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Keine Demokratie ohne Fakten! Wir alle fallen auf Fake News herein. Sie kommen oft als gute Geschichten daher, die in unser Weltbild passen. Aber wie gehen wir damit um, dass rechtsextreme Parteien und gewisse Boulevard-Medien das systematisch nutzen, um Desinformation zu verbreiten? Wie verhindern wir, dass Fakten keine Rolle mehr spielen und es keine Konsequenzen hat, wenn man einfach behauptet, was man will? Dieses Buch zeigt, warum Fakten, Wissenschaft und zuverlässige Quellen in der Meinungsbildung an Bedeutung verlieren. Auf gewohnt unterhaltsame und verständliche Weise zeigt der Gründer des »Volksverpetzers« Thomas Laschyk, warum Fake News so erfolgreich sind und wie wir lernen können, Fakten genauso viral zu verbreiten. Wir alle können Teil der Lösung sein und für die Wahrheit kämpfen in einer Welt, in der Geschichten wichtiger sind als Belege. Mehr Wahrheit erzählen, weniger Lügen widersprechen!
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Originalausgabe
1. Auflage 2024
Verlag Komplett-Media GmbH
2024, München
www.komplett-media.de
E-Book ISBN: 978-3-8312-7163-4
Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg
Korrektorat: Elisa Garrett, Bayreuth
Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München
Layout und Satz: Daniel Förster
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Bookwire, Gesellschaft zum Vertrieb digitaler Medien mbH, Frankfurt am Main
Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Buch die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
Wer fragt »Wie erkenne ich Fake News?«, hat schon den wichtigsten Schritt gemacht
DIE WAHRHEIT HINTER DER LÜGE
Lügen haben kurze Beine: Ein Glossar der Täuschung
Der schmale Grat zwischen Irrtum und Absicht
Doppelte Korrekturen und heiße Luft
Coviteure
»Es könnte ja wahr sein«
Framing und Narrativ
Wie der Rahmen deine Wahrnehmung formt
Narrative im Nachrichtenfluss
Verschwörungsmythen – Narrative auf Steroiden
Wie Verschwörungsmythen Leben zerstören
Anspielungen, Symbole, Platzhalter im Kontext des Narrativs
Der »Fake des Theseus«
»Sharebait« und irreführende Überschriften
It’s the narrative, stupid!
WAS IST (NICHT) DIE LÖSUNG?
Warum Gesetze versagen
Warum klassischer Journalismus versagt
Ein Kommentar ist keine Ausrede, sich nicht auf Fakten zu stützen
Ein Interview ist keine Ausrede, Desinformation Reichweite zu geben
Aufregende Vorfälle sind keine Ausrede, irreführende Narrative zu pushen
Das »Silvester-Narrativ«
Die Wahrheit hinter dem »Silvester-Narrativ«
Wie News zu Fakes werden
Wenn klassische Medien Teil des Problems sind: der Axel-Springer-Verlag
Deutsche Medien sind zu … rechts?
Warum Faktenchecks versagen
»Ihr werdet doch bezahlt!«
Studien faktenchecken Faktenchecks
Faktenchecks gehen nicht viral
Wenn Faktenchecks versehentlich die Fakes verbreiten
WIR BRAUCHEN MEHR WERBUNG FÜR DIE WAHRHEIT
Überschrift und Framing
Titel und Frame-Check
Satire – die besseren Faktenchecks?
Titelbilder wie Infografiken nutzen
Mehr Videos, bitte!
Faktensandwich
Sprich die Wahrheit aus!
Ordne die Fake News ein!
Versuche, verständlicher zu kommunizieren!
Keine Angst vor Haltung!
DU KANNST TEIL DER LÖSUNG SEIN
Was du konkret tun kannst
Lebe stets so, dass Demokratiefeinde etwas dagegen haben
Danksagung
Anmerkungen
»wieder so ein spinner mit seinen argumenten« [sic]
Paul H., Facebook
»Du gehörst überprüft du Lappen!
Hast du Beweise, sachliche Argumente?!
Ich wette nicht!« [sic]
@sommerwinter4010, YouTube
»Verstecken sie sich bitte nicht hinter irgend welchen Studien. Nach 3 Jahren Pandemie müsste es doch genügend Daten geben um alles ganz einfach nachzuprüfen.« [sic]
Unbekannter Nutzer, Twitter
»Das alles auseinanderzunehmen ist mir jetzt zu viel Arbeit.«
@JeanJacqueR1712, Twitter
Wenn du dieses Buch in den Händen hältst: Glückwunsch! Du hast den vielleicht wichtigsten Schritt im Kampf gegen Desinformation eigentlich schon hinter dir. Du kannst das Buch also wieder weglegen. Halt, warte, vielleicht besser doch nicht. Du ahnst aber (oder weißt) schon, wo das Problem liegt. Und du weißt, wo du nach Lösungen suchen musst.* Und ich habe auch schon erreicht, was ich erreichen musste: erfolgreich dafür gesorgt, dass du von diesem Buch erfahren hast und es in die Hände genommen hast. Meine »Werbung für die Wahrheit« hat funktioniert, behaupte ich. Lass mich sagen: Es ist der erste Hinweis darauf, dass das, wofür ich hier argumentieren will, auch funktioniert.
