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Auch bei den Samtpfoten weihnachtet es sehr: Ob etwa die Tierheimkater Max Kleinpfote und Moritz Fleck so kurz vor Heiligabend noch ein neues Zuhause finden werden? Dem Witwer Gottfried läuft beim Tannenbaumkauf ein Kätzchen zu, und plötzlich bekommt das Weihnachtsfest für ihn einen neuen Sinn. Und nicht zuletzt lernt Petra wegen ihres gefräßigen Katers beim Tierarzt einen nicht minder verfressenen Dackel kennen – und dessen sympathisches Herrchen. In sieben Geschichten erzählt Christiane Lind, wie Katzen und Kater ihren Beitrag zu einem gelungenen Weihnachtsfest leisten. Katzengeschichten zur Weihnachtszeit - besinnlich, berührend, bezaubernd.
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Das Buch
Die Autorin
Weihnachtspunsch und Weihnachtskater
Niemand will uns haben
Weihnachten mit Dackel
Rettung durch den Weihnachtsmann
Der Weihnachtsretter
Linus Langnase und das Geheimnis der verschlossenen Türen
Das Kätzchen unterm Weihnachtsbaum
Danksagung / Nachwort
Copyright © 2019, AIKA Consulting GmbH
Berliner Straße 52, 34292 Ahnatal
www.christianelind.de
Alle Rechte vorbehalten.
Überarbeitete Zweitveröffentlichung November 2019
Erstveröffentlichung unter dem Titel
„Weihnachtspunsch & Weihnachtskater“ © Rowohlt Verlag 2012
Umschlaggestaltung/eBook: Grit Bomhauer, www.grittany-design.de
unter Verwendung von:
© Depositphotos – flibustier / wacpan / Elnur /
ayeletkeshet /tets
© VectorStock – Lily-Studio
Und Weihnachten hieß, dass man ein Zuhause bekam, in dem man für immer bleiben konnte.
Ob die Tierheimkater Max Kleinpfote und Moritz Fleck so kurz vor Heiligabend noch ein neues Zuhause finden werden? Was soll der Witwer Gottfried mit dem Kätzchen anfangen, das ihm beim Tannenbaumkauf im wahrsten Sinne des Wortes in die Hände fällt? Muss Iris nach der Trennung von ihrem Freund wirklich alleine Weihnachten feiern, oder sorgt ihr verfressener Kater Maunz in letzter Minute dafür, dass sie Gesellschaft bekommt?
In heiteren und humorvollen, besinnlichen und zuweilen auch nachdenklich stimmenden Geschichten zeigt Christiane Lind, dass unsere Samtpfoten meistens mehr vom Fest der Liebe verstehen, als wir Menschen denken.
Fröhliche Weihnachten!
Christiane Lind hat sich immer schon Geschichten ausgedacht, die sie ihren Freundinnen erzählte, aber nur selten zu Papier brachte. Erst zur Jahrtausendwende infizierte sie der Schreibvirus und lässt sie nicht mehr los.
In ihren Romanen begibt sich Christiane am liebsten auf die Spur von Familien und deren Geheimnisse, sei es im Mittelalter, dem 20. Jahrhundert oder auf anderen Kontinenten. Sie teilt eine Wohnung in Kassel mit unzähligen und ungezählten Büchern, einem Ehemann und drei Katern. Die Samtpfoten erwarten, dass mindestens eine Katze in Christianes Geschichten vorkommt, was inzwischen ihr Markenzeichen ist.
Internetseite: www.christianelind.de
Facebook:https://de-de.facebook.com/ChristianeLind
Für Mio, Wittepot, Schwarzbrot, Weißbrot, Graubrot, Linus, das kleine Brot und die namenlosen Katzen,
die mein Leben begleitet haben
und
für meine Eltern, die jede Katze, die ich mit nach Hause brachte,
freundlich aufgenommen haben
Alle Jahre wieder schmückte Frau Buchecker den Garten mit ihrer Weihnachtsdekoration. Sie zog die Lichterketten aus der grünen Schachtel, die sie in Schleifen um die Äste der Nordmanntanne am Gartentor wickelte. Sie staubte den kniehohen Weihnachtsmann ab und setzte ihn auf den Schlitten, der von vier Rentieren gezogen wurde. Vorher prüfte sie, ob die Nase des ersten Rentiers in unregelmäßigen Abständen rot aufblinkte. Abschließend verteilte sie Gartenzwerge in Weihnachtsmannkostümen zwischen den Beeten und baute im Schutz des Schuppens eine wetterfeste Krippe auf.
