Weißsein als Privileg. Die Privilege Papers. [Was bedeutet das alles?] - Peggy McIntosh - E-Book

Weißsein als Privileg. Die Privilege Papers. [Was bedeutet das alles?] E-Book

Peggy McIntosh

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Beschreibung

In ihren mittlerweile zu Klassikern avancierten Privilege Papers zeigt Peggy McIntosh, dass vielen ›weißen‹ Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, die eigenen Privilegien als nicht nennenswert erscheinen, sondern als individuelle, geradezu unsichtbare Zufälligkeiten. McIntosh fragt danach, wie mit der ›Schuld‹ des »weißen Privilegs« reflektiert umgegangen werden kann, und sie legt offen, wie wichtig es ist, die systemischen Mechanismen von Diskriminierung zu erkennen und gegen sie vorzugehen. Yasemin Dinçer hat die "Privilege Papers" erstmals ins Deutsche übersetzt. Mit einem instruktiven Nachwort von Markus Rieger-Ladich.

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Seitenzahl: 142

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Peggy McIntosh

Weißsein als Privileg

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Yasemin Dinçer
Nachwort von Markus Rieger-Ladich

Reclam

E-Book-Leseproben von einigen der beliebtesten Bände unserer Reihe [Was bedeutet das alles?] finden Sie hier zum kostenlosen Download.

 

 

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 978-3-15-962251-4

2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

 

© Für die übersetzten Texte: Routledge, New York. Routledge is an imprint of the Taylor and Francis Group, an informa business. Copyrigth 2020 Peggy McIntosh

 

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2024

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962251-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014358-2

www.reclam.de

Inhalt

Ein Brief zu den Privilege Papers

1 Weiße Privilegien und männliche Privilegien: ein persönlicher Bericht über das Erkennen von Übereinstimmungen durch die Arbeit in den Women’s Studies (1988)

2 Weiße Privilegien: den unsichtbaren Rucksack auspacken (1989)

3 Ein paar Anmerkungen zur Vermittlung meiner White Privilege Papers (2004/18)

4 Auszug aus »Weiße Privilegien, Hautfarbe und Kriminalität: ein persönlicher Bericht« (1998)

5 Auszug aus »Weiße Privilegien: ein Konto zum Ausgeben« (2009)

6 Wenn Weiße sich mit Race auseinandersetzen: die Mythen aufdecken, die Rassismus aufrechterhalten (2009)

Quellen zu den Privilege Papers

NachwortProtokoll einer schmerzhaften Selbstbefragung

Zu dieser Ausgabe

Ein Brief zu den Privilege Papers

Liebe Leserin, lieber Leser,

wann immer ich über Privilegien spreche, lautet hinterher die häufigste Frage aus dem Publikum: »Wie kam es dazu, dass Ihnen spezifisch weiße Privilegien auffielen?« Für den Fall, dass es auch Sie interessiert, werde ich diese Frage im Folgenden beantworten. Es ist keine angenehme Geschichte, aber sie hat mein Leben ungemein zum Besseren verändert. Was daran so unangenehm war? Aus dem Gleichgewicht zu geraten, meine wichtigsten Annahmen über mich selbst und über andere Menschen über Bord werfen und mein Gefühl dafür, wer, was und wo ich bin, anpassen zu müssen. Aber letzten Endes haben diese Veränderungen mein Leben auf ein neues, besseres Fundament gestellt.

In drei aufeinanderfolgenden Jahren (1982 bis 1985) kam es an meiner Arbeitsstelle, dem Wellesley College Center for Research on Women, in einem von mir geleiteten Seminar zu einer Art Streit zwischen den Männern und Frauen. Die Teilnehmer:innen des Seminars waren Hochschullehrer:innen aus ganz New England sowie aus New York, New Jersey und Connecticut. Wir trafen uns während eines Studienjahres einmal im Monat. Die Männer, die an diesen Seminaren teilnahmen, waren nette Menschen und obendrein mutig, schließlich kamen sie an ein Frauencollege, um über unser feministisches Thema zu diskutieren: die aktuelle Frauenforschung und wie diese in alle Liberal-Arts-Disziplinen eingebunden werden könnte, darunter auch Mathematik und Naturwissenschaften.

Jeden September begannen wir in bester Verfassung mit zweiundzwanzig Männern und Frauen, die einander wertschätzten und die allesamt dieses unendlich interessante Thema wertschätzten. Jedes Jahr beschrieben ein paar von uns Hochschullehrer:innen, wie wir Materialien zu Frauen bereits in unsere Kurse am College einfließen ließen. Aber jedes Jahr stellten auch ein paar der Frauen die Frage, weshalb wir Materialien zu Frauen nicht bereits in die Einführungskurse integrieren konnten.

