Wie angelt man sich einen Lord? - Lynsay Sands - E-Book

Wie angelt man sich einen Lord? E-Book

Lynsay Sands

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Beschreibung

MANCHMAL SIEHT MAN DIE LIEBE VOR LAUTER VEREHRERN NICHT


Lisa Madison weiß ganz genau, wer neben ihr am Traualtar stehen soll. Doch Robert Langley, den sie seit Kindestagen kennt, behandelt sie noch immer wie eine kleine Schwester. Erst als Lisa frustriert aufgibt und sich mit aller Entschlossenheit in den Londoner Heiratsmarkt stürzt, scheint Robert endlich zu bemerken, dass sie eine wunderschöne junge Frau geworden ist. Doch ihr Glück ist in Gefahr, denn ein unbekannter "Verehrer" scheint fest entschlossen, Lisa mit Gewalt für sich zu gewinnen ...


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Inhalt

TitelZu diesem Buch1234567891011121314151617181920Die AutorinDie Romane von Lynsay Sands bei LYXImpressum

LYNSAY SANDS

Wie angelt man sich einen Lord?

Roman

Ins Deutsche übertragen von Antje Görnig

Zu diesem Buch

Seit Kindestagen ist Lisa Madison in Lord Robert Langley verliebt, der ein guter Freund ihres Bruders ist. Sie war stets fest entschlossen, dass allein er eines Tages ihr Jawort bekommen sollte. Doch Robert behandelt sie noch immer wie eine kleine Schwester. Als Lisa fast gekidnappt wird, kommt ihr Robert zur Hilfe, jedoch nur um noch einmal zu bekräftigen, er habe keinerlei romantische Absichten. Daraufhin stürzt sich die junge Frau mit aller Entschlossenheit in den Londoner Heiratsmarkt – und stellt verblüfft fest, dass Robert plötzlich furchtbar eifersüchtig auf ihre Verehrer zu sein scheint. Aber obwohl seine Reaktion ihren Entschluss, ihn endgültig abzuschreiben, ins Wanken bringt, genießt Lisa die Aufmerksamkeit der galanten Lords in vollen Zügen und sieht gar nicht ein, diese sofort zu entmutigen. Denn Robert verhält sich äußerst widersprüchlich – zum einen folgt er ihr ständig, um sie zu beschützen, zum anderen jedoch ist er schroff und abweisend. Doch als klar wird, dass der geheimnisvolle Unbekannte, der sie schon einmal fast entführt hat, noch immer hinter ihr her ist, müssen sich Lisa und Robert ihren Gefühlen stellen, um die Gefahr ein für alle Mal zu bannen.

1

»Wie lange wirst du weg sein?«, fragte Lisa, während sie ihrer älteren Schwester dabei zusah, wie sie einen kleinen Pillbox-Hut auf die kunstvolle Frisur setzte, zu der ihre Zofe ihre Locken gesteckt hatte.

»Es könnte den ganzen Nachmittag dauern, Lisa. Leider ziehen sich die Teestunden bei Lady Witherly immer etwas in die Länge. Sie wird darauf bestehen, dass uns jedes ihrer Enkelkinder mit einer musikalischen Darbietung beglückt.« Christiana verzog das Gesicht und fügte trocken hinzu: »Ob sie nun Talent dazu haben oder nicht.«

Lisa ließ sich ihre Belustigung über die Verdrossenheit ihrer Schwester nicht anmerken. »Vielleicht haben sie seit deinem letzten Besuch etwas dazugelernt.«

»Hmm«, machte Christiana skeptisch und drehte sich zu ihr um. »Mir ist nicht wohl dabei, dich jetzt, wo es dir nicht gut geht, allein zu lassen. Vielleicht sollten wir besser absagen und …«

»Sei nicht albern. Suzette ist wahrscheinlich schon fertig angekleidet und wartet darauf, von dir abgeholt zu werden«, unterbrach Lisa sie, und als Christiana ob der Erwähnung der mittleren der drei Madison-Schwestern die Stirn runzelte, fuhr sie rasch fort: »So spät abzusagen wäre äußerst unhöflich. Abgesehen davon bin ich ja nicht todkrank. Ich habe nur ein wenig Kopfschmerzen und Magenbeschwerden. Wenn ich mich etwas ausruhe, kann ich euch heute Abend bestimmt zum Ball bei den Landons begleiten, mit dem die Saison eröffnet wird.«

»Bist du sicher?«, fragte Christiana zweifelnd.

