Welpenalarm! - Frauke Scheunemann - E-Book
SONDERANGEBOT

Welpenalarm! E-Book

Frauke Scheunemann

0,0
7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein kleines Dackelherz auf Abwegen

Merkt denn außer mir niemand, dass dieser kleine Mensch zum Himmel stinkt? Im wahrsten Sinne des Wortes! Brrr, es ist unerträglich, meine empfindliche Dackelnase schmerzt schon richtig. Ich beschließe, der Ursache für dieses Problem selbst auf den Grund zu gehen, und zerre an Henris Hose. Kurz darauf halte ich sie in der Schnauze. Jetzt noch weg mit der Windel, so macht Carolin das schließlich auch immer. Apropos Carolin – in diesem Moment biegt sie um die Ecke und stürzt sich mit einem Schrei auf mich: »Herkules, du böser, böser Hund! Komm sofort raus aus der Wiege!« Sie packt mich am Nacken und gibt mir einen Klaps auf den Po. Beleidigt jaule ich auf und verkrieche mich in mein Körbchen. Ich hab´s ja gleich gewusst: dieses neue Baby würde nur Ärger bringen!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 378

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Page & Turner Bücher erscheinen im Wilhelm Goldmann Verlag, München, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH.

Copyright © 2012 by Page &Turner/Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Gesetzt aus der Janson-Antiqua

ISBN 978-3-641-06914-8V003

www.pageundturner-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

InschriftEINSZWEIDREIVIERFÜNFSECHSSIEBENACHTNEUNZEHNELFZWÖLFDREIZEHNVIERZEHNFÜNFZEHNSECHZEHNSIEBZEHNACHTZEHNNEUNZEHNZWANZIGEINUNDZWANZIGZWEIUNDZWANZIGDREIUNDZWANZIGVIERUNDZWANZIGFÜNFUNDZWANZIGSECHSUNDZWANZIGDANK AN …Copyright

Mein Hund ist als Hund eine Katastrophe, aber als Mensch unersetzlich.

 

Johannes Rau

EINS

Unfassbar! Es ist einfach unfassbar! Irgendetwas muss über Nacht mit meinem Frauchen Carolin passiert sein, und jetzt hat sie offensichtlich eine Nase, die der eines alten Königspudels gleicht. Um hier Missverständnissen vorzubeugen: Damit meine ich nicht etwa groß, feucht und eingerahmt von leicht ergrautem, lockigem Fell. Nein, sondern vielmehr mit dem Geruchssinn eines in die Jahre gekommenen Begleithundes ausgestattet. Also für einen Menschen geradezu sensationell gut.

Wie ich darauf komme? Ganz einfach: Vor etwa zehn Minuten habe ich es mir auf dem neuen Sofa im Wohnzimmer so richtig gemütlich gemacht. Die Gelegenheit war günstig, denn weit und breit war kein Mensch zu sehen, der es mir hätte verbieten können. Frauchens Freund Marc war schon morgens in seine Tierarztpraxis im Erdgeschoss verschwunden, sein Töchterchen Luisa in der Schule und Carolin selbst in ihrer Geigenbauwerkstatt auf der anderen Seite des Parks. Dachte ich jedenfalls.

Auf dem alten Sofa durfte ich immer ohne weiteres Platz nehmen, aber seitdem das neue die sonnigste Ecke des Wohnzimmers ziert, ist mein Leben deutlich unkomfortabler geworden. Am Tag seiner Lieferung stellte Marc nämlich eine neue, sehr spießige Regel auf: Hunde gehören ins Körbchen, auf den Teppich oder vor die Couch, keinesfalls aber auf Letztere. Begründet wurde das mit meinen Haaren und dem schönen, flauschigen Wollbezug der Neuerwerbung. Was natürlich totaler Blödsinn ist, denn das Sofa ist dunkelgrau und damit ziemlich genau meine Haarfarbe. Schließlich bin ich ein Rauhaardackel, jedenfalls fast. Selbst wenn ich also haaren würde – was ich selbstverständlich nicht tue –, würde es nicht weiter auffallen.

Gut, Regeln sind, was man selbst daraus macht – und so liege ich nun eben ab und zu heimlich auf dem Sofa und genieße die Sonne und das kuschelige Gefühl an meinem Bauch. Bis jetzt hat es noch niemand von meinen drei menschlichen Mitbewohnern bemerkt – so viel zum Thema störende Haare.

Auch in diesem Moment fläze ich mich auf meinem neuen Lieblingsplatz und freue mich über die Ruhe in der Wohnung. Eigentlich bin ich als Rudeltier nicht besonders gern allein, aber wenn es denn schon sein muss, dann bitte auf diesem Fleckchen. Hier fühlt sich selbst die Wintersonne, die um diese Tageszeit genau ins Fenster scheint, ganz warm und sommerlich an. Herrlich!

Ein Schlüssel wird im Haustürschloss gedreht. Mist! Ich springe schleunigst auf den Teppich, entferne mich weit genug vom Corpus Delicti und setze eine möglichst unschuldige Miene auf. Carolin streckt den Kopf durch die Tür.

»Hallo Herkules, ich bin wieder zurück. Muss mich mal ein bisschen hinlegen. Irgendwie ist mir heute flau. Vielleicht zu viele Schokoweihnachtsmänner zum Frühstück.«

Sie zögert kurz, dann geht sie in meine Richtung.

»Ach, ich komm zu dir ins Wohnzimmer. Ein wenig Gesellschaft ist vielleicht nicht schlecht.«

Sie nimmt auf dem Sofa Platz, dann legt sie sich mit dem Kopf auf eben jene Stelle, auf der auch ich gerade ein Nickerchen machen wollte. Normalerweise überhaupt kein Problem. Die Nase eines Menschen reagiert auf Duftmarken schließlich so empfindlich wie ein dickfelliger Berner Sennenhund auf die Temperaturen beim ersten Schneefall des Winters. Ich bin also ganz entspannt.

Kaum liegt Carolin jedoch, rappelt sie sich schon wieder auf.

»Sag mal, Herkules, du böser Hund – hast du etwa auf dem schönen neuen Sofa gelegen?«

Ich bin völlig verdutzt. Wie hat sie das gemerkt? Sollte ich etwa doch haaren?

»Du brauchst gar nicht so unschuldig zu gucken! Das ganze Sofa riecht nach dir. Also ehrlich – es stinkt regelrecht nach Hund! Igitt!«

Bitte? Sie hat es gerochen? Das KANN gar nicht sein. Denn ich habe maximal fünf Minuten dort gelegen, und nass war ich auch nicht. Für einen Menschen ist das genau so, als wäre ich niemals da gewesen. Ich bin – ich erwähnte es bereits – also fassungslos. Und, nebenbei bemerkt, was heißt hier eigentlich stinkt nach Hund? Ich bin mir sicher, dass ich sehr angenehm dufte. Carolin sollte sich lieber mal klarmachen, dass das Wässerchen aus dem kleinen Glasfläschchen, das sie selbst häufig benutzt, geradezu penetrant stinkt.