Damals machte ich mir eine Menge Notizen. Ein Mann beantwortete diese Frage folgendermaßen: »Wenn man versucht, die Grundsteine für Wissen zu legen, hat soft stuff [etwas Schwammiges oder Weiches] keinen Platz.« Wie alle anderen von uns hatte er viele Bücher und Artikel in Fachzeitschriften über Women’s Studies gelesen, aber sein Kommentar zeigte, dass er nach wie vor alles, was mit Frauen zu tun hatte, als soft empfand. Er war ein ausgesprochen netter Mann. Ich schrieb seinen Kommentar auf. Niemand von uns stellte das von ihm gebrauchte Wort soft infrage.

In dem Seminar zwei Jahre darauf sagte eine Dozentin, sie wolle nicht, dass Studierende auf ein feministisches Seminar im letzten Studienjahr warten müssten, um Materialien zu Frauen zu lesen. Daraufhin erklärte ein weiterer sehr netter Mann, weshalb Materialien zu Frauen in Kursen für Studienanfänger:innen nicht berücksichtigt werden könnten. Er sagte: »In diesem ersten Jahr versuchen die Studierenden, sich für ein Hauptfach zu entscheiden. Das ist ihre Disziplin. Wenn Studierende so denken sollen, wie ihr Fach es vorsieht, haben Extras keinen Platz.« Liebe Leserin, lieber Leser, sollten Sie vor den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts geboren worden sein, wird es Sie wohl kaum wundern, dass niemand der zweiundzwanzig Hochschullehrer:innen in der Gruppe seine Wortwahl infrage stellte. Dieser Mann war, wie jeder andere Mensch in der Weltgeschichte, von einer Frau geboren worden, aber irgendwie war er so gepolt, dass er die Person, die ihn geboren und ihm sein Leben geschenkt hatte, als ein »Extra« betrachtete. Ich fragte mich, was wohl mit seinem Verstand angestellt worden war, dass er unsere Hälfte der Bevölkerung ausblendete. Da mir die Worte fehlten, schrieb ich auch seinen Kommentar lediglich auf.

Allerdings hatte ich damals das Gefühl, ich müsse mich entscheiden, ob diese Männer nett oder aber unterdrückerisch waren. Ich wusste, dass sie nette Männer waren und mutige obendrein, da sie dieses fünfstündige feministische Seminar besuchten und jeden Monat viele Stunden für die An- und Abreise aufwendeten. Ich wusste, dass sie nett waren, aber ihre Kommentare führten dazu, dass ich mich unterdrückt fühlte. Mir war noch nicht in den Sinn gekommen, dass Menschen nett (sogar mutig) und unterdrückerisch zugleich sein konnten. Ein paar Jahre lang verwirrte mich dieser Umstand, aber dann erinnerte ich mich plötzlich zurück an das Jahr 1979, als ich das Statement des Combahee River Collective von 1977 gelesen hatte. Darin erklärten die brillanten schwarzen Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen, »dass die Hauptunterdrückungssysteme miteinander verschränkt sind« (The Combahee River Collective 2019, S. 48). Weiter schrieben sie:

Ein Thema, welches uns ein großes Anliegen ist und welches wir begonnen haben, in öffentlichen Räumen anzusprechen, ist Rassismus in der weißen Frauen*bewegung. Als Schwarze Feministinnen* wird uns ständig schmerzlich bewusst gemacht, wie wenig sich weiße Frauen* bemüht haben, ihren Rassismus zu verstehen und zu bekämpfen. Dies erfordert unter anderem, dass sie ein tieferes Verständnis von Race, Hautfarben und Schwarzer Geschichte und Kultur entwickeln. (Ebd., S. 59)

Sie implizierten damit, dass nicht manche weiße Frauen, sondern weiße Frauen als gesamte Gruppe in der Zusammenarbeit unterdrückerisch agierten. Ich hörte schwarze Frauen auf Konferenzen und in den Fluren der Colleges rund um Boston diese Empfindung teilen. Meine erste Reaktion, so erinnerte ich mich nun, war eine Art inneres Klagen gewesen: »Ich verstehe nicht, wie sie so etwas über uns sagen können – ich finde, dass wir nett sind.« Und meine zweite innere und unausgesprochene Reaktion war ganz und gar rassistisch: »Ich finde vor allem, dass wir nett sind, wenn wir mit ihnen zusammenarbeiten.«

