Wer fürchtet sich vorm Sensenmann? - Astrid Schilcher - E-Book

Wer fürchtet sich vorm Sensenmann? E-Book

Astrid Schilcher

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Beschreibung

Die ständig steigenden Zielvorgaben von "Death Inc." machen dem Sensenmann zu schaffen. Es ist ihm unmöglich, die Lebensfäden aller Todgeweihten per Hand zu durchtrennen und diese persönlich ins Jenseits, mit den beiden von den Erzengeln Michael und Luzifer regierten Sphären, zu begleiten. Seine Plädoyers für nachhaltigeres Wachstum verhallen ungehört, unkonventionelle Allianzen mit Pharma- oder Waffenkonzernen sind nötig zur Zielerreichung. Dreadlock-Girl will nichts wie weg aus Englewood, einer heruntergekommenen Gegend von Chicago. Als sich ihre Wege kreuzen, spürt der Sensenmann ihre geheimnisvolle Kraft. Er wird ihr Ticket aus dem Ghetto und verhilft ihr zu einem Job bei "Death Inc." Die beiden werden zu Verbündeten im konzernpolitischen Machtreigen, in dem Luzifer, Michael und der Große Venture Capitalist ihre eigenen Interessen verfolgen. Aber auch Dreadlock-Girl hat Pläne und setzt alles daran, ihre Ziele zu erreichen, die nicht nur "Death Inc.", sondern die gesamten menschlichen Moralvorstellungen auf den Kopf stellen.

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Astrid Schilcher

Wer fürchtet sich vorm Sensenmann?

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Death Inc.

Unterbrochene Bürogedanken

Wieder aufgenommene Bürogedanken

Väterchen Zeit

Tagewerk

Dreadlock-Girl

Suche

Treffen

Planschmiede

Ein Kardinal in Sünde

Assessment

Kira

Acht Jahre später

Spielchen

Konfrontation

Dicke Luft

Philosophische Gedanken

Versöhnung

Selbstzweifel

Forderungen

Konsequenzen

Rat von Väterchen Zeit

Komplizen

Routine

Hoher Besuch

Heiße Diskussion

Ein Jahr danach

Alte Antagonisten

Impressum neobooks

Death Inc.

40,000 men and women every day,Like Romeo and Juliet (…)

(Don’t Fear the Reaper – Blue Öyster Cult)

Vierzigtausend täglich? Schön wär’s! Längst vergangen sind die guten alten Zeiten, als ich meine Quote in Handarbeit mit der Sense erfüllen konnte. Derzeit stehen wir bei hundertfünfzigtausend und meine beiden Chefs schrauben die Vorgaben jährlich nach oben. Wachstum, Schmieröl der Wirtschaft und Nasstraum von Shareholdern. Auch Death Inc. hat seine Seele an das quantitative Wachstumsparadigma verhökert und ignoriert stur ökologische und soziale Grenzen. Ich, als operativer Geschäftsführer, bin genötigt, mich diesen Zwängen zu beugen. Glaubt mir, ich liebäugle fast täglich mit der Kündigung, aber außer auf einer Handvoll Almen und Steilflächen sind meine Fähigkeiten nicht mehr gefragt. Miserable Jobaussichten.

In zehn Minuten steht das Planungs-Meeting mit meinen beiden Vorständen an. Mit Grauen harre ich der Ziele für die nächste Periode. Seit Jahren achte ich penibel darauf, meine Quote um keine Seele überzuerfüllen, eine Punktlandung hinzulegen. Genützt hat es mir bis dato ebenso wenig, wie die mittlerweile in Flehen ausgearteten Beteuerungen, dass weiteres Wachstum mit meinen Ressourcen nicht zu schaffen sei. „Lass dir was einfallen“, heißt es dann lapidar, „oder willst du unseren Großen Venture Capitalist vergrämen?“