»Ganz sicher«, entgegnete Lisa und bemühte sich, ihre Ungeduld zu verbergen und nicht durchblicken zu lassen, wie erpicht sie darauf war, ihre Schwester loszuwerden.

»Na gut.« Christiana seufzte leise, umarmte sie rasch, ermahnte sie, Bettruhe zu halten, und ging zur Tür.

Lisa lächelte, bis die Tür ins Schloss fiel, dann lief sie zum Fenster, um zu beobachten, wie ihre ältere Schwester auf die Kutsche zuging, die vor dem Haus wartete. Als die schlanke Blondine eingestiegen war und die Kutsche davonfuhr, eilte sie nach oben in ihr Zimmer.

Wie erwartet war ihre Zofe Bet damit beschäftigt, das Kleid herzurichten, das sie abends auf dem Ball tragen wollte.

Sie gab sich leidend, legte mit einem kleinen Seufzer die Hand an die Stirn und ging zum Bett. »Das kannst du später fertig machen, Bet. Ich habe leichte Kopfschmerzen und möchte mich ein Weilchen ausruhen. Bitte achte darauf, dass ich nicht gestört werde.«

Bet hielt inne und sah Lisa verdutzt an. Bei ihrem argwöhnischen Blick befürchtete Lisa schon, sie habe es übertrieben, aber zu ihrer Erleichterung nickte die Zofe nur, breitete das Kleid aus, damit es nicht knitterte, und ging zur Tür. »Ich bin unten, wenn Sie mich brauchen.«

Lisa nickte, setzte sich auf die Bettkante und zog ihre Schuhe aus, schlüpfte jedoch sofort wieder hinein, als sich die Tür hinter Bet schloss. Dann sprang sie auf und verfiel in hektische Betriebsamkeit. Sie hastete zu ihrer Truhe, holte die Tasche heraus, die sie unter ihren Kleidern versteckt hatte, und vergewisserte sich, dass das Geschenk für Mrs Morgan noch darin war, das sie so sorgsam verborgen hatte. Sie ging damit zur Tür, lauschte kurz, und als sie nichts hörte, öffnete sie die Tür und spähte in den Korridor. Er war leer, und so verließ sie ihr Zimmer und huschte zur Treppe.

Sie hielt den Atem an, bis sie den Treppenabsatz erreichte. Dort blieb sie stehen und atmete langsam aus. Als von unten kein Laut an ihr Ohr drang, holte sie abermals tief Luft und schlich die Stufen hinunter. Sie hatte den Salon fast erreicht, da öffnete sich die Küchentür am Ende des Korridors. Panik stieg in ihr auf, und Lisa verschwand rasch im Arbeitszimmer und zog die Tür leise hinter sich zu. Sie betete, dass sie niemand gesehen hatte.

Sie lauschte an der Tür, um herauszufinden, wann sie ihren Weg fortsetzen konnte, aber es war nichts zu hören. Entweder hatte es sich derjenige, der die Küchentür geöffnet hatte, anders überlegt und war in der Küche geblieben, oder er ging genau in diesem Moment durch den Korridor, und die Tür, hinter der sie stand, dämpfte die Geräusche. Das Problem war, dass Lisa nicht wusste, was von beidem zutraf.

Ungeduldig trat sie von einem Bein aufs andere, dann bückte sie sich und linste durchs Schlüsselloch. Leider konnte sie durch die kleine Öffnung nicht genug sehen, um sich zu vergewissern, dass niemand im Korridor war. Doch sie verharrte so lange dort, bis sie sicher war, dass derjenige, der eventuell aus der Küche gekommen war, inzwischen vorübergegangen sein musste.

Sie richtete sich auf, atmete tief durch und schickte ein kurzes Stoßgebet gen Himmel. Dann öffnete sie leise die Tür.

Erleichtert stellte sie fest, dass der Korridor leer war. Sie wartete noch einen Augenblick ab, ob jemand die Treppe herunterkam, und als sich nichts rührte, sauste sie auf den Salon zu und verschwand darin.

Als sie die Tür schloss, wurde sie schon ein wenig ruhiger, obwohl sie es noch längst nicht aus dem Haus geschafft hatte. Sie hatte noch ein gutes Stück Weg vor sich. Doch diesen Gedanken schob sie beiseite und holte geschwind ihren Umhang und ihre Pelisse unter dem Sofa hervor, die sie am frühen Morgen dort versteckt hatte, bevor die anderen aufgestanden waren.

