Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin? - Patricia Riekel - E-Book
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Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin? E-Book

Patricia Riekel

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Beschreibung

Nach dem Job ist mitten im Leben

Das Haus umbauen. Dem Hund Dogdancing beibringen. Öfters mal Nein sagen. Das und vieles mehr hatte sich Patricia Riekel vorgenommen. Die langjährige Chefredakteurin des People-Magazins BUNTE liebte ihren Beruf leidenschaftlich. Voller Skepsis blickte sie dem Ruhestand und dem gefürchteten Stillstand entgegen. Wie hält man es aus, nicht mehr gebraucht zu werden? Wer würde sie sein, ohne Job und ohne Funktion?

Klug, charmant und mit viel Selbstironie erzählt die Journalistin von Höhen und Tiefen nach ihrem Karriereende und ihrem Umgang mit dem Älterwerden. Wie sie die verrücktesten Zukunftspläne entwickelt, sich über Vergesslichkeit ärgert, lernt, ihren Nachfolger zu lieben. Und wie sie die neue Unabhängigkeit in vollen Zügen genießt. Weil die Rente nicht das Ende, sondern erst der Anfang ist - von der mit Abstand spannendsten und glücklichsten Lebensphase überhaupt.

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Seitenzahl: 273

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Zum Buch:

Wer hätte gedacht, dass das Beste zum Schluss kommt?

20 Jahre lang war Patricia Riekel Chefredakteurin der BUNTEN und übte ihren Beruf voller Leidenschaft aus. Der Abschied vom geliebten Job, vom belebten Alltag, dem Status, dem Gefühl des Gebrauchtwerdens, fiel ihr unerwartet schwer. Mit dem Eintritt in die Rente war das gewohnte Leben, alles, was sie bislang ausmachte und alles, worauf sie ihr Leben lang hingearbeitet hatte, von einem Tag auf den anderen vorbei. Der zunächst etwas holprige Neustart in eine unklare Zukunft entwickelte sich jedoch – zu ihrer eigenen großen Überraschung – als das Beste, was ihr je passiert war. Dafür musste sie ihren Tatendrang in neue Bahnen lenken und lernen, dass der eigene Leistungsgedanke und die Erwartungen anderer keine Rolle mehr spielen. Nichts was man tut, muss sich noch rentieren, sondern es muss nur noch Freude bereiten.

Ehrlich und mit viel Humor lässt uns Patricia Riekel an ihren Erfahrungen zum Arbeitsende und dem Älterwerden teilhaben, die von ganz neuen Herausforderungen zeugen: Was macht die Beziehung, wenn man sich plötzlich jeden Tag sieht? Warum sind gute Freunde im Alter wichtiger denn je? Warum ist es alles andere als egal, weiterhin auf sich Acht zu geben und Wert auf sein Erscheinungsbild zu legen? Und warum sollte man seine Tage keinesfalls vor dem Fernseher versauern? Patricia Riekel rät zu einem gänzlich selbstbestimmten Leben in Bewegung und ermutigt zu neuen Taten. Denn: Die Rente ist nicht nur ein großes Abenteuer, sondern mit Abstand die beste Zeit des Lebens.

Zur Autorin:

Patricia Riekel (1949) ist genauso alt wie die Bundesrepublik Deutschland, deren Gesellschaft sie 20 Jahre lang als BUNTE-Chefredakteurin beschrieb und analysierte. Sie arbeitete viele Jahre lang als Redakteurin und freie Journalistin für Zeitungen und Zeitschriften. Patricia Riekel schrieb Bücher und gründete mehrere Radiostationen. Als BUNTE-Chefin positionierte sie die Illustrierte zum erfolgreichsten People-Magazin Europas. Ihr Lebens- und Arbeitsmotto: Nichts ist so spannend für Menschen wie andere Menschen.

Patricia Riekel

Wer bin ich,

wenn ich

nichts mehr

bin?

Raus aus dem Job

und rein in ein neues Leben.

Vom Glück,

sich im Ruhestand

neu zu erfinden

Wilhelm Heyne Verlag

München

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe 2021

Copyright © 2021 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: lüra – Klemt & Mues GbR

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik·Design, München,

unter Verwendung der Fotos von © Kay Blaschke / Penguin Random House

Bildredaktion: Tanja Zielezniak

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-25498-8V001

www.heyne.de

Inhalt

1 Die Sitzordnung ändert sich

2 Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin?

3 Mein Nachfolger

4 Der erste Tag im Ruhestand

5 Der Besuch der alten Dame

6 Schatten der Vergangenheit

7 Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an …

8 Hilde, ihm gefällt es nicht

9 Ich kenne dich, aber woher?

10 Mit dem Hund in die Freiheit

11 Ich brauche neue Hände

12 Never forget your first revolution

13 Sechs Blazer

14 Ab wann ist man alt?

15 Was bleibt, was muss weg?

16 Wer hält meine Grabrede?

17 Es sterben immer die anderen

18 Graue Haare

19 Ich kann nicht Nein sagen

20 Warum so sentimental?

21 Wohnen im Alter

22 Es gibt keine falsche Kleidung, nur die richtige Einstellung

23 Meine wichtigste Liste

24 Will ich recht haben, oder einen schönen Abend?

25 Mein Leben auf dem Handy

26 Männer sind anders. Frauen auch!

27 Oldies but Goldies

28 Politik und andere Beschäftigungen

29 Das Geheimnis der Hundertjährigen

30 Fit wie Mick Jagger

31 Das ABC für einen guten Ruhestand

Zum Weiterlesen

Bildnachweis

Vorwort

Jeder Tag ein Abenteuer! Konferenzen, Texte schreiben, Fotos aussuchen, Interviews mit Prominenten, TV-Auftritte, Modeschauen in Paris, abends gesellschaftliche Verpflichtungen. Stress war mein persönliches Speed, sorgte für Spannung und erhöhten Energie-Level.

