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Welches Wissen, welche Erfahrungen, welche Kompetenzen und welche Lernfelder brauchen angehende Supervisoren, um auf die Herausforderungen ihrer späteren Tätigkeit gut vorbereitet zu sein? Christiane Lüschen-Heimer und Uwe Michalak vermitteln in diesem Buch Theorie, Praxis, Methodik, Metaphorik und gesellschaftliche Orientierung für diese anspruchsvolle Aufgabe. Es ermöglicht Dozenten wie Kursteilnehmern, die Weiterbildung zur systemischen Supervision auf parallelen Ebenen zu erfahren: Die Aufbereitung der Themen lehrt die angehenden Supervisoren, wie sie Beratungsprozesse mit ihren zukünftigen Supervisanden gestalten können. Dozenten werden über die konzeptionell-didaktische Aufbereitung der Inhalte angeregt, den Teilnehmern ein sicheres Übungsfeld zu bereiten, in dem sie sich erproben und gleichzeitig die Wirkung des Tuns erfahren können. Ziel ist die Entwicklung eines eigenen supervisorischen Profils. Das Buch behandelt alle relevanten Aspekte von Supervision, von der ersten Kontaktaufnahme über die Kontraktentwicklung, verschiedene supervisorische Settings und Themenbereiche bis zur Beendigung des Beratungsprozesses.
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Seitenzahl: 282
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Die Bücher der petrolfarbenen Reihe Beratung, Coaching, Supervision haben etwas gemeinsam: Sie beschreiben das weite Feld des »Counselling«. Sie fokussieren zwar unterschiedliche Kontexte – lebensweltliche wie arbeitsweltliche –, deren Trennung uns aber z. B. bei dem Begriff »Work-Life-Balance« schon irritieren muss. Es gibt gemeinsame Haltungen, Prinzipien und Grundlagen, Theorien und Modelle, ähnliche Interventionen und Methoden – und eben unterschiedliche Kontexte, Aufträge und Ziele. Der Sinn dieser Reihe besteht darin, innovative bis irritierende Schriften zu veröffentlichen: neue oder vertiefende Modelle von – teils internationalen – erfahrenen Autoren, aber auch von Erstautoren.
In den Kontexten von Beratung, Coaching und auch Supervision hat sich der systemische Ansatz inzwischen durchgesetzt. Drei Viertel der Weiterbildungen haben eine systemische Orientierung. Zum Dogma darf der Ansatz nicht werden. Die Reihe verfolgt deshalb eine systemisch-integrative Profilierung von Beratung, Coaching und Supervision: Humanistische Grundhaltungen (z. B. eine klare Werte-, Gefühls- und Beziehungsorientierung), analytisch-tiefenpsychologisches Verstehen (das z. B. der Bedeutung unserer Kindheit sowie der Bewusstheit von Übertragungen und Gegenübertragungen im Hier und Jetzt Rechnung trägt) wie auch die »dritte Welle« des verhaltenstherapeutischen Konzeptes (mit Stichworten wie Achtsamkeit, Akzeptanz, Metakognition und Schemata) sollen in den systemischen Ansatz integriert werden.
Wenn Counselling in der Gesellschaft etabliert werden soll, bedarf es dreierlei: der Emanzipierung von Therapie(-Schulen), der Beschreibung von konkreten Kompetenzen der Profession und der Erarbeitung von Qualitätsstandards. Psychosoziale Beratung muss in das Gesundheits- und Bildungssystem integriert werden. Vom Arbeitgeber finanziertes Coaching muss ebenso wie Team- und Fallsupervisionen zum Arbeitnehmerrecht werden (wie Urlaub und Krankengeld). Das ist die Vision – und die politische Seite dieser Reihe.
Wie Counselling die Zufriedenheit vergrößern kann, das steht in diesen Büchern; das heißt, die Bücher werden praxistauglich und praxisrelevant sein. Im Sinne der systemischen Grundhaltung des Nicht-Wissens bzw. des Nicht-Besserwissens sind sie nur zum Teil »Beratungsratgeber«. Sie sind hilfreich für die Selbstreflexion, und sie helfen Beratern, Coachs und Supervisoren dabei, hilfreich zu sein. Und nicht zuletzt laden sie alle Counsellors zum Dialog und zum Experimentieren ein.
Dr. Dirk Rohr
Herausgeber der Reihe »Beratung, Coaching, Supervision«
Christiane Lüschen-Heimer
Uwe Michalak
Zweite Auflage, 2022
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)
Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)
Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)
Dr. Barbara Heitger (Wien)
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)
Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)
Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)
Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)
Dr. Roswita Königswieser (Wien)
Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)
Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)
Tom Levold (Köln)
Dr. Kurt Ludewig (Münster)
Dr. Burkhard Peter (München)
Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)
Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)
Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)
Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)
Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)
Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)
Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)
Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)
Jakob R. Schneider (München)
Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)
Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)
Dr. Therese Steiner (Embrach)
Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)
Karsten Trebesch (Berlin)
Bernhard Trenkle (Rottweil)
Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)
Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)
Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)
Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)
Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)
Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)
Themenreihe: »Beratung, Coaching, Supervision«
hrsg. von Dirk Rohr
Reihengestaltung: Uwe Göbel
Umschlagfoto: © Beate Ch. Ulrich
Illustrationen: Hannah Eller
Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Zweite Auflage, 2022
ISBN 978-3-8497-0311-0 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8200-9 (ePUB)
© 2019, 2022 Carl-Auer-Systeme Verlag
und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten
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»Wie ist systemische Supervision in der Praxis, und wie wird sie gelehrt und gelernt? Zu diesen Fragen finden sich in diesem Buch viele Antworten. Da es systemische Antworten sind, umfassen sie eine große Sammlung von Fragen, die selbst zu weiteren Fragen anregen. Ob Einsteiger, Fortgeschrittene oder Ausbilder – sie alle werden mit Sicherheit beim Lesen dieses Buch profitieren.«
Hans Schindler, Bremer Institut für systemische Therapie und Supervision
»Supervision ist nötiger denn je! In Zeiten immer rascheren gesellschaftlichen Wandels brauchen Professionelle eine neutrale Außensicht, die eine zirkuläre und kontextorientierte Perspektive einnimmt, um die Vielfalt von Einflussfaktoren und deren Dynamiken beachten zu können. Ich kann dieses inhaltlich und methodisch fundierte Buch allen wärmstens empfehlen, die in den Arbeitsfeldern der beruflichen Beratung unterwegs sind.«
Dr. Thomas Hegemann, Inter Cultura München
»Ein wert- und wundervolles Buch, das den Leser als Lehrenden und Lernenden herausfordernd und verständlich in Theorien und Praxisfelder systemisch-supervisorischer Denk- und Handlungsweisen einführt und ihn orientiert.«
Christoph Heidbreder, Institut für systemische Studien, Hamburg
»Die Autorin und der Autor legen in beeindruckender Weise ihr umfangreiches Konzept einer Weiterbildung in systemischer Supervision dar. Grundlegende relevante Theorieaspekte werden anschaulich beschrieben, und bewährte Tools finden Eingang in Methodik und Didaktik. Die Orientierung durch das Buch leistet der Ablauf eines Supervisionsprozesses. Das Buch lädt Weiterbildungspraktiker zur Reflexion eigener Konzepte ein und zeigt Interessierten, wie eine Weiterbildung in systemischer Supervision aussehen kann.«
Heidi Neumann-Wirsig, Gesellschaft für Organisationsberatung, Training und Supervision
»Ob angehender Supervisor oder Dozentin für Supervision: Beide Zielgruppen finden in diesem Werkstattbuch eine Fülle von Methoden, gut unterfüttert mit Theorie. Die klare Gliederung entlang dem Supervisionsprozess, unterstützt von Hanna Ellers Illustrationen, erlaubt es der Leserin, sich leicht zu orientieren. Dass parallel zu Theorie und Methodik der Supervision wertvolle didaktisch-methodische Anregungen für die Lehre gegeben werden, ist ein gelungener Kunstgriff!«
