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Haberzell, ein Dorf im Bayerischen Wald, seine Menschen und ihr Alltag stehen im Mittelpunkt dieses Romans: Was um den biederen Mittererbauern und seine Söhne, um den zwielichtigen Hagerwirt, was um den alten Sepp und den jungen Kramersohn herum geschieht - immer scheint es Rosa Zirkler zu sein, die aus maßlosem Ehrgeiz heraus die Fäden ziehen will. Rosa stürzt das Dorf mehr und mehr in Verwirrung und gegenseitiges Misstrauen, bis schließlich alles über ihr zusammenbricht und für sie das Wort "Wer Lügen sät, hat eine böse Ernte" zur bitteren Wahrheit wird.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
LESEPROBE ZU
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2007
© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
www.rosenheimer.com
Titelfoto: Studio von Sarosdy, Düsseldorf
eISBN 978-3-475-54702-7 (epub)
Paul Friedl
Wer Lügen sät
Haberzell, ein Dorf im Bayerischen Wald, seine Menschen und ihr Alltag stehen im Mittelpunkt dieses Romans: Was um den biederen Mittererbauern und seine Söhne, um den zwielichtigen Hagerwirt, was um den alten Sepp und den jungen Kramersohn herum geschieht – immer scheint es Rosa Zirkler zu sein, die aus maßlosem Ehrgeiz heraus die Fäden ziehen will. Rosa stürzt das Dorf mehr und mehr in Verwirrung und gegenseitiges Misstrauen, bis schließlich alles über ihr zusammenbricht und für sie das Wort „Wer Lügen sät, hat eine böse Ernte“ zur bitteren Wahrheit wird.
Über Haberzell ging hinter schweren Wolken und nässenden Nebeln ein trister Herbstmorgen auf, zähe und düster, als zögere der Tag, das Unglück zu enthüllen, das die vergangene Nacht über das Dorf gebracht hatte.
Um den spitzen Turm der Kirche, die Häuser am Dorfplatz und die gegen den Berg liegenden Höfe lag eine bange Stille, obwohl trotz der frühen Stunde die Dörfler noch unterwegs waren zwischen dem kleinen Ort an der Straße und dem vom schwebenden Nebel verhangenen Mittererhof droben unterm Wald. Sie hatten das jammernde und hilferufende Bimmeln der Glocke noch in den Ohren, die sie in der Nacht zum Montag aus dem Schlaf gerissen hatte, als droben am Berg eine rote flackernde Lohe aufstieg und der alte Mittererhof von züngelnden Flammen und knatterndem Brand aufgefressen wurde. Noch ehe der Tag gekommen war, hatten sich die haushohen Feuerzungen in die glühenden Reste des Hofes zurückgeduckt und nur einmal noch kräftig aufgebrannt, als die gemauerte Giebelwand des neuen Heustadels auf die glosenden Heuhaufen niedergesunken war.
Es hatte nicht viel Wasser gegeben, und die Hofschwemmen vom Mitterer und vom Obermeier wurden von der neuen Motorspritze bald bis auf den Bodenschlamm leergesaugt. Dann mußte man es brennen lassen, und das letzte hölzerne Bauernhaus im ganzen Tal ging wie Zunder auf.
Verkohltes Gebälk ragte auf, und in die Brandstatt streckten sich die verbrannten Aststumpen des alten Kirschbaumes. Gelber Rauch quoll dick und schwer aus den wüsten Trümmern des Wohnhauses, der eingestürzten Decke des gemauerten Stalles und den dampfenden schwarzen Heuhaufen, aus denen immer wieder die leuchtende Glut bleckte.
Auf der Hauswiese stand und lag verstreut das Wenige herum, was an Hausrat gerettet werden konnte: alte Kästen, Tische und Stühle und graue Betten, auf die ein feiner Regen schon stundenlang näßte.
Die Männer und Frauen, die huschelnd und durchnäßt im Kreise um die trostlose Brandstatt standen, unterhielten sich nur flüsternd, und ihre verhaltenen Gebärden verrieten, daß sie sich achselzuckend nach der Brandursache fragten oder mit einem Blick nach dem alten Mitterer dessen Kummer beredeten.
Seit man ihn vor Stunden völlig verstört aus dem Hause gebracht hatte, saß er, teilnahmslos vor sich hinstarrend, auf einem Holzstock und sah nicht einmal auf, als der Nachbar, der Obermeier, ihm seinen eigenen Hut auf den Kopf setzte, auf dessen schlohweißes Haar Regen und Flugasche sich zu Schmutz vermischt hatten, der ihm in Streifen über das bleiche Gesicht gelaufen war. Man ließ ihn in Ruhe, denn jede gutgemeinte Aufforderung, doch zum Nachbarn in die Stube zu gehen, weil er ja hier nichts helfen könne, hatte er mit einem bösartigen Knurren beantwortet. So hatte er zugesehen, wie der alte Hof zusammenbrannte, und nur das Feuer und das Bemühen der Dorffeuerwehr hatten ihn interessiert. Keinen Blick warf er auf den spärlichen Hausrat, der nun unter der Nässe verdarb, und das Brüllen der Kühe, die man aus dem Stall holte und fortbrachte, schien er gar nicht gehört zu haben. Er hatte bis zum Morgen auch noch nichts gefragt und auch seinen beiden Söhnen, dem Jakob und dem jüngeren Anton, keine Antwort gegeben.
