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Er wurde von Wölfen großgezogen und von Menschen gefoltert. Er ist der verlorene Bruder und er ist in Gefahr ...
Obwohl es nicht ihr erster Undercover-Einsatz als Journalistin ist, macht Ann dieser Job im Fancher Institut für Geisteskrankheiten und Kriminelle zu schaffen. Und das nicht nur wegen des penetranten Geruch des Antiseptikums. Als Krankenschwester verkleidet, erregt vor allem Patient 34 ihre Aufmerksamkeit. So verloren, so wild, so animalisch ... und ohne jegliche Informationen über seinen Namen oder seine Vergangeheit. Ann wittert, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht und gerät direkt ins Kreuzfeuer der Mafia. Ihre einzige Chance ist der Patient, dessen animalisches Verlangen sie mehr und mehr in seinen Bann zieht.
"Sexy und düster! Dark Mafia Prince hat alles, um mich die ganze Nacht wach zu halten!" Molly O'Keefe
Band 3 der Dangerous-Royals-Reihe von New-York-Times-Bestseller-Autorin Annika Martin
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Seitenzahl: 498
ANNIKA MARTIN
Wild Mafia Prince
Ins Deutsche übertragen von Anita Nirschl
Er wurde von Wölfen großgezogen und von Menschen gefoltert. Er ist der verlorene Bruder, und er ist in Gefahr …
Obwohl es nicht ihr erster Undercover-Einsatz als Journalistin ist, macht Ann dieser Job im Fancher-Institut für Geisteskrankheiten und Kriminelle zu schaffen. Und das nicht nur wegen des penetranten Antiseptikumgeruchs. Als Krankenschwester verkleidet, erregt vor allem Patient 34 ihre Aufmerksamkeit. So verloren, so wild, so animalisch … und ohne jegliche Informationen über seinen Namen oder seine Vergangenheit. Ann wittert, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht und gerät direkt ins Kreuzfeuer der Mafia. Ihre einzige Chance ist der Patient, dessen animalisches Verlangen sie mehr und mehr in seinen Bann zieht.
Ann
Randall ist ein Mann mit freundlichen Augen, rosigen Wangen und einem langen grauen Bart. Er sitzt auf einer am Boden festgenieteten Bank in der Ecke seines Zimmers im Fancher-Institut, früher bekannt als Fancher-Institut für kriminelle Geisteskranke.
Vor dreißig Jahren tötete Randall in einem Linienbus drei Menschen, danach versuchte er, mehrere Büroangestellte durch mit Arsen versetzte Kekse zu vergiften. Fünf seiner Opfer erkrankten schwer.
Heute steht er unter starken Medikamenten und ist zweiundzwanzig Stunden täglich in diesem kleinen Raum eingesperrt. Rechts von ihm befindet sich ein großes Fenster, durch das ein Pfleger hereinschaut, einer von zwei Pflegern, deren einzige Aufgabe es ist, im Flur zu sitzen und Randall während seiner wachen Stunden zu beobachten. Randalls einziges brennendes Ziel im Leben ist es, sich gut genug zu benehmen, um seine Zeit in der Zelle auf einundzwanzig Stunden täglich zu reduzieren.
Ich beschließe, meine Story so anzufangen, würde ich sie als Human-Interest-Artikel über die Patienten des Fancher-Instituts schreiben, die in der Abteilung für gefährliche Geisteskranke (GG) untergebracht sind. Man hängt die Story immer am Schicksal eines einzelnen Menschen auf und versucht, ein besonderes Detail zu finden. Das ohne Unterlass starrende Gesicht ist so ein besonderes Detail.
Storys über Menschen haben Macht. Sie bringen Menschen einander näher, verbinden sie miteinander. Aber ich bin nicht hier, um eine Story über einen Menschen zu schreiben.
Ich bin hier, um eine Story über Dinge zu recherchieren. Eine Story über eine Lieferkette. Die langweiligste Sorte von Story überhaupt.
Eine Story über eine Lieferkette mitten im Nirgendwo Minnesotas ist die Quittung dafür, weinend im Schutt Kabuls zu knien und ein Kätzchen im Arm zu halten, während man das wichtigste Treffen seiner Karriere versäumt.
Alle nannten es einen Nervenzusammenbruch. Dieses Wort trifft es so gut wie jedes andere.
Bring den Auftrag einfach zu Ende, sage ich mir. Konzentrier dich und mach deinen Job.
Denn ich kann von Glück sagen, dass ich diesen Auftrag überhaupt bekommen habe. Kein seriöser Redakteur will heutzutage noch mit mir zu tun haben. Dieser Auftrag wurde mir von einem Redakteur bei Stormline zugeschanzt, was kein seriöses Druckwerk ist.
Eine Schwester namens Zara stellt mir die Patienten vor, die ich betreuen soll. Sie hält mich für eine Krankenschwester, und das bin ich tatsächlich. Ich war Krankenschwester, bevor ich beschloss, dass ich eigentlich nur Journalistin sein will.
Ich trage einen Gesichtsschutz aus Plastik und Handschuhe, und ich mache etwas mit jedem Patienten, damit Zara sich davon überzeugen kann, dass keiner von ihnen schlecht auf mich reagiert. Sie will sich auch vergewissern, dass ich mit diesen GG-Jungs klarkomme.
Die GG-Jungs werden kein Problem sein. Der Geruch nach Desinfektionsmittel allerdings schon. Er ist so überwältigend, dass ich das Gefühl habe, darin zu schwimmen. Ich komme zurzeit mit Desinfektionsmittelgeruch nicht gut klar.
Schwester Zara will mich nicht hierhaben, und damit hält sie nicht hinterm Berg. »Schwester Ann wird Ihnen jetzt den Blutdruck messen, Randall«, sagt sie. »Sie werden sie in nächster Zeit oft sehen.«
Der Typ von der Personalabteilung hat mich gewarnt, dass die Belegschaft sich gegen meine Anwesenheit sträuben würde. Eigentlich hätte eine Freundin von Schwester Zara auf diese Stelle befördert werden sollen. Alle im Team dachten, sie würde sie bekommen. Und dann kam ich daher und schnappte sie ihr weg. Also behandeln sie mich ein bisschen wie eine Aussätzige.
Ich bin schon mit Schlimmerem klargekommen.
»Hallo, Randall«, sage ich sanft. Randalls Gesicht ist affektflach – das ist Psychiatrie-Sprache für ohne Ausdruck. Seine Augen sind leer, als ich die Blutdruckmanschette um seinen schlaffen Bizeps lege. Randall ist auf einem Drogencocktail, den sie B-52 nennen, und der tut genau das, was man sich darunter vorstellen würde – er sediert ihn und verlangsamt sein Denken so sehr, dass er mehr Matschbirne als Mensch ist. Nachts bekommt er zusätzliche Medikamente. Das ist die einzige Zeit, in der er nicht von einem Pfleger bewacht werden muss.
Ich notiere seine Fortschritte in einem Tablet, indem ich Kästchen anklicke und Zahlen eingebe. »Gut gemacht! Sieht so aus, als dürfen Sie drei Stunden in den Gemeinschaftsraum, wenn Sie sich auch noch den Rest der Woche gut machen«, sage ich zu ihm.
Randall grunzt und murmelt etwas, das wie Zustimmung klingt.
Zara brummt vor sich hin. Ich würde sie auf etwa doppelt so alt wie meine neunundzwanzig Jahre schätzen, also fast sechzig. Sie hat kurzes, blondiertes Haar, das von einem hellen Haarreifen mit farbigen Punkten aus dem Gesicht gehalten wird. Sie hat mir gesagt, dass die Jungs es mögen, wenn die Farbe der Punkte von Haarreifen zu Haarreifen wechselt. Die Jungs liegen ihr am Herzen, aber sie will, dass ich verschwinde.
Zusätzlich zu der Feindseligkeit bekomme ich allmählich das Gefühl, dass Zara meine Lüge wittert, aber vielleicht spürt sie auch nur mein Unbehagen. Krankenschwestern können eine ziemlich scharfe Wahrnehmung haben, was den Gemütszustand von Menschen angeht, und Zara ist gut. Wenn man drei Jahrzehnte in einer Psychiatrie verbringt, dann entwickelt man recht feine Antennen. Sie weiß natürlich nichts von meinem Zusammenbruch.
Aber Zara wird nicht mein größtes Problem sein.
Mein größtes Problem wird Donny sein, der bullige stellvertretende Stationsleiter. Dem Mann steht »kranker Wichser« ins Gesicht geschrieben. Soweit ich das beurteilen kann, ist das Einzige, was Donny von diesen ans Bett geschnallten Männern unterscheidet, ein richterliches Urteil und eine Unterbringungsanordnung.
Der nächste Patient ist ein Schizophrener Anfang zwanzig. Als Collegestudent hat er eine Highway-Tankstelle in die Luft gesprengt und dabei drei Menschen getötet. Er liegt in einer Dreipunkt-Fixierung, was bedeutet, dass seine beiden Handgelenke an einen Gurt um seine Taille gefesselt sind. Auch er bekommt den B-52-Cocktail, und er hat die gleichen ausdruckslosen B-52-Augen.
Zara steht an der Tür und simst mit ihrem Handy, während sie mir mit halbem Auge dabei zusieht, wie ich seinen Blutdruck messe und ihm Blut abnehme. Er scheint den Nadelstich nicht einmal zu bemerken. Ich frage mich, ob er weiß, dass ich da bin. Ich rufe seine Patientenkurve auf. Er arbeitet darauf hin, die Hände zum Schlafen losgemacht zu bekommen. »Wenn Sie sich den Rest der Woche über gut machen, dann können Sie mit unfixierten Händen schlafen«, sage ich ihm munter.
