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Was tun? Was tun, wenn sich ein nahe stehender Mensch das Leben nehmen möchte? Was tun, wenn sich zu der Trauer auch Wut und Schuldfrage gesellen, wenn „es“ bereits geschehen ist? Anne Christina Mess verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse und Hintergründe mit Hilfen für Angehörige und Mitbetroffene, auch im Hinblick auf den Glauben. Ein Buch für Trauernde, das eine praktische Hilfe darstellt, mit Fragen, Leid und Wut umzugehen. Ergänzt um Selbstbefragungsbögen zur aktiven Trauerbewältigung. Die überarbeitete Neuauflage des Longsellers „Wenn die Hoffnung stirbt“, die den Fokus auf Trauerarbeit, auf Antworten „danach“ legt.
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Seitenzahl: 206
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Anne Christina Mess
Wenn ich das geahnt hätte
Suizid– Hilfen für Angehörige und Mitbetroffene
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
2., überarbeitete Auflage 2009
Die 1.Auflage erschien unter dem Titel
»Wenn die Hoffnung stirbt«
ISBN 9783865066602
© 2009 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Titelfoto: Colourbox
Satz: Satzstudio Winkens, Wegberg
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
www.brendow-verlag.de
Cover
Titel
Impressum
Vorwort zur 1. Auflage
Vorwort zur überarbeiteten Neuauflage
Kapitel 1 Was löst ein »gelungener« Suizid bei Hinterbliebenen und Helfern aus?
Die Hinterbliebenen zwischen Schuld und Trauer
Der Begriff des Trauerns
Wenn Eltern zu Waisen werden
Gott kümmert sich um die Trauernden
Die Helfer zwischen Schuldgefühlen und Verantwortlichkeit
Mein Wunsch an alle Helfer
Kapitel 2 (Nicht nur) graue Theorie zum Selbstmord
Zahlen, Daten, Fakten und mehr
Selbstmord als endgültige Problemlösung?!
Entstehungstheorien zum Selbstmord
Biologische Theorien
Soziologische Theorien
Psychologische Theorien
Religiöse Theorien
Welche Menschen denken an Selbstmord und sind besonders gefährdet?
Selbstmord bei Jugendlichen
Geschlechtsspezifische Lebensereignisse bei der Entstehung von Suizidalität
Welche psychisch Kranken sind gefährdet?
Hintergründe von suizidalem Erleben und Verhalten
Zäsur
Appell
Autoaggression
Kapitel 3 Suizidalität in der Bibel
Kapitel 4 Hilfsmöglichkeiten (auch) für Laien
Wahrnehmung und Einschätzung der Suizidalität eines Menschen
»Mythen und Märchen« über Selbstmord
Wahrnehmung der eigenen Gefühle und Gedanken zu »Suizid«
Vorboten des Suizids
Abschätzung der Suizidalität
Wenn Stress an der Lebenszufriedenheit nagt
Gedankliche Ebene
Zwischenmenschliche Ebene
Verhaltensebene
Minimale Interventionen mit hoffentlich mehr als nur minimaler Wirkung
Grenzen im Umgang mit selbstmordgefährdeten Menschen
Unaufmerksames Zuhören
Verharmlosung, Rat-»Schläge« und Moralkeulen
Aggressionen unterdrücken
Beziehungsunterbrechung als neues Trauma
Vorschnelle Lösungsversuche
Unrealistische Erwartungen
Kapitel 5 Fachliche Hilfe
Kapitel 6 Hilfe mit biblischem Hintergrund
Wenn Christen Gott verlieren
Von Menschen und Gott verlassen?
Das Leben als Trümmerhaufen?!
Die Machenschaften des Bösen
Zum Loslassen der Übeltäter
Jesus kennt all unsere Gefühle
Schritt für Schritt – auch für die Angehörigen
Auf der Suche nach einer Antwort
Dürfen Christen sich umbringen?