50 Jahre habe ich als Journalistin gearbeitet, davon 21 Jahre als Chefredakteurin von BUNTE, Europas größtem People-Magazin. Ich habe meinen Beruf geliebt, mich nicht eine einzige Stunde gelangweilt. Und dann, von einem Tag auf den anderen, war alles vorbei. Ende. Klappe zu. Stecker raus. Mit 67 Jahren wechselte ich in den Ruhestand, von dem ich keine genaue Vorstellung hatte. Von Männern in Spitzenpositionen wusste ich allerdings, wie schwer manche das Ende ihrer Karriere verkraften. Der typische Workaholiker fällt in ein seelisches Tief, weiß nicht, wohin mit brachliegender Tatkraft und Energie. Einige ehemalige Wirtschaftsbosse sehe ich gelegentlich auf E-Bikes durch München rasen. Tief gebeugt über das Lenkrad, als müssten sie noch immer wichtige Verabredungen einhalten.

Erleben Frauen das Ende ihrer Karriere anders als Männer? Zugegeben, auch für mich fühlte sich der Ruhestand zunächst an, als wäre ich aus einem fahrenden Karussell gestürzt. Die Welt drehte sich weiter, aber ohne mich. Das Telefon blieb stumm. Leerer Terminkalender. Keine Kontakte mehr zu wichtigen Menschen, mit denen ich jahrelang zu tun hatte. Dafür neue Problembewältigungen, wie man als reife Person elegant und ohne Ausrutscher aus der Badewanne kommt. Und ob man vorsichtshalber die hübsche Wendeltreppe zusätzlich mit einem Treppenlift verzieren sollte. Drohte die Alters-Depression? Nichts da! Wie Alice im Wunderland betrat ich eine neue Welt, in der sich die Größenverhältnisse auf magische Weise verändert hatten. Früher Wichtiges schrumpfte zur Bedeutungslosigkeit. Nicht mehr in Reihe eins? Na und, weiter hinten sitzen die lustigeren Leute. Dafür wuchs zum Riesenspaß, was in meinem früheren Leben undenkbar gewesen wäre: ein verbummelter Vormittag mit Freundinnen im Bistro zum Beispiel. Ich entdeckte neue kreative Seiten an mir, hatte Lust – vor allem auch Zeit –, mich auf allen möglichen Gebieten zu engagieren. Für Freunde, für Politik, für junge Talente. Meine wichtigste Entdeckung: Humor ist die wunderbarste Gabe im Alter! Ich habe noch nie so viel mit Freundinnen gelacht wie jetzt, wo wir uns im besten Alter befinden, aber mit seltsamen Veränderungen konfrontiert werden. Mit Haaren etwa, die auf dem Kopf fehlen, dafür aber am Kinn zu sprießen beginnen. Glücksforscher bestätigen, dass Menschen ab 60 Jahren zufriedener werden. Ich kann das nur bestätigen. Wir müssen nichts mehr werden, weil wir schon so vieles erlebt und erreicht haben. Diese innere Freiheit kann uns beflügeln. Wir kennen unsere Fähigkeiten, schmunzeln über kleine Schwächen, die einfach zu uns gehören.

Mit meinem Buch möchte ich Sie mitnehmen auf meine beschwingte Reise in den »Ruhestand«. Eines kann ich Ihnen schon verraten: Ich bin immer noch in Bewegung. Ja, es gibt auch Schatten, melancholische Tage, zum Älterwerden gehören Abschiede. Andrerseits habe ich noch nie so intensiv gelebt wie jetzt. Betrachten Sie mein Buch als Inspiration, wie heiter und leicht das Leben sein kann, wenn man sich aus der Arbeitswelt verabschiedet. Alt werden ist nicht das Ende, sondern ein Anfang. Alice im Wunderland erkundigt sich bei der Grinsekatze, welchen Weg sie einschlagen soll. »Das hängt im beträchtlichen Maße davon ab, wohin du gehen willst«, antwortet diese. »Hauptsache, ich komme irgendwohin«, erklärt Alice. »Das wirst du sicher, wenn du lange genug gehst«, sagt die Grinsekatze. Genau das ist der Königsweg, wie man in einen glücklichen Ruhestand rutscht. Hauptsache, wir bleiben in Bewegung. Dann wird es die beste Zeit in unserem Leben!

Kapitel 1

Die Sitzordnung ändert sich

Sie werden gebeten, folgenden Platz einzunehmen: 8. Reihe, Platz 266, Eingang rechts. Für die Sitzkarte in meiner Hand würden manche morden. Der Bayerische Fernsehpreis im Prinzregententheater ist eines der großen gesellschaftlichen Ereignisse in München. In Reihe neun sitzt Jutta Speidel. Sehr gut. Wenn eine so bekannte Schauspielerin hinter mir platziert wird, kann meine Reihe nicht die schlechteste sein. Noch besser: In meiner Reihe sitzt auch der berühmte Friedrich von Thun. Weniger gut: Zwei Reihen vor mir sehe ich eine attraktive Blondine, deren einziger Verdienst darin besteht, dass sie mit zwei Schauspielern liiert war.