Dr. Ulrike Borst, Erste Vorsitzende der systemischen Gesellschaft
Vorwort
Zur Orientierung im Buch
1 Allgemeines: Weiterbildung in systemischer Supervision
1.1 Vorüberlegungen zur systemischen Beratung
1.2 Stationen der Geschichte der Supervision
1.3 Was genau ist mit systemischer Supervision gemeint?
1.3.1 Allgemeine Vorüberlegungen
1.3.2 Wie wird Supervision definiert?
1.3.3 Was ist systemische Supervision?
1.4 Sechs konstituierende Merkmale der Kommunikationsform Supervision
1.5 Ziele und Funktionen der systemischen Supervision
1.6 Die systemische Supervisionsweiterbildung am WIST
1.6.1 Allgemeine Beschreibung der Supervisionsweiterbildung
1.6.2 Ziele und zentrale Inhalte der Supervisionsweiterbildung
1.6.3 Strukturen der Weiterbildung
1.7 Didaktische Überlegungen
1.7.1 Ressourcenorientierung
1.7.2 Beachten von Resonanzphänomenen
1.7.3 Ermöglichen von Reflexion, Erwarten von Reflexivität
1.8 Exkurs: Welche Bedeutung weisen wir der Reflexion und Reflexivität für das supervisorische Handeln zu?
2 Alles begleitend: Haltung und Rolle
2.1 Haltung
2.2 Rolle
2.3 Die systemische Haltung
2.3.1 Die Haltung des Nichtwissens
2.3.2 Die Haltung des Nichtverstehens
2.3.3 Die Haltung des Eingebundenseins
2.3.4 Die Haltung des Vertrauens
2.3.5 Die systemische Haltung im Spannungsfeld zwischen Person, Rolle und Organisation
2.3.6 Meine moralische Position als Supervisor
2.4 Didaktische Überlegungen
2.5 Methodische Angebote
2.5.1 Methode »Reflexion meiner Leitideen«
2.5.2 Methode »Interview zur eigenen Selbstdefinition«
2.5.3 Methode »Herausforderungen annehmen«
3 Start: Alles beginnt mit dem Kont®akt
3.1 Überlegungen zur Kontraktgestaltung
3.2 Beispiele für Supervisionskontrakte
3.3 Didaktische Überlegungen
3.4 Methodische Angebote
3.4.1 Methode »Beraterkarussell«
3.4.2 Methode »Systemische Reflexionsschleife«
4 Veränderungsprozesse: Die Person im Fokus
4.1 Wann ist eine Veränderung eine Veränderung?
4.2 Wann gelingt eine Veränderung?
4.3 Impulse für Veränderungen
4.4 Didaktische Überlegungen
4.5 Methodische Angebote
4.5.1 Methode »Die fünf Säulen«
4.5.2 »Walt-Disney-Methode«
5 Praxiserfahrung: Was wirkt? Methoden erleben
5.1 Definition und Nutzen von Methoden
5.2 Didaktische Überlegungen
5.3 Methodische Angebote
5.3.1 Methode »Architektur-Design-Modell«
6 Settings bewältigen: Einzel-, Gruppen- und Teamsupervision
6.1 Einzelsupervision
6.1.1 Dreiweltenmodell von Bernd Schmid
6.1.2 Fragestellungen, Anliegen und Ablaufszenarien
6.2 Gruppensupervision
6.2.1 Exkurs: Moderation einer Gruppe
6.3 Teamsupervision
6.3.1 Definitionen und Abgrenzungen
6.3.2 Fragestellungen, Anliegen und Ablaufszenarien
6.3.3 Teamentwicklung in der Teamsupervision
6.4 Didaktische Überlegungen
6.4.1 Didaktische Überlegungen zum Einzelsupervisionssetting
6.4.2 Didaktische Überlegungen zum Gruppensupervisionssetting
6.5 Methodische Angebote
6.5.1 Methode »Systemisches Portrait«
6.5.2 Methode »Selbstreflexion – Meine Ressourcen als Supervisor im Gruppenkontext«
6.5.3 Methode »Im Rollenspiel die Gestaltung und Moderation einer ersten Teamsupervisionssitzung erproben«
6.5.4 Methode »Geht nicht, gibt’s nicht«
6.5.5 Methode »Teampositionierung«
7 Kontextwissen: Organisation und Supervision
7.1 Organisationswissen in der supervisorischen Prozessführung
7.1.1 Grundlagen der Entscheidungsstrukturen und Aufgaben
7.1.2 Explizite und implizite Regeln
7.1.3 Kommunikationsstrukturen
7.2 Didaktische Überlegungen
7.3 Methodische Angebote
7.3.1 Methode »Erweitertes Organigramm Organisation erstellen«
7.3.2 Methode »Stellen- und Prozessbeschreibungen erstellen«
7.3.3 Methode »Differenzierung des Regelwerks einer Organisation«
7.3.4 Methode »›Gos‹ und ›No-Gos‹ in einer Organisation sammeln«
7.3.5 Methode »Kommunikationsstrukturen einer Organisation differenzieren«
8 Verantwortung: Fachwissen und Prozesswissen
8.1 Verantwortung und Vertrauen
8.2 Fach- und Feldkompetenz
8.3 Prozesse und Prozesskompetenz
8.4 Didaktische Überlegungen
8.4.1 Anleitung, Begleitung, Supervision in der Landkarte supervisorischen Handelns
8.4.2 Balance zwischen Fach- und Prozesskompetenz
8.5 Methodische Angebote
8.5.1 Methode »Taillenmodell der Interventionssteuerung«
8.5.2 Methode »Selbstevaluation der Supervisorin nach supervisorischen Sitzungen«
9 Livesupervision: Praxiskompetenz
9.1 Bewährte Möglichkeiten der Praxisreflexion
9.2 Livesupervision als Unterstützungssetting
9.3 Formales zum Ablauf einer Livesupervision
9.4 Der Nutzen einer Livesupervision für den eingeladenen Supervisanden 186