Nachdem der Garten ihrem Anspruch genügte, widmete sie sich dem Haus. In die Fenster stellte sie abwechselnd Lichterbögen und weihnachtliche Leuchtfiguren. Nur das große Wohnzimmerfenster dekorierte sie mit bunten Fensterbildern, damit kein Lichterblinken abends beim Fernsehen störte. Zum guten Schluss wickelte Frau Buchecker eine weiße Leuchtgirlande um den großen Ficus Benjamini im Wohnzimmer.
»Liebling, findest du nicht, dass wir schon genug Beleuchtung haben?«, merkte ihr Mann Stefan zaghaft an. »Denk an die Stromkosten.«
»Nur noch diese Lichterkette – dann reicht’s. Und nun rauf mit dir auf die Leiter!«, antwortete Frau Buchecker. »Schau dir nur an, was die Nachbarn aufgefahren haben.«
Obwohl Herr Buchecker den Kopf schüttelte, stieg er ohne weiteren Protest auf die Trittleiter und hängte die Girlande über den Nagel, den er vor zwei Jahren extra für diesen Zweck eingeschlagen hatte.
Am Heiligen Abend betrachtete Frau Buchecker ihr Werk und sah, dass es gut war. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Nicht so grellbunt wie bei den Nachbarn zur Linken, deren Gartendekoration sie an einen Jahrmarkt erinnerte. Aber auch nicht so unweihnachtlich wie bei den Nachbarn zur Rechten, die nur einen schlichten Leuchtstern an die Haustür gehängt hatten.
Nur etwas Kunstschnee fehlte noch auf den Blautannen, dann wäre die weihnachtliche Stimmung perfekt. Mit kundiger Hand verteilte Frau Buchecker die weißen Flocken. Wenn das Wetter nicht mitspielte, musste sie eben selbst für weihnachtliche Stimmung sorgen.
»Perfekt.« Sie schoss ein Erinnerungsfoto, rieb sich mit den Händen über die Oberarme und eilte die Treppe hinauf. Auch wenn kein Schnee lag, war es empfindlich kalt geworden.
Im Haus zündete sie die Teelichter auf den Lichterbögen an, wischte über die Fensterbilder und warf einen prüfenden Blick auf die Krippe und den Christbaum. Alles wirkte perfekt wie jedes Jahr. Und doch schien etwas zu fehlen ...
Wie es die Tradition verlangte, gingen Frau Buchecker und ihr Mann in die Kirche. Ihr Sohn weigerte sich standhaft, sie zu begleiten – wie schon in den vergangenen vier Jahren.
Nach dem Gottesdienst setzte sich die Familie an den großen Esszimmertisch und speiste, wie es die Tradition verlangte, Kartoffelsalat und Würstchen.
Herr Buchecker legte eine CD mit weihnachtlichen Liedern auf, während Frau Buchecker die vier roten Kerzen auf dem Adventskranz anzündete. Und nach dem Essen fand, wie es die Tradition verlangte, die Bescherung statt.
»Danke«, sagte ihr Sohn, als Frau Buchecker ihm den Umschlag mit Geld überreichte. »Frohe Weihnachten.«
»Frohe Weihnachten, Liebes.« Herr Buchecker überreichte seiner Frau ein professionell verpacktes und mit einer goldenen Schleife und einem Engelchen versehenes Präsent. Und ein zweites, auf dem der Werbeaufdruck der Buchhandlung prangte.