Ihre Meinung ist gefragt
Aus theologischer Sicht
Anhang
Weiterführende Literatur
Adressen
Glossar
Danksagung zur 1. Auflage
Anmerkungen
Bei meiner psychotherapeutischen Arbeit sind mir immer wieder Menschen begegnet, die ihrem Leben ein Ende setzen wollten oder einen ihnen nahestehenden Menschen durch Selbstmord verloren haben. In meiner Grundschulzeit hatte ich in jeder der vier Klassen eine neue Lehrerin, was vor über 30Jahren unüblich und schlicht darin begründet war, dass zwei von ihnen sich umbrachten. So sehr mich diese für ein Kind unfassbaren Todesfälle erschreckten, lösten sie doch ein erstes Interesse am Thema Selbstmord aus. Dieses sollte mich auch weiter beschäftigen:
Als Studentin im Psychiatrie-Praktikum auf der Psychotherapie-Station einer großen Klinik wurde ich damit konfrontiert, dass eine Patientin sich erhängte. Zudem hatte ich einen Kommilitonen, der erst seinen Hund und dann sich selbst erschoss, sowie einen Studienfreund, der durch einen ungewöhnlichen Autounfall zu Tode kam. Ich merkte, dass trotz aller Faszination bei der Beschäftigung mit Selbstmördern in Literatur und Realität mir die Austauschmöglichkeiten fehlten über dieses große Tabu-Thema, mit dem fast etwas Mystisches verbunden war. Wenn auch noch unzureichend, findet doch inzwischen eine Enttabuisierung statt hin zu einer Sensibilität für die Aktualität und Brisanz des Themas. In christlichen Gemeinden scheint dieser Themenbereich noch immer besonders stark ausgespart oder aber Selbstmord schlicht als unverzeihliche Sünde abgetan zu werden. In der psychotherapeutischen Arbeit mit christusgläubigen Patienten, die mit ihrem Leben nicht mehr zurechtkamen, wurde oft eine besonders große Erleichterung spürbar, wenn sie ihre Selbstmordgedanken im geschützten Rahmen und ohne strafende Blicke oder Bemerkungen äußern konnten.
Dieses Buch ist als Brücke gedacht, die eine Verbindung schaffen soll zwischen den Ufern von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Hintergründen zum Selbstmord einerseits und den manchmal hilflosen Helfern suizidaler Menschen andererseits. Es soll den Nebel der weitverbreiteten Mythen zum Selbstmord ein wenig auflösen, lebensmüden Menschen Hoffnung auf eine Chance in ihrer Lebenskrise vermitteln und hilfsbereiten Mitmenschen Möglichkeiten und Grenzen ihrer Hilfe aufzeigen.
Bereits kurze Zeit nach Erscheinen der 1.Auflage tauchte in der Arbeit mit Menschen, die in irgendeiner Weise das Thema Suizid in die Therapiesitzungen mit einbrachten, die Idee auf, dass Arbeitsblätter für Betroffene, Angehörige und sonstige Hinterbliebene nützlich sein könnten. Durch die Nachfrage nach dem Buch, Einladungen zu Autorenlesungen und Patientengespräche zeigte sich die unveränderte Brisanz des Themas. Die Neuauflage des Buchs hat einen leicht veränderten Fokus. Er ist auf die Menschen gerichtet, die den Verlust eines durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen Menschen verkraften müssen. Sie stehen vor der Aufgabe, »die Trümmer ihres inneren Erdbebens« zu beseitigen und eine neue emotionale und handlungsleitende Ausrichtung auf ihre Zukunft zu finden, mit der sie sich am Leben halten. Zur Unterstützung bei dieser Herausforderung wurden Arbeitsblätter entwickelt. Sie stellen ein Instrument zur Verfügung, um die eigene emotionale Achterbahn, die durch den Suizid eines nahestehenden Menschen möglicherweise ausgelöst wurde, zu analysieren und zu verstehen sowie »emotionalen Ballast« abzuladen und damit Erleichterung im Marschgepäck auf dem Weg durch das eigene weitere Leben zu finden. Die Arbeitsblätter können bezogen werden über www.acmess.de.