Verschlossen und grüblerisch, als dächte er die ganze Zeit schon über etwas Bestimmtes nach, verfolgte er mit wachen Augen, wie nun im wachsenden Tag seine Buben, zusammen mit der jungen Haushälterin, der Rosl, die seit dem Tode der Bäuerin auf dem Mittererhofe war, den geretteten Teil der Wohnungseinrichtung hinüber in den Stadel des Obermeier brachten, immer wieder aber kehrte sein Blick zu den drei Feuerwehrleuten zurück, die noch geblieben waren und die glühenden Heuhaufen auseinanderrissen. Mit halblauten Befehlen und eifrig um die Brandstatt stelzend, tat sich der junge Dangl hervor, in tadelloser Uniform und mit dem Helm des Feuerwehrkommandanten, der ihm zwar nicht zustand, den er aber für seinen erkrankten Vater trug und damit auch dessen Funktion als Kommandant ausgeübt hatte.
Dann wanderten die Blicke des Bauern hinüber zum Einfahrtsweg vom abgebrannten Stadel, sahen dort den neuen Traktor stehen und blieben nachdenklich daran haften.
Der Nebel war gegen den Wald zurückgewichen, und aus einem blauen Flecken am Morgenhimmel sah kurz die Sonne. Die roten und grünen Lackfarben am Traktor leuchteten glänzend auf, ein seltsamer Kontrast zu der traurigen und trostlosen Stätte des abgebrannten Hofes.
„Vater, willst net zum Obermeier gehen? Wirst noch krank in der Kälte und Nässe. Komm mit!“
Der Bauer schüttelte nur den Kopf.
„Da kannst ja doch nix mehr helfen, also komm!“ drängte der Jakob gut meinend.
Langsam wandte ihm der Vater das Gesicht zu und deutete hinüber, wo in der kargen Sonne der Traktor blitzte. Der kalte und bohrende Blick des Bauern trieb seinem Sohn das Blut ins Gesicht.
„Was meinst? Der Traktor? Ist ein Glück, daß ich ihn gestern noch herausgefahren habe, sonst wäre er auch verbrannt.“
„So, so.“
Der Jakob spürte plötzlich das lauernde Mißtrauen und wurde blaß.
„Geh jetzt, friert dich ja eh wie einen Schneider.“
„Ja, gehen wir, Geschehen ist es, und ändern läßt es sich nimmer.“
Mit einem tiefen Seufzer erhob sich der alte Mitterer, taumelte steif und ließ sich von seinem Ältesten zum Obermeier hinüberbringen, dessen Hof kaum hundert Schritte weiter am Hang lag. Sie sprachen kein Wort mehr miteinander, und als ihnen der jüngere Bub, der Anton, begegnete und dem Vater versichern wollte, daß er sich um nichts kümmern und sich am besten im Beihäusl des Nachbarn umsehen und einrichten solle, löste sich die Starre im Gesicht des Alten, und schmerzbewegt meinte er:
„Daß das kommt, hab ich gewußt, Bub, wie es aber gekommen ist, das möcht ich auch noch wissen. Für mich ist alles hin, aber ich sag dir: der das getan hat, der soll es net umsonst getan haben.“
Erschrocken sah der Anton seinen alten Vater an:
„Meinst doch net, daß einer angezündet hat?“
„Das weiß ich schon ganz gewiß“, sagte der Alte rauh und stand nun wieder aufrecht und frisch, als wäre die vergangene Nacht nicht gewesen. Er schüttelte die Hand seines Ältesten, der ihn am Arm geführt hatte, ab, und bemerkte ruhig und fest:
„Kannst wieder zurückgehen. Ich brauch dich net. Die Rosl soll mir helfen, das Zeug ein wenig einzurichten.“
Fragend sahen sich die beiden Brüder an, als er nun mit festem Schritt davonging, hinüber zum Obermeier.
„Was meinst du dazu?“ wollte der Anton wissen und sah seinen Bruder forschend an. „Weiß net, was er hat. Mir ist das jetzt egal, ob einer angezündet hat oder net. Ich bin zum Umfallen müd — und — eigentlich ist es um die alte Hütte net schad — zu dir gesagt.“
„Wie es wohl mit der Versicherung sein wird?“ wollte der Anton wissen, während sie wieder zur Brandstätte zurückgingen.
„Ich hab die ganzen Papiere heraus. Der Vater hätt sie eh vergessen und sie verbrennen lassen. Ist alles in Ordnung.“
„Dir macht es wohl net viel aus, daß unser Hof —“
„Gar nix!“ fiel ihm der Jakob in die Rede, „um den alten Holzwurmkasten ist es net schade.“
„Jackl, das ist gefrevelt! Sag ja kein solches Wort dem Vater gegenüber!“ Der Anton blieb plötzlich stehen und sah seinen älteren Bruder scharf an. Mit einem schiefen Lächeln im verrußten Gesicht wartete dieser auf die Frage, die nun kommen mußte, aber mit einem Achselzucken ging der Anton schnell weiter, der Brandstätte zu.
Der beizende Gestank glimmenden und vom Löschwasser angenäßten Heues und der trockenrauchige Ruch verbrannten Holzes schwebten über den Hängen. Die milde Herbstsonne brach nun endgültig durch das Gewölk. Aus einer Gruppe von Männern löste sich die massige Gestalt des Bürgermeisters Hackl und kam dem Jakob entgegen.