9.5 Didaktische Überlegungen
9.6 Methodische Angebote
9.6.1 Methode »Das reflektierende Team«
10 Abschließen: Ziel erreicht?
10.1 Überlegungen zum Beenden und Abschließen
10.2 Auswerten, Bilanzieren und Evaluieren
10.3 Das Ende des Supervisionsprozesses
10.4 Gelingendes Scheitern
10.5 Vom Abschiednehmen
10.6 Didaktische Überlegungen
10.7 Methodische Angebote
10.7.1 Methode »Fragen zum Thema Beenden nachgehen«
10.7.2 Methode »Ressourcenorientierter Brief an mich selbst«
10.7.3 Methode »Abstecken eines Evaluationsfeldes«
10.7.4 Methode »Skalen im Raum«
10.7.5 Methode »Küstenlandschaft«
11 Darüber hinaus – Supervision im gesellschaftlichen Kontext
Literatur
Über die Autoren
Systemische Supervision beflügelt.
Denn aus der Vielfalt der Beobachtungsperspektiven entsteht
Handlungsfreiheit.
Supervision stellte über einen längeren Zeitraum hinweg ein konkurrenzloses Beratungsformat dar, das sich als Forum für die Reflexion beruflichen Handelns etabliert hatte. Mittlerweile hat sich die berufsbezogene Beratungslandschaft vor allem durch Angebote aus dem Bereich Coaching und Organisationsberatung differenziert. Anfangs entstammten die Bezüge hauptsächlich der psychodynamischen Denktradition. Uns fasziniert das systemische Denken. Als inspirierender Rahmen begleitet es uns bei der Auseinandersetzung mit unseren persönlichen wie beruflichen Erfahrungen.
Eine Weile schien es so, als sei das Beratungsformat Supervision nicht mehr zeitgemäß und als liefere Coaching die besseren, weil kompakteren Antworten. Supervisorisches Handeln an der systemischen Denk- und Vorgehensweise auszurichten hat dazu beigetragen, das Beziehungsgeschehen zwischen Supervisor und Supervisand neu auszuloten und zu gestalten. Diese »systemische Neukalibrierung« postuliert mehrere nützliche Perspektiven. Zu ihnen zählen die Position des Nichtwissens, das beidseitige Expertentum, ein Denken in Wechselwirkungen jenseits von Linearität, ein bahnbrechender Blick auf den Beobachtenden und seine Beobachtungen, die Anliegen- und Auftragsklärung, die Ressourcenaktivierung und das Einlassen auf einen konstruktiven Gesprächsprozess.
Jenseits von Beziehungsabstinenz, Deutungshoheit und pathologiegefärbter Sprache gelingt ein emanzipierender, Selbstverantwortung weckender Blick auf den Menschen. Denn die Beratungskommunikation fokussiert die Potenziale des Supervisanden ressourcen- und anliegenorientiert. Die systemische Supervision erleben wir als ein vitales Beratungsfeld, in das wir uns mit Engagement und Zuversicht immer wieder begeistert hineinbegeben.
Im Jahr 2013 bot sich uns die Gelegenheit, aus unseren Erfahrungen und unserem Wissen einen Weiterbildungskurs in systemischer Supervision zu kreieren, der den curricularen Anforderungen der Systemischen Gesellschaft (SG) entspricht. Im Rückblick auf die letzten neun Jahre haben unsere Erfahrungen mit den Feedbacks zu unseren Weiterbildungen uns dazu motiviert, die Kurse fortlaufend zu verbessern. Die Freude und Inspiration, die wir in der Kooperation mit den Weiterbildungsteilnehmenden erleben, bildeten den Hintergrund dafür, das vorliegende Buch zu schreiben.
Die Initialzündung lieferten Fragen von Kolleginnen und Kollegen1 im Rahmen eines Austauschs zum Thema Weiterbildung in systemischer Supervision. Es entstand die Idee, unser Weiterbildungskonzept und die damit verbundenen didaktischen Überlegungen gebündelt darzustellen. Wir sprechen mit unserem Buch sowohl Dozierende und Teilnehmende einer systemischen Supervisionsweiterbildung an als auch Leserinnen und Leser, die sich für das Beratungsformat systemische Supervision interessieren.
Der Titel Werkstattbuch systemische Supervision verweist bewusst auf mehrere Aspekte: In einer Werkstatt wird gearbeitet, gefeilt, ein Produkt erzeugt, überarbeitet und verbessert. Unsere Weiterbildungen verstehen wir als Werkstatt. Die Weiterbildungsteilnehmenden erarbeiten ihr eigenes Supervisionskonzept, dabei feilen sie an ihrem persönlichen Stil, sie erproben sich und ihre Ideen, ihre Erfahrungen regen sie zu Reflexionen an. Wir Dozierende sind mit ähnlichen Tätigkeiten beschäftigt. Auch wir kreieren, reflektieren und modifizieren unsere Projekte, sodass wir unser Supervisionscurriculum nach jeder Weiterbildung »updaten«. Die jeweiligen Werkstücke entstehen im Miteinander von Lehrenden und Teilnehmenden. Das gilt vor allem für die Supervisionsprozesse, die in der gemeinsamen Werkstatt durchgeführt werden.
