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Dr. Baumann ist ein echter Menschenfreund, rund um die Uhr im Einsatz, immer mit einem offenen Ohr für die Nöte und Sorgen seiner Patienten, ein Arzt und Lebensretter aus Berufung, wie ihn sich jeder an Leib und Seele Erkrankte wünscht. Seine Praxis befindet sich in Deutschlands beliebtestem Reiseland, in Bayern, wo die Herzen der Menschen für die Heimat schlagen. Der ideale Schauplatz für eine besondere, heimatliches Lokalkolorit vermittelnde Arztromanserie, die ebenso plastisch wie einfühlsam von der beliebten Schriftstellerin Laura Martens erzählt wird. »So, das wäre es für heute«, meinte Dr. Eric Baumann, nachdem er den letzten Patienten verabschiedet hatte. Er wandte sich Franziska Löbl zu, die aus ihrem Behandlungsraum kam. »Ich werde heute nachmittag zu eurem Hof hinausfahren«, versprach er. »Wenn nichts dazwischen kommt, muß mir dein Vater Revanche für unser letztes Schachspiel geben. Jetzt hat er mich zweimal hintereinander geschlagen. So etwas kann ich nicht auf mir sitzen lassen.« Franziska, die seit einem Unfall in ihrer Kindheit nicht mehr sprechen konnte, legte den kleinen Block, den sie immer bei sich trug, auf ein Tischchen in der Aufnahme und schrieb: »Kein Wunder, daß er dich geschlagen hat. Immerhin hat mein Vater momentan genügend Zeit zum Üben.« Tina Martens hatte noch ein paar Krankenakten eingeordnet. Jetzt schloß sie den Schrank ab und gab den Schlüssel Dr. Baumann. »Ich werde dann auch gehen«, sagte sie. »Was haben Sie heute nachmittag vor?« erkundigte sich Eric. »Jetzt fahre ich erst einmal nach Hause und füttere Timon. Wie ich mein Katerchen kenne, wird es schon demonstrativ an seinem Futternapf sitzen und mich vorwurfsvoll anschauen, sobald ich den Kopf in die Küche stecke.
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»So, das wäre es für heute«, meinte Dr. Eric Baumann, nachdem er den letzten Patienten verabschiedet hatte. Er wandte sich Franziska Löbl zu, die aus ihrem Behandlungsraum kam. »Ich werde heute nachmittag zu eurem Hof hinausfahren«, versprach er. »Wenn nichts dazwischen kommt, muß mir dein Vater Revanche für unser letztes Schachspiel geben. Jetzt hat er mich zweimal hintereinander geschlagen. So etwas kann ich nicht auf mir sitzen lassen.«
Franziska, die seit einem Unfall in ihrer Kindheit nicht mehr sprechen konnte, legte den kleinen Block, den sie immer bei sich trug, auf ein Tischchen in der Aufnahme und schrieb: »Kein Wunder, daß er dich geschlagen hat. Immerhin hat mein Vater momentan genügend Zeit zum Üben.«
Tina Martens hatte noch ein paar Krankenakten eingeordnet. Jetzt schloß sie den Schrank ab und gab den Schlüssel Dr. Baumann. »Ich werde dann auch gehen«, sagte sie.
»Was haben Sie heute nachmittag vor?« erkundigte sich Eric.
»Jetzt fahre ich erst einmal nach Hause und füttere Timon. Wie ich mein Katerchen kenne, wird es schon demonstrativ an seinem Futternapf sitzen und mich vorwurfsvoll anschauen, sobald ich den Kopf in die Küche stecke. Anschließend werde ich eine Kleinigkeit essen, und wenn das Wetter so herrlich bleibt, zum Schwimmen gehen.«
»Eine gute Idee«, meinte der Arzt. »Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß.«
»Danke, Herr Doktor.« Die Sprechstundenhilfe nickte erst ihm, dann Franziska zu. »Bis morgen.« Sie nahm ihre Handtasche und verließ die Praxis.