„Weiß man, wie das Feuer ausgekommen ist?“
„Ich weiß es net und kann’s mir auch net denken“, antwortete der junge Mitterer. Das dunkle Haar hing ihm in die geschwärzte Stirn, und übernächtig sah er den Bürgermeister prüfend an. „Es ist so schnell gegangen. Bin grad heimkommen und wollt mich niederlegen, da ist es vor meinem Stubenfenster schon rot aufgegangen. Im Schlaf, wenn es uns erwischt hätte, dann hätten wir kein Bett mehr herausgebracht und kein Stückl Vieh.“
„Hm, der alte Zizler Sepp sagt, es hätt im Stadel und in der Streuschupfe gleichzeitig aufgebrannt. Er hat grad aus dem Fenster geschaut, weil er net hat schlafen können.“
Der Bürgermeister schwieg, als neben ihnen der junge Fritz Dangl, der Krämerssohn, auftauchte, der so eifrig seinen kranken Vater als Feuerwehrkommandant vertreten hatte. Seine Uniform war glatt und sauber, die Stiefel blank, und der Helm des Vaters glänzte, als ginge er zu einem Kirchenzug der Feuerwehr.
„Bürgermeister, melde Einsatz beendet! Da ist weiter nix mehr zu machen, und ich schicke die Leut heim.“ Sein rotbackiges Gesicht glänzte vor Stolz, und strammstehend, den jungen Bauern neben ihm nur mit einem schnellen Blick aus seinen wasserblauen Augen streifend, fügte er hinzu: „Glaub net, daß es noch einmal aufbrennt. Unsere neue Motorspritze hat sich bewährt —“
„Aber alles ist niedergebrannt“, bemerkte der Jakob Mitterer etwas spöttisch.
„Das Wasser ist halt zu wenig gewesen“, stellte der Bürgermeister fest. „Ist gut, geht nur heim. Mit dem Aufräumen kann jetzt eh net angefangen werden.“
„Die Wehrleut bekommen ein Faß Bier, das können sie beim Wirt trinken, wann sie wollen“, bemerkte der Jakob. „Der Vater wird sich schon noch extra bedanken.“ Als der junge Dangl steif und ohne noch etwas zu sagen davonstelzte, bemerkte der Mitterer noch abfällig und mit bitterem Spott: „Jetzt hat der Feuerwehrnarr wenigstens seine neue Spritzen ausprobieren können.“
„Ja mein, es hat halt jeder seinen Stich, der eine so, der andere so.“
Auf dem Weg vom Dorf herauf kam der Hauptwachtmeister Koller von der Landpolizeistation im Pfarrdorf, das nur eine halbe Stunde entfernt lag, und zu dem auch das Filialkirchlein von Haberzell gehörte. In seiner Begleitung befanden sich zwei Herren, die unweit des abgebrannten Hofes stehenblieben, sich umsahen und, nachdem sie den Polizisten etwas gefragt hatten, auf den Bürgermeister lossteuerten.
„Die Herren sind von der Brandfahndung“, stellte der Hauptwachtmeister vor, und die beiden nannten kurz ihre Namen: Schrader und Grell.
Der Ältere, ohne Hut und mit einem schmalen Gesicht, graumeliertem Haar, in seinen Bewegungen aber noch recht jugendlich, fragte nur kurz und als wäre er in Eile, nach dem Bauern Mitterer.
„Das ist der älteste Bub vom Mitterer“, deutete der Bürgermeister auf den Jakob, und diesem schoß eine Blutwelle in die Wangen.
„Der Vater ist drüben beim Obermeier“, sagte er rasch und räusperte sich.
Der Kriminalbeamte überlegte und sah den jungen Bauern nachdenklich an. Dann schien er sich anders entschlossen zu haben:
„Na, es eilt nicht. Wollen doch erst einmal hier nachsehen.“
Damit schritt er den anderen voran dem Brandplatz zu. Unschlüssig folgte der Jakob, während der Bürgermeister sich talwärts entfernte. Mit einem raschen Blick umfaßte Kommissar Schrader die Situation und kniff überrascht die Augen zusammen, als er vor dem niedergebrannten Stadel den Traktor sah, der so neu und unberührt auf der Wiese stand, als wäre er eben erst geliefert und dort abgestellt worden. Kopfschüttelnd sah er sich weiter um und winkte den Jakob heran. Von ihm ließ er sich erklären, was von den Überresten einmal Wohnhaus, Stall, Scheune, Streuschuppen und Wagenremise war, wo überall elektrische Stromleitungen, Geräte und Maschinen waren, und wo sich die Hauptsicherungen befunden hatten. Dann stieg er, ohne auf seine blankgeputzten Schuhe zu achten, über das verkohlte Balkenwerk und die Mauerreste und, die Hände lässig in den Hosentaschen, schien ihn jede Kleinigkeit und jede Stelle der Brandstatt zu interessieren. Nach einer Weile ließ er sich von seinem Kollegen eine Schaufel bringen. Sie gruben aus dem Schutt den Blechkasten mit den Sicherungen, von dem noch die verbogenen und verschmorten Leitungen ausgingen. Sie zerrten ihn aus den Trümmern und wickelten ihn in einen auf der Wiese herumliegenden Getreidesack.
