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Es war einmal ein Königreich in Amerika. Und das ist kein Märchen. James Jesse Strang war der frühe Anführer einer Mormonenkirche. Er verstand sich als Prophet, Seher und Offenbarer. 1850 ließ sich dieser charismatische Prediger zu König James I. von Great Beaver Island im Michigansee krönen. Zugleich war er gesetzgebender Vertreter der amerikanischen Regierung im noch jungen Bundesstaat Michigan.
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Seitenzahl: 140
WESTERN LEGENDEN
In dieser Reihe bisher erschienen
9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache
9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato
9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen
9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen
9005 Dietmar Kuegler Tombstone
9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang
9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod
9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin
9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana
9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas
9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs
9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk
9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition
9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen
9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer
9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen
9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell
9018 R. S. Stone Walkers Rückkehr
9019 Leslie West Das Königreich im Michigansee
9020 R. S. Stone Die Hand am Colt
9021 Dietmar Kuegler San Pedro River
9022 Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen
Leslie West
Das Königreichim Michigansee
Ein Kit Carson Roman
Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-419-0Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!
Nacht über dem Michigansee. Eine Neumondnacht. Für einen Überfall wie geschaffen.
Eine Schar Mackinac-Forellen stob jäh aufgestört erschrocken in die Tiefe, als der für sie riesige Schatten des Bootes über sie glitt. Sein Ziel war der Schoner Frances, der unweit von Manitou Island vor Anker lag.
Die umwickelten Ruder verursachten nicht das geringste Geräusch. Es waren drei kräftige Männer, die hintereinander saßen und sie bedienten. Eine vierte, maskierte Gestalt saß ganz vorne, spähte aus und dirigierte die Männer mit knappen Gesten.
Endlich waren sie heran. Die eine Hand des maskierten Anführers tastete über den Rumpf des Schoners, die andere dirigierte die Ruderer an eine geeignete Stelle, um unbemerkt an Bord zu kommen. Die Schlafenden durften auf keinen Fall zu früh durch verräterische Schaukelbewegungen geweckt werden.
*
Vor Einbruch dieser Nacht hatten zwei Männer an Deck des Schoners gestanden und die Abenddämmerung auf ihre Sinne einwirken lassen.
Der rote Hof der sinkenden Sonne verlieh dem riesigen See einen leicht metallischen Glanz. In den Weißkiefern und Zedern des fernen Ufers kamen ihre gefiederten Bewohner – vorwiegend Grasmücken, Wald- und Zwergschnepfen, Regenpfeifer und Gänsesäger – allmählich zur Ruhe. Berg- und Schell-Enten steckten ihre Köpfe ins Gefieder, Seetaucher zogen sich in die Böschungen hinter dem kiesigen Strand zurück. Ein einsamer Weißkopf-Seeadler zog noch seine Kreise über dem See, dessen flache Wellen ebenfalls ruhiger dahinzufließen schienen als während des Tagesverlaufs.
„Das also ist Ihr neues Reich, Paul. Ich bin beeindruckt.“
Paul Stanton nickte schwer und wandte seinen Blick direkt dem sehnigen Mann zu, dessen blondes Haar auf die Schultern seiner fransenverzierten Wapitilederjacke fiel. Ein kühnes Gesicht. Augen, die bereits den gesamten Kontinent gesehen hatten. Ein Mann, der mehr Abenteuer erlebt hatte als ein Dutzend Menschen in ihrem ganzen Leben. Der in die Landschaften, die er entdeckt oder aufgesucht hatte, geradezu mit allen Sinnen hineingewachsen war. Ein Trapper und Scout, dessen Name bereits auf dem ganzen Kontinent zur Legende geworden war.
„Es ist wohl meine letzte Station, Kit. Ich habe es fertiggebracht, alle Brücken hinter mir abzubrechen. Leicht ist es mir nicht gefallen. Doch letzten Endes war es das Beste für mich.“
Kit Carsons Augen folgten dem Adler, bis er in der Ferne verschwand. Dieser Vogel war ihm früh in seinem Leben vertraut geworden, hatte ihn als Trapper begleitet, später als Scout. Inzwischen war Kit als Indianeragent in Taos in New Mexico sesshaft geworden.