Das Buch richtet sich nicht an diejenigen, die regelmäßig auf Fake News hereinfallen, auch wenn es natürlich die sind, die es am meisten nötig hätten. Denn die werden dieses Buch wahrscheinlich gar nicht erst in die Hand nehmen. Die werden mich grundsätzlich und ungelesen ablehnen und alles, was ich sage und belege, kategorisch leugnen. Das ist ja das Problem. Es ist das Grundproblem, dass diejenigen, die am meisten auf Fake News hereinfallen, am wenigsten versuchen, sich gegen Desinformation zu wappnen. Sie weigern sich, sich kritisch mit Sachverhalten zu beschäftigen. Weil sie denken, ihr Konsum von einseitiger Propaganda sei bereits genau das.
Das Buch wird dir aber auch nicht erklären, wie man Fake News erkennt. Derartige Bücher gibt es schon viele. Und irgendwie haben sie alle bisher nicht ausgereicht, oder? Denn ich finde, die Frage »Wie erkenne ich Fake News?« ist die falsche. Wer diese Frage aufrichtig stellt, ist eigentlich schon nicht mehr Teil des Problems. Es ist also fast müßig, sie zu beantworten. Beziehungsweise, das ist schnell passiert, und wie das geht, findest du an vielen guten Stellen. Aber wenn du googelst, ob eine Meldung wahr ist, bist du bereits nicht mehr darauf hereingefallen. Wenn du einen Faktencheck anklickst oder auch bereits mein Buch in den Händen hältst, bist du ja schon bereit, mehr zu erfahren. Du liest meistens Faktenchecks, weil du nicht auf die Fake News hereingefallen bist, selten umgekehrt.
Nein, dieses Buch richtet sich an dich, weil du diesen wichtigen Schritt schon gemacht hast. Ich will dir nämlich sagen, wie wir vielleicht mehr Menschen dazu bringen können, das zu hinterfragen, was sie nicht hinterfragen. Und wie wir verhindern, dass wir als Gesellschaft immer mehr in einen Strudel hinabstürzen, in welchem Fakten keine Rolle mehr spielen. Weil jeder nur noch das behaupten kann, was er oder sie will und darauf vertrauen kann, dass es keine Rolle spielt, wenn man »auffliegt«, weil dem Zielpublikum andere Dinge wichtiger sind als die Wahrheit. Was in letzter Konsequenz unsere Demokratie und auch Freiheit bedroht. Denn für eine Demokratie brauchen wir einen gemeinsamen Grundkonsens darüber, was echt ist und was nicht, um Lösungen auszudiskutieren. Sonst landen wir in einer Welt, in der Evidenz und Fakten Ansichtssache werden und nur zählt, zu welchem »Team« du gehörst.
Was ich dir mit diesem Buch zeigen will, ist, was wirklich hinter Fake News steckt. Und warum unser teils hilfloser Versuch, mit »Faktenchecks« darauf zu reagieren, scheitert. Warum auch andere Lösungsansätze wie Gesetze oder der klassische Journalismus scheitern. Und was vielleicht stattdessen getan werden kann. Damit du in deinem Umfeld die Menschen dafür sensibilisieren kannst. Damit du mir dabei hilfst, diese Erkenntnisse in die Welt zu tragen. Nein, weder ich noch du werden die Welt retten. Das ist auch okay, setzen wir uns lieber erreichbare Ziele. Und nein, natürlich habe ich nicht die ganze »Wahrheit« für mich gepachtet, auch wenn der Titel es augenzwinkernd suggeriert. Es gibt keine »Wahrheit«, sondern nur Fakten und Evidenz. Doch meistens sind es diejenigen, die diese (richtige) Unterscheidung anbringen, die einen gerade in einer Diskussion davon ablenken wollen, dass sie Desinformation verbreitet haben.
Es mag vielleicht nicht die »Wahrheit« geben, aber es gibt definitiv die Lüge. Während wir akademische Differenzierungen durchführen, gewinnt diese gerade die Oberhand. Deswegen will ich hier erklären, was wir jetzt tun können, um diesen Trend umzukehren. Je mehr Menschen wir zeigen können, wo das Problem liegt, desto schwerer werden es Desinformationsverbreiter haben, andere Menschen für Profit, Wählerstimmen und politische Macht auszubeuten. Das kann ich nicht allein. Dafür brauche ich deine Hilfe. Dafür habe ich das Buch geschrieben. Vielleicht können wir es zusammen schaffen. Wenn wir es gemeinsam tun.
Das Buch ist auch ein Plädoyer dafür, Aufklärung anders zu gestalten. Nicht immer so ernst zu sein, nein, sogar: nicht immer so seriös zu sein! Versteh mich nicht falsch: Es ist sehr gut und sehr wichtig, dass Wissenschaft sachlich, seriös und selbstkritisch ist. Dass wirklich alles auch belegbar ist.* Aber wenn Aufklärung im Lärm von Clickbait, Emotionen, Shitstorms und viralen Trends untergeht, haben wir auch nichts davon.