Der Aufbau des vorliegenden Buches spiegelt die Konzeption unserer Weiterbildung wider, die wir wiederum in Anlehnung an einen Supervisionsprozess entworfen haben. Die Grundlage für eine systemische Weiterbildung und Supervision bildet ein Verstehen der Tätigkeit und die Selbstdefinition des Profis im Hinblick auf eine systemische Haltung und Rollengestaltung (Kapitel 1 und 2). Teilnehmende, die erste Erfahrungen in der Praxis sammeln, kreieren Supervisionssysteme, zu deren Etablierung der Erstkontakt und der Kontrakt beitragen (Kapitel 3). Hier beginnt die interventionale Ebene der Supervision. In Kapitel 4 beleuchten wir Veränderungsprozesse. Der Frage, welche Rolle dabei Methoden spielen können, geht Kapitel 5 nach. Die Zusammensetzung eines Supervisionssystems hängt von den Anliegen der Beteiligten ab. Daher widmen wir uns explizit den Settings Gruppen-, Team- und Einzelsupervision (Kapitel 6). Mit diesen Grundlagen kann ein Supervisor formend, feilend und stabilisierend tätig werden. Dabei gerät automatisch die Frage nach der beruflichen Qualifizierung in den Blick, die sowohl den Supervisor als auch den Supervisanden betrifft. Damit verbunden ist eine Beschäftigung mit dem Wissen über Organisationen und deren Bedeutung für den supervisorischen Prozess (Kapitel 7). Das Entwickeln einer supervisorischen Beraterpersönlichkeit setzt eine Reflexion der eigenen Prozessgestaltung (Kapitel 8) und selbstverständlich Übungs- und Erfahrungsmöglichkeiten voraus (Kapitel 9). Es ist sinnvoll, am Ende das Ende zu thematisieren. In Kapitel 10 beschäftigen wir uns deshalb mit dem Beenden und Abschließen von Supervisionsprozessen. Auch das Weiterbildungscurriculum und unser Buch befinden sich kurz vor dem Abschluss. Da wir wissen, dass systemische Supervision über sich hinaus Wirkungen zeigt, werfen wir abschließend in Kapitel 11 einen Blick auf die gesellschaftliche Verantwortung von Supervision bei der Gestaltung beruflicher Kontexte.
Das Schreiben eines Buches war für uns eine Premiere und mit der Erfahrung verbunden, wie viel Kitzel unsere Nerven uns zu bescheren vermögen. Geäußert hat er sich in Freude und Zuversicht, Interesse und Eifer, in Gedankenkaskaden und Gedankenchaos, in Tatenflaute und Tatendrang. Wir sind froh, dass uns wertschätzende und wohlwollende Menschen begleiten, die uns dabei geholfen haben, die Vielfalt der Erlebensmöglichkeiten zu meistern. Deshalb gilt unser Dank unseren Familien und Freunden für ihre Geduld, Fürsorge und Unterstützung.
Namentlich nennen möchten wir zunächst Hannah Eller, die unser Buch durch ihre wunderbaren Zeichnungen bereichert. Almut Fuest-Bellendorf, Margarita Engberding, Christoph Heidbreder, Thomas Kamm und Maria Stinshoff haben uns durch ihre konstruktiven Rückmeldungen stets Mut gemacht und zur Klarheit beigetragen. Seitens des Verlages möchten wir Frau Ulrich für ihren Zuspruch zu unserem Vorhaben und Herrn Holtzmann für seine souveräne Begleitung herzlich danken sowie Herrn Pohlmann als freiem Lektor für seine sorgfältigen Rückmeldungen.
Christiane Lüschen-Heimer und Uwe Michalak
Münster, im Frühjahr 2019
1 Wir hoffen, dass auf Dauer eine Genderschreibweise gefunden wird, die mit den Erwartungen an Lesbarkeit und Lesefluss kompatibel ist. In unserem Buch entschieden wir uns für einen Wechsel. Die Kapitel aus der Feder von Uwe Michalak sind in der männlichen, die Kapitel aus der Feder von Christiane Lüschen-Heimer in der weiblichen Schreibweise verfasst. Generell sprechen wir von Teilnehmenden und Dozierenden. Prinzipiell schließen wir uns dem bekannten Hinweis an, dass wir mit jeder Ausdrucksweise alle Geschlechter wertschätzend ansprechen.
Hannah Ellers Zeichnungen eröffnen nicht nur jedes Kapitel, sie dienen darin auch als Wegweiser: In (fast) jedem Kapitel tauchen drei besondere Vögel auf:
Einer verweist auf theoretische Hintergründe,
ein anderer auf die didaktische Gestaltung der jeweiligen Themen
und ein dritter auf Methoden, die in der Weiterbildung und der supervisorischen Praxis genutzt werden können.
Seit der Planung des Einstiegskapitels begleitet uns ein Bild: Wir bewegen uns durch ein weites Landschaftsgebiet, das durch Wiesen und Wälder, die sich stets abwechseln, sein Gesicht erhält. Es ist reich an Vogel- und Pflanzenarten. Überall ertönt die Musik der Natur. Zahlreiche Wege führen hinein und hindurch. Manche davon werden von klaren Bächen und hohen Gräsern gesäumt. Vielerorts lädt uns die Schönheit der Natur zum Verweilen ein. Hauptwege treffen auf Nebenstrecken und münden in Trampelpfade. Einige von ihnen sind weniger ausgetreten und wecken unsere Neugier. Es gibt viel zu entdecken. Manche Wege kreuzen sich. Das ahnen wir beim Panoramablick in die Landschaft. Ein riesiges Wegenetz liegt vor uns. Es gäbe viele Möglichkeiten, in die Landschaft, in die systemische Landschaft einzutauchen.
Wir starten unsere Tour mit der Frage, wie wir Supervision im Vergleich zu anderen Beratungsformaten einsortieren wollen. Eine Zeitlang war es üblich, Beratung als »die kleine Schule der Therapie« zu konzipieren. Therapie wird in dieser Lesart wie ein Urformat für das Beratungshandeln konstruiert. Sie lässt sich jedoch ebenso gut als Sonderform der Beratung entwerfen. Dann entspricht Beratung einem Hauptfluss, dessen Nebenflüsse Coaching, Organisationsberatung, Therapie und Supervision heißen, gespeist von oder durchmischt mit dem Wasser des Hauptflusses und doch eigenständig. Abb. 1 veranschaulicht unser Verständnis.
