Weltenbummler auf Samtpfoten - Christiane Lind - E-Book
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Weltenbummler auf Samtpfoten E-Book

Christiane Lind

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Beschreibung

Manchmal muss eine Katze das Schicksal in die eigenen Pfoten nehmen: Als Kater Lucky, mit Haut und Fell Berliner, im Tierheim in Niedersachsen landet, steht für ihn fest: Ein echter Straßenkater eignet sich nicht als Stubentiger. Daher begibt sich Lucky mutig auf die Reise in die ferne Hauptstadt. Auch Hope treibt das Heimweh nach Hause. Auf dem Weg quer durch Australien begegnet das schüchterne Kätzchen nachdenklichen Dromedare, listigen Dingos und einem skeptischen Wombatpärchen. Hope muss mehr als einmal beweisen, dass auch sie Krallen hat. In Venedig trifft der verwöhnte Rassekater Prince Charming auf freilebende Katzen und entdeckt, dass das Leben mehr zu bieten hat als gedünsteten Lachs. Acht abenteuerliche, heitere und berührende Geschichten über Weltenbummler auf Samtpfoten.

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Inhalt

Das Buch

Die Autorin

Hopes long way home

Ick bin een Berliner

Ein Zuhause für Struppi

Trims Märchen

Linus Langnase, Ausbrecherkönig

Das Abenteuer seines Lebens

Ich und die Landeier

Coming home

Hintergründe und Informationen zu den einzelnen Geschichten

Danksagung

Das Buch

Manchmal muss eine Katze das Schicksal in die eigenen Pfoten nehmen: Als Kater Lucky, mit Haut und Fell Berliner, im Tierheim in Niedersachsen landet, steht für ihn fest: Ein echter Straßenkater eignet sich nicht als Stubentiger. Daher begibt sich Lucky mutig auf die Reise in die ferne Hauptstadt. Auch Hope treibt das Heimweh nach Hause. Auf dem Weg quer durch Australien begegnet das schüchterne Kätzchen nachdenklichen Dromedaren, listigen Dingos und einem skeptischen Wombatpärchen. Hope muss mehr als einmal beweisen, dass auch sie Krallen hat. In Venedig trifft der verwöhnte Rassekater Prince Charming auf freilebende Katzen und entdeckt, dass das Leben mehr zu bieten hat als gedünsteten Lachs.

Acht abenteuerliche, heitere und berührende Geschichten über Weltenbummler auf Samtpfoten.

Die Autorin

Katzen und Kater haben Christiane Lind seit ihrer Kindheit begleitet und ihr den Platz im Bett streitig gemacht. Heute lebt sie mit drei verwöhnten Stubentigern, einem Ehemann und unzähligen Büchern in Kassel. Die Samtpfoten erwarten von Christiane, dass mindestens eine Katze in ihren Geschichten vorkommt, was inzwischen ihr Markenzeichen ist.

Copyright © 2020, AIKA Consulting GmbH, alle Rechte vorbehalten

Berliner Straße 52, 34292 Ahnatal

www.christianelind.de

Überarbeitete Zweitveröffentlichung Mai 2020

Erstveröffentlichung unter dem Titel »Endlich Schnurrlaub«

© Rowohlt Verlag 2013

Umschlaggestaltung: Grit Bomhauer, www.grit-bomhauer.com

Umschlagmotiv: © Adobe Stock – belyaaa

Satz: Wolkenart – Marie-Katharina Wölk, www.wolkenart.com

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung der Autorin.

Für die Links zu Webseiten Dritter übernehme ich keine Haftung, da ich diese mir nicht zu eigen mache, sondern lediglich auf sie verweisen, mit Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung.

Personen und Handlung sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die im Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.

Hopes long way home

Das Leben und dazu eine Katze, das gibt eine unglaubliche Summe. (Rainer Maria Rilke)

Hope war sich immer sicher gewesen, dass ihr ihre Menschen mehr bedeuteten als die Farm, auf der sie lebten. Aber wirklich sicher kann man wohl erst sein, wenn man es ausprobiert.

