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Nachbarn beschreiben Harald van Meyern als sympathischen, hilfsbereiten und ruhigen Mann. Als schneidigen Kerl, nach dem sich die Damenwelt alle zehn Finger leckt. Fakt jedoch ist, dass der Architekt bestialisch ermordet wurde. Wurde aus Liebe Hass? Ist Angst ein Grund zu morden? Oder liegt das Motiv der Tat viel weiter zurück? Kriminalrätin Sina May und Hauptkommissar Leander Simon stoßen bei ihren Ermittlungen auf wenig kooperative Zeugen, die sich gegenseitig belauern und verdächtigen. Überraschende Wendungen, ein Schuss Erotik sowie eine Prise Gesellschaftskritik. Elbi Onest ist es erneut gelungen, einen schmackhaften und spannenden Krimicocktail zu mixen.
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Seitenzahl: 281
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Wer zu sehr liebt
Der Autor
Dieses Mal nicht
Personen und Handlungen dieses Krimis
E I N S
Z W E I
D R E I
V I E R
F Ü N F
S E C H S
S I E B E N
A C H T
N E U N
Z E H N
E L F
Z W Ö L F
D R E I Z E H N
V I E R Z E H N
F Ü N F Z E H N
S E C H S Z E H N
S I E B Z E H N
A C H T Z E H N
N E U N Z E H N
Z W A N Z I G
E I N U N D Z W A N Z I G
Z W E I U N D Z W A N Z I G
D R E I U N D Z W A N Z I G
V I E R U N D Z W A N Z I G
F Ü N F U N D Z W A N Z I G
S E C H S U N D Z W A N Z I G
Danke
Weitere spannende Werke
Ein Mann, drei Frauen, Lügen und Schweigen.
Denn jede der Damen zieht es vor, ihre Beziehung zu dem Architekten geheim zu halten. Daran ändert sich auch nichts, als er bestialisch ermordet wird.
Am ehrlichsten scheint eine Zeugin, die sich freiwillig anbietet, Kriminalrätin Sina May und Hauptkommissar Leander Simon bei der Aufklärung des Falles zu helfen. Aber können die Münchner Ermittler ihr trauen?
Und dann wäre da noch Luisa …
Elbis direkte Sprache sowie sein authentischer und flüssiger Schreibstil ermöglichen es dem Leser, sich gut in die Lage der einzelnen Figuren hineinzuversetzen.
Hinter dem Pseudonym Elbi Onest steckt Ulrich Radermacher, der durch das Pseudonym seine neuen Werke von seinen Regionalkrimis abgrenzen möchte.
Radermacher lebt seit 1990 im Landkreis Freising und ist Mitglied der Autorengruppe KaLiber-München.
„Wer zu sehr liebt“ ist mehrKrimi als Thriller, beinhaltet keine explizite Darstellung von Gewalt
und ist nicht ganz so spicy wie der
erste Fall von Sina May und Leander Simon.
Deshalb habe ich auf einen Warnhinweis verzichtet.Wobei die meisten Leser meinten, dass es diesen
bei „Death, Kill, Love“ nicht gebraucht hätte.Aber entscheiden Sie selbst!
Viel Spaß beim Lesen wünscht IhnenIhrElbi Onest
sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind
rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Copyright© 2024 Elbi Onest
c/oUlrich Radermacher
Theresienstraße 47e
85399 Hallbergmoos
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2024
Umschlag:© Raja Graphics
ISBN Print:978-3-384-34256-0
ISBN E-Book:978-3-384-34257-7
Mailadresse:[email protected]
Website:www.munich-murder.de
ElbiOnest
Wer zu sehrliebt
München, Montag, 05.12., 17.15 Uhr
Egal, Bertrand wird dir auch so um den Hals fallen. Entschlossen schnappte sich Lilian ihre Sporttasche samt Yogamatte und schloss die Wohnungstür. Wenn er hört, dass seine Leidenszeit bald zu Ende ist und er dank dir wieder in seinem Traumjob arbeiten kann, wird er sich nicht mehr bremsen können. Da spielt es auch keine Rolle, dass dein Plan erst zu 99 Prozent fix ist. Sie lächelte. Er wird dich umarmen ... du schmiegst dich an ihn ... schaust ihm tief in die Augen ... und dann werdet ihr euch küssen. Ausgehend von ihrem Herzen begann es, in ihrem ganzem Körper zu kribbeln. Er wird merken, wie gut es sich anfühlt, dich in seinen Armen zu halten, zu riechen, zu schmecken und zu berühren und folglich wird er dich fragen, was du nach dem Kurs vorhast.
Bestimmt wird er behaupten, dass er die weitere Vorgehensweise mit dir besprechen will, überlegte sie während der Fahrt mit der U-Bahn. Doch wir wissen beide, dass dies nur ein Vorwand ist, schließlich mochte er dich schon immer am meisten. Vor Lilians geistigem Auge erschienen die zahlreichen Momente, in denen Bertrand sie während des Kurses angelächelt hatte. Und bei der Korrektur ihrer Übungen hatte er mehrmals verschmitzt gegrinst.
Im Laufe des Abends wird er erkennen, dass du die Frau bist, die ihn glücklich macht, sinnierte sie weiter. Ihr werdet die Nacht miteinander verbringen, euch schon bald wieder treffen und erneut leidenschaftlichen Sex haben. Damit bist du am Ziel, eure gemeinsame Zukunft wird beginnen.