„Jeder kennt Sie hier als Paul Wakefield. Haben Sie keine Angst, dass irgendwann jemand auftauchen könnte, der Sie von früher in Erinnerung hat?“
„Ohne Bart bin ich wohl kaum wiederzuerkennen.“
„Der Name Ihres Schoners könnte Sie verraten. Ich weiß, wie sehr Sie Frances Farnham geliebt haben.“
„Ihr Tod hat mich zu einem anderen Menschen werden lassen. Ich war völlig verzweifelt und wollte mich umbringen. Wenn Sie damals nicht gekommen wären ...“
Es war nicht Kits Absicht gewesen, an alte Wunden zu rühren.
„Warum der Michigansee?“
Paul Stanton gönnte sich ein wehmütiges Lächeln.
„Sie erinnern sich an Frances Farnhams Bestattung? Aber was frage ich. Auch Ihr Schoschonenfreund Washakie war zugegen. Wir sprachen damals über die Glaubenswelten des weißen und des roten Mannes. Washakie wollte mir Trost vermitteln, indem er Beispiele anführte. Er sagte:
Die Stämme am Michigansee erzählen von einem alten Mann mit schneeweißen Haaren und eingesunkenen Augen, der einen Mantel aus feinsten Tierfellen und einen silberglänzenden Stab trägt. Er bewacht eine große blaue Ebene, die sich bis ins Unendliche ausdehnt. Folgt man ihr eine halbe Tagesreise, dann erreicht man das Ufer eines weiten Sees, in dessen Mitte eine wunderschöne Insel liegt. Man besteigt ein weißes Steinkanu, das von selbst auf dieses Eiland zu treibt. Unvermittelt findet man sich zwischen weiteren Kanus. In einigen erkennt man Menschen wieder, die einem bereits zu Lebzeiten begegnet sind. Stürme erheben sich, einige der Boote und Menschen werden von schäumenden Wellen verschlungen. Auch das eigene Kanu schaukelt. Allein die Kanus kleiner Kinder bleiben vollständig verschont und gleiten unbeschadet an das Inselufer. Das, was ihr Weißen Himmel nennt, ist bei diesem Volk eine Insel.“
„Und diese Insel wollen Sie jetzt hier finden, Paul?“
„Im übertragenen Sinne, Kit. Sie wissen, was ich damit meine.“
„Ich denke ja. Um sich jedoch ganz in fernen Träumen zu verlieren, dafür gibt Ihnen Ihr neues Metier keine Veranlassung. Sie werden an sämtlichen bewohnten Ufern dieses gigantischen Sees als zuverlässiger und seriöser schwimmender Trader geschätzt.“
„Und das freut mich!“, versicherte sein Gegenüber lebhaft. „Auch wenn mich manche einen abgebrühten Hausierer nennen. Auf Manitou Island haben sie Mehl gebraucht. Zaunpfähle liefere ich nach Milwaukee, Kartoffeln für Chicago. Eingepökeltes Schweinefleisch nach Muskegon, Früchte für Menonimee, Lohrinden nach Racine. Glauben Sie mir, Kit, inzwischen kenne ich den Michigansee wie meine Westentasche.“
„Auch sein ehemaliges Königreich?“
Erstaunt bemerkte Kit, dass das Gesicht seines alten Bekannten nach dieser unverbindlich gestellten Frage einen verschlossenen Ausdruck annahm.
„Es gibt Geschichten, die man eher ruhen lassen sollte“, versicherte ihm Paul Stanton. „Und diese gehört mit Sicherheit dazu.“
Danach wollte ihr Gespräch nicht mehr so richtig in Gang kommen. Bald darauf zogen sie sich in ihre Kojen zurück.
Stunden später wurde es Kit dort zu eng. Er hatte zu oft unter freiem Himmel geschlafen, um dies jetzt nicht zu vermissen.
An Deck lagen auch etliche Bündel Baumwolle, zwischen denen sich eine bequeme Schlafstatt einrichten ließ.
Lange noch haftete Kits Blick am Himmel. Der deutschstämmige Arzt Norman Schutzbier hatte ihm vor einem knappen Vierteljahrhundert die Sternbilder erklärt, wie vor ihm Jim Bridger, der Kit zum Trapper ausgebildet hatte. Doch dienten sie dem jetzigen Indianeragenten bei Weitem nicht nur zur Orientierung. Kit Carsons Betrachtungen des nächtlichen Firmaments waren für ihn auch geistige Reisen zu anderen Welten, die es dort draußen geben mochte. Sehnsucht und Neugierde hatten die Menschen bereits einen großen Teil des Erdballs erkunden lassen. Eines Tages vielleicht ...