»Tja, mein Lieber, da staunst du, was? Ich habe dich erwischt. Du hast hier gelegen, hundert Prozent. Das rieche ich drei Meilen gegen den Wind. Und du weißt genau, dass wir dir das verboten haben. Also sei froh, dass ich dich erwischt habe und nicht Marc. Bei diesem sauteuren Designerstück kennt Herrchen keinen Spaß.«

Okay, sie hat es offenbar tatsächlich erschnuppert. Ich richte mich zu voller Größe auf und starre Carolin an. Sieht sie irgendwie anders aus? Irgendetwas, das ihren plötzlich sensationellen Geruchssinn erklären könnte? Nein, alles völlig normal und wie immer: Carolin hat ihre blonden langen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, die hellen Augen strahlen, und ihre Nase ist kein Stück größer geworden. Sehr seltsam. Seeehr seltsam!

Bevor ich aber noch dazu komme, Carolin eingehender zu untersuchen, springt sie vom Sofa auf.

»Ich lege mich ins Bett. Hier wird mir ja ganz anders, ich fürchte, die Couch muss erst einmal auslüften. Schäm dich, Herkules!«

 

»Und du bist dir wirklich sicher, dass sie es gerochen hat?« Auch Herr Beck guckt erstaunt, als ich ihm am nächsten Tag von der Sofageschichte erzähle. Und das will etwas heißen. Denn der dicke schwarze Kater hat schon ziemlich viele Jährchen auf dem Buckel und mit Menschen wohl alles erlebt, was man als Vierbeiner so mit ihnen erleben kann. Seit ich ihn im Sommer vor zwei Jahren kennen gelernt habe, ist er deswegen nicht nur mein bester Freund, sondern auch mein wichtigster Ratgeber geworden.

»Ich meine, vielleicht hat sie es auch nur erraten. Du lagst immerhin neben dem Teil, und vielleicht hast du gleich so schuldbewusst geschaut.«

Ich schüttle den Kopf.

»Nee, völlig ausgeschlossen. Zum einen hatte ich überhaupt kein schlechtes Gewissen. Und zum anderen habe ich wirklich einen Sicherheitsabstand zwischen das Teil und mich gebracht, bevor Carolin ins Zimmer gekommen ist. Nicht nur das: Sie hat sogar behauptet, ihr würde ganz anders von dem Geruch.«

»Hm.« Beck guckt nachdenklich und rückt von dem Treppenabsatz unseres Hauseingangs näher an die Hauswand heran. Tatsächlich hat es angefangen zu schneien, und wie die meisten Katzen ist Beck wettertechnisch ein echtes Weichei. Wenn mein Opili – Gott hab ihn selig! – das sehen könnte, es würde ihn in seiner Meinung über diese Gattung vollauf bestätigen. Ich bleibe selbstverständlich wie angenagelt liegen und trotze dem Schneesturm. Na ja, drei Flocken mindestens haben schon meine Nase gestreift. Ich muss niesen. Herrn Beck scheint das an unser Ausgangsthema zu erinnern.

»Ja, ja, die Nase. Damit hat sie dich also ertappt. Für einen Menschen ist das wirklich eine unglaubliche Leistung. Selbst mir fällt es mittlerweile schon deutlich schwerer, Duftmarken exakt zuzuordnen. Das Alter!« Er seufzt. »Ist dir denn sonst noch etwas aufgefallen? Vielleicht sind das ja Anzeichen irgendeiner seltenen Krankheit?«

Ich denke kurz nach.

»Nein. Oder, na ja. Ich finde, Carolin ist in letzter Zeit immer sehr müde. Normalerweise dreht sie bei schönem Wetter gerne eine Extrarunde mit mir im Park. Das ist schon länger nicht mehr vorgekommen, sie ist immer zu schlapp dafür. Meinst du, ich muss mir Sorgen um Carolin machen?«

Becks Schwanzspitze zuckt. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er nachdenkt.

»Tja, so spontan weiß ich damit auch nichts anzufangen. Geruchsempfindlichkeit und Müdigkeit – habe ich so als Krankheitssymptome beim Menschen noch nicht erlebt. Beim Kater erst recht nicht. Vielleicht sind das auch alles nur Zufälle? Ihre Nase hatte heute nur einen guten Tag, und außerdem ist es ihr momentan schlicht zu kalt, um mit dir spazieren zu gehen? Ich fürchte, wir müssen das weiter beobachten, mein Freund. Nur so kommen wir zu einer fundierten Diagnose.«

Ich nicke, dann wälze ich mich hoch und trotte Richtung Terrassentür zur Werkstatt. Beobachten ist bestimmt eine gute Idee, und wenn ich schon dabei bin, kann ich auch gleich mal beobachten, ob sich schon etwas Essbares in meinem Napf befindet.

Carolin läuft in dem großen Raum mit den Werkbänken hin und her und telefoniert. Aus der kleinen Küche hinter dem Flur, in der sich Caro und ihr bester Freund und Kollege Daniel immer Tee oder Kaffee kochen, höre ich es verdächtig klappern. Vielleicht denkt wirklich jemand an mich? Muss ja nicht unbedingt frisches Rinderherz sein, eine Zwischenmahlzeit in Form von Hundekuchen würde mir auch gefallen.

Hoffnungsfroh renne ich hinüber und schaue durch die Tür: Tatsächlich hantiert Daniel mit einem Karton. Ich schnuppere kurz in die Luft – nein, bedauernswerterweise sind keine Hundekuchen darin, sondern wohl nur die kleinen Papiertüten, in die er immer das Kaffeepulver füllt. Vielleicht kann ich ihm trotzdem einen Snack aus den Rippen leiern. Direkt neben der Tür stehen mein Trink- und mein Fressnapf. Letzterer ist – leider! – leer. Ich gebe ihm einen kräftigen Stoß mit meiner Schnauze und werfe ihn damit gegen den Trinknapf, so dass es ziemlich laut scheppert. Daniel dreht sich erschrocken zu mir um. Recht so! Ein schlauer Kerl und Hundefreund wie er sollte doch mit dieser Botschaft etwas anfangen können.

»He, du Randale-Dackel! Oder sollte ich besser Hooligan-Hund sagen? Was soll das denn?«

Also bitte, Daniel, das ist jetzt nicht der passende Moment für sprachliche Spitzfindigkeiten, die mir persönlich auch rein gar nichts sagen. Ich will etwas zu fressen, und zwar schnell! Um die Botschaft noch etwas klarer zu machen, gebe ich dem umgekippten Fressnapf noch einen Stups und knurre ein bisschen.

»Ach, daher weht der Wind. Monsieur verlangt nach einer Mahlzeit!«

Sehr gut, hundert Punkte, Daniel. Und nun mach schon, du weißt bestimmt, wo Carolin meine Leckerlis aufbewahrt – in dem kleinen Schränkchen, auf dem die Kaffeemaschine steht. Das ist doch für dich nur ein Griff!

Aber leider öffnet Daniel nicht einfach die Schranktür, sondern sieht sich etwas hilfesuchend in der kleinen Küche um und fährt sich dann ratlos mit den Händen durch die vielen hellen Locken auf seinem Kopf.

»Hm, wo mag denn dein Frauchen etwas für dich verstaut haben?« Er öffnet den Schrank über dem Herd mit den zwei Platten. »Also, das hier sieht schon mal schlecht aus. Vielleicht daneben? Nee, auch nicht.« Er beugt sich zu mir herunter. »Tja, Herkules, da siehst du es – ich war wirklich verdammt lange weg. Ich muss mich hier erst einmal wieder einleben.«

Mit diesen Worten verlässt er die Küche und geht in den großen Werkraum.