Wieso sitzt die prominenter als ich? Und der pensionierte TV-Chefredakteur residiert sogar drei Reihen vor mir. Der ist doch aus der öffentlichen Wahrnehmung längst verschwunden! Das schmälert den Wert meines Sitzplatzes in Reihe acht nun doch erheblich.

Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt, ob ich kein anderes Problem in der Welt habe. Ich könnte ja froh sein, dass ich überhaupt sitze. Weiter hinter gibt es auch Stehplätze. Aber wenn ich eines in meinem Job als Chefredakteurin eines People-Magazins gelernt habe, dann das: Die Sitzordnung entscheidet über deinen Status in der Gesellschaft. Gehörst du zum inner circle, oder bist du nur eine Randfigur?

Ich stelle mir vor, wie sie in der Protokollabteilung ratlos über meinem Namen auf der Gästeliste brüteten. Wo setzen wir die hin? Früher saß sie ganz vorn. Na ja, da war sie noch was, das ist jetzt vorbei. Ganz hinten geht auch nicht, man kennt sie schließlich noch! Also irgendwo in der Mitte, Reihe acht zum Beispiel. Da lande ich jetzt bei Premieren und Galas immer zwangsläufig – im neutralen Mittelfeld, zwischen den Reihen sechs bis neun.

Das war die erste Lektion, die ich im Ruhestand lernte: Die Sitzordnung ändert sich! Als ich noch in Amt und Würde war, platzierte man mich in Reihe eins, zwei, wenn’s ganz schlimm kam, in Reihe drei. Schon klar, das hatte nichts mit meiner Person, sondern mit meiner Position zu tun. Ich will es nicht leugnen: Das Leben in Reihe eins ist angenehm, man befindet sich im Zentrum der Aufmerksamkeit, gehört zu den Wichtigen und Mächtigen, zu denen, die es »geschafft« haben.

Da fühlt sich die Reihe acht wie ein Abstieg an. Natürlich hatte ich mich darauf vorbereitet, dass mit meinem Abschied aus dem Beruf viele Privilegien wegfallen würden – Reisen, Termine, Meetings, Dienstwagen, Sekretärin, Statussymbole wie reservierter Parkplatz. Alles, was einem das Gefühl schenkte, ungeheuer wichtig und unersetzlich zu sein. Das konnte ich gut verkraften. Nicht aber diese verflixte Reihe acht. Die fühlte sich wie eine Degradierung an. In aller Öffentlichkeit wurde so dokumentiert, wie unwichtig ich geworden war. Die Reihe acht pikste wie ein Mückenstich. Schaute da jemand schadenfroh?

Ich bin nicht ahnungslos in das Ende meines Berufslebens hineingeschliddert. Ich hatte Pläne, jede Menge Ideen. Ich wollte nicht, wie von vielen prophezeit, in ein schwarzes Loch stürzen. Das hört man ja oft von Managern und anderen Wichtigtuern, dass sie im Ruhestand krank und depressiv werden, weil sie nichts mehr mit sich und ihrer Zeit anzufangen wissen.

Bis zuletzt hatte ich unter Volldampf in der Redaktion gearbeitet, Meetings abgehalten, Themen besprochen, Editorials geschrieben, Titelbilder entschieden – und von einem Tag auf den anderen war alles vorbei. Ich kam mir vor wie jemand, der, aus dem Karussell gestoßen, taumelnd versucht, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Eine kurzfristige Orientierungslosigkeit hatte ich eingeplant. Nicht jedoch, wie einsam man sich fühlt, wenn das Telefon nicht mehr klingelt. Eine Stille, die in den Ohren dröhnt. Und wie überflüssig man sich vorkommt, wenn morgens im Radio die Staus im Berufsverkehr gemeldet werden und du nicht mehr drinstehst. Das ist ein Gefühl der Ohnmacht, ja und auch des stillen Grolls.

Hätten sie mich nicht wenigstens in Reihe vier setzen können? Schluss jetzt mit dem Gejammer, wer in den Ruhestand wechselt, muss sich mit noch mehr Veränderungen abfinden. Ich zum Beispiel wurde zum Problem für ambitionierte Gastgeber. Früher, in meiner aktiven Zeit als Chefredakteurin von BUNTE, platzierte man mich sehr oft neben dem Ehrengast. Schmeichelhaft, aber übrigens nicht immer ein Gewinn.

Ich erinnere mich an einen Abend neben Franz Beckenbauer. Viele Fußballfans würden sonst was dafür geben, einmal neben dem Kaiser sitzen zu dürfen, um mit ihm über die »Viererkette« zu diskutieren. Aber was Fußball angeht, lebe ich im totalen Abseits, und das trifft umgekehrt auf Franz Beckenbauer zu, wenn es um Small Talk geht. Außer einem »Schau’n mer mal« war ihm nichts zu entlocken, und wir verbrachten den Abend in meditativem Schweigen.