„Ich habe den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen, wissen, alles in Einem Werke darzustellen, und in einem Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüth ergötzt.“ Und: „Das Ganze ist nicht, was man gemeinhin physikalische Erdbeschreibung nennt, es begreift Himmel und Erde, alles Geschaffene.“
Der große Alexander von Humboldt hatte dies gesagt und zu seiner revolutionären Weltanschauung ein mehrbändiges Werk unter dem Titel Kosmos zu entwerfen begonnen.
Norman Schutzbier hatte Kit den Inhalt der ersten Bände zusammengefasst. Humboldts Betrachtungen des Weltganzen begannen bereits im Ersten dieser Bände mit „den Sternen, die in den entferntesten Theilen des Weltraumes zwischen Nebelflecken aufglimmen“ und setzten sich fort „durch unser Planetensystem bis zur irdischen Pflanzendecke und zu den kleinsten, oft von der Luft getragenen, dem unbewaffneten Auge verborgenen Organismen herab“.
Vielen weiteren Einzelheiten in Doc Schutzbiers Ausführungen zu diesem bahnbrechenden Werk hatte Kit nicht folgen können. Doch hatten sie sein Weltbild dennoch erweitert – wie zuvor bereits das Großhaus der Delaware, deren Ursprung ungleich weiter zurücklag als jene aller anderen Indianervölker. Die Giebel dieser Kultstätte verkörperten das Universum, ihr Boden erdschöpferische Kräfte einer Urzeit, in der Gräben ungeheuren Ausmaßes in die Erdoberfläche gerissen worden und Vulkane geborsten waren.
Dann: Das geheimnisvolle Sternenlaboratorium, das Kit Carson als Angehöriger der Swann-Expedition in den höchsten Gipfeln der Sawatch Mountains in Colorado entdeckt hatte. Dessen Erbauer bis heute unbekannt geblieben waren.
Ja, es gab so viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die die Menschen noch längst nicht verstanden. Aber Neugierde und Forscherdrang würden ihr Weltbild ständig erweitern.
Mit diesen Gedanken schlief Kit endlich wieder ein. Doch nicht für lange.
*
Die Langsamkeit, mit der sich je einer der Piraten im Schutz der Neumondnacht auf einer der beiden Schiffsseiten an Deck hochzog, gab den Ausschlag, dass das Schiff bewegungsmäßig so gut wie nicht darauf reagierte. Ausgezeichnet. Wer immer sich an Bord befinden mochte: Je später sie bemerkt wurden – falls überhaupt –, desto besser.
Die schwappenden Geräusche der nächtlichen Wellen des Sees überdeckten die eigenen, wenn auch schwachen Geräusche. Während die beiden stärker gebauten Piraten das Schiff heimlich von der Steuer- und von der Backbordseite aus enterten, zog sich die maskierte Gestalt am Heck der Frances hoch.
Rasch stellte sie fest, dass die an Deck festgezurrte Handelsware genügend Möglichkeiten zum Verstecken bot. Die Erkundung des Decks war zunächst den beiden Begleitern vorbehalten, die darin mehr Erfahrung hatten.
Der Pirat, der von Steuerbord geentert hatte, verharrte zunächst vor der Vielzahl festgezurrter Ballen und Stapel, um sich im schwachen Sternenlicht zu orientieren.
Unter dem Rahsegel des kleineren Vordermastes bildeten Baumwollballen eine längliche Mulde. Was mochte sie bergen?
Leise schlich der Pirat näher und beugte sich hinein.
Der Schlag des Pistolenknaufs, der ihn an der Schläfe traf und auf der Stelle bewusstlos und ohne Geräusch in die Mulde sacken ließ, ging im Schwappen der Wellen unter.
*
Kit Carson hätte nicht zu sagen vermocht, was ihn vor einigen Minuten geweckt hatte. Waren es untypische Bewegungen des Schoners gewesen? Jedenfalls hatte ihn sein Instinkt aus seiner Schlafstatt steigen und neben ihr in Deckung gehen lassen.
Da! Ein weiteres Geräusch! Das kaum vernehmbare Knarren der Treppenstufen, die nach unten zu den Kajüten führten. So leise wie möglich schlich Kit darauf zu.