Als ich den prunktrunkenen Besprechungsraum betrete, ist die Luft wieder einmal so dick, dass man sie in Schachteln packen und hinaustragen könnte. Anstatt der Interessen von Death Inc. verfolgen die Erzengel Luzifer und Michael ihre persönlichen Agenden, buhlen um Geldmittel für ihre Vorstandsressorts und die Gunst des Großen Venture Capitalists. Die Wurzeln ihrer wechselseitigen Aversion wuchern in uralten Geschichten. Michael hat sich das prestigeträchtigere, lichtdurchflutete Büro erschleimt. Luzifer hat zurückgeschlagen und durchgeboxt, dass der Morgenstern im Lateinischen seinen Namen trägt. Meine Wenigkeit wird zwischen ihren Eitelkeiten und Machtkämpfen zerrieben wie Getreide zwischen zwei Mühlsteinen.

Ich nicke den beiden kurz zu und lasse mich in den ledergepolsterten Sessel fallen. Vor mir liegt ein schätzungsweise hundertfünfzig Seiten dickes Konvolut mit dem Titel Mittelfristige Strategie und Ziele. Von einer dunklen Vorahnung erfüllt überfliege ich das Kapitel Quantitative Ziele. Was dort zu lesen ist lässt eine Karriere als Almsenner in goldiger Verheißung erstrahlen:

Weitere, konsequente Verfolgung des eingeschlagenen Wachstumspfades … elf Prozent im kommenden Jahr … sukzessive Anhebung auf fünfzehn Prozent über die kommenden zehn Jahre … Einfrieren der Betriebskosten (damit ist meine Kostenstelle gemeint) auf dem aktuellen Niveau …

„Ich sehe, du hast dich schon in medias res begeben. Bitte, entzücke uns mit deinen Einfällen, wie du die Ziele zu erreichen gedenkst.“ Michael war schon immer der Gnadenlosere von den beiden. Tuberkulose, Viren-Epidemien, ISIS, mexikanische Drogenkartelle, schön langsam gehen mir die Ideen aus. Ich bin kein Mann großer Worte. Meine Stimme klingt heiser und in meiner täglichen Arbeit ist die Geste des abwechselnd aus der Faust heraus gestreckten und wieder gekrümmten Zeigefingers völlig ausreichend. Aber mit einer Handbewegung ist es hier nicht getan. Ich nehme einen Schluck Wasser aus dem schweren Kristallglas und räuspere mich.

„So kurzfristig ist das nicht machbar. Wir haben uns doch im vergangenen Jahr auf eine nachhaltige, zukunftsorientierte Strategie geeinigt.“

„Das war letztes Jahr. Shareholder Value maximieren lautet das Gebot der Stunde. Und natürlich unsere Boni.“ Michaels süffisantes Grinsen lässt in mir eine siedende Wut emporsteigen, deren Dampf in einem Zischen durch meine gefletschten Zähne entweicht. Das ist ihm Warnung genug, einen Gang zurückzuschalten.

„Hör mal, Sensenmann, wir sind uns bewusst, was du in der Vergangenheit geleistet hast. Aber die Zahl der Menschen klettert beständig nach oben, da ist es nur legitim, dass von uns mehr erwartet wird. Wir können nicht riskieren, dass der Große Venture Capitalist Geldmittel abzieht und in andere Unternehmungen investiert. Das wirst du doch verstehen.“

„Alleine schaffe ich das nicht mehr.“

Luzifer zieht die rechte Augenbraue nach oben während sich sein linkes Auge verengt. Noch hält er sich mit Kommentaren zurück. Seine Doppelzüngigkeit fürchte ich mehr als Michaels kalte Arroganz. Verzweifelt versuche ich den beiden klarzumachen, dass der Großteil unserer strategischen Maßnahmen auf mittelfristiges Wachstum abzielt.