»Danke«, murmelt er.
Nach jedem Patienten legen wir im Flur einen Zwischenstopp ein, um über ihn zu sprechen. Zara beobachtet meine Augen ein bisschen zu aufmerksam während dieser Besprechungen.
»Sie können diesen Job nicht machen, wenn Sie sich von diesen Jungs Angst einjagen lassen«, blafft sie.
Sie nimmt wahr, dass ich nicht hierher gehöre, oder registriert vielleicht auch meinen zerbrechlichen, kaputten Geisteszustand. Jedenfalls nimmt sie etwas wahr.
Ich bemühe mich um ein gelassenes Lächeln. »Diese Jungs sind in Ordnung. Alles okay bei mir.«
Bei der ganzen Fixierung und Sedierung, von den wachsamen Pflegern auf Abruf ganz zu schweigen, könnte ich vor diesen Männern nicht sicherer sein, besonders im Vergleich zu vielen der Subjekte, die ich in meinen längst vergangenen Tagen als seriöse Journalistin im Außeneinsatz interviewt habe.
Ein paar dieser Interviewpartner waren ebenso unausgeglichen wie diese Männer, nur dass sie üblicherweise noch Sturmgewehre hatten. Und die einzigen Drogen, auf denen sie waren, waren Kaffee und vielleicht noch Alkohol, nicht gerade die tollste Kombi, wenn man ein gefährlicher Irrer ist.
Und ja, Donny, der kranke König der Pfleger, wird wahrscheinlich versuchen, mich zu drangsalieren, so gut er kann. Aber mein Kryptonit ist der Geruch nach Desinfektionsmittel.
Vor sechs Monaten hätte ich herzlich gelacht, wenn jemand versucht hätte, mir einen solchen Auftrag aufzuhalsen. Ich war die unerschrockene Reporterin, die man nach Bhutan oder Somalia oder Syrien schickte. Ich war diejenige, die in Jeep und Hummer durch die Gegend fuhr, mit Fixern in miesen kleinen Cafés darauf wartete, ein paar der interessantesten Menschen der Welt zu treffen, immer auf der Jagd nach der verdammten Story. Ich lebte für die Story.
Und wenn sie mit dem Underdog zu tun hatte oder dem verrückten Milizführer oder jemandem, der das Unmögliche versuchte? Dann war ich dabei!
Jetzt zähle ich medizinisches Bedarfsmaterial für einen Redakteur mit einer Verschwörungstheorie, der glaubt, die Cops würden die Sache ignorieren. Ich hatte Glück, dass Stormline jemanden mit einer Krankenschwesternausbildung brauchte.
Aber so werde ich mich aus dem geschwärzten, verbrannten Krater meiner Karriere wieder herausbuddeln. Ich werde die Scheiße aus dieser Lieferketten-Geschichte herausrecherchieren. Ich werde diesen Job erledigen, als wäre es der beste, wichtigste Auftrag, den ich je bekommen habe. Beim nächsten Auftrag wird sich der Redakteur von Stormline für mich verbürgen, und dann werde ich aus dem die Scheiße herausrecherchieren und -schreiben und so weiter.
Ich werde mich auf jede Story vor mir konzentrieren, als wäre es die wichtigste Story aller Zeiten – so werde ich mich wieder freischaufeln.
Mit klopfendem Herzen schließe ich die Augen. Der Desinfektionsmittelgeruch setzt mir noch immer zu, sogar sechs Monate später. Ich dachte, ich wäre bereit.
Ich wusste, der Geruch würde da sein, aber ich hätte nicht gedacht, dass er ein Problem sein würde. Dieses Krankenhaus steht nicht unter Beschuss. Niemand wird hier drin in der Falle sitzen. Es ist eine ganze Welt von jedem Kriegsschauplatz entfernt.
Was noch schlimmer ist: Der Geruch bringt mich dazu, an das Kätzchen zu denken. Ich verdränge es aus meinen Gedanken. Ich rufe mir in Erinnerung, dass es dem Kätzchen gut geht. Du bist eingeschritten und hast das Kätzchen gerettet. Du bist knallhart.
Na ja, ich war mal knallhart.
Ich fühle mich nicht knallhart. Der Desinfektionsmittelgeruch macht mich ernsthaft fertig. Ich werde ihn die ganze Nacht lang riechen – das weiß ich jetzt schon. Ich werde nicht schlafen können.
Mir braucht man nicht zu sagen, wie sexy eine gute Abwärtsspirale ist – ich bin Journalistin. Ich weiß es.
Es gibt nichts Herrlicheres als den reichen Schneeballsystem-Betrüger in Handschellen. Den arroganten Rockstar, der in die Drogensucht abrutscht. Die Highschool-Schönheit, die gemein zu dir war und die jetzt dein Klo schrubbt.
Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal selbst in einer Abwärtsspiralen-Story die Hauptrolle spielen würde. Schätze, niemand tut das.
Wir gehen weiter den Flur entlang. Ich lerne einen Hippie-Pfleger kennen, der vier Jungs von einer Zentrale aus überwacht. Mir wird sofort klar, dass er ein interessantes Thema abgeben würde, aber so eine Geschichte schreibe ich nicht. Meth. Lieferkette. Stormline.
Donny, kranker König der Pfleger, kommt herbei. Er hat neonfarbene Laufschuhe, mehrere leere Piercinglöcher in den Ohren und eine Strategie, dir zu zeigen, wer der Boss ist, indem er dir intensiv auf die Brüste starrt. Seine Augen sind klein und eng stehend. Raubtieraugen.
»Die Jungs sind bereit für 34«, verkündet Donny.
»Dann komm«, sagt Zara.
»Was ist 34?«
»Patient 34«, antwortet Zara. »Komm schon.«
Er bekommt keinen Namen? Ich nehme den Visitenwagen und schiebe ihn den Flur entlang zu der Stelle, wo sich drei Pfleger versammelt haben und sich mit gedämpfter Stimme unterhalten. Sie alle haben Elektroschocker.
»Was ist los?«
»Für die Höllenbestie nehmen wir drei zur Unterstützung«, sagt Donny und sieht mich dabei ein bisschen zu eindringlich an. Er ist so ein Typ, der immer was im Schilde führt und deshalb spüren kann, wenn du selbst was im Schilde führst.
Ich stufe ihn vom Problem zu eindeutiger Gefahr hoch. Und ich sehe, wie die Sache laufen wird, eine Verkettung unglücklicher Umstände – der gefährlich lüsterne Donny, der eine Schwachstelle in meiner Rüstung spürt; Zaras Feindseligkeit mir gegenüber; die Gleichgültigkeit der anderen Teammitglieder, denen ich begegnet bin; die Tatsache, dass ich noch in der Probezeit bin, und schlimmer noch, nicht die bin, die ich zu sein vorgebe.
Komm damit klar.
Donny öffnet die Tür. In den Zimmern ist der Desinfektionsmittelgeruch jedes Mal schlimmer. Unvermittelt ist mir heiß.
Ich hatte gedacht, ich wäre bereit.
Wenig hilfreich führt Donny mich hinein, eine Hand auf meinem Rücken, nur ein bisschen zu tief. Ich bleibe stehen und fahre herum. »Ich hab das im Griff.«
Abwehrend hebt er die Hände, als sei ich übertrieben aggressiv.
Ich drehe mich wieder um und schiebe den Wagen in das winzige Zimmer. Die Tür fällt ins Schloss und sperrt uns alle ein. Donny bezieht Position in der Ecke.
»Wir machen das schon«, sagt Zara. Sie will mich auch nicht hierhaben. Donny starrt sie nur an mit seinen Furcht einflößenden, eng stehenden Augen.
Scheiß drauf, denke ich, und drehe mich zu dem Patienten um.
Und mir bleibt die Luft weg.
Patient 34 hat einen wilden Heiligenschein dunkler Locken und einen kurzen, widerspenstigen Bart. Kohlschwarze Wimpern säumen seine bernsteinfarbenen Augen. Seine Energie ist … intensiv, wild, als wäre er in einer Art strahlendem Höllenfeuer geschaffen worden. Etwas an ihm zieht mich an. Er ist schön, auf eine wütende Weise. Er ist schön auf eine atemberaubende Weise, die dich einsaugt und wieder ausspuckt.
Der höchste Fixierungsgrad ist normalerweise eine Fünfpunkt-Fixierung, aber bei Patient 34 sind es eher acht Punkte, die Arme am Bauchgurt, und Bauch, Handgelenke, Knöchel und Hals am Bett.
Mit leerem Blick starrt er auf einen Fleck an der Decke wie die anderen B-52-Patienten, aber er fühlt sich für mich völlig anders an. Er fühlt sich wirklich lebendig an.
Als ich aufblicke, stelle ich fest, dass Zara mich streng ansieht, als habe sie mich dabei erwischt, wie ich etwas falsch mache. Habe ich Patient 34 zu lange angestarrt?
Ich ziehe meinen Gesichtsschutz herunter und nehme meinen Platz neben seinem Bett ein, bereit, seine Werte zu messen, obwohl ich gute Lust hätte, mich nach einem versteckten Kamerateam umzusehen, als wäre das hier eine dieser aufwendigen Shows, bei sie den Leuten Streiche spielen, um zu sehen, wie sie reagieren. Er ist einfach … ganz und gar nicht wie die anderen. Wie kein Mann, den ich je gesehen habe.