Ein weiteres Beispiel: Eine besonders liebe Freundin setzte mich bei einer ihrer grandiosen Einladungen neben ihren Stargast Cliff Richard. Sie schwärmte von ihm als besonders unterhaltsamem Freund. Nun, er war der Held meiner Teenagerzeit gewesen, und automatisch summte ich leise »Lucky Lips«, einen seiner Hits, den ich mit einer Jugendliebe verband. Er warf mir einen schmerzhaften Blick zu, nahm eine kleine Kamera und filmte die Festgesellschaft. Kein einziges Wort wechselten wir, bis ein Teil seiner Kamera unter den Tisch fiel. Wir krabbelten beide auf dem Boden herum, und als ich das Teil fand, murmelte er: »Thank you, very kind« – und filmte weiter. Das war mein Abend neben dem großen Cliff Richard.

Ehrengäste sind selten unterhaltsam, obwohl sie wissen, dass sie die Trophäe des Abends sind und alle Anwesenden etwas Spektakuläres erwarten. Mein Tischnachbar Bill Clinton sah mich immerhin zehn Sekunden lang intensiv an, um sich dann für immer nach links abzuwenden, wo eine Lady saß, die mehr seinem Beuteschema entsprach. So blieb es bei einem »Mister President« meinerseits und einem »Good evening« seinerseits.

So schmeichelhaft es fürs Ego auch ist, am Ehrentisch zu sitzen, so verkrampft fühlt man sich zugleich dabei. Gilt im Übrigen auch für jede erste Reihe. Du bist nämlich Teil der Inszenierung und musst die gute Laune wie das Kaninchen aus dem Zylinder hervorzaubern. Das wird von dir erwartet. Sitzen Frisur und Gesichtsausdruck? Sie ahnen ja nicht, wie anstrengend ein Dauerlächeln sein kann. Ich hatte deswegen schon öfter Muskelkater um den Mund herum. Aber wenn man bei TV-Liveübertragungen nicht die Mundwinkel nach oben zieht, heißt es schnell, man sei krank oder habe ernsthafte Eheprobleme. Prominente kennen das: Sie denken vielleicht gerade darüber nach, warum der Installateur schon wieder den Termin verschoben hat, achten nicht auf die Mundwinkel, und schwupps taucht ein Fotograf auf. In BUNTE steht dann in der Bildunterschrift, dass Herr oder Frau X offenbar gerade eine Lebenskrise haben.

Aber nun ist es, wie es ist: Ich sitze nicht mehr am Ehrentisch. Und wissen Sie, was? Mein Leben ist so viel kommunikativer geworden. Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich wie Dornröschen aus einer hundertjährigen Starre erwacht. Neulich landete ich an einem Tisch neben dem Klavierlehrer der Kinder der Gastgeber. In meiner Zeit als Chefredakteurin hätte ich das als Kränkung empfunden, heute ist es ein Abenteuer, mit Menschen zu reden, die früher nicht meine Bahnen gekreuzt hätten. Mit dem Klavierlehrer habe ich über meinen Traum gesprochen, Klavier spielen zu können. Er meinte, seine älteste Schülerin sei 83 Jahre alt. Das sind ganz neue Perspektiven für den Ruhestand.

Es gab viele Abende, an denen ich erleichtert darüber, dass die Veranstaltung zu Ende war, nach Hause ging, weil es manchmal Schwerstarbeit ist, die Person zu sein, die andere von dir erwarten. An jenem Abend mit dem Klavierlehrer fühlte ich mich jedoch leicht statt erleichtert. Endlich die sein können, als die ich mich fühle. Unverstellt, unvollkommen, total privat.

Als größtes Privileg in meinem Ruhestand, der alles andere als ruhig ist, empfinde ich die Tatsache, frei von allem zu sein – auch von den Erwartungen, die andere in mich setzten.

Kapitel 2

Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin?

Kriminalrat Uwe Lemp ist normalerweise ein entschlossener Mann. Jetzt aber lässt ihn ein Gedanke nicht mehr los. »Haben Sie manchmal Angst davor, im Alter allein zu sein?«, erkundigt er sich bei der Kollegin, Hauptkommissarin Doreen Brasch. Und während er nachdenklich auf seinem Schreibtisch Papiere hin und her schiebt, gesteht er: »Ich habe wahnsinnige Angst davor. Was passiert mit mir, wenn ich irgendwann einmal keine Funktionen mehr habe?«

Das ist keine Szene, die ich mir für mein Buch über das Leben im Ruhestand ausgedacht habe. Nein, sie spielt im ARD-Polizeiruf »Mörderische Dorfgemeinschaft« und soll wohl zeigen, dass Typen, die sonst vor nichts Angst haben, beim Gedanken an die Rente zu Weicheiern werden können. Der erfahrene Kriminalrat neigt normalerweise nach 30 Dienstjahren, acht davon im Mordkommissariat, nicht zu Sentimentalitäten. Ein harter Hund, aber in dieser Sache auch nur ein Mensch wie du und ich.

Drehbuchautorin Katrin Bühlig ist Spezialistin für emotionale TV-Thriller. Ihre Figuren drehen gern noch eine Extra-Runde, wenn es um das Ausloten verschütteter Gefühle geht. Für die exzentrische ZDF-Kommissarin Bella Block, gespielt von Hannelore Hoger, hat sie auch etliche Folgen geschrieben. Die steht in der letzten Folge von allen verlassen auf einem Steg und schaut melancholisch in die Ferne. Und zu ihr hätte auch prima der Satz gepasst, den die Autorin ihrem Kriminalrat Lemp, gespielt von Felix Vörtler, in den Mund legt: »Am Ende wollen wir doch alle nur geliebt werden!«

Mit dieser Erkenntnis kommt der Kommissar zwar nicht dem Täter auf die Spur, wir jedoch haben ein Motiv, warum manche Menschen alles, aber auch wirklich alles tun, um den Ruhestand hinauszuzögern. Menschen, für die ihr Job mehr als Broterwerb war. Sie haben Angst, mit der Arbeit auch ihren Lebenssinn zu verlieren. Denn das, was einen ausgemacht hat, ist weg. Für immer.