„Die letzten Jahre habe ich mir mit Lobbyarbeit den Arsch aufgerissen. ExxonMobil, Dow Chemical, Monsanto, Trump, McDonald’s, die Zuckerindustrie, sie alle konnte ich für unseren Zweck einspannen. Aber Klimawandel, Mikroplastik oder Adipositas töten nicht von heute auf morgen. Ich brauche einfach mehr Zeit.“

„Deine vorausschauende Strategie in Ehren. Zucker und Fast Food haben am Rande bemerkt ihre Tücken. Die Gewerkschaft beschwert sich schon über die zunehmenden Lasten, die meine Engel zu schleppen haben, fordert eine Erschwerniszulage. Du musst eben selbst wieder verstärkt mit der Sense ran.“

„Wenn ich jemanden persönlich abhole, ist das ein respektvolles Übergangsritual, kein Massenschlachthof! Solides Handwerk hat eine Kapazitätsgrenze, der Plafond ist erreicht. Und deiner verzogenen Engelsschar gebührt mal ein Tritt in den Hintern.“

Jetzt mischt sich Luzifer ein: „Hast du schon was vom Pareto-Prinzip gehört? Achtzig Prozent des Gesamtergebnisses werden mit zwanzig Prozent des Gesamtaufwandes erreicht. Verabschiede dich einfach von deinem Perfektionismus, dann kriegst du das schon hin.“

„Der Tod ist nun mal eine hundertprozentige Angelegenheit“, zische ich zurück, „also schieb‘ dir dein Pareto-Prinzip sonst wo hin. Oder willst du eine Zombie-Epidemie?“

„Schon gut, schon gut“, Luzifer hebt abwehrend die Hände.

„Ich denke, wir können das Ganze abkürzen“, Michaels Stimmtemperatur oszilliert um den absoluten Nullpunkt.

„Die Ziele stehen. Lass dir gefälligst was einfallen.“

Ich versuche einen dramatischen Abgang, knalle die Tür zu, aber da das blöde Stück ledergepolstert ist, bleibt mir selbst diese kindische Genugtuung versagt.

Unterbrochene Bürogedanken

Zurück in meinem Büro reagiere ich den Besprechungsfrust an meinem schwarz glänzenden Punchingball ab. Ein Geschenk von Luzifer. Im Gegensatz zu Michael ist er wenigstens mit Humor gesegnet.

R e c h t s. L i n k s.

Mein raffinierter Desaster-Plan.

Rechts. Links. Rechts. Links.

Überschwemmungen, Dürrekatastrophen, Hunger, daraus resultierend Migrationsströme und Kriege. Perfekt getimt mit dem Anwachsen der Bevölkerung, um eine Überernte zu vermeiden.

Rechts. Rechts. Rechts. Links. Links. Links.

Alles zu wenig, zu langfristig.

Rechts. Rechts. Rechts. Links. Links. Links.

Perverser Kapitalismus. Und wie immer bleibt es an mir hängen, ihre gierigen Rachen zu stopfen.

Ich lege ein letztes Mal alle Kraft in meine Schläge.

Rechts. Links. Rechts. Links.

Danach habe ich zumindest so viel Dampf abgelassen, dass ich wieder geradeaus denken kann. Meine neue Vorgabe scheint in Stein gemeißelt. Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als einen kreativen Weg zu finden, die geforderte Seelenquote abzuliefern. Mein Blick fällt auf die Pinwand, auf der mein Lieblingsgedicht prangt:

Because I could not stop for Death,

He kindly stopped for me (…)

Derartige Wertschätzung und Ehrfurcht wird mir bedauerlicherweise selten gezollt. Wunderbare Emily Dickinson. Eine Seele, ganz nach meinem Geschmack. Menschenscheu, depressiv, begnadet. Es war mir eine Freude, ihr einen würdigen, sanften Übergang zu bereiten, als ihre Zeit gekommen war. Wenigstens das seht in meiner Macht. Ihre Todesursache blieb für den Rest der Menschheit ein Mysterium. I must go in, for the fog is rising - ihre letzten Worte, auf ewig in meinem Gedächtnis verankert.