Danken möchte ich an dieser Stelle jenen Menschen, die mich an ihren Erfahrungen mit dem Thema Selbstmord haben Anteil nehmen lassen. Meinem (Geschäfts-) Partner Henry Müller-Späth danke ich für seine inspirierenden Anregungen für den Feinschliff des Manuskripts sowie dem Verlag für die Idee der Neuauflage und deren kooperative Umsetzung.
Leonberg, im Sommer 2009
KAPITEL 1
Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) geht davon aus, dass jeder Suizidtote 5 bis 7Angehörige hinterlässt. Dies sind Menschen, die – zumeist unerwartet – vor der Aufgabe stehen, eine schmerzliche Lücke in ihrem realen Leben, aber auch oder insbesondere in ihrem Seelenleben schließen zu müssen. Jährlich sind allein in Deutschland etwa 60000 bis 80000 hinterbliebene Menschen direkt von dieser Todesart betroffen. Unberücksichtigt bleiben dabei größere Personengruppen wie Mitarbeiter von Firmeninhabern, die sich aus finanzieller Not heraus vor einen Zug werfen und damit ihre Belegschaft hinterlassen. Aber auch Vereinsfreunde, Nachbarn und andere Gruppen mit mehr Distanz zum Verstorbenen werden durch seinen Suizid von Fassungslosigkeit, Hilflosigkeit und Trauer getroffen.
Bei dieser (geschätzten) Zahl von 60000 bis 80000Menschen, die jährlich von Suizid betroffen werden, ist zu berücksichtigen, dass sich diese Zahl nur auf ein Jahr bezieht. Nicht-Betroffene gehen meist davon aus, dass die Trauer nach einem Suizid in ähnlichen Bahnen verläuft wie bei anderen Todesarten. Auch von Suizidtrauernden wird erwartet, dass nach dem Ablauf des ersten Trauerjahres eine Veränderung eintritt und die Normalität des Alltags sich wieder einstellt. Aber Trauer nach Suizid kann auch ein Jahr nach dem Tod ähnlich heftig erlebt werden wie direkt in den Tagen nach dem Suizid. Die tatsächlich vergangene Zeit muss dabei kein Maßstab sein.
Der Schmerz und die Trauer um einen durch Selbsttötung verlorenen nahestehenden Menschen kann sogar über viele Jahre hinweg ein lebensbestimmendes Thema bleiben. Die starke Einschränkung der eigenen Lebensqualität durch den Verlust dauert bei manchen Hinterbliebenen bis zum eigenen Tod an.
Jeder Todesfall ist mit Kummer und Trauer für die Hinterbliebenen verbunden. Allerdings hat die Art des Todes einen wesentlichen Einfluss auf die Trauer und die Lebensgestaltung der Menschen, die ohne den Verstorbenen weiterleben müssen. Bei Tod durch Suizid drängen sich den Hinterbliebenen Fragen und Gefühle auf, die bei anderen Todesarten gar nicht oder nur abgeschwächt vorhanden sind. Sie erschweren die Trauer manchmal unsagbar. Je nachdem, wie ein Hinterbliebener mit diesen inneren Dialogen umgeht, versucht er, sie für sich zu verarbeiten, oder aber sucht sich Hilfe bei der Bewältigung. Im Gespräch mit Trauernden finden sich typische Gedanken, Selbstzweifel, Schuldgefühle usw. Sie können bei den einzelnen Suizidtrauernden in individueller Ausprägung und in unterschiedlichem zeitlichen Abstand vom Tod auftreten. Häufige Inhalte der inneren Dialoge sind Schuldgefühle: Eine Mutter könnte sich sagen: »Ich muss eine schlechte Mutter gewesen sein.« Auch Versagensgedanken finden sich oft bei Hinterbliebenen von Suizidtoten: »Ich konnte es nicht verhindern, ich habe es nicht bemerkt.« Ein Suizid kann bei einem nahestehenden Menschen einen Einbruch des Selbstwertgefühles herbeiführen: »Ich bin es nicht wert, dass mein Mann meinetwegen weiterlebt.« Im Rückblick über das bisherige Leben kann dies nun infrage gestellt werden: »Hat er mich und die Kinder überhaupt wirklich geliebt?« Manche Suizidtrauernde schlagen sich mit Scham und Verleugnung herum: »Niemand darf erfahren, dass meine berühmte Frau sich das Leben genommen hat.« Zu ganz normalen Reaktionen bei Menschen, die einen Suizid zu verarbeiten haben, gehören Wut oder Ärger auf den Verstorbenen: »Wie konnte er mir das antun?!« Leider verlieren manche Menschen in der Folge eines Suizids eines ihnen sehr nahestehenden Menschen ihren inneren Halt im Leben und fragen sich: »Wie soll ich damit weiterleben«, um sich später selbst zu suizidieren.