„Lassen Sie bitte alles so, wie es ist, vielleicht bis morgen früh“, sagte Kommissar Schrader zum Jakob, „und nachher möcht ich Sie einiges fragen. Jetzt gehen wir einmal zum Bauern.“
„Der neue Traktor ist ja anscheinend das einzige, was von den Maschinen gerettet werden konnte“, bemerkte Kriminalassistent Grell, als die beiden Brandfahnder zum Obermeier hinübergingen. Er meinte es spöttisch und hintergründig. Sein Vorgesetzter winkte ab.
„Fällt auf, richtig; kann aber rein zufällig sein.“
Grell wandte sich nun an den nachkommenden Hauptwachtmeister: „Angefangen soll es doch im Stadel haben? Und da soll doch der Traktor auf der Tenne gewesen sein?“
„Eigentlich behauptet der Rentner Josef Zizler, daß es im Stadel und in der Streuschupfe zugleich aufgebrannt hätte.“
„Ist schon gut“, schnitt Kommissar Schrader das Gespräch ab und sah sich in der Gegend um.
Auf dieser Seite des Berghanges über dem Dorf Haberzell befanden sich nur die Höfe und Liegenschaften des abgebrannten Mitterer und des Obermeier. Zwischen den Höfen führte vom Tal her gegen den Wald hinauf ein Fahrweg. Man merkte es den herbstlichen Wiesen und Feldern an, daß hier gut gewirtschaftet wurde. Saubere Feldraine, entsteinte Äcker und geordnete Grünflächen umschlossen die beiden Höfe. Das Wohnhaus beim Obermeier war zweistöckig gemauert, die Wände mit gutem, weißem Verputz, und mit dem großen, ebenfalls gemauerten Stall und einem neuen Stadel stellte es einen stattlichen Bauernhof dar. Seitlich, zum Mitterer hinüber, stand ein kleines Häusl, wie es viele der Waldbauemhöfe als Beihäusl oder Altenteil hatten.
„Da sind sie untergebracht“, wies der Hauptwachtmeister Koller auf das Beihäusl.
„Sie brauchen nicht mit hineinzugehen.“
Verwundert und etwas verblüfft blieb Koller stehen: „Wenn Sie mich net brauchen, kann ich wohl —“
„Ja, Sie können“, lächelte Schrader, legte grüßend die Fingerspitzen an den Hut und schritt rasch auf das kleine Haus zu. Sein Begleiter folgte ihm ohne Worte.
Vor der Haustüre stand ein alter brauner Kleiderkasten, der beim Ausräumen und dem Transport schwer beschädigt worden war, daneben eine Truhe, mit barocken Schnörkeln bunt bemalt.
Die Stube, in die sie eintraten, war recht geräumig, und eine zweite Türe verriet, daß nebenan noch eine Kammer war. Eine feste junge Dirn war dabei, ein Bett einzurichten, und im Ofen brannte bereits ein Feuer. Der Duft des Bohnenkaffees kämpfte gegen den Schimmelgeruch des niederen Raumes mit dem stark abgetretenen Fußboden an. Tisch, Bank und eine alte Kommode machten aber schon eine gewiße Wohnlichkeit aus, die nur durch die vorhanglosen Fenster gestört wurde.
Die Dirn mit dem gesunden roten Gesicht, einem herben Zug um den Mund und auffallend dunklen und starken Brauen über dunklen Augen, sah den Eintretenden fragend entgegen und sagte zu dem alten Mitterer, der wie schlafend auf der Bank saß und nicht aufsah:
„Da ist wer da, Bauer.“
Den höflichen Morgengruß der beiden Beamten mit einem unverständlichen Knurren quittierend, sah der Bauer auf, mißtrauisch und ablehnend.
„Wir sind von der Brandfahndung, Herr Mitterer“, begann Schrader freundlich und sah sich in der Stube um.
Die Rosl holte einen alten Stuhl aus der Ecke, und er nahm darauf Platz, während Grell sich neben dem Bauern auf die Bank setzte.
Fragend und nachdenkend sah der Bauer sie eine kurze Weile an.
„Ist das wegen der Versicherung?“
„Nein, damit haben wir nichts zu tun. Wir sind wegen der Brandursache da.“
„Wie soll ich da etwas wissen! Da kann ich gar nix sagen“, fuhr der Mitterer auf.
„Das glauben wir Ihnen ja,“ beschwichtigte Schrader ihn, „ist ja keine Kleinigkeit für Sie, über Nacht den Besitz zu verlieren, aber wir können ja einmal miteinander reden. Ich hab nicht viel zu fragen.“ Erstaunt sah er auf, als sich energisch und laut die Rosl meldete:
„Laßt den alten Mann in Ruh, der weiß nix. Ich hab ihn aufgeweckt, wie es schon hellauf gebrannt hat!"
Sofort wandte sich Schrader an die junge Dirn: „Sie haben ihn also erst aufgeweckt?"
„Ja, und wer angezündet hat, weiß ich auch net!“
„Hat denn jemand angezündet?“
Von der raschen Frage schreckte sie zurück und erwiderte scharf: „Was weiß ich!“
„Könnt ihr die Rosl net in Ruh lassen!“ begehrte nun der alte Bauer auf. „Was soll denn die wissen!“
Schrader lächelte beruhigend: „Ist ja nur unsere Pflicht, Herr Mitterer. War die Rosl denn schon völlig angezogen, als sie zu Ihnen kam, um Sie aufzuwecken?“
Die Antwort gab wieder heftig und laut die junge Dirn: „Freilich war ich angezogen.“ Dann wurde sie plötzlich unsicher, preßte die Lippen zusammen und wandte sich ab.