»Sag mal, Carolin«, höre ich ihn fragen, »hast du hier unten irgendetwas zu fressen für Herkules? Er scheint Hunger zu haben.«

»Kann zwar eigentlich nicht sein, aber vielleicht hat ihn die allgemeine Vorweihnachtsvöllerei angesteckt. Moment, ich zeig’s dir.« Sie kommen beide in die Küche.

»Danke!«

»Keine Ursache, ist ja auch in meinem Interesse, wenn du dich so schnell wie möglich wieder heimisch fühlst.«

Recht hat sie. Ich will doch schwer hoffen, dass Daniel diesmal für immer dableibt. Carolin und Daniel haben sich nämlich schon einmal die Werkstatt geteilt und zusammen Geigen gebaut. Das war zu der Zeit, als mich Caro aus dem Tierheim gerettet hat. Aber dann war Daniel als Mann zu nett für Carolin, aber nicht für Aurora, und deswegen verliebte sich Carolin in Marc, und Daniel zog mit der doofen Aurora weit, weit weg und kam nur noch ganz selten bei uns vorbei. Also, das ist jetzt die sehr verkürzte Fassung, aber so ungefähr war’s. Es ist auch müßig, sich bei Menschen alles merken zu wollen. Ich habe es jedenfalls mittlerweile aufgegeben. Dafür passiert bei denen einfach viel zu viel.

Das soll mich jetzt auch nicht weiter kratzen, denn immerhin ist Daniel nun wieder da und scheint auch bleiben zu wollen. Umso sinnvoller ist es deswegen natürlich, dass Carolin ihn gründlich in die wesentlichen Dinge der Werkstatt einweist. Wozu selbstverständlich auch gehört, wo sich mein Futter befindet.

Nach einer solchen Einarbeitung sieht es allerdings momentan nicht aus. Stattdessen stehen die beiden in der Küche voreinander und schweigen sich an. Dann lächelt Daniel und knufft Caro in die Seite.

»Carolin, ich bin froh, dass wir jetzt wieder ein richtiges Team sind.« Sie nickt.

»Ja, ich auch. Ich hoffe nur, du wirst München nicht zu sehr vermissen. Und alles, was damit zusammenhängt.«

Daniel brummt irgendetwas Unverständliches, und diesmal ist es Carolin, die ihn knufft.

He! Das ist ja geradezu rührend, wie ihr hier den Geist eurer Freundschaft beschwört, aber: WO BLEIBT MEIN FUTTER? Ich winsle ein bisschen, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen.

»Ist ja gut, Süßer, geht schon los!« Carolin beugt sich zu dem Schränkchen, öffnet eine der Türen und nimmt eine Dose heraus. Na endlich!, möchte ich laut rufen, beschränke mich aber meinen Fähigkeiten entsprechend auf ein gutgelauntes Schwanzwedeln.

Als Carolin die Dose öffnet, passieren mehrere Dinge, und zwar fast zeitgleich: Erst strömt der verführerische Duft von Pansen und Leber in die Küche – und nur den Bruchteil einer Sekunde später lässt Carolin die Dose auf den Boden fallen, gibt ein tiefes, würgendes Geräusch von sich, dreht sich blitzschnell zur Seite und übergibt sich in die Spüle neben der Kaffeemaschine.

ZWEI

Heilige Fleischwurst! Das letzte Mal, dass ich erleben musste, wie sich Carolin übergab, war mit Sicherheit der absolute Tiefpunkt meiner Karriere als Haustier. Carolin hatte aus Liebeskummer eine ganze Flasche Cognac niedergemacht, dann ihren Wohnzimmerteppich in kleine Teile geschnitten und war schließlich ohnmächtig geworden. Also, nachdem sie gespuckt hatte. Und wer war schuld daran? Genau. Ich, Herkules, der Unglücksrabe, mit freundlicher Unterstützung von Herrn Beck. Kurz zuvor hatten wir zwei nämlich Carolins gruseligen Freund Thomas aus dem Haus geekelt. Die beiden passten einfach nicht zusammen. Trotzdem war Caro danach so unglücklich, dass sie auf die Sache mit dem Cognac verfiel.

Heute liegen die Dinge aber völlig anders – Carolin hat keinen Liebeskummer, sondern ist schon ziemlich lange glücklich mit ihrem Freund Marc, der praktischerweise auch mein Tierarzt ist. Und Cognac hat sie auch keinen getrunken, auch keine andere Sorte von diesem scheußlichen Zeug namens Alkohol. Wenn ich es mir recht überlege, nicht nur heute nicht, sondern schon ziemlich lange nicht mehr. Daran kann es demnach auch nicht liegen.

Herr Beck hatte also Recht mit seinem Verdacht. Mein Frauchen ist krank! Und wir brauchen einen Arzt, dringend! Offenbar bin ich aber der Einzige, der die Lage besorgniserregend findet, denn weder Daniel noch Carolin wirken im Geringsten alarmiert. Daniel klopft Caro lediglich auf die Schulter, reicht ihr dann ein Taschentuch und fragt: »Geht’s wieder?«

Sie nickt.

»Danke, alles in Ordnung. Es war nur dieser Geruch … der hat mich gerade echt umgehauen.«

Ha! Da ist es wieder! Geruchsempfindlichkeit! Mensch, Carolin, lass uns doch mal zu einem Arzt gehen, das ist doch nicht normal! Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass Pansen sehr lecker riecht, war es natürlich nicht die erste Hundefutterdose, die Carolin in ihrem Leben geöffnet hat, und bisher hat es ihr nie etwas ausgemacht, am Inhalt zu schnuppern.

»Vielleicht setzt du dich einen Moment in den Sessel?«, schlägt Daniel vor. Als keine Widerrede kommt, nimmt er Caros Hand und zieht sie sanft in das große Zimmer vor der Terrasse, in dem neben den beiden Werkbänken von Carolin und Daniel auch ein gemütlicher Korbsessel steht. Er drückt Carolin in das weiche Sitzkissen und marschiert dann noch einmal in die Küche, um kurz darauf mit einem Glas zurückzukehren.

»Hier, ein stilles Wasser für die Patientin! Ich werde mich demnächst als dein hauptamtlicher Krankenpfleger bewerben.«

»Tu das, der Job liegt dir ja offensichtlich, und mein Arzt wäre begeistert. Er hat neulich wegen meines Arbeitspensums schon mit mir geschimpft und verlangt, dass ich mich mehr schone.«

Aha. Anscheinend weiß Carolin selbst um ihren schlechten Gesundheitszustand und war schon beim Arzt. Und sollte Daniel etwa auch eingeweiht sein? Wieso weiß ich dann nichts Näheres und muss mir hier meinen Teil zusammenreimen? Gut, als Dackel bin ich Jagd- und nicht Schutzhund, aber ich muss doch wohl nicht erst bei der Bergrettung anheuern, damit ich in Fragen des Wohlergehens meines Frauchens eingebunden werde.