Laut seiner Kurve ist 34 auf B-52, dazu noch ein paar Muskelrelaxanzien und etwas, das ich nicht kenne. Genug Medikation, um einen Elefanten umzuhauen.
Ich lege die Blutdruckmanschette um seinen erstaunlich muskulösen Arm. Erstaunlich, weil das hier ein Typ ist, der genau zweimal täglich von diesem Bett losgemacht wird – um auf die Toilette zu gehen und um zu essen. Und er ist so stark sediert. Wann und wie trainiert er? Und was hat er getan, um sich einen solchen Grad der Fixierung einzuhandeln?
Ich scrolle zu dem Teil seiner Kurve mit der Krankengeschichte. Leer. Ich will wirklich wissen, was er getan hat, um hier zu landen. Es ist kein Alter angegeben, aber ich würde schätzen, dass er jünger ist als ich – zwanzig oder einundzwanzig. Ich kann nicht einmal die Tabelle mit seinen Therapiezielen finden. »Wo sind seine Therapieziele?«
Donny lacht in der Ecke. »Er bekommt keine. Er wird nie seine Medikamente reduziert bekommen, er wird nie die Fixierung reduziert bekommen, und die einzige Möglichkeit, wie 34 aus diesem Zimmer wieder rauskommt, ist mit den Füßen zuerst.« Wenn es nach mir geht, lautet der unausgesprochene Teil. Er wendet seine Aufmerksamkeit wieder seinem iPhone zu.
Dieser Typ – so schwer sediert und fixiert, mit einem Mann wie Donny, der ihn hasst. Wie hält er das aus? Ich lege eine Hand auf seinen Arm und spüre seine Wärme durch meinen Latexhandschuh hindurch.
»Ausbrecherkönig«, murmelt Zara, ohne von ihrem Handy aufzublicken. Die Leute, die hier in diesem Flügel arbeiten, sollen ihre Handys nicht dabeihaben, aber alle tun es. Sie wissen, wie sie den Kameras aus dem Weg gehen müssen, wenn sie sie benutzen.
»Was ist denn seine Ausbruchstechnik?«, frage ich. »Verwandelt er sich in den Unglaublichen Hulk?« Keiner von beiden reagiert. Na ja, ich fand es witzig.
Ich ziehe die Manschette um den Arm von 34 fest, lege meine behandschuhte Hand auf seinen Unterarm und fange an zu pumpen. Die Patienten hier tragen alle blaue, pyjamaähnliche Hemden und Hosen. Die Hemden sind kurzärmlig und haben Druckknöpfe an den Seiten für besseren Zugang.
Wieder werfe ich einen Blick auf sein Gesicht.
Und die Welt steht still.
Denn 34 ist da – wirklich da. Er beobachtet mich mit Intelligenz, die Lippen gekräuselt, als habe er meine Hulk-Bemerkung witzig gefunden.
Mein Herz klopft wie verrückt. »Hey, ich werde Ihren Blutdruck messen, und dann nehmen wir ein bisschen Blut ab, okay?«
»Er kriegt nicht mit, was du sagst«, blafft Zara aus der Ecke, als wäre ich eine Riesenidiotin. »Er wird nicht antworten. Lies seine Kurve.«
Ich hab die verdammte Kurve gelesen, schnauze ich sie in Gedanken an. Warum schaust du dir nicht sein verdammtes Gesicht an? Aber als ich wieder hinsehe, sind seine Augen wieder leer, und der Schatten eines Lächelns ist verschwunden. Hatte ich Halluzinationen? »Es kam mir so vor, als wäre er eine Sekunde lang da gewesen.«
»Der hatte seit Monaten keinen zusammenhängenden Gedanken mehr«, sagt Donny. »Und das wird er auch nie wieder haben.« Und wieder dieses unausgesprochene Ende des Satzes: Wenn es nach mir geht.
Arschloch, denke ich.
Wieder sehe ich auf den Mann hinunter. Seine Augen sind auf die Decke gerichtet. Dann ist er also wieder ein heftig betäubter Löwe. Habe ich es mir nur eingebildet? Ich messe seinen Blutdruck. Er ist hoch, dafür dass er so stark sediert ist. »Hundertzwanzig zu achtzig.«
Genervt stößt sich Zara jetzt von der Wand ab. »Das kann nicht stimmen. Aus dem Weg.«
Ich ziehe mich zu der Stelle zurück, wo Donny steht, während sie 34 den Blutdruck misst. Ich fange an, mich verschwitzt und ein wenig im Irrtum zu fühlen.
Zara ruft mir die Blutdruckwerte zu, die jetzt niedriger sind – genau da, wo sie bei einem Mann auf all diesen Medikamenten sein sollten. Ich trage sie in seiner elektronischen Patientenkurve ein. Sie glaubt, ich habe es aus Nervosität verbockt.
»Keine Sorge, wir passen auf dich auf«, sagt Donny. Und wie man sich vorstellen kann, lässt er es wie eine Drohung klingen.
Ich nicke nur. Keine Worte, nur ein Nicken. Einem Widerling wie Donny gibt man nie einen Ansatzpunkt.
Zara legt die Blutdruckmanschette zurück in den Wagen und sieht mich fest an. »Bist du bereit, ihm Blut abzuzapfen?«
»Natürlich«, sage ich und trete von Gruselmeister Donny weg, um meinen Platz am Bett von 34 wieder einzunehmen, und Zara widmet sich wieder ihrem Handy, sicher außerhalb der Reichweite der Kameras.
Die Augen von Patient 34 sind so leer wie eine nackte Wand. Habe ich mir diese stumme Interaktion nur eingebildet? Falls ja, ist das schlecht.
Falls ich es mir nicht eingebildet habe, dann bedeutet das, dass er simuliert. Ich nehme an, das ist nicht wirklich von Bedeutung, wenn man bedenkt, dass sie ihn verschnürt haben, als wäre er eine Kreuzung zwischen King Kong und Hannibal Lecter.
Ich nehme ihm Blut ab. Wahrscheinlich hatten sie dafür mal eine auf Blutabnahmen spezialisierte Pflegekraft, aber Etatkürzungen haben diesen Sektor hart getroffen, und diese Pflegekraft wird weggekürzt worden sein. Ich bemühe mich, sein Gesicht überhaupt nicht zu beachten.
Dabei denke ich an Donnys krönende Worte – nie wieder einen zusammenhängenden Gedanken. Als wäre Donny der Sieger über 34 in irgendeinem eingebildeten und unfairen Wettkampf zwischen ihnen. Das ist so typisch Donny, eine Vendetta mit den Patienten zu führen, für die er eigentlich sorgen sollte. Was hat 34 getan?
Als ich fertig bin, drücke ich einen Wattebausch auf die Einstichstelle und lege 34 eine behandschuhte Hand auf den Arm, der wirklich erstaunlich muskulös ist. Ich weiß, dass ich mir das nicht einbilde.
Ich sehe in seine goldenen Augen, die auf nichts und alles starren. Wahrscheinlich hat er schreckliche Dinge getan – man endet nicht wie Patient 34, wenn man ein braver Pfadfinder war. Aber in jedem steckt immer noch ein Funken Menschlichkeit. Hoffnungen, Träume, Dinge, die einen unerwartet berühren.
Das ist etwas, das man lernt, wenn man die Geschichte anderer Menschen erzählt.
»Fertig.« Beruhigend drücke ich seinen Arm, weil jeder etwas Mitgefühl verdient und Zara und Donny mich am Arsch lecken können.
Kiro
»Fertig«, sagt sie leise und drückt meinen Arm. Hitze durchflutet meinen Körper. Mein Herz schlägt unkontrolliert.
Sie hat durchdringende grüne Augen und erdnussfarbenes Haar. Sie versucht, es zu verstecken, indem sie es zurückbindet, aber ihr Haar ist dick und lockig und lässt sich nicht verstecken. Sie spitzt die rosigen Lippen. Es gefällt mir, ihre Lippen anzusehen. Sie ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe.
Wieder drückt sie meinen Arm. Sie wirkt wie ein Traum mit ihrer sanften Berührung und ihrem Gerede vom Unglaublichen Hulk, als greife sie zurück in ein anderes Leben.
Ist das ein Trick? Wieder eine ihrer endlosen Foltern? Ich kämpfe um Beherrschung, wünsche mir inbrünstig, sie würde gehen. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn sie hier ist.
Ich hätte mich heute von den Medikamenten betäuben lassen sollen – das hätte ihre Macht gedämpft. Manchmal lasse ich mich von den Medikamenten betäuben, als Pause von der erdrückenden Langeweile dieses toten Ortes mit seinen Summern und Alarmtönen und der Uhr, die nie zu ticken aufhört.
Und der aufreibenden Einsamkeit.
Und jetzt ihr, die meine Konzentration zerstört. Man darf hier niemals Leben zeigen, sonst betäuben die einen nur noch mehr.
Sie arbeitet für die. Sie ist auch nur eine von ihnen. Ich werde sie töten, wenn es sein muss. Ich werde sie alle töten, wenn es sein muss. Alles, was zählt, ist, nach Hause zu kommen. Dahin zurück, wo ich hingehöre.
Woher wissen sie überhaupt vom Unglaublichen Hulk? Ich habe nicht mehr an ihn gedacht, seit ich ein kleines Kind war, eingesperrt in diesem Wurzelkeller.
