Wertschätzung in Organisationen fördern - Alexander Häfner - E-Book

Wertschätzung in Organisationen fördern E-Book

Alexander Häfner

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Beschreibung

Abwertung scheint an vielen Stellen in unserer Gesellschaft Hochkonjunktur zu haben. Abwertende Äußerungen gegenüber Angehörigen von Minderheiten, Drohungen gegenüber Politikern und Polizisten, Beleidigungen und Hass in sozialen Medien oder stark abwertende Zuspitzungen in politischen Auseinandersetzungen – es fehlt offensichtlich an vielen Stellen in unserer Gesellschaft an gegenseitigem Respekt und Wertschätzung. Fehlende Wertschätzung ist jedoch nicht nur in Gesellschaft und Politik ein relevantes Thema, auch in Unternehmen leiden Menschen unter abwertenden Erlebnissen. Die Auswirkungen können für Betroffene gravierend sein. Forschungsbefunde zeigen negative Auswirkungen von Abwertung auf Gesundheit, Arbeitszufriedenheit und Leistung. Für manche Beschäftige bleibt als Ausweg nur die Kündigung oder sie scheiden aufgrund von Krankheit aus dem Berufsleben aus. Wie können Unternehmen so gestaltet werden, dass Abwertungen möglichst vermieden und im Gegenteil Wertschätzung begünstigt wird? Was können Führungskräfte in ihrem Verantwortungsbereich tun? Wie können Mitarbeitende einen Beitrag für mehr Wertschätzung leisten? Wie kann eine wertschätzende Unternehmenskultur gestaltet werden? Das Buch gibt Antworten auf diese Fragen. Verschiedene Ansatzpunkte wie wertschätzendes Feedback, die Vermeidung illegitimer Aufgaben, mehr Fairness bei Leistungsbeurteilungen oder die Förderung eines respektvollen Miteinanders im Team werden praxisnah beschrieben und anhand konkreter Fallbeispiele veranschaulicht. Ein besonderer Schwerpunkt des Bandes liegt dabei auf wertschätzendem Führungsverhalten durch die direkte Führungskraft.

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Alexander Häfner

Julia Hartmann-Pinneker

Wertschätzung in Organisationen fördern

Praxis der Personalpsychologie

Human Resource Management kompakt

Band 42

Wertschätzung in Organisationen fördern

Dr. Alexander Häfner, Dr. Julia Hartmann-Pinneker

Die Reihe wird herausgegeben von:

Prof. Dr. Jörg Felfe, Prof. Dr. Benedikt Hell, Dr. Rüdiger Hossiep, Prof. Dr. Martin Kleinmann, Prof. Dr. Bettina Kubicek

Die Reihe wurde begründet von:

Prof. Dr. Heinz Schuler, Dr. Rüdiger Hossiep, Prof. Dr. Martin Kleinmann, Prof. Dr. Werner Sarges

Dr. Alexander Häfner, geb. 1979. 2000–2006 Studium der Psychologie in Würzburg. 2006–2012 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Julius-Maximilians Universität Würzburg. 2012 Promotion. Weiterbildungen als Trainer und Coach. Seit 2012 Leiter Personalentwicklung bei der Würth Industrie Service GmbH & Co. KG. Seit 2014 Mitglied im Vorstand der Sektion Wirtschaftspsychologie des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Arbeitsschwerpunkte: Führungskräfteausbildung, Mitarbeiterbindung, Organisationsentwicklung.

Dr. Julia Hartmann-Pinneker, geb. 1983. 2003–2009 Studium der Psychologie in Würzburg und Granada (Spanien). 2014 Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie). 2018 Promotion. 2009–2018 Personalentwicklerin/Beraterin im Gesundheitsmanagement bei der Würth Industrie Service GmbH & Co. KG in Bad Mergentheim. 2013–2018 Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Psychotherapie und Medizinische Psychologie der Universität Würzburg. Seit 2019 in eigener vertragsärztlicher psychotherapeutischer Praxis „Main Psychotherapieplatz“ in Veitshöchheim tätig.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autor:innen bzw. den Herausgeber:innen große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autor:innen bzw. Herausgeber:innen und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Umschlagabbildung: © iStock.com by Getty Images / boggy22

Satz: Franziska Stolz, Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

Format: EPUB

1. Auflage 2023

© 2023 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3128-4; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3128-5)

ISBN 978-3-8017-3128-1

https://doi.org/10.1026/03128-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1  Wertschätzung in Organisationen