»Ich geh nicht mit«, hatte ihr Bruder Homer zu Hope gesagt, an dem Tag, als ihre Menschen das erste Mal von den Umzugsplänen gesprochen hatten. »Ich gehöre hierhin, und hier bleibe ich.«

Hope überlegte einen Moment. Wie so oft beneidete sie Homer um die Bestimmtheit, mit der er seine Meinung vertrat. »Das kannst du doch nicht machen«, maunzte sie schließlich. Aber sie war überzeugt, dass Homer seinen Plan - wie immer der auch aussehen mochte - in die Tat umsetzen würde. Ihr Bruder war der Mutigere. »Unsere Menschen sind gut zu uns. Sie haben uns ein Zuhause gegeben.«

»Zuhause. Schmause. Brause«, wehrte Homer ab. Demonstrativ kratzte er sich mit der Pfote hinterm Ohr, als interessierten Hopes Worte ihn nicht einmal einen Mäuseschwanz. »Deshalb will ich hier nicht weg.«

»Aber …« Er brachte Hope ganz durcheinander. »Aber … wir gehören doch ihnen.«

»Du bist sowas von verweichlicht.« Blitzschnell holte Homer aus und zog ihr die Krallen über die empfindliche Nase. Mit einem Schmerzensschrei sprang sie zur Seite. »Wir sind Raubtiere, du und ich. Na ja, ich auf jeden Fall. Du bist wohl nur ein Schoßkätzchen.«

»Das stimmt nicht«, protestierte Hope energisch. »Ich habe gestern mehr Mäuse gefangen als du.«

»Das können Kläffer auch«, lautete Homers verächtliche Antwort. Hätte er mehr Mäuse gefangen als sie, hätte er bestimmt etwas anderes gesagt. »Alles dreht sich um die Unabhängigkeit. Unsereins braucht keine Menschen – ich jedenfalls nicht.« Damit wandte er sich ab und ließ Hope einfach stehen.

Sie hasste es, wenn er sie so behandelte, nur weil er ein paar Minuten vor ihr geboren worden war. »Ich schon«, rief Hope ihrem Bruder hinterher. »Ich mag es, gekrault zu werden!«

Zur Antwort zuckte Homer einmal mit dem Schwanz, aber er ließ sich nicht dazu herab, sich zu ihr umzudrehen.

»Außerdem liebe ich Thunfisch«, setzte Hope noch eins drauf, was mit einem erneuten Schwanzzucken quittiert wurde. Deutlich leiser fügte sie hinzu: »Und du auch, Mr. Ach-so-unabhängig.«

Die nächsten Tage ging Homer seiner Schwester aus dem Weg, während Hope einen Bogen um ihre Menschen schlug, die ihr Leben in Kisten verpackten. Auf der Veranda dösend bewegte sie die Frage in ihrem Kopf, ob sie gehen oder bleiben sollte. Immer wieder drehte sie den Gedanken von einer Seite zur anderen wie eine frisch gefangene Maus.

»Hoo-roo«, erklang Homers Stimme von irgendwo tief unter der Veranda. »Noch kannst du es dir überlegen, Schwesterchen. Bleib bei mir.«

»Du kannst es dir ja auch überlegen«, giftete Hope ihn an. »Schließlich hat Ma gesagt, dass du auf mich aufpassen sollst.«

»Aber Ma meinte bestimmt nicht, dass ich den Rest meines Lebens deine Dummheiten nachmachen muss.«

Das saß! Hope zuckte nervös mit den Ohren, während sie nach einer passenden Antwort auf Homers Gemeinheit suchte. »Du hast ja nur Angst vorm Fliegen«, griff Hope schließlich nach dem letzten Strohhalm. Wenn sie Homer bei seinem Ego packte, sprang er sicher sofort darauf an und stieg gemeinsam mit ihr in die Transportkiste. »Ich fürchte mich nicht.«

Obwohl sie alles versucht hatte, war Homer nicht mitgekommen. Ganz allein war Hope mit ihren Menschen hierher gereist, in die Stadt, die die Menschen Darwin nannten. Drei Wochen lebte Hope nun hier. Drei Wochen, in denen sie von Tag zu Tag unglücklicher wurde. Erst erklärte sie sich ihre Traurigkeit damit, dass ihre Menschen sie ins Haus eingesperrt hatten, doch seit vorgestern durfte sie hinaus in den Garten, und ihre Stimmung war düster geblieben.

»Hallo, Kleines.«

Hope fuhr zusammen. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie den Kater gar nicht bemerkt hatte, der sich an sie herangeschlichen hatte. Obwohl man ihn kaum übersehen konnte. Er war ein gewaltiger braungetigerter Kater, dessen Bauch beim Gehen von einer Seite zur anderen schlackerte. »Guten Tag«, antwortete Hope höflich, während sie sicherheitshalber die Muskeln anspannte, um im Notfall zur Seite springen zu können.