»Dankeschön. Auch dir frohe Weihnachten.« Frau Buchecker holte die Krawatte in dem geschmackvollen dunkelroten Kästchen und das Sachbuch - Nummer 18 auf der aktuellen Bestsellerliste - unter dem Weihnachtsbaum hervor. »Wenn es dir nicht gefällt, habe ich die Quittung aufgehoben. Nach den Feiertagen kannst du es umtauschen.«
Sie setzten sich, packten die Geschenke aus und jeder bedankte sich ein weiteres Mal. Frau Buchecker wartete noch einen Moment, bevor sie das Geschenkpapier aufsammelte. Die guten Bögen strich sie glatt, faltete sie und verstaute sie in einer Schublade. Die zerrissenen Verpackungen legte sie zum Altpapier neben die Kellertreppe.
Herr Buchecker holte sich die Zeitung, die er noch nicht gelesen hatte, und blätterte sie eilig durch. Ihr Sohn suchte auf den bunten Tellern nach Marzipankartoffeln und aß alle auf. Frau Buchecker setzte sich aus Sofa und legte die Beine hoch.
»Schau mal.« Herr Buchecker hielt seiner Ehefrau die Zeitung hin. »Ein Bericht aus dem Tierheim. Zwei Kater namens Max und Moritz suchen ein Zuhause.«
»Wie jedes Jahr. Beinahe eine Weihnachtstradition«, antwortete sie, während sie nach ihrer Lesebrille suchte. »Die hoffen wohl auf Spenden zur Weihnachtszeit.«
»Der arme Kerl hier hat wirklich ein trauriges Schicksal gehabt.« Herr Buchecker tippte mit dem Finger auf ein Schwarz-Weiß-Bild von einem dicklichen grauen Kater, der griesgrämig in die Kamera starrte. »Vielleicht sollten wir …?«
»Ach, mein Lieber, bitte keine Katze.« Seufzend legte Frau Buchecker die Lesebrille zurück auf den Tisch. »Die machen nur Schmutz. Außerdem bringen sie tote Mäuse ins Haus. Und sie fangen Singvögel.«
»Ich hab’ mir immer ein Haustier gewünscht«, mischte sich ihr Sohn ein, der die ganze Zeit Nachrichten auf seinem Smartphone geschrieben hatte. »Ein Hund wär mir zwar lieber, aber eine Katze ist besser als nichts. Gib mal, bitte.« Er streckte die Hand nach der Zeitung aus.
»Du wohnst aber nicht mehr lange hier«, erwiderte Frau Buchecker kopfschüttelnd. Warum hatte ihr Mann bloß davon anfangen müssen? »Willst du die Katze etwa mit zum Studieren nehmen?«
Ihr Sohn brummelte etwas, dann tippte er weiter auf sein Handy ein.
»Schalt bitte den Fernseher ein. Ich möchte die Weihnachtsansprache hören«, sagte Herr Buchecker. Damit war das Thema Haustiere wieder vom Tisch.
Den gesamten ersten Weihnachtstag verbrachte Frau Buchecker in der Küche. Zwar gab es nur ein leichtes Mittagessen, doch das Abendessen erforderte ihre gesamte Zeit und Kochkunst – wie jedes Jahr. Kurz nach sechs versammelte sich die Familie zum Weihnachtsmahl. Sieben Gänge tischte Frau Buchecker ihren Lieben auf. Vom Krabbencocktail über den Gänsebraten bis zur Mousse au Chocolat war ihr alles wunderbar gelungen. Nach einer gesprächslosen Viertelstunde erinnerten nur noch Saucen- und Rotkohlflecken auf der Tischdecke an die Pracht.
»Möchte jemand einen Espresso?«, fragte Frau Buchecker, nachdem sie das Geschirr abgeräumt hatte. »Oder etwas Weihnachtspunsch?«
»Nee, danke. Bin verabredet.« Ihr Sohn sprang auf. »War superlecker, aber ganz schön viel. Tschüß! Wartet nicht auf mich.«
»Soll ich dir helfen, Schatz?«, fragte Herr Buchecker wie jedes Jahr und gähnte hinter vorgehaltener Hand.
