Wicked Mafia Prince - Annika Martin - E-Book
SONDERANGEBOT

Wicked Mafia Prince E-Book

Annika Martin

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Drei Särge, ein leerer Thron, nichts als Lügen

Als Viktor Dragusha seine große Liebe auf einer Erotik-Website sieht, kann er es kaum glauben. Und doch genügt ein Blick in ihre Augen, um sich sicher zu sein, dass sich unter dem Nonnenkostüm seine Tanechka verbirgt. Nur wie kann das sein? Er selbst hatte sie vor vielen Jahren für ihren Verrat bestrafen und mit seinen eigenen Händen in den Tod schicken- müssen. Auch wenn er vor Schuldgefühlen beinahe umkam, als sich danach ihre Unschuld herausstellte. Seinen leiblichen Bruder wiederzufinden und mit ihm den Rest seiner Familie zu suchen, hat ihn zwar zurück ins Leben gerufen, konnte sein Herz aber nicht heilen. Doch jetzt ist Tanechka zurück, und Viktor wird alles tun, um sie nie wieder zu verlieren ...

"Sexy und düster! Dark Mafia Prince hat alles, um mich die ganze Nacht wach zu halten!" Molly O'Keefe

Band 2 der Dangerous-Royals-Reihe von New-York-Times-Bestseller-Autorin Annika Martin

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 360

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

TitelZu diesem Buch123456789101112131415161718192021222324252627DanksagungDie AutorinWeitere Bücher von Annika MartinImpressum

ANNIKA MARTIN

Wicked Mafia Prince

Ins Deutsche übertragen von Anita Nirschl

Zu diesem Buch

Drei Särge, ein leerer Thron, nichts als Lügen

Als Viktor Dragusha seine große Liebe auf einer Erotik-Website sieht, kann er es kaum glauben. Und doch genügt ihm ein Blick in ihre Augen, um sich sicher zu sein, dass sich unter dem Nonnenkostüm seine Tanechka verbirgt. Nur, wie kann das sein? Er selbst hatte sie vor vielen Jahren für ihren Verrat bestrafen – und mit seinen eigenen Händen in den Tod schicken – müssen. Auch wenn er vor Schuldgefühlen beinahe umkam, als sich danach ihre Unschuld herausstellte. Seinen leiblichen Bruder wiederzufinden und mit ihm den Rest seiner Familie zu suchen, hat ihn zwar zurück ins Leben gerufen, konnte sein Herz aber nicht heilen. Doch jetzt ist Tanechka zurück, und Viktor wird alles tun, um sie nie wieder zu verlieren …

1

Viktor

Die Mädchen bewegen sich in ihren Zimmern wie Tiere in Käfigen. Sie machen Sport, sie gehen auf und ab, sie hämmern gegen die Wände. Manche gestikulieren obszön in die Kameras. Andere geben sich umgänglich, vielleicht, weil sie glauben, das würde ihre Lage verbessern.

Ich bezweifle das sehr.

Auf die Jungfräulichkeit der Valhalla-Mädchen laufen insgesamt dreißig Feeds mit Auktionen. Ich verfolge sie auf neun Monitoren, die meisten davon sind noch einmal auf mehrere Bildschirme unterteilt. Ich habe sie in meiner neuen Wohnung auf Regalen vor dem Sofa aufgebaut, wie neun Fernseher.

Ich beobachte die Feeds nonstop, und während der wenigen Stunden, in denen ich schlafe, zeichne ich sie auf. Ich kann mir nicht erlauben, auch nur den kleinsten Hinweis zu übersehen. Mein Bruder und ich müssen herausfinden, wo sich dieser Ort befindet.

Der Laptop in der Mitte zeigt Tanechka, und nur Tanechka. Sie ist wie eine Nonne gekleidet. Sie wendet ihr Gesicht nie der Kamera zu, aber ich weiß, dass sie es ist. Ich werde moja Tanechka immer erkennen – meine Tanechka.

Unablässig betend. Tanechka wankt nie in ihrer zielgerichteten Konzentration. Sie scheint sich auf ein Heiligenbild zu konzentrieren, wie eine Nonne es tun würde. So eine unerbittliche Konzentration. So typisch Tanechka.

Die Nonnenverkleidung ist brillant. In den alten Tagen in Moskau hätten wir zusammen über so eine Verkleidung gelacht, sie genossen wie guten Wodka. Wenn ich mir das zu intensiv vorstelle, kommen mir die Tränen. Das ist okay. Der Schmerz fühlt sich gut an, denn der Schmerz verbindet mich mit ihr.

Schmerz war meine einzige Verbindung zu ihr in jenen dunklen Monaten, nachdem ich sie umgebracht hatte. Als ich ebenfalls sterben wollte.

Ich habe sie die steile Felswand der Darialschlucht hinuntergestürzt. Auf diese Weise haben meine Mafiabrüder und ich einige Verräter umgebracht, als wir dort im Süden mit den georgischen Gangs zusammengearbeitet haben. Die Tiere dort unten fraßen die Leichen und verstreuten ihre Knochen.

Das war vor zwei Jahren.

Und jetzt ist sie hier.

Meine Tanechka hat überlebt.

Ich kann den Sturm aus Freude und Ungläubigkeit gar nicht beschreiben, der in mir tobte, als ich sie zum ersten Mal auf dem Auktions-Feed sah. Sogar mit dem Rücken zur Kamera wusste ich, dass sie es ist.

Vor zwei Jahren hatte ich kein Vertrauen in sie. Ich hätte ihr glauben sollen, obwohl die ganze Welt und die Beweise mir etwas anderes sagten.

Jetzt habe ich eine zweite Chance bekommen, um sie zu kämpfen.

Ihr richtiger Name ist Tatiana, aber wir alle nennen sie Tanechka, und ich habe sie in die Schlucht gestürzt, und doch ist sie hier, außergewöhnlich wie eine Fackellilie. Ich werde ihr alles geben. Ich werde mein Innerstes nach außen kehren, um ihr meine Liebe, mein Schuldgefühl zu zeigen. Ich werde mir den Bauch aufschlitzen, wenn sie es will.

Für wen arbeitet sie jetzt? Was ist ihre Mission? Sie ist seit Wochen dort. Warum wartet sie? Wartet sie auf Unterstützung?

Was machst du, moja Tanechka?

Tanechka hat die Aufmerksamkeit vieler Bieter auf sich gezogen. Ihre Wange gleicht der eines Engels, und sie hat herrliches blondes Haar – es lugt unter dem schwarzen Kopftuch hervor, das sie unter dem Kinn verknotet hat, wie es die Nonnen in der Ukraine tragen. Zahlen auf dem Bildschirm unter ihrem Webcam-Feed zeigen das aktuellste Gebot. Der Betrag steigt täglich. Alle wollen die blonde Nonne haben, die nicht aufhört zu beten. Alle wollen ihr Gesicht sehen. Etwas Schönes zerstören.

Dreh dich um, Tanechka, denke ich.

Nicht dass ich eine Bestätigung bräuchte. Das hier ist niemand anderes als Tanechka.

