Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur - Alexander Unzicker - E-Book
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Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur E-Book

Alexander Unzicker

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Beschreibung

Was auch immer in den Nachrichten kommt, eines ist sicher: Wir scheitern zunehmend daran, uns ein objektives Bild der Realität zu machen. Während uns die "Breaking News" aus aller Welt in Atem halten, entziehen sich entscheidende Veränderungen unserer Aufmerksamkeit: Digitalisierung, Überwachung, die enger werdenden Grenzen der Meinungsfreiheit. Der Physiker, Jurist und Kognitionsforscher Alexander Unzicker analysiert die Herausforderungen für unser Denken im postfaktischen Zeitalter und schafft Orientierung im großen Durcheinander. Vor allem aber fordert er von uns allen mehr Mut, den eigenen Verstand zu gebrauchen - auch ohne fremde Anleitung.

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Ebook Edition

Alexander Unzicker

Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur

Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-864-89735-1

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2019

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Inhalt
Vorwort zur Taschenbuchausgabe 2022
Einleitung Warum brauchen wir den Verstand?
Teil 1: Sehen
Nachrichtenflut –Die Überreizung unserer Gehirne
Mentale Fehlernährung
Digitale Vermüllung
Die Flut dringt durch die Dämme
Informationstsunami für Höhlenmenschen
Einfallstore für Schrottinformation
Datenlawine statt Wissenszuwachs
Vollgepumpt mit Neurotransmittern
Medien-Krise – Das Versagen bei der Auswahl der Information
Aktualität sticht Gründlichkeit
Die Lückenpresse
Die Profi-Auswähler oder wie man mit Fakten lügen kann
Ausgewogenheit wiederherstellen
Drucken und drucken lassen
Das Scheitern der vierten Gewalt
Weise Worte kostenlos
Prekariat überall
Objektivität schleicht in den Hintergrund
Das Ende des Journalismus?
Echte Fake News – Auf der Suche nach Objektivität
Wahr und falsch wäre zu kurz gegriffen
Nicht alles Falsche ist gewollt
Unwahrheiten, die ins Bild passen
Stolpern über die Wahrheit
Eine kurze Geschichte der Lügen
Geheimdienste als Nachrichtenagenturen
Strategien gegen Fakes – historische Orientierung
Nachrichtenangebot ist nötig
Sprach-Manipulation –Die unsichtbare Einflussnahme auf das Denken
Hysterie annektiert den Verstand
Terroristen überall
Der Fingerabdruck der Propaganda
Schlagzeilen der Ängste
Verstehen als Schimpfwort und andere Schmähbegriffe
Es wächst zusammen, was nicht zusammengehört
Enzyklopädisches Anpöbeln
Alles andere als harmlos
Klare Worte reinigen
Narrativ-Dominanz – Vom westlichen Imperium nur Gutes
Bestandsaufnahme in Aufrichtigkeit
Am Anfang war die Wahl – Deep State USA
Staatsguerilla
Die Welt, das bin ich – das Imperium
Woher die Aggressivität?
Suche nach Ursachen
Wissen wird Macht, Macht schafft Daten
Zahlen sammeln statt grundlegenden Fragen nachgehen
Auch die Wissenschaft vor dem Crash?
Zensur-Beginn – Das postindividuelle Zeitalter der totalen Kontrolle
Realität weltweiter Überwachungsstaat
Das Imperium schlägt zurück
Offener Informationskrieg
Die langsamen Mühlen der Zensur
Meinung auf der Schmalspur
Schöne neue Medienwelt
Gedanken an der Kette statt Kette von Gedanken
Garantierte Seriosität
Teil 2: Denken
Bewusst unbewusst – Über die Kunst, sich nicht selbst zu täuschen
Die zwei Ichs
Unbewusste Entscheidungen
Warum Propaganda wirkt
Statistische Fallstricke
Naheliegend, aber knapp daneben
Die Mutter aller Filterblasen
Das Bild als Schein der WirklichkeitXLIV
Die Illusion rationalen Handelns
Erkennen heißt nicht Entwarnung
Eigensinn gegen Massenunsinn – Wie man dem Gruppendenken entgeht
Freiwilliger Wahn
Schwarmdemokratie
Dilemma der Wahrheitssucher
Herdenwissenschaft und Rudeljournalismus
Die langsame Reise nach Absurdistan
Wikipedia total
Inzestuöses Denken
Die Schweigespirale
Lieber auf nichts verlassen
Individueller Menschenverstand statt kollektiver Meinung
Denken im Fokus der Gegenwart – Die unsägliche Irrelevanz des Aktuellen
Nullrelevanz
Wozu eigentlich Gegenwart?
Flüchtiges Gerede, Denken auf Standby
Breaking Science ersetzt Great Science
Offene Geheimnisse nur in der Vergangenheit
Positiver und negativer Fokus
Lieber Rüsten des Verstandes
Evidenz statt Inszenierung – Über Transparenz, Quellen und Rohdaten
Die richtige Methode
Autorität ist keine Lösung
Die Datenrevolution: Freiheit, Offenheit, Reproduzierbarkeit
Du sollst dir schon ein Bildnis machen
Outgesourcte Glaubwürdigkeit
Nobelpreis für Geheimwissenschaft
Am Anfang war das Wort
Der Kampf um die Echtheit
Das beste Bild der Wirklichkeit
Cui Bono? – Über Logik, Theorien und Verschwörungen
Was ist eigentlich eine Verschwörungstheorie?
Verschwörungswissenschaft und nicht mehr widerlegbare Geschichten
Verkannte Visionäre
Verschwörungen und Märchen in Schwarz-Weiß
Moralkeule auf den Kopf
Die Terrorindustrie
Tabu ist einfacher als Aufklärung
Phantom statt Evidenz
Strategie der Spannung und Taktik der Diffamierung
Unterstützung von der Statistik
Please, Engage Your Brain!
Teil 3: Handeln
Einkehr – Warum ein wacher Verstand Mediendiät braucht
Wie geht es weiter?
Gesunde Informationsernährung
Technologie oder Entschleunigung?
Bücher, die geistigen Tankstellen
Leben ohne den Meinungsvulkan
Die Welt einfach nicht kaputt machen
Vorsicht Volk
Recht – Was wir unbedingt verteidigen müssen
Nur getrennte Gewalten sind gute Gewalten
Zornesadern
Das juristische Neuland
Ziemlich tiefer Staat
Technologie als Ursache der Korruption der Macht?
Was kann man tun?
Die vierte Gewalt an der Kette
Drittwirkung von Grundrechten
Der Meinung des Grundgesetzes Gehör verschaffen
Unrecht vor die Kulissen zerren
Frieden – Das höchste Gut in Gefahr
Spaltung und Fusion
Einige Male knapp entkommen
Verantwortungslose Gegenwart
Spieltheorie der Verständigung oder Vernichtung
Konventionell tot ist auch tot
Widerwärtige Kriegsspielchen
Frieden der Wissenschaft
Rüstung im Großen und Kleinen
Die falsche Allianz
Silberstreif am Horizont
Freiheit – Eintreten für die Grundlage des Denkens
Alles verloren? Nein!
Freiheitsfeinde unter dem Radar der Aufmerksamkeit
Unfreier Zeitgeist, unfreier Geist
Erwünschte Verletzungen
Alter Wein in neuen Schläuchen
Die letzte Hoffnung
Steingewordene Freiheit
Schlimmer kann es nicht kommen
Die mentale Festung
Epilog
Ergänzende Nachrichtenquellen
Literatur
Anmerkungen