Katrin Bühlig erzählte mir von einem früher sehr einflussreichen TV-Boss, der nach seiner Pensionierung noch immer alle Events der Branche besucht. Er leide unter dem Verlust seiner Wichtigkeit, und es sei traurig zu beobachten, wie er sich verzweifelt dagegenstemme, dass er vergessen wird. Es scheint so, als falle Männern der Übergang in den Ruhestand noch schwerer als Frauen.

Von Ernest Hemingway stammt das Zitat: »Der schlimmste Tod für einen Menschen ist der Verlust dessen, was den Mittelpunkt seines Lebens bildet und ihn zu dem macht, was er wirklich ist. Ruhestand ist das abstoßendste Wort der Sprache, ob man sich freiwillig dazu entschließt, oder ob er einem aufgezwungen wird. In den Ruhestand zu treten und seine Beschäftigungen aufzugeben – die uns zu dem machen, was wir sind –, ist gleichbedeutend mit dem Abstieg ins Grab.«

Das sind nun wirklich keine aufbauenden Gedanken. Und mit 61 Jahren hat sich Hemingway – vielleicht als Konsequenz daraus – das Leben genommen. Depressionen sollen ihn geplagt haben, vor allem aber die Angst, nicht mehr schreiben zu können. Nicht mehr der zu sein, den die Welt so bewundert und verehrt hat.

Geht es auch weniger dramatisch? Nun, wohl nicht bei ausgewiesenen Workaholics, die die Welt nur mit dem Tunnelblick sehen. Die sich selbst nur wahrnehmen können, wenn sie von anderen wahrgenommen werden.

Was es mit einem Menschen macht, wenn er sich nicht aus dem Magnetfeld früherer Erfolge lösen kann, zeigt ein Blick in die Biografie »Schuldig« von Thomas Middelhoff. Einst Topmanager, Chef bei Superkonzernen wie Bertelsmann und Arcandor, vom Typ her »Master of Universe«, also unbesiegbar. Seine Karriere startete raketenhaft und brachte ihm den Spitznamen »Big T« ein. Die Erfolge, so gesteht er in seiner Biografie, hätten bei ihm einen »euphorischen Ausnahmezustand« ausgelöst, verbunden mit dem Gefühl: »Darauf habe ich Anrecht!« Immer und überall den besten Tisch zu bekommen. Bei Veranstaltungen grundsätzlich in der ersten Reihe zu sitzen. Mit dem Hubschrauber ins Büro geflogen zu werden, wenn auf der Autobahn ein Stau drohte. Das gipfelte in einer Szene, die er so schildert: »Nach einer Diskussionsveranstaltung, die Angela Merkel auf dem World Economic Forum in Davos führte, verließ ich als Erster den Konferenzraum. Die Kanzlerin ging unmittelbar hinter mir. Wir waren auf dem Weg zum traditionellen Empfang des Verlegers Hubert Burda und seines Focus-Teams. Kurz bevor wir ankamen, zupfte die Kanzlerin von hinten an meinem Jackett und fragte: Halten Sie es eigentlich für richtig, vor dem deutschen Kanzler zu gehen? Ich drehte mich um, lächelte die Kanzlerin freundlich an – und setzte ungerührt meinen Weg an der Spitze der Delegation fort.«

Wie man weiß, ging die Geschichte für Thomas Middelhoff nicht gut aus. Hochmut kommt vor dem Fall. Wegen Untreue und Steuerhinterziehung wurde er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt und noch im Gericht festgenommen.

Aber so, wie es zum Beispiel den ehemaligen TV-Boss immer wieder zu den Stätten früherer Erfolge zieht, braucht auch ein gefallener Supermanager weiterhin die Anerkennung der Öffentlichkeit.

Geradezu unglaublich, wie sich Thomas Middelhoff ganz kleinmacht, um ganz groß rauszukommen. Nie hat sich ein Ex-Manager demütiger zu Eitelkeit und Größenwahn bekannt als er. Gesündigt habe er, vor Gott und der Welt. Er bereut seine Maßlosigkeit, gesteht Gier, Narzissmus und eine Ex-Geliebte. In der Rolle des geläuterten Mannes zieht er durch Talkshows, hält Vorträge und sagt vor allem eines: »Die grundsätzliche Disposition, ein gutes Bild abgeben zu wollen, werde ich nicht ablegen können, sie ist auch ein Stück Antrieb.« Vereinfacht ausgedrückt: Auch hier ist ein Mann, der nach seiner Karriere, egal wie sie endete, geliebt werden will.

Aufhören, wenn es am schönsten ist? Wer will das schon. Franz Müntefering fühlte sich wahrscheinlich mit 70 Jahren auf dem Höhepunkt seines Lebens: SPD-Vorsitzender, bewundert, verehrt, frisch mit einer 40 Jahre jüngeren Frau verheiratet. Und dann musste er mehr oder weniger freiwillig den Posten an Sigmar Gabriel abgeben. Nach 56 Jahren in der Politik war Schluss.