Schrader erhob sich und nickte freundlich: „Na ja, ist auch nicht so wichtig. Wollen nicht länger stören.“
Ihr Abschiedsgruß fand keine Erwiderung, und als sie wieder vor dem Beihäusl standen und der Kommissar sich eine Zigarette anzündete, knurrte er mißlaunig: „Grell, das wird eine saudumme Geschichte, das sag ich Ihnen. Mit diesen Leuten ist nicht leicht zu reden.“
Auf dem Weg vom Berg nahmen sie den Sicherungskasten mit.
„Wie sehen Sie den Fall, Chef?“
„Brandstiftung, einwandfrei vorsätzliche Brandstiftung. Daran werden wir noch hart zu beißen haben. Was ist Ihnen bis jetzt als bemerkenswert aufgefallen?“
„Der Traktor!“
Schrader lachte. „Ist mir auch aufgefallen. Bin aber vorsichtig mit meinen Schlußfolgerungen, denn die Leute sind nicht dumm, und so plump machen sie es nicht.“
„Der alte Bauer Mitterer weiß ja bestimmt nichts davon, falls die Brandstiftung vom eigenen Hof ausgegangen wäre.“
„Und die Haushälterin?“
„Jung und sauber, bäuerliche Schönheit, aber nicht mein Geschmack!“
„Das hab ich selbst gesehen — aber sie ist fix und fertig angezogen gewesen, als sie den alten Bauern weckte, hm? Wie lange braucht so eine Frau, bis sie angezogen ist? Sie hat doch gesagt, daß Stadel und Stall schon gebrannt haben, als sie das Feuer bemerkte? Also, Kollege, das ist eine interessante Zeitrechnung. Vielleicht beschäftigen Sie sich damit“, spöttelte Schrader.
„Da sind ja noch die beiden Söhne. Wollen Sie diese nicht gleich vernehmen?“
„Eilt nicht. Ich hab so ein Gefühl, als müßten wir ganz woanders anfangen. Jetzt aber möcht ich erst einmal eine gute Brotzeit. Hab auf das Frühstück verzichten müssen.“
Die wenigen Leute, die ihnen drunten im Dorf Haberzell begegneten, gingen übernächtig ihrer Arbeit nach oder standen in leise sprechenden Gruppen zusammen. Obwohl die Herbstsonne nun von einem seidigblauen Himmel schien, hatte dieser Vormittag etwas Düsteres an sich, und die laublosen Bäume standen steif und trauernd. Im einzigen Gasthaus „Zum Hagerwirt“ trafen sie den Hauptwachtmeister Koller wieder, der einem alten, sichtlich nicht mehr ganz nüchternen Mann gegenübersaß, der, den Hut ins Gesicht gezogen, mit flinken Augen die Eintretenden musterte und sich verlegen den kurzen grauen Vollbart rieb.
Grell, der den Sicherungskasten getragen hatte, legte diesen auf einen Tisch und wickelte in aus dem umhüllenden Sack. Interessiert trat auch der Hauptwachtmeister zu ihnen und sah zu, wie Schrader wortlos die Sicherungen fein säuberlich und vorsichtig ausschraubte. Er nickte nur, als er sie alle vor sich liegen hatte, schraubte sie wieder ein und bat seinen Assistenten, den Kasten in das vor dem Hause stehende Auto zu tragen.
„Das ist der Zizler Sepp“, flüsterte der Hauptwachtmeister dem Kriminalbeamten zu und deutete verstohlen auf den alten Mann am Nebentisch.
Dieser hatte ihnen den Rücken zugekehrt, und so hatten sie nicht bemerkt, wie gespannt und mit verhaltenem Atem er bislang den Vorgängen gefolgt war. Mit einem Nicken nahm der Kriminalkommissar nun am Tisch bei dem alten Rentner Platz, konnte es aber nicht mehr verhindern, daß der übereifrige Hauptwachtmeister ihn als Kriminalbeamten vorstellte, der mit dem Brand auf den Mittererhof etwas zu tun habe.
Mit dem zurückkommenden Kriminalassistenten war nun auch der Wirt eingetreten, und nachdem sie Bier und Bauerngeräuchertes bestellt hatten, wandte Schrader sich dem alten Zizler Sepp zu. Es bedurfte keiner Aufforderung, denn der Rentner gab sofort und mit der krächzenden Stimme des Trinkers preis, was er in der Nacht gesehen und erlebt hatte.
„Ich schau also aus dem Fenster, weil ich noch net hab schlafen können, und da sah ich, wie es über dem Stadel des Mitterer rot aufgeht. Bin gleich hinunter und habe den Wirt geweckt. Stimmt das, Wirt?“
„Wohnen Sie hier im Haus?“ fragte Schrader dazwischen.