Sie verschwindet aus meinem Blickfeld. Der Abstand macht es mir leichter, mich wieder unter Kontrolle zu bringen.
Ich brauche drei Bedingungen, um zu fliehen. Erstens – einen klaren Kopf. Den habe ich. Zweitens – die Möglichkeit, aus meiner Fixierung auszubrechen. Das ist der kleine Nagelknipser, den ich in der Matratze versteckt habe. Drittens – irgendeine Art von Chaos oder Ablenkung, um die Wachen an der Einzäunung auszuschalten. Ich brauche eine Katastrophe, jemand anderes, der ausbricht, einen Stromausfall – irgendetwas. Die Wachen an der Einzäunung waren beim letzten Mal mein Verhängnis.
Ich werde denselben Fehler nicht zweimal machen.
Also warte ich. Ich werde meine Chance bekommen. Das ist nur eine Frage der Zeit.
Sie dürfen nicht herausfinden, dass ich den Nagelknipser habe. Sie dürfen nicht herausfinden, dass ich in der Lage bin, die Medikamente zu verarbeiten. Der Professor, der mich in diesem Käfig gefangen gehalten hat, meinte, ich habe einen hohen Stoffwechsel. Vielleicht stimmt das. Aber die Übungen helfen mir, klar zu bleiben. Das weiß ich. »Isometrische Übungen« hat der Professor sie genannt, wenn ich sie in meinem Käfig gemacht habe.
Ich dachte, das Jahr, in dem der Professor mich im Käfig gehalten hat, wäre schlimm gewesen. Falsch.
Der Professor hat mir wenigstens vorgelesen, versucht, mich zu bilden. Ich tat so, als würde ich nicht zuhören, nicht verstehen, aber die Dinge, die er mir sagte und vorlas, waren immer interessant. Ich hörte genau zu und dachte über die Dinge nach, wenn er schlief.
Er hoffte, mich zu unterrichten und dazu zu bringen, angeblich wichtige Konzepte zu verstehen, damit wir uns darüber unterhalten könnten, wie ich in der Wildnis überlebt hatte, und hauptsächlich, wie ich ein Rudel Wölfe dazu gebracht habe, mir zu vertrauen. Er hatte – zu Recht – angenommen, dass sie mich in ihrem Bau leben ließen.
Aber ich habe ihm das nicht bestätigt. Ich habe ihm gar nichts gesagt.
Ich fühlte mich so einsam, eingesperrt wie ein Wilder. Voller Sehnsucht nach dem Rudel. Meinen einzigen Freunden. Hier ist es viel schlimmer.
Sie betäuben mich alle zwölf Stunden. Ich kämpfe gegen meine Fesseln, sobald sie wieder gehen – heftig genug, um mein Blut pumpen zu lassen, um in Schweiß auszubrechen. Heftig genug, um klar im Kopf zu bleiben, bereit, jeden zu töten.
Sie fährt mit dem Finger auf der glänzenden Vorderseite ihres Tabletcomputers herum. Der Bildschirm leuchtet auf. Dann sind ihre Finger wieder zurück, ein Hauch auf meinem Arm. Ich bemühe mich, meine Miene leer und leblos zu lassen.
Sie drückt meinen Arm. Niemand berührt mich je so. Ich glaube, mein Herz könnte explodieren.
Schwester Zara: »Komm schon.«
Sie ist fort. Ich verfolge ihre Schritte den Flur entlang, spüre dem Quietschen der Wagenräder nach.
Man entwickelt ein scharfes Gehör in der Wildnis. Es ist eine Art des Achtgebens, des Disziplinierens des Geistes. Das ist etwas, was der Professor oft sagte, und ich hatte immer das Gefühl, dass er recht hatte, obwohl ich ihm das nie sagte.
Damals, als er mich in diesem Käfig hielt, stellte er heimlich mein Gehör und meinen Geruchssinn auf die Probe. Sobald ich merkte, dass er das tat und dass überentwickelte Sinne mich von den Leuten unterschieden, die nicht wild aufgewachsen waren, tat ich so, als würde ich nicht so gut hören oder riechen.
Man darf den Leuten nie irgendetwas geben. Sie verletzen einen nur damit.
Wenn ich angestrengt genug lausche, kann ich Vögel jenseits dieser Wände singen hören. Vogelgesang kann das Einsamste von allem hier drin sein. Aber an manchen Tagen, an den guten Tagen, helfen mir diese Lieder, in Gedanken wieder dorthin zurückzugehen, und ich kann mir fast einreden, dass ich durch Wiesen und Wälder laufe mit der Sonne auf meinem Gesicht.
Räder quietschen. Ihr Herzschlag wird schwächer. Zimmer 39.
Mitchell DesArmo ist in diesem Zimmer. Ein gefährlicher Mann. Ich verfolge ihre Unterhaltung. Ich bleibe den ganzen Rest ihrer Runde über bei ihr.
Je weiter sie sich mit der Macht ihrer Schönheit und ihrer sanften Berührung entfernt, desto mehr Kontrolle verspüre ich wieder.
Das ist ein Trick – das muss es sein.
Alles hat einen Rhythmus, einen Puls. Dieses Krankenhaus ist ein System, genau wie der Wald. Die Dinge bewegen sich. Löcher erscheinen. Ich werde bereit sein. Niemand sonst wird bereit sein, aber ich werde bereit sein. Reglosigkeit ist eine effektive Art zu jagen.
Mit Reglosigkeit habe ich den Professor getötet. Er dachte, er könnte ein Buch über mich schreiben. Er dachte, er könnte eine Freakshow aus mir machen. Er dachte, er würde den Wilden Adonis unterrichten – das war der Name, den die Reporter mir gaben, als ich aus der Wildnis geholt wurde, sagte er mir.
Der Professor dachte, wenn er den Kopf des Wilden Adonis genug mit Worten und Ideen vollstopfte, dann würde ich sein treuer Helfer sein.
Der Professor wollte die Geheimnisse des Wilden Adonis. Stattdessen bekam er die Hände des Wilden Adonis um seinen Hals.
Ich wartete auf meinen Moment, genau wie ich hier warte. Bald.
Das Quietschen der Räder.
Schwester Ann verlässt den Flügel. Eine Tür. Eine weitere Tür. Fort.
Ich sollte mich erleichtert fühlen. Stattdessen nagt Kummer an meinen Eingeweiden.
Wenn ich die Langeweile und den Schmerz dieses Ortes ertragen kann, dann kann ich auch ihre sanfte Berührung ertragen.
Ich schließe die Augen, um die Gefühle auszusperren. Drei Dinge, um zu entkommen. Der Weg, den ich mir zurück nach Hause schlage, wird von dem Blut aller triefen, die versuchen, mich aufzuhalten.
Verwandelt er sich in den Unglaublichen Hulk, um zu entkommen?
Es ist Zufall, dass sie vom Hulk geredet hat. Es ist so lange her, dass ich an meine Kindheit vor dem Wald gedacht habe. An die Klaviersaite. Den Baum. Den Wurzelkeller.
Sie ist nur eine neue Folter, das ist alles.
Eine neue Folter, die mehr schmerzt als Donnys Elektroschocker.
Ann
Nachdem wir unsere Runde beendet haben, gehen Zara und ich zum Aufenthaltsraum mit fest montierten Stühlen und Tischen und einem Fernseher an der Wand, den nur das Team – sprich Donny – kontrolliert. Zwei Dutzend Patienten befinden sich dort, die malen und fernsehen. Zara informiert mich, wo die verschiedenen Gruppen sitzen, wer sich nicht mit wem verträgt.
Das sind die umgänglichsten Patienten, dennoch sind überall Pfleger in der Nähe, die beobachten und die Dinge auf den Tischen im Auge behalten. Das hier ist ein Ort mit gewaltiger Bürokratie und Papierkram, der jede Handlung jedes Patienten kleinstkleinlich protokolliert, bis hin zu deren Pinkelgängen, und das meine ich wörtlich.
Dann gehen wir zum Mitarbeiterraum, wo es sich ein wenig leichter atmet dank der Küchendünste, die den Geruch nach Desinfektionsmittel überdecken. Aber auf gewisse Weise ist es dort schlimmer, weil ich in einem Raum voller Menschen bin, die mich dort nicht haben wollen.
Ich halte meinen Kopf hoch. Bleibe nett und freundlich. Das hier ist schließlich nicht mein Leben, stimmt’s?
Hier arbeiten mehr als ein Dutzend Pflegekräfte und Pflegehelfer: ein paar Jungs aus der Army, ein paar ältere Frauen aus dem Springerpool – hauptsächlich Aushilfsschwestern. Junge Mütter in Vollzeit – das Schwesterkrankenhaus auf der anderen Seite der Stadt hat eine großartige kostenlose Kindertagesstätte, die sie nutzen können.
Manchmal in einer fremden Gruppe, die hauptsächlich aus Frauen besteht, versuche ich, das Gespräch auf Kinder zu lenken und die Leute dazu zu bringen, ihre Fotos rauszuholen. Das eignet sich gut, um das Eis zu brechen. Und um die Wahrheit zu sagen, sehe ich mir die Kinder wirklich gern an. Es gefällt mir, wie die Gesichter der Frauen aufleuchten, wenn sie sie mir zeigen. Es gefällt mir, die kleinen Geschichten zu hören, die sie zu den Fotos erzählen. Geschichten verbinden die Leute, bringen sie einander näher.