1.1  Einordnung des Gegenstandsbereichs

1.2  Definitionen

1.3  Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen

1.4  Bedeutung für das Personalmanagement

1.5  Betrieblicher Nutzen

1.6  Weitere Ziele

2  Modelle

2.1  Stress-as-Offense-to-Self: SOS-Theorie

2.2  Respekt durch Kolleginnen und Kollegen sowie Führungskräfte

2.3  Feedback Intervention Theory

2.4  Fairness im Arbeitskontext

2.5  Ratgeber- und Freundschaftsnetzwerke bei der Arbeit

2.6  Die Bedeutung von Wertschätzung in etablierten Führungstheorien

3  Analyse und Handlungsempfehlungen

3.1  Wertschätzung systematisch erfassen

3.1.1  Fragebögen

3.1.2  Mitarbeitergespräche

3.1.3  Workshops

3.2  Leitlinien für eine wertschätzende Unternehmenskultur

3.2.1  Handlungsempfehlungen basierend auf der SOS-Theorie

3.2.2  Handlungsempfehlungen basierend auf Forschung zu Respekt

3.2.3  Handlungsempfehlungen basierend auf Fairnesstheorien

3.2.4  Handlungsempfehlungen basierend auf Forschung zu Ratgeber- und Freundschaftsnetzwerken

3.3  Leitlinien für wertschätzende Führung

3.3.1  Grundlegende Handlungsempfehlungen für wertschätzendes Führungsverhalten

3.3.2  Abwertung vermeiden: Chancen etablierter Führungsansätze nutzen und potenzielle Risiken minimieren

3.3.3  Wertschätzendes Führungsverhalten in zwei typischen Führungskontexten: Besprechungen und E-Mail-Kommunikation

3.4  Leitlinien für wertschätzende Zusammenarbeit in Teams

4  Vorgehen

4.1  Darstellung der Interventionsmethoden

4.1.1  Wertschätzend Feedback geben

4.1.2  Illegitime Aufgaben vermeiden

4.1.3  Einen respektvollen Umgang im Team fördern

4.1.4  Leistungsbeurteilungen fair gestalten

4.1.5  Die Entwicklung von Freundschafts- und Ratgebernetzwerken fördern

4.2  Probleme bei der Durchführung

5  Fallbeispiele aus der Unternehmens- und Beratungspraxis

5.1  Reflexion des Aufgabenkuchens von Mitarbeitenden

5.2  Mentorenprogramm zur Förderung von Freundschafts- und Ratgebernetzwerken im Außendienst

5.3  Peer-Feedback wertschätzend gestalten

5.4  Wertschätzungstraining für Arbeitsteams

5.5  Blind Date Lunches zur Förderung von Ratgeber- und Freundschaftsnetzwerken

5.6  Virtuelle Praktika zur Vermeidung falscher Vorstellungen

6  Literaturempfehlungen

7  Literatur

8  Anhang: Trainerleitfaden „Förderung der Zusammenarbeit im Team“

9  Sachregister

Karten

Empfehlungen zur Förderung von Wertschätzung: Vier zentrale Handlungsfelder

Prozedurale Fairness fördern

Kritisches Feedback wertschätzend geben

Der Aufgabenkuchen: Ein Instrument zur Analyse von Arbeitsaufgaben unter Wertschätzungsgesichtspunkten

Hinweise zu den Karten

|1|1  Wertschätzung in Organisationen

Abwertende Äußerungen gegenüber Angehörigen von Minderheiten (z. B. Sinti und Roma, Menschen jüdischen Glaubens), Drohungen gegenüber Politikern1, Asylbewerbern und Polizisten, Beleidigungen in sozialen Medien oder stark abwertende Zuspitzungen in politischen Auseinandersetzungen – es fehlt offensichtlich an vielen Stellen in unserer Gesellschaft an gegenseitigem Respekt. Abwertung hat Hochkonjunktur.

Seit vielen Jahren erleben wir dazu einen gesellschaftlichen Diskurs. So wird beispielsweise mehr (materielle) Anerkennung für bestimmte Berufsgruppen eingefordert (z. B. für Pflegekräfte) und vor Gerichten verhandelt, was in sozialen Netzwerken an Beschimpfungen ausgehalten werden muss und was strafrechtliche Relevanz hat.

Wertschätzung ist jedoch nicht nur in Gesellschaft und Politik ein relevantes Thema, auch in Organisationen leiden Menschen unter abwertenden Erlebnissen, die ihren Selbstwert bedrohen (zur Begriffsbestimmung siehe Abschnitt 1.2). Bedrohungen des Selbstwertes entstehen zum Beispiel durch destruktive Führung (Tepper, 2000, 2007) oder abwertendes Verhalten von Kollegen (Cortina, Kabat-Farr, Magley & Nelson, 2017). Führungskräfte werten Ideen ihrer Mitarbeitenden ab, Kollegen schließen andere aus Gruppen aus, Geschäftsinhaber nehmen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen als Teil ihres Geschäftsmodells in Kauf. Erinnert sei an dieser Stelle beispielsweise an Berichterstattung zu den Arbeitsbedingungen in der fleischverarbeitenden Industrie in Deutschland.