Die Eingangstür zur Turnhalle stand offen, doch im Gebäude war niemand zu sehen. Von irgendwoher hörte Lilian Geräusche, aber der Raum, in dem ihr Kurs stattfand, und ebenso ihre Umkleide waren leer. Was sie nicht wunderte, weil sie zwanzig Minuten früher als üblich von zu Hause losgefahren war.
Sie zog sich um und hängte ihre Sachen in den Kleiderspind. Bevor sie die Umkleide verließ, warf sie einen Blick in den Spiegel. Ihre Augen strahlten, ihre schwarz-braunen, hüftlangen Haare glänzten, ihre Haut wirkte - den Eiswürfeln sei Dank - glatt und verführerisch. So frisch und verlockend hat dich dein Spiegelbild schon lange nicht mehr angelacht, freute sie sich, deine Mühen haben sich gelohnt. Sie hatte sich extra die Nägel gemacht, dezent geschminkt und ihr schönstes bauchfreies Top, das ihre schlanke Figur besonders betonte, aus dem Schrank geholt und gebügelt.
Gut gelaunt setzte sie sich auf eine der Turnbänke im Kursraum, um auf den Yogalehrer zu warten. Bestimmt würde er jeden Moment erscheinen.
Fünf Minuten verrannen und Lilian war noch immer allein. Unruhig wippte sie auf ihrer Bank hin und her, trommelten die Finger ihrer rechten Hand nervös gegen ihr Knie. Wo bleibt er bloß? Er ist doch sonst immer so pünktlich!
Nur keine Panik, meldete sich eine Stimme in ihrem Kopf. Wenn Bertrand erst kommt, wenn die anderen schon da sind, sagst du ihm halt, er möge bitte nach dem Kurs auf dich warten, weil du ihm etwas Wichtiges mitteilen musst. Vielleicht ist das sogar die bessere Variante, denn wenn du nach dem Duschen mit ihm allein bist, stört es keinen, wenn eure Küsserei ausartet. Um Lilians Mund formte sich ein verwegenes Lächeln.
Nach und nach trafen sämtliche Teilnehmerinnen des Yogakurses ein. Lilian wurde von allen flüchtig begrüßt, einige begannen zu tuscheln, als sie sie bemerkten, aber niemand setzte sich zu ihr.
Ihr seid doch nur neidisch, wie unwiderstehlich ich heute aussehe, kommentierte sie das Gemurmel in Gedanken, als in der Sporttasche ihr Handy klingelte. Sie las den Namen des Absenders, dann die ganze Nachricht. Noch während des Lesens wurde sie bleich, zogen sich ihre Kehle und ebenso ihr Brustkorb schmerzhaft zusammen.
„Excusez, meine Damen, ich wurde aufgehalten“, drang Bertrands Stimme an ihr Ohr, „aber nun kann es losgehen. Wenn Sie sich bitte im Kreis aufstellen!“
„Was ist mit Ihnen, ma chère?“ Obwohl der Franzose sie direkt ansprach, starrte Lilian weiter auf ihr Handy.
„Tut mir leid, ich muss gehen“, murmelte sie und hastete mit gesenktem Kopf in die Umkleide, wo sie sich in eine der Toiletten einschloss und wartete, ob sie gleich losheulen, sich übergeben oder in Ohnmacht fallen würde.
Es geschah nichts dergleichen, stattdessen wandelte sich ihr beschissenes Gefühl in Wut und Zorn. „Willst du mir mein ganzes Leben versauen?“, schimpfte sie, während sie sich umzog. „Erst nimmst du mir meine Freundin, dann mein Auto und jetzt sabotierst du meine Liebe zu Bertrand! Warum bringst du mich nicht gleich um?“ Die Kapuze ihres Parkas tief ins Gesicht gezogen verließ Lilian die Turnhalle.
Mit dem Auto wäre ich schon längst zu Hause, grollte sie, weil die U-Bahn wieder Verspätung hatte. Du solltest eigentlich wissen, wie sehr ich die Öffentlichenhasse, aber das scheint dich einen Dreck zu interessieren, genauso wie das, was mir hier im Dunkeln alles passieren kann! „Vielleicht hättest du das ja gerne“, fauchte sie wie eine verwundete Wildkatze und kniff dabei die Augen zusammen. „Aber so leicht wirst du mich nicht los!“ Sie holte mit dem Fuß aus und kickte eine Zigarettenschachtel, die auf dem Boden lag, ins Gleis. „Pass lieber auf, dass nicht ich dir irgendwann einen Arschtritt verpasse.“
Ein Praktikum hättest du Bertrand auf jeden Fall anbieten können, hatte sie sich auch während der Fahrt nicht beruhigt. Doch dazu hättest du mir ja einen Gefallen tun müssen!
Dass du Geld ausgibst, damit ich glücklich werde, das kann man wirklich nicht von dir verlangen, wurde sie auf dem letzten Stück ihres Heimwegs von einer neuen Welle der Wut erfasst. Es könnte ja sein, dass du dann nicht mehr genügend Kohle für dein Flittchen hast!
So ein Verhalten muss Konsequenzen haben, stellte sie im Laufe des Abends wiederholt fest. Sie wusste nicht genau welche, aber irgendwas würde ihr schon einfallen. Noch als sie zu Bett ging, regierte die Rage in ihrem Kopf. Kein Wunder, dass es dauerte, bis der Schlaf über ihren Zorn siegte.
Dienstag, 06.12, 12.37 Uhr
Kann ich bei dir vorbeikommen?
Brauche deinen Rat!