Dr. Alexander Unzicker ist theoretischer Physiker, Jurist und promovierte in der kognitiven Psychologie. Sein Buch »Vom Urknall zum Durchknall« (Springer Verlag) über den Zustand der modernen Physik wurde als »Wissenschaftsbuch des Jahres« gekürt und erschien in den USA unter dem Titel Bankrupting Physics (Macmillan). Neben seiner Vortrags- und Forschungstätigkeit betreibt Unzicker auch den YouTube-Kanal Real Physics, der der Diskussion grundlegender Fragen gewidmet ist, unter anderem auch mit Interviews von Nobelpreisträgern. Bei Westend erschien zuletzt sein Buch »Einsteins Albtraum. Amerikas Aufstieg und der Niedergang der Physik« (2022).

Vorwort zur Taschenbuchausgabe 2022

Als ich vor drei Jahren in diesem Buch Virusepidemien eher beiläufig als Gefahr für die Zivilisation erwähnte (S.179), hatte ich nicht geahnt, dass dies so bald Realität werden sollte. Seitdem hat Corona die Welt gründlich verändert – ein klassischer Fall eines »schwarzen Schwans«, wie Nassim Taleb solche Ereignisse mit unterschätzter Wahrscheinlichkeit bezeichnete.

Das Virus legte auch eine Pandemie des Versagens offen, von staatlichen Einrichtungen, Politikern, Experten, Medien aber auch von ganzen Gesellschaften. Es gab Beispiele von Inkonsequenz, Inkompetenz und Irrationalität, die man nicht für möglich gehalten hätte. Gleichzeitig wurde der öffentliche Diskurs immer mehr von Emotionen und moralisierenden Stimmen dominiert, sodass eines heute mehr denn je notwendig ist: der Gebrauch des eigenen Verstandes.

Man stellt betroffen fest, dass viele Vorhersagen eingetroffen sind, die als »Verschwörungstheorien« (vgl. Kap. II5) diffamiert worden waren. Umgekehrt haben sich zahlreiche alternative Medien auch nicht mit Ruhm bedeckt, indem sie hartnäckig die Gefährlichkeit des Virus verneinten. Bereitwillig verließen auch sie sich auf die Meinung irgendwelcher Experten mit schönen Titeln, waren aber unfähig, eine einfache Rechnung mit der Exponentialfunktion nachzuvollziehen.1 Nach dem Lockdown entdeckten viele ihre Fähigkeiten als Amateurstatistiker, welche alle offiziellen Zahlen der vermeintlichen Lüge überführten – während die Direktoren des Robert-Koch-Instituts schon mit einfachen Kopfrechnungen überfordert waren. In einem medialen Schaulaufen wurden Virologen zu den neuen Wissenschaftsstars, obwohl sich etliche ihrer Aussagen als falsch herausstellten, was dann als Lernkurve der Forschung dargestellt wurde. Für den historischen Beobachter war Corona auch ein Lehrstück in Autoritätsgläubigkeit.

Teile der sogenannten Querdenker benahmen sich wie trotzige Kinder, die ihre heile Welt von früher zurückhaben wollten. Ein verantwortungsvolles Abstandhalten oder das Tragen einer Maske wurde zu einem Grundrechtsdrama aufgebläht, jede notwendige Einschränkung der Normalität als Faschismus gebrandmarkt.

Dass Corona sich tatsächlich weltweit als ein Katalysator für totalitäre Maßnahmen erwiesen hat, kann man umgekehrt auch nicht bestreiten. Mit fragwürdigsten Begründungen sperren twitter und facebook, wie es ihnen passt,2 YouTube löscht nicht nur einzelne Videos nach Gutdünken, sondern ganze Kanäle, am bekanntesten in Deutschland waren KenFM und RT Deutsch.3

Niemand mit wachen Sinnen kann jedoch entgangen sein, dass diese Ausbreitung der Zensur auch schon vorher in vollem Gange war (vgl. Kap. I 6). Der Mainstream wusste bereits seit geraumer Zeit, was politisch-moralisch richtig ist, nun definiert er auch »medizinische Fehlinformation«, auf Deutsch: alles, was die Profite der Pharmaindustrie gefährden könnte. Dass der totalitäre Gedanke, sogenannte Fake News seien nicht durch Aufklärung zu bekämpfen, sondern müssten gelöscht werden, mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert ist, kam für meine Leser zwar nicht überraschend, das Tempo dieser Entwicklung macht jedoch auch mich fassungslos. George Orwells Wahrheitsministerium im Roman 1984 lässt grüßen.4

Absichtlich wurden die toten Links zu YouTube-Videos hier nicht entfernt; allein ihre Anzahl ist besorgniserregend. Wahrscheinlich wird es dem Leser in einigen Jahren so ergehen, wenn er manche Internetseiten aufrufen will.5 Unabhängige Blogger werden inzwischen von den Landesmedienanstalten kostenpflichtig abgemahnt, wenn sie »journalistische Qualitätsstandards« nicht einhalten, gegen die die großen Medien beliebig verstoßen dürfen. Dies ist evident grundgesetzwidrig, ob aber ein Gericht den Mut hat, dem auch rechtzeitig Einhalt zu gebieten, ist fraglich.

Die offenkundig fehlende Unabhängigkeit der Personalie Harbarth6 an der Spitze des Bundesverfassungsgerichts kennzeichnet jedenfalls den Niedergang dieses einstigen Leuchtturms der Gewaltenteilung. Auch eine Korrektur der Corona-Impfpflicht, eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einem Rechtsstaat, kann nicht mehr automatisch erwartet werden.

Die in Sonntagsreden existierende vierte Gewalt Presse scheut vor konsequent kritischer Berichterstattung zunehmend zurück (vgl. Kap. I 2 bis 5). In einem vorauseilenden Gehorsam breitet sie einen Mantel des Schweigens über jedes Thema, das den Mächtigen zu nahe treten könnte. Investigative Berichte über Wirtschaft, Industrie oder Behörden sind Mangelware, außenpolitisch buckelt man vor dem Imperium USA, dass sich, siehe Nord Stream 2, immer unverfrorener in unsere Angelegenheiten einmischt.