Sie legte sich den Umhang um, zog die Kapuze über den Kopf und warf sich die Pelisse über den Arm. Dann hastete sie, das Geschenk an ihrer Brust bergend, zu der großen Glastür. Der Salon ging auf den Seitengarten hinaus. Soweit sie sehen konnte, hielt sich dort niemand auf.

Also schlüpfte sie nach draußen und lief flink zur Vorderseite des Hauses, während sie betete, dass nicht ausgerechnet in diesem Moment eine Kutsche mit unerwarteten Gästen eintreffen oder ihr Schwager Richard von seinen Schneidern zurückkehren würde. Auch hoffte sie, dass niemand von der Dienerschaft aus der Haustür oder einem der Vorderfenster schaute und sie entdeckte. Sie drehte sich jedoch nicht um, weil sie befürchtete, damit Aufsehen zu erregen und jemanden ans Fenster zu locken. Den Blick stur nach vorn gerichtet eilte sie zum Eingangstor.

Als sie die Straße erreichte, ohne dass sie jemand gesehen oder aufgehalten hatte, dachte sie schon, sie hätte es geschafft. Doch als sie das Tor schloss und sich zum Gehen wandte, trat ihr ihre Zofe Bet unvermittelt aus dem Gebüsch am Straßenrand entgegen.

»Ich habe geahnt, dass Sie etwas im Schilde führen, als ich Sie heute Morgen durchs Haus schleichen sah«, sagte Bet, und in ihrem sommersprossigen Gesicht spiegelte sich Genugtuung. Mit triumphierendem Blick und vor der Brust verschränkten Armen baute sie sich vor Lisa auf. »Was haben Sie vor, Mylady?«, fragte sie und zog eine Augenbraue hoch.

»Oh, Bet, du hast mich vielleicht erschreckt!« Lisa fasste sich an den Hals. »Warum schleichst du hier draußen herum?«

»Die Frage lautet vielmehr, warum Sie hier draußen herumschleichen«, erwiderte Bet.

Lisa verzog missbilligend das Gesicht. Dann straffte sie die Schultern, hob den Kopf und sagte streng, beziehungsweise so streng, wie sie mit ihrer Zofe sein konnte, die ihr zugleich eine gute Freundin war: »Es steht dir nicht zu, mich das zu fragen, Bet. Ich bin deine Herrin.« Ein Teil ihrer Forschheit schwand unter Bets durchdringendem Blick dahin, doch sie zwang sich, in energischem Ton fortzufahren. »Ich würde vorschlagen, du gehst wieder ins Haus und kümmerst dich um mein Kleid.«

»Gewiss doch«, entgegnete die Zofe kess. »Und ich sage Handers, dass Sie das Haus ganz allein verlassen haben, ohne jede Begleitung, ja?«

Lisa kniff die Augen zusammen. Handers, der neue Butler von Richard und Christiana, war ein Schatz, aber er würde die Information an Richard weitergeben, sobald er zurückkehrte. »Auf keinen Fall!«

»Doch, doch«, erwiderte Bet. »Es sei denn, Sie lassen sich von mir begleiten. Dann hat alles seine Ordnung und ich behalte es selbstverständlich für mich.«

Lisa seufzte frustriert und schaute zurück zum Tor. Sie war geradezu erleichtert gewesen, als Mrs Morgan ihr in ihrem Brief vorgeschlagen hatte, allein zu kommen. Christiana betrachtete ihre Freundschaft zu Mrs Morgan mit Argwohn. Sie hatte gefragt, ob sie diejenige gewesen sei, die Lisa das verbotene Buch »Fanny Hill« gegeben hatte, und angedeutet, dass Mrs Morgan vielleicht nicht der richtige Umgang für sie sei. Sie allein zu besuchen war Lisa einfacher erschienen, als Christiana dazu zu überreden, sie zu begleiten.

Aber eigentlich sollte sie wirklich nicht allein gehen. Es war in der Tat schicklicher, sich von ihrer Zofe begleiten zu lassen. Der einzige Grund, warum sie es nicht in Betracht gezogen hatte, war … Nun, das ganze Abenteuer hatte sie wohl so gefangen genommen, dass sie einfach nicht daran gedacht hatte, das Mädchen mitzunehmen. Aber es war vermutlich das Beste, die Angelegenheit so zu regeln. Eine Dame von Stand fuhr nun einmal nicht ohne Begleitung durch London.