Weitere Erschwernisse in der Trauerarbeit sind oft die Reaktionen des Umfeldes von Hinterbliebenen. Der Tod durch Suizid ist auch im Zeitalter der Postmoderne vielerorts noch ein gesellschaftliches Tabu. Es wird entweder nicht darüber gesprochen oder aber man weiß nichts dazu zu sagen. Möglicherweise hat dieses Tabu seine Wurzeln auch in der jahrhundertelangen Tradition, Selbsttötung als Todsünde zu verurteilen. Diese Verurteilung geht zunächst einmal hinweg über die tiefe Verzweiflung eines Menschen, der sich das Leben nimmt, und beeinflusst im nächsten Schritt manchmal noch die distanzierte Haltung gegenüber den Trauernden. Etwas polarisierend zum Zwecke der Verdeutlichung lässt sich sagen, dass Trauernde einen Mitleidsvorschuss haben und demgegenüber Suizidtrauernde einen Schuldvorschuss.
Nach »geglückten« Selbstmorden wird von den Hinterbliebenen häufig die Nachricht verbreitet, dass die Person einen hatte. Damit erreichen sie, dass sie weniger in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit geraten und so vielleicht dem befürchteten Tratsch entgehen können. Schließlich geht es auch darum, den Ruf als »ganz normale Familie« nicht aufs Spiel zu setzen, denn diese Gefahr ist natürlich in dem Fall größer, wenn ein Familienmitglied sich umgebracht (oder es versucht) hat, als wenn es verunglückt ist. Neben diesen Bemühungen, nach außen dem Gerede der Nachbarn und Bekannten zu entgehen, gibt es auch noch die innerseelisch ablaufenden Prozesse. Die menschliche Seele ist in der Lage, sich gegenüber aversiven, also unerwünschten oder unangenehmen Gedanken und Vorstellungen zu schützen, indem sie sie ausblendet, quasi beiseiteschiebt. Im Fachjargon spricht man auch von . Für Hinterbliebene eines Selbstmörders ist die Tragödie vielleicht erträglicher, wenn sie annehmen, es habe sich um einen Unfall gehandelt. Natürlich funktioniert diese Annahme nur dann, wenn es kein offensichtlicher Selbstmord war, wie z.B. beim Erhängen oder beim Sprung aus dem Hochhaus. Wenn man sich in die Lage eines Angehörigen oder eines engen Freundes hineinversetzt, kann man sich vorstellen, dass einen der Gedanke entlasten würde, der Selbstmörder hätte »nur« einen tragischen Unfall gehabt. Allerdings kann es zu einem späteren Zeitpunkt befreiend sein, die Wahrheit über den Tod anzusehen, statt psychische Energie darauf zu verwenden, die beschönigende Variante mit sich zu tragen. Kurzfristig mag die Unfall-Version dazu beitragen, dass ein Hinterbliebener das Unfassbare besser aushält, aber die menschliche Seele entwickelt mittel- und langfristig häufig Symptome, um Tabus und
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