Egal: Wenn ihr es mir nicht freiwillig erzählen wollt, muss ich euch wohl noch ein wenig belauschen. Dann kriege ich es schon selbst heraus und werde dann entsprechende Maßnahmen für die Genesung von Carolin ergreifen. Welche das im Einzelnen sein könnten, ist mir noch nicht ganz klar. Aber die meisten Krankheiten des Menschen bekommt man mit viel Bewegung und frischer Luft wieder hin. Das jedenfalls war die unerschütterliche Meinung meines Züchters, des alten von Eschersbach. Er erwähnte in diesem Zusammenhang auch immer wieder gerne einen längeren Spaziergang – oder Fußmarsch –, der an einem Ort namens Ostpreußen begann. Ich bekomme es nicht mehr ganz zusammen, aber irgendwie war der Alte der Meinung, dass er als Kind mit seiner Mutter sehr viel gelaufen und er deswegen heute bei so robuster Gesundheit sei, während die Jugend heute vom vielen Rumsitzen völlig verweichliche.

Ich hoffe also, Carolins Krankheit hat mit ihrem Bewegungsmangel in letzter Zeit zu tun, denn den werde ich mit Sicherheit ganz schnell in den Griff bekommen. Die Sache mit dem »Schonen« können wir dann immer noch machen, aber wenn Carolins Arzt wirklich Ahnung hätte, wäre sie doch längst wieder gesund.

Es sei denn … es wäre etwas Ernsteres. Hm. Kann das sein? Ist Caro vielleicht richtig krank? Nicht nur ein bisschen? Verstohlen betrachte ich sie von dem Platz neben dem Sessel, auf den ich mich gelegt habe. Aus diesem Blickwinkel sieht sie eigentlich ganz normal aus. Ein bisschen blass, aber sonst ganz die Alte. Ich robbe ein Stück vor und lege mich auf Caros Füße. Was auch immer sie haben mag, Körperkontakt ist immer gut.

Sie beugt sich zu mir herunter und krault mich zwischen den Öhrchen. Sehr gut, zumindest die alten Reflexe scheinen noch zu funktionieren!

»Herkules, mein Süßer, vielleicht sollte ich mich einfach zu Hause hinlegen und dich als Wärmflasche gleich neben mich packen. Von mir aus auch auf Marcs heiliges Sofa. In meinem Zustand darf ich das doch wohl.«

Oh, oh – einerseits eine verlockende Vorstellung, andererseits  – was meint sie bloß mit Zustand? Klingt nicht gut. Daniel zieht sich einen der Werkbankschemel neben ihren Sessel und setzt sich.

»Habt ihr es Luisa eigentlich schon gesagt?«

Klingt gar nicht gut.

Carolin schüttelt nur den Kopf.

»Meinst du, sie ahnt schon etwas?«

»Ich hoffe nicht, ich will ja nicht, dass sie sich unnötig Sorgen macht. Wir wollten erst mal abwarten, wie es sich entwickelt.«

Schluck! Klingt überhaupt rein gar nicht auf keinen Fall gut!

»Wann wollt ihr es Luisa denn sagen? Viel Zeit habt ihr ja nicht mehr.«

O MEIN GOTT! Viel Zeit ist nicht mehr! Ich bin schockiert  – was mache ich mir denn hier übers Gassigehen Gedanken? Carolin ist offenbar schwer krank. Sehr schwer krank.

»Na, wir dachten, an Weihnachten. Seitdem Luisa bei Marc wohnt, feiert sie Weihnachten eigentlich immer bei ihrer Mutter Sabine in München. Aber Sabine war einverstanden, dass Luisa diesmal Heiligabend noch bei uns verbringt. Ist ja schließlich das letzte Weihnachten in dieser Besetzung.«

Das letzte Weihnachten? Ich bekomme Ohrenrauschen und Atemnot, der Raum beginnt sich zu drehen. Carolin wird sterben. Ich werde mein geliebtes Frauchen verlieren! Ich werde eine einsame Dackelwaise sein, verlassen von der Welt, ich werde …

»Herkules, was ist denn auf einmal mit dir los?« Carolin hebt mich auf ihren Schoß und streichelt mich zärtlich. »Du zitterst ja plötzlich am ganzen Leib. Ist dir kalt? Oder bist du schon so geschwächt vor Hunger?«

Carolin, du gütigster Mensch auf der Welt – selbst im Angesicht deines eigenen Todes denkst du noch an deinen treuen, kleinen Freund Herkules. Am liebsten würde ich jetzt weinen – eine Fähigkeit, um die ich die Menschen schon oft beneidet habe –, aber so bleibt mir nur ein schwaches Winseln.

Daniel steht von seinem Schemel auf.

»Richtig, das Fressen für Herkules. Das haben wir ja ganz vergessen. Ich schau mal, ob man die Dose noch nehmen kann, sonst mache ich ihm eine neue auf.«

Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass ich jetzt etwas fressen kann? Mir ist natürlich ob dieser grausamen Nachricht völlig der Appetit vergangen. Daniel verschwindet in Richtung Küche. Wie abgebrüht die beiden sind – sie müssen die furchtbare Wahrheit schon lange kennen. Wahrscheinlich ist Daniel auch deswegen zu Carolin zurückgekommen: Er will seine alte Freundin auf ihrem letzten, schweren Weg begleiten. Wahre Freunde. Ob Herr Beck das auch für mich tun würde? Wobei – eigentlich stellt sich die Frage eher umgekehrt. Herr Beck ist ja schon ganz schön betagt, während ich mit meinen drei Jahren noch fast ein junger Hüpfer bin. Also werde ich Herrn Becks Tatze halten, wenn es irgendwann mit ihm zu Ende geht?

In diesem Moment hält mir Daniel einen bis zum Rand gefüllten Fressnapf direkt vor die Nase.

»Na, mein Freund – wie sieht das für dich aus? Lecker, oder?«

Pah, störe meine Trauer nicht! Wobei – es riecht schon ziemlich gut. Und durch Hunger geschwächt bin ich natürlich auch keine Hilfe für Carolin. Was sie jetzt braucht, ist ein ganzer Kerl. Von mir aus auch dank Chappi. Ich hüpfe von ihrem Schoß, Daniel stellt das Schälchen auf den Boden. Hastig schlinge ich los, immerhin ist meine letzte Mahlzeit schon eine ganze Zeit her. Hinzu kommt, dass Marc dem Diätwahn anheimgefallen ist. Leider nicht bei sich selbst, das wäre mir egal. Aber nein – er findet tatsächlich, dass ich zu viel angesetzt habe. Zum einen eine Frechheit. Und zum anderen ist eine leichte Gewichtszunahme jahreszeitlich völlig angemessen. Es ist schließlich kalt draußen, und ich habe beobachtet, dass auch die Menschen momentan einen gesteigerten Appetit zu haben scheinen. Vor allem auf Süßigkeiten. Die sind zwar für mich streng verboten, aber Luisa hat mir heimlich schon den ein oder anderen Schokoweihnachtsmann zugesteckt. Braves Mädchen.

»Sag mal, wo feierst du eigentlich Weihnachten?«, will Carolin von Daniel wissen.