Seufzend willigte sie ein. »Na schön, du kannst mich begleiten.«

»Danke«, entgegnete Bet schmunzelnd und lief neben ihr her, als sie sich in Bewegung setzte. »Wohin wollen wir denn?«

»Eine Freundin besuchen«, sagte Lisa, und auf ihrem Gesicht erschien ein Lächeln. Nun, da sie endlich unterwegs war, freute sie sich auf den Besuch. Auf dem Lande hatte sie Mrs Morgans Gesellschaft als anregend und unterhaltsam empfunden und hoffte, dass es sich in der Stadt ebenso verhielt.

»Ist es weit?«, fragte Bet neugierig.

»Nein. Mrs Morgan hat mir versprochen, ihre Kutsche um die Ecke warten zu lassen«, entgegnete Lisa.

»Mrs Morgan? Die Dame, deren Kutsche vor drei Jahren auf Gut Madison in die Brüche gegangen ist? Die von den Männern beglotzt wurde, bis Lord Madison sie und ihre Kutsche zur Reparatur ins Dorf bringen ließ?«

»Ja«, sagte Lisa und hob in Reaktion auf das offensichtliche Missfallen ihrer Zofe das Kinn.

»Sind Sie sicher, dass wir sie besuchen sollten?«, fragte Bet stirnrunzelnd. »Mrs Simms meinte, Mrs Morgan sei keine gute Gesellschaft für junge Damen. Sie sagte –«

»Das Geschwätz von Mrs Simms interessiert mich nicht!«, unterbrach Lisa sie und fragte sich, warum die Zugehfrau überhaupt so etwas sagte. Sie wusste nicht, dass Mrs Morgan ihr das verbotene Buch gegeben hatte. Und sie war Mrs Morgan nur kurz begegnet, als ihre Kutsche zum Gutshaus gebracht worden war.

»Aber …«

»Sei still, da ist die Kutsche!«, zischte Lisa, als sie an der Ecke ankamen und sie die schwarze Kutsche mit den dunklen zugezogenen Vorhängen erblickte. »Komm!«

Und schon eilte sie auf das Gefährt zu, sodass Bet nichts anderes übrig blieb, als hinter ihr herzulaufen.

»Lady Madison?«, fragte der Kutscher und öffnete die Tür.

Lisa nickte lächelnd und stieg rasch ein.

Als Bet ihr folgen wollte, verstellte der Kutscher ihr den Weg. »Also, ich wurde angewiesen, heute nur eine Dame zu fahren.«

»Sie begleitet mich«, erklärte Lisa unwirsch und machte Anstalten, sich wieder von der Sitzbank zu erheben, auf der sie soeben Platz genommen hatte. »Es geziemt sich nicht für eine Dame, ohne Zofe auszugehen.«

Der Mann zögerte, dann trat er seufzend zur Seite und murmelte: »Na gut, wie Sie wünschen, aber es wird Mrs Morgan nicht gefallen.«

Lisa zog die Augenbrauen zusammen, doch als Bet einstieg und sich auf die Bank ihr gegenüber setzte, lächelte sie ihr aufmunternd zu. »Mrs Morgan erwartet sicherlich nicht, dass ich ganz allein komme.«

Der Kutscher schüttelte nur den Kopf und schloss die Tür.

Angesichts dieser Reaktion sahen sich Lisa und Bet unsicher an. Im nächsten Moment wackelte die ganze Kutsche, denn der Mann kletterte wieder auf den Kutschbock. Dann trabten die Pferde los, und Lisa und Bet blieb kaum etwas anderes übrig, als sich gemütlich zurückzulehnen. Innerlich war Lisa jedoch in Unruhe. Sie befürchtete, dass Mrs Morgan sich ärgern würde, weil sie Bet zu dem Besuch mitbrachte. Aus welchem Grund es ihr missfallen könnte, wusste sie allerdings nicht.

Sie hatte Bet oft Einkäufe im Dorf erledigen lassen, während sie Mrs Morgan in dem Gasthaus besucht hatte, in dem sie fünf Tage verbracht und auf die Reparatur ihrer Kutsche gewartet hatte, und ein paarmal hatte sie sie auch mitgenommen. Aber was auf dem Lande zulässig war – oder zumindest nicht gerügt wurde –, unterschied sich von dem, was in London gestattet war. Ihre Freundin erwartete sicherlich nicht, dass sie sich in der Stadt ohne Begleitung bewegte. Das hatte sie zwar ursprünglich beabsichtigt, doch nachdem Bet angemerkt hatte, was sich hier geziemte, sah sie ein, dass ihr Plan, allein zu fahren, reichlich töricht und unbesonnen gewesen war. So etwas konnte den Ruf eines Mädchens ruinieren, und die Familie war in jüngster Vergangenheit ohnehin schon haarscharf an mehreren Skandalen vorbeigeschrammt.