Aufrüstung mit einer Ausgabensteigerung von über 50 Prozent – kein Mensch weiß wofür – wird unter der Verpackung »2 Prozent Bruttoinlandsprodukt« verkauft, obwohl jeder weiß, dass es sich um eine Subvention der US-Rüstungsindustrie handelt. Offenbar wird Nachschub für die zwei Billionen verschwendeten Dollar gebraucht, die jüngst in Afghanistan ihr unrühmliches Ende fanden. Einer der ersten, der dies unverblümt aussprach (neben den Kriegsverbrechen im Irak), war Julian Assange, der im zum US-Vasallen herabgesunkenen Großbritannien in einem nicht enden wollenden Gerichtsverfahren traktiert wird – laut dem UN-Menschenrechtsbeauftragten Nils Melzer handelt es sich um Folter. Wer berichtet darüber? Vor allem Craig Murray (S.34, 41), der kürzlich wegen einer Nichtigkeit zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Für aufrechte Meinungsfreiheit waren die vergangenen drei Jahre ein Kahlschlag.

Kriegsvorbereitungen der USA, wie zum Beispiel gegenwärtig in der Ukraine, kommen in den Medien nicht vor. Gleich den Politikern begreifen sie sich als Untertanen des militärisch-industriellen Komplexes, der die Sicherheit Europas zur Geisel seines Profitstrebens macht. Auch die offensichtliche Korruption7 der europäischen Arzneimittelbehörde EMA, welche die Zulassung russischer und chinesischer Impfstoffe verzögert, wird nicht thematisiert. Das immer geringere Vertrauen, das man offiziellen Informationen entgegenbringen kann, führt zu einer Verunsicherung und Spaltung der Gesellschaft, die allenthalben sichtbar wird. Ganz langfristig liegt die Ursache dieser Krise der westlichen Sphäre wohl in der geistesgeschichtlichen Rekolonialisierung Europas durch die USA, übrigens auch im Bereich der Wissenschaft.8

Solange eine Oligarchie des Geldes herrscht, die sich um Frieden und Bewohnbarkeit des Planeten nichts schert, wird sich wenig zum Besseren wenden. Europa wäre gut beraten, angesichts eines sich langsam abzeichnenden Systemzusammenbruchs in Amerika Abstand zu halten, ist aber wohl zu abhängig, dies zu realisieren. So sind wir Zuschauer, wie das (noch) mächtigste Imperium die Welt destabilisiert und in Unruhe versetzt.

Dass das Coronavirus auch ein Teil dieses Spiels ist, klingt sehr »verschwörungstheoretisch«, kann man aber auch nicht ausschließen. Auch hier wird wieder das Versagen der Medien deutlich, die das Ammenmärchen der Entstehung auf dem Wildtiermarkt nachbeten, obwohl der Bezug zu dem Wuhan Institute of Virology unübersehbar ist.9 Nur hat keine Großmacht Interesse, dies zu thematisieren: China fürchtet unendliche Regressansprüche des Westens (wiewohl dieser in seiner Inkompetenz die Höhe des Schadens großenteils selbst verursacht hat), während die USA tunlichst vermeiden wollen, dass ihre schmutzigen Aktivitäten in der Biowaffenforschung ins allgemeine Bewusstsein dringen – etwa durch Fragen nach den Geheimlaboren beispielsweise in Georgien und der Ukraine.10

Es spricht einiges dafür, dass es ein Laborunfall war, jedoch muss man sich bewusst sein, dass mit der beliebigen Manipulierbarkeit von genetischer Information das Zeitalter der Biowaffen prinzipiell eröffnet ist, ein wenig vergleichbar mit 1932, als durch Entdeckung des Neutrons Atomkerne verändert werden konnten. Jedenfalls hätten heute viele Genlabore die Möglichkeit, neu konstruierte Erreger in Umlauf zu bringen.11 Aus dieser, wenn auch nicht gerade angenehmen Perspektive, hat der Ausbruch der Pandemie sogar den gewissen Nutzen, dass die Welt gegenüber biologischer Kriegführung nicht gänzlich unvorbereitet ist. Masken, Desinfektionsmittel und digitale Kommunikationsplattformen werden nicht mehr so fehlen wie früher.

Trotzdem wird das nächste »schwarze Schwan« wahrscheinlich aus einer Richtung kommen, an die bisher kaum jemand gedacht hat (S.179 ff.). Global gibt es viel zu wenig Resilienz gegenüber diesen großen Menschheitsgefahren, hauptsächlich deshalb, weil sich die Staaten der Welt eitlen Konkurrenzkämpfen hingeben, anstatt sich als eine verletzliche Zivilisation zu begreifen, die sich ihren Bedrohungen gemeinsam stellen muss.

Die Decke der Zivilisiertheit ist dünn. Dies zeigte sich schon am Anfang der Pandemie, als viele es offenbar normal fanden, alte Menschen sterben zu lassen. Aber auch das jetzige Durchregieren und die immer lückenlosere globale Überwachung erschüttert unsere Grundwerte. Zweifellos ist die Welt ein Stück unfreier geworden. Umso notwendiger ist es, furchtlos einzufordern, was für ein humanes Zusammenleben unabdingbar ist: Recht, Frieden, Freiheit.

Möge Sie ein aufgeklärter Verstand auf diesem Wege begleiten.

Einleitung Warum brauchen wir den Verstand?

Fühlen Sie sich auch manchmal überwältigt von Informationen, die schneller auf uns einprasseln, als wir sie verarbeiten können? Beunruhigt von Ereignissen rund um den Globus, die ein diffuses Gefühl von Bedrohung vermitteln? Verspüren Sie eine Verunsicherung, wie all dies einzuordnen ist? Dass die Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen marginal sind angesichts der Nachrichtenflut und dennoch ein regelrechter Informationskrieg tobt? Dieses Buch versucht, dieser Situation mit dem Verstand zu begegnen.

Reflektiert man die Evolution höherer Lebewesen auf dem Planeten Erde in den letzten fünfhundert Millionen Jahren, fragt man sich, ob die sogenannte Krone der Schöpfung, Homo sapiens, im Moment noch recht bei Trost ist. Im Jahr 2018 dominierte beispielsweise eine internationale diplomatische Krise über Wochen hinweg die Berichterstattung, nachdem zwei Menschen in einer südenglischen Stadt mit einem Nervengift in Kontakt gekommen waren. Ohne Klärung der näheren Umstände wurde dies als »erster Einsatz von Massenvernichtungswaffen auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg« bezeichnet.