Abwertende Ereignisse in Organisationen sind vielgestaltig. Manche Ereignisse können gravierend und klar als abwertend klassifizierbar sein (z. B. das Anschreien von Mitarbeitenden), während andere Ereignisse eher subtil wahrnehmbar sind (z. B. die fehlende Würdigung einer guten Idee). Erschreckend ist, dass die Mehrheit der Beschäftigten davon betroffen zu sein scheint (Cortina et al., 2017). Vielen Verantwortlichen sind die negativen Effekte von Abwertung für die Betroffenen und auch die gesamte Organisation womöglich gar nicht bewusst. Das Thema erfährt in Organisationen zu wenig Aufmerksamkeit.

Wie kann das Thema Wertschätzung in Organisationen mehr Aufmerksamkeit bekommen? Wie sehen Abwertung und Wertschätzung in der Praxis konkret aus? Was kann gegen Abwertung unternommen werden? Wie kann Wertschätzung in Organisationen gefördert werden? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns in diesem Buch. Wir wollen damit einen Beitrag für mehr Wertschätzung in Organisa|2|tionen leisten und damit für mehr Mitarbeitergesundheit, Arbeitszufriedenheit und Leistung.

1.1  Einordnung des Gegenstandsbereichs

Abbildung 1:  Überblick über vier grundlegende Bereiche zur Förderung von Wertschätzung in Organisationen mit Beispielen

Beschäftigte können in Organisationen unterschiedliche Ereignisse als Abwertung oder Wertschätzung wahrnehmen. Es geht beispielsweise um einen respektvollen Umgang untereinander, um Fairness bei der Vergütung oder um die Übertragung angemessener Arbeitsaufgaben. Dies sind jedoch nur einige Beispiele aus der großen Vielzahl an Ereignissen und Rahmenbedingungen, die im Arbeitskontext auf|3|treten und in der Regel als wertschätzend wahrgenommen werden (z. B. Brun & Dugas, 2008; Colquitt, Colon, Wesson, Porter & Ng, 2001; Ng, 2016; Semmer, Tschan, Jacobshagen, Beehr, Elfering, Kälin & Meier, 2019; Stocker, Jacobshagen, Krings, Pfister & Semmer, 2014). Abbildung 1 veranschaulicht vier grundlegende Bereiche und Ansatzpunkte, die für die Förderung von Wertschätzung in Organisationen relevant sind (siehe dazu auch die beiliegende Karte „Empfehlungen zur Förderung von Wertschätzung: Vier zentrale Handlungsfelder“).

Abbildung 1 verdeutlicht zudem, dass das Thema dieses Bandes, Wertschätzung in Organisationen fördern, verschiedene Bereiche der Personalpsychologie betrifft. Diese Bezüge zu wichtigen personalpsychologischen Aufgabenbereichen stellen wir in Tabelle 1 her. Die Relevanz von Wertschätzung im jeweiligen personalpsychologischen Forschungsfeld und Anwendungsbereich wird durch Reviews oder Metaanalysen unterstrichen, zu denen in Tabelle 1 entsprechende Quellen angegeben sind. In Abschnitt 1.4 gehen wir auf einige Aspekte aus Tabelle 1 noch näher ein.

Tabelle 1:  Die Rolle von Wertschätzung in verschiedenen personalpsychologischen Aufgabenbereichen

Personalpsychologische Aufgabenbereiche

Wertschätzungsbezüge

Betriebliches Gesundheitsmanagement

Abwertung als relevanter Stressor mit negativen Gesundheitsfolgen (Semmer et al., 2019)

Mitarbeiterbindung

Wertschätzung als Einflussfaktor auf die Mitarbeiterfluktuation (Felfe, 2020; Porter, Woo, Allen & Keith, 2019)

Führung

Führungsverhalten (insbesondere abwertendes Verhalten) als Einflussfaktor auf Arbeitszufriedenheit, Stresserleben, negatives Verhalten bei der Arbeit (z. B. unkollegiales Verhalten, Diebstahl), Leistung und auf das Privatleben der Geführten (Schyns & Schilling, 2013; Tepper, 2007)

Umgang mit Diversität

Abwertung von Minderheiten als Problem in Organisationen mit negativen Effekten für die Betroffenen selbst, aber auch für andere Mitarbeitende, die abwertendes Verhalten wahrnehmen (Cortina et al., 2017)

Organisationsentwicklung

Grundlegende Organisationsmerkmale haben Wertschätzungsbezüge, z. B. organisationale Fairness (Colquitt et al., 2001). Veränderungen in Organisationen können Abwertungspotenzial aufweisen (z. B. Wegfall von Karrieremöglichkeiten bei Umstrukturierungen, Entwertung bisheriger Aufgaben durch Digitalisierung, fehlende Partizipation bei Veränderungsprozessen).

|4|1.2  Definitionen

In diesem Buch sind die Begriffe Selbstwert, Wertschätzung und Abwertung zentral. Rahmenbedingungen und konkrete Ereignisse bei der Arbeit können von Mitarbeitenden als abwertend, wertschätzend oder als neutral wahrgenommen werden. Beispielsweise kann ein Mitarbeiter Ereignisse in der Zusammenarbeit mit seiner Führungskraft an einem Arbeitstag als mehr oder weniger wertschätzend, mehr oder weniger abwertend oder als indifferent wahrnehmen. Und je nachdem, wie diese Ereignisse wahrgenommen werden, wird der Selbstwert der Beschäftigten nicht tangiert, gefördert oder bedroht.