Mir wurde nun bewusst, dass ich einen Dank dafür erwartete, wenn ich mit Menschen zusammenarbeitete, auf die herabzublicken man mich gelehrt hatte. War ich aus diesem Grund in der Zusammenarbeit unterdrückerisch? Ich brauchte zwei Jahre des Zauderns, ehe ich mich schließlich mit der Antwort abfand: Ja, ich war in der Zusammenarbeit mit schwarzen Frauen unterdrückerisch. Ich hatte meinen Rassismus zu verbergen gehofft, indem ich nett war – nein: sehr nett. Nun musste ich zugeben, dass mein Rassismus natürlich zu erkennen war. Mir kam der Gedanke, dass schwarze Frauen wahrscheinlich deshalb mit mir zusammenarbeiteten, weil ich es zumindest zu versuchen schien. An der University of Denver hatte ich schwarze Frauenliteratur gelehrt, aber ich hatte nichts darüber gelehrt, wie die Systeme weißer Menschen die Härten und Bedingungen im Leben jener schwarzen Figuren und Autorinnen geschaffen hatten, auf die ich da meinen Blick richtete.

Mitte der achtziger Jahre erkannte ich also plötzlich diese hässliche Parallele zwischen dem unterdrückerischen Verhalten der männlichen Seminarteilnehmer und meinem eigenen rassistischen unterdrückerischen Verhalten. Das war ein unangenehmer Schlag in die Magengrube. Dann wurde mir klarer, wie es dazu gekommen ist, dass die Männer in den Seminaren so dachten. Ich kam zu dem Schluss, dass sie nette Männer waren, die einfach nur sehr gut gelernt hatten, was ihnen beigebracht worden war, nämlich einen langen Katalog von Annahmen, die sie (und ich) aus den Lehrplänen und aus der Gesellschaft aufgesaugt hatten: Männer verfügen über Wissen. Männer erschaffen neues Wissen. Männer veröffentlichen und behaupten Wissen, als Dozenten. Männer leiten die bekanntesten Forschungsuniversitäten. Männer leiten die größten Universitätsverlage. Und wir haben die Vorstellung verinnerlicht, dass Männer die Wissenden sind und das Wissen selbst männlich ist.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich angenommen, ich bekäme – anders als meine Kolleginnen of Color – für meine Arbeit an der Änderung des Lehrplans deshalb Fördergelder, weil ich bessere Förderungsanträge schrieb als sie. Nun verstand ich es plötzlich anders. Ich musste mich mit meinem eigenen langen Katalog an Annahmen über das Weißsein auseinandersetzen: Weiße Menschen verfügen über Wissen. Weiße Menschen erschaffen neues Wissen. Weiße Menschen veröffentlichen und behaupten Wissen, als Dozent:innen. Weiße Menschen leiten die bekanntesten Forschungsuniversitäten. Weiße Menschen leiten die größten Universitätsverlage. Mir wurde bewusst, dass ich die Vorstellung verinnerlicht hatte, dass weiße Menschen die Wissenden sind und das Wissen selbst weiß ist.

Es war unerträglich. Dann begriff ich etwas, woran ich bis heute glaube – dass es hier nicht um Nettsein geht. Mir fiel auf, dass das Seminar selbst von der Andrew W. Mellon Foundation finanziert wurde und dass all die Menschen, mit denen ich bei der Stiftung zu tun gehabt hatte, weiß waren. Alle Menschen, mit denen ich bei welcher Stiftung auch immer jemals gesprochen hatte, waren weiß. Mir wurde bewusst, dass ich nicht nur das gesamte Wissenssystem auf meiner Seite hatte, sondern auch das Förderungsbewilligungssystem und das Geldsystem.

Das entlarvte die Meritokratie als bloßen Mythos. Ich war aufgewachsen mit diesem Mythos der Meritokratie, der zwei Teile hat. Zum einen: Die einzige Einheit der Gesellschaft ist das Individuum. Zum anderen: Was auch immer ein Individuum bis zu seinem Tod erreicht hat, muss das sein, was dieses Individuum gewollt, wofür es sich angestrengt, was es sich erarbeitet und was es verdient hat. Meine weißen Privilegien zu erkennen, zerstörte meine Annahme, ich hätte mir alles, was ich besaß, selbst erarbeitet.