Viele Machtmenschen erleben das Ende ihrer Berufstätigkeit wie eine persönliche Niederlage. Eben noch auf dem Spielfeld – und plötzlich nur noch Zuschauer auf der Tribüne. Die Statussymbole, alles was Macht und Einfluss signalisierte, sind nach der Abwahl von einem Tag auf den anderen futsch. Der Platz in der Regierungsbank, die Leibwächter, das große Büro, der volle Terminkalender. »Ene, mene muh, raus bist du« heißt der Auszählreim aus Kindertagen. Ab aufs Altenteil. Wie wird man mit so einer plötzlichen Lebensumstellung fertig?

Er habe erst wieder Autofahren lernen müssen, gestand Franz Müntefering belustigt in einem ZEIT-Interview. Er habe ja 18 Jahre lang einen Chauffeur gehabt. Als er das erste Mal wieder einen Wagen startete, habe er verblüfft den Schaltknüppel betrachtet und zu seiner Frau Michelle gesagt: »Sechs Gänge? Zu meiner Zeit kam man noch mit vier aus.«

Es ist erstaunlich, wie sich ein Mensch im Alter unter neuen Lebensbedingungen noch verändern kann. Meine Großmutter, die mit 78 Jahren wegen Eigenbedarf aus ihrer Wiener Wohnung gekündigt wurde, in der sie 59 Jahre gelebt hatte, freute sich aufrichtig über den Umzug. »Ich wollte mich schon immer neu einrichten«, meinte sie, »in der alten Wohnung hätte ich mich dazu nicht aufraffen können.«

Bei Franz Müntefering, der als einsamer Leitwolf galt, hätte es niemanden gewundert, wenn er sich mürrisch und wortkarg zurückgezogen hätte. Seine Zeit und auch sein politischer Stil als »Zuchtmeister der Partei« waren vorbei. Von Hobbys und nahen Freunden war nichts bekannt. Als »Alleiner« hat er sich beschrieben, einer, der lieber in sich als in andere schaut. Kann sich ein Mensch wie dieser noch groß verändern? Natürlich – wenn er bereit ist, eingefahrene Denkmuster zu hinterfragen.

Franz Müntefering vollzog eine erstaunliche Metamorphose. Mit der Position des SPD-Vorsitzenden streifte er auch sein bisheriges Leben ab wie eine alte Haut. Er zog mit seiner Frau ins Berliner Szene-Viertel Kreuzberg, er genießt es, mehr Zeit zu haben, ausgiebig lesen und ins Kino gehen zu können. Und da ist der Freundeskreis seiner Frau, alle zwei Generationen jünger als er. Das sind andere Gespräche, andere Probleme, die er früher nicht kannte. Denn das Leben eines Spitzenpolitikers findet häufig in einer Isolationsblase statt, abgeschottet von der Realität. Franz Müntefering ist jetzt angekommen im richtigen Leben. In einem Alter, in dem viele wehmütig zurückschauen, blickt er voller Spannung auf das, was noch kommen mag: »Ich will zeigen, dass man mit dem Bedeutungsverlust umgehen kann, dass man es auch hinbekommt, sich ganz normal wieder einzureihen.«

Günther Oettinger, ehemaliger EU-Kommissar, der sich mit 65 Jahren aus Brüssel verabschiedete, weiß, dass der Bedeutungsverlust gerade in der Politik eine der schwierigsten Herausforderungen ist: »Ich habe so viele Kollegen erlebt, die den Ausgang nicht gefunden haben. Aufstieg in der Politik ist nicht einfach, noch schwieriger ist aber der Ausstieg. Deswegen lieber drei Jahre zu früh als einen Tag zu spät.«

Der Verzicht auf Macht und Prominenz fällt übrigens nicht nur Männern schwer. Heide Simonis, zwölf Jahre Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, wollte nie am Ende ihrer Karriere »vom Stuhl gekratzt und herausgetragen werden«. Als sie bei Neuwahlen nach vier Wahlgängen eine bittere Niederlage erlitt und unsanft aus dem Amt gejagt wurde, fiel es ihr mit 61 Jahren trotzdem schwer, sich ins Privatleben zurückzuziehen. Gerade ihr, die nicht nur die erste, sondern lange Zeit auch die einzige Ministerpräsidentin Deutschlands war. Das Vorbild einer emanzipierten Frau. Und dann plötzlich nicht mehr mitmischen zu können. Nicht mehr gehört zu werden. Nein, Heide Simonis wollte zu diesem Zeitpunkt noch nicht von der Bühne verschwinden. Ein Jahr nach ihrer Abwahl stand sie wieder im Scheinwerferlicht. Sie war Kandidatin bei der TV-Show »Let’s dance!« – als Botschafterin der UNESCO, wie sie betonte. Da hätte sie vielleicht andere Wege finden können. Aber sie bekam, was sie wollte: viel Aufmerksamkeit. Die Kritiken in den Medien waren verheerend, aber wie heißt es doch im Showbusiness: Hauptsache, mein Name wird richtig geschrieben.