Selbstwert. Das Konzept Selbstwert umfasst, wie positiv wir uns selbst sehen (Semmer et al., 2019). Es geht darum, welche positiven Eigenschaften und Erfolge wir uns zuschreiben und wie wir uns von anderen anerkannt fühlen. Der Wunsch nach Schutz und Erhöhung des Selbstwertes ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Wertschätzung fördert den Selbstwert, während Abwertung den Selbstwert bedroht.

Wertschätzung. Wir verstehen unter Wertschätzung im Arbeitskontext Ereignisse und Rahmenbedingungen, die geeignet sind, den Selbstwert von Beschäftigten zu fördern. Wertschätzung kann insbesondere in sozialen Interaktionen vermittelt werden, durch die Gestaltung von Arbeitsbedingungen, im Kontext der Übertragung von Arbeitsaufgaben oder durch die Gestaltung organisationaler Bedingungen (siehe Abbildung 1 und die beiliegende Karte „Empfehlungen zur Förderung von Wertschätzung: Vier zentrale Handlungsfelder“). Bleiben wertschätzende Ereignisse bei der Arbeit aus (z. B. eine Mitarbeiterin erfährt keine Anerkennung von ihrer Führungskraft), so erleben Beschäftigte dies mit hoher Wahrscheinlichkeit als Selbstwertbedrohung.

Abwertung. Unter Abwertung im Arbeitskontext verstehen wir zum einen das Vorenthalten von Wertschätzung und zum anderen Ereignisse sowie Rahmenbedingungen, die geeignet sind, den Selbstwert von Beschäftigten zu bedrohen. Das bedeutet, das Erleben von Abwertung resultiert nicht nur aus dem Vorenthalten von Wertschätzung, sondern auch aus weiteren, explizit abwertenden Ereignissen und Rahmenbedingungen (Apostel, Syrek & Antoni, 2018; Semmer et al., 2019). Abwertung kann unter anderem in sozialen Interaktionen vermittelt werden (z. B. eine Kundin beleidigt einen Mitarbeiter), durch die Gestaltung von Arbeitsbedingungen (z. B. unzureichende Arbeitsmittel), im Kontext der Übertragung von Arbeitsaufgaben (z. B. eine Mitarbeiterin muss unnötige Aufgaben erledigen) oder durch die Gestaltung organisationaler Bedingungen (z. B. Beförderungen erfolgen nicht anhand relevanter Kriterien, sondern aufgrund von Freundschaftsbeziehungen).

|5|1.3  Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen

Nachfolgend gehen wir kurz auf zwei Konzepte ein, die große Ähnlichkeiten und enge Verknüpfungen mit dem Konstrukt Selbstwert aufweisen: Selbstwirksamkeit und Optimismus. Weiterhin gehen wir auf das Konstrukt Mobbing ein, in dem Abwertung eine zentrale Rolle spielt.

Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit im Arbeitskontext meint die Selbsteinschätzung eines Mitarbeitenden, eine bestimmte Leistung erbringen zu können (Bandura, 1994): Glaubt eine Mitarbeiterin, über die notwendigen Fähigkeiten zur Erbringung einer bestimmten Leistung zu verfügen? Traut sich ein Mitarbeiter eine Aufgabe zu?

Die Konzepte Selbstwert und Selbstwirksamkeit weisen Überschneidungen auf. Es ist naheliegend, dass abwertende Ereignisse nicht nur den Selbstwert bedrohen, sondern auch die Selbstwirksamkeit negativ beeinflussen und dass umgekehrt Wertschätzung für bestimmte Leistungen die Selbstwirksamkeit fördert (Stocker et al., 2014). So fand Baron (1988) in einer experimentellen Studie negative Effekte von abwertendem Feedback auf die Selbstwirksamkeit bei Studierenden. Und Stocker, Keller, Meier, Elfering, Pfister, Jacobshagen und Semmer (2018) konnten zeigen, dass Wertschätzung durch den Vorgesetzten die negative Wirkung von Arbeitsunterbrechungen auf die Selbstwirksamkeit abfedert.

Optimismus. Optimismus wird als Ressource verstanden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass positive Ereignisse internalen sowie stabilen Gründen und negative Ereignisse vorübergehenden, externalen sowie spezifischen Ursachen zugeschrieben werden (Rabenu & Yaniv, 2017). So könnte beispielsweise eine optimistische Mitarbeiterin ein erfolgreiches Kundengespräch auf ihr Verhandlungsgeschick zurückführen (internal und stabil) und einen Misserfolg darauf, dass der Kunde heute ausnahmsweise schlecht gelaunt war, weil er von seiner Führungskraft kritisiert worden ist (vorübergehend, external und spezifisch). Im Fokus steht somit die Frage, wie Beschäftigte Erfolge und Misserfolge interpretieren. Es ist daher naheliegend, dass Optimismus eine wichtige Ressource zur Aufrechterhaltung und Förderung des Selbstwertes ist. Mäkikangas und Kinnunen (2003) finden Belege dafür, dass Optimismus die negative Wirkung von Stressoren auf Stresserleben bei weiblichen Beschäftigten abschwächt.

