Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der schottische Adelige und Offizier William Drummond Stewart (1795–1871), der bei Waterloo gegen Napoleon gekämpft hat, reist nach Amerika. In der Neuen Welt entdeckt er seine grenzenlose Liebe zu den Gebirgen, Prärien und Savannen des unerschlossenen Westens – und zu Männern. Er freundet sich mit Kit Carson an und widmet ihm eine anspielungsreiche Passage in seinem Roman Edward Warren, der das Leben der Trapper bilderreich und authentisch widerspiegelt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 190
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Western Legenden
In dieser Reihe bisher erschienen
9001 Werner J. Egli Delgado, der Apache
9002 Alfred Wallon Keine Chance für Chato
9003 Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen
9004 Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen
9005 Dietmar Kuegler Tombstone
9006 Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang
9007 Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod
9008 Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin
9009 Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana
9010 Thomas Ostwald Blutiges Kansas
9011 R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs
9012 Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk
9013 Andreas Zwengel Die spanische Expedition
9014 Andreas Zwengel Pakt der Rivalen
9015 Andreas Zwengel Schlechte Verlierer
9016 R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen
9017 Dietmar Kuegler Der letzte Rebell
9018 R. S. Stone Walkers Rückkehr
9019 Leslie West Das Königreich im Michigansee
9020 R. S. Stone Die Hand am Colt
9021 Dietmar Kuegler San Pedro River
9022 Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen
9023 Dietmar Kuegler Alamo - Der Kampf um Texas
9024 Alfred Wallon Das Goliad-Massaker
9025 R. S. Stone Blutiger Winter
9026 R. S. Stone Der Damm von Baxter Ridge
9027 Alex Mann Dreitausend Rinder
9028 R. S. Stone Schwarzes Gold
9029 R. S. Stone Schmutziger Job
9030 Peter Dubina Bronco Canyon
9031 Alfred Wallon Butch Cassidy wird gejagt
9032 Alex Mann Die verlorene Patrouille
9033 Anton Serkalow Blaine Williams - Das Gesetz der Rache
9034 Alfred Wallon Kampf am Schienenstrang
9035 Alex Mann Mexico Marshal
9036 Alex Mann Der Rodeochampion
9037 R. S. Stone Vierzig Tage
9038 Alex Mann Die gejagten Zwei
9039 Peter Dubina Teufel der weißen Berge
9040 Peter Dubina Brennende Lager
9041 Peter Dubina Kampf bis zur letzten Patrone
9042 Dietmar Kuegler Der Scout und der General
9043 Alfred Wallon Der El-Paso-Salzkrieg
9044 Dietmar Kuegler Ein freier Mann
9045 Alex Mann Ein aufrechter Mann
9046 Peter Dubina Gefährliche Fracht
9047 Alex Mann Kalte Fährten
9048 Leslie West Ein Eden für Männer
9049 Alfred Wallon Tod in Montana
9050 Alfred Wallon Das Ende der Fährte
9051 Dietmar Kuegler Der sprechende Draht
9052 U. H. Wilken Blutige Rache
9053 Alex Mann Die fünfte Kugel
9054 Peter Dubina Racheschwur
Leslie West
Ein Eden für Männer
Ein Kit Carson Roman
Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-669-9
Dass dieses Fest voll Prunk und Pracht an seinem letzten Tag dermaßen ausarten würde, wäre mit etwas Verstand vorauszusehen gewesen. Doch nun war es längst zu spät, sich unbemerkt davonzustehlen.
Dieses Versäumnis, sah Kit Carson ein, mochte sich im weiteren Verlauf des Abends, spätestens aber nach Einbruch der Nacht, äußerst verhängnisvoll für ihn auswirken. Der sehnige blonde Scout spürte die Gefahr geradezu körperlich näher kommen.
Man schrieb das Jahr 1843, und die Gebirge, Prärien und Savannen des Wilden Westens hatten eine solche Veranstaltung noch nie erlebt. Es war auch stark zu bezweifeln, dass es jemals eine weitere dieser Art geben würde. Ein späterer deutscher Erfolgsschriftsteller, Friedrich Armand Strubberg, war jüngst vier Tage zu Gast gewesen. Er würde dieses Bacchanal ein Dutzend Jahre später ausführlich in seinen Erinnerungen beschreiben, dabei jedoch seine wahren Hintergründe vollständig unerwähnt lassen.