Meldungen wie diese lassen am Verstand der Menschheit zweifeln. Der obige Vergleich ist nicht nur angesichts der 65 Millionen Toten jenes Krieges unpassend, sondern auch deswegen absurd, weil es gleichzeitig keine Debatte darüber gibt, dass die Menschheit über ungefähr fünfzehntausend Sprengköpfe von Atom- und Wasserstoffbomben verfügt, welche im Prinzip jeden Tag zum Einsatz kommen können – durch verbrecherisches Handeln oder auch einen dummen Zufall. Dies würde nicht nur dem ein Ende setzen, was wir seit Jahrtausenden als Kultur des Humanismus ansehen, sondern möglicherweise unsere ganze Art auf der Erde auslöschen – wobei man in diesem Fall die Bezeichnung »Homo sapiens«, verständiger Mensch, hinterfragen muss: Die Menschheit verhält sich offenbar irrational.

Damit sind auch die Motive genannt, die mich als Naturwissenschaftler veranlassen, ein Buch mit weitgehend politischem Inhalt zu schreiben. Irrationalität ist immer ein Alarmsignal für das gesellschaftliche Zusammenleben. Erst recht darf niemand tatenlos zusehen, wenn diese Irrationalität den Frieden bedroht. Die Wissenschaft, die nicht nur die Segnungen dieser Zivilisation entwickelt hat, sondern auch deren schlimmste Vernichtungswaffen, trifft hier eine besondere Verantwortung, in verrückten Zeiten nicht zu schweigen.

»Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas Seltenes – aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel.« – Friedrich Nietzsche

Besorgniserregend ist im Moment der Zustand der Medien, die nicht nur oft eine irrationale Aggressivität an den Tag legen, sondern gerade dort starke Emotionen hervorrufen, wo der Gebrauch des Verstandes nötig wäre. Dabei hat die Berichterstattung, selbst was die Tatsachen betrifft, weltweit an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Man fühlt sich manchmal in einem postfaktischen Zeitalter, wo unter einer Vielfalt von Behauptungen die Wahrheit nicht mehr aufzufinden ist. Gleichzeitig nimmt die Toleranz gegenüber anderen Meinungen ab.

Als Bastion der Glaubwürdigkeit gilt die Wissenschaft, auf der die moderne Zivilisation basiert und die bis heute die verlässlichsten Fakten liefert. Mit ihrer Hilfe gelangte die Menschheit in das Zeitalter der Aufklärung, ins Reich des Verstandes. Allerdings muss wahrhaft aufgeklärtes Denken auch den Zustand der Wissenschaft immer wieder hinterfragen. So zeigt leider eine nähere Betrachtung, dass sich heute sogar die Grundlagenwissenschaften in einer Krise der Irrationalität befinden.

»Ist es möglich, dass es unser Universum gar nicht gibt?«1 titelte jüngst ein deutsches Nachrichtenmagazin und berichtete, dass dieser Verdacht eines »hochgeachteten Physikers aus Harvard« die »Fachwelt erschüttere«. Dies war keineswegs Satire, sondern gilt gegenwärtig tatsächlich als Naturwissenschaft. Viele weltweit führende Institute beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Theorien, für die es nicht den geringsten experimentellen Hinweis gibt – obwohl seit Galileo Galilei die Beobachtung der Natur die methodische Grundlage des Verständnisses der Realität ist. Dennoch werden zum Beispiel reine Spekulationen über Sekundenbruchteile nach dem Urknall als gesicherte Wahrheiten bezeichnet, was keineswegs weniger bizarr ist als manche Darstellungen politischer Ereignisse in den Medien.

»Wer dich veranlassen kann, Absurditäten zu glauben, der kann dich auch veranlassen, Gräueltaten zu begehen.« – Voltaire

Bei dieser Bestandsaufnahme beziehe ich die Wissenschaft nicht aus persönlicher Vorliebe mit ein. Vielmehr sind über lange Zeiträume wissenschaftlich-technische und gesellschaftliche Entwicklungen eng verbunden, was dem vornehmlich politisch interessierten Leser vielleicht nicht immer bewusst ist. Aber unsere heutigen Lebensbedingungen und Werte hängen mehr von Isaac Newton, Michael Faraday und Albert Einstein ab als von Julius Cäsar, Napoleon Bonaparte oder irgendeinem US-Präsidenten.

Insofern muss man sich, sofern man sich für den Fortgang der Zivilisation interessiert, auch über den Zustand der Grundlagenwissenschaft Gedanken machen. Meine Sicht ist dabei sicher von der Physik geprägt, jedoch kämpfen offenbar auch andere Gebiete mit ähnlichen Problemen. Die in späteren Kapiteln angesprochenen Parallelen von Wissenschaft und Gesellschaft werden vielleicht manchem Leser etwas unvermittelt erscheinen, zeigen jedoch oft gemeinsame Ursachen auf. Obwohl wir über immer mehr Informationen verfügen, scheitern wir zunehmend daran, ein überzeugendes Bild der Realität zu formen.

All dies deutet auf eine Krise der Zivilisation im 21. Jahrhundert, deren Errungenschaften die Fähigkeiten von Homo sapiens überfordern. Das Tempo der Evolution ist offenbar nicht schnell genug, um die Eigenheiten des menschlichen Denkens an die heutige Zeit anzupassen. Einer objektiven Sicht besonders abträglich ist die starke Konzentration auf das Jetzt. In unserem Denken räumen wir der Gegenwart einen viel zu großen Platz ein. Der Konsum von Aktuellem betäubt dabei geradezu den Verstand, indem er unsere Aufmerksamkeit auf Irrelevantes lenkt. Dem rationalen Verhalten ebenso hinderlich ist das Bedürfnis, Verhalten an der sozialen Umgebung auszurichten. Sowohl in der Wissenschaft als auch bei gesellschaftlichen Themen ist Gruppendenken sehr viel mehr verbreitet, als sich dies der Einzelne eingestehen möchte.

Vor langer Zeit hat deshalb Immanuel Kant Aufklärung als die Fähigkeit bezeichnet, sich seines Verstandes ohne Anleitung anderer zu bedienen – nur in diesem Sinne ist der Untertitel dieses Buches zu verstehen. Es mindert den Wert von Kants Überlegung nicht, dass sich in den letzten 250 Jahren unser Wissen über das menschliche Gehirn dramatisch erweitert hat. Die Erkenntnisse zur Gehirnphysiologie, Gedächtnispsychologie und zu kognitiven Illusionen können, wenn richtig angewendet, den Verstand enorm unterstützen. Gleichzeitig hat sich die Zivilisation so verändert, dass der Gebrauch des Verstandes auf viel mehr Hindernisse trifft als zu Kants Zeiten. Sein Leitspruch sapere aude, zu denken wagen, verdient daher eine Erinnerung, ist aber auch aktuell vielleicht nötiger denn je.