»Keine Sorge, Kleines. Ich bin ein friedlicher Kerl. Peace und Katzenminze. Verstehste?«

»Hmhm«, machte Hope, obwohl sie weder von Piez noch von Katzenminze je gehört hatte. Trotzdem entspannte sie sich. Der dicke Kater schien nicht auf Krawall aus zu sein. »Leben Sie hier?«

»Nebenan.« Der Dicke setzte sich, atmete schnaufend aus und deutete mit der Pfote auf ein großes Haus weiter weg. »Aber ich gehe selten raus. Zu warm für mein Fell. Du bist neu hier«, stellte er dann fest.

»Meine Menschen haben mich hierher gebracht.« Hope spürte Bitterkeit in sich aufsteigen.

»Aha.« Der Kater schaute sie fragend an. »Scheinst hier nicht glücklich zu sein.«

»Nein!« Jetzt, wo sie es zum ersten Mal aussprach, wurde Hope wirklich bewusst, wie unglücklich sie war. »Vorher habe ich auf einer Farm gelebt. Ich vermisse die Weite, die rotbraune Erde, den Geruch von Gras. Den Duft der Wälder und der Weizenfelder, die sich im Wind bewegen. Die Jahreszeiten und die Trockenheit. Und meine Freunde … Sogar meinen Bruder, auch wenn er mich oft geärgert hat.«

»Du kannst neue Freunde finden«, maunzte der Kater. Tröstend leckte er ihr über den Kopf. »Ich heiße übrigens Rotfell, aber die Menschen nennen mich Garfield.«

»Graupelz. Oder Hope.«

»Freut mich. Nach Umzügen braucht man ein bisschen Zeit, um sich einzugewöhnen.«

»Woher willst du das wissen, du Schlauberger?« Warum giftete sie ihn an, obwohl er es bestimmt nur gut meinte?

»Ich bin öfter umgezogen, als ich Pfoten habe«, erklärte Garfield, der ihr den Wutausbruch nicht krumm zu nehmen schien. »Mein Mensch macht Karriere, das führt ihn in immer neue Städte.«

»Ich hasse die Stadt«, stieß Hope hervor. »Hier stinkt es, und es ist heiß und so feucht, dass mein Fell sich ganz klamm anfühlt.

»Jetzt ist Regenzeit. Nach Weihnachten wird es angenehmer.«

»Aber es wird niemals gut. Wo ich herkomme, war der Wind so trocken, dass er auf dem Fell brannte.«

Garfield leckte ihr noch einmal über den Kopf, bevor er sich niederließ und ausgiebig gähnte. »Wart's nur ab, Kleines. Bald entdeckst du die angenehmen Seiten von Darwin.«

»Aber Darwin ist nicht mein Zuhause.« Hope ließ den Kopf hängen. Sie würde sich hier niemals heimisch fühlen. »Ich will wieder zurück.«

»Ach, Kleines«, sagte der Kater freundlich. »Wie stellst du dir das vor? Zwischen deiner alten Heimat und hier liegen 3 000 Kilometer wildes Land. Berge. Wüsten. Gefährliche Tiere, die kleine Katzen zum Frühstück fressen.«

»Woher weißt du das?«

»Guckst du etwa kein Fernsehen?« Der Kater legte fragend den Kopf schief. »Ich schaue mir am liebsten Dokumentationen an, da lernt man eine ganze Menge.«

»Ich seh lieber Serien«, muffelte Hope. Sie mochte es nicht, sich unwissend und dumm zu fühlen. »Außerdem bin ich gern draußen. Bewegung an der frischen Luft hält nämlich schlank.«

Erschrocken hielt sie die Luft an. Wie konnte sie nur so dumm sein? Der einzige Kater, der ihr bisher freundlich begegnet war, und sie spottete über seine Figur.

»Dünnsein wird überschätzt«, antwortete Rotfell gutmütig. »Kleines, ich bin nicht schuld an deinem Unglück.«

»Ich weiß. Tut mir leid.« Hope fühlte sich von Minute zu Minute elender. »Aber ich wünsche mir nichts so sehr, wie nach Hause zu kommen. Selbst wenn der Weg gefährlich ist.«

»Wenn du wirklich zurück willst, finde ich für dich heraus, in welche Richtung du laufen musst.«

»Das würdest du für mich tun?« Hope fühlte das erste Mal seit langem, wie ihr Herz vor Freude schneller schlug. »Danke schön.«

»In drei Tagen bin ich wieder hier.«

Wie versprochen saß Garfield drei Tage später erneut im Vorgarten. Suchend schaute er sich um. Hope rannte zu ihm nach draußen.