Die Fahrt zu Mrs Morgan dauerte überraschend lange. Zumindest kam es Lisa so vor, die nervös mit ihrer offensichtlich besorgten Zofe in der Kutsche saß. Weil die Vorhänge geschlossen waren, konnten sie nicht einmal nach draußen schauen, um sich die Zeit zu vertreiben. Doch sie wagten nicht, sie zu öffnen, denn sie hatten Angst, erkannt zu werden und dass Christiana und ihr Mann von dem Ausflug erfahren könnten.

Allein bei der Vorstellung wurde Lisa flau im Magen, und ihre Hände schlossen sich fest um das Geschenk für Mrs Morgan. Es war nur eine Kleinigkeit; ein Buch, von dem sie dachte, dass es ihr gefallen könnte, das jedoch längst nicht so gewagt war wie die Bücher, die Mrs Morgan ihr bei ihren Besuchen im Gasthaus gegeben hatte. Sie waren … nun ja, recht schockierend – und zugleich aufregend. Lisa war völlig fasziniert von den Abenteuern der Dirne Fanny gewesen. Die Beschreibungen hatten ihr den Atem geraubt, und sie hatte sich vorgestellt, dass Robert einige von den Dingen mit ihr täte, die Fanny mit ihren Liebhabern erlebte.

Bei dem Gedanken an Robert verfinsterte sich ihre Miene. Lord Langley war auf dem Lande ihr nächster Nachbar und ein guter Freund der Familie. Und Lisa war seit Kindertagen in ihn verliebt. Er war ein äußerst attraktiver, starker, geistreicher Mann und … sah in ihr nicht mehr als eine kleine Schwester. Weil Christiana und Richard sowie Suzette und Daniel so glücklich waren, sehnte sich auch Lisa nach einem Ehemann und einem glücklichen Eheleben. Sie hatte versucht, Robert begreiflich zu machen, dass sie den Kinderschuhen entwachsen und die perfekte Frau für ihn war. In den vergangenen zwei Jahren hatte sie alles Erdenkliche getan, um ihn für sich zu gewinnen, aber der Mann schien blind, völlig uneinsichtig und stur zu sein und behandelte sie weiterhin wie eine süße, aber auch lästige kleine Schwester. Und das hatte sie mittlerweile gründlich satt. Sie hatte beschlossen, ihn nicht mehr zu lieben, und wollte auf dem Ball bei den Landons nach jemandem Ausschau halten, dem sie ihre Aufmerksamkeit schenken konnte. Wenigstens wollte sie es versuchen. Es musste doch einen Mann dort geben, den sie attraktiv fand und der in der Lage war, sie von ihrem Interesse an Robert abzulenken.

Vielleicht Lord Findlay, dachte sie. Mit ihm hatte sie getanzt, als sie zwei Jahre zuvor zum ersten Mal in London gewesen war. Sie und Suzette hatten sich auf die Suche nach ihrem Vater gemacht, der von einer Geschäftsreise nicht nach Hause zurückgekehrt war. Am Abend ihrer Ankunft hatten sie in der Hoffnung, einen Ehemann für Suzette zu finden, mit Christiana einen Ball besucht. Um ihr Ziel zu erreichen, hatte Suzette mit fast jedem anwesenden Mann getanzt. Genau genommen mit allen außer einem: Charles Findlay hatte nicht Suzette zum Tanz aufgefordert, sondern Lisa.

Sie lächelte. Er war ihr als gut aussehender Mann in Erinnerung geblieben: groß und schlank, markante Züge, hellblondes Haar. Bedauerlicherweise war sie seinerzeit so damit beschäftigt gewesen, Robert zu beobachten, dass sie Findlay kaum beachtet hatte. Sie hatte lediglich registriert, dass er eine gute Figur machte. Doch womöglich besuchte er am heutigen Abend erneut den Ball zur Saisoneröffnung und forderte sie zum Tanz auf. Wenn ja, dann würde sie ihm auf jeden Fall mehr Beachtung zollen. Zur Not würde sie sich dazu zwingen, nahm sie sich grimmig vor.

Vielleicht würde sie sich sogar von ihm auf die Terrasse führen lassen, an die frische Luft, und ihm gestatten, sie zu küssen, um herauszufinden, ob er solche Gefühle in ihr wecken konnte wie die, von denen Fanny schrieb. Und wenn es ihm gelang, konnte Robert ihr gestohlen bleiben. Sie hatte keine Lust mehr, ihre Liebe und Hingabe an jemanden zu verschwenden, der es nicht zu schätzen wusste.