Zu Hause in Moskau waren wir so tief miteinander verbunden, dass wir oft die gleichen Dinge dachten, und wenn nicht, dann reichte der geringste Hinweis, um die Gedanken des anderen lesen zu können. Menschen und Umgebungen konnten wir auf dieselbe Weise lesen.

Dreh dich um. Lass mich dein Gesicht sehen. Lass mich deine Augen sehen. Ich glaube, ich würde ihre Mission verstehen, wenn ich nur ihre Augen sehen könnte.

Aber nein, Tanechka bleibt mit ihrer unbeirrbaren Konzentration bei ihrem vorgetäuschten Gebet. Damals in Russland konnte sie ihren Blick stundenlang auf einen speziellen Hauseingang gerichtet halten, während sie auf ein Zeichen wartete, hindurchzugehen. Wie ein geschliffener Diamant war Tanechka. Sie konnte einen Hauseingang die ganze Nacht lang beobachten, wenn mir selbst schon lange die Augen zufielen.

Ich weiß nicht, warum sie eine Nonnentracht trägt und so tut, als wäre sie eine Gefangene, deren Jungfräulichkeit zu Gebot steht, ein hilfloses Opfer. Tanechka ist keine Jungfrau und kein Opfer, abgesehen davon, dass ich sie getötet habe.

Obwohl es so scheint, als wäre sie nicht einmal damals ein Opfer gewesen. Es sollte mich eigentlich nicht überraschen, dass sie überlebt hat.

Sie ist undercover im Valhalla, also muss sie vorhaben, das Bordell auszuheben. Diesen abscheulichen Ort auszuheben ist genau das, woran auch mein Bruder Aleksio und ich arbeiten.

Aber mit wem ist Tanechka dort? Ist sie zur selbst ernannten Rächerin geworden? Oder ist eine andere Gang darin verwickelt, und Tanechka kundschaftet die Sache aus? Seit sechs Wochen ist sie an diesem Ort, der Gebotsliste nach zu urteilen.

Tanechka hatte Sexsklaverei nie gutgeheißen. Sie hätte es gehasst, so lange an einem solchen Ort zu bleiben. Es ist wirklich eigenartig, dass sie bleibt.

Valhalla ist die Haupteinnahmequelle unseres Feindes Bloody Lazarus. Er leitet die mächtigste Verbrecherdynastie Chicagos – eine Dynastie, die meinen Brüdern und mir gestohlen wurde. Wir haben vor, uns einen Großteil davon zurückzuholen, aber wir wollen nichts mit einem Ort wie Valhalla zu tun haben. Wir werden es nicht nur vernichten – wir werden tief in seine Versorgungskanäle eingreifen und jeden vernichten, der je damit zu tun hatte. Wir werden dieses Übel mit der Wurzel ausreißen, damit es nie wieder nachwachsen kann.

Bei der M-1 Challenge, einer russischen Mixed-Martial-Arts-Wettkampfreihe, wissen die besten Kämpfer ihre Gegner mit Körpertreffern zu schwächen, bevor sie zum K. o.-Schlag ansetzen. Einnahmequellen wie das Valhalla-Bordell zu zerstören ist ein Körpertreffer für Bloody Lazarus. Sobald er getroffen ist, setzen wir zum K. o. an.

Lazarus hat dabei geholfen, meine Eltern zu töten und mich von meinen Brüdern zu trennen. Ich war noch keine zwei Jahre alt, als er dabei half, mich von meiner Familie in Chicago fortzureißen und mich in ein Moskauer Waisenhaus zu stecken.

Ich wuchs ohne jedes Wissen darüber, wer ich war, und mit nur vagen Erinnerungen an mein Leben in Amerika auf. Ich dachte, sie wären nur Träume, diese Erinnerungen.

Mein älterer Bruder Aleksio hat mich erst letztes Jahr wiedergefunden. Kiro, unser kleiner Bruder – malenkij brat –ist immer noch da draußen, verloren. In Gefahr.

Ich konzentriere mich wieder auf Tanechka.

Um Valhalla zu vernichten, müssen wir es erst einmal finden. Meine Rolle ist es, mich als Kunde auszugeben, als Mann, der auf diese armen, gefangenen Mädchen bietet. Aleksio und ich haben beschlossen, dass ich eine der unbedeutenden Auktionen gewinnen soll. Wir haben uns ein dürres Mädchen ausgesucht, Nikki, auf das ich biete.

Wenn man bei Valhalla eine Auktion gewinnt, wird man mit verbundenen Augen hingebracht, um seinen Gewinn in Anspruch zu nehmen. Manche sagen, dass Valhalla nicht einmal in diesem Bundesstaat liegt, dass man dort hingeflogen wird, aber Aleksio und ich glauben, dass es hier in Chicago ist.

Valhalla hat ständig dreißig Auktionen am Laufen. Unter dem aktuellen Gebot gibt es einen Feed, auf dem man die Nachrichten lesen kann, die die Männer an die Laptops in den Zimmern der Mädchen schicken. Manche Mädchen schreiben in schlechtem Englisch zurück. Manche scheinen sogar ihr Englisch durch diese Unterhaltungen zu üben. Manche ignorieren die Nachrichten.

Tanechka ignoriert sie, aber sie sieht sie. Sie sind direkt in ihrem Blickfeld.

Sie spricht fließend Englisch. So haben wir uns kennengelernt. Tanechka und ich wurden wegen unserer Englischkenntnisse von der Führerschaft der Bratwa, den Anführern unserer Mafiagang, ausgewählt. Wir hatten als Killer zu arbeiten, wobei wir uns oft als Amerikaner ausgeben mussten. Wann immer wir zusammen waren, sprachen wir Englisch miteinander, oder Französisch. Ständig übten, schärften wir unsere Fähigkeiten.

Wir waren zwei strebsame Killer, Tanechka und ich.

Wenn ich doch nur ihr Gesicht sehen könnte, dann würde ich wissen, was sie im Valhalla tut und ob sie irgendetwas braucht.

Ich würde es nicht wagen, ihr eine Nachricht zu senden. Es gibt nichts Gefährlicheres, als wenn jemand versucht, dir bei einer Undercover-Mission zu helfen, wenn du keine Hilfe willst oder brauchst.

So schwer es auch fallen mag, aber sich einfach um seine eigenen Geschäfte zu kümmern ist die beste Hilfe, die man einem Undercoveragenten anbieten kann.

Also warte ich. Beobachte. Aber ein einziges Wort von ihr, ein einziges Zeichen, dass sie in Gefahr ist, und ich werde versuchen, schneller dort zu sein. Ich muss nur wissen, wo es ist.

Also halte ich nach Hinweisen Ausschau.

Meine falsche Identität für das Bieten auf Nikki ist Peter, ein deutscher Software-Ingenieur. Die Auktion endet in fünf Tagen, und Peter wird sie mühelos gewinnen, weil nur wenige dieses junge Mädchen wollen. Deshalb eignet sich Nikki perfekt als unsere Infiltrationsstelle.