»Kommst du mit zum Essen, Franziska?« erkundigte sich Eric. »Katharina würde sich freuen, wenn ich dich mitbringe.«
»Danke, aber ich bin bereits zum Essen eingeladen«, schrieb die junge Krankengymnastin. »Ich werde eine Freundin besuchen, die ich bei meiner Ausbildung in München kennengelernt habe. Silvia hat ihren Beruf allerdings inzwischen wieder aufgegeben.«
»Und warum?«
»Sie ist Malerin geworden. Du hast sicher schon von ihr gehört. Erst neulich hat sie in Bad Tölz eine große Ausstellung gehabt. Es stand in der Zeitung. Ihr Name ist Silvia Merkle.«
»Du kennst Silvia Merkle?« fragte Eric überrascht. Er hatte Bilder der jungen Malerin bei einem Patienten gesehen, der eine Villa in Rottach-Egern besaß.
Die junge Frau nickte. »Letztes Jahr hat sich Silvia mit Wolfgang Vogt verlobt. Er arbeitet bei unserem Kuramt. Seine Mutter Maria gehört zu unseren Patienten. Vor kurzem haben sie sich entschlossen, endlich zusammenzuziehen, und ein Haus an der Courths-Mahler-Anlage gemietet.«
»Maria Vogt wird davon sicher nicht allzu begeistert sein«, bemerkte der Arzt. Er hatte selten eine so ich-bezogene Frau kennengelernt. Ihr Sohn war bereits einmal verheiratet gewesen. Es hieß im allgemeinen, daß sie die Schuld am Scheitern seiner Ehe trug, weil sie nicht bereit war, ihn loszulassen, sondern verlangte, der Mittelpunkt seines Lebens zu sein.
»Es wird nicht leicht für Silvia sein, sich gegen die Dominanz ihrer zukünftigen Schwiegermutter zu behaupten«, vermutete Franziska. »Soweit es geht, werde ich versuchen, ihr den Rücken zu stärken. Sie wird Hilfe brauchen.«
Davon war allerdings auch Eric überzeugt. »Drück mir die Daumen, daß ich wenigstens heute deinen Vater beim Schach schlage«, sagte er, als sie sich voneinander verabschiedeten.
Die Krankengymnastin versprach es und ging zu ihrem Wagen.
Dr. Baumann öffnete die Verbindungstür, die vom Anbau mit der Praxis in sein Haus hinüberführte. Franzl schien nur darauf gewartet zu haben. Wie ein Pfeil schoß der Hund auf den Arzt zu und begrüßte ihn stürmisch. Er ließ erst von ihm ab, als Katharina Wittenberg aus der Küche kam und ihm seinen vollen Freßnapf zeigte.
»Ich gehe nur rasch nach oben und ziehe mich um«, sagte Eric. »Riecht übrigens köstlich, Katharina. Ich nehme an, nach Kohlrouladen.«
»Richtig geraten«, erwiderte die Haushälterin. »Dazu gibt es Salzkartoffeln und zum Nachtisch Götterspeise. Läßt sich das hören?«
»Besser könnte man auch im Ritz nicht essen«, erklärte der Arzt und stieg die Treppe zu seinem Schlafzimmer hinauf.
Aber es wurde nichts aus dem Mittagessen. Eric wollte sich gerade in der Küche an den Tisch setzen, als das Telefon klingelte. Katharina verdrehte aufseufzend die Augen. Es gab kaum etwas, was sie mehr haßte, als bei einem liebevoll zubereiteten Essen gestört zu werden. Auch wenn sie verstand, daß die Patienten nun einmal vorgingen, am liebsten hätte sie mittags den Telefonstecker gezogen.
»Ich bin der Claus«, meldete sich ein junger Mann. »Es handelt sich um Herrn Meinert, aus dem Nelkenweg. Er ist bei Ihnen Patient. Sie sollten mal nach ihm sehen, Doktor Baumann. Meiner Meinung nach geht es ihm gar nicht gut. Er scheint kaum Luft zu bekommen.«
»Sind Sie der Zivi, der ihm mittags das Essen bringt?« erkundigte sich Dr. Baumann. Adam Meinert hatte ihm erst vor einigen Tagen erzählt, daß er jetzt ›Essen auf Rädern‹ bekam und dadurch einen netten, jungen Mann kennengelernt hätte, der ihn auch in seiner Freizeit hin und wieder besuchen würde.
»Ja«, antwortete Claus.