Als die Kutsche anhielt, schreckte sie aus ihren Gedanken auf und sah Bet an. Die saß plötzlich ein wenig aufrechter da und machte einen angespannten Eindruck. Lisa schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln, obwohl sie selbst unsicher war, ob ihre Zofe bei Mrs Morgan willkommen war, und stieg rasch aus, als der Fahrer die Tür öffnete.

Sie sah sich nervös um, während sie auf Bet wartete. Sie hatte Angst, gesehen zu werden, doch sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Die Kutsche war nicht vor einem Haus mit langem Weg zum Eingang stehen geblieben, sondern direkt vor einer Tür, die sich allem Anschein nach auf der Rückseite eines Gebäudes befand.

»Hinein mit Ihnen!«, wies der Kutscher sie barsch an, knallte die Kutschentür zu und deutete auf das Haus. »Mrs Morgan würde es nicht gefallen, wenn Sie jemand beim Eintreten sieht.«

Lisa biss sich auf die Unterlippe, ging aber mit Bet zur Tür und klopfte an.

»Nun gehen Sie schon!«, herrschte der Mann sie an. »Sie werden erwartet.«

Lisa griff zögernd nach dem Türknauf. In dem Moment wurde die Tür von innen geöffnet, und sie wollte sich gerade entspannen, als sie zu ihrer Überraschung am Arm gepackt und ins Haus gezerrt wurde.

»Kommen Sie, Mädchen! Mrs Morgan möchte nicht, dass Sie gesehen werden«, sagte eine füllige ältere Frau in Köchinnenkleidung und zog sie in die warme, schummrige Küche. Sie wollte die Tür schon schließen, hielt aber inne, als Bet hinterherkam. »Na, wen haben wir denn da?«

»Meine Zofe«, sagte Lisa leise. Sie beschlich allmählich das Gefühl, dass dieser Besuch vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war.

Die Köchin musterte Bet eingehend von Kopf bis Fuß, dann besann sie sich jedoch wieder und machte rasch die Tür zu. »Nun, am besten gehen Sie beide nach vorne durch. Ich habe Gilly geschickt, Mrs Morgan zu holen. Sie kommt gleich. Wenn Sie vielleicht im … äh … Salon warten möchten?« Nachdem sie Lisa und Bet noch einmal kurz taxiert hatte, wies sie auf die andere Seite des feuchtwarmen Raums. »Durch die Tür und den Korridor entlang, letzte Tür rechts.«

Lisa zögerte und blieb zweifelnd stehen. Sie riss sich jedoch zusammen, als sie sah, dass Bet ähnlich misstrauisch dreinblickte. Der Empfang entsprach wahrlich nicht dem, was sie von Teegesellschaften gewohnt war, aber Mrs Morgan war ja auch nicht von Adel. Es war sicherlich schwer, vernünftiges Personal zu bekommen, wenn man nicht so gut bezahlen konnte, und der sonderbare Empfang war vermutlich Mrs Morgans zuvorkommendem Bestreben geschuldet, zu verhindern, dass sie wegen ihres Besuchs in Schwierigkeiten geriet. Bei ihren Treffen war ihr die Frau immer als besonders klug und verständig erschienen, und sie ahnte wahrscheinlich, dass Lisas Familie diesen Besuch missbilligen würde.

Lisa setzte einen gleichmütigen Gesichtsausdruck auf und drängte Bet zu der Tür, auf die die Köchin gezeigt hatte.

»Das ist nicht richtig!«, zischte Bet, kaum dass sie aus der Küche waren und den langen, spärlich beleuchteten Korridor hinuntergingen. »In die Häuser angesehener Leute müssen sich Damen nicht durch die Hintertür schleichen. Und sie werden auch nicht von mürrischen dicken alten Frauen in schmutziger Kleidung begrüßt. Und –«

»Still!«, sagte Lisa, obwohl sich nicht bestreiten ließ, was Bet gesagt hatte. Es war tatsächlich höchst unüblich … und die Köchin war wirklich mürrisch gewesen und ihre Kleidung war schmutzig. Unhygienisch, dachte Lisa und nahm sich vor, nichts von dem Gebäck zu essen, das möglicherweise zum Tee gereicht wurde. Als sie die wachsende Empörung bemerkte, die sich in Bets Gesicht abzeichnete, flüsterte sie ihr zu: »Ich bin sicher, dass Mrs Morgan mich nur schützen wollte, indem sie mich zur Hintertür hereinließ.«

»Wäre sie eine ehrbare Frau, müsste sie Sie nicht schützen«, erwiderte Bet mit schneidender Stimme.