Auf dieser Höhe der Rocky Mountains war der Colorado noch ein Gebirgsbach mit anmutigen kleinen Wasserfällen, von Forellen bevölkert, die ein ansehnliches Gewicht erreichen konnten. Auch Wild gab es hier zur Genüge, das auf üppigen Wiesen weidete. Unweit des hoch gelegenen Tals zog sich ein dichter Hochwald aus Eichen und Fichten nach oben zu einer kegelförmigen hohen Felsenformation hin, die an eine verfallene Ritterburg der Alten Welt erinnerte. In der Ferne kletterten einzelne Bisons unbeholfen die unteren Regionen der Felsen hoch, um die spärlich aus den Gesteinsschichten hervorkeimenden Kräuter aufzulesen, die auf den Wiesen nicht wuchsen.
Zahlreiche Rauchsäulen stiegen aus dem Lager empor, das ungefähr achtzig Männer beherbergte. Nur Männer. Keine einzige Frau, nicht einmal eine Indianersquaw, war zu sehen. Von vielen bunten Zelten wehten lange Wimpel. Ein rundes Hundert Pferde und Maultiere verteilte sich ebenfalls über das Areal.
Auch eine solche Kleidungsvielfalt hatte der Westen noch nie an einem einzigen Ort und zugleich gesehen. Vom kaum beschurzten hellhäutigen Indianer bis zum elegantesten Gentleman war alles geboten. Zahlreiche junge Stutzer aus dem Osten hatten bei der Wahl ihrer Kostüme ihrer Phantasie keine Grenzen gesetzt. Altritterliche Kostüme mit aufgekrempten großen Federhüten waren zu sehen, Renaissance-Uniformen, Waffenröcke mit aufgeschlitzten Ärmeln, lederne Beinkleider, hohe Reiterstiefel mit ungeheuren Rittersporen an breitem Fußleder, große Stulpenhandschuhe, umgegürtete Riesenschwerter, die beim Gehen hinderten, altspanische Kostüme, veilchenblaue und maigrüne samtene weite Paletots – sogar der Hut eines italienischen Räuberhauptmanns mit einer prächtigen roten Hahnenfeder bändigte parfümierte männliche Locken, die weich auf breite große Hemdkrägen und schmale Schultern herabfielen. Weite Pumphosen waren in lange Stiefel aus rotem Juchtenleder gezwängt, an denen großrädrige Sporen klirrten. Lange, mit Silber eingelegte und prachtvoll verzierte Pistolen und mit Edelsteinen geschmückte Dolche steckten in breiten Gürteln. Einige der jungen Schnösel hatten wohl ihren James Fenimore Cooper allzu eifrig gelesen und trugen von Fuß bis Kopf Leder und auf diesem einen breitrandigen Hut. Die langen schweren Jagdmesser und die ungeheuren Büffelbüchsen hätten zu ihren zarten Gestalten und Milchgesichtern keinen größeren Kontrast abgeben können. Natürlich waren kein Körnchen Staub und kein noch so winziger Blut- oder Fettspritzer auf ihren maßgeschneiderten, taillierten Trapperkostümen zu sehen.
Andere hätten frisch dem Broadway New Yorks entsprungen sein können. Sie schlenderten in bequemen Slippern herum und pafften Havanna-Zigarren. Auf makellosen Regency-Tischen standen nur edelste Weine. Geübte Köche bereiteten die leckersten Speisen, und auch der Kaffee war von erlesener Qualität. Zielschießen, Wettreiten, Jagd-, Karten- und Würfelspiele: Für Unterhaltung jedweder Art war seit Beginn der Veranstaltung gesorgt.
Wobei das Amüsement noch bedeutend weiter ging. Bisweilen krochen vollständig nackte Männer aus den Zelten, sprangen lachend auf und eilten auf den nahe gelegenen kleinen See zu, um sich hineinzustürzen und ihre gemeinsamen Vergnügungen unterschiedlichster Art, die bis zum Äußersten gingen, dort fortzusetzen. Dieser See würde eines Tages nach einem Freund Kits, dem Forscher und Offizier John Charles Frémont, benannt werden.
Kit Carson hatte das Gefühl, genug mitbekommen zu haben. Mit seinem Becher Wein schlenderte er möglichst unauffällig ein Stück von den Zelten weg, um ein wenig Ruhe zu finden.
Worauf hatte er sich da nur eingelassen?