LG Sarah
Frag doch deinen Harry, schimpfte Lilian in Gedanken, als sie die Nachricht las. Verärgert verzog sie das Gesicht. Bis vor gut einem Jahr war Sarah ihre beste Freundin gewesen, sie hatten sich Ende 2018 an der Uni kennengelernt. Obwohl Lilian knapp zehn Monate älter als Sarah war, hatten sie das Studium der Kommunikationswissenschaften zur selben Zeit begonnen. Denn Lilian hatte nach dem Abitur erst einmal Geld verdienen wollen und müssen. Inzwischen studierte sie im dritten Semester Internationale PR, während Sarah sich für ihren ersten Abschluss ein Semester mehr Zeit gelassen und bis zum Beginn des Master-Studiengangs im Oktober Urlaub gemacht hatte. Dennoch hatten sich die Freundinnen im Sommer nur selten gesehen, denn im letzten Jahr war Harry in Sarahs Leben getreten. Schon nach dem ersten gemeinsamen Weggehen hatte Lilian, die seit gut drei Jahren Single war, erklärt, sie könne mit so einem alten Knacker nichts anfangen und den Typ im Speziellen nicht ausstehen. Und weil Sarah nicht aufhörte zu erzählen, wie toll ihr Freund sei, und sogar mit ihrem Sexleben prahlte, hatten sie sich immer häufiger gestritten. Irgendwann waren Begriffe wie „abartig“, „hörig“, „Sugardaddy“ oder „alter Stecher“ gefallen, was im August zum endgültigen Bruch der Freundschaft geführt hatte.
Sarah hatte von ihr auch keine Tipps hinsichtlich des Master-Studiums verlangt, zu ihrem Glück, denn Lilian hätte ihr gesagt, sie solle sich zum Teufel scheren. Auch jetzt hatte sie keine Lust, Sarah zu antworten, geschweige denn auf ihren Besuch.
W-z-s-l
Die Küchenuhr zeigte fünf Minuten vor Eins, als es energisch an ihrer Wohnungstür läutete.
Das wird doch nicht … so klingelt nur Eine. Lilian verdrehte die Augen. Zuzutrauen wär‘s ihr. Sie blies Luft aus den Nasenlöchern und stellte das Wasser ab. Widerwillig machte sie sich auf den Weg, ihre Ahnung als echt zu bestätigen.
„Mach bitte auf“, rief Sarah, als sie bemerkte, dass jemand durch den Türspion schaute.
Lilian atmete tief ein und aus. Sei froh, dass du bitte gesagt hast, sonst stündest du noch morgen im Flur. „Was willst du?“, fragte sie mit wenig freundlichem Blick durch den Spalt, den die Sicherheitskette gewährte.
„Das habe ich dir doch geschrieben. Ich brauche deinen Rat!“
„Und warum rufst du nicht einfach an?“
„Es gibt Dinge, die bespricht man besser persönlich“, erwiderte Sarah, bevor sie leise und mit gesenktem Blick hinzufügte: „Vielleicht hatte ich auch Angst, dass du sofort wieder auflegst.“
Lilian zuckte mit den Achseln. „Schon möglich. Aber jetzt ist es schlecht. Ich habe einen Mordshunger und wollte gerade kochen.“
„Das macht nichts. Hauptsache, wir können reden“, bat Sarah inständig und mit flehenden Augen. „Wenn ich dir helfen soll, musst du es nur sagen.“
„Und um was geht’s?“ Lilians Stimme verdeutlichte, dass sie nicht die geringste Lust hatte, ihren Missmut zu verbergen.
„Um Harry.“ Sarah lächelte verlegen.
„Oh Gott. Da muss ich ja aufpassen, dass es mir nicht den Appetit verdirbt.“
Sarah schluckte, mit solch einer Bemerkung schien sie nicht gerechnet zu haben. „Ich weiß, du magst ihn nicht“, antwortete sie dennoch ruhig, „aber du bist die Einzige, mit der ich darüber reden kann. Also tu mir bitte den Gefallen.“
Lilian hob die Augenbrauen, so demütig hatte sie Sarah noch nie erlebt. Und weil das ihre Neugier weckte, ließ sie sie in ihr Apartment. „Hat er dich aus Versehen geschwängert und von dir verlangt, dass du abtreibst?“, erkundigte sie sich, nachdem die Wohnungstür geschlossen war, „oder ist er pleite und will, dass du für ihn anschaffen gehst?“ Ihre Mimik zeigte, wie sehr Lilian ihren Affront genoss. Offensichtlich wollte das in ihr wohnende Teufelchen auch seinen Spaß. Und ein bisschen Rache.
Sarah, die bereits mitten im Raum stand, stoppte abrupt in ihrer Bewegung und drehte sich zu Lilian um. „Okay, ich verstehe, du bist immer noch sauer auf mich. Dennoch wäre es schön, wenn du mir hilfst.“ Sie holte tief Luft. „Und ich kann dich beruhigen, keine deiner Befürchtungen trifft zu. Im Gegenteil! Harry hat mit mir Schluss gemacht.“
Lilian verspürte in ihrem Innern ein wohliges Gefühl der Zufriedenheit, hoffte jedoch, dass man ihr dieses nicht ansah. „Deinen Mantel legst du am besten dort ab“, empfahl sie und deutete auf den Sessel an der Wand. „Du weißt ja, meine Wohnung ist sehr gemütlich, aber mit einer Garderobe kann ich nicht dienen.“ Sie bewohnte ein kleines 1-Zimmer-Apartment im dritten Stock eines Altbaus, die Miete war günstig, trotz Küche und Bad mit Fenster. Schreibtisch, ein Bett mit vielen Kissen, dazu ein Schrank, Nachttisch und Kommode sowie ein Glastisch mit zwei Sesseln - der Raum war proppenvoll.