Mobbing. In der Forschung werden verschiedene Formen von aggressivem Verhalten bei der Arbeit (in der Originalliteratur: workplace aggression) beschrieben. Allgemein geläufig ist der Begriff Mobbing, der ein breites Spektrum aggressiver Verhaltensweisen abdeckt (Schat & Kelloway, 2005). Unter Mobbing fällt unter anderem: „Androhung körperlicher Gewalt“, „den Arbeitskolleginnen und -kollegen wird verboten mit dem Betroffenen zu sprechen“, „man nimmt ihm/ihr jede Beschäftigung am Arbeitsplatz“ (Zuschlag, 2001, S. 7). Solche aggressiven Verhaltensweisen werden mit der Intention ausgeführt, einem anderen zu schaden, |6|wobei dies auch physische Gewalt einschließen kann (z. B. Stoßen und Schlagen). Es geht also um feindseliges Verhalten in extremer Ausprägung, das in der Regel über einen längeren Zeitraum gezeigt wird. Dazu zählt beispielweise auch die gezielte Verbreitung von Gerüchten über eine Person. Täter verfolgen das Ziel, das Ansehen ihres Opfers zu beschädigen, psychosozialen Druck zu erzeugen bis hin zur Vertreibung des Opfers aus seiner Position. Durch solche Verhaltensweisen wird der Selbstwert der Opfer stark bedroht.

Wir gehen auf diese extremen Formen nicht im Speziellen ein. Die abwertenden Verhaltensweisen, die wir in diesem Band aufgreifen, unterscheiden sich in zweierlei Hinsicht von aggressivem Verhalten: Erstens besteht in der Regel keine Absicht, die betroffene Person (gesundheitlich) zu schädigen oder aus ihrer Position zu vertreiben und zweitens ist das Ausmaß an Abwertung geringer, es geht also um mildere Formen von abwertendem Verhalten. Klar ist, dass es Überlappungen mit einem fließenden Übergang gibt. In der Forschung werden auch mildere Formen von Abwertung (z. B. respektloses Verhalten, siehe Abschnitt 2.2) als Vorläufer von aggressivem Verhalten diskutiert (Schat & Kelloway, 2005).

1.4  Bedeutung für das Personalmanagement

Welche Bedeutung hat die Vermeidung von Abwertung und die Förderung von Wertschätzung für das Personalmanagement? Weshalb sollten sich Personalverantwortliche damit beschäftigen? In Tabelle 1 haben wir bereits einige Arbeitsbereiche des Personalmanagements aufgeführt, in denen die Förderung von Wertschätzung basierend auf metaanalytischen Ergebnissen und Forschungsreviews Relevanz hat. Tabelle 2 nimmt wichtige Ergebnisvariablen des Personalmanagements in den Fokus und stellt auch dazu ausgewählte Forschungsbefunde dar, die die Relevanz des Themas verdeutlichen.

Tabelle 2:  Die Relevanz von Wertschätzung für wichtige Ergebnisvariablen

Ergebnisvariablen

Ausgewählte Forschungsbefunde

Leistung

Wikoff, Anderson und Crowell (1983) finden in einer Interventionsstudie mit Beschäftigten in der Produktion positive Effekte von Wertschätzung (Lob durch die Vorgesetzten) auf die Arbeitseffizienz der Beschäftigten.

Arbeitszufriedenheit

In verschiedenen Studien finden sich signifikante Zusammenhänge zwischen Wertschätzung und Arbeitszufriedenheit (Stocker, Jacobshagen, Semmer & Annen, 2010; van Quaquebeke & Eckloff, 2010; Yukl, Gordon & Taber, 2002). In ihrer Metaanalyse berichten Colquitt et al. (2001) mittlere bis hohe korrelative Zusammenhänge.

|7|Fluktuation

Für die Vermeidung von Fluktuation haben Wertschätzungskomponenten (z. B. organisationale Unterstützung) eine ähnliche Relevanz wie die absolute Höhe der Vergütung oder leistungsbezogene Vergütungskomponenten (Rubenstein, Eberly, Lee & Mitchell, 2018), wobei es zur Vermeidung von Fluktuationen eine ganze Reihe weiterer wichtiger Ansatzpunkte gibt (Häfner & Truschel, 2022).

Mitarbeitergesundheit

Es finden sich Effekte von Wertschätzung auf die Schlafqualität (Greenberg, 2006), auf Wohlbefinden, krankheitsbedingte Fehlzeiten (Kuoppala, Lamminpaa, Liira & Vainio, 2008; Prümper & Becker, 2011) und ärztliche Diagnosen (Prümper & Becker, 2011).