»Sorgen Sie bitte dafür, daß Herr Meinert nichts Beengendes trägt«, fuhr der Arzt fort, »knöpfen Sie ihm vor allen Dingen den Hemdkragen auf und schieben Sie ihm ein paar Kissen hinter den Rücken, damit er möglichst hoch liegt. Ich bin in ein paar Minuten bei Ihnen.«
Katharina Wittenberg stand in der offenen Küchentür, als Eric aus seinem Arbeitszimmer kam. »Wenn ich noch einmal auf die Welt kommen sollte, dann bestimmt nicht wieder als Haushälterin bei einem Arzt.«
»Jedenfalls dann nicht sofort«, scherzte er. »Zuerst würdest du wie jeder Säugling in den Windeln liegen.«
Der Nelkenweg befand sich am anderen Ende von Tegernsee, Richtung Gmund. Doch auf der Uferstraße kam Dr. Baumann an diesem Tag so schnell vorwärts, daß
er es tatsächlich innerhalb von zehn Minuten schaffte, das Haus, in dem Adam Meinert lebte, zu erreichen.
Als er vor dem Bürgersteig hielt und ausstieg, bemerkte er, wie sich im ersten Stock des gegenüberliegenden Hauses hinter einem der Fenster eine Gardine bewegte. Es überraschte ihn nicht, da er wußte, daß Lina Becker so leicht nichts entging. Ihr Haus gehörte zwar zu einer anderen Straße, doch durch ein unbebautes Grundstück hatte sie eine ausgezeichnete Sicht auf den Nelkenweg.
Claus öffnete ihm die Haustür. »Gut, daß Sie so schnell gekommen sind, Doktor Baumann.« Er schickte einen wütenden Blick über die Straße. »Wie ich inzwischen herausbekommen habe, ist Frau Becker schuld, daß es Herrn Meinert so schlechtgeht«, berichtete er auf dem Weg nach oben. »Herr Meinert hat heute vormittag auf seinem Spaziergang erfahren, daß Frau Becker behauptet, er würde von seinem Balkon aus ständig in ihr Schlafzimmer schauen. Natürlich hat er sich schrecklich darüber aufgeregt.«
»Wen würde es nicht aufregen, wenn solche Behauptungen aufgestellt werden?« fragte Eric. »Andererseits müßte inzwischen jeder wissen, daß Frau Becker gern Geschichten in die Welt setzt, um mal wieder im Gespräch zu sein.« Er betrat das Schlafzimmer seines Patienten. »Was machen Sie denn für Sachen, Herr Meinert?« fragte er. »Leute wie Frau Becker sollten Sie nicht für voll nehmen.«
Der alte Mann rang um Luft. »Sie haben leicht reden, Herr Doktor«, brachte er schließlich hervor. »Immerhin geht es um meinen Ruf. Seit über vierzig Jahren lebe ich nun schon im Nelkenweg, aber…«
»Ganz ruhig atmen«, sagte Eric. »Gleich wird es Ihnen wieder bessergehen.« Er öffnete seine Tasche und zog eine Spritze auf. Behutsam injizierte er dem alten Mann das Medikament. Während er auf die Wirkung wartete, sprach er leise auf Adam Meinert ein. Bereits nach wenigen Minuten merkte er, daß sein Patient wieder leichter Luft bekam.
»Diese Frau raubt mir noch den letzten Nerv«, sagte der alte Mann. »Ich weiß nicht, was sie gegen mich hat. Zu dumm, daß das Grundstück mir gegenüber noch immer nicht bebaut worden ist. Ich leide bestimmt nicht an Verfolgungswahn, aber manchmal kommt es mir vor, als würde sie von ihrem Schlafzimmerfenster aus sogar beobachten, wann ich aus dem Haus gehe.«
»Sieht aus, als würde Frau Becker unter geradezu tödlicher Langeweile leiden«, meinte der Zivi. »Soviel ich weiß, sind ihre Kinder aus dem Haus, und sie muß sich nur noch um Mann und Hund kümmern.« Kopfschüttelnd fügte er hinzu: »Es gibt Leute, denen sollte man den Mund zunähen, weil sie ohnehin nichts Vernünftiges damit anzufangen wissen.«
»Dann würden aber die Nähmaschinen Tag und Nacht rattern«, erwiderte Dr. Baumann. »Frau Becker ist nicht die einzige, die den Sinn ihres Lebens im Klatsch sieht.«
»Leider«, bemerkte Adam Meinert. »Die ganze Geschichte geht mir zwar noch immer nach, doch jetzt fühle ich mich bereits erheblich besser. Sie haben absolut recht. Über Leute wie diese Becker sollte man sich nicht aufregen.« Erschöpft schloß er die Augen.