Er selbst war natürlich nicht kostümiert. Der hochgewachsene Trapper und Scout trug wie immer eine gegurtete Jacke und eine Hose aus Wapitileder, die beide reich mit Fransen verziert waren. Der Veranstalter dieser ausufernden Fete hätte dies auch nie verlangt. Und Kit fiel ja nicht sonderlich aus dem Rahmen. Auch wenn seine Trapperkleidung die einzige authentische war.
Der Veranstalter, ja, Sir William Drummond Stewart, siebter Baronet von Murthly und Blair, neunzehnter Laird von Grandtully, somit schottischer Hochadel reinsten Wassers. Wie immer makellos rasiert und tadellos gekleidet, wie aus dem Ei gepellt. Die kühne Hakennase, der gepflegte Oberlippenbart und der stattliche, muskulöse Körperbau ließen ihn bereits aus großer Entfernung erkennen. Beinahe auf den Tag genau war er vierzehn Jahre älter als Kit, ging somit bereits auf die fünfzig zu.
Als sein Blick auf den weit abseitsstehenden Scout fiel, löste er sich aus der Gruppe junger Männer, die ihn gerade umschwärmten, und steuerte geradewegs auf Kit los.
„Du scheinst dich nicht sonderlich zu amüsieren, alter Freund.“
„Es ist ja überwiegend nicht mehr meine Altersgruppe.“
„Meine erst recht nicht! Bin ich nicht wie ein guter Vater zu ihnen?“
„Was würde dein richtiger Sohn dazu sagen?“
„Der ist erst elf oder zwölf und kann da noch nicht mitreden.“
Was seinen Nachkommen betraf, war dem Baronet insofern kein Vorwurf zu machen, als er sowohl den Sohn als auch das Hausmädchen, mit dem dieser in Schottland zustande gekommen war, großzügig finanziell versorgte. Doch erst hier in der Neuen Welt hatte er seine wahren Neigungen nicht länger verborgen und auch voll ausgelebt.
„Du hast wirklich sehr lange damit spekuliert, irgendwo hier fern der prüden Städte des Ostens eine Siedlung zu gründen, die nur von Männern bewohnt wird“, fuhr Kit fort.
„Die sogenannte Zivilisation und ihre unerbittliche Moral rücken langsam aber unaufhaltsam näher“, gab der schottische Adelige zur Antwort. „Sie hätten meine üblen Absichten und mein verwerfliches Treiben rasch ausgerottet.“
„So schlimm wie im alten England kann es unmöglich sein“, mutmaßte der blonde Scout. „Wo Männer, die einander zugeneigt sind und dabei ertappt werden, in ein hölzernes Joch gespannt werden. Man stellt sie öffentlich aus, und das aufgebrachte Volk bewirft sie mit faulem Obst und Gemüse, mit Innereien und Eingeweiden, bevor sie dann im Gefängnis landen.“
„Daran hat sich bis heute in der Tat wenig geändert“, stimmte ihm Stewart zu. „Vor über einem Vierteljahrhundert wollte das Parlament diese unsägliche öffentliche Zurschaustellung und Demütigung der Sodomiten abschaffen. Da bekamen sie es aber mit der lauteren Öffentlichkeit zu tun, die unmissverständlich zum Ausdruck brachte, dass sie bei Einstellung dieser Bestrafung dieselbe aus eigener Kraft und ungleich konsequenter weiterbetreiben würde. Und somit kommen dort bis heute jährlich ungefähr so viele Männer deswegen ins Gefängnis, wie heute auf diesem Areal feiern. Und bei Weitem nicht alle überleben den Kerker.“
Wehmütig ließ der Baronet seine Blicke über das ausgelassene Treiben gleiten.
„Diese Feier ist ein Abschiedsfest, Kit. Wie es die letzten Trapper-Rendezvous auf ihre Art waren, als sich der Biberfellhandel längst nicht mehr lohnte. Dieses Fest ist der Abschied von einer wilden, freien Welt, die noch keine Zivilisation kannte. In der es keine Vorurteile einer verkrusteten Alten Welt gab. In der Männer sein konnten, wie sie wollten.