Abb. 1: Beratungsformate
Entlang des Hauptflusses beginnen wir unsere Wanderung in das Landschaftsgebiet. Beratung kann laut Ludewig (1999, 2015) als ein kommunikativer, sinnstiftender Dialog verstanden werden. Dieser Dialog wird von Experten, die ihre jeweilige Sachkenntnis einbringen, gestaltet. Experten sind auf der einen Seite der Ratnehmende für sein Leben, seine Probleme, Ziele und Lösungen, und auf der anderen Seite der Berater für das Gestalten der Beratungsdialoge (Anderson u. Goolishian 1992). Allgemeines Ziel der Beratung ist es, ein soziales Milieu zu schaffen, in dem sich Ratnehmende gemäß ihrer Vorstellungen und Möglichkeiten verändern können. An den Dialogen über die Ziele sind die Ratnehmenden maßgeblich beteiligt. Inhaltlich dominieren sie in ihrem eigenen Interesse den Dialog. Die im Dialog auftretenden Impulse können sie anschließend für die persönliche Lebensbewältigung nutzen (Ludewig 1999).
Im Dialog über (Los-)Lösungsoptionen orientiert sich der Berater an seiner Fachkompetenz, den Zielen der Ratnehmenden und dem Prozess des Dialogs. Zu Beginn des Dialogs kann deshalb das Gesprächsergebnis nicht prognostiziert werden. Die prinzipielle Offenheit des Beratungsdialogs erlaubt das Thematisieren diverser Handlungsoptionen und Perspektiven. Im Sinne seiner Fachlichkeit wird sich der Berater für einen konstruktiven Dialog einsetzen, in dem der Ratnehmende gleichermaßen Akzeptanz und Anregungen erfährt, sich für neue Perspektiven zu öffnen und Risiken einzugehen. Die Orientierung an den Anliegen und Zielen der Ratnehmenden bahnt den Weg für Veränderungschancen. Ziele sind in diesem Verständnis kommunikative Vehikel für einen Veränderungsdialog, sie bieten Orientierung für eine sinnhafte Kommunikation (Böse u. Schiepek 1989). Diese Prozessorientierung ist ebenso Ausdruck einer auf die Person des Ratnehmenden zentrierten Haltung des Beraters; sie erlaubt ein individuelles wie passförmiges Beratungshandeln. Ein offener Beratungsdialog erfordert als Voraussetzungen besondere Fähigkeiten der Berater, wie etwa Gegenwärtigkeit, aktives und genaues Zuhören sowie supervisionsbezogene Fachkenntnisse.
Beratung kann als ein soziales Ereignis gedacht werden. Die Rede vom Ereignis weist darauf hin, dass ein Beratungsdialog stets ein einzigartiges Geschehen ist, das nur im Vollzug selbst existiert. In dem Moment, in dem die Beraterin und der Berater sich während des Dialogs dissoziieren und sich selbst und das Geschehen beobachten, endet das Ereignis. Wenn es Ziel einer Beratung ist, die ratsuchende Person zu dem Risiko anzuregen, kleine Veränderungsschritte zu gehen, dann bietet der Berater dem Ratsuchenden durch seine Art, sich auf den Prozess einzulassen und ihn mitzusteuern, ein Lernmodell für Veränderungsprozesse an. Die angedeutete Prozessorientierung wird in der Praxis nur selten vollständig zu realisieren sein – doch zeigt die Idee recht genau, was die Kunst der Beratung ausmachen kann.
Bevor wir in Kapitel 1.3 ausführlich der Darstellung einer Supervision im systemischen Sinne nachgehen, blicken wir kurz auf die wichtigsten Stationen ihrer Geschichte (Neumann-Wirsig 2011, S. 21 f.):
Ende des 19. Jahrhunderts engagierten sich in der Sozialarbeit »friendly visitors« für bedürftige Menschen. Die »freundlichen Besucher« waren ehrenamtliche Mitarbeitende wohltätiger Organisationen. Ihre Hauptaufgabe war die Kontrolle der Vergabe von Hilfsgütern an Bedürftige.
Supervision findet man auch in Industrieprozessen während der Industrialisierung. Auch hier steht der Kontrollaspekt im Vordergrund: Supervision wird zur Kontrolle von Leistungsprozessen.
In den 1950er-Jahren wird in Deutschland der Kontrollaspekt in den Hintergrund gerückt und durch Beratungsleistungen abgelöst. Dieser Wandel ist das Ergebnis der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Geschichte.
1950 wird in den USA die erste Balint-Gruppe gegründet. Sie dient der Fallbesprechung von Fachärzten auf psychoanalytischer Basis.
1952 erscheint der erste Artikel zum Thema Supervision. Autorin ist Erna Maraun (Maraun 1952). Publiziert wird der Artikel in der Zeitschrift
Praxis für Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie
. Der Titel lautet: »Casework und Supervision in der amerikanischen Jugendfürsorge«.
1964 führt der »Verein für öffentliche und private Fürsorge« die erste Weiterbildung in Supervision durch.
In den 1970er-Jahren orientiert sich die Supervision vor allem an tiefenpsychologischen und gestalttherapeutischen Konzepten. Aus der Gruppentherapie entwickelt sich die Gruppensupervision, in die zunehmend auch systemtheoretische Gedanken Eingang finden.
In den 1980er-Jahren erfährt die Supervision eine Ergänzung durch organisationstheoretische Aspekte. War die Supervision bislang in der Sozialarbeit beheimatet, geht sie nun eigene Wege und breitet sich auf andere professionelle Bereiche wie beispielsweise Wirtschafts- und Dienstleistungsunternehmen aus. Die Konzeption der Supervision bezieht sich auf verschiedene Denk- und Beratungsschulen. Das führt zu dem Unterfangen, dass die Schulen sich um Positionierung und Konturierung in verschiedenen Kontexten bemühen.
1989 wird die Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching e. V. (DGSv) als Dachverband gegründet. In ihren Anfangsjahren versucht die DGSv, Supervision als eigenständigen Beruf zu etablieren.