»Du hast eine lange Strecke vor dir, Kleines«, fing er warnend an. »Ich hab’s aus dem Fernsehen.«

»Das macht nichts«, sagte Hope mutig. Homer wäre stolz auf sie. »Es ist der Weg nach Hause.«

»Dann sperr mal die Ohren auf.« Garfield setzte sich aufrecht hin. Dabei schaute er so ernst, dass Hope doch ein bisschen mulmig wurde. »Am wichtigsten ist, dass du genug trinkst ...«

Ausgerüstet mit Garfields guten Ratschlägen und ihrem unbezwingbaren Wunsch, wieder nach Hause zu kommen, machte sich Hope am nächsten Tag auf die Reise.

»Bei der Strecke ist es egal, ob du heute oder morgen oder in einem Monat startest«, hatte Garfield gesagt. »Denk nur daran, deine Kraft einzuteilen und genug zu trinken.«

Der Abschied von ihrem Nachbarn war Hope schwerer gefallen, als sie erwartet hatte.

»Wenn es deinen Menschen nach Ungarra verschlägt, komm vorbei.«

Dann hatte sie Garfield einen Nasenkuss gegeben, bevor sie ihre Reise begann.

Wie der Kater es ihr geraten hatte, mied sie die Straßen und Bürgersteige und schlich über versteckte Pfade, die nur Katzen und Kater kannten. So lange, bis sie die Grenzen der Stadt erreichte und den Geruch nach Menschen, Autos und Stein hinter sich ließ. Hope hielt einen Moment inne, um zurückzuschauen. Sie würde ihre Leute vermissen. Aber schließlich hatten die sie nach Darwin verschleppt, ohne nach ihrer Meinung zu fragen.

Von jetzt an wollte sie nach vorne sehen, sich auf ihren Bruder freuen, auf den Geruch der Felder, auf die sanften Laute der Kühe, auf die warme Erde unter den Pfoten. Mit leichtem Herzen begann Hope ihren langen Weg nach Hause.

Die ersten Tage ihrer Reise vergingen wie im Flug. Hope traf Katzen und Hunde, die sie neugierig nach ihren Plänen fragten, um sie ein Stück ihres Weges zu begleiten. Bald jedoch ließ Hope die Städte und Dörfer hinter sich, sodass sie keine Reisegefährten mehr fand. Zuerst lenkte sie sich durch die Jagd ab: Mäuse, Eidechsen, Frösche und Insekten – hungrig fraß sie, was sie fangen konnte.

Aber schnell fühlte sie sich einsam und sehnte sich nach jemandem, mit dem sie sich wenigstens kurz unterhalten konnte. Nach jemandem, den sie nicht hinterher fressen würde. Denn mit seinem Essen spricht man nicht, das hatte ihre Mutter Hope und ihren Geschwistern beigebracht.

»Wenn du erst einmal mit jemandem geredet hast, kannst du ihn nicht mehr guten Gewissens töten und fressen.«

Diesen Rat hatte Hope stets befolgt. Aber nun, am dreißigsten Tag ihrer Reise, zehn Tage ohne Plauderei, war sie versucht, sich mit Mäusen zu unterhalten. Die jedoch rannten panisch davon, sobald Hope sich ihnen näherte.

»Vielleicht sollte ich umkehren«, sagte Hope zu sich selbst, um überhaupt eine Stimme zu hören. »Garfield wartet bestimmt auf mich. Meine Menschen werden sich freuen, und ich bin nicht mehr allein.«

In dem Moment entdeckte sie das Pferd: Mit langen, eleganten Sprüngen galoppierte es auf sie zu. Ein Brumby in der Farbe der Abendsonne, so schön, dass der Anblick schmerzte. Hope schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete und das Tier immer noch auf sie zukam, war sie sicher, dass sie nicht halluzinierte.

Kurz vor ihr hielt das Pferd an. Nun erkannte Hope, dass sein goldfarbenes Fell staubig war, als wäre es schon lange unterwegs. In seinen braunen Augen glomm eine Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung.