»Nein, lass gut sein.« Frau Buchecker nickte ihm zu, wie jedes Jahr. »Das schaffe ich schon.«
Mit leichten Schritten ging sie in die Küche, während sie hörte, wie ihr Mann den Fernseher im Wohnzimmer anstellte. Sie lächelte. Es würde nicht lange dauern, bis er eingeschlafen war. Wie jedes Jahr.
Frau Buchecker spritzte etwas Spülmittel in den Gänsebräter und ließ heißes Wasser hineinlaufen. Anschließend öffnete sie die Spülmaschine und räumte Teller, Besteck und Gläser hinein, nachdem sie alles kurz vorgespült hatte. Mit Hilfe eines Topfkratzers beseitigte sie die Fettreste aus dem Bräter und ließ ihn abtropfen. Während der Arbeit wanderten ihre Gedanken. Warum nur war sie dieses Weihnachten so unzufrieden? Das Essen war ihr ausnehmend gut gelungen, die Geschenke dienten der Zufriedenheit aller, aber in diesem Jahr wollte die richtige Weihnachtsstimmung nicht aufkommen …
Aus dem Wohnzimmer ertönten der Fernseher und das leise Schnarchen ihres Mannes. Frau Buchecker trocknete den Bräter ab, bevor sie ihn in die hinterste Ecke des Küchenschranks stellte, wo er ein weiteres Jahr auf seinen Einsatz warten würde. Sie schaute aus dem Küchenfenster. Endlich. Nun hatte es doch noch begonnen zu schneien.
Nachdem sie die Reste des Festessens in das Eisfach geräumt hatte, setzte sich Frau Buchecker einen Moment auf die Außentreppe. Die Pracht der Gartendekoration kam durch den Schnee bezaubernd zur Geltung. Auch dieses Jahr überstrahlte der Lichterglanz ihres Baums den aller anderen. Aber trotzdem … Tränen stiegen ihr in die Augen. Rasch blinzelte die Traurigkeit weg und erhob sich, um in die Wärme des Hauses zurückzugehen.
»Was suchst du?« fragte eine Stimme scheinbar aus dem Nichts. »Warum heulst du?«
Überrascht hielt sie inne.
»Ich heule nicht. Ich weine nur ein bisschen«, antwortete Frau Buchecker. Suchend sah sie sich um. Hatte es einen der Nachbarn ebenfalls in den ersten Schnee hinausgezogen? Den Witwer von nebenan etwa, der seit dem Tod seiner Frau kaum noch mit anderen Menschen sprach?
Doch sie entdeckte nur einen dicken grauen Kater, den jemand in ein Weihnachtsmannkostüm gezwängt hatte. Er beknabberte eines der vier Nikolausstiefelchen, in denen seine Pfoten steckten.
»Miez, Miez, Miez«, lockte sie das Tier an, das ihr vage bekannt vorkam. »Na, du siehst ja niedlich aus.«
»Dämlich trifft es wohl eher!«, schnaubte der Kater und schüttelte die Pfote, an der das Stiefelchen schlenkerte. »Ganz zu schweigen davon, dass ‚Miez’ kaum die passende Anrede für mich ist.«
»Warst du das?« Ungläubig starrte Frau Buchecker den Graugetigerten an. Als Kind hatte sie geglaubt, dass Tiere an Weihnachten sprechen können, aber das war vierzig Jahre her. Zum Abendessen hatte sie sich nur ein Glas Weihnachtspunsch gegönnt – daran konnte es also beim besten Willen nicht liegen. »Hast du mit mir gesprochen?«
»Sehen Sie sonst noch jemanden?«, maulte der Kater. Frau Buchecker konnte ihn kaum verstehen, da mit dem Maul an dem Stiefelchen zerrte.
»Mit vollem Mund spricht man nicht«, ermahnte sie ihn.
»Entschuldigung! Wenn man Sie in so törichte Klamotten gezwungen hätte, würden Sie auch versuchen, das Zeug so schnell wie möglich loszuwerden.« Mittlerweile hatte der Kater drei Pfoten befreit. Nun wurschtelte er sich das rote Mäntelchen mit der weißen Borte über den Kopf.