*
»Noch einen Espresso, Franziska?« erkundigte sich Silvia Merkle und stand auf, um den Tisch abzuräumen.
Die Krankengymnastin schüttelte den Kopf und zeigte mit einer anmutigen Handbewegung, daß sie unmöglich noch etwas hinunterbekommen würde. Obwohl es Silvia nicht wollte, half sie ihr, das Geschirr und die Schüsseln in die Küche zu bringen.
Ihre Freundin räumte die schmutzigen Teller in die Spülmaschine. »Dann werde ich dir jetzt erst einmal das Haus zeigen«, meinte sie. »Sicher bist du schon neugierig auf mein Atelier. Wie wäre es, möchtest du nicht auch einmal versuchen, ob du malen kannst? Man weiß nie, was in einem steckt, bevor man es probiert hat.«
Franziska zog Block und Stift aus der Hosentasche. »Im Malen bin ich eine absolute Niete«, schrieb sie. »Das ist schon früher in der Schule so gewesen.«
»Man muß auch nicht alles können«, erwiderte Silvia. Sie trocknete sich die Hände ab. »Dann komm.«
Während der nächsten zwanzig Minuten gingen sie durch das ganze Haus. Silvia und ihr Verlobter hatten es überaus geschmackvoll eingerichtet. Das Atelier befand sich im Dachgeschoß. Franziska bewunderte die bodenlangen, breiten Fenster, die dem Raum viel Licht gaben.
»Das Haus wurde von einem Industriellen erbaut, der in seiner Freizeit gern gemalt hat«, erklärte Silvia. »Mir kam zugute, daß dieser Raum bereits als Atelier geplant worden war.«
»Und warum bewohnt er das Haus nicht selbst?« erkundigte sich ihre Freundin schriftlich.
»Weil er seit dem Tod seiner Frau nicht mehr hier leben möchte. Er sagte uns, daß ihn dieses Haus zu sehr an alles erinnern würde, was ihn mit seiner Frau verbunden hat, und das könnte er nicht ertragen.« Silvia stand vor einem ihrer letzten Bilder. Es zeigte ein kleines Mädchen, das verloren zwischen riesigen Häusern stand.
Die beiden Frauen stiegen die Treppen wieder hinunter und setzten sich auf die Terrasse. Ihr Blick ging weit über den Tegernsee bis zu den jenseitigen Bergen. Obwohl Franziska hier aufgewachsen war, wurde ihr stets von neuem fast schmerzlich die Schönheit dieser Gegend bewußt. Sie konnte sich nicht vorstellen, den Tegernsee für längere Zeit zu verlassen.
»Ich hatte Wolfgang gebeten, heute etwas früher Feierabend zu machen«, sagte Silvia. Gedankenverloren griff sie sich in ihre halblangen, blonden Locken. »Kurz bevor du gekommen bist, hat er angerufen und mir gesagt, daß er zu seiner Mutter muß.« Über ihr Gesicht legte sich ein Schatten. »Es vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht bei ihr vorbeischaut.«
»Eifersüchtig?« schrieb Franziska auf ihren Block.
Silvia schüttelte den Kopf. »Nein, eifersüchtig bin ich nicht auf sie, ich kann nur nicht verstehen, daß seine Mutter alles tut, um ihn immer fester an sich zu binden. Solange ich noch in München lebte, habe ich das nicht gemerkt, obwohl es bereits Anzeichen dafür gab. Wolfgang und ich haben uns ja meist nur am Wochenende gesehen. Er ist kaum bei mir gewesen, als seine Mutter auch schon angerufen hat.«
»Du hast Maria Vogt ja inzwischen bestimmt schon persönlich kennengelernt«, meinte Franziska schriftlich. »Ist sie freundlich zu dir?«
»Nein, ich habe sie noch nicht kennengelernt«, erwiderte Silvia. »Bis jetzt hat sie sich geweigert, mich zu sehen. Wolfgang meint, wir müßten ihr Zeit lassen. Wir… Kennst du diese Frau?«
Franziska nickte. »Sie gehört zu den Patienten von Doktor Baumann.«
»Was kannst du mir über sie sagen?«
Franziska hob die Augenbrauen.