»Hast du einen grauen Hengst gesehen, der ein wunderschönes, silberfarbenes Stutfohlen mit sich führt?«, fragte das Pferd. »Gibt es hier irgendwo einen billabong?«

»Ein Wasserloch findest du, wenn du etwa drei Kilometer in die Richtung läufst«, antwortete Hope und deutete mit der Pfote hinter sich, obwohl sie es äußerst unhöflich fand, dass das Pferd ihr nicht einmal seinen Namen genannt hatte. Brumbys! »Und nein, leider habe ich niemanden gesehen. Seit Tagen nicht. Ich bin schon einen Monat unterwegs, und ...«

»Tut mir leid, kleine Katze«, antwortete der Brumby, das nervös mit dem Huf scharrte. »Ich hab keine Zeit, deine Geschichte anzuhören. Gute Reise!«

Nach diesen Worten fiel das Pferd in einen eiligen Trab, sodass Hope ihm nur erstaunt nachsehen konnte. Sie war so verdutzt, dass sie zu fragen vergaß, ob es noch andere Pferde oder Katzen oder sogar Hunde in der Gegend gab, mit denen sie weiterlaufen konnte. Dass ihr Abenteuer so … langweilig sein würde, hätte Hope nicht erwartet. Auch Garfield hatte ihr mehr von den Gefahren einer Reise erzählt. Vor Schlangen, Spinnen und Kröten, deren Gift sie fürchten müsse, hatte der dicke Kater sie gewarnt. Vor Hunger und Durst. Einsamkeit und Langeweile waren in seinem langen Vortrag nicht vorgekommen.

»Länger als ein Jahr wirst du unterwegs sein, Kleines«, hatte Garfield gesagt. »Bist du sicher, dass du das wagen willst?«

»Lieber ein Risiko eingehen, als hier vor Heimweh krank zu werden«, hatte Hope geantwortet. »Mein Bruder fällt vor Neid um, wenn ich ihm von meinem Abenteuer berichte«, hatte sie sich gefreut. Inzwischen war sie nicht mehr ganz so zuversichtlich, aber noch gab es Hoffnung, dass sie freundlichere Tiere als diesen seltsamen Brumby traf.

Drei Tage später entdeckte sie vor dem flirrenden Horizont eine Tierherde, die in ihre Richtung lief. Überaus große Tiere, größer noch als der Brumby, jedes mit einem Buckel auf dem Rücken. Hope konnte sich nicht daran erinnern, dass Garfield von derartigen Wüstenbewohnern gesprochen hätte. Es macht eben doch einen Unterschied, sagte sie sich, ob man sein Wissen aus dem Fernsehen erwirbt, oder ob man es sich mit eigenen Pfoten erläuft.

Sicherheitshalber duckte sie sich hinter einen Stein, bis die Herde so weit herangekommen war, dass Hope sie mustern konnte. Äußerst seltsam sahen die Tiere aus. Die kleinen Köpfe balancierten sie auf einem schlanken, langen Hals. Die gedrungenen, buckligen Körper saßen auf vier staksigen Beinen mit extrem breiten Pfoten.

Hope duckte sich noch tiefer hinter den Felsen.

Da schlenderte eins der Viecher so nah an sie heran, dass Hope ihm ins Gesicht starren konnte. Es erinnerte sie an ein Pferd, allerdings eins mit gespaltener Oberlippe und schlechten Zähnen. Ein Pferd, das nicht auf sein Äußeres achtet, dachte Hope und stieß ein verächtliches Schnauben aus. Das Tier war weder hübsch, noch schien es besonders klug zu sein, wie es dastand und seinen Unterkiefer von rechts nach links und wieder zurück bewegte.

»Worüber lachst du, kleines Raubtier?«, fragte das Tier mit tiefer Stimme, worauf Hope erschrocken hochhüpfte.