»Wer bist du? Warum kannst du sprechen?« Frau Buchecker legte zwei Finger an die Seiten ihres Schädels. Sie fühlte eine Migräne aufsteigen. »Können Weihnachten wirklich alle Tiere reden?«
»Keine Ahnung.« Der Kater legte den Kopf schief, was wohl einem Schulterzucken entsprach. »Ich bin ein hart arbeitender Weihnachtsgeist in Katzengestalt, der am Heiligen Abend Weihnachtsfreude verbreitet. Aber nur, wenn Sie wollen! Wenn nicht, mach’ ich jetzt Feierabend.«
»Ein Weihnachtskater?«, fragte Frau Buchecker mit piepsender Stimme. Hatte sie etwa zu viel Arrak in den Punsch gegeben? Sie spürte ein hysterisches Kichern in sich aufsteigen. »Weihnachtsfreude? Durch einen Kater?«
»Was dagegen?« Der Graue starrte sie aus seinen gelben Augen an. »Wir hätten Ihnen auch ein Reh schicken können oder einen Kobold. Aber die erregen meist zu viel Aufsehen.«
Frau Buchecker nickte, als wäre es selbstverständlich, dass sprechende Kater weniger auffielen als Kobolde. Moment mal, Kobolde? Doch dann forderte ein anderer Gedanke ihre Aufmerksamkeit.
»Nur zu deiner Information, Weihnachtskater: Heilig Abend war gestern«, schnappte sie zurück. »Du bist glatt einen Tag zu spät.«
»Als ob ich das nicht wüsste. Auf dem Weg zu Ihnen wurde ich von einem kleinen Monster drei Häuser weiter gekidnappt. Glauben Sie etwa, ich habe freiwillig das blöde Kostüm angezogen?« In Erinnerung an das Erlebte kniff der Graue die Augen zusammen. »Erst heute konnte ich mich aus der Gewalt des Kindes befreien. Bekomme ich jetzt endlich eine Entscheidung?«
»Entschuldige, habe ich etwas verpasst?« Fragend musterte Frau Buchecker den Kater, der inzwischen alle Kostümteile ausgezogen und in ihren ordentlichen Garten geschleudert hatte. »Was für eine Entscheidung?«
Sie widerstand mühsam dem Drang, das Mäntelchen von ihrer Nordmanntanne zu pflücken.
»Ob ich Ihnen den Geist der Weihnacht nahebringen soll«, seufzte der Kater theatralisch und zuckte nervös mit dem Schwanz. »Also nicht mich, sondern die Idee von Weihnachten.«
»Moment mal.« Sie runzelte die Stirn. »Waren das in der Geschichte von Charles Dickens nicht drei Geister: der Geist der vergangenen, der aktuellen und der zukünftigen Weihnacht?«
Sichtlich verlegen setzte der Grautiger sich hin und begann, sich mit der rechten Pfote das Gesicht zu putzen. Er befeuchtete mit seiner rosafarbene Zunge die Pfote, bevor er diese ausgiebig hinter dem Ohr entlangzog. Und noch einmal. Und noch einmal.
Frau Buchecker beobachtete ihn und sagte kein Wort. Die Strategie, jemanden durch Schweigen zum Sprechen zu bringen, hatte sie in zwanzig Jahren Ehe und achtzehn Jahren Mutterschaft perfektioniert. Der Kater hatte keine Chance.
»Personalknappheit«, flüsterte er schließlich, nachdem er wirklich jeden Zentimeter seines Kopfes gesäubert hatte. »Rationalisierungsmaßnahmen, Sie verstehen.«
»Personalknappheit?«, echote Frau Buchecker. Nur mit Mühe konnte sie sich ein Grinsen verkneifen. »Bei Weihnachtsgeistern?«
»Alle müssen sparen.« Der Kater schaute angestrengt gen Himmel, als befände sich dort die Lösung aller Fragen. »Aber Sie wollen nicht ernsthaft über die Einsatzstrategien des Obersten Weihnachtswesens diskutieren?«
Oberstes Weihnachtswesen. Das wurde ja immer schöner. Frau Buchecker schüttelte den Kopf. Da erlaubte sich bestimmt einer ihrer Freunde einen Spaß mit ihr. Sie hätte gerne gewusst, wie derjenige es hinbekommen hatte, dass der Kater so lebensecht wirkte. Aber nun, dann wollte sie mal gute Miene zu dem albernen Spiel machen.