Um die Jahrtausendwende verliert die Supervision ihren profilierten Status im Angesicht der Zunahme des Produktions- und Leistungsdrucks. Die Notwendigkeit, Supervision als Reflexionsort in Anspruch zu nehmen, tritt in den Hintergrund. Stattdessen kann eine Zunahme an Organisationsentwicklung und Qualitätsmanagement verzeichnet werden.
In letzter Zeit wird Supervision zunehmend als Teil komplexer Beratungssysteme angefordert. Im Rahmen von Organisationsentwicklungsprozessen gilt es, unterschiedliche Beratungsformate zu entwickeln und zu koordinieren. Gleichzeitig etabliert sich die Supervision als Reflexionsraum, in dem Rollenprofile und -kompetenzen in verschiedenen Handlungsfeldern thematisiert werden. Dazu gehören beispielsweise Leitungs- und Teamsupervisionen. Daraus folgt, dass die Grenzen der Supervision flexibel definiert werden. Ein bewusster Rückbezug auf das Rollenverständnis und das Rollenhandeln ist notwendig.
Der Blick auf die Geschichte der Supervision zeigt verschiedene Spuren auf. Dazu gehören der Wandel von der Kontrolle zur Beratung und Reflexion, die Professionalisierung und Institutionalisierung der Supervision, die inhaltliche Ausweitung, Fortschreibung und Differenzierung des Beratungsformats Supervision und damit die Etablierung von Rollenprofilen.
Diese Frage wollen wir beantworten, nachdem wir sie in zwei Teile spalten. Zunächst beschäftigen wir uns nach einigen allgemeinen Vorüberlegungen damit, wie Supervision sich definieren lässt (Kapitel 1.3.2). Schließlich widmen wir uns dem Systemischen in der Supervision (Kapitel 1.3.3).
Der Begriff Supervision bezieht sich auf die lateinischen Wörter super für »über« und videre für »sehen«. Von einer höheren Warte aus wird ein Geschehen beobachtet – man könnte auch von einer Vogelperspektive sprechen, die ein Überblicken der Ereignisse gewährt. In diesem Verständnis wird eine Beobachtung zweiter Ordnung etabliert. Denn die Überblicksposition erlaubt die Beobachtung der Beobachtung. Prinzipiell vermögen Beobachtende zweiter Ordnung Unterscheidungen vorzunehmen, die Beobachtenden erster Ordnung nicht zugänglich sind. Letztere unterscheiden und bezeichnen das, was sie in dem Geschehen, deren Mitakteure sie sind, zu unterscheiden und zu bezeichnen in der Lage sind. Kurz gefasst: Supervision arbeitet mit der Beobachterposition zweiter Ordnung. Der Supervisor beobachtet sich im Kontakt mit dem Supervisanden auch von außen als Teil des Supervisionssystems, er reflektiert den thematischen Verlauf und seine Emotionen und Handlungen in Bezug auf seine Beobachtungen.
Dass eine Person eine Beobachterposition zweiter Ordnung einnimmt, ist für jedes Beratungsformat und jeden Lebenskontext vorstellbar. Supervision ist im beruflichen Kontext angesiedelt – das leitet sich aus ihrer Geschichte (Kapitel 1.2) ab. Im Sinne einer alltagstheoretischen Herangehensweise verstehen wir Supervision als ein Beratungsformat für den beruflichen Kontext. In einem solchen Beratungsgeschehen können wir grundsätzlich zwei Rollen unterscheiden: die Rolle des Supervisors bzw. Beraters und die Rolle des Supervisanden, der Person, die Supervision für sich in Anspruch nimmt.
Dem Supervisor ist es aufgrund seiner Beobachterposition zweiter Ordnung möglich, dem Supervisanden dabei behilflich zu sein, seine berufsbezogenen Aktivitäten zu reflektieren. Während eine psychologische Beratung schwerpunktmäßig intra- und interpsychische Prozesse in den Blick nimmt, erfordert die Thematisierung eines Berufsfeldes, zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen. Als Beratungsgegenstände können dabei die Person des Supervisanden, seine Rolle, die Organisation, in der er tätig ist, und das Handlungsfeld angesteuert werden.
Abb. 2: Supervisionsdreieck
Die Ähnlichkeit des sogenannten Supervisionsdreiecks (Abb. 2) mit dem TZI-Modell nach Ruth Cohn ist gewollt, weil es uns darum geht, die Wechselwirkung der Aspekte Person, Rolle und Organisation im jeweiligen Handlungsfeld zu veranschaulichen. Jeder Aspekt kann einzeln für sich in den Blick genommen werden und ist zugleich von den anderen Aspekten beeinflusst, sodass die Berücksichtigung aller Aspekte unumgänglich ist. Die zu wählenden Ansatz- bzw. Ausgangspunkte sind ohne Frage abhängig von den vereinbarten Zielen der Supervision.
Wenn wir auf das Handlungsfeld schauen, geraten möglicherweise weitere Referenzen für die supervisorische Reflexion in den Fokus der Aufmerksamkeit. Aus der gruppendynamischen Kleingruppenforschung ist uns bekannt, dass dort, wo mehrere Menschen in Gruppen miteinander zu tun haben, die Gesichtspunkte Struktur und Prozess bedeutsam sind. Mit den nachfolgenden Fragen wollen wir andeuten, was mit diesen beiden Begriffen konkret gemeint sein kann:
In welche Arbeitsprozesse ist der Supervisand aufgrund seiner Rolle eingebunden?
Wie effizient verlaufen diese Prozesse?
Welche Strukturen hat die Organisation entwickelt, um die Arbeitsprozesse zu ermöglichen?
Welche der Strukturen dienen einer Kontrolle?
Wie fördern diese Strukturen die Arbeitsprozesse?
In welchem Verhältnis stehen Struktur und Prozess?
Dominieren die etablierten Strukturen die Arbeitsprozesse?
Erlauben sie Innovation und Kreativität?
Bedenkt man, dass in der Supervision als Beratungsformat selbst ein Prozess durchlaufen wird und dabei Strukturen ausgebildet bzw. etabliert werden, dann lässt sich an dieser Stelle bereits unterscheiden, dass sowohl die Strukturen und Prozesse des Arbeitsfeldes des Supervisanden als auch die Strukturen und Prozesse der Supervision fokussiert werden können. Vielleicht ploppt beim Lesen die Frage auf, was im Angesicht dieser Reflexionsmöglichkeiten Orientierung bietet.