»Wieso hast du mich gesehen?«, fragte sie, als ihr Herz nicht mehr ganz so schnell schlug und sie ihre Stimme wieder unter Kontrolle hatte. »Ich hatte mich versteckt.«

»Weil ich groß bin und einen guten Überblick habe«, erklärte das Tier, das Hope neugierig betrachtete. »Was machst du hier, kleiner Räuber?«

»Mein Name ist Hope. Ich bin auf dem Weg nach Ungarra.«

»Da hast du einen weiten Weg vor dir.« Täuschte sich Hope, oder grinste das Viech sie an? »Ich heiße Jamal, und ich bin ein Dromedar.«

»Aha«, antwortete Hope, als wäre ein Dromedar - nein, als wären viele Dromedare in der Wüste ganz selbstverständlich für sie. »Und das da ist deine Familie?«

»Ich bin der Leithengst.« Das Dromedar wendete seinen Kopf in Richtung Herde. »Alles meine Ladies. Und meine Kinder. Die meisten von ihnen sind ziemlich anstrengend.«

»Ist es noch weit bis Ungarra?«, fragte Hope.

»Sei vorsichtig, Kleines«, riet ihr das Dromedar, während es bedächtig vor sich hin kaute. Hope wunderte sich, wie deutlich das Tier trotz seines vollen Mauls sprechen konnte. »Erst gestern habe ich ein Dingo-Rudel gesehen. Die Heuler und du, ihr mögt euch nicht, oder?«

»Ich … ich weiß nicht«, gestand Hope ein. Je länger sie unterwegs war, desto mehr musste sie zugeben, wie wenig sie von der Welt wusste. »Ich habe noch keinen Dingo getroffen – glaube ich jedenfalls.«

»Hast auch nichts verpasst.« Das Dromedar spuckte einen Schleimklumpen auf den Boden, der sofort im Sand versickerte. »Die treten immer im Rudel auf. Schauen einen an, als würden sie ausrechnen, wie lange die Familie von einem essen kann. Sollte man meiden. Vor allem, wenn man so klein ist wie du.«

»Danke für die Warnung. Aber was macht eine Dromedarherde hier in der Wüste?«, fragte Hope. »Seid ihr eingeborene Tiere?«

»Weder du noch ich gehören hierher, wenn man es genau nimmt, Kleines.« Das Dromedar schaute sie ernst an. Dann beugte es seinen langen Hals zu Hope herab, sodass sie seine große braune Augen bewundern konnte, die von dichten, dunklen Wimpern umrahmt waren. »Wir kamen vor mehr als einhundertfünfzig Jahren in dieses Land.«

»So alt bist du?« Nun betrachtete sie Jamal voller Ehrfurcht. Was mochte er in so einem langen Leben wohl alles gesehen haben?

»Nein, nein«, meinte das Dromedar. »Die Menschen haben meine Vorfahren hierher gebracht, damit sie die Lasten bei ihren Expeditionen ins Outback trugen.«

Eine Stute trat an Jamal heran, der kurz mit ihr flüsterte, bevor er sich wieder Hope zuwandte. Stolz sprach aus Stimme und Worten des Dromedars. »Wir sind Wüstentiere, die sich an alles anpassen können.«

»Aber jetzt seid ihr doch frei, oder?« Suchend schaute Hope sich um. »Gibt es einen Besitzer, dem ihr gehört?«

»Nein, vor rund einhundert Jahren brauchten die Menschen uns nicht mehr. Die Eisenbahn kann viel, viel mehr tragen als selbst die Stärksten von uns«, sagte Jamal gelassen. »Da haben die Menschen meine Vorfahren sich selbst überlassen.«

»Und heute?« Hopes Neugier war geweckt.

»Heute jagen sie uns. So wie sie die Brumbys, die Füchse, die Dingos und die Kaninchen verfolgen.« Jetzt klang das Dromedar zornig, weswegen Hope lieber ein paar Schritte zurück trat. Wenn Jamal mit seinem großen Fuß nach ihr trat, hatte sie wenig Überlebenschancen. »Wir gefährden ihre Farmen, sagen sie. Ja, angeblich zerstören wir selbst die Heiligtümer der Ureinwohner.«

Hope sah das Dromedar fragend an.

»Na ja«, räumte es ein. »Sie machen uns Kaltukatjara zum Vorwurf.«

»Kaltu-was?« Das war ja schlimmer als ein Gespräch mit ihrem Bruder oder mit Garfield.

»Hast du davon etwa nicht gehört?« Peinlich berührt blickte das Dromedar über Hope hinweg. »Als das Wasser knapp war, haben viele von uns in diesem Ort Hilfe gesucht. Die Menschen hielten das für eine Belagerung.«

»Ach so«, antwortete Hope.