Wir können als Art auf diesem Planeten wahrscheinlich nur dann überleben, wenn es uns gelingt, Rationalität zur Maxime unseres Handelns zu machen. Voraussetzung dafür ist eine einigermaßen verlässliche Wahrnehmung des Weltgeschehens. Jeder Einzelne steht also vor der Herausforderung, aus der Vielfalt der auf uns einströmenden Informationen ein sinnvolles Abbild der Realität zu formen.

Dieses Buch gliedert sich daher in drei Teile. Sehen handelt von der Aufnahme der Information, die schon mit Schwierigkeiten verbunden ist. Nicht nur die Menge und die Auswahl, die uns dargeboten wird, stellt ein Problem dar, sondern auch die Überprüfung der Richtigkeit. Verzerrungen unter einem bestimmten Narrativ sind in der Berichterstattung heute nicht selten, und leider findet man auch bestimmte Arten von Unterdrückung, die man als Anfänge einer Zensur bezeichnen kann.

Denken beschäftigt sich mit der Verarbeitung der Information. Entgegen unserem Selbstbild als rationale Wesen müssen wir uns dabei zahlreicher kognitiver Illusionen bewusst werden, die unser Urteil beeinträchtigen und uns manipulierbar machen. Ein rationales Weltbild kann dagegen nur auf logischen Erwägungen und Evidenz basieren.

Handeln wirft die Frage auf, wozu wir überhaupt Information aufgenommen haben. Handlungsfähigkeit erfordert eine Be­schrän­kung dieses Konsums, um sich auf die wichtigsten Werte zu konzentrieren, die die Zivilisation erhalten muss: Recht, Frieden, Freiheit. Nur die Verteidigung dieser Werte und ein Fortschritt des Wissens eröffnen die Perspektive, die kosmologisch irrelevante Zeitspanne unserer Existenz signifikant zu verlängern.

Wir leben in einer ziemlich verrückten Welt. Immer mehr Informationen werden immer weniger zuverlässig, sodass wir einen kräftigen Filter installieren müssen, bevor wir unsere Überzeugungen und unser Bild der Realität formen. Es gilt, unseren Verstand zu rüsten: Interessen hinter einer Information zu erkennen; skeptisch sein, wenn sie Unerfreuliches rechtfertigt; sich bewusst machen, dass die eigene Interpretation von persönlichen Erwartungen und denen unserer Umgebung abhängig ist. Schlussendlich müssen wir den Mut entwickeln, uns beim Denken und Handeln unseres eigenen Verstandes ohne Anleitung anderer zu bedienen. Fangen wir an, den Verstand wieder gründlich zu gebrauchen! Wir sind es unserer Art, die sich auf diesem wundersamen Planeten im Universum entwickelt hat, schuldig.

Teil 1: Sehen

»Kann man ein unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen? Ist das unscharfe Bild nicht oft gerade das, was wir brauchen?« – Ludwig Wittgenstein

Nachrichtenflut –Die Überreizung unserer Gehirne

Millionen Nervenzellen feuern, sobald wir die Augen öffnen. Von der Netzhaut ausgehend verbreiten sich diese Signale zu den etwa hundert Milliarden Zellen im ganzen Gehirn. Dennoch ist das meiste der aus elektrischen Strömen bestehenden Information für immer verloren. Nur ein verschwindend geringer Teil wird chemisch in Synapsen gespeichert, jenen Verbindungspunkten zu anderen Nervenzellen, von denen jede Zelle über mehrere Tausend verfügt.

Auch der größte Teil dieser Kurzzeitspeicherung ist vorübergehend, und nur die allerwichtigste Information, abhängig von unserer Aufmerksamkeit und unserem emotionalen Zustand, bleibt als Langzeitgedächtnis erhalten, das erstaunliche Erinnerungsleistungen über Jahrzehnte hinweg vollbringt. Wir empfinden unser Gedächtnis wie ein Videoarchiv unseres bisherigen Lebens, obwohl die biologische Speicherfähigkeit gerade einmal für ein paar Wochen reichen würde. Dem Schutz vor »Überschreiben« von Gedächtnisinhalten dient unter anderem der hierarchische Aufbau des Gehirns, zu dem physiologisch schon die Netzhaut gehört. Ein raffinierter Mechanismus von Augenbewegungen sorgt dafür, dass wir unseren Blick auf das Wesentliche richten, vieles wird unbewusst ergänzt, sodass ein großer Teil unseres Gesichtsfeldes überhaupt nur aus einer Illusion besteht.

Das Bildgedächtnis spielte eine überragende Rolle in der Evolution. Die damit verbundene Fähigkeit, dreidimensionale Bewegungsabläufe im Gehirn zu simulieren, war wohl entscheidend dafür, dass wir unter den Tierarten auf der Erde heute eine herausragende Rolle einnehmen. Es ist das Gehirn, was uns zu Menschen macht. Nur aufgrund seiner besonderen Eigenschaften haben sich unsere Intelligenz und schließlich die Zivilisation entwickelt.

Das Gehirn und sein dominierender Kanal, das Sehen, sind ein fantastisches, aber auch filigranes System der Informationsverarbeitung. Es birgt unser gesamtes Wissen, unsere wertvollsten Erinnerungen und charakterisiert uns als Individuum. Angesichts dessen ist es doch gelinde gesagt erstaunlich, wie wenig wählerisch und in welchen Mengen wir heute Information aufnehmen. Das gilt erst recht, weil das Gehirn gar nicht anders kann, als zu lernen, auch bei sogenannter Unterhaltung. Mehr als wir wollen, sind wir das Produkt dessen, was wir wahrnehmen.

Mentale Fehlernährung

Welche Auswirkungen die moderne Informationsgesellschaft auf unsere Art hat, ist uns wohl kaum bewusst. Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte hatte unser Gehirn nur wenige Bilder der vertrauten Umgebung zu verarbeiten, selbst Schrift musste erst mühsam erlernt werden. Die möglichen Folgen des exzessiven Konsums von Fernsehen, Computerspielen und digitalen Medien sind eigentlich offensichtlich, werden aber selten thematisiert.I Vor allem müssen uns dabei die noch sehr formbaren Gehirne von Kindern und Jugendlichen beunruhigen, insbesondere weil sich die Folgen für die Gesellschaft erst eine Generation später zeigen. Wenn man zappelige Achtjährige beobachtet, die stundenlang nicht von ihrem Display lassen können, gerät man ins Grübeln. Langfristig könnte das zu einem Suchtverhalten wie bei Alkohol oder anderen Drogen führen.