Aus den in Tabelle 2 dargestellten Forschungsbefunden lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass positive Effekte von Wertschätzung in Organisationen auf Leistung, Arbeitszufriedenheit und Mitarbeitergesundheit sowie auf die Vermeidung von Fluktuationen wahrscheinlich sind.

1.5  Betrieblicher Nutzen

Nachfolgend gehen wir auf einige Arbeiten ein, die sich mit den finanziellen Auswirkungen von Wertschätzung und Abwertung beschäftigen. Die Arbeiten zeigen, dass Abwertung und Wertschätzung betriebswirtschaftlich relevante Konsequenzen haben.

In seinem Review berichtet Tepper (2007) eine Kostenschätzung von jährlich 23,8 Milliarden Dollar für die Wirtschaft der USA aufgrund von abwertendem Führungsverhalten (z. B. Mitarbeitende anschreien, öffentlich lächerlich machen, als Sündenbock für Fehler nutzen). Die Kosten entstünden aufgrund von Fehltagen, Gesundheitskosten und Produktivitätsverlusten.

Fehltage sind betriebswirtschaftlich aus unterschiedlichen Gründen problematisch:

Es entstehen unter anderem Kosten aufgrund von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die vom Arbeitgeber getragen werden müssen. Zudem sind negative Effekte auf Umsatz und Ertrag zu erwarten. Fehlt beispielsweise eine Mitarbeiterin einer IT-Beratung krankheitsbedingt an 40 Arbeitstagen im Jahr und könnten davon 30 Arbeitstage als Beratungstage an Kunden mit einem Tagessatz von 1.500 Euro verrechnet werden, so beträgt der entgangene Umsatz allein für diese eine Mitarbeiterin 45.000 Euro.

|8|Muss der Ausfall von anderen Beschäftigten kompensiert werden, so kann dies zu Überstunden führen, die finanziell ausgeglichen werden müssen. Entstehen im gleichen Umfang Überstunden, so kann dies für den Arbeitgeber gewissermaßen doppelte Kosten bedeuten: die Lohnfortzahlung für den fehlenden Mitarbeiter und zusätzlich die Kompensation der fehlenden Stunden durch bezahlte Überstunden von Kolleginnen und Kollegen.

Können die Ausfälle durch andere Mitarbeitende nur teilweise kompensiert werden, so ist ein Rückgang der Teamleistung wahrscheinlich.

Müssen Kolleginnen und Kollegen häufig für andere mitarbeiten, so ist wahrscheinlich, dass diese Erhöhung der Arbeitsauslastung zumindest langfristig zu negativen Auswirkungen auf die Gesundheit führt und gegebenenfalls zu noch mehr Fehlzeiten.

Tepper (2007) weist darauf hin, dass darüber hinaus Kosten für arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen entstehen können. So strengen möglicherweise Beschäftigte, die sich abwertend behandelt fühlen, eine juristische Auseinandersetzung an (z. B. auf der Basis von Gesetzen, die Diskriminierung verbieten). In Deutschland verbietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Diskriminierung aus verschiedenen Gründen, unter anderem aufgrund des Geschlechtes oder des Alters. Arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen binden interne Kapazitäten (z. B. bei Führungskräften und in der Personalabteilung), gehen mit Anwalts- und Gerichtskosten einher und können unter Umständen das Arbeitgeberimage beschädigen.

In seinem Review verweist Tepper (2007) zudem auf drei Studien, die Effekte von abwertendem Führungsverhalten auf die Leistung von Mitarbeitenden aufzeigen, wobei sich Leistung hier sowohl auf die Kernaufgaben als auch auf ergänzende Leistungsaspekte bezieht (z. B. anderen Hilfe anbieten).

1.6  Weitere Ziele

Einleitend zu Kapitel 1 haben wir beschrieben, dass in der öffentlichen Diskussion immer wieder abwertendes Verhalten beklagt und nach Lösungsansätzen gesucht wird. Auf der großen politischen Bühne sei an den ehemaligen Präsidenten der USA Donald Trump erinnert, der für sein abwertendes Verhalten vielfach kritisiert wurde. Nicht wenige politische Beobachter kamen zu dem Schluss, dass sein abwertendes Verhalten die Demokratie in den USA beschädigt hat und mitverantwortlich war für gewalttätiges Verhalten seiner Anhänger. Auch in Europa und Deutschland ist abwertende Kommunikation in Politik und Gesellschaft zu beobachten.