Ja, ich gebe zu, dieses Buch ist auch ein langer Erklärungsversuch, warum hinter den emotionalen und reißerischen Überschriften von Volksverpetzer mehr steckt, als vielleicht viele denken. Ich mache das nicht, weil ich nicht ernst und sachlich sein kann. Obwohl ich irgendwie schon das als Ideale betrachte. Ich bin aber mit Absicht nicht auf den ersten Blick »seriös«. Denn wer seine Informationen sachlich und ernst bevorzugt, wer Emotionen und plakative Sprache nicht mag – der fällt nicht auf Desinformation und Propaganda herein, oder? Der braucht auch seltener Faktenchecks und auch nicht zwangsläufig Volksverpetzer, oder? Den muss ich ja auch nicht im Speziellen erreichen. Wer aber sachbezogene und wissenschaftliche Studien sucht, der wird ja bei uns auch glücklich. Denn hinter den reißerischen Überschriften versteckt sich dann ja trotzdem ein sachlicher und gut recherchierter Artikel mit vielen Argumenten und Quellen. Ein »Clickbait« insoweit, dass man hinter dem emotionalen Aufhänger mit einem gut belegten Faktencheck überrascht wird.
Reden wir nicht mal darüber, wie man Fake News erkennt, wie man die Google-Rückwärtssuche nutzt, nicht mal, wie wir eine utopische Gesellschaft schaffen können, in der alle aufgeklärt genug sind. Wir haben jetzt ganz akut ein Problem. Wir leben jetzt in der Realität. Wir erleben jetzt gerade, wie die Welt metaphorisch und teilweise sogar buchstäblich brennt. Und wie das Momentum, etwas dagegen zu tun, strauchelt.
Reden wir endlich darüber, wie wir verhindern, dass Demokratiefeinde mit Desinformation jetzt akut an den Grundfesten unserer Demokratie und Freiheiten sägen, während wir hilflos zusehen. Wir können nicht immer weiter das Gleiche tun und einfach nur hoffen, dass alles irgendwie von allein besser wird oder sich irgendetwas verändert. Weiter Faschisten zu Interviews einladen, weiter hilflos jeden Tag ihren Fake News hinterherrennen, während sie weiter immer mehr Menschen einfangen. Das funktioniert doch alles offensichtlich nicht.
Ich will dir zeigen, wieso »Faktenchecken«, wie wir es bisher versuchen, nicht die einzige Lösung ist. Wir brauchen weniger Debunkings von Desinformation, sondern mehr Werbung für die Wahrheit.
* Das sollte jetzt nicht so sehr nach Eigenlob klingen :D
* An dieser Stelle vorab die Entschuldigung, dass ich in diesem Buch über 400 Quellen angegeben habe. Ich will nicht, dass du mir blind glaubst, sondern alles selbst nachprüfen kannst.
»The best fiction is far more true than any kind of journalism.«
Hunter S. Thompson,1US-amerikanischer Schriftsteller und Journalist
Bevor ich darauf zu sprechen komme, was die Lösung sein könnte, müssen wir uns erst einmal klar werden, was das Problem ist. Und nein, es liegt nicht daran, dass wir alle besser sind und die anderen alle doof. Du bist nicht besonders klug und alle, die AfD wählen oder die sichere Impfung verweigern oder dergleichen, besonders dumm. Intelligenz oder Bildung hat nichts damit zu tun. Also einige Studien finden durchaus eine Korrelation zwischen Intelligenz und politischen Einstellungen2, oder dass intelligentere Menschen sich öfter impfen lassen3. Aber du weißt, was ich meine: Sehr intelligente Menschen können sehr dumme Dinge glauben und auch Menschen mit weniger Bildung vertrauen der Forschung. Ein Doktortitel ist nicht zwingend ein Garant für Vertrauenswürdigkeit. Worauf ich hinaus will: Du könntest genauso gut auf diese Dinge hereinfallen. Sicherlich gibt es irgendwo in deinem Weltbild Aspekte, wo genau das der Fall ist. Du bist nicht immun gegen Propaganda.
Ich auch nicht, natürlich. Das gilt für mich genauso. Der erste Schritt ist, sich dessen bewusst zu werden. An uns beiden ist nichts Besonderes. Uns hätte es ebenso gut treffen können und wird es auch immer wieder mal. Denn die Wahrheit hinter der Lüge ist, dass niemand auf die Fake News hereinfällt, weil sie falsch sind.
Genau hier liegt der Knackpunkt: Jemand fällt auf Fake News herein, weil er sie für wahr hält.