Obwohl bei vielen Computerspielen nur primitive Reaktionsmuster gelernt werden, verbrauchen sie trotzdem mentale Ressourcen. Wenn ein Jugendlicher auf diese Weise den Abend vor dem Bildschirm verbracht hat und am nächsten Morgen beim Lernen entsprechend unmotiviert ist, sollte dies ebenso wenig verwundern wie Appetitlosigkeit nach einem Eimer von Kartoffelchips. Viele Jugendliche kommen heute in den Genuss von beidem. Wie im Fall von Tabak wird der Konsum von einer Lobby gefördert, und die Folgen sind wohl von niemandem vorhersehbar. Ganz allgemein erinnert aber der leichtfertige Umgang mit unserem Gedächtnis an die unbedachte Verschmutzung der Umwelt zu Zeiten der Industrialisierung. Verantwortung für die nächsten Generationen ist nicht wirklich zu erkennen.

»Gucken Sie einfach mal, was im Fernsehen serviert wird für die Zielgruppe der 14-jährigen … Da werden Minderjährige aufeinander gehetzt, die sich gegenseitig demütigen, bis einer in Tränen ausbricht oder aggressiv wird, der andere darf bleiben und wiederkommen und kriegt dreißig Euro … Wenn Ihnen das noch nicht reicht, dann bleiben Sie dran bis zur Zielgruppe der 19- bis 24-jährigen, wo Dieter Bohlen kleine Mädchen fertigmacht … und dann kommt Dünnhungern mit Heidi Klum oder Dreckfressen mit Dirk Bach – das Gegenteil von Heidi Klum – … Dieses Dschungelcamp, wo abgehalfterte Scheinprominente […] sich füttern mit Ungeziefer, auf das sie wahrscheinlich vorher noch uriniert haben, und wer’s am längsten im Magen behalten kann, der kriegt Geld, Anerkennung, eine eigene Sendung!« – Kabarettist Georg Schramm

Digitale Vermüllung

Ebenso wie ganze Industriezweige davon leben, den Menschen nutzlose Produkte zu verkaufen und dabei Ressourcen zu Abfall zu verwandeln, profitieren heute Spiele- und Computerhersteller sowie die Fernseh- und Unterhaltungsindustrie davon, die Gehirne der Menschen mit wertlosen Inhalten zu füllen.

Leider verschwimmt die Grenze zur sinnvollen Information auch in den Nachrichten, wo es mittlerweile redaktionelle Berichte über den Inhalt von Krimis gibt und die nahtlos übergehen in Unwichtigkeiten und Klatsch jeder Art. Es ist interessant, dass das Genre der Trivialnachrichten, also Ausrutscher, Trunkenheiten oder Beziehungsdramen von Filmsternchen und anderen B-Prominenten, überhaupt erst in den 1940er-Jahren erfunden wurde. An Tagen ohne Terroranschläge liegt ihr Anteil oft bei gefühlten neunzig Prozent. Die Gegenstimmen der Vernunft sterben aus; eine davon war der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der 2008 während einer live übertragenen Gala den Deutschen Fernsehpreis wegen »des Blödsinns, den wir heute Abend sehen mussten«, ablehnte.1

»Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung.« – Peter Scholl-Latour

In einer Art Fastenzeit des Verstandes wird die Öffentlichkeit fast jedes Jahr für mehrere Wochen durch sportliche Großereignisse wie Olympia, Fußball-EM oder WM auf intellektuelle Diät gesetzt. Der Geisteszustand der Nation während eines Halbfinales eignet sich dabei gut, unliebsame Gesetzesvorhaben zu verabschieden.2 Im Gegenzug ist für deutsche Politiker der Besuch in der Mannschaftskabine schon zum Pflichttermin geworden.

Die Flut dringt durch die Dämme

Aber selbst wenn man sich den Boulevardnachrichten und anderen Ablenkungen erfolgreich entzieht und sich auf vermeintlich relevante Nachrichten konzentriert, hat man nur einen kleinen Etappensieg errungen. Denn die Massenmedien erreichen das Gehirn auf vielfältige Weise. Nicht nur verbringt der Durchschnittsbürger willentlich täglich Stunden vor dem Fernseher oder im Internet, um Informationen aufzusaugen, auch der in Muße lebende Zeitgenosse wird unablässig mit Meldungen bombardiert. An jedem Bahnsteig flimmern die »Breaking News« von den Bildschirmen, persönliche E-Mails kann man kaum mehr ohne den Blick auf die Schlagzeilen lesen, die in immer dichterer Frequenz ungefragt auf den Smartphones erscheinen.

»Jeder weiß, wie man ein Smartphone bedient; die politische Frage lautet umgekehrt: wie man verhindert, dass man vom Smartphone bedient wird.« – Frank Schirrmacher

Man betrachte die Form von Nachrichten in der historischen Entwicklung. Vor nicht allzu langer Zeit benötigten wir berittene Boten! Später erfand man die Zeitung, Radio und Fernsehen übertrugen dann um ein Vielfaches mehr Information, aber zunächst noch im Rhythmus eines Tages, der heute durch Internet und Smartphone weiter durchtrennt wird. Uns erreichen immer mehr Daten immer schneller, Videoclips aus aller Welt können wir im Minutentakt in unser Gehirn aufnehmen. Wir sind mit den modernen Medien am Puls der Zeit, aber auch schon oft an der Nadel der Nachrichtensucht.

Der Wissenschaftskritiker Bruce G. Charlton thematisiert in seinem Buch Addicted to DistractionII die Wirkung der Massenmedien. Charlton sagt, dass sie weder an Bildung noch am Wohlergehen der Menschheit interessiert sind, sondern aus Gier nach Macht und Geld Informationsmüll produzieren, welchen sie geschickt als Nachrichten verkaufen. Den dadurch angerichteten intellektuellen und psychologischen Schaden für die Menschheit erachtet er als enorm:

»Er besteht aus einer Desensibilisierung für das, was schockieren sollte; einen perversen Appetit auf das, was spontanen Ekel hervorruft; eine Vereinfachung von Denkprozessen; und eine fast universelle Über-Reaktivität auf irgendwelche Reize, die sowohl naiv als auch hysterisch ist.«

Über die Wirkung kann man noch nicht endgültig urteilen. Aber hinsichtlich des Inhalts liegt Charlton wohl kaum falsch.