Erst als sie vor dem Kühlschrank stand, fragte sie beiläufig: „Und wann hat er sich von dir getrennt?“
„Endgültig am Samstag“, antworte Sarah laut genug, um die Unterhaltung fortsetzen zu können, und zog dabei ihren Wintermantel aus. „Wobei wir uns schon vor meinem Urlaub stritten.“ Sie stellte sich in den Türrahmen und fuhr in gedämpft-traurigem Tonfall fort: „Als ich mit meinen Eltern auf Mauritius war, herrschte totale Funkstille zwischen uns. Ich habe tausend Mal probiert, ihn anzurufen, und habe ihm auch auf die Mailbox gesprochen. Aber er hat niemals abgehoben, geschweige denn zurückgerufen.“
„Ich sagte ja, der Typ ist ein Arsch“, merkte Lilian in gehässigem Ton an, während sie Endivienblätter in feine Streifen schnitt. „Hast du es auch per WhatsApp versucht?“
„Natürlich! Mehrfach sogar!“ Sarahs Stimme klang mit jedem Wort verzweifelter. „Ich habe ihn gefragt, wie es ihm geht, ob er noch sauer sei und ihm geschrieben, dass ich ihn vermisse. Doch von seiner Seite kam nichts. Absolut gar nichts!“
„Dann hat er ne Neue.“
„Das hat er bestritten.“
„Und das glaubst du?“ Lilian legte das Messer zur Seite, sah Sarah mit abschätzigem Blick an. „Es gibt nur sehr wenige Männer, die eine Frau verlassen, ohne dass eine Neue bereitsteht“, schulmeisterte sie. „Und wenn man dann noch bedenkt, dass du bereit warst, mit ihm alle Stellungen des Kamasutras und noch ein paar Dinge mehr auszuprobieren, spricht doch sehr viel dafür, dass er ne neue Schlampe hat.“
Sarah wurde blass. „Haben wir deswegen nicht schon genug gestritten?“, erkundigte sie sich in weinerlichem Ton. „Ich gebe ja zu, dass ich ein bisschen zu viel mit meinem Sex mit Harry angegeben habe. Aber irgendwann muss es doch auch einmal gut sein mit den Beleidigungen!“
„Okay. Die Schlampe nehme ich zurück, tut mir leid. Aber zu meiner restlichen Aussage stehe ich“, erwiderte Lilian nach kurzem Nachdenken. Fragend sah sie die Freundin an. „Was hat er denn gesagt, weshalb er nicht mehr mit dir zusammen sein will?“
„Er sagte, er habe den Eindruck, dass ich ihn nicht mehr lieben würde“, bekannte Sarah leise, „und darum sei es wohl am besten, wenn man sich trenne.“ Es war offensichtlich, dass ihr diese Worte nicht leichtfielen. „Als ich das hörte, verschlug es mir die Sprache. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und deshalb habe ich aufgelegt.“
„Aufgelegt.“ Lilian krauste die Stirn. „Das heißt, ihr habt miteinander telefoniert.“
Sarah nickte.
„Und das lässt du dir gefallen? Mensch Madel, ihr wart mehr als ein Jahr zusammen und seid keine 14 mehr. Da kann man doch verlangen, dass man dem Partner ehrlich ins Gesicht sagt, weshalb man sich von ihm trennt!“
„Willst du damit sagen, ich soll zu ihm fahren und Harry zur Rede stellen?“, erkundigte sich Sarah unsicher.
„Warum nicht? Es sei denn, du bist inzwischen froh, dass du den Kerl los bist.“
„Nein, das bin ich nicht.“ Den Blick auf den Boden gerichtet fügte sie leise hinzu: „Offen gesagt liebe ich Harry noch immer.“
„Dann solltest du darüber nachdenken.“
„Echt jetzt?“
„Yep.“ Lilian nickte. „Aber nur, wenn du genau weißt, was du tun willst. Dein Plan muss perfekt sein.“
Sarah stutzte. „Und das heißt?“
„Du musst dir vorher überlegen, was du ihm sagen willst und was er dir antworten könnte. Und was du dann darauf erwiderst. Außerdem musst du dir darüber im Klaren sein, wie weit du gehen willst. Ob du nur reden oder ihm beispielsweise auch ein Freundschaft Plus -Angebot unterbreiten willst.“
„Ist das dein Ernst? Warum rätst du mir nicht gleich, dass ich unter meinem Mantel nur Strapse anhabe?“
„Wenn es der Sache dient.“ Lilian zuckte gelangweilt mit den Achseln. „Aber auch so eine Show musst du genau planen, um nicht zu sagen choreografieren.“
„Ich denke, reden ist der bessere Weg“, erwiderte Sarah. „Ich kann ihn ja auch so fragen, ob er wirklich bereit ist, auf meinen Körper und den tollen Sex mit mir zu verzichten. Und dann immer noch entscheiden, ob ich ihn mit nackten Tatsachen überzeugen will.“
„Je nachdem, was er dir antwortet, könntest du ihm auch eine aufs Maul hauen.“
„Du bist echt krank.“
„Findest du?“ Lilian grinste verächtlich. „Das ist doch noch harmlos! Wenn du beispielsweise vorher ein oder zwei Dosen Cola in deine Handtasche packst, erhöht das die Wirkung deiner schlagkräftigen Argumente.“
Sarah schüttelte verständnislos den Kopf. „Klar doch“, entgegnete sie in ironischem Ton. „Ich könnte mir auch eine Pistole besorgen und Harry drohen, ihn zu erschießen, wenn er mich nicht zurücknimmt.“
„Du kannst auch nach Hause gehen und in deine Kissen weinen“, konterte Lilian pikiert. „Oder dich wieder an Kai ranmachen, der Loser nimmt dich bestimmt zurück.“
Sarah antwortete nicht, sodass eine längere Pause entstand.