Schau sie dir an, diese verweichlichten Schreiber, Verkäufer und Beamte aus den großen Städten des zivilisierten Ostens. Für dieses Fest haben sie monatelange Entbehrungen auf sich genommen! Wohl nur hier können sie einmal, ein einziges Mal vielleicht, offen ihre romantischen Vorstellungen und Neigungen ausleben. Es waren unbeschreiblich schöne Jahre in dieser Wildnis, Kit. Ich bin so gern mit euch geritten, habe mit euch gekämpft und gejagt ...“
„Und hast bereits im ersten Jahr deinen Antoine Clement kennengelernt, einen der besten Trapper und Jäger, die das Land jemals gesehen hat. Doch noch etwas sollte dir bewusst werden: Dank dir sind diese verweichlichten jungen Schnösel durch eine harte Schule gegangen. Sie haben mit uns alle Strapazen, Anstrengungen, Gefahren und Entbehrungen geteilt, denen wir seit unserem Aufbruch in St. Louis ausgesetzt waren. Deine sehr militärische Führung dieser Expedition hat die Spreu vom Weizen getrennt. Nicht wenige haben das nicht ertragen und sind umgekehrt.
Was ich damit sagen will: Wenn diese übrig Gebliebenen mit ihren ... Neigungen in die Zivilisation zurückkehren werden, sind sie erneut allen Vorurteilen und Abneigungen der sogenannten zivilisierten Gesellschaft ausgesetzt. Aber jetzt haben sie Rückgrat. Sie werden ihre Beziehungen mit Erfahrungen fortführen oder wieder aufnehmen, die sie umsichtiger handeln lassen. Oder sie werden sich ihren, nun ja, Präferenzen, mit neuem Selbstbewusstsein stellen, wo es denn nötig sein muss. Du hast sie auf deine Art für das weitere Leben gestählt. Und was Antoine Clement betrifft, bist du ja ...“
„In der Tat, als hätten wir uns gesucht und gefunden. Er ist damals mit mir in meine schottische Heimat zurückgekehrt. Dalpowie Lodge war unsere behagliche Zuflucht, wenn wir nicht gerade in Murthly Castle verweilen mussten, um das Geschäftliche zu regeln. Ich musste den armen Antoine als Kammerdiener und als Lakai ausgeben. Ganz wohl hat er sich dort nie gefühlt. Wir haben auch deshalb etliche Reisen in den Nahen Osten unternommen, bevor wir wieder in die Neue Welt zurückgekehrt sind. Doch Schluss jetzt mit diesen trüben Gedanken! Lass uns weiterfeiern!“
Der Baronet ergriff Kit am Arm und zog ihn auf das Größte aller Zelte zu, das nur von ihm und Antoine Clement bewohnt wurde. Der Scout musste mit, ob er nun wollte oder nicht.
Die Abenddämmerung war angebrochen.
Die Innenausstattung des großen Zelts war von Stewarts mehrfachen Orientreisen inspiriert: persische Teppiche, purpurne Wandbehänge aus Damast, türkische Lampen aus Silber und Brokatkissen. Anstelle bereitwilliger Haremsdamen bedienten allerdings gut gewachsene Söhne von Kentucky-Farmern.
Erstaunt sah Kit, dass sich über ein Dutzend Männer auf dem Boden niedergelassen hatten, um den Diwan herum, auf dem der Baronet zu sitzen und zu ruhen pflegte.
Antoine Clement war nirgends zu sehen. Da Stewarts Lebensgefährte zwar ein vorzüglicher Mountain Man war, jedoch weder lesen noch schreiben konnte, war bei ihm auch kein literarisches Interesse zu erwarten.
„Nimm auch du bitte Platz, Kit“, forderte ihn Stewart auf. „Du sollst zu diesem auserwählten und erlauchten Kreis gehören, der als Erster meine literarischen Ergüsse und Erinnerungen zu Ohren bekommt.“
Der Scout atmete innerlich auf. Eine Lesung würde unzweifelhaft zu den harmlosesten Vergnügungen dieser Veranstaltung zählen. Im Lauf des letzten Jahrzehnts hatte er bei den Begegnungen mit Stewart immer wieder bemerkt, dass dieser Einträge in ein Tagebuch schrieb. Erlebt hatte der schottische Baronet im Wilden Westen ja wahrlich genug.
„Wir beginnen mit Auszügen aus Altowan oder Lebensereignisse und Abenteuer in den Rocky Mountains“, eröffnete Stewart die Lesung.