Als ich im Journalismus anfing, glaubte ich, wenn jeder die Geschichten des anderen verstünde, könnte das alle Probleme der Welt lösen.
Es erfordert Stärke, so große Dinge zu glauben, und diese Stärke habe ich nicht mehr.
Und ich habe das Gefühl, dass meine Fragen in dieser Gruppe als neugierig betrachtet werden würden.
Als sie von mir wissen wollen, ob ich Kinder habe, sage ich Nein, ich habe keine Kinder. Die Wahrheit. Ich erzähle ihnen, dass ich aus Idaho bin, und dass ich viel gereist bin und überall auf der Welt als freiwillige Helferin gearbeitet habe, was der Wahrheit nahekommt. Ich weiß, dass meine Geschichte für sie keinen Sinn ergibt. Warum sollte ich nach Reisen um die Welt in eine berüchtigte Anstalt für gefährliche Geisteskranke gehen, in einer verarmten Kleinstadt im ländlichen Norden Minnesotas, an einem Ort, in dem ich keine Freunde oder Verwandte habe? Sie erkennen es vielleicht nicht bewusst, aber tief drin wissen sie, dass irgendetwas an mir nicht zusammenpasst.
Die beste Lüge wäre es, zu behaupten, dass ich eigentlich auf Camping stehe, und dass ich in der Nähe des Boundary-Waters-Kanureviers und des Quetico-Naturschutzgebiets sein will, der riesigen Fläche unberührter Wildnis zwischen Minnesota und Kanada. Aber ich kenne mich mit Outdoor-Talk nicht aus, also erzähle ich ihnen stattdessen, dass ich es einfach herrlich finde, und dass ich mir ein Kanu kaufen und diese schöne Gegend erkunden will. Zara warnt mich vor dem Winter. Es ist Anfang Oktober und bereits arschkalt. Sie fragt mich, ob ich bereit bin für die richtige Kälte.
»Einigermaßen«, sage ich.
Sie fährt fort, mir Horrorgeschichten von zwei Meter hohen Schneewehen und langen Frostperioden zu erzählen. Die Gruppe stimmt mit ein; sie scheinen es zu genießen, mir zu schildern, wie schlimm es werden wird, nach dem Motto: Du hast dir die Suppe eingebrockt, jetzt musst du sie auch auslöffeln.
Wird das auch ihre Einstellung sein, falls ich Ärger mit Donny habe?
Zur Feier des Geburtstags einer jungen Schwester hat jemand Kuchen mitgebracht, zusammen mit bunten Papptellern und Plastikgabeln, und ich stelle fest, dass ich stark hin und her gerissen bin, ob ich ein Stück nehmen soll. Werden sie mich noch weniger mögen, wenn ich dieses Angebot ausschlage oder wenn ich ein Stück nehme? Ich entscheide, dass es so oder so nicht wichtig ist, also nehme ich eines.
Die Unterhaltung versiegt, während wir unseren Kuchen essen. Damals im Büro der Zeitschrift, für die ich in New York gearbeitet hatte, feierten wir Geburtstage genauso, nur dass niemand den Kuchen wirklich aß.
Er schmeckt köstlich, und trotz ihrer vagen Feindseligkeit hoffe ich ernsthaft, falls hier eine Lieferkette für Meth durchläuft, dass es nur Donny ist.
Falls es überhaupt eine Lieferkette gibt.
Murray Moliter, mein Redakteur bei Stormline, könnte bei der ganzen Sache völlig falsch liegen. Er hat einen Tipp bekommen, den er aus irgendeinem Grund für glaubwürdig hält, und der Informant deutete an, dass die Cops nicht nachforschen, weil sie in der Sache mit drinstecken.
Mir soll’s recht sein. Ich bekomme hier doppelte Bezahlung – mein Schwesterngehalt und dazu ein Tageshonorar von Stormline. Ich besorge Murray die Fakten, die er braucht, über alles, was hier rein- und rausgeht. Ich werde gute Arbeit leisten. Mich wieder zurück nach oben arbeiten.
Jede der zehn Schwestern unter Zara überwacht die Pflege von zehn Patienten. Sie alle scheinen zu wissen, dass ich Patient 34 habe. Ich nehme an, ich habe ihn bekommen, weil ich neu bin und er der Gefährliche ist, den niemand will.
Ich war überrascht, als Zara ihn einen Ausbrecherkönig nannte. Die Security-Ebenen hier sind irre – wie kann irgendjemand von hier entkommen? »Also, wie oft hat Patient 34 schon versucht, auszubrechen?«, frage ich. »Hat er es tatsächlich schon mal fast geschafft?«
Sie sehen einander an, wie Leute es tun, wenn es interessanten Klatsch zu erzählen gibt. Bald schon schwirren die Geschichten durcheinander.
Wie es scheint, hat Patient 34 einmal einen Kugelschreiber benutzt, um den Canvas seiner Handgelenksfesseln durchzuscheuern. Ein anderes Mal kam er frei und fesselte Pfleger und Schwestern. Er brach durch die Versorgungstür und zwei Wände. Er sprang durch Sicherheitsglas. Einmal verprügelte er fünf mit Elektroschockern bewaffnete Pfleger.
Zweimal hat Patient 34 es bis auf den Parkplatz geschafft. Einmal hat ihn der elektrische Zaun gestoppt. Für den jüngsten Versuch hatte er sich aus Materialien der Kunsttherapie eigene Gummifäustlinge gebastelt. Er hat Donny ausgeschaltet, indem er ihn mit dem Kopf gegen eine Wand schlug, und es beinahe geschafft, aber die Wachen auf dem Gelände haben ihn mit Betäubungsgewehren erwischt.
Wie es scheint, hat das Fancher-Institut dank Patient 34 ziemlich viele Neuerungen eingeführt. Der allgemeine Konsens ist, dass er nicht mehr versuchen wird, auszubrechen, aber die Leute sind ein bisschen komisch, was ihn betrifft.
»Warum hat er keinen Namen?«, frage ich.
»Weil er ein Unbekannter ist«, antwortet eine von ihnen, als wäre ich dämlich.
»Aber er kennt doch sicher seinen eigenen Namen«, entgegne ich. »Den hätte er euch doch sagen können, bevor er so sediert wurde.«
»Patient 34 kooperiert mit niemandem.«
»Weshalb wurde er ursprünglich verurteilt?«
»Das wissen wir nicht«, schnauzt Schwester Zara, als wäre das eine empörende Frage, was es definitiv nicht ist.
Es ist wichtig zu wissen, ob ein Patient ein Feuerteufel ist, ob er Probleme mit Frauen hat, verschiedene Auslöser, all das. Alles, was sie über Patient 34 wissen, ist, dass es irgendeine Art tätlicher Angriff vor etwa einem Jahr war. »Ein Jahr und ein paar Zerquetschte«, hat Zara es ausgedrückt.
»Gerüchte sagen, dass er im Zeugenschutzprogramm ist«, meint einer der Jungs. »Dass das Zeug zu seinem eigenen Schutz unter Verschluss ist.«
Ich nicke, als würde das vernünftig klingen. Das tut es nicht. Wenn er im Zeugenschutzprogramm wäre, hätte er einen falschen Namen und eine falsche Geschichte. »Wer kümmert sich um seine Anhörungen?«
»Fancher«, antwortet eine der Schwestern. »Du könntest ihn danach fragen«, fügt sie mit einem unschuldigen Schulterzucken hinzu. Die Gesichter der anderen sind betont ausdruckslos. Was mir sagt, dass bis ganz an die Spitze des Fancher-Instituts, zu Dr. Fancher selbst zu gehen eine schlechte Idee ist.
Trotzdem denke ich darüber nach. Auf meinem Weg zum Personalbüro, um meine Versicherungsformulare abzugeben, komme ich an Fanchers Büro vorbei. Seine Tür ist nur angelehnt. Ich bleibe stehen. Ich sage mir, dass ich nicht neugierig werden soll. Ich sage mir, dass die Geschichte von Patient 34 nicht wichtig ist.
Und ich klopfe. Und dann denke ich Scheiße, Scheiße, Scheiße. Eine dröhnende Stimme: »Herein.«
Dr. Fancher ist ein Mann um die fünfzig mit einem militärischen Haarschnitt, merkwürdig feuchten Lippen und eng stehenden Augen genau wie Donny. Genau genommen sieht er Donny sehr ähnlich. Vielleicht ein Verwandter. Na toll.
»Ich wollte mich nur kurz vorstellen. Ich bin Ann Saybrook – ich bin gerade neu zum Team im Forensik-Flügel dazugekommen.«
»Willkommen.« Er klopft mit seinem Kugelschreiber. Er steht nicht auf.
»Sind Sie und Donny –«
»Er ist mein Neffe«, antwortet Dr. Fancher. »War das so weit alles?«, fragt er auf eine Weise, bei der man weiß, dass die einzige Antwort, die er hören möchte, »Jepp, danke, Wiedersehen!« lautet.
»Jepp.« Ich lächle. Ich sollte gehen. Ich bin nicht hier, um Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Wenigstens wiederhole ich das immer wieder in meinem Kopf. Aber ich sehe immer wieder Patient 34 in seiner verrückten Fixierung vor mir, und Donnys Hass auf ihn, und wie er mich angesehen hat.
Wie er sich angefühlt hat. So intensiv. So lebendig.
