aus. Sie werden aus dem Kastensystem komplett ausgeschlossen und das erlaubt ihnen nur Tätigkeiten, die als unrein gelten. Alles, was mit Tod, Kot und Müll zu tun hat, ist ihr Metier.

GUT ZU WISSEN

Das Kastenwesen entstand nach der Invasion der Arier in der Zeit des Brahmanismus (1000 bis 500 v. Chr.). Die Brahmanen haben die hierarchische Ordnung in ihren heiligen Texten verankert und so religiös untermauert. Das Kastenwesen teilt in vier Hauptkasten, die Varnas, ein. An der Spitze stehen die Brahmanen, die Priester, gefolgt von den Kshatriyas, den Kriegern. Als dritte Hauptkaste folgen die Vaishyas, die Bauern und Händler, und am Ende stehen die Sudras, die Handwerker und Landpächter. Innerhalb der vier Hauptkasten existieren 3.000 Unterkasten, in die man hineingeboren wird. Diese Unterkasten geben den Beruf, Vorschriften zur Reinerhaltung der Kasten und die Beschränkung der PartnerInnenwahl auf Kastenzugehörige vor. Die Dalit stehen außerhalb dieser Systematik.

Seit über 2.000 Jahren sind die Dalit in diesem diskriminierenden System gefangen. Auch wenn die Zeiten vorbei sind, wo sich Dalit beim Betreten eines Ortes durch das Schlagen einer Trommel ankündigen mussten, um Hochkastige nicht durch den zufälligen Anblick zu verunreinigen, so müssen sie weiterhin außerhalb des Dorfes leben, haben keinen Zugang zum Dorfbrunnen, werden am Betreten der Tempel gehindert und sind Tag für Tag Gewalt und Ungerechtigkeit ausgesetzt. Noch immer glauben Menschen, sie würden ihre Reinheit verlieren, wenn sie mit einem Dalit zu tun haben, murmeln Mantras und besprenkeln sich mit geweihtem Wasser.

Anders ist es in den Städten, wo sich alleine wegen der räumlichen Enge Ausgrenzung nicht konsequent durchsetzen lässt. Vor allem in der modernen Arbeitswelt haben sich die Grenzen aufgeweicht. Den Job bekommt der mit einer guten Qualifikation.

Grundlegendes hat die Quotenpolitik für Dalit und Stammesangehörige verändert, die nach der Unabhängigkeit in der indischen Gesetzgebung verankert wurde. 22,5 Prozent der Stellen im Öffentlichen Dienst und Zugang zu Universitäten waren nun für Dalit und Stammesangehörige reserviert. 1990 hat man die Quote um weitere 27 Prozent für niedere Kasten erhöht. Damals kam es zu landesweiten, gewaltsamen Massendemonstrationen, da befürchtet wurde, dass nur die niedere Kaste und nicht die Qualifikation über einen der begehrten Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst entscheidet. Trotz zunehmender Durchlässigkeit in den Städten ist auch in Zukunft nicht mit einem Ende des Kastensystems zu rechnen.

GUT ZU WISSEN

Die weltweit größte Stammesbevölkerung, Adivasi genannt, lebt in Indien. 8,2 Prozent aller InderInnen, das sind etwa 90 Millionen Menschen, verteilen sich auf 698 Stämme. Einige dieser Stämme sind auf wenige Angehörige zusammengeschrumpft, andere sind mehrere Millionen stark.

Ein Großteil der Adivasi leben in abgelegenen Berg- und Waldgebieten in Zentralindien und in den Regionen des nordöstlichen Himalayas. Sie ernähren sich von Jagd und Ackerbau, verehren Naturgottheiten und haben einen stark spirituellen Bezug zu ihrem Land.

In den Veden wird von Kämpfen der arischen Invasoren mit den indischen Ureinwohnern berichtet. Man versklavte die Besiegten und siedelte sie in Gettos an. Als unrein und unzivilisiert abgestempelt, lebten diese Vorfahren der Dalit am Rand der Gesellschaft. Andere Stammesgruppen zogen sich in unwegsame Gebiete zurück und konnten dadurch ihre kulturelle Identität bewahren. Erst die Briten haben mit ihrer Kolonialpolitik die Isolation beendet und Gebiete gerodet und Bodenschätze geplündert.