Danach verstand Kit zwar Namen und Worte, aber keine Zusammenhänge. Altowan, ein Häuptling der Blackfoot, war in Wirklichkeit der ältere Sohn eines Lord Daerword, dessen zweiter Sohn von einer anderen Frau Roallan hieß und der anscheinend nur nach Amerika gekommen war, um Altowans Halbschwester Idalie zu entführen. Die Handlung machte hinten und vorne keinen Sinn, doch Kit glaubte etliche Anspielungen auf Stewarts eigene Erlebnisse, Erfahrungen und Einstellungen herauszuhören.
„Und nun zitiere ich die ersten Passagen aus einem Buch, das einst den Titel Edward Warren tragen wird.“
Beim Lesen sprach der Baronet dem Rotwein tüchtig zu. Kaum war der Pokal leer, sprang ein der Scholle entflohener Haremsdiener herbei und füllte nach. Immer wieder gab es Pausen. Des Öfteren ertappte Kit sich dabei, eingenickt zu sein. Doch plötzlich fiel sein Name, und das riss ihn aus seiner Versunkenheit.
„Gib Ruhe, Shumar, sagte der hochgewachsene junge Trapper mit dem schulterlangen dichten Blondhaar“, las Stewart gerade vor. „Denn dieser Jüngling hinter mir im Sattel soll heute Nacht der meine sein. Morgen ist ein anderer Tag, da magst du dein Glück erneut versuchen. So kam es, dass Kit Carson und Ned in dieser Nacht ihr Lager teilten. Der nahe Fluss rauschte, während sich ihre Muskeln allmählich wieder entspannten.“
Kit Carson war bei den letzten Sätzen hellwach geworden und aufgesprungen.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst, William.“
„Ein wenig Romantik, ein wenig dichterische Freiheit.“ Der Baronet schien aufrichtig bestürzt. „Du hast mir von Anfang an sehr gut gefallen, Kit.“
„Das ist aber nicht meine Welt, Sir.“ Kits Gesichtszüge hatten sich verhärtet. „Und sie wird es nie werden. Macht, was ihr wollt, ihr Männer untereinander. Das geht mich nichts an und interessiert mich nicht weiter. Aber ich bleibe aus dem Spiel, damit das klar ist. Wenn du dir etwas zusammenphantasieren willst, was nur in deiner Wunschvorstellung existiert, William, dann mach das ruhig. Aber halte mich gefälligst da raus. Ich will damit nichts zu tun haben.“
Kits Ausbruch hatte auch den Baronet auf die Beine gebracht. Nun standen sie sich Auge in Auge gegenüber.
„Ach? Was willst du dagegen unternehmen?“
„Das.“
Zugleich mit diesem Wort hatte Kit das Blatt an sich gerissen, von dem Stewart gerade noch gelesen hatte. Er knüllte es zusammen und steckte es ein.
Stewarts aufbrausendes Temperament war bekannt. Mit einem Wutschrei stürzte sich der nicht mehr ganz nüchterne schottische Adelige fäusteschwingend auf Kit.
Dem fiel es zwar leicht, dem unkontrollierten Angriff auszuweichen, doch auch er geriet dadurch ins Taumeln.
Alle Zuhörer waren ebenfalls längst aufgesprungen und wichen so weit zurück, wie es das Zelt erlaubte. Die beiden Kontrahenten hatten so Freiheit nach allen Seiten.
„Gib mir das Blatt zurück“, zischte der Baronet.
„Komm und hol es dir“, gab Kit zur Antwort.
Augenblicke später wälzten sie sich kämpfend auf den persischen Teppichen. Das ging eine Weile so, bis der blonde Scout kurz Oberhand bekam und dies zu einem Kinnhaken nutzte. Stewarts Kopf wurde nach hinten gerissen und schlug gegen ein Diwanbein. Der Baronet verdrehte die Augen und war bewusstlos.
Kit erhob sich und sah von allen Seiten fassungslose bis zornige Blicke auf sich gerichtet.
Das konnte eng werden. Nicht die gesamte Zuhörerschaft bestand aus verweichlichten städtischen Jünglingen.
Zwei von der härteren Sorte, beide passend als Söldner aus der Renaissance kostümiert, schritten bereits entschlossen auf ihn los. Kit riss den Perserteppich hoch, auf dem sich der eine näherte, wodurch dieser nach hinten plumpste. Der Scout warf den Teppich über den anderen Angreifer, versetzte ihm einen Magenschwinger und rannte ins Freie.