Ich will dich gerade nicht für dumm verkaufen, aber da ist ein ganz entscheidender Unterschied. Denn wir konzentrieren uns in unserem Kampf gegen die Desinformation tatsächlich auf Ersteres, also »Warum ist etwas falsch?«. Aber Letzteres, »Warum halten Menschen etwas für wahr?«, ist näher am Kern des Problems. Wir erreichen nichts mit Fakten bei denjenigen, die schon zuvor nicht durch Fakten überzeugt wurden. Wie dann? Was funktioniert heute anders als noch vor 20 Jahren? Und was nicht? Warum gibt es jetzt wieder eine gesichert rechtsextreme Partei in Deutschland, die Wahlen gewinnt? Und ja, falls es nicht offensichtlich sein sollte, es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen Fake News und dem Rechtsextremismus. Wenn du einer Ideologie anhängst, die Wissenschaft ablehnt, und deren zentrale Thesen zum Beispiel über »Rassen«, Migration oder das Klima einfach längst widerlegt sind und mit der Realität kollidieren, brauchst du Desinformation und Propaganda wie die Luft zum Atmen.
Um eine Antwort auf das Problem zu finden, müssen wir das ganze Problem verstehen. Wie Social-Media-Algorithmen, das menschliche Gehirn, marktradikale und rechtsextreme Ideologien Fake News nicht zu einem Feature machen, nicht zu einem Bug. Und wovon reden wir eigentlich, wenn wir von »Fake News« oder »Desinformation« sprechen? Das wird auch gern als Kampfbegriff umhergeschleudert – ebenso wie genau jener Vorwurf.
Um was geht es eigentlich? Reden wir alle über das Gleiche, wenn wir »Fake« oder »Desinformation« meinen? Was sind »Narrative«, was »Verschwörungsmythen«, was »Propaganda« und was eine »Lüge«? Wir müssen das Problem auch richtig beschreiben, wenn wir es verstehen wollen.
Eine der vielleicht bekanntesten »Fake News« aus der Pandemie ist die Behauptung des Ex-Schlagersängers Michael Wendler aus dem Sommer 2021, dass »im September fast alle Geimpften tot« sein würden. Garniert mit jeder Menge Ausrufezeichen- und Explosionsemojis. Es ist deshalb so gut im Gedächtnis geblieben, weil »der Wendler« (der im Übrigen mit bürgerlichem Namen Michael Norberg heißt) ja auch als Partyschlagersänger schon einen bekannten Namen hatte, und seine Meldung so prägnant wie überzogen war, dass es fast schon als Parodie seiner selbst funktionierte, und natürlich: weil es eine Vorhersage war, die sich sehr schnell als falsch herausstellte.
Es sind, während ich diese Zeilen schreibe, schon drei September vergangen und irgendwie ist genau das Gegenteil wahr: Fast alle Geimpften sind noch am Leben. Nicht nur das: Sie sind nicht nur prozentual viel seltener an Corona gestorben als Ungeimpfte, sie hatten zum Beispiel allein im ersten Jahr der Impfung sogar eine generell viel niedrigere Sterbewahrscheinlichkeit − um den Faktor 10.4, 5
Wir haben viel darüber gelacht. Sehr viel.6 Und auch zu Recht. Das muss doch ein Paradebeispiel für eine »Lüge« sein, oder?
Der Duden nennt eine Lüge eine »bewusst falsche, auf Täuschung angelegte Aussage«7.
Ich persönlich finde, das trifft es schon sehr gut. Aber ich kann ehrlicherweise nicht belegen, dass sich Wendler bewusst war, dass es falsch ist. Ich kann nicht in seinen Kopf schauen. Vielleicht glaubt er den ganzen Wahn auch wirklich. Und verdiente nur zufällig nebenher durch regelmäßige Werbelinks für Notstromaggregate, Entgiftungskuren und allerlei anderen Unfug – unter anderem von einem Verlag für Verschwörungsmythen – Tausende Euros damit.8
Also ich müsste fairerweise bei meiner Wortwahl beachten, dass ich die »bewusste Täuschung« technisch gesehen nicht belegen kann. Dass »fast alle Geimpften« im September tot sein würden, ist aber unzweifelhaft falsch. Ist es ein »alternativer Fakt«? Das Unwort des Jahres 2017 zum Beispiel lautete »alternative Fakten«. Mit diesem Begriff würden »Falschbehauptungen salonfähig gemacht und mit Tatsachenbehauptungen auf eine Stufe gehoben«.9 Damit kommen wir der Sache durchaus näher.
Eine »Falschmeldung« ist laut Duden wiederum eine »Meldung, Nachricht, die nicht dem wirklichen Sachverhalt entspricht«10.