Informationstsunami für Höhlenmenschen

All dem liegt nicht zwangsläufig Absicht oder eine große böse Strategie zugrunde. Die Flut wertloser Information ist im Wesentlichen eine Folge moderner Technologie. Die Entwicklung der Sprache charakterisiert uns wahrscheinlich als Art Homo sapiens, die Erfindung der Schrift verursachte einen Schub der Kulturen, die plötzlich viele Generationen überdauern konnten. Gutenbergs Buchdruck legte die Grundlage für die ersten Massenmedien der Menschheitsgeschichte, die mit dem Rollendruck von Zeitungen ab 1870 auftauchten. Die industrielle Revolution führte zu einer allgemeinen Beschleunigung des Zusammenlebens, eine Revolution in der Informationsübertragung wurde durch den Telegrafen eingeleitet. Die Entdeckung der elektromagnetischen Wellen 1888 führte dazu, dass wir heute praktisch in Echtzeit Informationen aus jeder Ecke des Globus erhalten. Es ist offensichtlich, dass diese Möglichkeiten unser Gehirn, das sich in der Evolution an ein beschauliches Leben in Kleingruppen angepasst hatte, ziemlich überfordern.

»Das allerschlimmste bleibt, gar mancher kommt vom Lesen der Journale.« – Johann Wolfgang v. Goethe

Weil die Kosten für Produktion und Verbreitung von Information praktisch auf null gesunken sind, bestimmt sich ihr Wert heute nach einer neuen Währung. Seit der Industrialisierung hat die Zeit im Vergleich zu materiellen Gütern einen immer höheren Stellenwert angenommen, denn sie blieb auch nach Sättigung der Primärbedürfnisse ein begrenztes Gut. Zeit bedeutete Fähigkeit zur Aufnahme von Information. Steht Information jedoch unbegrenzt zur Verfügung, aber nicht unendlich viel Zeit, so wird etwas wichtig, was für die permanente Speicherung im Gehirn sorgt: Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit ist die neue Währung der Informationsgesellschaft.

»Wir stecken bereits tief in der Dekadenz. Das Sensationelle gilt und nur einem strömt die Menge noch begeisterter zu, dem baren Unsinn.«– Theodor Fontane

Die Massenmedien verbreiten daher Bilder und Informationen, die unser Gehirn in Aufmerksamkeit versetzen sollen. Als Schlüssel dienen starke Emotionen. Alles, was Angst, Schrecken, Trauer, Neugier, Begeisterung, Wut oder auch Ekel hervorruft, findet sich in den Schlagzeilen. Die dabei ausgeschütteten Neuro­transmitter garantieren einen Platz im Langzeitgedächtnis, dem wertvollsten Teil unseres Ichs. Hier spielt uns die Evolution einen Streich: Ereignisse, die solche Gefühle hervorriefen, waren ja tatsächlich in unserem prähistorischen Dasein wichtig. Jedoch können die Medien heutzutage diese Reaktionen mit Dingen auslösen, die für unser Leben nicht die geringste Relevanz haben. So verspürt jeder – gestehen Sie sich das ein – eine Anziehungskraft für Klatsch, weil die Teilhabe an diesem in der Steinzeit entscheidend für unsere soziale Stellung war.

»Die Information muss sich vor allem gut verkaufen. Das heiligt inzwischen fast jedes Mittel: Boulevardisierung, Personalisierung, Simplifizierung, Polarisierung, Melodramatisierung.« – Rainer Butenschön

Einfallstore für Schrottinformation

Was in Form von Aufmerksamkeit unsere innere Währung geworden ist, transformiert sich durch Klickzahlen in das neue Gold des digitalen Zeitalters: Daten. Während fast alle Technologieprodukte einer stetigen Deflation ausgesetzt sind, sind persönliche Daten die Ressource der Zukunft. Ökonomisch gesehen ergibt das Fluten unserer Gehirne mit emotionalisierter Schrottinformation Sinn. Beobachten Sie einmal, wie oft Schlagzeilen dies unverhohlen versuchen: Ereignis XY »sorgt für Unruhe«, »Aufruhr«, »Aufsehen«, »Furore«, »Kritik«, »Eklat«, »Empörung«, »Entsetzen«, »wilde Spekulationen«, »harsche Reaktionen« oder »Spott im Netz« bis hin zum Aasgeierjournalismus wie »Sorge um« irgendeinen Prominenten. Widerstehen Sie daher der Versuchung, Nachrichten anzuklicken, die eine solche Absicht schon im Aufmacher erkennen lassen, wie zum Beispiel Skandal, Schande, Aufregung, Ausraster, Beleidigung, Gelächter, Wirbel, Schock, Panne, Peinlichkeit, Rauswurf, Unfall, »das Netz tobt«. Reflektieren Sie stattdessen, wie viele Meldungen darüber berichten, dass irgendjemand irgendetwas gesagt hat und irgendjemand anders sich darüber aufregt. Offenbar wird hier eine Ebene unterhalb des Verstandes angesprochen, die den Mausklick tätigt, bevor das Großhirn entscheiden kann, ob es diese Nachricht wirklich braucht. Am sichersten jedoch erzeugen schlechte Nachrichten Aufmerksamkeit: Bad news is good news.

»Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode.« – William Shakespeare

Neben dem Generieren von Klickzahlen haben solche Nachrichten den sicher nicht unerwünschten Effekt, die große Masse vom Denken abzuhalten. Der weltbekannte Linguist Noam Chomsky sieht darin sogar die Hauptaufgabe der Massenmedien.3 Themen wie Kriegsdrohungen, Terroranschlägen, Chemiewaffeneinsätze und Flugzeugabstürze versetzen auch diejenigen in einen Zustand der Anspannung, die sich den Versuchungen der Boulevardpresse und der Fußballhysterie entziehen können. Das Gefühl, an aktuellen Ereignissen weltpolitischer Tragweite teilhaben zu müssen, blockiert einen nachhaltigen Gebrauch unseres Geistes. Und selbst wenn der Verstand beim Konsum der Tagesnachrichten die Emotionen unter Kontrolle behält, so überfordert uns die schiere Menge an Information. So, wie die Kreativität von Kindern durch zu viel Spielzeug erstickt wird, schwinden Gedanken über Grundlegendes und Visionäres aus unseren von Nachrichten hypertrophierten Gehirnen.

»Ein Großteil der […] Medien schaut nur noch auf den ausbeutbaren Skandalsatz, den kleinen Ausrutscher, mit dem eine Kampagne in der Sache oder gegen die Person losgetreten werden kann.« – Andreas v. Bülow

Traurig ist, nach welchen Maßstäben Politiker sich öffentlich zu bewähren haben, die eigentlich den Blick für wichtige Zukunftsfragen schärfen sollten. Es wird von ihnen geradezu erwartet, dass sie jede tagespolitische Unwichtigkeit bewerten. Insbesondere emotionale Kommentare zu anderen umstrittenen Äußerungen sind willkommener Anlass für eine Schlagzeile; wenn besonnene Stimmen dagegen schweigen, werden sie sogar dafür noch kritisiert. Diese ungesunde Symbiose von skandalverliebten Medien und Politikern, die sich über Nichtigkeiten ereifern, führt sicher nicht zur Auswahl der fähigsten Köpfe.