Ich hole tief Luft. »Patient 34 ist einer meiner Fälle, und mir ist aufgefallen, dass es über ihn nicht viel in Sachen Familien- oder forensische Anamnese gibt. Je mehr ich weiß, desto bessere Pflege kann ich leisten.«
Fancher misst mich mit seinem Blick. »Wenn wir befugt wären, diese Information in seine Kurve einzutragen, dann hätten wir sie in seine Kurve eingetragen, denken Sie nicht auch?« Er sagt das, als wäre ich einfach nur ein bisschen schwer von Begriff. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie schon mit ihm Probleme haben können.«
»Alles läuft großartig.« Ich schenke ihm mein bestes Keinen-Ärger-hier!-Lächeln. »Ich will nur die bestmögliche Pflege leisten können.«
Fancher entspannt sich und lehnt sich in seinem Sessel zurück. »Er ist ein äußerst gestörter und gefährlicher Unbekannter. Natürlich tun wir alles, was wir können, um die Familie ausfindig zu machen und in die Pflege der Patienten miteinzubeziehen, aber manchmal gibt es einfach keine da draußen, Miss Saybrook.«
Ich nicke, als würde ich diesen völligen Blödsinn schlucken. »Natürlich.«
»Lassen Sie es mich wissen, falls Sie Ärger mit ihm haben.«
Lächeln, lächeln, lächeln. »Mache ich! Danke!«
Ich gehe, wobei ich mir sage, dass ich hier bin, um Material zu zählen, nicht um Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Lieferkette!
An diesem Nachmittag erfahre ich, dass es zwei Orte gibt, an denen Medikamente aufbewahrt werden. Pharma Eins wird tagsüber von einem angestellten Apotheker überwacht und nachts abgeschlossen. Pharma Zwei ist, wo wir Medikamente bekommen, die nicht von einem Apotheker abgezeichnet werden müssen – das Zeug, das man in einem Drugstore kaufen könnte, einschließlich Ephedrin, was eine der Substanzen ist, die ich im Auge behalten soll. Ich werde herausfinden, wer die Bestellungen macht, und ein Ghost-System installieren, um sie zu verfolgen.
Während der nächsten paar Tage arbeite ich daran, der unsichtbare Beobachter zu sein.
Randall verdient sich seine drei Stunden im Aufenthaltsraum. Zara und ich stellen ein neues Therapieziel für ihn auf: sich gut genug zu führen, um sich eine Reduzierung der Medikation zu verdienen.
Die Belohnungen für die Jungs hier bestehen immer entweder aus einer Reduzierung des Fixierungsgrads oder der Medikation oder einer Erhöhung der Freiheit. Es bleibt mir überlassen, Belohnungen für meine Leute vorzuschlagen, auf die sie hinarbeiten können.
Aber wenn die Patienten sich schlecht benehmen, entscheiden Donny und Zara, was geschieht – Erhöhung der Fixierung, Erhöhung der Medikamente, Reduzierung von freier Zeit draußen im begehrten Aufenthaltsraum. Und dann ist es wieder ein mühsamer Aufstieg zurück.
Ich bin in gewisser Weise genau wie diese Jungs. Ich habe Mist gebaut, und jetzt grabe ich mich wieder raus und versuche, ein paar Privilegien zurückzugewinnen. Ein wenig professionellen Respekt zurückzuerobern.
Ich behalte Pharma Zwei wie ein Adler im Auge. Ich mache meine eigene persönliche Inventur und finde noch vor Ende der Woche die Tage heraus, an denen Lieferungen kommen.
Die Kehrseite der Medaille ist, dass der Geruch nicht besser wird. An manchen Tagen fühle ich mich, als hätte ich in Desinfektionsmittel gebadet.
Der Geruch bringt mich gedanklich wieder dahin zurück, als ich mit all den Kindern im Schutt eingeschlossen war. Singend. Vielleicht war während der Bombardierung ein Kanister davon ausgelaufen, ich weiß es nicht. Der Geruch klebt nachts an mir. Immer öfter wache ich mitten in der Nacht nach Luft ringend auf, durchlebe den Vorfall mit dem Kätzchen erneut. Mein Schlaf zerbricht in nutzlose Teile.
Patient 34 ist ein kompletter Zombie, als ich ihn zum ersten Mal allein besuche – oder zumindest so allein, wie man mit drei Elektroschocker schwingenden Pflegern auf dem Flur sein kann. Sie sollen durchs Fenster hindurch aufpassen, aber wie üblich sind sie alle mit ihren Handys beschäftigt – hauptsächlich Facebook und YouTube, soweit ich bemerkt habe.
Ich trage zwei Handys mit mir herum – ein falsches und eines in einem Kniestrumpfhalter unter meiner Hose. Das ist eine alte Angewohnheit aus dem Außeneinsatz. Man hat immer ein bisschen Geld und ein Handy, das man sich stehlen lassen kann, deutlich sichtbar, und die Sachen, die man schützen muss – das wichtige Handy, das richtige Geld – versteckt man.
Wieder bin ich überwältigt von seiner Schönheit. Er hat etwas absolut Mächtiges und doch völlig Verletzliches an sich. Irgendwie trifft mich dieser Mann mitten in den Bauch.
Es ist nicht nur wegen dieses Augenblicks scheinbaren Bewusstseins; es ist wegen der Art, wie er mich zu sich ruft. Wie etwas in mir antwortet. Obwohl er einfach nur daliegt, ruft er mich zu sich.
Ich ertappe mich dabei, dass ich nach meinem wichtigen, meinem geheimen Handy greife, um ein Foto zu machen.
Solche Aufnahmen zu machen ist mir zur zweiten Natur geworden. Bei einem solchen Foto geht es nicht nur darum, etwas zu dokumentieren, es geht darum, es aus einer neuen Perspektive zu sehen, tiefer zu sehen. Etwas Erstaunliches zu ehren.
Ich mache eine Portrait- und eine Ganzkörperaufnahme, dann stecke ich das Handy wieder weg.
Ich nehme die Blutdruckmanschette und die Sachen zum Blutabnehmen heraus. Nicht einmal das knisternde Papier scheint die Aufmerksamkeit von 34 auf sich zu ziehen. Sein Gesicht ist völlig ausdruckslos.
Ich sollte erleichtert sein, dass ich die Leere sehe, die auch alle anderen sehen. Fragt man die meisten Leute, die gewaltigen Mist gebaut haben, dann werden sie einem sagen, dass ihr oberstes Ziel schlichte Normalität ist.
Aber um die Wahrheit zu sagen, bin ich enttäuscht, dass 34 so ausdruckslos ist.
Ich habe gestern diesen Witz gemacht, und er hat gelächelt. Das war ein schöner Moment. Ich will dieses Bewusstsein zurück, und wenn auch nur für einen Moment.
Wahrscheinlich ist es ein schlechtes Zeichen, dass die herzlichste menschliche Verbindung, die ich in dieser ganzen Woche gespürt habe, mit einem Kerl war, der in einem Institut für gefährliche Geisteskranke ans Bett geschnallt ist. Weil er in einem Institut für gefährliche Geisteskranke ist.
Ich lege die Manschette um seinen Arm und drücke den Klettverschluss fest. »Du solltest wenigstens einen Namen haben. Einen verdammten Namen.«
Er antwortet nicht. Nicht, dass ich das erwartet hätte.
Es stört mein Gerechtigkeitsempfinden, dass er nur eine Nummer bekommt. Fanchers mauernde Haltung stört mich noch mehr. »Manchmal gibt es keine Familie da draußen, Miss Saybrook«, äffe ich ihn leise nach. »Miss Saybrook. Was für ein Arschloch. Sie wollen mir so gönnerhaft kommen? Ernsthaft?«
Wieder ist der Blutdruck von Patient 34 viel zu hoch. Das Letzte, was ich will, ist Zara erneut hereinzurufen und sie nachmessen zu lassen, als hätte ich Mist gebaut.
Aber ich kann das nicht einfach ignorieren.
Ich trete ein Stück von ihm fort und lehne mich an die Tür, um ihm Abstand zu geben, nur für den Fall, dass mein Gerede schuld war. Er könnte meine Wut auf Fancher und diese ganze Situation wahrgenommen haben. Unausgeglichene Menschen können außerordentlich sensibel sein.
Dann gehe ich wieder zurück, um es noch mal zu versuchen, diesmal auf Zaras super berührungsarme Weise. Bei diesem zweiten Versuch ist sein Blutdruck ein bisschen niedriger. Wenigstens im normalen Bereich. Ich trage diese Werte ein, dann mache ich die Blutabnahme und das übrige auf meiner Liste.
Der Rest der Woche verläuft ereignislos, abgesehen von meiner Schlaflosigkeit dank des Desinfektionsmittelgeruchs, der an meiner Haut und in meiner Nase klebt. Manchmal fühlt er sich an, als wäre er in mir drin, was, wie ich weiß, verrückt ist.
Das Gute dagegen ist, dass bei jedem Besuch bei 34 sein Blutdruck ein bisschen niedriger ist. Am Ende der Woche ist er genau da, wo er bei Zara war.
Er zeigt immer diese Affektflachheit, aber manchmal, während ich meinen Aufgaben nachgehe, könnte ich schwören, dass er mich beinahe wütend anfunkelt, oder zumindest eindringlich anstarrt, aber wenn ich ihn direkt ansehe, ist sein Gesicht ausdruckslos … obwohl es manchmal eher wie wütend ausdruckslos ist.
Was ein bisschen merkwürdig klingt, ich weiß. Es ist nur so, selbst wenn er leer an die Decke starrt, fühlt er sich bei Bewusstsein an. Manchmal habe ich das komische Gefühl, dass er mich nicht hier haben will.