„Ja, hinten droben, im Stübel über der Gsottkammer. Also, dann bin ich zum Dangl hinübergerannt —“
„Zuerst werden Sie sich wohl die Hose angezogen haben?“
„Die hab ich noch angehabt, weil wir zuvor eh erst in der Wirtsstube auseinandergegangen sind. Also, ich renn zum Dangl! Der ist mir aber an der Haustür schon entgegengekommen, gestiefelt und gespornt —“ Schrader horchte auf: „Was war das? Gestiefelt —“
„Na ja, man sagt halt so. Er hat die Uniform schon angehabt und den Helm auf.“
„Donnerwetter!“ wunderte Schrader sich und wechselte einen schnellen Blick mit dem Kriminalassistenten, der hinter dem Rücken des Rentners am Nebentisch Platz genommen hatte und in seinem Notizbuch die Aussage festhielt.
„Und was ist dann gewesen?“
„Na ja, ich bin dann mit ihm, also mit dem Dangl Fritz, zum Spritzenhaus gerannt, und wir haben die neue Motorspritze herausgezogen.“
„Wer hat denn den Schlüssel zum Spritzenhaus?“
„Allweil der Dangl, der Vater vom Fritz, weil der nämlich der Kommandant ist. Es ist aber das Spritzenhäusl eh net zugesperrt gewesen, und so haben wir die Spritze bald herausgehabt.“
„Hm, und was hat denn der Herr Dangl gesagt, wie Sie ihm den Brand melden wollten?“
„Endlich brennt’s einmal, jetzt können wir die neue Spritze gleich ausprobieren. Ja — und damit ich weitererzähl: Derweil ist der Wirt auch schon mit den Rössern gekommen und hat angespannt, und ich bin zum Kirchl gerannt und hab die Feuerglocke geläutet.“
„Sie meinen, Sie haben den Mesner geweckt?“
„Wir haben keinen Mesner und keinen Pfarrer, und das Läuten besorg alleweil ich. Und den Schlüssel für die Kirchentür habe ich eh alleweil in der Tasche.“
Als Schrader sich erhob und sich an den Nebentisch setzte, wo inzwischen der Wirt Hager das Bier und das Bauerngeräucherte hingestellt hatte, bemerkte der Zizler Sepp:
„Zahlt der Herr net eine Maß?“
„Ein andermal gern. Heut haben Sie schon genug. Gehen Sie schlafen. Am Nachmittag werden wir das zu Protokoll nehmen, was Sie ausgesagt haben.“
Was der Rentner vor sich hinbrummte, verstanden sie nicht, und sie sahen auch nicht das böse Lächeln in seinem bärtigen Gesicht. Umständlich schob er sich von der Bank und wankte aus der Stube.
„Alle Beteiligten waren anscheinend schon fix und fertig gestiefelt und gespornt, als das Feuer ausbrach“, bemerkte Schrader leise und schnitt dazu eine Grimasse. Während sie sich Essen und Trinken schmecken ließen, hingen sie ihren Gedanken nach. Bis sich der Wirt zu ihnen setzte und zögernd eine Unterhaltung begann:
„Ist ein großes Unglück für den alten Mitterer.“
„Für die jungen ebenso“, gab ihm Schrader trocken zurück.
„Oh, die jungen trifft das net so. Die bauen halt wieder auf. Der Jakl hat eh ganz andere Pläne und will mit der Landwirtschaft nix zu tun haben. Eine Fremdenpension oder ein Hotel möcht er bauen. Erst neulich hat er wieder gesagt: wenn nur der Teufel das alte Gelump einmal holen tät. Sein Bruder ist da anders, der hat eine Freud am Bauernwesen, aber er ist der Jüngere. Und versichert wird der Mitterer schon sein.“
Sie unterhielten sich noch eine lange Weile, wobei die Kriminalbeamten mehr die Zuhörer waren. Es entging ihnen nicht, daß der Wirt sich zwar vorsichtig über den Brand auf dem Mittererhof äußerte, aber doch durchblicken ließ, daß er mit den Plänen des Jakob Mitterer nicht einverstanden wäre, weil man in dem kleinen Dorf nicht zwei Wirtshäuser brauche. Als Schrader ihm zu bedenken gab, daß der junge Bauer ja an ein Hotel und an den Fremdenverkehr denke, schlug er heftig auf den Tisch und meinte:
„Hab selber drei Fremdenzimmer und stehen die dreiviertel Jahr leer.“
„Oh, die Gegend ist schön und ruhig, und ich überlege gerade, ob ich mich nicht selbst einige Tage bei Ihnen einlogiere.“
Sie blieben bis gegen Mittag, und bis dahin erfuhr Schrader vom redseligen Gastwirt Hager sehr viel über Verwandtschaften, Freundschaften und Feindschaften im Dorf, und er war ein aufmerksamer Zuhörer. Für diesen Tag wollte er seine Nachforschungen beenden, und sie fuhren nach Deggendorf zurück. Nachdem sie im Pfarrdorf bei der Station der Landpolizei den Hauptwachtmeister Koller abgeladen hatten, richtete der Kriminalkommissar an seinen Begleiter die Frage:
„Na, Kollege, wie denken Sie nun über die Sache? Was ist Ihnen besonders aufgefallen, und was ist das Wichtigste der bisherigen Ermittlungen?“
„Vielleicht die Aussage des Rentners Zizler?“
„Nein, ich glaube, es war das, was uns der Wirt erzählt hat.“
Überrascht sah Grell ihn an, aber Schrader, der hinterm Steuer saß, schien schon wieder an etwas anderes zu denken.