Außer den lebensüberdrüssigen Alten und Kranken hält niemand für mich inne. Alle versuchen sie mir zu entkommen. All das sinnlose Herum-Gerenne. Ermüdend. Zeitraubend. Und plötzlich beginnt eine Idee in meinem Kopf Form anzunehmen. Noch sind ihre Konturen undefiniert, ihre Gestalt substanzlos. Aber es reicht, um ihren Wesenskern zu erahnen. Was wäre, wenn weitaus mehr Menschen mich begrüßen, für mich anhalten würden? Wieviel Zeit könnte ich dadurch sparen? Und was würde sie veranlassen, das zu tun?

Ein Klopfen reißt mich aus meinen Überlegungen. Luzifer. „Ging gerade etwas heiß her, aber nimm dir das alles nicht zu sehr zu Herzen. Du findest schon eine Lösung, tust du immer.“

Momentan fehlt mir definitiv die Geduld für seine Spielchen: „Was willst du?“

„Ich habe mir gedacht, wenn Michaels Engel über das Transportgewicht klagen, könntest du die ganzen fetten Brocken ruhig mir übergeben. Würden sie sich auch so gehen lassen, wenn ihnen bewusst wäre, dass Übergewicht über den Astralkörper bis zum Jüngsten Tag an ihnen haftet? Wie auch immer, meine Diener haben kein Problem mit dem Anpacken. Damit wäre dir doch geholfen?“

Er ist wahrlich ein ausgekochter Fuchs. Seit Äonen raufen die beiden darum, mehr Seelen in ihren Bereich zu scheffeln und sich damit das größere Stück vom Ressourcenkuchen zu sichern. Dabei ist Aufteilung in Himmel und Hölle ohnehin pure Willkür, entstanden aus der Bredouille des Großen Venture Capitalists, Macht und Vorstandsressorts ausgeglichen zwischen seinen Erzengeln aufzuteilen, um keinen seiner beiden, zugegeben fähigen, Mitarbeiter zu verlieren.

Für die Verblichenen ist es, sieht man vom Umgang ab, ein Strudel, ein Teig. Ein Gefängnis bleibt ein Gefängnis, egal ob es in Pastell oder in Schwarz-Rot ausgemalt ist. Die minimalen Differenzierungen ergeben sich aus Hintergrundmusik – für mein Empfinden hat Luzifer hier den raffinierteren Geschmack – kulinarischer Positionierung (deftige Hausmannskost versus ethisch korrekter, veganer Küche) und den Möglichkeiten zum Zeitvertreib. Während sich die sogenannten Gutmenschen die Ewigkeit mit Paul Coelho, Chorsingen und Mandalas Ausmalen vertreiben, frönen die gefallenen Seelen dem Glücksspiel, lesen Stephen King, spielen World of Warcraft oder hauen sich bei Kampfsport, bevorzugt Mixed Martial Arts, die Köpfe ein. Alles bloß eine Frage der persönlichen Präferenzen, aber das würden die Erzengel selbst unter Folter niemals eingestehen. Also mache ich das ganze Tamtam, welches Seelchen wo seine Unendlichkeit fristet, brav mit. Der Große Venture Capitalist persönlich hat dazu ein Regelwerk verfasst, neben dem sich Krieg und Frieden wie eine Kurzgeschichte ausmacht. Von mir aus kann Luzifer die ganzen Adipösen haben, sie sind bei ihm ohnehin besser aufgehoben. Die Kardinalsünde der Völlerei bietet mir die nötige interne Rechtfertigung. Und Michael mit seinen empfindlichen Engeln geschieht das ganz recht.

Der Herr der Unterwelt zieht zufrieden von dannen und ich habe meine unterbrochenen Gedankengänge gerade wieder aufgenommen, als es erneut an der Tür klopft. Natürlich, Michael. Hätte mich gewundert, wenn nicht auch er mit einer persönlichen Agenda auf der Matte stehen würde. Der Erzengel kommt direkt zur Sache: „Es gibt da eine Seele, die ich gerne hätte. Im Gegenzug bin ich bereit, dein Spesenbudget um drei Prozent zu erhöhen.“

Wenn der Fürst des Lichts die Spendierhosen anhat, ist Vorsicht geboten. „Heißt das, dass mir dein Anliegen Schwierigkeiten mit Compliance einbringt?“

Das folgende Herumgedruckse hüllt Michaels wahre Absichten in noch undurchdringlichere Nebelschwaden. Ich bin knapp davor, mit meiner Sense Abhilfe zu schaffen, als er endlich zu des Pudels Kern kommt.