Heute kollidiert das moderne Indien mit der traditionellen Lebensweise der Adivasi. Großprojekte wie riesige Staudämme, gigantische Kohlekraftwerke und die Erschließung von Industriestandorten verdrängen die Adivasi heute. 15 Millionen wurden ohne angemessene Entschädigung und Mitspracherecht vertrieben, gesetzlich untermauert durch ein Landnahmegesetz aus der Kolonialzeit.

90 Prozent der Adivasi leben unter der Armutsgrenze. Sie landen oft in der Schuldknechtschaft oder die Armut treibt sie in die Städte, wo sie als ungelernte Arbeiter oder Haushaltskräfte schuften.

Wie leben die Gipsys* in Indien?

URSPRÜNGLICH KAMEN DIE SINTI UND ROMA AUS NORDINDIEN, BEVOR SIE SICH IN EUROPA IN ALLE HIMMELSRICHTUNGEN VERSTREUTEN UND IHRE URSPRÜNGLICHE KULTUR ALLMÄHLICH VERBLASSTE. NOCH IMMER IN NORDINDIEN ANSÄSSIG IST DER STAMM DER KALBELIA, DIE TRADITIONELL ALS SCHLANGENFÄNGER BEKANNT SIND UND DIE SCHLANGE ALS HEILIGES TIER VEREHREN.

Morya Sapera (Sapera heißt Schlange) ist Mitte 20 und eine echte Macherin. Sie ist eine Kalbelia, ein Stamm, der früher nomadisch umherzog und nun weitgehend sesshaft ist. Ihre Gemeinschaft hat sich nahe Puskhar niedergelassen, ein heiliger Ort im Bundesstaat Rajasthan. Da sie einer niedrigen Kaste zugerechnet wird, so Morya, wird sie nicht immer gut behandelt. Höherkastige nehmen keinen Tee und kein Essen von ihr an, da sie für jene als dreckig und unrein gilt. »Das war auch das Problem mit der letzten Lehrerin«, erzählt sie. »Als Brahmanin verbaten ihr ihre Kastenregeln den Umgang mit uns. Aber sie schlich sich sogar heimlich zu uns ins Camp, wenn es Probleme in den Familien gab. Wenn das herausgekommen wäre, hätte ihre Familie sie rausgeworfen.«

In den letzten zwei Jahren fand der Unterricht in Moryas Haus statt, denn die Kinder weigerten sich in die weiter entfernte Schule zu gehen. Jetzt haben sie es mit Spenden aus Europa geschafft, ein kleines Schulgebäude zu errichten. Endlich haben sie ein eigenes Schulhaus, auf das alle sehr stolz sind.

»Seit zwei Jahren ist ein neuer Lehrer da, einer von uns, mit analphabetischen Eltern und aus sehr armen Verhältnissen«, so Morya weiter. »Er hat in seiner freien Zeit Müll gesammelt, damit er sich Schulbücher kaufen konnte. Er hat richtig für seine Bildung geschuftet. Am Ende war er sogar an einer Universität und ist nun ausgebildeter Lehrer. Er ist den Kindern ein Beispiel dafür, dass man aus eigener Kraft viel schaffen kann. Und nun haben die Kinder zwei Stunden Unterricht pro Tag, an sechs Tagen in der Woche und lernen richtig schnell und viel.«

Moryas Mutter und ihre Oma waren Bettlerinnen. Doch dafür ist Morya zu stolz. Sie ist Tänzerin und gibt Tanzunterricht. Der Tanz der Kalbelia ist einzigartig. Die Frauen ahmen in ihren Tänzen mit filigranen und eleganten Armbewegungen die Bewegungen von Schlangen nach. Die fliegenden Röcke sind reich mit kleinen Spiegeln und bunten Fäden bestickt. Die Lieder dazu basieren auf ihren mythologischen und folkloristischen Geschichten. Dabei werden Lieder und Tänze spontan improvisiert und seit Generationen mündlich überliefert. 2010 wurden die Volkslieder und Tänze der Kalbelia von der UNESCO