Nikki ist im Keller untergebracht. Das weiß ich, weil ich Pläne der mutmaßlichen Aufenthaltsorte der Frauen erstellt habe, indem ich ihre Augenbewegungen verfolgt habe. Ich kann sagen, wann es laute Geräusche gibt, und dann verfolge ich die Richtung ihrer Blicke, um ihre Positionen herauszufinden. Die Server befinden sich wahrscheinlich im Keller.

Die Betreiber von Valhalla zwingen Nikki, das weiße Kleidchen eines kleinen Mädchens zu tragen. Sie wird als Jungfrau angeboten. Vielleicht ist sie das auch. Aber sie ist nicht so unschuldig. Jedes Raubtier könnte erkennen, dass sie selbst ein Raubtier ist; einhundert Prozent Ganovin. Sie würde einen Mann in Stücke reißen. Selbst gefesselt würde sie eine Möglichkeit finden. Sie würde einem den Schwanz abbeißen, denke ich.

Tanechka könnte sogar noch Schlimmeres als das tun, aber sie bleibt perfekt in ihrer Rolle, kniend vor ihrem Bett. Die Gebote für die Nonne, die ununterbrochen betet, gehen durch die Decke, wie die Amerikaner sagen. In den hohen sechsstelligen Bereich. Vielleicht erreichen sie eine Million. Ihre Auktion endet in drei Wochen.

Was machst du, Tanechka? Wie kommt es, dass du noch lebst?

Mein Ziel ist es, diesen Laden von innen heraus zu zerstören, noch bevor Tanechkas Auktion endet. Ich habe sie damals nicht beschützt. Jetzt habe ich eine zweite Chance bekommen.

Der Plan: Ich gehe als Peter, der Software-Ingenieur, zu Nikkis Zimmer. Sie versprechen, die Kamera auszuschalten, wenn ein Kunde kommt, um seinen Gewinn einzufordern. Ich werde natürlich sicherstellen, dass das gemacht wird.

Ich werde sie nicht vögeln. Ich muss nur zu den Servern kommen, um die Spyware zu installieren. Wir haben entschieden, dass ich verlangen werde, man solle Nikki für mich fesseln und knebeln, damit ich es nicht selbst tun muss. Das wird Zeit sparen. Ich werde Nikki überreden, ihnen zu erzählen, ich hätte sie gevögelt. Wir hoffen, dass sie dankbar genug sein wird, im Austausch gegen ihre spätere Freiheit kooperativ zu sein.

Es ist schwer, zu warten.

Ich zwinge mich, aufzustehen. Den ganzen Tag auf der Couch zu sitzen ist nicht gut. Ich trage den Pizzakarton von gestern Abend und ein paar Gläser in die Küche, wo ich auch einen Monitor habe, auf dem der Tanechka-Feed läuft.

Ich sollte sauber machen. Wenn das hier vorbei ist, werde ich Tanechka herbringen, und sie mochte es immer hell und sauber. Sie liebte Sonnenblumen und Margeriten und indirekte Beleuchtung durch Stehlampen – niemals Deckenlampen; nur Stehlampen.

Tanechka friert leicht. Damals zu Hause konnten wir nie genug warme Quilts und Felldecken haben. Sie mochte bequeme Hausschuhe. Zottelige Teppiche. Draußen im Einsatz war sie eine so unerbittliche Soldatin, die sich nie beschwerte; es war, als hebe sie sich ihr wärmesuchendes, komfortliebendes Ich für später auf.

Wieder zurück im Wohnzimmer mustere ich sie. Ab und zu neigen die Mädchen die Köpfe zur Seite oder ändern ihre Blickrichtung als Reaktion auf ein Geräusch. Einen Schrei. Einen lauten Ton.

Nur Tanechka bleibt reglos. Sie gibt der Kamera nichts.

So oft habe ich mir vorgestellt, diesen Ort zu finden und hineinzustürmen. Ich stelle mir vor, zu Tanechkas Bett zu gehen. Ich würde sie hochziehen und ihr sagen, dass sie sich jetzt ausruhen kann, dass ich alles für sie tun werde. Was würde sie tun? Ich kannte sie so gut, als wir zusammen waren, aber seitdem sind zwei Jahre vergangen. Mehr noch, der Mann, den sie liebte und dem sie von ganzem Herzen vertraute, hat sie in die Darialschlucht gestoßen.

Ich gehe um die Couch herum und betrachte die Bildschirme.

Ich zeichne alles auf, aber es dauert so viele Stunden, das Material anzusehen, dass ich so viel wie möglich live beobachte. Ich achte auf alles Mögliche. Eine Hand mit einem verräterischen Ring, die ins Blickfeld kommt. Eine Spiegelung in Gläsern, die ich durch die Gesichtserkennung jagen kann.

Ich muss alles wissen.

Während ich beobachte, schnappe ich mir eine Hantel. Armcurls sind gut, um wach zu bleiben.

Als ich das Klopfen an meiner Tür höre, zucke ich zusammen. Yuri. Mein bester Freund, einer der Männer, die ich aus Russland mitgebracht habe. Ich habe ihn in letzter Zeit oft vertröstet. War immer zu beschäftigt, ihn zu treffen. Jetzt ist er hier. Ich mache Tanechkas Bildschirm aus. Ich darf ihn das nicht sehen lassen. Er wird mich für verrückt halten, weil ich glaube, dass das Tanechka ist.

Schlimmer, er wird es meinem Bruder Aleksio sagen, und dann würden sie mich von dieser Mission abziehen. Schließlich würde ich dasselbe tun, wenn ich sie wäre.

»Komm rein«, sage ich.

Er kommt rein und spricht mich auf Russisch an. »Was machst du?«

Ich deute auf die Hantel.

»Hast du dein Handy aus oder was? Du gehst nicht ran.«

Ich nehme mein Handy und sehe, dass der Akku leer ist. Ich stecke es ans Ladekabel.

»Tschto eto …« Er deutet auf die Monitore. Er will wissen, was es damit auf sich hat.

»Vorbereitung«, antworte ich. »Um herauszufinden, wie die Räume zueinander liegen. Ich bin mir inzwischen sicher, dass Nikkis Zimmer in der Mitte des Kellers liegt.« Ich zeige ihm meinen Plan, die Lücke, von der ich glaube, dass sich dort der Serverschrank befindet.

»Na, du siehst jedenfalls verdammt scheiße aus.« Bei »verdammt scheiße« wechselt er ins Englische. Er spricht jetzt immer häufiger Englisch. Ich blinzle, als er die Vorhänge aufmacht. »Aleksio will wissen, warum du das Treffen verpasst hast.«

»Ich bereite mich drauf vor, Software-Ingenieur Peter zu sein.« Unauffällig schiebe ich Tanechkas Laptop zu den anderen, damit Yuri nicht denkt, er sei etwas Besonderes. »Ich hab die Monitore so aufgestellt, wie ich glaube, dass sie sich im Gebäude befinden.«

»Mmm.« Yuri kommt herum und schaut sie sich an. Auf Russisch sagt er: »Das ist eine einfache Infiltration. Brauchst du da so einen genauen Grundriss?«

Er weiß, dass ich das nicht brauche. Mein Job ist simpel: Spyware auf den Server spielen. Wenn ich das nicht kann, muss ich an einen der Computer der Mädchen kommen. Ich wische die Frage beiseite. »Ich hoffe auf einen Hinweis darauf, wo sich dieser Ort befindet …«

»Das werden wir wissen, wenn du dort bist«, erwidert Yuri.