Auf verschiedenen Ebenen und Wegen wird versucht, Abwertung in unserer Gesellschaft zurückzudrängen und gleichzeitig Wertschätzung zu fördern. Dazu zählen in Deutschland die Würdigung ehrenamtlich engagierter Bürgerinnen und Bür|9|ger durch den Bundespräsidenten und die Ministerpräsidenten der Länder oder gesetzliche Vorgaben zur Unterbindung diskriminierender Inhalte in sozialen Netzwerken. So wurde im Juni 2020 im Deutschen Bundestag ein Gesetz zur besseren Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität verabschiedet, mit dem explizit das Ziel einer besseren Strafverfolgung von Straftaten im Internet verfolgt wird. Ausdrücklich wird dabei Bezug auf eine Verrohung der Kommunikation in sozialen Medien genommen (Deutscher Bundestag, 2020).

Neben politischen Initiativen ist aus unser Sicht in gleicher Weise die Frage wichtig, welchen Beitrag Unternehmen für mehr Wertschätzung in unserer Gesellschaft leisten können. Schließlich verbringen viele Menschen einen Großteil ihrer Zeit mit ihrer Arbeit. Welche Umgangsformen erleben Beschäftigte in ihrem Betrieb? Welchen Abwertungserlebnissen sind sie ausgesetzt? Wie gehen sie wiederum mit Lieferanten oder Kunden um? Unter dem Begriff Corporate Social Responsibility (CSR) wird unter anderem verstanden, welche Beiträge Organisationen in sozialer Hinsicht für die Gesellschaft leisten (Corsten & Roth, 2012). Die Förderung von Wertschätzung kann ein wichtiger Beitrag im Sinne von CSR sein. Von Wertschätzung geprägte Organisationen sind im besten Fall Modelle, die Impulse für ein wertschätzendes Miteinander in anderen Kontexten geben können (z. B. in sozialen Netzwerken).

1

Zugunsten einer besseren Lesbarkeit verwenden wir im Text nicht immer geschlechtsneutrale Formulierungen oder mehrere Geschlechterformen. Deshalb weisen wir ausdrücklich darauf hin, dass stets in gleicher Weise Personen jedweden Geschlechts gemeint sind.

|10|2  Modelle

Wir haben für die nachfolgende Darstellung Modelle ausgewählt, die mit Blick auf den Forschungsstand als gut etabliert gelten können und zudem hohe praktische Relevanz haben. Aus allen hier dargestellten Modellen lassen sich Empfehlungen für die Praxis ableiten.

2.1  Stress-as-Offense-to-Self: SOS-Theorie

Besonders hohe Relevanz für Wertschätzung im Arbeitskontext hat die SOS-Theorie (Semmer et al., 2019; Semmer, 2020). Kern der SOS-Theorie ist die Annahme, dass Bedrohungen des Selbstwertes (z. B. durch illegitime Aufgaben, abwertende Arbeitsbedingungen oder respektlose Kommunikation) als starke Stressoren im Arbeitskontext wirken, wohingegen Ereignisse, die den Selbstwert fördern (z. B. wertschätzendes Feedback), als wichtige Ressource fungieren (Semmer et al., 2019). Wertschätzung und Abwertung sind zentrale Begriffe der SOS-Theorie. Wertschätzung (z. B. Anerkennung durch die Führungskraft) fördert den Selbstwert, während Abwertung (z. B. Ausschluss aus einer Gruppe) den Selbstwert bedroht und so als Stressor fungiert. Abbildung 2 veranschaulicht wichtige Annahmen der SOS-Theorie, die wir nachfolgend genauer erläutern.

Abbildung 2:  Stresserleben aufgrund von Bedrohungen des Selbstwertes. Verschiedene Aspekte bei der Arbeit können den Selbstwert bedrohen (Darstellung in Anlehnung an Semmer et al., 2019, S. 213).

|11|Selbstwert

Der Wunsch nach Schutz und Erhöhung des Selbstwertes ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Bei der Beschreibung des Selbstwertes können vier Unterscheidungen vorgenommen werden. Zunächst wird zwischen allgemeinem Selbstwert und berufsbezogenem Selbstwert differenziert. Die Beispiele in Abbildung 2 beziehen sich alle auf den beruflichen Kontext. Weiterhin wird zwischen persönlichen (Selbstbewertung) und sozialen (Bewertung durch andere) Komponenten unterschieden. Somit können Steigerungen oder Bedrohungen des Selbstwertes aus Ereignissen resultieren, die sich aus persönlichen, moralischen Standards ergeben (z. B. sich in einer Situation anders verhalten zu haben, als es dem eigenen Standard entspricht; ein selbst gesetztes Ziel nicht erreicht zu haben) oder von außen durch andere entstehen (insbesondere durch wichtige Bezugspersonen), wobei beide Aspekte sich auch überlappen können. In Abbildung 2 sind verschiedene Beispiele für mögliche persönliche und soziale Stressoren aufgeführt. Es geht also zum einen um Selbstbewertungen und zum anderen um Bewertungen durch andere, die sich auf das Erleben des eigenen Selbstwertes auswirken. Bedrohungen aus beiden Quellen können Stresserleben auslösen (Semmer et al., 2019).