Paul Stantons Petroleum-Schiffslampe aus Messing brannte auch nachts auf kleiner Flamme, solide befestigt und stoßfest, damit nichts passieren konnte. Kit sah die bullige Gestalt auf den Stufen von einer Seite beleuchtet, als der andere herumfuhr. Er musste sein Anschleichen bemerkt haben.
Im Begriff, seine Waffe auf den Eindringling zu richten, stolperte der Indianeragent über ein gespanntes Seil, das die Ladung sicherte, und verlor sein Gleichgewicht. Um sich beim Sturz die Treppe hinunter nicht den Hals zu brechen, musste er die Rappahannock-Holsterpistole loslassen und darauf achten, wie er aufkam, ohne größeren Schaden zu nehmen.
Der Pirat war geistesgegenwärtig zur Seite gesprungen. Kit rollte die Treppe hinab, kam aber auf den Beinen unten an und torkelte sofort wieder hoch.
Dennoch erwischte ihn der erste Hieb des Angreifers ungeschützt. Sterne tanzten vor seinen Augen. Benommen taumelte er zurück.
Paul Stantons Kajütentür flog auf, aber der Eindringling reagierte blitzschnell. Sein Faustschlag ließ den Kapitän ohnmächtig auf die Koje zurücksinken, wo er soeben aus seinem Schlaf gerissen worden war.
Diese wertvollen Sekunden der Ablenkung des Schurken genügten Kit indes, um wieder seine sieben Sinne zusammenzubekommen. Er war jedoch geistesgegenwärtig genug, sich nicht gleich zu bewegen.
Der Pirat hatte Paul Stanton zur Gänze in dessen Schlafstatt zurückgestoßen, zog den Schlüssel innen aus der Kajütentür und sperrte sie von außen zu. Jetzt wandte er seine Aufmerksamkeit wieder ungeteilt dem liegenden Gegner in der fransenverzierten Wapitilederjacke zu.
Kit lag mit den Füßen nach vorne und rührte sich immer noch nicht. Doch als der andere dicht vor ihm angekommen war, schnellte er liegend nach vorne und setzte einen Fußhebel an.
Der bullige Pirat wurde völlig überraschend von den Füßen gerissen. Nun war er es, der dabei mit dem Kopf seitlich auf einer der Treppenstufen aufschlug – mit seinem ganzen Gewicht und dabei so unglücklich, dass er sich augenblicklich das Genick brach.
Der ehemalige Trapper traute dem Frieden nicht sogleich. Doch als er aufgestanden war und den Gegner näher in Augenschein genommen hatte, erkannte er, dass jegliches Leben aus ihm gewichen war.
Im Begriff, zu Stantons Kajüte zu gehen und den eingeschlossenen Kapitän zu befreien, erstarrte Kit, als er ein nur allzu vertrautes Klicken vernahm. Seine Nackenhaare richteten sich auf.
Die schwarz gekleidete maskierte Gestalt, die im Schein der Petroleumlampe mit gebührender Vorsicht und angeschlagener Waffe, die dabei unbeirrt auf den ehemaligen Trapper gerichtet war, die Treppe herunter stieg, war wesentlich kleiner als der tote Angreifer. Und sogar ausgesprochen zierlich.
Kits Augen weiteten sich, als er die ihm entgegen gestreckte Waffe näher in Augenschein nahm.
„Mach keinen Unsinn, Phillis“, sagte er leise.
*
Durch die schmächtige Gestalt ging ein Ruck. Kit unterdrückte einen Seufzer der Erleichterung. Seine Ahnung hatte ihn also nicht getäuscht.
„An Deck.“
Der Befehl wurde von einer Bewegung der Pistole unterstrichen. So wie die Stimme durch die Maske klang, war Kit sich seiner Vermutung auf einmal nicht mehr ganz so sicher.
Er gehorchte. Diesmal übersah er das gespannte Seil am Einstieg der Treppe nicht.
Der Mann, den er niedergeschlagen hatte, war immer noch bewusstlos. Kit kannte seine Schlagkraft. Es würde noch einige Stunden dauern, bis er wieder zu sich kam.
„Ihr wart zu dritt?“
„Wie du siehst.“
Die maskierte Gestalt nahm ihre Maske ab. Im Sternenlicht erkannte der blonde Indianeragent, dass seine Vermutung ihn doch nicht getrogen hatte.
Phillis Curwood. Eine Zeit lang hatte sie den Familiennamen Farnham getragen. Das Gesicht war unverkennbar.