Auch wenn es altersbedingt um Heide Simonis ruhiger geworden ist, kann man bei ihr nicht von einem Rückzug ins Privatleben sprechen. Auch nicht von Ruhestand, eher von Unruhestand. Sie schreibt Politbücher, Thriller, näht wie die amerikanischen Siedlungsfrauen Quilts, das sind bunte Decken aus Stoffresten, die sie – klar – auf Ausstellungen präsentiert.

Was lernen wir daraus? Der Ruhestand kann zum größten Abenteuer werden. Die einen fangen von vorn an, andere hören nie auf. Denken Sie nur an den legendären Johannes Heesters, der mit 107 Jahren auf die Bühne der Münchner Komödie geführt wurde. Blind, schwerhörig, klapprig. Er trug wie immer Smoking, lehnte sich ans Klavier, sonst wäre er wohl umgekippt, und begann zu singen. Er wollte gar nicht mehr aufhören und musste mit sanfter Gewalt von der Bühne geführt werden.

Hermann Hesse sagte über das Alter den schönsten Satz: »Mit der Reife wird man immer jünger.«

Kapitel 3

Mein Nachfolger

Das Thema ist mir etwas peinlich. Es geht um meinen Nachfolger. Bis zu dem Tag, an dem er es wurde, war alles in Ordnung zwischen uns beiden. Wir arbeiteten im selben Verlag, waren auf Augenhöhe, kamen uns nie in die Quere. Er war mir sympathisch. Natürlich hätte ich mir denken können, dass er, der Jüngere, als Nachfolger in Betracht kam. Aber wer beschäftigt sich schon gern mit seinem Nachfolger? Ich jedenfalls nicht, auch wenn mir theoretisch klar war, dass ich in absehbarer Zeit aus Altersgründen würde aufhören müssen. Aus Altersgründen! Das ist das Los der Festangestellten. Man wird irgendwann zwischen 60 und 70 in den Ruhestand hineinkomplimentiert, auch wenn man sich noch immer zu Höherem berufen fühlt. Und noch lange nicht ans Aufhören denken möchte. Ich blendete solche Gedanken aus, so wie ich morgens nicht auf die Waage stieg, wenn ich am Abend zuvor Spaghetti alla carbonara gegessen hatte. Sie wissen schon: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

Und dann fiel sein Name. Aus war es mit meinen freundschaftlichen Gefühlen. Als ob jemand einen Schalter in meinem Kopf umgelegt hätte. Er! Warum ausgerechnet er?

Jeder andere hätte es sein können, und ich wäre genauso empört gewesen. Jetzt aber konzentrierten sich alle meine negativen Gefühle auf ihn, der mir mein Baby wegnehmen wollte: meinen Job. Meine Kontakte. Meinen Schreibtisch. Meinen Platz in der Tiefgarage. Alles, was ich mir in mehr als 20 Jahren an Erfolg und Privilegien erarbeitet hatte.

Wenn die Eagles in »New Kid in Town« über den neuen Typ singen, der jetzt in der Stadt aufgetaucht ist und den alle so supertoll finden, während man selbst im Abseits steht, dann beschreibt das ziemlich gut meine Gefühle. Die Flüchtigkeit von Ruhm und Loyalität. »They will never forget you ’til somebody new comes along«. Sie werden dich nie vergessen – bis jemand Neues kommt.

Über solche Geschichten hatte ich selbst oft geschrieben. Vom Aufstieg und Fall der Großen, die irgendwann wieder ganz klein wurden. Und dann erlebt man es selbst! Gerade war ich noch der Hero. Und dann stehe ich draußen vor der Tür, während sich ein Neuer in meinem alten Leben breitmacht. Jeder ist bekanntlich ersetzbar. Aber es am eigenen Leib zu spüren, tut dann doch ein bisschen weh.

An meinem letzten Tag leitete ich die Morgenkonferenz, als würde es immer so weitergehen. Und 24 Stunden später saß er auf meinem Stuhl. Nein, das wird hier kein Gejammer auf hohem Niveau. Aber es fällt einfach schwer, Gewohntes und Vertrautes loszulassen. Vor allem, wenn man mit so viel Herzblut an seinen Job gehangen hat wie ich.

Die Contenance verlangt es, dass man mit Haltung und Würde an den Nachfolger übergibt. Wir sind ja schließlich zivilisierte Menschen. Aber meine innere Empörung führte zu einer Art Gärungsprozess, der in mir wie Blubberbläschen höchst unangenehme Gefühle aufstiegen ließ. Er würde jetzt alles ernten, was ich mühevoll aufgebaut hatte. Er genoss nun alle Vorzüge, die mit dieser Position verbunden waren. Er, er, er …

Nur gut, dass er nicht ahnte, was für einen Shitstorm er in mir ausgelöst hatte. Ich beobachtete ihn wie unter einem Vergrößerungsglas, als wäre er ein Außerirdischer aus einer fernen Galaxie, der gekommen war, um meine vertraute Welt zu zerstören. Zu gern hätte ich Beweise für seine Unfähigkeit gefunden, um sie wie Rabattmarken in mein Wutbüchlein einzukleben.