Das trifft sicherlich zu, aber bei dem Wendler-Unsinn handelt es sich ja nicht nur um eine »Falschmeldung«. Er hat sich ja wiederum nicht einfach nur aufrichtig vertan. In der Forschung spricht man auch manchmal von »Misinformation«, wenn eine Meldung zwar falsch ist, aber ohne erkennbare Absicht zur Täuschung verbreitet wird. Es ist keine »Ente«, falsche Zeitungsmeldung11, wie sie jedem Mal passieren kann. Auch mir.12
Lustige Geschichte. Wusstest du, dass ich, dass Volksverpetzer auch mal Corona verharmlost hat? Buchstäblich mit einer Grippe verglichen? Das war im Januar 2020. Weißt du noch, als die Meldung eines neuartigen Virus aus China noch eine Randgeschichte war, die sicherlich bald wieder vergessen werden würde? Zu diesem Zeitpunkt war noch keine einzige Infektion in Deutschland bestätigt. Selbst Prof. Drosten, der da fieberhaft* an dem weltweit ersten PCR-Test arbeitete, war wenige Tage zuvor noch vorsichtig optimistisch gewesen.13 Die WHO hatte auch noch keine besondere Reisewarnung gegeben.14 Aber eine Gruppe schürte regelrecht Panik: Rechtsextreme. Ja, erinnerst du dich noch? Die AfD und ihre ideologischen Verbündeten forderten Aufklärung zu Schutzmaßnamen (Alice Weidel), Einschränkungen von Flügen aus China (Reimond Hoffmann), in den AfD-nahen Gruppen hieß es: »Das corona Virus ist weitaus schlimmer als die Medien darstellen« [sic]. Man muss rückblickend sagen: Schade, dass wir nicht auf die Faschisten gehört haben.**
Das Problem, wie immer bei Rechtsextremen, ist aber, dass sie natürlich nicht wussten, wovon sie redeten. Sie sagten nur reflexhaft das Gegenteil dessen, was sie als den »Mainstream« vermuteten. Sie hatten hier nur ausnahmsweise zufällig recht. Der Beleg dafür ist allein schon die Tatsache, dass die AfD eine 180-Grad-Wende durchführte, sobald wir uns alle der tatsächlichen Gefahr des Virus bewusst wurden und die Pandemie losging. Während Alice Weidel am 12. März, wenige Tage vor dem ersten Lockdown, in Deutschland einen Lockdown wie in anderen EU-Ländern forderte, weil das sonst »fatale Folgen« haben werde,15 forderte sie im Dezember »Kein #LockdownJetzt« und »Rückkehr zu Vernunft & Menschlichkeit« [sic].16 Der damalige AfD-Chef Jörg Meuthen forderte: »Shutdown Jetzt«,17 im September beklagte Alice Weidel, dass der Lockdown »nie in dieser Form hätte geschehen dürfen«.18 Also den, den man selbst laut gefordert hatte.
Der AfD konnte nichts Schlimmeres passieren, als dass sie aus Versehen vollkommen recht hatte und alle anderen Parteien ihre Forderungen umsetzten. Weil ihre faktenfernen Narrative darauf aufbauen, die Rolle des ungehörten Widerstandskämpfers zu spielen. Mehr dazu später noch.
Aber erst mal zurück zu meiner Falschmeldung. Denn das falsche Spiel der Rechtsextremen habe ich auch schon im Januar 2020 durchschaut, auch wenn ich falsch damit lag, wie gefährlich das Coronavirus war. Ich schrieb einen Artikel, warum »Rechte Angst vor dem Corona-Virus« schüren wollen.19 Kurze Antwort: um Grenzschließungen zu fordern. Der Faschist Martin Sellner erklärte wörtlich: »Offene Grenzen bedeuten auch offene Grenzen für Viren …« Den Rechtsextremen war schon immer die tatsächliche Gefährlichkeit von Corona egal. Ihnen war wichtig, das zu fordern, was sie immer fordern: Ausländer raus, Grenzen zu. Das habe ich damals aufgeschrieben, und das war damals richtig und ist es auch heute noch. Doch natürlich war die Behauptung, das »Virus ist nicht gefährlicher als SARS oder die ganz normale Grippe«, wie ich es von einigen medizinischen Quellen hatte, absolut falsch. Diesen Fehler bekam ich drei Jahre später immer noch zu hören, als Begründung, warum Volksverpetzer angeblich unseriös sein solle. Dabei nutze ich es noch öfter selbst als Paradebeispiel für unsere Fehlerkultur. Wie du gerade mit eigenen Augen sehen kannst.
Aber warum war das jetzt »nur« eine »Falschmeldung«? Na ja, ich habe nicht gewusst, dass das, was ich da schrieb, falsch war. Ich habe mich auf damalige Statements von Ärzten gestützt. Das ist natürlich keine Ausrede, falsch ist falsch. Aber was ich – und seriöse Medien – machen, um zu beweisen, dass es keine böse Absicht war, ist, sich zu korrigieren. Ich verschweige es dir nicht. Ich habe es buchstäblich in mein Buch geschrieben. Die Korrektur geschah auch durch einen ausführlichen Disclaimer zum Artikel und durch diverse Faktenchecks, die genau diese Falschmeldung widerlegten. Also ja: Das ist der Unterschied zwischen »bewusst« und »unbewusst«. Das beste Indiz dafür, dass Letzteres vorliegt, ist eine prompte Selbstkorrektur. Und keine faulen Ausreden.