„Aber eins muss man Harry lassen“, beendete Lilian die Stille. „Der Umstand, dass du gar nicht gemerkt hast, wie der Wichser dich zum Lustobjekt degradiert hat, ist echt eine Leistung.“
„Du spinnst doch!“
„Das würde ich an deiner Stelle auch sagen“, entgegnete Lilian trocken. „Ich rate dir trotzdem, einfach mal darüber nachzudenken, wie sehr du dich bei ihm aufgeführt hast. Und von wem dazu die Initiative ausging.“ Mit festem Blick sah sie die frühere Freundin an. „Aber in pornografischen Erinnerungen kannst du auch daheim schwelgen, ich muss dich jetzt rausschmeißen. Ich hab‘ nämlich nicht genügend Nudeln für zwei. Außerdem ist doch alles gesagt. Oder nicht?“
„Eigentlich schon“, erwiderte Sarah verdattert, bevor sie ihren Mantel nahm und stirnrunzelnd die Treppe hinunterlief.
„Du kannst doch gar nicht mitreden“, murmelte Sarah auf der zweiten Etage, „dass zwei Leute so heiß aufeinander sind, hat du doch noch nie erlebt!“ … Bei den Vibes, die zwischen Harry und mir in der Luft lagen, lässt sich doch gar nicht genau sagen, von wem was ausging, überlegte sie weiter. Wenn mir danach war, ihn im Minirock oder ohne BH zu besuchen, dann war ich es doch, die die Initiative ergriff und nicht er. Da erwarte ich doch, dass er mir an die Wäsche geht, denn alles andere wäre eine üble Beleidigung! Durch Sarahs Kopf flackerten Bilder erotischer Zweisamkeit.
Und selbst wenn es stimmt, dass er mir häufiger die Klamotten auszog als ich ihm, war ich noch lange nicht sein Lustobjekt, trotzte sie, während sie die Autotür aufschloss. Ich hätte ihm jederzeit Einhalt gebieten können, tat es aber nicht, weil ich es genauso wollte wie er.
Was ist nur los mit der? Das ist doch nicht normal, dass man sich in eine Sache, die einen selbst nicht betrifft, soreinsteigert und auf solch schräge Ideen kommt, grübelte sie weiter, nachdem sie in ihren Wagen gestiegen war. Seit wann ist sie so aggressiv?
Aber in einem Punkt hat sie recht: Am Telefon Schluss machen ist schäbig und schlechter Stil! Ich hätte nicht auflegen dürfen, ich hätte sofort sagen müssen, dass ich vorbeikomme. Sarah nickte zweimal, danach startete sie den Motor.
Er darf dich auf keinen Fall zu früh sehen, überlegte sie während der Fahrt, und parkte ihren Mini etwa 400 Meter von Harrys Wohnung entfernt. Nicht, dass er zufällig aus dem Fenster schaut und dich entdeckt!
Aus demselben Grund lief sie auf seiner Seite der Straße, die Blätter der Bäume vor den Nachbarhäusern boten ausreichend Schutz.
Bist du dir sicher, dass du das willst?, fragte eine Stimme in ihrem Kopf. Noch kannst du zurück!
Ich zieh das jetzt durch, er ist mir das schuldig.
Und was machst du, wenn ihm die Erklärung, dass er dich nicht mehr liebt, lockerflockig über die Lippen kommt? Bittest du ihn um eine Abschiedsnummer, schlägst du ihm die Freundschaft Plus-Lösung vor oder kratzt du ihm die Augen aus? Sarah war basserstaunt, zu welchen Gedanken sie fähig war.
Doch es blieben ihr nur wenige Sekunden, um sich über sich selbst zu wundern, denn ihr fiel auf, dass eine Frau im Eiltempo die Treppe in Harrys Haus hinunterlief. Sarah blieb instinktiv stehen.
Was macht die denn hier?, schoss es ihr durch den Kopf, als sie die Dame, die inzwischen im zweiten Stock angekommen war, erkannte. Ihr Gehirn schlug sofort Alarm: Versteck dich! Ihre Augen sprangen nach rechts, sie entschied sich für links - hinter den Müllcontainern des benachbarten Anwesens fand sie Deckung.
Sie kam von ganz oben … also aus Harrys Apartment. Sarahs Herz stockte, ihr Brustkorb zog sich zusammen, sie musste sich setzen. Heißt das etwa?
Und was tust du jetzt?, fragte sie sich, nachdem ihr Körper wieder halbwegs funktionierte und sie aufgestanden war. Rennst du rauf und stellst ihn zur Rede?
Er wird eh alles abstreiten, meldete sich eine skeptische Stimme in ihrem Kopf. Er wird behaupten, dass er Birgit nicht kennt, an seiner Tür habe niemand geläutet und seinem Morgenrock habe er an, weil ….
Mit jeder Sekunde, in der sie sich die Situation vorstellte, wuchs der Schneeball des Grolls zu einer Lawine der Wut: Nein, das reicht nicht, der Plan ist viel besser. Mit zusammengekniffenen Augen fixierte sie die Wohnung im Dachgeschoss. Du klingelst, er macht die Tür auf … ein Blick, ein Tritt, … er bricht zusammen, nun kannst du fragen.