»Das schiere Volumen und die Komplexität der Massenmedien führen wohl zu einer entsprechenden Schrumpfung und Vereinfachung des menschlichen Geistes.«4 – Bruce G. Charlton

Aber wie gelingt es reflektierten Menschen, dem unablässigen Strom unwichtiger Information zu entkommen? Wie schaffen es zum Beispiel Wissenschaftler, ungestört kreativen Gedanken zu folgen, Naturgesetze zu entdecken und neue Technologien zu entwickeln? Eine einfache Frage, die jedoch für den Fortbestand der Menschheit nicht ganz unwichtig ist. Am Beispiel der Information wird deutlich, dass Wissenschaft und Technik die Zivilisation letztlich mehr beeinflusst haben als Naturkatastrophen, Politik und Kriege.

Datenlawine statt Wissenszuwachs

Der Nachrichtenstrom in der Wissenschaft ist zwar ungleich sachlicher und überlegter, dennoch trifft die explosionsartige Zunahme an Informationen auch dieses Gebiet mit Wucht. Man hört nicht stündlich »Breaking News«, aber auch in den Wissenschaftsnachrichten herrscht inzwischen eine Schnelllebigkeit, die alles andere als gesund ist. Produktion und Verbreitung von wissenschaftlichen Fakten folgen heute ebenfalls dem Gesetz exponentiellen Wachstums, das früher oder später jedes System zum Einsturz bringt.

Der Wissenschaftshistoriker Derek de Solla Price beschreibt in seinem Buch Little Science, Big Science, wie er sämtliche Bände der Zeitschrift Philosophical Transactions of the Royal Society of London von 1662 bis 1930 Zeile für Zeile las5 – alle wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse waren darin enthalten! Betrachten Sie als Kontrast dazu die Zeitschrift für Physical Review D, welche sich nur auf Gravitation, Teilchen und Felder, also den fundamentalen Teil der Physik, beschränkt: Sie erscheint alle zwei Wochen in einem weit über tausend Seiten starken Heft. Niemand auf der Welt besitzt eine Auffassungsgabe, all diese Informationen auch nur zu überfliegen, geschweige denn durchdenken zu können.

Die heutigen Forscher befinden sich in einem Dilemma. Dem Druck ausgesetzt, ihre Tätigkeit permanent durch Publikationen zu rechtfertigen, geben manche der Versuchung nach, in der auch im Land der Wissenschaft gültigen Währung der Aufmerksamkeit zu handeln. Ziel ist dann nicht mehr die Suche nach der Wahrheit, sondern die Titelseite von Nature oder gar, die Tagesnachrichten erreicht zu haben – was für ein Ritterschlag! Wissenschaftliche Sensationsmeldungen schaffen es meist nur mit einem eingängigen Bild dorthin. Oft werden dabei Ergebnisse verzerrt und emotionalisiert, um sich in das Bewusstsein der Öffentlichkeit einzuprägen.

Vollgepumpt mit Neurotransmittern

In viel stärkerem Maße tun dies natürlich die Massenmedien bei konventionellen Nachrichten. Die Emotionalisierung dient der Aufmerksamkeit, aber unser Gedächtnis funktioniert in dieser Hinsicht eigentlich paradox: Wir sind darauf programmiert, Inhalte in emotionsgeladenen Geschichten abzuspeichern, obwohl dem Verstand klar sein müsste, dass Nachrichten gerade dadurch verzerrt und manipuliert werden können.

Auch als Buchautor ist man gut beraten, Information mit anschaulichen Metaphern zu vermitteln und nicht nur trockene Fakten aneinanderzureihen. Jedoch darf der allgemeine Gedanke hinter der einzelnen Geschichte nicht fehlen, und der eigentliche Genuss beim Lesen ist oft, diese abstraktere Ebene anhand von selbst erlebten Beispielen wiederzuerkennen. Viele Journalisten schreiben jedoch über Sachfragen, indem sie Einzelschicksale ausbreiten, die je nach Intention beliebig gewählt werden können. Eigentlich sollte der Verstand eine statistische Betrachtung einfordern und hinterfragen, ob die erzählte Geschichte wirklich repräsentativ und somit als Beispiel aussagekräftig ist.

Der technologische Fortschritt, insbesondere der letzten Jahrzehnte, hat uns unglaublich viel Information und praktisch unbegrenzten Zugang zu Wissen verschafft. Offensichtlich übersteigt dies jedoch die Kapazitäten des Gehirns um ein Vielfaches. Weit vor dem physiologischen Limit wird aber wahrscheinlich schon unsere Fähigkeit zur Reflexion beeinträchtigt. Will man seinen Verstand konstruktiv gebrauchen, muss man Wege finden, der durch die Informationsflut verursachten Überreizung zu entgehen. Wer sich die künstliche Emotionalisierung von Trivialinformation bewusst macht, dem wird es leichter fallen, das hohe Gut der Aufmerksamkeit nicht darauf zu verschwenden. Schließlich gilt es, den Verstand nicht durch Terror- und Schreckensnachrichten in eine Schockstarre fallen zu lassen.

Die Zivilisation ist durch die besonderen Fähigkeiten des Homo sapiens entstanden, Information zu verarbeiten. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass in dieser von ihm geschaffenen Welt die Informationsmenge so stark angewachsen ist, dass dies seine Fähigkeiten zu überfordern beginnt. Wahrscheinlich wird sich dieses Dilemma erst lösen, wenn der Mensch Maschinen entwickelt, die Daten mit einer ihm ebenbürtigen Intelligenz verarbeiten. Die Folgen davon sind allerdings unabsehbar.6 Bis dahin sollten wir uns mit der Menge der Information und ihrem Anwachsen auseinandersetzen. Statt unreflektierter Aufnahme ist es ratsam, über den individuellen Konsum nachzudenken. Der Verstand wird es uns danken.

Medien-Krise – Das Versagen bei der Auswahl der Information

»Das größte Problem des Journalismus liegt darin, einem Auflageninstinkt ohne Rücksicht auf Wahrheit und Gewissen zu widerstehen.« – Joseph Pulitzer

Unser Gehirn kann nur begrenzt viele Informationen aufnehmen, und die Menge, die man sinnvollerweise in Handeln umsetzen kann, liegt weit unter der biologischen Grenze der Speicherkapazität. Aus der Fülle an vorhandenen Informationen müssen wir daher eine sinnvolle Auswahl treffen. Allein die Existenz von Trivialnachrichten zeigt, dass die meisten Medien hier versagen. Kernaufgabe des Journalismus sollte es sein, relevante Nachrichten hervorzuheben und aufzubereiten.