Den nun aufkommenden Fragen wollte ich mich zwar lieber nicht stellen, aber ich glaubte, dass ich gerade etwas sehr Großes über mein Leben erkannt hatte: dass das Wissenssystem und das Geldsystem für mich arbeiteten. Also fragte ich mich, was ich ansonsten noch besaß, ohne es mir selbst erarbeitet zu haben. Mein bewusster Verstand weigerte sich, darauf zu antworten. Ich fragte erneut, dringlicher: »Was besitze ich im Gegensatz zu meinen schwarzen Kolleginnen am Wellesley College, ohne es mir erarbeitet zu haben, abgesehen davon, dass das Wissenssystem und das Geldsystem auf meiner Seite sind?« Auch diesmal wollte mein bewusster Verstand, mit all seinen Abschlüssen und Auszeichnungen, nicht darauf antworten. Ich hatte es mir zur Angewohnheit gemacht, meinem Verstand Fragen zu stellen und von ihm Antworten zu bekommen. Diesmal verweigerte er sich jedoch. Mein Verstand sagte: »Dorthin werde ich mich nicht begeben«, oder: »Dort gibt es nichts zu sehen.« Doch eines Abends kurz vor dem Einschlafen, in dem Gefühl, mich wegen dieser Sache in einer spirituellen Krise zu befinden, schrie ich die namenlosen Mächte schließlich geradezu an: »Wenn ich im Gegensatz zu meinen schwarzen Freundinnen im Alltag noch über irgendetwas anderes verfüge, ohne es mir erarbeitet zu haben, ZEIGT ES MIR.«

Mitten in jener Nacht kam mir ein Beispiel in den Sinn. Es weckte mich. Ich schaltete das Licht an und schrieb es auf. Ich war sehr enttäuscht. Es kam mir trivial vor. Ich denke, ich suchte nach dem nächsten großen Ding, vergleichbar dem Geldsystem oder dem Wissenssystem. Die Notiz lautete: »Wenn ich es möchte, kann ich die meiste Zeit in der Gesellschaft von Menschen meiner eigenen Race verbringen.« Am nächsten Morgen schaute ich mir den Satz an und fand ihn noch immer trivial. Heute glaube ich, dass er ein Riesending ist. Diese Tatsache bewahrt mich davor, »die Einsame« oder »die Einzige« sein zu müssen. Mein Eindruck, sie wäre trivial, war ein sehr weißes Urteil. Diese Feststellung war das erste von sechsundvierzig Beispielen, die mir im Verlauf der nächsten drei Monate einfielen.

Wie ich im ersten, all jene sechsundvierzig Beispiele umfassenden Privilege Paper erklärte, waren die Sätze bis zum nächsten Morgen wieder aus meinem Kopf verschwunden, wenn ich sie nicht sofort aufschrieb. Nichts davon wollte ich wissen. Ich schrieb Dinge auf, die ich nicht sehen wollte. Heute amüsiert es mich, dass mir die Beispiele voll ausformuliert und grammatikalisch korrekt in den Sinn kamen. Ich war früher einmal Englischlehrerin gewesen, was diesen Umstand zum Teil erklärt, aber er zeigt mir auch, wie dicht die Beispiele sich unter der Oberfläche meines Verstandes befanden – wie leicht erreichbar sie für mein Unterbewusstsein waren. Ich empfehle Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, genauso wie allen Studierenden, mit denen ich heutzutage spreche, Ihrem eigenen unterbewussten Verstand Fragen zu stellen. Ich denke, dass unsere formale Bildung das meiste von dem unterdrückt, was unserem unterbewussten Verstand auffällt. Als Kinder haben wir ein ausgeprägtes Gespür für Ungerechtigkeit und dafür, wie offenkundig Ungerechtigkeit im Leben und in der Schule ist. Aber in der Schule wird uns kaum etwas über rassistische Machtdynamiken beigebracht, und die wenigsten Eltern diskutieren ungezwungen mit ihren Kindern, Familien, Nachbar:innen, der Landes- bzw. Bundesregierung oder anderen Menschen auf der Welt über das furchtbare Thema rassistische Macht. Ich hatte nicht verstanden, weshalb schwarze Frauen uns weiße Frauen unterdrückerisch fanden, bis ich nach der Wahrheit verlangte und daraufhin davon träumte. Diese Quellen unterbewusster, unterdrückter Informationen lieferten mir Dutzende grammatikalisch korrekt und verständlich formulierte Beispiele aus meinem eigenen Leben.