Aber ich schlafe kaum, also bin ich völlig durch den Wind. Ich könnte mir das nur einbilden. Etwas projizieren.
Ich rede weiter mit ihm. Es ist ja nicht so, als würde sonst irgendwer dort mit mir reden wollen. Zuerst sage ich kleine Dinge, wie »Ich bin’s wieder. Was hältst du davon? Nicht viel, was?« Oder ich berichte ihm von dem unablässigen Kuchen- und Leckereien-Reigen im Mitarbeiterzimmer. Ich erzähle ihm, dass ich darüber nachdenke, Kekse mitzubringen. »Vielleicht führt der Weg in ihre Herzen durch ihre Mägen«, sage ich. »Wow, damit höre ich mich ja irgendwie an wie ein Parasit, oder?«
Darauf zuckt ein Muskel an seinem Kiefer. Ich sage mir, dass es nur ein Schatten war.
Allmählich freue ich mich jedes Mal darauf, ihn zu sehen. Merkwürdig, dass die einnehmendste Person an diesem Ort ein Unbekannter unter so starken Medikamenten ist, dass er wahrscheinlich das Bewusstsein einer Wassermelone hat, aber so ist es nun mal.
Trotzdem, da sind diese Momente, in denen ich sicher bin, dass er mich verarscht.
Genau am zehnten Tag meiner brillanten Karriere als Mitarbeiterin des Fancher-Instituts und geheime Überwacherin von Ephedrin-Beständen erwische ich ihn.
Ich sitze am Bett von 34 und aktualisiere Patientenkurven auf dem vom Institut ausgegebenen Tablet. Er ist wie üblich ausdruckslos, und wie üblich rede ich mit ihm, als wäre er da.
»Ich weiß, was du vorhast. Du willst uns in falscher Sicherheit wiegen und dann deinen großen Ausbruch durchziehen. Ich habe die Geschichten von deinen letzten Versuchen gehört. Sie hören sich nebenbei bemerkt brillant an.« Ich wische durch die Screens, während ich rede. »Und wie ich gehört habe, hast du Donnys Schädel gegen die Wand geschlagen. Ich weiß ja nicht, warum sie dich hier festgeschnallt haben, aber mal unter uns gesagt, man müsste verrückt sein, Donnys Schädel nicht gegen eine Wand schlagen zu wollen.«
Ich schaue hoch, und unsere Blicke begegnen sich, oder genauer gesagt, seine Augen sind vorübergehend auf meine geheftet. Schnell sieht er wieder fort, völlig ausdruckslos, aber es ist zu spät – ich habe ihn erwischt.
Geschockt stehe ich auf.
Ich weiß, was ich gesehen habe. Er tut nur so, als wäre er weggetreten. Er hält alle zum Narren.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Irgendwie bin ich geneigt, sein Geheimnis für mich zu behalten, weil ich diese merkwürdige Verbindung zu ihm spüre, aber er könnte wirklich gefährlich sein.
Wem mache ich hier etwas vor? Natürlich ist er gefährlich. Jeder hier drin hat mindestens einen Menschen umgebracht. Und er ist außerdem ein Ausbrecherkönig.
Ich denke an die unschuldigen Kinder jenseits dieser Mauern. Ich denke an das nette Mädchen in meinem Coffeeshop. Die Cops. Meine Schwesternkolleginnen.
Ich habe hier eine Verantwortung.
Also gehe ich hinaus und sage den Pflegern, sie sollen bleiben, wo sie sind. Ich gehe den Flur entlang und finde Zara an ihrem Computer. Ich sage ihr, dass ich vermute, Patient 34 habe eine Möglichkeit gefunden, seine Medikamente zu umgehen. »Er ist bei vollem Bewusstsein, und seine Gedanken sind genauso schnell wie deine und meine«, sage ich. Das ist eine der Hauptwirkungen der Medikamente, die sie den Patienten verpassen – verlangsamtes Denken.
»Klar bewegen sie sich und zucken«, erwidert sie, als wäre ich dämlich.
»Das war es nicht, Zara. Der Mann fakt das Ganze nur. Er verfolgt Gespräche und reagiert darauf.«
Genervt hievt sie sich aus ihrem Stuhl. »Er nimmt jedes einzelne seiner Medikamente.«
Wir gehen den Flur entlang zurück. »Ich weiß es, es klingt unwahrscheinlich«, sage ich.
»Er bekommt B-52 mit Zyzitol. Das ist nicht unwahrscheinlich, das ist unmöglich. Was genau ist passiert?«
»Ich habe … irgendwie mit ihm geredet, während ich das Protokoll abgearbeitet habe. Ich, äh … glaube, der Klang einer Stimme kann beruhigend wirken, weißt du, und dann habe ich diesen Witz gemacht, und –«
»Was war das für ein Witz?«
»Nur irgend so ein dummer Witz.«
»Was für einer?«, fragt sie.
»Oh, ich hab über seine Fluchtversuche geredet, und dann habe ich … einen Witz darüber gemacht, dass er Donnys Kopf an die Wand geschlagen hat.«
Sie bleibt stehen und dreht sich zu mir um. »Hältst du einen Witz über Gewalt gegen das Personal für angemessen?«
Ich nehme an, ich könnte sagen, dass er ja angeblich so stark sediert ist, dass es egal sein sollte, was ich zu ihm sage, aber da ich schon die ganze Zeit behauptet habe, zu glauben, dass er wach ist, entscheide ich mich für eine einfache Antwort. »Nein.«
Sie geht voran in sein Zimmer. Patient 34 ist wieder in seiner vollkommenen Affektflachheit. Sie überprüft seine Pupillen, seinen Puls, seinen Blutdruck. Sie führt ein paar ziemlich einfache Tests durch, ihn in den Fuß zu kneifen und so weiter. Patient 34 besteht mit fliegenden Fahnen … wenn das Ziel ist, kaum bei Bewusstsein zu wirken.
»Soll ich ihn von jemand anderem aus dem Team übernehmen lassen?«, fragt sie.
Scheiße.
»Natürlich nicht.« Ich bin hier noch in der Probezeit. Warum konnte ich nicht meine große Klappe halten? Und es ist ja nicht so, als würde er je aus seiner gewaltigen Fixierung herauskommen. »Es muss wohl ein Zucken gewesen sein«, sage ich fügsam.
Sie dreht sich auf dem Absatz um und geht hinaus. Verärgert. Die Jungs im Flur kehren wieder zu ihren Social-Media-Imperien zurück. Ich gehe wieder rein und setze mich mit dem Rücken zum Flurfenster ans Bett von 34, damit sie mein Gesicht nicht sehen können – nicht, dass sie hinsehen würden. Trotzdem. Ich kämpfe mit den Tränen.
Vielleicht verliere ich wirklich den Verstand. Was, wenn die ganze Welt recht mit mir hat und ich falsch liege? Dass ich wirklich verkorkst bin?
»Bist du jetzt zufrieden?«, frage ich ihn.
Er starrt leer an die Decke.
»Ach, scheiß auf dich, du beschissener Bescheißer.« Ich hole tief Luft, um zu versuchen, wieder zur Ruhe zu kommen. Ich muss mich sammeln. Ich kann so nicht wieder hinaus in den Flur gehen.
Das ist nur mein Schlafmangel, das ist alles.
Patient 34 starrt einfach weiter vor sich hin, die Augen auf einen Punkt an der Decke geheftet, die gottgleichen Züge verflucht ausdruckslos. Ich komme zu dem Schluss, dass es der Kontrast sein muss, der seine goldenen Augen so auffallend macht, weil seine Wimpern so tintenschwarz sind.
»Und scheiß auch darauf«, sage ich. »Auf diese Wimpern. Oh mein Gott, ich bin offiziell auf einen neuen Tiefpunkt gesunken. Ein Typ in einer Klapsmühle hat mich fertiggemacht, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Oh, tut mir leid, in einer forensischen Psychiatrie. Ist das besser? Ist dir das lieber?«
Ich bin völlig emotional, genau wie bei dem Kätzchen.
»Verdammtes Kätzchen, ich hätte es da in der Falle sitzen lassen sollen.« Ich reibe mir die Augen. »Was habe ich nur getan?«
Immer noch starrt er leer vor sich hin. Seine Lippen sind voll und sinnlich für einen Mann. Sie rasieren viele dieser Jungs hier nicht, sie schneiden ihnen nur die Haare und die Bärte, und das nicht besonders gut, aber irgendwie sieht der leicht zottige Look toll an 34 aus. Wie ein heißer, junger post-apokalyptischer Krieger. Das leere Starren geht weiter. Das irgendwie mechanische Blinzeln.
»Lass es«, sage ich. »Ich weiß, dass du da bist. Du brauchst nicht mehr so zu tun. Lass es einfach.« Nichts.
Ich muss mich unter Kontrolle bringen.
»Wenn ich nicht so beschissen schlecht schlafen würde, dann wäre ich vielleicht nicht so besessen von dem Kätzchen«, flüstere ich. »Oder denkst du, es ist anders rum? Wenn ich nicht so besessen von dem Kätzchen wäre, dann würde ich vielleicht nicht so beschissen schlecht schlafen. Was meinst du? Oder ist es einfach wie in diesem Film. Einer flog übers Kuckucksnest, stimmt’s? Werde ich auch hier enden? Verdammt.«
Ich konzentriere mich auf das Tablet.