•  Die sozialen Komponenten des Selbstwertes

Mit Blick auf den sozialen Selbstwert spielt das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu und Anerkennung durch eine Gruppe eine wichtige Rolle. Verletzungen dieses Bedürfnisses wirken als Stressor und führen zu negativen emotionalen Reaktionen. Es wird angenommen, dass Mitarbeitende eine hohe Sensibilität für abwertendes Verhalten durch andere haben: Abwertende Botschaften werden leicht wahrgenommen (Semmer et al., 2019). Diese können sehr offensichtlich sein: „Da sind ja richtig viele Tippfehler drin. Das könnte meine Tochter in der zweiten Klasse schon besser …“ Oder deutlich subtiler: „Da bin ich froh, dass ich dir noch geholfen habe. So haben wir das zusammen noch in die richtige Spur gebracht …“ Im zweiten Fall kann die abwertende Botschaft mitschwingen: „Wenn ich dir nicht geholfen hätte, wäre das nichts geworden – alleine hättest du das nicht hinbekommen.“ Findet soziale Abwertung statt, so sind Emotionen wie Traurigkeit, ein Gefühl der Verletzung oder auch Wut wahrscheinlich und als Folge von Wertschätzung Emotionen wie Stolz und Zufriedenheit (Semmer et al., 2019).

•  Die persönlichen Komponenten des Selbstwertes

Werden eigene moralische Standards gebrochen (z. B. einer Kollegin nicht geholfen zu haben) oder selbst gesetzte Leistungsziele (z. B. bestimmte Resultate zu erzielen) nicht erreicht, so sind Empfindungen wie Scham und Schuld wahrscheinlich, umgekehrt wird Stolz erlebt (Semmer et al., 2019).

|12|•  Die große Bedeutung der beruflichen Rolle für den Selbstwert

Die berufliche Rolle ist ein wichtiger Teil der Identität und trägt wesentlich dazu bei, wie Menschen sich selbst sehen: Wer bin ich? Was kann ich gut? Was jemand beruflich macht, hat Auswirkungen auf die gesellschaftliche Rolle, wie die Person von anderen wahrgenommen wird und ist damit eng verknüpft ein wichtiger Teil des Selbstkonzeptes (Semmer et al., 2019).

Illegitime Aufgaben

Bei Wertschätzung geht es nicht nur um soziale Interaktionen, sondern auch um Fragen der Arbeitsgestaltung, z. B. um die Übertragung von Aufgaben. Sind übertragene Aufgaben unnötig oder sind sie unpassend mit Blick auf die berufliche Rolle eines Mitarbeiters, so wird von illegitimen Aufgaben gesprochen (Semmer et al., 2019). Illegitime Aufgaben bilden einen Forschungsschwerpunkt im Kontext der SOS-Theorie.

•  Mit Blick auf die berufliche Rolle unpassende Aufgaben

Berufliche Rollen sind mit typischen Aufgaben assoziiert, die den Kern der beruflichen Rolle ausmachen, und mit entsprechenden Verantwortlichkeiten einhergehen. So gibt es Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die beispielsweise für einen Pfleger, eine Buchhalterin oder einen Verkäufer typisch sind und die berufliche Rolle definieren. Werden einem Mitarbeiter Aufgaben übertragen, die nicht zu dieser beruflichen Rolle passen, dann kann das den Selbstwert bedrohen. Das heißt nicht, dass die Aufgaben an sich abwertend sind. Bei einem anderen Mitarbeiter können sie sehr wohl zur beruflichen Rolle passen und angemessen sein. Bittet zum Beispiel eine Führungskraft eine Mitarbeiterin im Einkauf wiederholt darum, sie zu Geschäftsterminen zu fahren, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass die Einkäuferin diese Aufgabe als unpassend mit Blick auf ihre berufliche Rolle erlebt. Wäre die Mitarbeiterin als Fahrerin angestellt, so wäre klar, dass die Beförderung einer Führungskraft zu ihren Aufgaben gehört. Es geht also um die Frage der Angemessenheit für Mitarbeitende mit ihren jeweiligen beruflichen Rollen. Dazu gehört, dass ihnen die Aufgaben von anderen, zum Beispiel von der direkten Führungskraft, übertragen werden. Suchen sich Mitarbeitende freiwillig diese Aufgaben aus, sind hingegen keine negativen Effekte zu erwarten (Semmer et al., 2019).

•  Unnötige Aufgaben

Für alle Beschäftigten können als unnötig erlebte Aufgaben eine Bedrohung des Selbstwertes darstellen. Unnötige Aufgaben sind Aufgaben, die als verzichtbar |13|eingeschätzt werden: Aufgaben, die nicht anfallen würden, wenn andere Kolleginnen und Kollegen korrekt gearbeitet hätten; wenn die Koordination der Aufgaben besser wäre oder Aufgaben, die zu Ergebnissen führen, die nicht weiter genutzt werden, wie die Erstellung eines Berichtes, der von niemandem mehr gelesen wird (Semmer et al., 2019).