Hinter ihm drang lautes, empörtes Johlen aus dem Zelt. Längst war es dunkel geworden. Einige Lagerfeuer brannten. Einige der Männer, an denen Kit vorbeieilte, warfen ihm erregte und lüsterne Blicke zu.
„Haltet ihn auf!“, erklang eine laute Stimme aus Stewarts Zelt. „Er hat den Baronet niedergeschlagen!“
Endlich war Kit bei seinem Pferd. Er sprang auf und trieb es in die Nacht hinaus.
Bald waren ihm etliche Verfolger auf den Fersen. Kit wollte sich nicht ausmalen, was sie alles mit ihm treiben würden, falls er ihnen in die Hände fiel. Er lenkte sein Tier auf den ansteigenden dichten Baumbestand zu. Der Waldboden würde die Hufschläge dämpfen, die Bäume würden die Verfolgung erschweren.
Kit hatte genügend Vorsprung herausgeholt, um in diesem unübersichtlichen Urwald bald absteigen zu können. Auf sechs Beinen machten sein Pferd und er weniger verräterische Geräusche.
Wie gut, dass er in den letzten Tagen das Gelände erkundet hatte. Die Felsformation weiter oben, die aus großer Entfernung einer verfallenen Ritterburg der Alten Welt glich, bot auch eine sichere Höhle, deren Eingang dem Lager abgewandt war. Sollte man ihn trotz der geringen Wahrscheinlichkeit dennoch aufstöbern, so konnte er sich von dort aus gut und lange verteidigen, da er seine sämtlichen Schusswaffen bei sich hatte.
Im Morgengrauen würde er auf Nimmerwiedersehen aus dieser Gegend verschwinden. Falls alles gut ging. Denn für ein Weiterziehen in der Nacht waren die Schluchten und Felsformationen einfach zu unübersichtlich. Ein Verirren konnte fatal enden.
Der Scout rieb sein Pferd noch trocken, bevor er sich hinter einer günstigen Verteidigungsstelle verschanzte. Seine Verfolger hatten offensichtlich aufgegeben.
Kit hoffte inständig, dass Stewart nicht stärker angeschlagen war. Denn dann würde er spätestens im Morgengrauen dessen Lebensgefährten Antoine Clement auf den Fersen haben. Der war nicht nur ein hervorragender Trapper, sondern auch ein wahrer Bluthund.
In den folgenden Stunden, während seine Augen abwechselnd den Sternenhimmel und das Gelände musterten, erinnerte sich Kit Carson an seine erste Begegnung mit dem Baronet William Drummond Stewart und jene, die ihr noch gefolgt waren.
Begonnen hatte alles vor zehn Jahren. Im letzten Drittel des Jahres 1833. Mit einem nackten Mann.
In diesem Abschnitt wand sich der Green River durch buschig bewachsene Ufer. Umgestürzte Bäume an den Uferrändern ließen auf zahlreiche Biberfamilien schließen.
Bald hatte Kit Carson eine Stelle gefunden, die ihm für seine Fallen besonders geeignet erschien. Er watete in den Fluss hinein und begann mit seinem langen Messer im Flussbett zu graben. Eine Viertelstunde später war er fertig und beseitigte beim Verlassen der Stelle seine Spuren sorgfältig.
Er pirschte sich zu der Waldstelle vor, an der er das Lager errichtet hatte, doch bevor er die winzige Lichtung erreichte, stockte sein Schritt.
Seitlich schimmerte etliche Yard weiter etwas aus dem Buschwerk, das wie nackte Haut aussah. Wie ein Rücken, der ihm zugewandt war.
Kit sah sich nach allen Seiten um. Sonst war kein lebendes Wesen zu bemerken.
Ein rasselnder Atem setzte ein. Wer immer dort vorn im Gebüsch verborgen war, er hatte das Annähern des jungen Trappers noch nicht bemerkt.
Der blonde Mountain Man näherte sich dem Unbekannten. Dabei zog er seine Rappahannock-Holsterpistole. Die Sache war ihm unheimlich.
Ein letzter Rundblick, dass sonst niemand zu sehen war, und Kit räusperte sich. Er wollte den anderen nicht erschrecken.
Jäh fuhr die Gestalt hoch und schaute in seine Richtung. Kit durchfuhr ein gewaltiger Schreck.