Ich kann dem Wendler zwar nicht unterstellen, wissentlich die Unwahrheit zu verbreiten, aber was klar ist, ist, dass er wissentlich die und nur die Falschmeldungen verbreitet, die immer das Gleiche vermeintlich zeigen sollen: dass die Impfung nicht gut sei. Es hat System. Vielleicht trifft es dann genauer, dass es sich hierbei um eine »in den Medien und im Internet, besonders in sozialen Netzwerken, in manipulativer Absicht verbreitete Falschmeldung« handelt. Um die sogenannten »Fake News«20. Denn was ebenso klar ist, ist, dass Wendler ganz bewusst seine ganze Meldung (wie alle seine anderen) derart gestaltet hat, dass sie reißerisch und skandalös wirkt. Er will, dass ein gewünschter Eindruck entsteht und eine bestimmte Botschaft beim Leser ankommt. Selbst wenn er das nicht als »Manipulation« bezeichnen würde. Tatsächlich würde er sogar komplett leugnen, etwas Falsches gesagt zu haben. Beziehungsweise: Er tat es auch. Und seine faule Ausrede ist auch gar nicht mal so schlecht, um ehrlich zu sein. Denn: Sie stimmt, technisch gesehen.
Die »manipulative Absicht« wird deutlich durch die »letzte Warnung«, die natürlich komplett in Großschrift verfasst ist. Der Wendler wollte ganz eindeutig, dass seine leichtgläubige Gefolgschaft glaubt, die Impfung sei sehr schnell und sehr tödlich. Das hat er aber auch nicht wörtlich so gesagt, oder nicht?
Auf Nachfrage der Morgenpost rechtfertigte er sich: »Ich selbst habe nie behauptet, dass alle Geimpften im September sterben.« Bei dem Post handle es sich stattdessen um Aussagen von einem »Dr. Coldwell«, der durch »zahlreiche Untersuchungen« sicher sei, dass die erste COVID-19-Impfung das »körpereigene Immunsystem um 15 Prozent reduziert und die zweite Impfung um 35 Prozent reduziert«.21 Und das würde zum Tod »fast aller Geimpften« führen.
Nein nein, der Wendler hat doch nicht gelogen. Er hat nur die Lügen von anderen wiederholt! Der Witz hierbei ist: Das mit »September« und »fast allen Geimpften« hat auch der bekannte Hochstapler und vermeintliche Wunderheiler22, der mit tatsächlichem Namen Bernd Klein heißt,* nicht gesagt. Das war nur die (absurde) Schlussfolgerung Wendlers aus wiederum eines anderen Fakes von »Dr. Coldwell«, der habe nur von angeblich geschwächten Immunsystemen nach einer Impfung gesprochen, was er aus einer Studie habe (die das aber auch nicht belegt).
Das ist einfach nur die Stille-Post-Version von Fake News, wo jeder noch mehr dazudichtet, bis am Ende der Quark von Wendler rauskam. Fake-Ception. Das Problem: Wir haben gesehen, was die deutliche Botschaft war: »Fast alle Geimpften im September tot«. Aber am Ende will es gar niemand behauptet haben. Im Gegenteil, die Pandemie-Leugner werden mit den Augen rollen, wenn du ihnen mit diesem Vorwurf kommst. Das hat doch nicht wirklich jemand geglaubt. Bonuspunkte, wenn sie darin sogar den Beweis sehen, wie der böse »Mainstream« immer alles mit Absicht falsch darstelle und so weiter.
Du merkst schon, wie brutal schwer es ist, gegen diesen Wahn anzukommen. Aber ja. Das sind jene »Fake News«. Aber auch wenn ich den Begriff »Fake News« hier und oft auch verwende – »Fake« ist halt auch kurz, knackig und on point und damit praktisch auf Grafiken und in der extrem schnellen Online-Kommunikation –, ist ein anderer Begriff eigentlich viel treffender: »Desinformation«.
»Desinformation kann im Allgemeinen als die absichtliche Verbreitung unwahrer Informationen definiert werden − zum Beispiel, um gesellschaftliche Spaltungen zu verstärken, politischen Zynismus zu schüren oder politische Akteure anzugreifen«, erklären die Wissenschaftler Judith Möller und Michael Hameleers zum Beispiel.23
Also zusammengefasst: Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen »Misinformation« und »Desinformation« beziehungsweise »Falschmeldungen« und »Fake News« ist in meinen Augen die dahinterstehende Absicht zur Täuschung.
Es gibt auch in der Forschung viele Begriffe und viele verschiedene Definitionen, doch meiner Meinung nach sind das oft nebensächliche Details. Für mich hat diese Unterscheidung am meisten Sinn gemacht. Fehler können passieren, aber Manipulation ist etwas anderes. Und ich betrachte hier in diesem Buch vor allem Letzteres.