Und was ist, wenn er dir ordentlich angezogen in Hose und Hemd die Tür aufmacht? Genauso ist es nicht ausgeschlossen, dass er deinen Angriff abwehrt. Er ist dir doch körperlich weit überlegen, also tu nichts, was du hinterher bereust!
Nein, du stellst den Scheißkerl sofort zur Rede, forderte ihr aggressives Ich. Das Überraschungsmoment ist auf deiner Seite, er rechnet nicht mit dir! Sarah ging zurück auf den Bürgersteig, lief ein paar Schritte in Richtung Harrys Eingang, blieb dann jedoch stehen. Die ängstliche Stimme in ihrem Kopf hatte weitere Bedenken: Dreh jetzt nicht durch, du hast doch überhaupt keinen Beweis für irgendwas. Fahr lieber nach Hause! Womöglich knickt Birgit ja ein, wenn du ihr sagst, dass du sie gesehen hast, und beichtet dir ihre Affäre. Und wenn sie beispielsweise Reizwäsche trägt, kannst du ihr auf den Kopf zusagen, dass sie gerade Sex hatte. Und sie wird es nicht leugnen können.
Wie würde Lilly in dieser Situation reagieren?, kam Sarah ein neuer Gedanke. Vielleicht hat sie ja Lust, mich zu begleiten, wenn ich Harry zur Rede stelle. Aus weiblicher Solidarität und weil wir ihm zu zweit nicht mehr unterlegen sind.
Doch obwohl Sarah Sturm klingelte und nach ihr rief, machte bei Lilian niemand auf. Stattdessen beschwerten sich Nachbarn über den Lärm.
Weil zudem ihr Magen knurrte, fuhr sie zum nächsten Supermarkt. Dort kaufte sie sich eine Flasche Cola und am Stand auf dessen Parkplatz einen Döner. So gestärkt fuhr sie nach Hause.
W-z-s-l
Familie Kester wohnte in einem großzügig geschnittenen Ein-Familien-Haus auf einem Grundstück von fast 1.000 Quadratmetern, das sie Anfang der 90 er-Jahre erworben hatte. Ohne die Unterstützung der Eltern wäre das damals nicht möglich gewesen, inzwischen jedoch florierte Manfreds Elektrofirma. So sehr, dass er im letzten Jahr sogar Aufträge hatte ablehnen müssen, weil nicht genug Personal vorhanden war.
Im Jahr vor Sarahs Einschulung hatte man einen Pool in den Garten gebaut und als die Eltern ihrer Tochter zum Einser-Abitur einen Mini als Belohnung schenkten, errichtete man eine zweite Doppelgarage neben der schon vorhandenen. In der alten parkten von nun an Mutter und Tochter, die neue war für den Hausherrn und die Gartenutensilien. Ansonsten genoss man den Abstand zum Nachbarn, die Ruhe und das Grün.
Sarah stellte ihr Auto auf seinen Platz. Birgits Wagen stand daneben, die Motorhaube war noch warm. Das hilft dir, wenn sie dich anlügt, freute sie sich, und schloss die Haustür auf. Leise stieg sie die Treppe nach oben,
ihre Mutter schien in der Küche zu sein.
Vom Fenster ihres Zimmers konnte man auf die Straße, die Garagen und den Vorgarten sehen. Die ihrer Eltern – Manfred und Birgit schliefen getrennt – lagen auf der anderen Seite des Stockwerks, mit Blick auf den hinteren Teil des Gartens und den Pool. Dazwischen befand sich das Bad sowie ein Bügelraum, der auch Platz für den Staubsauger und für Vorräte bot. Außerdem der Aufgang zum Dachgeschoss, das aus einem großen Gästezimmer sowie einem weiteren, voll eingerichteten Raum, den Manfred laut seiner Steuererklärung als häusliches Arbeitszimmer nutzte, bestand.
Sarah zog ihren Mantel aus und zündete sich eine Zigarette an. Ihre Gesichtsfarbe war wieder normal, die Jeans, die den Asphalt berührt hatte, hatte keinen Fleck. Ihre Bluse war nicht verschwitzt, ihr Aussehen bot folglich ihrer Mutter keinen Anlass, dumme Fragen zu stellen. Also auf in den Kampf!
„Hi Mama“, steckte sie ihren Kopf zur Küchentür hinein, „ich weiß nicht, ob du mich schon gehört hast, aber ich bin heute früher daheim.“
„Das trifft sich gut. Dein Vater hat nämlich versprochen, pünktlich um 19 Uhr zu Hause zu sein. Du weißt, ich mag es, wenn die ganze Familie gemeinsam zu Abend isst. Es gibt Rinderrouladen mit Reis und Bohnen, das mögt ihr doch beide.“
„Stimmt. Aber so schaffst du es nie, dass Papa abnimmt.“ Sarah verzog ihre Mundwinkel zu einem fragenden Grinsen. „Oder hast du diesen Kampf inzwischen aufgegeben?“
Birgit antwortete nicht, rollte stattdessen mit den Augen und atmete tief ein und aus.
„Brauchst du noch Hilfe?“
„Danke der Nachfrage, aber ich habe bereits alles vorbereitet. Die Soße ist schnell gemacht.“
„Gibt’s sonst was Neues?“ Sarahs Blick fixierte entschlossen die Mutter. „Ist irgendetwas Interessantes passiert?“
Birgit schüttelte den Kopf, verzog ansonsten keine Miene. „Nein, mein Schatz. In meinem Alltag passiert nichts Aufregendes. Aber das ist auch gut so.“
Dieses verlogene Miststück. Sarah spürte ihre aufkeimende Wut. Soll ich?