Der junge Mann war gänzlich unbekleidet. Sein Körper war ausgezehrt und von Wunden der Wildnis übersät. An zahlreichen Stellen hatte sich Schorf gebildet, war zum Teil erneut aufgerissen worden und ein weiteres Mal eingetrocknet. Doch viele Stellen bluteten auch frisch.
Am schlimmsten war das Gesicht. Es war von Irrsinn gezeichnet. Um den Mund stand Schaum. Die Augen flackerten in einem unheimlichen Feuer. Dieser Mann war keinesfalls mehr Herr seiner Sinne.
„Ich tue dir nichts“, sagte Kit. „Bleib ruhig. Lass dir helfen.“
Minuten vergingen. Der andere zeigte keine Reaktion. Er starrte Kit ins Gesicht, doch schien dessen Anblick gar nicht in sein Bewusstsein zu dringen.
Der Sprung kam so überraschend, dass der junge Trapper weder schießen noch ausweichen konnte. Aus der Kehle des wilden Mannes erklang ein Kratzen, als wäre er seiner Stimme nicht mehr mächtig.
Kit wurde zu Boden gerissen. Der Nackte versuchte, ihn zu beißen, und bewegte sich dabei so schnell, dass der blonde Mountain Man sich seiner kaum noch erwehren konnte.
Ein Schuss fiel. Die Kugel durchschlug die Stirn des nackten Mannes und riss ihn von Kit weg.
„Ihm war nicht mehr zu helfen, Gelbhaar.“
Der hochgewachsene Indianer, der mit rauchender Büchse hinter einem Baumstamm hervortrat, mochte ein wenig älter als Kit sein und trug Schoschonenkleidung.
„In der Tat, Washakie“, stellte Kit fest, als er auf den reglosen Leib blickte. „Er wäre nie mehr zu retten gewesen. Ich war zu erschrocken, um richtig zu reagieren. Danke, dass du mir das Leben gerettet hast. Nicht zum ersten Mal.“
„Stell dir lieber nicht vor, was passiert wäre, wenn er dich gebissen hätte. Es genügt, ihn anzusehen, um zu wissen, wie es weitergegangen wäre.“
Der junge Trapper konnte seinen Blick tatsächlich nicht von der ausgezehrten toten Gestalt abwenden. Dann stutzte er.
„Kommt er dir nicht auch bekannt vor?“, fragte er seinen Freund.
Nun musterte auch Washakie das kurz zuvor noch von Irrsinn gezeichnete Antlitz. Im Tod schien es lang ersehnten Frieden gefunden zu haben.
„George Holmes“, sagte er. „Captain Stewarts Begleiter, als wir das jährliche Rendezvous der Trapper besucht haben. Ein junger Mann von außergewöhnlicher Schönheit. Jetzt ein ausgemergeltes Wrack ohne einen Rest menschlichen Verstandes. Nannten sie ihn nicht Beauty?“
Der Halbschoschone hatte das Wort Begleiter mit einer sonderbaren Betonung ausgesprochen.
Nach dem Rendezvous vor etlichen Wochen war wieder jeder Trapper oder Trupp seine eigenen Wege gegangen, zu seinen bevorzugten Herbst- und Winter-Jagdgebieten.
„Unser adeliger Schotte sollte erfahren, was aus George Holmes geworden ist“, ergänzte Kit. „Womöglich gibt es bei Stewarts Trupp mehrere Fälle von Tollwut, die dort noch gar nicht ausgebrochen sind.“
*
Sir William Drummond Stewart aus Schottland hatte 500 Dollar dafür bezahlt, um von St. Louis aus zum jährlichen Rendezvous der Trapper am Green River und wieder zurück geführt zu werden. Dazu hatte er sich im März des Jahres dem ursprünglich aus Irland stammenden Pelzhändler Robert Campbell angeschlossen, der mit seiner Truppe zum jährlichen Treffen der Mountain Men aufgebrochen war.
In den Folgemonaten war der schottische Adelige der unerschlossenen Wildnis fern jeder Zivilisation so sehr verfallen, dass er auf den Rückweg verzichtet hatte. Während die Handelspartner Robert Campbell und William Sublette bereits nach St. Louis zurückgekehrt waren, hatte Stewart sich stattdessen der Trappergesellschaft Jim Bridgers und Tom Fitzpatricks angeschlossen, die in der Region des Little Bighorn, des Powder und des Tongue River im späteren Montana und Wyoming auf reiche Ausbeute hoffen konnte.