»Also, was ist? Wollen Sie dem Grundgedanken des Festes nachspüren oder nicht?« Erneut zuckte der Kater mit dem Schwanz, was Frau Buchecker an ihren Sohn erinnerte, wenn er ungeduldig mit den Fingern trommelte.«
»Was muss ich tun?« Falls es sich nicht um einen blöden Witz handelte, wollte Frau Buchecker lieber wissen, worauf sie sich einließ. »Willst du dafür meine Seele haben?«
»Wie kommen Sie denn auf solche Ideen?« Der Graue schüttelte sich so heftig, dass sein Bauch von einer Seite zur anderen wackelte. »Sie müssen mir nur folgen. Keiner wird merken, dass Sie weg waren.«
»Was habe ich zu verlieren?«, seufzte Frau Buchecker. Ihre Knie knackten, als sie aufstand. »Warte bitte kurz. Ich muss mir etwas Passendes anziehen.«
Sie ging zurück ins Haus. Kurz überlegte sie, ob sie ihren Mann wecken und ihm alles erzählen sollte? Ach was, es würde sich schon eine Erklärung für den sprechenden Kater finden. Da musste sie ihren Gatten nicht behelligen.
Einige Minuten später kehrte sie zurück auf die Treppe, angekleidet mit Stiefeln, Jacke und Handschuhen. Schließlich konnte sie ja nicht wissen, ob der Graue sie an den Nordpol führen würde.
»Da bin ich wieder. Bitteschön, für dich.« Mit der rechten Hand hielt sie ihm ein Stück Gans hin. Er stürzte sich mit einer Schnelligkeit darauf, die sie dem dicken Kerlchen gar nicht zugetraut hätte. Mit zwei Haps verschwand das Fleisch in seinem Magen.
»Dankeschön. Sehr lecker.« Der Kater nickte ihr zu. »Jetzt setzen Sie sich, entspannen sich – bitte – und schließen die Augen.«
Frau Buchecker überlegte noch, ob sie wirklich einem Stubentiger ihr Weihnachtsfest anvertrauen wollte, als er bereits maunzte: »Sie können wieder gucken!«
Mit hochgezogenen Augenbrauchen schaute sie sich um. »Wo sind wir?«
Sie saß immer noch auf einer Treppe, aber diese war aus Holz, nicht aus Beton wie die an ihrem Haus. Und das Haus, zu dem die Treppe führte, war nicht ihres, sondern eins, das sich noch im Bau befand. »Wo hast du mich hingebracht?«
»Nicht wohin, sondern in welche Zeit«, antwortete der Kater. Mit hoch erhobenem Kopf und steil in die Höhe gerecktem Schwanz stapfte er ihr voran durch den Schnee. Ab und zu blieb er stehen und schüttelte sich die Schneeflocken von den Pfoten. Frau Buchecker konnte sich seinen angeekelten Gesichtsausdruck gut vorstellen. Anscheinend schätzten auch Weihnachtsgeister in Katzengestalt Nässe nicht besonders.
»Folgen Sie mir unauffällig«, forderte er sie auf.
Frau Buchecker unterdrückte ein Lachen und ging dem Getigerten nach. Er führte sie zu einem Häuschen, das dringend einen Anstrich benötigte. Es war ihr Elternhaus, wie sie auf den zweiten Blick erkannte. So, wie es vor dreißig, nein, sogar vor vierzig Jahren ausgesehen hatte. Verwirrt rieb sie sich die Augen, schloss und öffnete sie wieder und schüttelte dann den Kopf. Aber das Haus blieb wie es war, im Bau befindlich und irgendwie gemütlich. Bevor sie den Kater danach fragen konnte, hörte sie jemanden ihren Namen rufen.