»Ich weiß noch nicht so genau. Aurora hat mich gefragt, ob ich nicht doch mit ihr nach New York kommen will. Aber das halte ich für keine so gute Idee. Ich glaube, ein bisschen Abstand tut uns beiden nach dem ganzen Desaster erst einmal gut. Außerdem hat sie bei Konzertreisen erfahrungsgemäß sowieso wenig Zeit, und ich säße nur allein im Hotel.«

»Hm.« Mehr sagt Caro dazu nicht, was schade ist, denn die Kombination aus Aurora und Desaster klingt selbst in meinen Dackelohren interessant. Gut, natürlich ist Daniel gekommen, um Carolin beizustehen, so viel steht fest. Aber offenbar gibt es Zoff mit Aurora, der Stargeigerin. Das ist natürlich großartig, denn es erhöht nach meiner Kenntnis von menschlichen Beziehungen die Wahrscheinlichkeit, dass Daniel wirklich für immer hierbleibt, erheblich.

»Ach, ich glaube, ich besuche einfach meine Eltern in Lübeck. Die würden sich freuen, mich zu sehen.«

»Du kannst natürlich auch mit uns feiern. Marc und Luisa hätten bestimmt nichts dagegen.«

»Danke, das ist ein liebes Angebot. Aber du hast es ja schon selbst gesagt – dieses Weihnachten ist in gewisser Weise besonders für euch. Da möchte ich nicht stören.«

»Du störst überhaupt nicht.«

»Nee, danke, lass mal. Ich fahre nach Lübeck und lasse mich von meiner Mutter mästen.«

Carolin rappelt sich aus ihrem Sessel hoch.

»Tja, vielleicht hast du Recht. Ich bin auch schon sehr gespannt, wie Luisa reagieren wird.« Na, wie wohl? Entsetzt! »Ich meine, ich bin nicht ihre Mutter, aber trotzdem …« Also, da fallen mir doch so langsam die Schwanzhaare aus – für wie herzlos hält sie das Kind?

»Ja, ihr müsst sie gut darauf vorbereiten«, pflichtet ihr Daniel bei, »für die Kleine wird sich eine Menge ändern, und die Familie, die ihr jetzt seid, wird es so nicht mehr geben.«

Vielen Dank, Daniel. Jetzt hast du es geschafft. Mein Appetit ist mir endgültig vergangen. Ich lasse den Napf stehen und beschließe, die traurigen Nachrichten mit jemandem zu teilen, der zur Abwechslung mal mich trösten kann.

 

»Und du bist dir da ganz sicher?« Herr Beck ist fassungslos.

»Ja, leider. Im wahrsten Sinne des Wortes: todsicher.«

»Aber, aber – das ist ja schrecklich! So eine junge Frau! Was ist denn das bloß für eine fürchterliche Krankheit?«

»Das hat sie nicht so genau gesagt. Aber sie hat nicht mehr viel Zeit. Weihnachten wollen sie es Luisa sagen.«

»O nein. Das arme Kind.«

»Ach, Beck, ich bin so unglücklich.« Ich beginne zu jaulen. Beck macht ein Geräusch, das dem menschlichen hm, hm sehr nahekommt.

»Aber vielleicht ist es auch blinder Alarm, und du hast die beiden einfach falsch verstanden. Vielleicht wollen sie Luisa an Weihnachten etwas ganz anderes sagen. Weißt du, Menschen sind Meister der Doppeldeutigkeit, das ist als Haustier nicht immer leicht zu verstehen.«

Typisch Beck. Nie nimmt er mich ernst. Ein toller Freund. Ich jaule noch ein bisschen lauter.

Beck seufzt.

»Okay. Nehmen wir mal an, du hättest Recht. Dann musst du dich ein bisschen ablenken. Sonst wirst du noch schwermütig. Und mit einem schwermütigen Dackel ist auch niemandem gedient. Am wenigsten Carolin.«

»Ich bin bereits schwermütig. Mein Frauchen wird sterben, wie könnte ich da gut gelaunt sein?«

Beck seufzt.

»Noch mal: Vielleicht hast du sie einfach falsch verstanden. Leider können wir sie das nicht einfach fragen. Bis wir Gewissheit haben, bist du gut beraten, nicht die ganze Zeit über den Tod nachzudenken. Zu viel denken ist für Haustiere insgesamt nicht gut. Für Menschen eigentlich auch nicht, aber die sind für sich selbst verantwortlich. Also, lass uns über etwas anderes reden.«

Dieser fette Kater ist so verdammt herzlos! Worüber soll ich denn jetzt mit ihm reden?

»Mir fällt nichts ein, worüber ich mich im Moment mit dir unterhalten möchte.«

»Wie wäre es denn zum Beispiel mit dem Thema Weihnachten?«

»O nein! An Weihnachten wollen sie es doch Luisa sagen. Und dann wird das arme Kind erfahren, dass …«

»Herkules!«, unterbricht mich Beck rüde. »Keine Gespräche über den Tod!«

Na gut, dann eben nicht. Wir schweigen uns an.

»Wann ist eigentlich Weihnachten?«, will ich schließlich von Beck wissen.

»Na, so wie jedes Jahr.«

»Das ist mir klar, ich habe es nun schließlich auch schon zweimal mitgemacht – aber trotzdem habe ich es mit der menschlichen Zeiteinteilung nicht so. Also – ist Weihnachten eher morgen, oder dauert es noch ein bisschen?«

Beck bewegt den Kopf bedächtig hin und her. Offenbar weiß er es auch nicht so genau.

»Lass mal überlegen. Auf Ninas Wohnzimmertisch steht so ein rundes Teil mit Kerzen drauf. Vier Stück. Und soweit ich weiß, müssen alle brennen, damit Weihnachten ist.«

»Aha. Aber die brennen doch, weil die Menschen sie anzünden. Dann könnte ja jeder selbst bestimmen, wann das ist. Einfach alle Kerzen angezündet, fertig.«

Herr Beck zieht seine buschigen Augenbrauen hoch und schaut mich tadelnd an.

»Nein, so geht das natürlich nicht. Diese Kerzen kann man nicht einfach so anzünden.«

»Kann man nicht? Brennen die dann nicht?«

»Quatsch, das meine ich nicht. Ich meine, sie werden nach einem bestimmten … na … wie nenne ich es? Genau – sie werden nach einem bestimmten Ritus angezündet. Erst eine, dann zwei … und so weiter. Bis sie schließlich alle brennen. Dazwischen müssen aber immer ein paar Tage liegen.«

»Welchen Sinn soll das denn haben?«

»Herkules, manchmal stellst du Fragen wie ein Maikätzchen. Als ob bei den Menschen immer alles einen Sinn hätte.«

Nee, nee, mein Lieber – so einfach kommst du mir nicht davon. Wer den Spezialisten gibt, muss auch mit kritischen Nachfragen rechnen.

»Ich sage ja gar nicht, dass bei den Menschen immer alles einen Sinn haben muss. Aber wenn sie es so kompliziert machen, haben sie sich doch in der Regel schon etwas dabei gedacht«, halte ich dagegen. Herr Beck macht ein Geräusch, das wie PFFF klingt und wahrscheinlich Missbilligung ausdrücken soll, aber an den Bewegungen seiner Schwanzspitze kann ich erkennen, dass er tatsächlich über meinen Einwurf nachdenkt.