Die Gründe können vielfältig sein: Man möchte Leute mobilisieren, zum Beispiel wählen zu gehen. Beim Brexit-Referendum wurden sehr viele durch Desinformation motiviert, für den Austritt aus der EU zu stimmen.24 Oder umgekehrt: Demotivieren ist auch ein Ziel. »Fake News«, die die regelmäßigen Rekordtemperaturen (und deren Zusammenhang mit der Klimakrise) leugnen sollen, sollen den gesellschaftlichen Willen für Klimapolitik lähmen. Im Juli 2023 beispielsweise instrumentalisierten rechte Desinformationsmedien wie »Nius« eine ESA-Wettervorhersage, die bis zu 48 Grad Temperaturen für Südeuropa vorhersagten. Vorhersagen, die übrigens eintrafen: Auf Sizilien zum Beispiel wurden 46,3 Grad gemessen.25 Am Ende war der Juli 2023 weltweit der heißeste Monat seit Jahrtausenden.26 Es kann übrigens gut sein, dass es inzwischen schon heißere Monate gab, wenn du diese Zeilen hier liest. Verrückt, fast so, als sei wahr, was die Wissenschaftler über die Klimakrise sagen.
Ich glaube, genau davon wollte aber »Nius« ablenken und sie waren so erfolgreich dabei, zu behaupten, dass das alles in diesem Fall nur ein Missverständnis sei und Boden- und Lufttemperatur verwechselt worden seien, dass am Ende die seriösen Medien ins Schwitzen gerieten und wirklich selbst glaubten, eine Falschmeldung verbreitet zu haben.27 Dabei war das alles heiße Luft. So war es zum Beispiel am Ende bei der Tagesschau so, dass der Korrekturhinweis erklärte, dass der vorherige Korrekturhinweis falsch gewesen sei und die ursprüngliche Aussage richtig gewesen war.28 Verwirrend. Aber das war das Ziel. »Fake Nius«*-Gläubige wurden weiter überzeugt, dass das mit dem Klimawandel ja alles so nicht stimmen könnte und »die Medien« ja mal wieder übertrieben hätten, um unbegründete Panik zu schüren. Und bezeichneten schwitzend den heißesten Monat seit Beginn der Aufzeichnung bis dato als »kalt und verregnet«.
Dann gibt es natürlich auch noch den Anreiz, einfach nur Geld zu verdienen. Wendler und seine Prepper-Produkte hatten wir ja schon, aber der bekannteste »Coviteur« dürfte vermutlich »Querdenken«-Gründer Michael Ballweg sein. Der sammelte viele Hunderttausende Euros mit seiner Organisation von Demonstrationen in der Pandemie-Leugner-Bewegung. Auf sein privates Konto.29 Wo das Geld am Ende gelandet ist und was er damit gemacht hat, ist nicht wirklich bekannt. Am Ende wurde er wegen des Verdachts auf Betrug und Geldwäsche vorläufig festgenommen und im März 2023 wurde Anklage erhoben.30,31
Oder der Querdenker-Anwalt Reiner Fuellmich, der 2020 wohl über eine Million Euro sammelte, um angeblich eine Sammelklage auf Schadensersatz gegen Prof. Drosten & Co. durchzuführen.32 Eine Klage, die es auch drei Jahre später immer noch nicht gab. Selbst seine treuesten Weggefährten kamen dann irgendwann auf die Idee, dass seine ganzen Ausführungen zu PCR-Tests (und »blauem Licht« aus »Goggles«, mit dem Kinder »geblockchained« werden33) möglicherweise auch einfach nur einem großen Betrug dienten.34 Fast so, als hätten sie von Anfang an unrecht gehabt, nicht?
Nun, eine letzte Motivation, Desinformation zu streuen, ist nach Möller und Hameleers die ideologische Motivation. Warte, höre ich dich jetzt schon sagen, inwieweit war der ganze Rest denn nicht ideologisch? Die Grenzen sind fließend, und Menschen und ihre Motivationen sind komplex und vielschichtig. Oft liegen auch mehrere Gründe vor.
Aber ja, eine ideologische Motivation ist vermutlich der wichtigste Faktor bei der Desinformation, über die wir hier reden.
Also: Leute teilen etwas, weil sie gezielt die Gesellschaft in irgendeiner Weise beeinflussen wollen. Weil sie diese Dinge glauben, und wollen, dass das auch andere tun. Sie sind auf diese Lügen hereingefallen und wollen andere damit »infizieren«. Für einen »guten Zweck«.
Mein Lieblingsbeispiel für eine derartige Desinformation ist eine Meldung aus dem Jahr 2017. Warum? Weil es gleichzeitig eines der am deutlichsten, offensichtlichsten frei erfundenen Märchen ist, das ich je einem Faktencheck unterzogen habe. Und dennoch eines, das Millionen Menschen erreicht hat. Und sogar überzeugt.
Da gab es eine Seite, die sich »nachrichten.de.com«* nannte, auf der sich jeder seine eigene Fake News basteln konnte. Die Seite bot an: »Erstelle dir deinen eigenen Witz«. Du musst nur ein Bild hochladen, einen entsprechenden Text in die Felder eingeben und fertig war dein … äh, »Artikel«. Irgendjemand kam dann auf die witzige Idee, einen derartigen frei erfundenen Artikel zu erstellen, mit Frau Merkel, die ein Selfie mit einem Geflüchteten machte, im Titel und der Überschrift »700 Euro Weihnachtsgeld für Flüchtlinge«.35 Und es wurde hunderttausendfach geteilt. Natürlich nicht als Witz. Sondern empört.