Anders als im Alltagsgespräch erweist sich die Qualität von Beratung auch darin, dass sie sich an Zielen bzw. Anliegen orientiert. Anliegen im Beratungsprozess zu entwickeln erzeugt in vielfacher Hinsicht Sinn in der Beratungskommunikation. Angedeutet sei hier, dass die Anliegenentwicklung bzw. Zielorientierung eine Spur in die Kommunikation legt, die erlaubt, bestimmte Inhalte zu thematisieren und andere auszuschließen. Wir können nicht alles zu jeder Zeit besprechen. Anliegen bzw. Ziele helfen, eine Auswahl zu treffen, einen Gegenstand zu fokussieren und nicht die anderen denkbaren. Sie tragen ebenso dazu bei, die Endlichkeit, die Begrenzung der Beratung bewusst zu halten. Von Anliegen und Zielen zu sprechen regt uns auch dazu an, über Ergebnisse nachzudenken. Wann ist die Supervision nützlich gewesen? Welches Ziel soll dann erreicht sein? Welches Anliegen soll dann geklärt sein?
Im ersten Schritt liefern wir zwei Definitionen.
Verschiedene Aspekte unserer alltagstheoretischen Vorüberlegungen finden sich auch in der Definition von Ebbecke-Nohlen (2009, S. 11) wieder:
»Supervision ist ein Weiterbildungs-, Beratungs- und Reflexionsverfahren für berufliche Zusammenhänge (Berlardi 2005), in dem sich Supervisoren (professionelle Berater) und Supervisanden (professionelle Ratsuchende) begegnen.«
Die folgende Definition von Obermeyer u. Pühl (2015) setzt andere Akzente und ergänzt die Definition von Frau Ebbecke-Nohlen:
Supervision stellt eine Form der Prozessberatung dar, in der triadische Räume anvisiert werden. Supervisoren kommt die Aufgabe zu, äußere (organisationale) und innere (psychische) Triaden gleichermaßen im Blick zu halten, um sie in ihren Wechselwirkungsprozessen zu verstehen. Supervisoren können durch ihre Anregungen dazu beitragen, diese Räume zu vergrößern (ebd., S. 76, S. 109–137).
Abb. 3a–f veranschaulicht die für eine Supervision bedeutsamen Reflexionsflächen. Die Pyramide der Reflexionsflächen eignet sich dazu, verschiedene Reflexionen anzustoßen. Im Zentrum stehen die Prozesse zwischen Supervisor/Berater und Klient/Kunde (Bildteil a). Als Supervisor beziehe ich mich primär auf dieses Verhältnis. Die Pyramide ermöglicht den Blick auf weitere Verhältnisse im Supervisionsgeschehen: Beispielsweise kann ich das Verhältnis zwischen Berater, Team und Klient/Kunde (e) in den Blick zu nehmen. Denkbar ist zudem das Beachten der Reflexionsflächen zwischen
Kunde/Klient, Team und Leitung (d),
Supervisor/Leitung und Team (b),
Supervisor/Berater und Team (c),
Leitung/Team und Klient/Kunde (d) sowie
Leitung/Supervisor und Klient/Kunde (f).
Je nach Fokus entwickeln sich verschiedene Reflexionen.
Abb. 3a–f: Reflexionsflächen (Einzelheiten im Text)
Wir beantworten die Frage, indem wir uns in einem ersten Schritt damit beschäftigen, was ein System ist. Im zweiten Schritt stellen wir vier Definitionen (»Definitionen 3 bis 6«) vor, die auf bedeutsame systemische Konzepte abheben. Schließlich nehmen wir im dritten Schritt Bezug auf Merkmale der Kommunikationsform Beratung (Supervision) (siehe auch Kapitel 5). Die Aufbereitung des dritten Schritts gestalten wir ausführlicher, weil wir mithilfe des Sortiervorschlags eine Reihe von systemischen Positionen und Ideen sinnvoll miteinander verbinden können. Abb. 5 erinnert uns an einen Kompass, der uns hilft, durch das Wegenetz der systemischen Landschaft zu wandern.
Systeme entstehen durch das Herstellen folgender Differenzen:
System/Umwelt
Element/Relation
Element/Element
Systeme können als zusammengesetzte Einheiten verstanden werden, die aus Elementen als kleinsten Einheiten bestehen. Die Elemente stehen miteinander in Beziehung. Systeme sind ohne ihre Umwelt nicht vorstellbar (Abb. 4). »Ein System ist als Einheit der Differenz von System und Umwelt zu verstehen.« (Groth 2017, S. 44.) In den Umwelten können andere Systeme existieren (Simon 2006).
Abb. 4: System-Umwelt-Differenz
Die Frage, was ein System ist, kann allerdings auf eine zweite Art beantwortet werden. Luhmann unterscheidet drei Systemtypen (Luhmann 1984, S. 16):
Biologische Systeme – operieren mit biochemischen Prozessen
Psychische Systeme – operieren mit Bewusstseinsprozessen
Soziale Systeme – operieren mit Kommunikationsprozessen
Jeder der drei Systemtypen ist operational geschlossen. Die in ihnen ablaufenden Vorgänge können sie nur mit ihren eigenen Arbeitsweisen abwickeln. Von außen sind sie nicht steuerbar. Die Systemtypen stellen füreinander wechselseitig Umwelten dar. In jedem Systemtyp werden nur wenige Prozesse, die in den anderen beiden Systemtypen ablaufen, als bedeutsam für den eigenen Systemtyp erkannt und verarbeitet. Geschieht eine Veränderung in einem Systemtyp, dann kann die dadurch auch Prozesse in den beiden anderen Systemtypen anregen, jedoch nicht gezielt steuern (Simon 2006).
»Wir gehen davon aus, dass die sozialen Systeme nicht aus psychischen Systemen, geschweige denn aus leibhaftigen Menschen bestehen. Demnach gehören die psychischen Systeme zur Umwelt sozialer Systeme. Sie sind freilich ein Teil der Umwelt, der für die Bildung sozialer Systeme in besonderem Maße relevant ist. Soziale Systeme (bilden) sich autonom und auf der Basis eigener elementarer Operationen. Bei diesen Operationen handelt es sich um Kommunikationen – und nicht um psychische Prozesse per se, also nicht um Bewusstseinsprozesse.« (Luhmann 1984, S. 346.)