„Warum haben Sie dann den Wirt nicht gleich einvernommen?“
Zerstreut antwortete der Kommissar: „Wie? Ach ja — das ist trotzdem der Allerletzte, den ich zu dieser Sache vernehmen möchte.“
„Was mir sonst noch aufgefallen ist? Da ist eine ganze Anzahl von Leuten, die um die Zeit, als der Brand ausbrach, noch völlig angezogen waren, wie Sie ja auch schon richtig bemerkt haben. Das macht die Sache recht verwickelt. Haben Sie den Ältesten vom Mitterer bemerkt? Der trug seinen besten Anzug, ist also gerade vom Wirtshaus heimgekommen, die Haushälterin brauchte sich auch nicht erst anzuziehen, der alte Rentner Zizler steckte ebenfalls noch in seinem Gewand, und der junge Mann, dieser Ersatzfeuerwehrhauptmann, war sogar schon in Uniform.“
„Es ist das beste, wenn Sie sich darum kümmern und einmal herausbringen, wie sich das alles mit der Zeit des Brandbeginns reimen läßt. Ich fürchte aber, daß dabei nichts herauskommt.“
„Sollen alles liegenlassen, wie es ist“, hatte der Jakob zu seinem jüngeren Bruder gesagt und dabei nicht aufgesehen. Übernächtig starrte er in die Brandstätte.
Dann hatte er es plötzlich eilig, als er sah, daß die Brandfahnder drüben das Beihäusl des Obermeier wieder verlassen hatten und ins Dorf hinuntergingen.
„Bleib du da! Einer muß dasein für den Fall, daß es noch einmal aufbrennt.“
Der Anton nickte nur. In der Nacht hatte er nur schnell die Hose erwischt, und jetzt stand er mit Hose und Hemd, barfuß in Holzschuhen und fröstelte.
Mit langen Schritten ging der Jakob hinüber zum Nachbarn, zögerte kurz vor der Türe des Beihäusels und horchte. Als er eintrat, war nur die Rosl in der Stube. Sie hielt mit dem Einräumen inne und sah ihn wortlos und gespannt an. Schnuppernd sah sich der junge Mitterer um. Mit dem Rest ihrer Habe war auch der Brandgeruch in ihre Notunterkunft gewandert.
„Wo ist der Vater?“
Sie bewegte nur den Kopf zur Kammertüre und flüsterte:
„Hat sich hingelegt.“
Erschöpft ließ sie sich auf die Bank fallen und legte die Hände müde in den Schoß. Keinen Augenblick hatte sie den Jakob aus den forschenden Blicken gelassen.
„Was ist jetzt?“ Ihre Stimme war rauh und mannsbilderisch.
Mit einer unwilligen Bewegung der Schultern überging er ihre Frage. Ganz nahe an sie herantretend, zischte er:
„Was haben sie denn alles wissen wollen? Was hat der Vater angegeben?“
„Gar nix, sie wollen wiederkommen.“
Seine Heftigkeit schien sie zu wundern und zu erschrecken. Angst und Mißtrauen waren in ihren Augen, die sonst so kühl und beherrscht blickten. Stockend flüsterte sie:
„Weißt du, wer angezündet haben könnte?“
Er fuhr auf: „Wie soll denn ich das wissen!“
Ihre Brust hob und senkte sich vor Erregung, aber ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Sie konnte nicht verhindern, daß ihre Stimme vibrierte, als sie bemerkte:
„Hast noch den Sonntagsanzug an und die Sonntagsschuh.“
Er hörte den Unterton in ihrer Frage und überlegte, während er sich auf die Lippen biß.
„Bin ja grad heimgekommen, wie es aufgebrannt hat. Wenn ich net grad dazugekommen wär, dann wären wir aus dem alten hölzernen Geraffel gar net mehr herausgekommen.“
„Was sagst du zu den Kriminalern?“
„Was ich halt weiß!“
„So?“
Sie saß steif und sah mit unbewegtem Gesicht durch das kleine Fenster hinaus. Unsicher und gespannt, den Oberkörper leicht vorgebeugt, stand er, und seine Stirne rötete sich. Das hatte verächtlich und argwöhnisch geklungen. Monoton fuhr sie fort:
„Wirst sehen, du kommst in Verdacht.“
„Du bist ja närrisch!“ fertigte er sie ab, trat an das Fenster und wischte eine Spinnwebe weg, die grauverstaubt in der Fensternische hing. Dann ging er zum Ofen und sah nach dem Feuer, das knisternd Wohnlichkeit vortäuschte und doch das aus den feuchten Möbelstücken dampfende Elend nicht verdrängen konnte.
„Will net richtig brennen“, sagte sie gleichmütig.
Als er nichts darauf antwortete, redete sie weiter, halblaut und mit einem Klang von Hohn und Vorwurf:
„Jetzt kannst du dein Hotel bauen. Und die Leute werden sagen: dem ist der alte Holzkasten im Weg gewesen.“
„Schau dir besser auf das Maul!“
Die Schärfe, mit der er es sagte, berührte sie nicht. „Da wird überhaupt manches anders werden. Oder net?“
„Weiß net, was du meinst.“
„Oder es wird nix mit dem Hotel.“
Da riß es ihn herum und lauter werdend fuhr er sie an: „Was geht das dich an!“
Sie hörten das leise Knarren der Bodenbretter in der Kammer nicht und bemerkten nicht, daß sich die Klinke der Kammertüre leicht bewegt hatte.