Daran war durchaus etwas Wahres. Lisa kamen leise Bedenken, doch dann seufzte sie und sagte: »Jetzt sind wir nun einmal hier. Eine Tasse Tee und dann fahren wir wieder, versprochen. Aber wir können unmöglich …«

»Ah, da sind Sie ja. Gilly sagte, dass Sie eingetroffen sind. Ich wollte in die Küche kommen, um Sie zu begrüßen, wurde aber aufgehalten.«

Lisa blieb stehen und schaute zu der dunkelhaarigen Frau auf, die die geschwungene Treppe herunterkam. Beim Anblick von Mrs Morgan legten sich sofort Besorgnis und Nervosität, denn sie erinnerte sich an die entzückenden Treffen mit ihr auf dem Lande. Sie strahlte Mrs Morgan an, als diese den Fuß der Treppe erreicht hatte und auf sie zukam.

»Ich war in Sorge, dass Sie sich womöglich nicht loseisen können«, sagte sie mit einem Lächeln, das jedoch schwand, als sie Bet erblickte. Sie zog eine Augenbraue hoch. »Sie haben eine Freundin mitgebracht.«

»Sie erinnern sich gewiss an Bet, meine Zofe«, sagte Lisa und ärgerte sich im selben Moment über ihren entschuldigenden Ton. »Es schien mir das Beste zu sein, sie mitzubringen. Damen sollten nicht allein –«

»Ja, natürlich.« Mrs Morgan lächelte wieder, herzlich und unbeschwert. »Nun, würden Sie dann beide mitkommen? Wir müssen uns ausgiebig beim Tee unterhalten. Wir haben uns ewig nicht gesehen, meine Liebe.«

»Da haben Sie recht«, pflichtete Lisa ihr lächelnd bei. Alles war in bester Ordnung.

2

»Ist dir eigentlich klar, dass sie in dich verliebt ist?«

Robert verzog angesichts der Worte von Daniel Woodrow das Gesicht und kippte seinen Whiskey hinunter, worauf sich seine Grimasse noch verstärkte. Seufzend stellte er sein Glas auf den Tisch und schaute von Daniel zu Richard Fairgrave. Dann fragte er mit gespielter Ahnungslosigkeit: »Wer?«

»Wer?«, äffte Richard ihn spöttisch nach. »Die junge Dame, die, wie ich eben erwähnte, zur Saisoneröffnung in die Stadt gekommen ist. Lisa. Du erinnerst dich doch sicher an sie?«, sagte er. »Sie ist die jüngste Schwester meiner Frau Christiana und Daniels Frau Suzette. Du bist in ihrer Nachbarschaft aufgewachsen. Hast in der Kindheit mit ihnen gespielt. Für Christiana und Suzette bist du wie ein großer Bruder, aber für Lisa bist du ein Held.«

Robert wich den Blicken seiner Begleiter aus, indem er nach einem Clubdiener Ausschau hielt. Er war zwar mit den beiden zur Schule gegangen, aber da er eine Klasse unter ihnen gewesen war, hatte er sie erst besser kennengelernt, als Christiana und Suzette sich mit ihnen eingelassen hatten.

Wenngleich »mit ihnen eingelassen« nicht der richtige Ausdruck war: Christiana hatte Richards Bruder George geheiratet, der sich als Earl von Radnor ausgegeben hatte. George hatte Ganoven angeheuert, die seinen Bruder hatten töten sollen, weil er dessen Platz einnehmen wollte. Zum Glück war es den Männern misslungen, und Richard hatte die Ehe aufrechterhalten, nachdem er seine Position wiedererlangt hatte. Er und Christiana hatte sich ineinander verliebt und waren nun ein glückliches Paar.

Daniel war ein enger Freund von Richard und hatte ihm und Christiana gemeinsam mit Robert beigestanden. Robert und er hatten den beiden geholfen, das Chaos zu ordnen, das George Fairgrave angerichtet hatte. Dabei hatten sie den Plan aufgedeckt, nach dem George und zwei andere Lords die drei Madison-Schwestern hatten heiraten wollen, um Kontrolle über das ansehnliche Erbe zu erlangen, das der Großvater ihnen hinterlassen hatte. Nach der Heirat wären die Schwestern natürlich entbehrlich gewesen, doch glücklicherweise hatte dieser Plan rechtzeitig vereitelt werden können. Zwei der drei Schwestern hatten sich im Zuge der ganzen Affäre vermählt: Christiana mit dem echten Earl von Radnor Richard Fairgrave und Suzette mit seinem besten Freund Daniel, dem Earl von Woodrow.