„Ein Kardinal? Der sollte doch sowieso bei dir landen. Sag nicht, du willst eine Seele vor ihrer Reife ernten. Das wäre nicht nur ein eklatanter Regelverstoß, sondern auch grob fahrlässig!“

Der Erzengel gibt sich empört: „Um Himmels Willen, nein, ich würde niemals … Was denkst du von mir?“

Ratio gebietet, die Frage nicht zu beantworten und meinen Vorgesetzen auch nicht daran zu erinnern, dass er und sein Vorstandskollege vor nicht allzu langer Zeit einen entsprechenden Antrag auf Änderung des Regelwerkes eingebracht haben, der glücklicherweise abgeschmettert worden ist.

Das Regelwerk und meine moralischen Grundsätze. Läge es in meinem Charakter, beide über den Haufen zu werfen, wäre ich schon längst drittes Vorstandsmitglied statt Hampelmann für die Fürsten des Lichts und der Finsternis. Das macht mich zum Schicksalsgenossen von Väterchen Zeit, der sich ebenfalls standhaft weigert, den beiden verbotene Einblicke in die Zukunft zu gewähren. Karriere-Killer Rückgrat, nichts Neues. Im gegenständlichen Fall Adieu Spesenerhöhung, die angesichts meiner Entscheidung, vor einer Zu- oder Absage die Hintergründe gründlicher zu recherchieren, verpufft. Michael verlässt mein Büro mit kämpferischen Zornesfalten auf der Stirn. Das Klack der Türe klingt nicht nach Abschluss, sondern nach dem Eröffnungs-Gong für eine weitere Runde.

Wieder aufgenommene Bürogedanken

Endlich Ruhe. Nachdenken ist angesagt. Diesmal kommt nicht der Punchingball zum Einsatz, sondern das interaktive Whiteboard. Gedankenblitze transformieren sich in Kritzeleien, die sich im verenglischten Business-Jargon hochgestochen Mind-Maps nennen, und wandern automatisch auf meinen PC. Wunderbare Digitalisierung. Kreativer bin ich dadurch allerdings um keinen Deut.

Am Ende meines geistigen Ergusses thronen die Worte Stop for Death rot umwölkt in der Mitte der Tafel. Tentakelgleich winden sich Linien mit weiteren eingekreisten Begriffen über die gesamte Fläche. Neugierde ist da zu lesen, Depression oder Hoffnung auf besseres Jenseits. Eine globale Schwermut-Epidemie klingt vielversprechend. Der zu erwartende Anstieg an Selbstmördern würde meine Arbeit erleichtern, außerdem wohnt gesellschaftlicher Malaise die Tendenz zur Ausbreitung inne. Aber genau in Letzterem liegt der gravierende Nachteil. Meine Persönlichkeit zeigt ohnehin einen gewissen Hang zur Schwermut und ich will nicht riskieren, mich mit einer handfesten Depression zu infizieren.

Dann also lieber auf Hoffnung setzten. Nur leider hat das fügsame, apathische Warten auf ein besseres Jenseits ebenfalls etwas sehr Deprimierendes. Also verwerfe ich auch diese Option. Der aus der Neugier entwachsende Gedankenfortpflanz reizt mich ohnehin am meisten. Schließlich ist diese einer der grundlegenden menschlichen Instinkte. Wirkliches Erfolgspotenzial bekommt dieser Pfad durch die Abzweigung in Richtung Esoterik. Kontakt mit dem Jenseits stand bei dieser Fraktion schon immer hoch im Kurs. Was, wenn man die Menschlein dazu verführen könnte, zu glauben, dass sie die Grenze in beide Richtungen überschreiten, ungestraft einen Spaziergang auf der anderen Seite unternehmen könnten?