Jedes Beispiel wurde von einer Stimme vorgetragen, die weder männlich noch weiblich war, und zwar so auf den Punkt, dass daran nicht mehr gefeilt werden musste. Anders ausgedrückt belehrte mich diese Stimme über meine eigenen Erfahrungen. Die Stimme lud mich nicht ein, mir eine Geschichte auszudenken, sondern sie gab mir einfach Worte für das, was ich bereits wusste. Die Stimme kam meiner Aufforderung nach: »ZEIGT ES MIR!«

Nach etwa drei Monaten kamen keine Beispiele mehr. Eines Nachts hörte ich dieselbe Stimme, die mir die meisten der Beispiele gegeben hatte: »Du musst das aufschreiben und veröffentlichen. Das ist wahrscheinlich die wichtigste Arbeit, die du in deinem Leben vollbringen wirst.«

Ich schrieb meine Beispiele und meine Analyse davon auf und schickte das Manuskript an ein paar Freund:innen und Kolleg:innen in den Bereichen Women’s Studies, Black Studies, Soziologie und Psychologie in verschiedenen Teilen des Landes. Sie rieten mir, es zu veröffentlichen. Aber das Working Papers Committee des Center for Research on Women, wo ich arbeitete, weigerte sich, den Aufsatz abzudrucken. Das Komitee erklärte, er sei »nur anekdotisch«, habe keine Fußnoten und sei somit keine richtige Forschungsarbeit.

Ich präsentierte meinen Aufsatz dennoch als Vortrag bei vielen Konferenzen und erhielt Anfragen aus verschiedenen Fachgebieten, ihn in Seminaren verwenden zu dürfen. Ich nahm 50 Cent für jede Kopie, die jemand anfertigte, fand jedoch, das Center könnte für uns alle Geld einnehmen, wenn es den Text veröffentlichte und 6 Dollar pro Exemplar verlangte. Im Jahr darauf suchte ich das Working Papers Committee also noch einmal auf, aber sie lehnten den Aufsatz erneut ab, wobei sie betonten, unsere Institution habe für ihre Forschung einen Ruf zu wahren, und eine persönliche Erzählung könne nicht als aussagekräftige Daten betrachtet werden. Ich verstand ihre Position, schließlich hatte ich alle meine Abschlüsse nach diesen akademischen Konventionen erhalten. Beispielsweise hatte ich in all den Arbeiten, die ich am College und am Graduiertenkolleg verfasst hatte, stets unpersönliche Formulierungen gewählt. Heute bin ich der Überzeugung, dass das Weglassen individueller Stimmen der Wissenserzeugung immens schadet.

Ich war überrascht, als dieselbe Stimme, die mir die meisten Beispiele gegeben hatte, mich etwa drei Monate nach der zweiten Ablehnung durch das Working Papers Committee weckte. Die Stimme sagte: »Freud hatte keine Fußnoten!« Ich bat darum, an einem weiteren der vierteljährlichen Treffen des Komitees teilnehmen zu dürfen, und erklärte, ich verstünde zwar ihr Dilemma, aber: »Freud hatte keine Fußnoten! Das hier ist ein Primärtext.« Sie blickten einander an, meine Kolleg:innen mit ihren Doktortiteln in Sozialwissenschaften, und sagten schließlich: »Okay.« Als Working Paper #189 [siehe S. 27–51] wurde der Text bald zu einem der bestverkauften Aufsätze des Centers, und bis heute steht er ganz oben auf der Liste, gemeinsam mit Nan Steins wichtiger Arbeit über Gendergewalt in Schulen und Gesellschaft. Er fügte den komplett weißen Lehrplänen der feministischen und der Männer-zentrierten Kurse eine notwendige weitere Dimension hinzu.

Kurz nach der Veröffentlichung des Papers bekam ich einen Anruf von der Harvard Educational Review, die es nachdrucken wollte. Ich stimmte zu, unter der Bedingung, dass die Herausgeber:innen auch einen Artikel einer Person of Color anforderten, die keine weißen Privilegien genießt. Sie behaupteten, sie hätten keinen Platz für einen weiteren Artikel. Ich bot an, meinen Aufsatz um die Hälfte zu kürzen und den Platz zu teilen. Nach einer langen Pause hieß es, die Review veröffentliche keine »kurzen Artikel«, also lehnte ich das Angebot ab.

1989 fragte mich Roberta Spivek, die erfahrene Herausgeberin der Zeitschrift Peace and Freedom der Women’s International League for Peace and Freedom, ob sie den Artikel verdichten dürfe. Sie reduzierte die Liste der Beispiele von sechsundvierzig auf sechsundzwanzig und arbeitete auf brillante Weise die wichtigsten Punkte und Bilder aus meinem neunzehnseitigen Paper heraus. Sie griff die Metapher des unsichtbaren Rucksacks aus dem Hauptteil des Aufsatzes auf und nannte den dreiseitigen Ausschnitt: Weiße Privilegien: den unsichtbaren Rucksack auspacken [siehe S. 52–63].