»Ich möchte ja nur wissen, wie sie sich anderen Leuten gegenüber verhält«, stellte Silvia richtig. »Ich könnte mir vorstellen, daß sie keine Frau ist, mit der man so ohne weiteres auskommen kann.«
»Sie ist schwierig«, gab Franziska zu. »Tut mir leid, aber mehr kann ich dir nicht sagen. Du weißt, die Schweigepflicht.«
»Nun, daß sie schwierig ist, bestätigt nur den Eindruck, den ich von ihr habe.« Ihre Freundin stand auf. »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie und trat ins Wohnzimmer. Es dauerte nicht lange, bis sie mit einem Tablett zurückkehrte, auf dem Geschirr, Kaffee und ein Schälchen mit Konfekt standen.
»Du hast heute wirklich einen Großangriff auf meine Linie vor«, meinte Franziska.
»Ach, was soll’s?« Silvia winkte ab. »Außerdem könntest du es dir leisten, sogar noch etwas zuzunehmen«, bemerkte sie lachend. »Abgesehen davon wirst du sicher nicht jeden Tag mit Konfekt vollgestopft.« Sie schenkte Kaffee ein. »Wolfgang hat mit mir nur wenig über seine erste Ehe gesprochen, aber ich habe auch gehört, was er mir nicht gesagt hat. Wie es aussieht, ist seine Mutter dafür verantwortlich, daß seine Ehe mit Barbara scheitern mußte. Sie scheint zu den Müttern zu gehören, die ihren Kindern keinen Freiraum zugestehen. So wie ich es sehe, hat sie sich nach dem Tod ihres Mannes regelrecht an ihren Sohn geklammert.«
»Ja, so wird es wohl sein«, schrieb Franziska. »Wie verhält sich dein Verlobter dazu? Ich meine, es ist doch sicher auch für ihn nicht einfach, ständig von ihr gefordert zu werden.«
»Ja, doch er gibt es nicht zu. Er findet hundert Entschuldigungen für seine Mutter«, erwiderte die Malerin ärgerlich. Sie erzählte, daß Maria Vogt vor einigen Tagen mitten in der Nacht angerufen hatte, weil sie nicht schlafen konnte und Wolfgang ihr unbedingt ein bestimmtes Schlafmittel aus der Nachtapotheke holen sollte.
»Und hat er es getan?«
»Natürlich.« Silvia stieß heftig den Atem aus. »Ich liebe Wolfgang, ich liebe ihn über alles, manchmal glaube ich jedoch, es nicht mehr ertragen zu können, daß er sofort in Habichtstellung geht, wenn seine Mutter pfeift. Sie…« Die junge Frau winkte ab. »Jetzt haben wir genug von mir gesprochen. Wie geht es deinem Vater ? – Kann er schon wieder laufen?«
Franziska griff nach ihrem Block. »Soweit geht es meinem Vater ganz gut«, schrieb sie. »Laufen kann er allerdings noch nicht wieder richtig, doch er macht täglich Fortschritte. Wir geben uns auch alle viel Mühe, ihn wieder auf die Beine zu bringen.«
»Es ist bestimmt nicht leicht. Ich könnte mir vorstellen, daß dein Vater oft ziemlich ungeduldig ist.«
Die Krankengymnastin nickte. »Das kann man laut sagen«, meinte sie. »Andererseits können wir auch verstehen, wie frustrierend es sein muß, tagaus, tagein im Rollstuhl sitzen zu müssen und nicht mehr tun und lassen zu können, was man will.«
»Und was ist mit deinem Vetter? – Läuft er dir noch immer nach?«
Franziska verdrehte die Augen. »Paul ist ein netter Kerl, nur will er leider nach wie vor nicht einsehen, daß ich ihn nicht liebe. Mein Vater macht es ihm in dieser Hinsicht auch nicht gerade leicht. Er sagt Paul ständig, wie wunderbar es wäre, wenn er mich heiraten würde.«