Das Einzige, was hier ein Witz war, war mein Faktencheck. Was gab es da zu checken? Es war buchstäblich von einer Witz-Seite und völlig frei erfunden. Ich kann gar nicht mehr dazu sagen. Das Spannendste an diesem Fake waren aber die vielen Kommentare, die ich dazu gelesen habe in den rechten Gruppen. Auf den Hinweis, dass es ein Fake sei, verteidigte sich eine rechtsradikale Teilerin: »Die 700 könnten – nach all den Verrücktheiten – wahr sein. Das ist ja das Erschütternde.« Es muss gar nicht wahr sein, damit man sich darüber aufregen kann. Es könnte ja wahr sein. Das reicht. Auf die Erwiderung, dass es doch von einer Fake-Seite stammt, kam nur »Tut doch nichts zur Sache!!!!« [sic]. An einer anderen Stelle sagte die gleiche Person über die Tatsache, dass die Meldung frei erfunden war: »Ich halt mich nicht m[it] Kleinigkeiten auf!!!«
Jup, die klitzekleine Kleinigkeit, dass das, worüber man sich gerade so aufregt, frei erfunden ist. Es ist zum Haareraufen. Aber du siehst: Es ist die ideologische Motivation. Die Leute teilen den Fake, von dem sie wissen, dass er ein Fake ist, bewusst, weil sie möchten, dass andere Schutzsuchende genau so hassen wie sie selbst. Weil es ja »so sein könnte«.
Die Wissenschaftler Möller und Hameleers beschrieben es als »Langzeitziel«: »Desinformation wird also nicht nur als Strategie verbreitet, um in Wahlzeiten Stimmen zu gewinnen, was ein kurzfristiges taktisches Ziel ist, sondern beruht auf einem geplanten und längerfristigen ideologischen Schema.«36
Diese Rassisten – und es ist fundamental am Ende einfach nur das – wollen, dass wir alle Geflüchteten verabscheuen. Der Grund ist ihnen letztlich egal, der kann auch gelogen sein. Denn – so denken sie – irgendeinen berechtigten Grund wird es schon geben. Sie glauben ja, dass sie Menschen mit anderer Herkunft nicht einfach so hassen. Irgendeine der Dutzenden Fake News, die man selbst glaubt und die man folglich dann auch teilt, wird schon richtig sein. Das reicht schließlich als Rechtfertigung für seine ideologische Ablehnung. Und ja, natürlich wird auch niemand rassistisch geboren. Aber derartige Desinformation liefert dann möglicherweise ein Ventil und Feindbild für soziale Unsicherheit und Abstiegsängste. Die relative Wahrnehmung des eigenen Wohlstands spielt ebenso mit hinein – wenn andere von Ausgleichszahlungen profitieren, und man selbst nicht, auch wenn es einem selbst nicht so schlecht geht. Studien zeigen, dass »Ausländern« die Schuld geben hilft, ein Gefühl von Kontrolle zu erlangen und internen Zusammenhalt zu stärken, wenn man ein externes Feindbild produziert.37
Womit wir zu der nächsten Dimension an »Desinformation« kommen. Wir haben bisher das »Warum« etabliert und was etwas zu »Desinformation« oder einem »Fake« macht. Ich kann noch kurz die verschiedenen Arten, wie manipuliert wird, durcharbeiten. Das »Was«.
Ist etwas frei erfunden, werden Grafiken manipuliert, wird etwas zu echten Bildern oder Ereignissen dazugedichtet oder werden eigentlich korrekte Informationen geschickt durch Dekontextualisierung dazu genutzt, einen bewusst falschen Eindruck zu erwecken? Also das Handwerkzeug, wie manipuliert wird. Manche Faktenchecker haben da spezielle Skalen und unterscheiden da dezidiert. Aber um ehrlich zu sein, ist das alles zweitrangig. Du findest genug Bücher und Seiten, die dir das erklären. Und ich finde: Wenn ein Post die Wirkung hat, dass falsche Dinge geglaubt werden, ist es weniger relevant, welcher konkrete Aspekt jetzt wahr und falsch ist oder irreführend. Die wenigsten Fakes sind zu 100 Prozent falsch, aber alles darunter erweckt den Eindruck, ein Fake könne nicht so schlimm sein. Meine bereits jetzt aufgezählten Beispiele haben auch quasi schon viele Methoden abgedeckt. Und wie ich am Anfang des Buches erklärt habe, selbst wenn du es noch nicht weißt, wirst du die Methoden sehr schnell begreifen, wenn du das Grundproblem begriffen hast. Natürlich ist das eine spannende Differenzierung und auch wesentlicher Teil der Arbeit gegen Desinformation.* Aber letzten Endes ist diese Unterscheidung zwar inhaltlich richtig, ändert aber auch wenig daran, dass Menschen auf diese Dinge hereinfallen. Das zu unterscheiden, kann sogar kontraproduktiv sein.38