»Jetzt kommen sie mit Hubschraubern und schießen auf uns.« Mittlerweile war Jamal in Rage; das Dromedar kaute schneller und schneller und spuckte ihr die Worte förmlich entgegen. »Die Toten lassen sie liegen. Sie ermorden uns nicht wegen unseres Fleisches, sondern weil wir zu viele sind.«

»Aber … ihr habt ihnen doch geholfen, das Land zu erkunden!«

»Dankbarkeit darf man von Menschen nicht erwarten.« Jamal schüttelte sich. »Auch deine Art jagen und töten sie.«

Auf einmal wirkte der Dromedarhengst deutlich älter und weiser, als Hope ihn eingeschätzt hatte. Die Katze schämte sich, dass sie ihn für dumm gehalten hatte. Nur, weil er bedächtig vor sich hin gekaut hatte, als könnte keine Sorge seinen Frieden trüben.

»Deine Vorfahren sind allerdings viel früher als meine hierhergekommen. An Bord der ersten Schiffe, so wie Trim, der Kater, der Australien umrundet hat.«

»Woher weißt du das?« Das Dromedar war viel klüger als Garfield. Ob es hier irgendwo Fernsehgeräte gab?

»Erzählt ihr euch denn keine Geschichten, wenn ihr zusammen am Feuer liegt?«, fragte Jamal erstaunt. »Oder wenn ihr wiederkäut?«

»Wir … also … Katzen käuen nicht wieder.« Endlich etwas, was das Dromedar nicht wusste. »Außerdem sind wir eher Einzelgänger.«

»Und deshalb vergesst ihr eure Geschichte.« Das Dromedar schluckte. »Die Historie ist aber wichtig, damit man versteht, woher man kommt.«

»Ich kenne viele Geschichten aus dem Fernsehen.«

»Was ist Fern-sehn?«, fragte das Dromedar interessiert.

»Ach, ein Ort, an dem alle möglichen Storys erzählt werden. Liebesgeschichten, Tierfilme. Mord und Totschlag.«

Jamal musterte Hope sehr lange; hin und wieder wippte er mit dem Kopf auf und ab, bis Hope begann, sich unbehaglich zu fühlen. »Wir ziehen in deine Richtung, Kleines«, sagte er schließlich. »Wir wollen dem Uluru unsere Aufwartung machen.«

»Wem?«

»Dem heiligen Felsen der Traumzeit, mitten in der Wüste.«

»Was macht ihr da?« Nie im Leben wäre Hope auf die Idee gekommen, dass man einem Felsen huldigen könnte. »Warum wollt ihr einem Stein heiligen?«

»Nein, Kleines, das hast du missverstanden.« Jamal bleckte seine schiefen Zähne zu einem breiten Grinsen. »Wir beten ihn nicht an, wir wollen uns Touristen angucken und deren Geschichten hören. Wenn du magst, schließ dich uns an.«

»Danke«, antwortete Hope gerührt. »Aber ihr macht zu große Schritte für mich.«

Das Dromedar prustete laut aus, was für Hope verdächtig nach einem Lachen klang. »Nun, kleine Katze, das Problem lässt sich lösen. Wenn du uns jeden Abend eine Geschichte aus Fern-sehn erzählst, bist du herzlich willkommen.« Jamal ging vor ihr in die Knie. »Hopp, an Bord.«

Das ließ Hope sich nicht zweimal sagen. Mit einem gewaltigen Satz sprang sie auf den Rücken des Tieres und suchte sich zwischen Höcker und Hals einen Platz, der ihr bequem erschien. Beinahe wäre sie heruntergefallen, als das Dromedar sich erhob. Wer sollte denn ahnen, dass es zuerst seinen Hintern in die Höhe bugsierte?

Nach kurzer Zeit hatte Hope sich an Jamals schaukelnden Gang gewöhnt. Die anderen Mitglieder der Herde musterten sie misstrauisch, bis der Anführer ihnen erzählte, dass Hope eine erfahrene Reisende sei, die außerdem viele Geschichten aus Fern-sehn kenne. Also konnte Hope sich beruhigt vom Passgang des Dromedars einlullen lassen und Kilometer um Kilometer hinter sich bringen, ohne ihre Pfoten zu belasten.

An den Zwischenhalten, meist an Wasserlöchern, suchte Hope sich Beute, wobei sie darauf achtete, dass die Dromedare davon nichts mitbekamen. Pflanzenfresser standen dem Jagdverhalten von Fleischfressern nicht wohlgesinnt gegenüber – das hatte sie von Garfield gelernt.