»Besser, es schon vorher zu wissen.«

Er runzelt die Stirn. »Findet Aleksio auch, dass die Zeit so am besten genutzt ist?«

»Was willst du damit sagen?« Ich klinge streitsüchtig. Unvernünftig.

Er kommt näher. »Tschto eto?«, fragt er noch einmal.

Trotzig schnappe ich mir eine Wodkaflasche. Beluga, unsere Lieblingsmarke. »Ein Pfadfinder ist allzeit bereit.« Yuri liebt diese amerikanischen Phrasen. Als mir wieder einfällt, dass es erst vormittags ist, stelle ich die Flasche wieder hin.

»Nein, irgendwas stimmt nicht.« Yuri mustert die Monitore. Ich merke es sofort, als er den Laptop mit dem dunklen Bildschirm ins Auge fasst. Sein Blick geht von mir zu dem Bildschirm und wieder zurück. Er will wissen, was er sehen würde, wenn er ihn einschaltet. Die Frage ist, will er es dringend genug, um mir die Stirn zu bieten?

Als er sich in Bewegung setzt, halte ich ihn zurück. »Ist das meine Operation oder deine?«

»Was ist auf dem dunklen Bildschirm?«

»Idi na chuj«, antworte ich. »Fick dich« bedeutet das auf Russisch. »Du bist hier nicht bei dir zu Hause.«

»Tschto eto?«

»Ich brauche dir gar nichts zu erklären.«

Yuri ist schnell für so einen großen Mann, und er hat in letzter Zeit genug Schlaf bekommen, im Gegensatz zu mir. Es ist also keine Überraschung, dass er es, kaum dass ich ihn loslasse, zum Monitor schafft und ihn einschaltet. Ich kann ihn nicht aufhalten.

»Eine Nonne.« Er mustert mich argwöhnisch.

»Zufrieden?« Ich setze mich wieder. »Das widert mich an. Ihre Jungfräulichkeit zu versteigern.«

»Nonnen sind dir doch scheißegal.«

»Sonst noch was?«, will ich wissen.

»Nein …« Er dreht sich wieder zum Bildschirm um. Und dann sieht er es. »Moment mal«, flüstert er. »Moment mal …«

»Was jetzt? Bist du aus einem bestimmten Grund hergekommen oder …«

»Ihr Haar.«

Mein Herz hämmert. Sieht er es? »Was?«

»Ihre Haare. Die Wange.« Geschockt dreht er sich zu mir um. »Sie erinnert dich an sie. Deshalb siehst du sie dir an?«

»Schau ganz genau hin, brat«, sage ich. Er ist nicht mein brat – mein Bruder –, nicht mein leiblicher, aber er ist auf jede andere Weise mein Bruder. Wir sind zusammen im selben Waisenhaus in Moskau aufgewachsen, bevor die Männer der Bratwa uns geholt und ausgebildet haben.

Wieder sieht er hin. Wie kann es sein, dass er sie nicht erkennt? Es macht mich verrückt. Ich lege einen Arm um seine Schulter. »Siehst du es denn nicht? Schau hin, Yuri. Schau genauer hin.«

Stattdessen mustert er meine Augen. »Was?«

»Schau sie dir an!«

Er schaut sie an.

»Siehst du es?«, will ich wissen.

»Was?«

»Das ist sie.«

Er dreht sich zu mir um.

»Du sollst sie ansehen, nicht mich!«

»Das ist unmöglich, Viktor.«

»Sie ist es.«

»Hast du eine Aufnahme von ihr? Von ihrem Gesicht?«

»Nein.« Ich lasse ihn los und knie mich vor den Bildschirm. »Sie dreht sich nie um.«

»Du hast noch nicht mal ihr Gesicht gesehen?«

»Das brauche ich nicht. Sie ist es. Es ist ihr Körper. Ihre Art, sich zu bewegen. Schau hin.«

Er sieht sie nicht an. Er sieht mich an – traurig. »Sie kann es nicht sein, staryj drug.« Staryj drug – alter Freund, nennt er mich. »Das weißt du.«

»Ich weiß, was du denkst, aber das ist sie. Denkst du, ich würde sie nicht wiedererkennen? Zwanzig Stunden am Tag betet sie so. Aber ich glaube nicht, dass sie betet; sie meditiert. Weißt du noch, wie Tanechka das immer getan hat? Sie konzentrierte ihren Verstand hartnäckig auf einen Punkt, bevor sie jemanden umlegte. Tanechkas vollkommene eiskalte Ruhe. Schau dir an, wie sie die Hände hält. Siehst du es? Ich glaube, sie macht eine Art isometrische Übung, getarnt als Beten …«

Er packt mich am Hemdkragen und zieht mich vom Bildschirm fort. »Hör dir doch selbst mal zu!« Ich versuche, ihn wegzustoßen, aber er ist zu stark, zu wütend. Er schiebt mich zum Sofa, das Gesicht dicht vor meinem. »Hörst du, was du da sagst?«

»Das ist sie. Du kennst sie nicht so wie ich. Sie ist es.«

»Tanechka ist tot. Du hast sie umgebracht. Du hast sie in die Darialschlucht gestoßen.«

»Wir haben die Leiche nie gesehen.«

»Die Darialschlucht, Viktor! Sie kann nicht am Leben sein.«

»Sie ist es.« Ich stoße ihn von mir.

»Was stellst du dir vor, dass sie da macht? Ist sie dort, um das Bordell auszuheben?«

»Ich weiß es nicht«, antworte ich. »Wahrscheinlich.«

»Denk nach. Wenn Tanechka das Ding ausheben wollte, dann würde sie es tun. Sie hat dort Zugang zu einem Computer. Tanechka könnte fünf verschiedene Waffen aus einem Computer machen. Sie würde nicht knien und beten. Tanechka kniet vor niemandem!«

Ich stehe da und starre ihn finster an. Ich bin sicher, er wollte dieses Bild nicht in meinem Kopf heraufbeschwören, aber da ist es: Tanechka, große, blaue Augen, Haar wie Sonnenschein, leichte Sommersprossen auf dem Gesicht, wie sie vor mir kniet und zu mir hochschaut, hungrig nach meinem Schwanz.

Ich schlucke und reiße mich zusammen. »Vielleicht wartet sie auf jemanden, auf den sie angesetzt wurde. Vielleicht sogar Bloody Lazarus. Sie hat gern ihr Aussehen ausgenutzt. Weißt du noch, wie sie das getan hat? Erinnerst du dich noch an ihr weißes Kleid und die hohen Stiefel? Diese Kleider, die sie für die ausgefallenen Jobs getragen hat?«

»Brat«, sagt Yuri traurig.