Du siehst doch, so leicht wird das nicht, gebot ihr ängstliches Ich umgehend Einhalt.
Es kann nicht schaden, wenn dein Vater dabei ist, meinte eine andere Stimme. Wie Kugeln aus einem Maschinengewehr flogen ihre Gedanken und Einwände durch ihren Kopf. „Okay. Ich komm dann runter und decke den Tisch“, erklärte sie. „Bis dahin bin ich auf meinem Zimmer. Ruf mich, wenn es etwas zu tun gibt.“
Sarah verschloss ihre Zimmertür und warf sich aufs Bett. Du warst viel zu nett! Sie rümpfte die Nase. Du brauchst mehr Futter für deinen Feldzug, Fakten, an denen sie nicht rütteln kann! Voller Elan richtete sie sich auf, lief sie zum Schreibtisch und startete ihren Laptop. Woher kennen sich die beiden? Mit dem Zeigefinger kratzte sie sich zwischen Nase und Oberlippe. Wo könnten sie sich zum ersten Mal begegnet sein?
Seitdem Harry mit mir zusammen ist, dürfte das schwierig gewesen sein. Davor war Corona-Lockdown. Also musst du nach Partys vor dem – Sarahs Finger flitzten über die Tastatur ihres Laptops – 16. März 2020 suchen. Stimmt, Fasching war damals noch.
Aber Harry sagte zu dir, das sei nicht sein Ding, fiel ihr ein. Folglich kannst du dir die Recherche im Ratskeller sparen.
Dann bleibt nur die Luna-Party im Bayerischen Hof, da ging sie öfter hin. Verbissen scrollte Sarah durch die Bildergalerie des Events. Im Dezember 2019 waren sie beide dort gewesen: Harry lachte mit zwei Typen direkt in die Linse des Partyfotografen, ihre Mutter war auf einer Couch sitzend, neben einer Frau, die Sarah nicht kannte, abgelichtet worden. Kein Grund zur Beunruhigung, also weiter.
Im Januar dagegen küssten sie sich. Leidenschaftlich und intensiv, das war deutlich zu erkennen, obwohl die Aufnahme nicht ihnen galt. Sarahs Magen zog sich zusammen, als sie das Bild vergrößerte. Beide hatten die Augen geschlossen, zudem lag Harrys linke Hand fest auf der rechten Brust ihrer Mutter.
Ob er bei Birgit so weit gegangen ist wie bei dir? Kann man auf den Toiletten im Bayerischen Hof ebenso heißen Sex haben wie du und er im Juni in der Disco? Allein der Gedanke, dass sie so etwas für möglich hielt, ließ Sarah erschaudern. Dass zudem ihre halb nackte Mutter vor ihrem geistigen Auge erschien, verhieß ebenfalls nichts Gutes.
Konzentrier dich, befahl sie sich und ging zum Fenster. Den Blick in die Ferne atmete sie mehrmals tief ein und aus. Vielleicht hat Harry ja für sie eine Ausnahme gemacht, überlegte sie, deshalb solltest du auch nach Beweisen auf der Website vom Ratskeller suchen. Sarah runzelte die Stirn. War das in dem Jahr, als sie Rosenmontag das knappe Krankenschwester-Kostüm trug? Das Outfit war dermaßen provokant und aufreizend gewesen, dass sie ihrer Mutter gesagt hatte, sie wundere sich, dass Manfred ihr erlaube, so auszugehen.
Sarah setzte sich erneut an ihren Laptop und durchsuchte die Fotos des Rosenmontagsballs. Galle strömte in ihre Kehle, als sie fündig wurde. Du verdammter Lügner! Und du bist eine Schlampe, nicht einmal eine Netzstrumpfhose hast du an! Sarah kniff die Augen zusammen und presste ihre Lippen fest aufeinander. Das Bild zeigte Harry mit Stethoskop und Arztkittel, rechts neben ihm drei weitere Narren in Pfleger- und OP-Kleidung, dazu Birgit in ihrem nuttigen Dress. Harrys Hand war da, wo sie nicht hingehörte, auf ihrem Po unter dem Minirock.
Greif ihr doch gleich zwischen die Beine, fauchte Sarah in Gedanken. Bestimmt hast du ihr auch die Brust abgehorcht. Und danach gab‘s von ihr eine Behandlung, die die Kasse nicht zahlt. Immer schneller schoss das Blut durch Sarahs Körper. Hast du sie bei dir zu Hause verarztet oder habt ihr euch ein Zimmer genommen? Angewidert fuhr sie ihren PC runter. Sie hatte genug gesehen.
W-z-s-l
„Wie war euer Tag, meine Damen?“, erkundigte sich Manfred, als sie gemeinsam zu Tisch saßen. Er hatte sich nur um fünf Minuten verspätet, was für seine Verhältnisse pünktlich war.
Danke für diese Steilvorlage, Daddy. Sarah hatte Mühe, sich ihre Freude über die Worte des Vaters nicht anmerken zu lassen, denn innerlich grinste sie wie ein Honigkuchenpferd. „Ich war bei Lilly“, antwortete sie und schob sich wie zufällig eine Gabel voll Reis und Bohnen in den Mund. Von ihrem Streit mit der Freundin und dass sie seit August keinen Kontakt mehr hatten, hatte sie den Eltern genauso wenig erzählt wie von ihrer Beziehung zu Harry. Was nur normal war, denn beides hing ja zusammen. Ganz abgesehen von dem glücklichen Umstand, dass sie so ihre Liebe leichter geheim halten konnte.