„Du weißt, wie wir zwei stehen! Als der Hof noch dagewesen ist, da hab ich dir alles geglaubt. Das ist jetzt anders! Jetzt möchtest du das Hotel bauen, und als Hotelfrau wirst dir keinen Bauerntrampel einstellen. Du wirst eine feine Frau haben wollen.“
„Woher willst du denn das wissen!“
Ruhig und kalt sagte sie: „Ich sag es dir halt, damit du dich danach richten kannst, und damit du weißt, daß ich mir das net gefallen lasse!“
Er starrte sie erschrocken an: „Was willst denn? Willst du mich hinhängen? Willst du mich —“
Er brach ab, als die Stubentüre knarrte und der Anton fröstelnd eintrat. Dieser sah verwundert von einem zum anderen, und die Spannung spürend, fragte er:
„Ist was?“
In der Türe zur Schlafkammer stand im selben Augenblick der alte Mitterer. Einen Augenblick war es in der Stube des Beihäusels so still, daß das Brummen einer Fliege am Fenster laut zu hören war. Es war, als warteten sie alle darauf, wer heute das erste Wort zum Streit geben würde. Inmitten des armen Gerümpels, das ihnen noch von der Wohnungseinrichtung des Hofes geblieben war, des muffigen und brandigen Geruches im niedrigen Raum schienen sie alle zugleich daran erinnert zu werden, wie sich seit dem vergangenen Tag alles geändert hatte.
Am gestrigen Sonntagmorgen waren der Mittererbauer und sein Ältester wieder einmal aneinandergeraten, wie es in der letzten Zeit fast täglich geschehen war, als der Jakob gefordert hatte:
„Gib endlich einmal über! So geht doch die Wirtschaft nimmer weiter. Ich hab das schinderische Bauernleben satt!"
Als dann der Alte auftrumpfte und erklärte, daß er nur an einen Bauern übergebe und nicht an einen, der die Bauernarbeit nicht wolle, war der Jakob heftig geworden und hatte dabei seine Pläne preisgegeben. Wenn er einmal der Bauer sei, werde der Hof abgebrochen und ein Hotel hergebaut, weil sich damit leichter Geld verdienen lasse als mit der leidigen und notigen Landwirtschaft. Im Zorn waren sie auseinandergegangen, und der Jakob war nicht mehr heimgekommen bis nach Mitternacht.
Und dann brannte es.
In diesem Augenblick dachten sie wohl alle an diesen gestrigen Streit, und wenn auch keines von ihnen es gesagt hatte, so war es doch, als hätte noch eben jemand davon gesprochen, daß ja nun einem Hotelbau nichts mehr im Wege stünde, weil der Hof so gut wie abgebrochen sei.
Abgebrochen mit einem Zündholz!
Warum sehen sie mich alle an, ging es dem Jakob durch den Kopf. War es an ihm, etwas zu sagen? Warum hatte überhaupt noch niemand die Frage gestellt, wie das Feuer ausgebrochen sein konnte? Warum scheuten sie sich davor, davon zu reden?
Sie atmeten auf, als der Anton gelassen und anscheinend von dem Unglück wenig beeindruckt fragte: „Mich tät hungern. Gibt es bald einmal was zu essen?“
Die Rosl stand auf und sah sich hilflos um: „Net einmal ein Tröpfl Milch haben wir!“
Was sich an Spannung und Mißtrauen in dem kleinen Raum angestaut hatte, verschwand, als nun der Obermeier in der Stubentüre erschien und freundlich und gutmütig wissen wollte, wie weit sie sich schon eingerichtet hätten. Die mitleidige Anteilnahme lag diesem handfesten Bauersmann nicht, und auf seinem breiten Gesicht war sogar ein Lächeln, als er sich umsah und zufrieden nickte, als wäre ohnedies alles in Ordnung.
„So, und jetzt kommt zum Essen“, lud er sie ein, „das andere wird sich alles schon wieder einrenken.“
Sie folgten ihm schweigend. In der großen Wohnstube des Nachbarn hatte die Obermeierin schon das Essen aufgestellt und ihren Kindern auf einem Ofentisch Platz gemacht. Sie nötigte mit viel Reden und mütterlichem Wohlwollen die vier vom Mittererhof an den großen Familientisch. Sie war es auch, die dafür sorgte, daß das Gespräch in Gang kam und nicht nur vom Unglück des Mittererhofes geredet wurde, sondern mehr davon, daß man leicht vor dem Winter noch das Haus im Rohbau herstellen könne, und wie es schon andere in der gleichen Weise getroffen, aber jeder wieder aufgebaut und weitergewirtschaftet habe. Dasselbe sagte auch der Obermeier, und erst nach einer langen Weile des Diskutierens fing der Obermeier vorsichtig damit an, nach der möglichen Brandursache zu fragen.
Der Mitterer, der sich bislang kaum am Gespräch beteiligt und vor sich hinsinniert hatte, gab ihm die erste Antwort:
„Da hat jemand wollen, daß der Hof wegbrennt. Anders kann ich es mir net denken!“
„Hast doch keinen Feind in der ganzen Gemeinde“, bemerkte der Obermeier.
„Das kann man net wissen“, brummte darauf der Mitterer, „muß net grad ein Feind gewesen sein.“
Die Rosl, die steif und schweigsam mit niedergeschlagenen Augen vor dem Teller gesessen hatte, sah nun den ihr gegenübersitzenden Jakob an. Dieser war blaß geworden.
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