Sie finden, dass ich hier etwas übertreibe? Jeder Nachfolger ist per se eine Bedrohung für den Vorgänger beziehungsweise die Vorgängerin. Er kann es einem sowieso nie recht machen. Führt er den Laden im gleichen Stil weiter, ist man empört: Der macht es sich einfach, ruht sich auf meinen Lorbeeren aus! Macht er alles anders, ist man auch empört: Will er mir jetzt beweisen, wie es besser geht? Ändert er alles, und hat Erfolg damit, schmälert das die eigene Lebensleistung. Scheitert er jedoch, triumphiert man innerlich: Also geht es doch nicht ohne mich. Die Geschäfte müssen ja nicht gleich den Bach runtergehen, aber es würde das gekränkte Ego etwas beruhigen, wenn sich herausstellt, dass man fast unersetzlich ist.

Dabei war ich selbst auch einmal Nachfolgerin. Mein Vorgänger ein legendärer Schreiber und Autor, dessen Texte ich als junge Journalistin mit Begeisterung verschlungen hatte. Man kann sich also meinen Stolz vorstellen, als ich seinen Posten übernahm. Wahrscheinlich fiel ihm sein Abschied damals genauso schwer wie mir Jahre später mein eigener. Wann immer ich ihm begegnete, sah er durch mich hindurch. Als gäbe es mich nicht in seiner Welt. Das war zugegebenermaßen schwer zu ertragen. Erst Jahre später, als wir uns zufällig in Berlin in der Paris Bar trafen, sprach er mich an: »Den Lesern gefällt das Blatt, wie Sie es mit Ihrem Team machen.« Ein Kompliment mit Botschaft: Ich habe es anders gemacht, aber du machst es auch okay.« Für mich war es wie ein Ritterschlag. Und der Königsweg zu der Erkenntnis: Man sollte sich eingestehen, dass andere es genauso gut machen können wie man selbst. Auch wenn sie es ganz anders machen.

Wenigstens bin ich nicht allein auf der Welt, wenn es um das komplizierte Verhältnis zum Nachfolger geht. Von Angela Merkel weiß man, dass sie in ihrer Kanzlerschaft viele potenzielle Nachfolger weggebissen hat. Aber warum sollte sie sich auch mit einer Männerriege umgeben, die alles darangesetzt hätte, um ihre Unfähigkeit zu beweisen? Und um sie aus ihrem Amt zu drängen! Dabei war sie selbst einmal eine höchst unerwünschte Nachfolgerin. Im Zuge der CDU-Spendenaffäre 1999 distanzierte sie sich mit einem öffentlichen Brief von ihrem politischen Ziehvater Helmut Kohl. Das läutet das Ende seiner Ära ein und brachte sie an die Spitze. Helmut Kohl nahm dies »seinem Mädchen« ein Leben lang übel.

Wir Altvorderen wissen: Nachfolger sind nicht unbedingt Unschuldsengel. Sie trachten nicht nach deinem Leben, aber nach deiner Macht und deinem Schreibtisch. Von einem Politiker habe ich einen bösen Spruch gehört: »Kracht das Flugzeug auf die Piste, freut sich die Nachrückerliste.«

Wer beerbt jetzt Angela Merkel im Kanzleramt? Wer wird nach Dieter Bohlen künftig bei RTL den Superstar suchen? Und wer nach Joachim Löw die Fußball-Nationalmannschaft trainieren? Wenn Sie das hier lesen, stehen die Nachfolger mit großer Sicherheit schon fest. Aber die Neuen an der Spitze werden misstrauisch überlegen, von wem sie selbst einmal aus dem Amt gedrängt werden könnten.

Es finden ja nicht nur in der Politik Machtkämpfe zwischen den jungen Wilden und den alten Platzhirschen statt. Jeder Fußballtrainer weiß, dass nach einer Serie von Niederlagen der Nachfolger schon bereitsteht. Und in vielen deutschen Familienunternehmen geht es schlimmer zu als in TV-Serien wie »House of Cards« oder »Bad Banks«. Die Wirtschaftspresse ist voll von Geschichten über Firmenpatriarchen, die nicht loslassen können und wollen. Bei dem Münchner Unternehmen Knorr-Bremse zum Beispiel überwarf sich der Seniorchef Heinz Hermann Thiele mit seinem Sohn Henrik, der eigentlich sein Nachfolger werden sollte. Schließlich drängte er ihn aus der Firma. Es ging um Differenzen darüber, wie das Unternehmen weitergeführt werden sollte. Der Macht- und Führungsanspruch des inzwischen verstorbenen Patriarchen war legendär: »Solange ich aktiv bin, bleibt die Stimmenmehrheit bei mir«, verkündete der damals 76-Jährige.

Es gibt für jede Grundstimmung genügend Psycho-Ratgeber. Ob man nun sein »inneres Kind« erkunden, mit Verlustängsten besser umgehen oder mehr Selbstbewusstsein entwickeln möchte. Aber ich habe nichts zu der Frage gefunden, wie man mit seinem Nachfolger umgeht beziehungsweise ihn zu schätzen lernt. Dafür bräuchte nicht nur ich psychologische Nachhilfe.

Es geht ja um ein tief in uns verankertes Notprogramm, das uns vor Stress und Ängsten schützen soll. Wir klammern uns an einen Job, an eine Position, weil wir nicht die Kontrolle über unser Leben verlieren wollen. Kontrolle bedeutet Macht, bedeutet, die Dinge nach eigenen Vorstellungen gestalten zu können. Wenn wir das alles aufgeben oder an einen Nachfolger übergeben müssen, verlieren wir unsere Sicherheit und alles, von dem wir glauben, dass es uns ausgemacht hat.

Aber nicht der Nachfolger ist das Problem, sondern wir selbst!