Die zarte, verletzliche, hingebungsvolle, aufopferungsbereite Phillis, deren Lebenserfüllung darin bestanden hatte, alles für ihren ersten Lebenspartner zu geben, ihre ganz große Liebe. Was war nur aus ihr geworden.
„Du hast die Pistole wiedererkannt.“
Kit nickte.
„Eine Perkussions-Scheibenpistole aus der Alten Welt, aus der Stadt Suhl in Thüringen. Mit achtkantigem Damastlauf, eingeschobenem Messingkorn, Abzug mit justierbarem Stecher, Vollschäftung aus Nussbaumholz, Kolben mit Fischhautverschnitt. Sie hat Jodie Farnham gehört, deinem verstorbenen Gatten, der sie von einem deutschen Siedler erworben hat. Es gibt vermutlich keine zweite ihrer Art auf diesem Kontinent.“
„Jetzt hat sie mich verraten. Aber du bist der Einzige, der mich je erkannt hat, Kit. Wenn ich dich nun erschieße, bleibt mein Geheimnis gewahrt. Und glaube mir eines: Ich hätte auch so einen sehr guten Grund, dir eine Kugel zu verpassen.“
Sie setzte die Maske erneut auf, wobei der Lauf der Pistole unentwegt auf den Indianeragenten wies.
Kit lief es kalt über den Rücken, als er die Entschlossenheit aus ihrer verhaltenen Stimme heraus hörte.
Dennoch konnte er nicht verhindern, dass ihn die Erinnerung an die Vergangenheit geradezu überwältigte.
*
Mitten in diesem verfluchten Mexikanischen Krieg, der Kit Carsons Freundschaft mit John Charles Frémont auf eine verdammt harte Probe gestellt hatte.
Unter dem Vorwand einer Expedition, in Wirklichkeit aber mit Kriegsabsichten, war Frémont in Kalifornien eingefallen. Später hatte der ehrgeizige General Stephen Watts Kearny, ein erklärter Gegner Frémonts, Kit als Scout in seine Armee gepresst und ihn lange von daheim ferngehalten.
Im Monat zuvor hatte Kit Carson in Los Angeles erfahren, dass Kearny Frémont als Gefangenen nach Washington zurückgeschickt hatte. Bis zum vergangenen Juni war Kit ebendort gewesen, um sich beim Präsidenten persönlich für seinen Freund zu verfügen. Auch wenn dieser es sich durch seine kriegerischen Pläne mit Kit ziemlich verscherzt hatte – es war nicht Kits Stil, einen Freund in schweren Zeiten im Stich zu lassen.
Der Scout war unverzüglich nach Monterey geritten, dem neuen Regierungssitz von Kalifornien. Dort sollte er Captain William Tecumseh Sherman zugeteilt werden.
Sherman, ein Bewunderer Kits, hatte volles Verständnis für ihn, als Kit sich erbat, auf einige Wochen beurlaubt zu werden, um erneut in Washington beim Präsidenten zu Frémonts Gunsten vorstellig zu werden.
Jetzt stand Kit an der Reling des Raddampfers Phoenix, der den Michigansee befuhr und sich gerade auf dem Weg von Manitowoc nach Sheboygan befand, wo Mortimer Gould lebte, ein Vertrauter Frémonts, der Anwalt geworden war und von dem Kit sich erhoffte, dass er ihm in Washington behilflich sein konnte.
Das Wetter war seit Tagen rau und stürmisch. Die Phoenix, die unter dem Kommando von Kapitän Benjamin G. Sweet stand und von einer fünfundzwanzigköpfigen Mannschaft betreut wurde, hatte vor zehn Tagen in Buffalo abgelegt. In ihren Laderäumen waren Kaffee, Zucker, Melasse sowie Bau- und Maschinenteile für eine Fabrik nahe Sheboygan verstaut.
Die ungefähr siebzig Passagiere der Ersten Klasse waren überwiegend Einheimische aus Chicago, Racine und Southport, sie bewohnten separate Kabinen auf dem Hauptdeck. Im Zwischendeck reisten etwa 200 niederländische Einwanderer, die von Rotterdam per Schiff nach New York gekommen waren und sich in Wisconsin niederlassen wollten. Sie waren in den Schlafsälen des Zwischendecks untergebracht. Es sollte die letzte Fahrt der laufenden Saison sein.