Fritz B. Simon wird die Aussage zugeschrieben, man könne Systeme nicht küssen. Dieser Hinweis führt uns vor Augen, dass es sich um eine Beobachtungsleistung handelt, wenn wir von Systemen sprechen.
»Systemische Supervision ist eine lösungsorientierte Beratungsform für Personen und Institutionen, die ressourcenorientiert professionelle Zusammenhänge thematisiert.« (Ebbecke-Nohlen 2009, S. 14.)
»Supervision bietet Gelegenheit, unter Hinzuziehung einer außenstehenden Person, Aspekte zu reflektieren, die Einzelne (SupervisandInnen) reflektieren möchten, soweit sie sich auf das Arbeitsfeld (oder die Fort- und Weiterbildung) beziehen, ohne zugleich handlungsrelevante Konsequenzen daraus ziehen zu müssen. Dabei richtet sich Supervision an Zielen und Aufträgen der Einzelnen (SupervisandInnen) aus und fokussiert auf operationalisierbare Zielzustände und Ressourcen, die den Weg dorthin erleichtern.« (Hargens 2002, S. 56.)
»Systemische Supervision ist ein institutionalisierter Perspektivenwechsel bei der Betrachtung von Interaktionsprozessen im Berufsleben.« (Ebbecke-Nohlen 2009, S. 17.)
»Systemische Supervision ist Hilfe zur Selbsthilfe, die Neugier weckt und zum Ziel hat, die professionellen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern.« (ebd.)
Die Definitionen 3 und 4 liefern Hinweise darauf, wann eine Supervision systemisch ist. Vor dem Hintergrund, dass Supervision professionelle Kontexte bedient und dafür Reflexionen offeriert, sind zentrale Merkmale die Ziel-, Anliegen, Lösungs- und Ressourcenorientierung. Adressaten der Supervision können Einzelpersonen und Institutionen sein. Beachtenswert an der Definition von Jürgen Hargens ist, dass Supervision ein Ort des Probehandelns darstellen kann. Die Ergebnisse können, müssen aber nicht eins zu eins auf die berufliche Praxis übertragen werden.
Mit der fünften Definition geraten der Perspektivenwechsel und die Beschäftigung mit Interaktionsprozessen in den Fokus. Ergänzt werden in der Definition 6 die Gesichtspunkte Hilfe zur Selbsthilfe, Neugier und die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten.
Alle sechs Definitionen erfüllen den Zweck zu beschreiben, was systemisch ist. Deshalb listen wir die Kernstücke hier zusammenfassend auf:
Systemische Supervision als
Fortbildungs-, Beratungs- und Reflexionsverfahren
(Lösungsorientierte) (Prozess-)Beratung für Personen und Institutionen
Beratungsform für Berufliches und Professionelles
Begegnung zwischen Supervisor und Supervisand
Ort der Beschäftigung mit triadischen Räumen
Raum für Zielfindungs- und Anliegenentwicklungsprozesse
Quelle für Ressourcen
Ort der Neugier und Chance für den konstruktiven Außenblick
Institutionalisierter Perspektivenwechsel
Reflexionsinstrument für Integrationsprozesse
Labor für das Entwickeln neuer Handlungsmöglichkeiten und Erprobungsort
Hilfe zur Selbsthilfe
Bedenkt man, dass sich das systemische Denken aus verschiedenen Quellen speist – das sind beispielsweise der Konstruktivismus, die Systemtheorie, die Chaostheorie und die Synergie –, dann fällt es schwer zu sagen, was systemisch genau ist. Oder: Schaut man aus der Perspektive des Konstruktivismus auf den systemischen Ansatz, wäre es vermessen zu behaupten, etwas sei absolut, ganz und gar oder eineindeutig systemisch. Denn das systemische Denken, das sich oft auf den Boden konstruktivistischer Ideen stellt, würde dann aus dem Konstrukt, das der Konstruktivismus selbst darstellt, eine unumstößliche Wahrheit generieren. Im selben Moment verlöre das systemische Denken seine Offenheit, Diversität und vor allem seine Kreativität und Spannungsräume. Je stärker das Normative, das für die Konsolidierung des systemischen Ansatzes nützlich erscheint, selbst als nicht mehr hinterfragbar und modifizierbar gilt, desto mehr entsteht eine Konfession, die ihre Professionalität einzubüßen bereit ist.
Wir schließen uns deshalb den Überlegungen von Matthias Varga von Kibéd an, der schreibt (Varga von Kibéd 2012, S. 6 ff.): »›Systemisch‹ ist nicht systemisch – ›systemischer‹ ist systemischer.« Systemisch ist ein Adjektiv. Die Grundform des Adjektivs nennt man Positiv. Mit der Grundform ist die Verführung verbunden, scheinbar eindeutige Label zu kleben, die nicht zu einem weiteren Hinterfragen anregen. Von »systemischer« zu sprechen bedient sich der Möglichkeit, dass Adjektive gesteigert werden können. Der Komparativ ist die nächsthöhere Stufe. Kennzeichnend für den Komparativ ist, dass er auf einem Vergleich beruht und Unterschiede anzeigt. Unterschiede zu markieren erlaubt es, Spannungsbögen zu etablieren, um sie sich bewusst anschauen und ausloten zu können. Die Beschäftigung mit der Spannung eröffnet den Raum für Entscheidungen, die ich verantworten will, und Raum für Erkenntnisse, auf die ich aufsatteln kann. Auch wenn wir in den folgenden Kapiteln ausschließlich von »systemisch« sprechen, meinen wir »systemischer«.
Wir betonen den Umgang mit dem Spannungsbogen, weil sich darin zwei alltägliche Phänomene widerspiegeln:
Das eine Phänomen zeigt sich in dem Verständnis, dass Ambivalenz der Normalfall ist. Ambivalenz oder auch Polyvalenz begleitet uns bei Entscheidungsfindungen, von denen uns der Alltag viele abverlangt.
Das zweite Phänomen sehen wir in unseren Beobachtungen bestätigt, dass die achtsame Auseinandersetzung mit Spannungen Kreativität und neue Erkenntnisse freisetzen kann.