»Es war so winzig.« Ich kämpfe die Tränen zurück. Ich werde nicht weinen. »Über das Kätzchen rede ich nie, und jetzt erzähle ich dir davon. Das ist nicht krank.« Hier hole ich tief Luft. »Nur, dass du nicht antwortest. Das würde mich wirklich verrückt aussehen lassen! Wie würde Schwester Zara mich dann nicht lieben? Du solltest versuchen, ein paar Worte rauszuquetschen. Das wäre doch ein richtig krasser Fall von Gaslighting.«
Wieder spüre ich dieses Bewusstsein von ihm, und als ich hinsehe, glaube ich, ein Zucken seiner Augen zu sehen. Oder nicht? B-52 mit Zyzitol. Das ist nicht unwahrscheinlich, das ist unmöglich.
Ich hole tief Luft. »Ich weiß noch, einmal in der Fahrschule haben sie uns diesen Film gezeigt, wo simuliert wurde, wie es ist, wenn man unter Drogen Auto fährt. Sie haben diese Windschutzscheibe gezeigt, und alles war verschwommen, bis auf einen zerplatzten Käfer dort. Sie sagten: ›Wenn man auf Drogen ist, dann konzentriert man sich vielleicht auf so etwas wie einen Käfer anstatt auf die Straße.‹ Vielleicht war es das, was ich in Kabul getan habe. Aber es war nicht so, als hätte ich irgendjemanden in Gefahr gebracht.« Ich sehe auf die Uhr. Ich muss meine Runde fertigmachen. »Ich konnte nicht daran vorbeigehen. An seinen kleinen Schreien. Ich konnte nicht einfach weghören.«
Er sagt natürlich nichts.
Ich dagegen, ich gebe einen kleinen Laut zwischen Lachen und Weinen von mir. »Das hat mich alles gekostet. Also ja, schätze, das ist ein gutes Argument. Aber ich musste es retten, weißt du? Es war, als wäre ich gegen eine Wand geprallt, und ich konnte meinen Fixer ebenso wenig weiterfahren lassen, wie ich meine eigene Zunge verschlucken könnte. Es war eine physische Unmöglichkeit.«
Ich nehme ein Taschentuch, nur um es in Stücke zu reißen.
»Diese kleine Pfote, die da aus dem Schutt ragte.« Meine Stimme ist heiser. »Ich hatte das Gefühl, dass ich keine Luft mehr bekommen würde, wenn ich dieses Kätzchen nicht da raushole. Buchstäblich nicht mehr atmen könnte, weißt du, was ich meine?«
Seine Brust hebt sich jäher als gewöhnlich. Nur Zuckungen. Ich werde mich nicht noch mal von ihm fertigmachen lassen. »Ich weiß, was du denkst – das Kätzchen war eine freudsche Projektion.«
Überrascht halte ich inne. Daran habe ich bisher tatsächlich nicht gedacht. Wie kommt es, dass ich daran bis jetzt nicht gedacht habe?
»Ja, du hast recht. Es erscheint so offensichtlich – nein, du hast recht. Ich bin aus diesem eingestürzten Krankenhaus rausspaziert, als wäre es nichts. Die ganze Zeit, als wäre es nichts. Aber dann, ein paar Wochen später, kommen wir an einem winzigen Kätzchen vorbei, das im Schutt gefangen ist, und ich breche zusammen. Ziemlich verdächtig, nicht?«
Ich konzentriere mich auf seine kräftige Hand, während meine Gedanken rasen. Könnte es Projektion sein?
»Ja, du denkst, das Kätzchen bin ich. Weinend. Und ich rette mich selbst, und dann sitze ich einfach nur da und halte es, weinend. Aber warum sollte ich auf der Straße sitzen und weinen, wenn ich mich selbst gerettet habe? Das ist ein Schwachpunkt in deiner Theorie, 34, so clever sie auch ist.«
Mein Blut rast. Merkwürdigerweise fühle ich mich besser.
Ich richte mich auf. Fühle ich mich wirklich besser, nachdem ich darüber geredet habe? Ich packe den Wagen zusammen. »Sollen wir uns morgen wieder hier treffen? Ja? Morgen passt dir? Super.«
Aleksio
Die Hintertür des Warenlagers ist mit einer Kette und einem Vorhängeschloss gesichert. Ich dresche mit einem Vorschlaghammer darauf ein. Das hier ist der heruntergekommene Teil von Chicago. Niemand ist in der Nähe – jedenfalls niemand, den es interessiert.
Mit Tito an meiner Seite schlüpfe ich hinein. Schon seit Jahren arbeiten, bluten, töten wir zusammen, ich und Tito. Wir brauchen uns nicht einmal Zeichen zu geben, wir schlüpfen einfach rein, mit gezogenen Waffen, und fangen an, die Räume zu sichern. Fünf Jungs kommen hinter uns rein, still wie die Nacht.
Die Choreografie des Verbrechens ist uns tief in Fleisch und Blut übergegangen.
Schüsse erklingen von der Vorderseite her. Tito zieht die Augenbrauen hoch. Es war abgemacht, dass wir den Teil mit dem Kämpfen erledigen, da mein Bruder Viktor immer noch verletzt ist.
Als wir nach vorn kommen, steht Viktor über zehn Männern. Sie liegen alle nebeneinander auf dem Bauch, die Arme ausgestreckt. Viktors Freundin Tanechka schreitet ihre Reihe auf und ab. Tanechka und Viktor kommen aus der russischen Mafia. Sie wissen, wie man einen Raum in Schach hält.
»So viel zu der Info, dass sie hinten in der Lagerhalle sein würden«, brummt Tito, während er seine Luger ins Halfter steckt.
Ich fange Tanechkas Blick auf und strecke meine Hand mit der Handfläche nach unten aus. Das ist unser Zeichen für Kiro, unseren verlorenen kleinen Bruder, als würde ich den Kopf eines kleinen Jungen tätscheln. Natürlich dürfte Kiro inzwischen ein erwachsener Mann sein – einundzwanzig Jahre alt. Mein Herz zieht sich bei dem Gedanken zusammen.
Kiro war noch ein Baby in der Wiege, mit fuchtelnden dicken Ärmchen, als sie ihn von uns gerissen haben. An einen zwielichtigen Adoptionsring verkauft, wie wir später erfuhren.
Tanechka nickt und stellt einem der Männer ihren Stiefel auf den Kopf. Ich bin ihm nie begegnet, aber sie offensichtlich schon. »Hallo, Charles.«
»Ich werde euch sagen, wo die Kohle ist«, keucht Charles. »Ihr könnt sie haben.«
»Das reicht nicht.« Ihr russischer Akzent klingt besonders hart, und ich frage mich, ob sie das der Wirkung wegen macht. »Erinnerst du dich an mich?«
Charles erwidert nichts. Die richtige Antwort wäre Ja. Niemand vergisst Tanechka.
»Du hast mich in einem kleinen Zimmer gefangen gehalten. Wolltest mich versteigern, wie auf eBay. Du hast all diese Mädchen gefangen gehalten. Du hast sie zum Weinen gebracht. Denkst du, alles, was ich will, ist Geld? Mit Geld fangen wir an. Kannst du erraten, womit wir aufhören werden?«
Der Mann sagt nichts.
Mein Bruder Viktor grinst, wahnsinnig verliebt in Tanechka. Tito lehnt sich nur an die Wand und genießt die Show.
Tanechka verlangt Geld, Aufzeichnungen und Kommunikationsausrüstung. Sie wird Charles nicht umbringen, aber er glaubt, dass sie es tun wird.
Jeder von uns könnte ihm drohen, aber es fühlt sich gut an, es Tanechka zu überlassen. Er hat ihr und einer Menge anderer Frauen übel mitgespielt. Wahrscheinlich hat er was gegen Frauen.
Er fängt an zu singen. Tanechka lächelt Viktor an. Die Informationen, die er ausspuckt, werden uns dabei helfen, unseren Feind Lazarus, auch bekannt als Bloody Lazarus, zu vernichten und uns zurückzuholen, was uns gehört – nämlich das Königreich, das er uns gestohlen hat, als wir noch zu jung waren, um zu verstehen.
Aber unser wahres Ziel ist Kiro. Wir haben Gerüchte gehört, dass Lazarus eine Spur hat, ihn zu finden.
Lazarus will Kiro töten. Er muss Kiro töten.
Es mag eigenartig erscheinen, dass Lazarus, ein mächtiger Boss der albanischen Mafia, einen Mann töten muss, den er seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hat, aber so ist das nun mal mit der Macht einer Prophezeiung.
Ich weiß, wir schreiben das einundzwanzigste Jahrhundert, aber die Albaner sind ein abergläubischer Haufen, und die Prophezeiung besagt, dass wir Brüder gemeinsam herrschen werden – ich, Viktor und unser kleiner Bruder Kiro. Es glauben genug Leute an die Prophezeiung, um ihr Bedeutung zu geben – große Bedeutung.
Das ist schlecht. Wir müssen Kiro zuerst finden.
Leider hat Lazarus zehnmal mehr Männer als wir, und zehnmal so viele Mittel.
Die Prophezeiung wurde von einer alten Vettel ausgesprochen, die angeblich den bösen Blick besaß. Sie hatte blutrot lackierte Fingernägel, die mich als Kind faszinierten, und ich kann mich erinnern, wie sie auf Kiro in seiner Wiege zeigte und sagte, dass niemand uns drei schlagen könnte. Dass wir Brüder gemeinsam herrschen würden.