Am ersten Abend, als die Dromedare sich für ihre Geschichtenstunde nebeneinander legten, spürte Hope jeden Muskel und hätte im Stehen einschlafen können. Aber sie hielt ihr Versprechen und erzählte der gebannt lauschenden Herde eine Folge aus der Fernsehserie, die ihr Frauchen jeden Nachmittag sah.

»Aber wenn die Menschenstute den Menschenhengst will, warum paaren sie sich nicht einfach?«, fragte ein halbwüchsiges Dromedarfohlen, als Hope am Ende angekommen war. »Warum müssen sie so viel reden?«

Darauf wusste Hope auch keine Antwort.

»Und warum will die andere Menschenstute der einen Menschenstute den Hengst wegnehmen? Warum bilden sie keinen Harem?« Eine Dromedarstute schaute Hope mit großen Augen an.

»Ähem. Also, ich glaube, nicht alle Menschen stehen auf Harems.« Hätte sie bloß etwas anderes erzählt.

»Seltsame Geschichten. Unsere sind ganz anders«, rettete Jamal sie vor weiteren Fragen. »Wer erzählt als Nächstes?«

Stolz meldete sich ein Fohlen, das eine verwickelte Story über die ersten Dromedare in Australien begann. Eine Weile lauschte Hope dem Bericht von Expeditionen ins Landesinnere und vom Bau des »Rabbit-Proof Fence«, der Kaninchen, Dingos, Kängurus und Emus von den Farmen fernhalten sollte. Sie hörte von Dromedarführern, die aus den unterschiedlichsten Ländern gekommen waren, um auf dem neuen Kontinent ihr Glück zu suchen. Sogar im Ersten Weltkrieg, wie die Menschen ihn nannten, hatten australische Dromedare gekämpft. Bald schwirrten Hope die Ohren, und Müdigkeit übermannte sie.

Doch in den nächsten Nächten lauschte sie voller Interesse den Geschichten, mit denen sich die Dromedarherde ihre Zeit vertrieb und die Erinnerung an ihre Vergangenheit aufrechterhielt. Die Erzählungen waren eine große Abwechslung in den gleichförmig verlaufenden Tagen.

Am Tage legte die Herde schweigend gewaltige Strecken in der Wüste zurück. Nur selten hielten sie an, um zu trinken oder zu essen. An den Abenden jedoch verwandelten sich die schweigenden, ernsthaften Tiere in fröhliche Zeitgenossen, die miteinander scherzten und sich gegenseitig mit unglaublichen Begebenheiten zu übertrumpfen versuchten.

Nach einigen Fehlschlägen fand Hope heraus, dass die Dromedare Science Fiction am liebsten mochten, sodass sie alle Folgen von Star Trek nacherzählte, an die sie sich erinnerte. Für die Dromedare war es jedes Mal eine große Aufregung, zum Himmel zu schauen und sich dabei vorzustellen, dass dort ein Raumschiff zwischen den Sternen reiste und fremde Welten entdeckte.

Viel zu bald trennten sich ihre Wege. »Wir danken dir für deine Fern-Sehn-Geschichten, kleine Jägerin.« Jamal ging in die Knie, damit Hope von seinem Rücken springen konnte. »Deine Reise führt dort unten lang«, erklärte er ihr mit einem Kopfnicken in Richtung Süden.

»Danke.« Hope drehte sich um.

»Ach ja, noch etwas«, rief ihr das Dromedar hinterher. »Such dir heute Nacht einen hohen Baum. Ich spür das Wasser kommen. Und meide die Dingos.«

»Nochmals danke.« Hope schaute den Dromedaren nach, wie sie gemessenen Schrittes ihrer Wege zogen. »Alles Gute für euch.« Homer würde ihr nie glauben, dass sie auf einem Dromedar geritten war.

Binnen kurzem begriff Hope, was Jamal mit seiner Warnung vor dem Wasser gemeint hatte. Es regnete, als wäre der Himmel aufgerissen. Dicke, schwere Tropfen klatschten auf ihr Fell und durchdrangen es sofort. Tag um Tag regnete es, Woche um Woche, ohne ein Ende in Sicht. In den wenigen trockenen Stunden lief Hope, so schnell ihre Pfoten sie trugen, nur um bald einen Platz zu suchen, wo sie die Regenphasen abwarten konnte.

---ENDE DER LESEPROBE---