»Sibylle, hey, Sibylle.«
Suchend schaute Frau Buchecker sich um. Auch jetzt war kein Mensch zu sehen; nur der alte Hund lag vor seiner Hütte. Sie lächelte, als sie sich erinnerte. Als Kind hatte sie jedes Jahr am Heiligen Abend versucht, Waldmann ein paar Worte zu entlocken, doch er hatte beharrlich geschwiegen.
»Na, Waldmann, redest du dieses Jahr ausnahmsweise mit mir?«
»Was hätte ich dir damals sagen können? Kinder brauchen keine Ratschläge, sie leben einfach.« Der alte Hund hob den Kopf und blinzelte ihr zu. »Du hingegen …«
»Was rätst du mir heute, du lebenserfahrener Hund?«, fragte Frau Buchecker, nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte.
»Erinnere dich.« Waldmann war anscheinend kein Hund vieler Worte. Er stand auf, riss das Maul zu einem Gähnen auf und streckte sich.
»Woran?« Inzwischen kam es Frau Buchecker nicht einmal mehr seltsam vor, dass sie sich mit einem Hund unterhielt, der zudem schon vor vielen Jahren in den Hundehimmel gegangen war.
»Warum wolltest du als Kind an Weihnachten mit mir sprechen? Was bedeutete Weihnachten damals für dich?«
Frau Buchecker überlegte eine Weile. Weihnachten, das hieß Schnee, Aufregung wegen der Geschenke, essen mit der Familie, gemeinsames Schmücken des Baums. Sie schluckte. Vielleicht war ihre Erinnerung die früheren Weihnachten einfach nur verklärt.
»Geh ins Haus«, sagte Waldmann, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Dort findest du Weihnachten.«
»Danke. Schön, dich noch einmal gesehen zu haben.« Frau Buchecker streichelte den Hund zum Abschied und wischte sich eine Träne aus den Augen. Dann drehte sie sich zum Kater um. Wie es die Tradition verlangte, hielt der Weihnachtsgeist einen Sicherheitsabstand zum Hund ein.
»Können wir weiter?«, fragte er. »Oder haben Sie dem Kläffer noch mehr zu erzählen?«
Als Frau Buchecker den Kopf schüttelte, führte der Kater sie ins Haus.
»Wird man uns nicht entdecken?«, flüsterte sie ihm zu.
»Wir sind Geister. Nur Tiere erkennen uns«, antwortete er. »Sie können ruhig näher hinsehen.«
Mit angehaltenem Atem und auf Zehenspitzen ging Frau Buchecker in Richtung der Stimmen, die aus dem Haus zu hören waren.
»Schreib’ meins auf. Bitte schreib’ meins auf«, quengelte ein Mädchen. An der Stimme und dem Gebettel erkannte Frau Buchecker ihre jüngere Schwester. Immer hatte Bianca die Erste sein wollen.
In der kleinen, engen Stube angekommen, erblickte Frau Buchecker die Familie um den großen Esstisch sitzend. Die Kinder schrieben Wunschzettel für den Weihnachtsmann. Mattis, ihr Bruder, streckte vor Anstrengung die Zungenspitze hervor, während er mit Buntstiften eine Autorennbahn zeichnete.
»Nun, Sibylle, was wünschst du dir?« Die Mutter lächelte dem Kind zu.
Frau Buchecker schluckte.
»Ein Pony, wie jedes Jahr«, flüsterte das Mädchen.
Frau Buchecker konnte kaum glauben, wie klein und zierlich sie einmal gewesen war. Und auf einmal erinnerte sie sich wieder: Als Kind hatte sie sich sehnlichst ein Haustier gewünscht. Am liebsten ein Pony, aber auch mit einer Katze wäre sie zufrieden gewesen. Waldmann hatte ihrem Vater gehört.
Tränen stiegen ihr in die Augen, die sie wegblinzelte, bevor sie sich weiter umsah.
Ein kleiner Baum stand in der Ecke. Er war etwas schief gewachsen, aber liebevoll mit roten Kugeln und silbernem Lametta dekoriert. Versteckt entdeckte Frau Buchecker das Plastikkrokodil, das ihr Bruder zwischen die Tannenzweige geschmuggelt hatte, so wie jedes Jahr.