»Sie ist es. Du hast sie nicht beobachtet.«

Er zeigt auf den Laptop. »Dann schreib ihr eine Nachricht.«

»Eine Nachricht«, spucke ich aus. »Sie ist undercover. Da könnte ich ihr genauso gut eine Kugel in den Kopf jagen.«

»Oder eine Nachricht könnte beweisen, dass sie es nicht ist.«

»Ich werde sie nicht in Gefahr bringen. Bitte mich das nicht noch mal.«

»Ihr hattet doch diese Codes untereinander. Wie war dieser eine noch mal – ›Kaffee mit zehn Stück Zucker‹ –, der hieß ›hast du einen Notfall?‹ Versuch’s mit dem.«

»Bist du verrückt?«

»Das zu sagen ist nicht so merkwürdig. Auf die Weise kannst du testen, ob es Tanechka ist.«

»Das ist Tanechka.«

Der Ausdruck, der jetzt über Yuris Gesicht huscht, gefällt mir nicht. Sorge.

»Du brauchst mir nicht zu glauben«, sage ich. »Finde es selbst raus. Du hast sie gekannt. Komm. Setz dich. Beobachte sie. Dann wirst du es sehen.«

»Bljad!« Verärgert setzt er sich neben mich. »Das ist doch irre.«

»Sieh dir an, wie sie atmet. Weißt du noch, wie Tanechka das getan hat? Mit langen Pausen zwischen den Atemzügen? Und dann dieses Heben der Schultern.«

»Du siehst Gespenster.«

Wir beobachten schweigend.

»Du siehst diese Frau mit deinen Augen, aber ich sehe sie mit meinem Herzen«, sage ich. »Eine höhere Form des Wissens. Es gibt Formen des Wissens, die wir nicht erklären können, glaube ich. Aber ich weiß es, ich weiß es …« Hier verliere ich den Faden meiner Gedanken.

»Viktor.«

»Wenn sie sich nur umdrehen würde, dann würdest du es sehen.«

Er seufzt. Seine Aufmerksamkeit wandert zu den anderen Frauen in ihren Gefängnissen. Er zeigt auf Nikki. »Die da ist deine?«

»Ja. Sie schläft nur.«

»Sie sieht aus wie ein bednjaschka aus einem kleinen Dorf. Wie heißt das auf Englisch?«

Ich zucke die Schultern.

Er sucht auf seinem iPhone nach der Übersetzung. »Lumpenkind«, sagt er. »Nikki sieht aus wie ein armes Lumpenkind aus einem kleinen Dorf.«

»Kann sein.«

Nach langem Schweigen sagt er: »Das ist nicht Tanechka. Du siehst sie nicht mit deinem Herzen. Du siehst sie mit deinen Schuldgefühlen.«

Ich zucke die Schultern. »Du wirst schon sehen.«

»Viktor –« Er legt mir eine Hand in den Nacken und zwingt mich dazu, mich zu ihm umzudrehen. »Das ist ein Geist, der hier ist, um dir zu sagen, dass du dir vergeben musst, was du getan hast. Du hattest keine andere Wahl.«

»Wenn ich Tanechka wirklich geliebt und ihr vertraut hätte, dann hätte ich für sie gekämpft. Ihr geglaubt.«

»Dann wärst du auch gestorben.«

»Such keine Entschuldigungen für mich.«

»Bljad!«, sagt er plötzlich.

»Was?« Ich reiße meinen Blick von Tanechka los.

Er zeigt auf die Vorhänge. Sonnenblumenvorhänge. »Bljad, Viktor!« Er steht auf und geht überall herum, um sich die Möbel anzusehen. Dann nimmt er eine flauschige Decke und schleudert sie durchs Zimmer, wobei er eine Vase umschmeißt.

Ich drehe mich um, um währenddessen Tanechka beim Beten zu beobachten, stark und unverrückbar wie ein Berg. Manchmal frage ich mich, ob sie mich spürt.

»Du baust ein Nest für sie.«

»Ich möchte, dass es schön ist, wenn ich sie herbringe.«

Er geht zum Schrank, und ich seufze, weil ich weiß, was er dort finden wird. Trotzdem zucke ich zusammen, als er mit der weißen Lederjacke in der Hand zurückkommt. Sie ist haargenau so wie die, die sie immer getragen hat, wenn sie nicht versuchte, jemand anderes zu sein. Das Tanechka-Markenzeichen. Er schleudert sie mir zu.

Mit trotzigem Blick fange ich sie auf. »Sie ist es.« Ich knete ihre Jacke in den Händen, weil ich sie mir an die Brust drücken möchte, aber nicht vor ihm. Ich wünsche mir sehr, er würde sich für mich freuen.

Ich bin einfach so müde.

»Brat«, sagt er sanft. Er kommt her und setzt sich neben mich.

Ich schließe die Augen, immer noch die Jacke in der Hand, und im Geiste blitzt Tanechkas Gesichtsausdruck vor mir auf – die Überraschung, der Schock, das Entsetzen –, als ich sie in die dunkle Schlucht stürzte. Sogar die tapfere Tanechka hatte Angst vor dem Tod. Sie streckte die Hände nach mir aus, selbst noch, als sie über die Kante stürzte, mit wildem Blick griff sie nach meinen Armen, nichts als pfeifender, kalter Wind unter ihr.

Ich höre, wie er den Deckel von der Flasche schraubt.

»Es ist erst Vormittag«, sage ich.

»Nicht für dich, denke ich.« Er trinkt und reicht mir die Flasche. Er ist ein guter Freund, dieser Yuri. Ich nehme sie und trinke. Gemeinsam beobachten wir Tanechka.

»Ich habe nicht genug an unsere Liebe geglaubt«, sage ich. »Ich habe nicht genug an sie geglaubt.«

»Wir dachten, sie hätte unsere Gang verraten. Unsere Familie. So viele Beweise.«

»Beweise.«

»Tanechka spielte ein riskantes Spiel. Du sagst, du hättest nicht genug an sie geglaubt, aber sie hätte genug Vertrauen in dich haben sollen, um dir von der gefährlichen Sache zu erzählen, die sie da getrieben hat. Sie hat dich verraten, indem sie dir ihren Plan nicht anvertraut hat. Sie hätte dir vertrauen sollen.«

Ich schüttle den Kopf. »Ich hätte versucht, sie aufzuhalten.«

»Sie hätte Vertrauen in ihre eigene Gang haben sollen, in ihre eigene Familie.«

»Sag ja nicht, sie hätte sich das selbst eingebrockt«, knurre ich.

Yuri schnaubt.

Genau diesen Streit hatten wir schon so oft in diesen dunklen Monaten, nachdem ich sie umgebracht hatte. Ich in meinem Zimmer, betrunken. Nur wegen Yuri habe ich mich nicht selbst auch in die Schlucht gestürzt. Ein paar Monate später reisten wir wieder zurück nach Moskau. Alles wurde nur noch schlimmer.