»Okay, wenn ich mich richtig erinnere, hat das irgendetwas mit Abwarten zu tun.«

»Abwarten?«

»Ja. Die Menschen warten auf irgendetwas oder irgendjemanden. Und damit die Zeit schneller vergeht, zünden sie nach jeder Woche, die sie erfolgreich hinter sich gebracht haben, eine neue Kerze an.«

»Aber auf wen oder was warten sie denn? Das muss ja etwas ganz Besonderes sein, wenn dafür so ein Brimborium veranstaltet wird. Ich meine – Carolin wartet auch häufiger mal auf einen Kunden, der sich verspätet. Oder auf Marc, dem ein Notfall dazwischengeplatzt ist. Meines Wissens hat sie deswegen aber noch nie eine Kerze angezündet.«

Jetzt guckt Herr Beck wirklich sehr nachdenklich.

»Du hast Recht. So habe ich es noch nie betrachtet. Ich schätze mal, sie warten auf den Weihnachtsmann.«

»Den Weihnachtsmann? Aber den gibt es doch momentan an jeder Ecke. Auf den muss man nicht warten, man kann ihm zurzeit eigentlich kaum entgehen. Erst heute Morgen hat mir Luisa einen kleinen Schokoweihnachtsmann zugesteckt. Sehr lecker! Und ein großer, dicker Weihnachtsmann sitzt jetzt auch vor dem riesigen Haus, in dem man von der Fleischwurst bis zur Unterhose alles besorgen kann. Vor ein paar Tagen war ich mit Carolin dort, es war unglaublich voll, und gleich am Eingang war dieser Weihnachtsmann und brüllte ho ho ho und bimmelte ununterbrochen mit einer sehr lauten Klingel. Also, für den würde ich garantiert keine Kerze anzünden. Ich wäre eher froh, wenn der nicht kommt.«

Beck seufzt.

»Herkules, mein Freund. Das war mit Sicherheit nicht der echte Weihnachtsmann.«

»War er nicht? Er sah aber so aus. Genau wie so ein Schokoladenkerl, nur in echt.«

»Nein. Der echte Weihnachtsmann kommt nur an Weihnachten und bringt die Geschenke.«

»Ach? Die Geschenke sind vom Weihnachtsmann? Bist du sicher?«

»Ganz sicher. Er kommt und verteilt sie an die Kinder. Ich habe ihn schon selbst dabei gesehen.«

»Wo denn? Nina hat doch gar keine Kinder. Weder eigene noch geliehene. Und ihr Freund Alex hat auch keine.«

Herr Beck lebt nämlich bei Nina, Carolins bester Freundin, und das praktischerweise in der Wohnung über Carolins Werkstatt. Insofern kenne ich Nina sehr gut und weiß aus eigener Anschauung, dass sie eine echte Kinderallergie hat. Die Vorstellung, dass Nina eine für Menschen so wichtige Veranstaltung wie Weihnachten womöglich freiwillig mit fremden Kindern verbringen könnte, ist geradezu ausgeschlossen. Der Kater gibt also nur an, sonnenklar.

»Doch nicht bei Nina. Ich habe ihn bei Frau Wiese gesehen.« Frau Wiese war Becks altes Frauchen. Die hatte allerdings auch keine Kinder. Ich hole tief Luft, Beck macht eine hektische Bewegung mit seiner Tatze.

»Stopp, stopp – ich weiß, was du sagen willst: Ja, Frau Wiese hatte auch keine Kinder. ABER sie hatte ja diesen nichtsnutzigen Neffen. Der wiederum bekanntermaßen drei ungezogene Kinder hat.«

Stimmt. Ich erinnere mich. Herr Beck war einmal ein paar Tage bei Wiese junior untergebracht und kehrte danach mit Geschichten heim, die denen vom alten Eschersbach über etwas, was er Krieg nannte, in nichts nachstanden. Herr Beck blickt nur bei dem Gedanken an diese Familie ausgesprochen finster drein.

»Und diese ganze grausame Sippe war auch an Weihnachten einmal zu Besuch. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie schlimm –«

»Beck«, unterbreche ich ihn, »was war denn nun mit dem Weihnachtsmann?«

»Äh, richtig. Der Weihnachtsmann. Na, der kam mit einem großen Sack voller Geschenke für diese furchtbaren Gören. Die Kinder sangen ein Lied, der Weihnachtsmann guckte sehr streng und las vor, wann die Kinder im letzten Jahr unartig waren. Das hat natürlich ziemlich lange gedauert, und als der Weihnachtsmann dann auch noch mit der Rute gewedelt hat, fing das kleinste Kind an zu weinen, und die anderen beiden versteckten sich hinter dem Sofa. Da hat sich der Weihnachtsmann beeilt, doch noch etwas Nettes zu sagen und Geschenke zu verteilen. Die Kinder haben dann gelobt, in Zukunft immer brav zu sein. Aber als der Weihnachtsmann wieder weg war, haben sie sich natürlich sofort um das Spielzeug gestritten, das er ihnen mitgebracht hatte. Die Erwachsenen tranken viel Alkohol und stritten sich schließlich auch. Irgendwann fing Frau Wiese an zu weinen, die Frau des Neffen keifte sehr laut, und der Neffe selbst schlief auf dem Sofa ein. Das ist also Weihnachten. Wenn alle vier Kerzen brennen.«

Wow! Da bin ich geradezu froh, dass bei uns der Weihnachtsmann noch nie da war. Allerdings haben wir bisher auch immer ohne Kind gefeiert. Sondern sehr kuschelig zu dritt, nur Caro, Marc und ich. Gestritten hat niemand, gesungen Gott sei Dank auch nicht. Stattdessen gab es ausgesprochen leckeres Essen, sogar für mich. Allerdings gab es auch Geschenke. Ein Punkt, der mich stutzig macht.

»Beck, bei uns gab es aber auch Geschenke für Marc und Carolin. Vom Weihnachtsmann hingegen keine Spur.«

Becks Schwanzspitze zuckt wieder hin und her.

»Hm. Wahrscheinlich schickt der Weihnachtmann die den Leuten ohne Kinder mit der Post. Damit er mehr Zeit für die Familien hat. Der gute Mann kommt ja ganz schön rum.«

Aha. Ob der Weihnachtsmann wegen Luisa diesmal also auch zu uns kommt? Ich muss dringend nachschauen, wie viele Kerzen auf diesem Kranzdings schon gebrannt haben. Vielleicht habe ich noch etwas Zeit, mich zu wappnen. Schließlich werde ich Luisa wegen Carolin trösten und womöglich diesen Weihnachtsmann im Auge behalten müssen. Dieses Weihnachtsfest, so viel ist schon jetzt klar, wird den ganzen Hund erfordern.

DREI

Hatte ich Beck wirklich erzählt, dass es in diesem großen Kaufhausdings neulich voll war? Ich hatte ganz offensichtlich keine Ahnung. Denn jetzt ist es voll. Ich hetze hinter Marc her und versuche, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist keine leichte Aufgabe, vor und neben mir sind dermaßen viele Menschenbeine unterwegs, dass ich mich eigentlich in Marcs Hose verbeißen müsste, um sicher an ihm dranzubleiben. Luisa ist schon vor einiger Zeit verschwunden, ich hoffe sehr, dass das Absicht war und sie einen guten Plan hat, wie sie zu uns zurückfinden will.