„Wie geht’s ihr?“ Manfred sah seine Tochter freundlich an.
Die gab zu verstehen, dass sie vor ihrer Antwort erst zu Ende kauen müsse. „Gut. Wie immer halt“, erklärte sie schließlich.
„Und wie war dein Tag, Birgit?“
Jetzt wird’s interessant. Die Ohren gespitzt wie ein Luchs, schnitt Sarah ein Stück ihrer Roulade ab. Sie führte den Bissen zum Mund, kaute gemächlich und beobachtete dabei ihre Mutter mit aufmerksamem Blick.
„Normal halt“, antwortete Birgit. „Wegen unseres Urlaubs ist hier im Haus einiges liegen geblieben, folglich hatte ich auch heute viel zu tun. Aber da ich mich sehr gut erholt habe, ging mir die Arbeit leicht von der Hand.“
Nur mit Mühe gelang es Sarah, den Brei in ihrem Mund ohne Aufhebens runterzuschlucken. Hast du das extra geübt? Wie du deinen Mann anlachst, während du ihm Hörner aufsetzt, spottet jeder Beschreibung. Sie legte ihr Besteck auf den Teller und griff nach ihrem Glas. „Wolltest du nicht am Nachmittag in die Stadt?“
„Hatte ich das gesagt?“ Birgit hatte keinerlei Probleme, ihre Tochter anzusehen. „Heute hatte ich keine Zeit dazu.“ Sie trank einen kräftigen Schluck. „Brauchst du denn etwas aus der Stadt? Soll ich dir etwas mitbringen?“ Danach drehte sie ihren Kopf in Richtung ihres Mannes: „Oder dir, Manfred?“
„Nein, danke.“ Sarah spürte, wie der Groll in ihr wuchs. Wieso kannst du nicht behaupten, dass du mit dem Auto Besorgungen gemacht hast? Sie presste die Lippen aufeinander. Ich sollte dir sagen, dass ich dich bei Harry gesehen habe. Und deinem Mann die Fotos aus dem Internet zeigen.
Glaubst du im Ernst, dass das was bringt?, bremste sie sich umgehend. Die hat sich doch längst für jeden Vorwurf die passende Ausrede zurechtgelegt. Das gehört doch zum Fremdgehen dazu!
Du musst dir was anderes ausdenken. Und bis dahin darfst du dir nicht das Geringste anmerken lassen, erkannte sie. Also half sie der Mutter beim Abräumen des Tisches und beim Einräumen der Spülmaschine.
Ob Lilly wieder zu Hause ist? Bestimmt. Auf ihrem Zimmer griff Sarah nach ihrem Smartphone und schrieb:
Du wirst nicht glauben, was
ich herausgefunden habe!
Das ist echt der Hammer!
20:28
Wieso antwortest du nicht? Ihre Finger trommelten nervös auf die Schreibtischplatte, ihr Blick huschte fahrig im Raum umher. Seit wann hörst du nicht mehr, wenn sich dein Handy meldet?
Zur Sicherheit verfasste sie eine zweite Notiz:
Wir müssen reden!!!
Bin unterwegs zu dir.
20:33
Zwei Minuten später schnappte sich Sarah ihre Jacke, lief sie aus dem Haus in die Garage und fuhr los.
Sie stand an einer Ampel, als ihr Smartphone über den Empfang einer Nachricht informierte. Lilian hatte zurückgeschrieben:
Hab keinen Kopf mehr
für dramatische Neuigkeiten.
Komm morgen um 11 vorbei.
20:37
Enttäuscht fuhr Sarah in die nächste Parklücke, um nachzudenken. Nach Hause wollte sie nicht. Zu Lilly konnte sie nicht. Blieb eigentlich nur eine Bar.
Es sei denn, du bringst zu Ende, was du am Nachmittag nicht geschafft hast.
Mittwoch, 07.12., ca. 11 Uhr
„Und? Was gibt’s so Tolles?“ Lilian wartete an der Wohnungstür, als Sarah die Treppe zu ihr nach oben stieg. Tonfall und Körperhaltung – sie lehnte entspannt am Türrahmen – wirkten gelangweilt.
„Du hast recht gehabt!“
„Womit? Dass Harry mit dir Schluss gemacht hat, weil er lieber ne andere vögelt? Das war doch klar.“
Sarah spürte einen Stich im Herzen, als die Antwort an ihre Ohren drang, mit düsterem Blick betrat sie das kleine Apartment. „Aber der Hammer ist“, erklärte sie, während sie ihre Jacke auszog und aufs Bett warf, „dass die andere meine Mutter ist.“
Einen Moment lang stand Lilian der Mund offen, dann sprach sie: „Wow. Das ist heftig.“
„Ich sah mit meinen eigenen Augen, wie sie aus seinem Haus kam. Und im Internet kursieren Fotos von Anfang 2020, wie sie rumknutschen und er sie betatscht.“
„Das heißt, du bist das Add-On.“ Lilian konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Aber mit Mutter und Tochter im Bett - das ist sowohl körperlich als auch organisatorisch eine höchst anspruchsvolle Herausforderung. Da muss man die Familie – oder besser gesagt die betroffenen Damen - schon sehr schätzen, wenn man sich das antut.“
Eine Bemerkung, die Sarah das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Willst du mich fertigmachen?“, erwiderte sie verärgert, „ich bin zu dir gekommen, weil ich dachte, dass wir wieder Freundinnen sind. In der Hoffnung, dass du mir hilfst!“