»Du hättest nicht anders handeln können!«

Ich ziehe die Jacke an meine Brust. »Ich hätte ihr glauben sollen.«

»Du hast sie sehr geliebt.«

»Diesmal werde ich sie nicht enttäuschen«, sage ich. »Was auch immer sie von mir braucht, bekommt sie. Meine Ehre, meinen Körper, mein Blut.«

Yuri antwortet nicht. Er legt mir einfach nur eine Hand auf die Schulter.

»Wie ein Wunder«, sage ich.

»So viele Bildschirme. Da ist eine Menge zu beobachten.«

Ich seufze, fühle mich so verdammt müde. Ich bin froh, dass ich es ihm gesagt habe. Manchmal habe ich mich so kaputt und überfordert gefühlt, während ich mich bemüht habe, bei den Feeds auf dem Laufenden zu bleiben. Allein mit dieser Neuigkeit.

»Du suchst nach Hinweisen darauf, wo sie ist, weil du in der Lage sein willst, zu ihr zu kommen, falls etwas passiert.«

Er hat natürlich recht. »Da.«

»Du zeichnest ihn auf, aber wenn du den aufgezeichneten Feed ansiehst, versäumst du ihn live. Das muss schwer sein.«

Ich nicke. »Da.«

»Willst du, dass ich übernehme?«

Argwöhnisch mustere ich ihn. »Du glaubst doch nicht mal, dass sie es ist.«

Wieder legt er mir die Hand auf die Schulter. »Lass mich ihn für dich beobachten.«

»Das würdest du für mich tun?«

»Imenno. Ruh deine Augen aus. Ich sehe es mir an.«

Ich zeige ihm, wie ich alles eingerichtet habe. Wenn er irgendetwas sieht, soll er die Zeit auf dem Bildschirm notieren oder zurückspulen und einen Mitschnitt machen. Er weiß, wie man so was macht. Er weiß, wie man einen Hinweis erkennt. Aus übernächtigen Augen sehe ich ihm zu, wie er vom Sofa aufsteht. »Wo gehst du hin?«

Er nimmt eine von Tanechkas Felldecken und deckt mich damit zu, dann setzt er sich wieder. Ich schließe die Lider. »Lass die Bildschirme nicht aus den Augen«, warne ich ihn.

»Werde ich nicht«, erwidert er.

Mit geschlossenen Augen schmiege ich die Wange in den weichen Pelz. Beinahe kann ich mir vorstellen, dass sie hier ist und leise zu mir spricht. Sie ist so nah. Betend auf der anderen Seite einer Kamera irgendwo in dieser Stadt, oder zumindest in dieser Welt. Die Welt hat sie noch. Mein Herz hämmert, wenn ich daran denke.

2

Aleksio

Ich simse Viktor, bekomme aber keine Antwort. Eine Stunde. Zwei Stunden. Drei Stunden. Nichts. Mit dieser schweigsamen Scheiße komme ich nicht besonders gut klar.

Ich rede mir ein, dass alles in Ordnung ist, dass ich nicht ausflippen soll, weil er nicht zurückschreibt. Er ist nur vertieft in seine Mission, das ist alles.

Ich sage mir, dass ich es einfach gewohnt bin, rund um die Uhr mit ihm zusammen zu sein.

Es ist einfach so, dass er mir fehlt. Er ist mein verdammter Bruder, und ich kenne ihn erst seit einem Jahr.

Als ich Viktor letztes Jahr fand, ihm in dieser düsteren Werkstatt in Moskau von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand und sofort dieses Band der Liebe spürte, war das eine der verdammt noch mal besten Erfahrungen meines Lebens.

Ich drückte ihn an mich – es war mir scheißegal, dass die härtesten Arschlöcher der Bratwa überall um uns herumstanden, bis an die Zähne bewaffnet und misstrauisch gegenüber diesem verrückten Amerikaner, der da in ihr Reich spaziert kam.

Also ja, Viktor und ich waren seitdem ununterbrochen zusammen.

Und es gefällt mir nicht, wenn wir voneinander abgeschnitten sind. All die Jahre dachte ich, meine Brüder wären genau wie meine Eltern brutal ermordet worden – ihn lebend zu finden, hat mein Leben verändert.

Er braucht Freiraum, das verstehe ich.

Ich muss wissen, dass es ihm gutgeht. Er wirkt … zu besessen. Ja, es ist gut, dass er in dieser Mission aufgeht – Valhalla auszuheben wird Bloody Lazarus schwächen und ablenken. Aber irgendetwas stimmt nicht.

Er ist mein Bruder. Also interessiert mich solche Scheiße, verdammt.

Er spricht erstaunlich gut Englisch, aber ab und zu fällt er ins Russische. Brat nennt er mich. Das liebe ich.

Wenn wir über Kiro reden, benutzt er das Wort bratik, was kleiner Bruder zu bedeuten scheint. Oder Baby-Bruder. Denn das ist Kiro. Er wurde verschleppt, als er erst elf Monate alt war. Von Scheiß-Lazarus und dessen Boss.

Kiro ist immer noch irgendwo da draußen. Wahrscheinlich weiß er nicht mal, dass es uns gibt. Mit jeder verstreichenden Sekunde, in der wir ihn nicht finden, ist er in größerer Gefahr.

Bloody Lazarus will ihn töten. Muss ihn töten.

Wieder simse ich Viktor. Noch immer keine Reaktion.

Natürlich ist es gut, dass er eine eigene Wohnung hat. Gut für Mira und mich, ein wenig Privatsphäre zu haben. Und er knüpft wichtige Kontakte mit der amerikanischen Russenmafia. Diese Verbindung ist Teil unseres Plans, Bloody Lazarus zu vernichten, den Mann, der vor all diesen Jahren dabei half, unsere Eltern zu ermorden und uns Brüder an die entgegengesetzten Enden der Welt zu schicken.

Bloody Lazarus, der das Imperium kontrolliert, das rechtmäßig uns gehört.

Bloody Lazarus, der ebenso besessen auf der Suche nach unserem kleinen Bruder Kiro ist wie wir.

Mira ruft mich von der hinteren Veranda. Als ich hinausgehe, finde ich sie in der Hängematte, die wir aufgehängt haben. Wir leben dieses geheime, brave Vorstadtleben, und es ist verdammt fantastisch und eigenartig wohltuend.

»Irgendwas gehört?«, fragt sie.

»Ich warte immer noch. Aaaalso …«

Sie kreischt, als ich zu ihr in die Hängematte klettere. Aber ich kippe uns nicht um. Ich passe perfekt rein. Mir kommen ein paar gewisse, alles andere als brave Ideen, aber sie möchte lesen. Das ist okay für mich. Also liege ich einfach nur da.

Mein Handy macht Pling. Eine SMS. Ich lese sie. Eine Spur zu dem Kerl, der Kiro haben könnte. Meine ganze Stimmung hebt sich. »Scheiße, ja.«

Mira mustert mein Gesicht. »Ist es das, was ich denke?«

»Könnte sein.«

»Aleksio!«

Ich lächle. »Es ist nicht sicher – es ist nur eine Spur –, aber …«

Sie küsst mich.