Es ist im Übrigen auch nicht so, dass die anderen Menschen nur einfach da sind und gemütlich herumstehen oder – gehen. Im Gegenteil – verglichen mit dem sonst eher schwach ausgeprägten Bewegungsdrang von Zweibeinern scheinen nun gerade hier und heute alle wild entschlossen, den diesbezüglichen Mangel ganzer Monate auszugleichen. Sie rennen wild hin und her, bleiben sehr abrupt stehen, wenn sie etwas entdeckt haben, nur um einen Augenblick später wieder loszusprinten. Noch dazu schieben sie sehr rigoros andere Menschen zur Seite, die ihnen dabei in die Quere kommen. Ich muss höllisch aufpassen, dass mir hier niemand auf die Pfoten tritt.

Warum habe ich bloß darauf bestanden, Marc und Luisa zu begleiten? Das war wirklich eine saublöde Idee – allerdings hatte mich auch niemand gewarnt. Ich dachte, die beiden gehen einfach ein bisschen in dem frisch gefallenen Schnee spazieren. Für einen kleinen Kerl wie mich ist das hier der völlig falsche Ort. Das scheint auch Marc gerade zu dämmern. Jedenfalls beugt er sich zu mir runter, um mich hinter den Öhrchen zu kraulen, und riskiert dabei, von seinen Mitmenschen überrannt zu werden.

»Na, Herkules, geht’s noch? Ganz schön viel los hier. So sind die Menschen eben: Jeder will noch auf den letzten Drücker Weihnachtsgeschenke kaufen.«

Hä? Ich denke, die bringt der Weihnachtsmann? Und wenn er schon nicht persönlich vorbeikommen kann, besorgt er sie wenigstens. Irgendetwas stimmt hier doch nicht. An dieser Weihnachtsmanngeschichte ist etwas faul, das spüre ich genau. Bloß was? Wenn Herr Beck es während seiner gesamten Karriere als Haustier noch nicht herausgefunden hat, muss es schon sehr, sehr mysteriös sein. Ich mustere Marc. Bestimmt weiß er mehr. Leider kann ich ihn nicht fragen.

»Aber ich kann dich beruhigen, Kleiner. Ich habe fast alle Geschenke zusammen. Nur eine Sache für Luisa fehlt noch, dann machen wir hier die Biege, versprochen!«

Wir sind also hier, um ein Geschenk für Luisa zu besorgen. Sehr aufschlussreich! Es kann also auch nicht sein, dass der Weihnachtsmann sich um die Geschenke für die Kinder kümmert und alle anderen selbst sehen müssen, wo sie ihren Kram herbekommen. Denn dann müsste Marc sich ja nicht in dieses entsetzliche Getümmel stürzen, sondern könnte an Weihnachten schön abwarten, was der Weihnachtsmann für sein Töchterchen mitgebracht hat. Ich bin verwirrt.

In diesem Moment tritt mir eine große, dicke Frau kräftig auf die linke Pfote. Autsch! Ich jaule auf und knurre, schnappe aber nicht zu. Bin schließlich wohlerzogen. Die Frau fährt zu uns herum.

»Was war das denn? Wer kommt denn auf die bekloppte Idee, einen Hund in dieses Gedränge … oh, hallo, Herr Dr. Wagner! Das ist aber eine Überraschung! Habe ich etwa gerade Ihren kleinen Hund getreten? Das tut mir leid, aber bei diesen Menschenmassen habe ich den Winzling wirklich übersehen.«

Winzling? Unverschämtheit! Ob es noch als Reflex durchgeht, wenn ich sie jetzt doch beiße? Bevor ich mich entscheiden kann, hat mich Marc schon hochgehoben.

»Sind noch alle Pfoten dran, Süßer?«

Er hält mich vorsichtig in seinen Armen, ich jaule so mitleiderregend, wie ich nur kann. Natürlich bin ich im engeren Sinne nicht schwer verletzt, aber erst getreten und dann auch noch geschmäht zu werden, ist eindeutig zu viel. Es gibt folglich keinen Grund, besonders tapfer zu sein. Die Frau stellt sich neben Marc und grinst blöde. Jetzt erst dreht sich Marc zu ihr um.

»Hallo, Frau Winkelmann. Sie haben Recht, es war keine gute Idee, ihn hierher zu schleifen. Gassigehen und Powershopping vertragen sich nicht besonders gut.«

»Ja, ja, Weihnachten, das Fest der Liebe – Zeit für Ruhe und Besinnlichkeit.«

Beide lachen. Warum, verstehe ich nicht. Das ist wohl wieder menschliche Ironie. Also, das Gegenteil von dem sagen, was man meint. Um deutlich zu machen, dass man das garantiert nicht meint. Und das finden Menschen dann auch noch komisch. Verrückt, oder? Ich lebe jetzt schon drei Jahre mit ihnen zusammen und kann bis heute nicht nachvollziehen, was an Ironie lustig sein soll. Eine wertvolle Information ist allerdings, dass Frau Winkelmann vom Fest der Liebe gesprochen hat. Klingt vielversprechend. Aber wie passt der Weihnachtsmann da rein? Vielleicht, weil alle behaupten, dass er die Geschenke bringt? Und Geschenke ein Zeichen von Liebe sind? Ist das etwa die heiße Spur, die ich brauche, um das Rätsel zu lösen.

Frau Winkelmann ist ein Stück an uns herangekommen und streichelt mir über den Kopf. Pah, plumpe Vertraulichkeit! Von hier oben kann ich sehen, dass sie ein sehr rundes Gesicht hat, versehen mit einem Paar ziemlich kleiner Augen. Letztere kneift sie nun zusammen und mustert mich eindringlich. Dabei erinnert sie mich an irgendein Tier. Eine Bulldogge vielleicht? Nein, kein Hund. Irgendetwas anderes auf vier Beinen. Ich komm schon noch drauf.

»Ach, das muss doch der Dackelmix sein, von dem mir Ihre Frau Mutter mal erzählt hat. Herbert, richtig?«

Marc lacht. Was bitte ist daran so lustig? Es betrifft einen der dunkelsten Flecken meines bisherigen Lebens!

»Na ja, fast richtig. Er ist tatsächlich ein Dackelmix, aber er heißt Herkules.« Frau Winkelmann prustet laut los.

»HERKULES? Das ist aber ein großer Name für ein so kleines Kerlchen!«

»Finden Sie? Immerhin stammt Herkules aus einer bedeutenden Dackelzucht. Zwar das Ergebnis eines kleinen Betriebsunfalls, aber mütterlicherseits mit einer Ahnengalerie von hier bis an die Ostsee.«

Ja, mindestens bis an die. Obwohl ich nicht weiß, wer oder was die Ostsee überhaupt ist. Auch egal, der Rest stimmt. Meine Mama, ihres Zeichens deutscher Jugendchampion und versehen mit dem Prädikat »vorzüglich 1«, hatte sich eines Tages unsterblich in den Terrier des Nachbarn verliebt. Das Ergebnis waren meine Schwester Charlotte und ich. Charlotte durfte auf Schloss Eschersbach bleiben – die Köchin hatte sich erbarmt. Ich hingegen wurde ins Tierheim abgeschoben. Eine Schmach, an die ich äußerst ungern erinnert werde. Schon gar nicht von einer Frau, die aussieht wie … wie … genau: wie ein Schwein! Diese Frau sieht aus wie ein Schwein! Natürlich riecht sie anders, aber der Rest stimmt. Die aufdringliche Art, das Vorwitzige, Neunmalkluge.