Ich rufe den Privatdetektiv an.

Ich habe Kiro nicht mehr gesehen seit der Nacht, in der unsere Eltern in dem Kinderzimmer ermordet wurden, in dem meine Brüder und ich einst gespielt haben. Ein alter Auftragskiller hatte mich in einer dunklen Nische versteckt, als es passierte. Er hielt mich dort fest, die Hand über meinem Mund, mit Armen wie aus Stahl.

Der kleine Kiro weinte, als es passierte, und wedelte mit seinen dicken Ärmchen, während das Blut aus den Hälsen unserer Eltern spritzte. Viktor war auch da, ein schreiendes Kleinkind. Bloody Lazarus und sein Boss nahmen beide mit. Ich war erst neun.

Viktor und ich haben erst letzten Monat erfahren, dass Kiro danach adoptiert wurde. Als sein Stück Scheiße von einem Adoptivvater nicht mit ihm zurechtkam, setzte er ihn in der Wildnis aus. Mit acht Jahren. Und nicht nur in irgendeiner Wildnis – sondern im verdammten Boundary-Waters-Kanurevier, eine ausgedehnte Fläche unbewohnten Territoriums, das sich vom nördlichen Minnesota bis nach Kanada erstreckt.

Nach allem, was wir zusammentragen konnten, lebte unser Bruder wild, bis er mit achtzehn halb tot und mit einer Verletzung am Bein aufgefunden und in ein Krankenhaus gebracht wurde. Völlig verwildert. Seine Fußsohlen so hart wie Leder.

Es dauerte nicht lange, bis die Gerüchte losgingen – ein gut aussehender junger Mann, völlig verwildert. Die Medien strömten scharenweise in die Gegend, nach Fotos geifernd. Immer aggressiver, rasender. Wilder Adonis nannten sie ihn. Arschlöcher.

Und dann wurde die ganze Sache eingestellt, und Kiro verschwand. Die Behörden dort oben erzählten allen, es wäre ein Hoax gewesen.

Aber wir wissen etwas anderes. Wir glauben, dass er entführt wurde.

Wir haben Fotos von dem Mann, der ihn wahrscheinlich mitnahm, und unser Schnüffler hat sie durch jede nur mögliche Datenbank gejagt. Es war eine Sackgasse. Das war unsere einzige Spur.

Wir waren entmutigt.

Aber der Mann, der Kiro aus dem Krankenhaus entführt hatte, hatte sich als Professor ausgegeben – das brachte unseren Schnüffler dazu, sich zu fragen, ob der Kerl in der Vergangenheit ein Professor gewesen war. Er nahm das Geld, mit dem ich ihn zuschüttete, und heuerte ein Team Männer an, die persönlich jedes College und jede Universität im mittleren Westen aufsuchten und das Foto herumzeigten. Das waren eine Menge Arbeitsstunden.

Übers Handy sagt mir mein Schnüffler, dass es sich ausgezahlt hat. Ein Name. Ein Ort. Das bekommt man, wenn man unbegrenzte Mittel zur Verfügung hat.

Ich simse ein paar Jungs, dass sie sich bei Viktor mit mir treffen sollen. Ich kann es kaum erwarten, ihnen die Neuigkeit zu erzählen. Wir werden diesen falschen Professor finden. Und mit ihm vielleicht Kiro.

Es ist Mittag, als mein bester Mann Tito und ich in Viktors Gegend im Nordwesten von Chicago kommen, eine versteckte Insel, die reines Russenmafia-Territorium ist. Wir parken ein gutes Stück entfernt, nur als Vorsichtsmaßnahme. Mein Knöchel schmerzt immer noch von einer Verletzung vor ein paar Wochen, aber ich kann laufen. Rennen, wenn es sein muss.

Man könnte meinen, man ist in Russland, wenn man die Straße entlanggeht, das Essen riecht, die Unterhaltungen hört. Wir finden Mischa, einen von Viktors Jungs, auf den Stufen seines Hauseingangs ein paar Häuser weiter, und er grüßt die Leute um ihn herum in seiner Muttersprache.

Die Menschen stehen sich hier nahe, und überall sind Augen. Wären wir Cops oder Schläger von Bloody Lazarus’ Gang, dann wäre die ganze Nachbarschaft alarmiert.

Wir kommen zu Viktors Eigentumswohnung in einem Reihenhaus aus braunem Sandstein und klopfen an. Yuri macht die Tür auf und hält einen Finger an die Lippen. »Pssst.«

Er führt uns ins Wohnzimmer, wo Viktor weggetreten auf der Couch liegt, eine Flasche im Arm. Statt eines Beistelltisches vor der Couch steht dort eine Wand aus Bildschirmen auf einem Bücherregal.

»Was zum Teufel ist das hier?«

Wieder hält Yuri den Finger an die Lippen.

»Leise sein? Es ist Mittag.« Ich runzle die Stirn. Das sieht meinem Bruder nicht ähnlich. Viktor mag zwar ein impulsiver Hitzkopf sein, aber er säuft sich nicht am helllichten Tag ins Koma. Ich gehe zu ihm, aber Yuri hält mich zurück.

»Lass ihn schlafen«, flüstert er.

»Was zum Teufel …?«, flüstere ich durch und durch besorgt zurück. Ich habe Viktor vor nicht mal fünf Tagen erst gesehen, und da wirkte er … abgelenkt. Aber okay.

Yuri postiert Tito vor den Monitoren und gibt ihm Anweisungen, wonach er auf der seltsamen Anordnung aus neun Bildschirmen Ausschau halten soll, dann zieht er mich in die Küche.

»Was ist hier los? Ist Viktor betrunken?«

»Schlafentzug.« Yuri sieht aus dem Küchenfenster. »Mehr oder weniger.«

»Mehr oder weniger? Rede mit mir!« Ich gehe zu ihm ans Fenster und berühre den Vorhang – jedes Zimmer ist wunderschön eingerichtet. Man könnte meinen, hier wohnt jemand, der süchtig nach Wohndeko-Magazinen ist. Na ja, abgesehen von dem verrückten Regal mit Monitoren, auf denen Videos gefangener Mädchen flimmern. »Ist das wegen Valhalla? Wir haben jetzt alles, was wir brauchen. Wir müssen hier nicht verrückt spielen.«

Yuri sagt etwas auf Russisch, das sich nach fluchen anhört, allein vom Tonfall her. Er liebt Viktor ebenso sehr wie ich.

Ich sehe mich um. Die Küche ist verdammt gut ausgestattet. Und schön. Die Art Mist, die ich kaufen würde. »Er braucht sie nicht zu überwachen, als wäre er der verdammte Secret Service«, sage ich. »Er soll die Auktion gewinnen und reinkommen. Ihr habt die ganze Technik einsatzbereit?«

»Ja, für Valhalla ist alles bereit.« Yuri öffnet ein Küchenschränkchen und dann noch eines. Da ist tonnenweise Essen. Jede Menge Süßkram. Das ist nicht die Art Mist, die Viktor isst.

»Was soll das ganze Essen?«, frage ich.

»Ich überprüfe nur eine Theorie«, brummt Yuri. »Komm mit, Aleksio.« Er führt mich aus der Küche und die hölzerne Treppe hoch zum Schlafzimmer.

Das Schlafzimmer ist ebenfalls wie aus einer Dekozeitschrift eingerichtet. Wie das verdammte Schlafzimmer einer Frau. Yuri reißt den Schrank auf. Und stößt einen russischen Wortschwall aus, wahrscheinlich noch mehr Flüche.

Er nimmt einen weißen Lederminirock auf einem Kleiderbügel heraus, hängt ihn wieder zurück und wühlt sich durch den Rest der Sachen. Alles Frauenkleider.

»Wessen Mist ist das?«, frage ich. Viktor hat keine Freundin.

Yuri zieht noch mehr Frauenkleider aus dem Schrank – Stiefel, schwarze Skinny Jeans, ein blutrotes, nach Vintage aussehendes Cowboyhemd mit schwarzer Stickerei, einen weißen Schlapphut, eine ausgewaschene Jeansjacke mit Blumen drauf. Ein Ramones-T-Shirt. Das letzte reißt er vom Bügel und schleudert es durchs Zimmer. »Bljad!«

Okay, das Wort kenne ich. Das ist ihre Version von »Scheiße!« »Rede mit mir, Yuri.«

Er dreht sich zu mir um. »Tanechka-Kleider.«

»Tanechka.« Ich sehe ihn mit schmalen Augen an. »Seine Freundin, die gestorben ist. Die Frau, die er …«

»Umgebracht hat, ja.«

»Ich verstehe nicht.«

Yuri nimmt den Rock. »Diese Kleider, das sind die Art Sachen, die Tanechka tragen würde. Sie liebte schwarze Stiefel. Sie liebte Cowboyhemden. Dieses rote T-Shirt – genau dieses T-Shirt hatte sie. Ich weiß nicht, wie Viktor diese Sachen gefunden hat. Vielleicht online. Er hat sie jedenfalls nicht mit nach Amerika gebracht, das weiß ich. Er war beschäftigt. Und wenn ich in diese Kommode schaue, Aleksio, dann werden wir da drin diese Leggings finden, die wie geschreddert aussehen. Und verwaschene T-Shirts. Eine weiße Strickmütze mit Bommel. Tanechkas berühmte Mütze.« Er nimmt ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift »Gone Fishin«. »Tanechka hat solche dummen amerikanischen Sprüche geliebt.«

Er legt es weg, und da kann ich sehen, dass Viktor nicht der Einzige ist, der um Tanechka trauert.

»Was hat er dir von Tanechka erzählt?«, fragt Yuri.

»Sie war die Liebe seines Lebens. Er hat sie wegen irgendwas in Sachen Gang-Ehre umgebracht, und dann stellte sich heraus –«

»Dass sie unschuldig war«, beendet Yuri den Satz.

»Ja. Und das hat ihn am Boden zerstört. Er kann kaum über sie reden.«

»Mhmm, ja. Es tut ihm sehr weh.« Er streicht mit der flachen Hand über einen Schal. »Tanechka war ebenso ein Teil unserer Gang wie ich. Sie kam aus derselben Welt wie wir. Sie war genauso gut ausgebildet wie irgendeiner von uns. Sie war so – rauflustig, würdet ihr sagen, denke ich. Kämpferisch und stark. Verdammt gefährlich, wie ein weißer Tiger. Wir haben sie alle geliebt, aber was zwischen Viktor und ihr war … das war so gewaltig.«

Er geht zur Kommode und nimmt eine Halskette in die Hand.

»Sie wurde sehr oft mit Viktor zu Jobs geschickt. So viel Jobs, die beiden. Dann gaben Tanechka und Viktor sich als Touristen aus. Das reiche, frisch verheiratete Paar, so verliebt. Sehr glaubhaft, weil sie wirklich verliebt waren. Sie konnten in jedes Hotel kommen, in jede Organisation, jedes Event.« Er nimmt einen der Stiefel, schwarz mit glänzender Schnalle. »Tanechka konnte sich in eine amerikanische Geschäftsfrau oder eine französische Filmschauspielerin verwandeln. Aber diese Kleider, die Viktor gesammelt hat, das waren ihre normalen Kleider. Eine ziemliche Ganovin, unsere Tanechka. Haare wie Sternenlicht, sagte Viktor immer. Sie liebte weißes Leder. Er sammelt ihre Kleider, Aleksio.«

Ich nehme das Cowboyhemd heraus. Die Sache gefällt mir nicht.

»Er hat ihren Tod beinahe nicht überlebt«, fährt Yuri fort. »So hatte ich ihn noch nie gesehen – so verzweifelt. Was ihr Tod in ihm entfesselt hat, war wild und düster. Wir hatten Angst um ihn. Immer wieder hat er sich bis zur Bewusstlosigkeit betrunken. Hätte er das nicht getan, ich glaube, dann wäre er selbst in die Schlucht gesprungen. Wir halfen zu der Zeit einer georgischen Gang. Danach fuhren wir zurück nach Moskau, und ich dachte, er würde sich besser fühlen, aber es ging ihm noch schlechter.«

Mein Herz hämmert. »Davon hat er mir erzählt. Ich dachte, es wäre allmählich … besser.«

»Das dachte ich auch«, sagt Yuri.

Scheiße. Da jage ich hinter Kiro und dem Imperium her, das wir verloren haben – und vernachlässige darüber den einzigen Bruder, der da ist.

»In manchen Nächten hat er in meinen Armen gezittert. Seine Trauer war so heftig, dass er bebte.« Yuri blickt hoch. »Sie waren perfekt füreinander. Du hältst deinen Bruder für extrem? Nur, weil du Tanechka nie kennengelernt hast. Wie sie ihn geliebt und sich an ihn geklammert hat, war verrückt und obsessiv. Sie hat sich bis zum Schluss an ihn geklammert. Sie klammerte sich sogar an ihn, als er sie in den Tod stürzte. Davon hat er oft gesprochen. Davon geträumt. Ich bin sicher, er träumt immer noch davon. Es war so gut, dass du ihn gefunden hast. Das ist was Gutes, eine Familie. Aber jetzt das hier – das hier ist kein Zuhause, Aleksio. Das hier ist ein Nest, das er für einen Geist baut.«

Ich ziehe scharf den Atem ein.

Yuri sieht mich mit todernstem Blick an. »Da ist eine Frau in Valhalla. Er denkt, sie ist Tanechka.«

»Moment mal. Er denkt, er sieht Tanechka in diesem Jungfrauenbordell? Ist es das, was du mir sagen willst?«

»Er sieht einen Geist da drin.«

»Willst du mich verarschen? Die ganze Zeit schon?«

Yuri nickt. »Hast du in den Feeds bemerkt, dass da eine Nonne ist, die betet?«