Ich sage nur ungern etwas Schlechtes über andere Tiere, im Gegenteil, ich bin ein entschiedener Verfechter von Solidarität unter Haustieren – aber bei Schweinen mache ich eine Ausnahme. Ich mag sie nicht. Nicht, dass ich in meinem täglichen Leben viel mit ihnen zu tun hätte. Schweine scheinen nicht die Sorte Tier zu sein, die in der Stadt wohnen. Aber als Welpe bin ich bei einer Erkundungstour auf dem benachbarten Bauernhof einmal mit diesen unangenehmen Zeitgenossen aneinandergerasselt. Ich kam in friedlicher Absicht und wollte mit den Ferkeln spielen – die Sau hatte dafür kein Verständnis und jagte mich quer durch den Koben. Hinterher durfte ich mir hämische Bemerkungen der ganzen Truppe anhören. Die taten gerade so, als seien Schweine die schlausten Vierbeiner der Welt. Lächerlich! Wo doch jeder weiß, dass dieser Titel uns Hunden zusteht. Gut, ich könnte mich mit Herrn Beck auf ein Unentschieden mit den Katzen einigen. Aber Schweine? Auf keinen Fall!

»Na ja, dann grüßen Sie den Weihnachtsmann von mir!«, verabschiedet sich die Schweinefrau jetzt von Marc. Mist! Ich war so in Gedanken, dass ich von der Unterhaltung der beiden nichts mehr mitbekommen habe. Offenbar sind dort weitere wertvolle Informationen über den Weihnachtsmann gefallen. Oder über die Liebe zum Fest. Bloß welche? Ich werde es nie erfahren, denn Marc sagt dazu nichts mehr, sondern nickt der Frau nur freundlich zu, bevor er sich zum Gehen wendet. Wenigstens hält er mich immer noch auf dem Arm. Von hier oben aus sieht das Menschengewimmel nicht mehr ganz so bedrohlich aus. Nur Luisa kann ich auch aus diesem Blickwinkel nirgendwo sehen. Stattdessen einige andere Kinder, Marc steuert jetzt auf eine Ecke zu, wo diese geradezu im Rudel vorkommen. Sie drängen sich vor hohen Tischen und scheinen dort etwas sehr Interessantes zu beobachten, jedenfalls schubsen sie sich fast gegenseitig im Kampf um die besten Plätze. Leider stehen sie so dicht an dicht, dass ich nicht sehen kann, was das sein könnte. Von Zeit zu Zeit blinkt es allerdings, und laute Geräusche kommen auch von den Tischen. Nicht gerade Musik, aber so ähnlich.

Los, Marc, geh mal näher ran! Ich will auch sehen, was die kleinen Zweibeiner da so spannend finden! Meiner Erfahrung nach haben Menschenkinder nämlich einen guten Geschmack. Will sagen: Die meisten Sachen, die Luisa mag, gefallen mir auch. Schokolade in jeglicher Form, Rumtoben im Garten, Zwergkaninchen. Wenn also Marc, ob nun im Auftrag des Weihnachtsmannes oder auf eigene Faust, hier nach einem Geschenk für Luisa sucht, dann wäre vielleicht auch etwas Passendes für mich dabei. Marc steht jetzt direkt hinter den Kindern und lugt über ihre Köpfe. Na prima! Schön, dass der Herr jetzt offenbar einen guten Überblick hat. Ich sehe immer noch rein gar nichts! Einen Moment scheint Marc zu überlegen, dann geht er wieder einen Schritt zurück und verlässt diese Ecke des Raumes. Menno! Diesen Ausflug hätte ich mir echt sparen können – so etwas Langweiliges und gleichzeitig Gefährliches! Hätte ich das vorher gewusst, ich wäre zu Hause geblieben. Notfalls hätte ich mich eben im Designersofa verbissen.

»So, Herkules, jetzt pass auf deine Pfoten auf. Ich muss eben mal Carolin anrufen.«

Mit diesen Worten setzt mich Marc wieder auf den Boden. Der ist ja lustig! Wie soll ich denn hier bitte schön auf meine Pfoten aufpassen? Es sind doch wohl die Zweibeiner, die völlig außer Rand und Band sind. Beleidigt kauere ich mich zwischen Marcs Füße, der mir prompt einen kleinen Schubs gibt. Von wegen Fest der Liebe!

»Hallo, Carolin! Du, ich steh jetzt bei Karstadt. Die haben hier aber lauter verschiedene Spielekonsolen – welche soll ich denn mitnehmen?« Marc klingt gestresst. Offensichtlich macht ihm der Einkauf auch nicht so viel Spaß. Geschieht ihm Recht!

»Hm. Okay. Also gar keine Konsole, sondern nur diese Dinger zum Spielen. Kann man an den Fernseher anschließen. Gut. Wie heißen die? Wie? Nee, ich wollte wissen, wie die heißen. Hä?«

Manno, jetzt klärt das gefälligst schnell, damit ich hier rauskomme! Wie, wie? Warum habt ihr das denn nicht besprochen, bevor wir losgezogen sind? Man geht schließlich auch nicht auf die Jagd und überlegt sich erst vor Ort, was man eigentlich erlegen will. Dann hat man doch unter Umständen gar nicht die richtigen Sachen dabei. Beispielsweise, man entscheidet sich spontan für die Entenjagd, hat aber nur einen Dackel und keinen Wachtelhund dabei. Dann kann man es eigentlich schon vergessen. Denn um so eine wild um sich schlagende, schnell schwimmende Ente zu packen, bin ich mit meinen kurzen Beinen im Wasser viel zu langsam. Da saufe ich eher ab, als mit einer Ente wieder an Land zu kommen. Andererseits bringt einen der Wachtelhund bei der Kaninchenjagd nun so gar nicht weiter. Also: Gute Vorbereitung ist alles! Ich kenne das zwar nur aus Erzählungen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der alte von Eschersbach jemals so schlecht organisiert zur Jagd gegangen ist, wie es gerade bei Marc der Fall ist. Der hat offenbar immer noch nicht verstanden, was er besorgen soll.

»Wie? Nein, ich verstehe dich inhaltlich nicht. Mein Empfang ist ausgezeichnet. Ach, mit zwei I? Ach, das Ding heißt so? Wii? Was meinst du denn mit der letzte Mensch? Nur, weil ich diesen ganzen Elektronik-Scheiß …. Grundsatzdiskussion? Hör mal, ich stehe hier in einem knallvollen Kaufhaus. Selbst Herkules ist hier schon unter die Räder gekommen … Nein, nein, ist ja gut. So habe ich das doch gar nicht gemeint. Ich weiß, dass dir schnell schlecht wird. Okay. Ja, ja. Reg dich nicht auf. Mach ich. Tschüss.«

Er steckt sein Telefon in die Jackentasche und schüttelt den Kopf. Dann beugt er sich zu mir herunter.

»Echt, Herkules. Weiber. Vor allem, wenn sie in anderen Umständen sind. Aber da musste Rücksicht nehmen, ob es dir nun passt oder nicht.«