Daniel war von Suzette ebenso bezaubert gewesen wie Richard von Christiana, und Robert überraschte es nicht, dass beide Paare so glücklich waren. Er freute sich für seine Jugendfreundinnen, und Daniel und Richard waren ihm in den vergangenen zwei Jahren richtig gute Freunde geworden … allerdings konnten einem Freunde zuweilen auch gewaltig auf die Nerven gehen.

Wie in diesem Augenblick. »Das ist doch nur eine alberne Schulhof-Schwärmerei, mehr nicht.«

Daniel lachte schallend. »Eine Schulhof-Schwärmerei? Lisa ist einundzwanzig, sie drückt schon längst nicht mehr die Schulbank!«

»Einundzwanzig?«, fragte er überrascht. Es schien nur ein paar Tage her zu sein, dass ihm die bezopfte Göre mit fliegenden Röcken nachgelaufen war und ihn wie einen Helden verehrt hatte. Wo war nur die Zeit geblieben?, fragte er sich und wandte sich Richard zu, als dieser das Wort ergriff.

»Ja, sie ist einundzwanzig und gibt nun endlich ihr gesellschaftliches Debüt. Pass bloß auf, dass sie dir nicht abhandenkommt. Ich glaube, Lisa hat die Hoffnung verloren, was dich angeht, und beschlossen, vernünftig zu sein und dieses Jahr in der Stadt einen der verfügbaren Junggesellen als Ehemann auszuwählen.«

»Hmm.« Robert runzelte die Stirn. Seine Gefühle für Lisa waren eher geschwisterlich als alles andere, und die Entrüstung, die er plötzlich angesichts der Vorstellung empfand, dass sie ihn aufgeben und sich einen anderen suchen würde, kam für ihn sehr überraschend. Es lag wohl an seinem Stolz, überlegte er. Wahrscheinlich hatte er ihre Bewunderung auf gewisse Weise genossen und war nur verstimmt darüber, dass er sie verlieren könnte. Er rutschte angespannt auf seinem Platz hin und her und murmelte: »Das freut mich für sie. Ich wünsche ihr viel Glück. Ich persönlich bin noch nicht bereit, mich häuslich niederzulassen. Ich bin recht zufrieden mit meiner Mätresse und meinem Leben.«

»Natürlich bist du das«, bemerkte Daniel trocken, dann fügte er grinsend hinzu: »Aber warum solltest du glücklich sein, während der Rest von uns in der Ehehölle schmort? Als guter Freund solltest du dich zu uns gesellen.«

Robert schmunzelte. »Ehehölle, von wegen! Du bist schon zwei Jahre mit Suzette verheiratet, und ihr könnt immer noch nicht die Hände voneinander lassen. Lieber Gott, erst letzte Woche habe ich euch beim Tee bei den Handlys in der Besenkammer erwischt!« Als Richard in Gelächter ausbrach, fügte er hinzu: »Du und Christiana, ihr seid keinen Deut besser. Es waren nicht die Sterne, die du Christiana gezeigt hast, als ich euch in der Woche davor beim Dinner bei den Witherspoons im Garten ertappt habe.«

Als die beiden Männer nur reuelos grinsten, schüttelte er den Kopf. »Ich weiß nicht, warum ich überhaupt Zeit mit euch vieren verbringe. Ihr turtelt in einem fort oder entschlüpft heimlich in dunkle Ecken und leere Zimmer. Es ist geradezu ekelerregend.«

»Vielleicht ist das, was du für Ekel hältst, in Wahrheit Neid«, stichelte Daniel.

»Hmm.« Robert stritt es nicht ab, sondern sagte nur: »Ob Neid oder Ekel, das spielt keine große Rolle. Die Männer in meiner Familie haben kein Glück mit der Ehe. Mein Vater, mein Großvater und mein Urgroßvater haben alle drei treulose Ehebrecherinnen geheiratet. Und es wurde von Generation zu Generation schlimmer. Meine Mutter war meinem Vater nicht nur untreu, sie hat womöglich sogar bei seinem Tod nachgeholfen, um ganz unverhohlen mit ihrem Geliebten Lord Gower zusammen sein zu können.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich werde erst heiraten, wenn ich alt und klapprig bin, und das nur, um meine Pflicht zu erfüllen und einen Erben für das Herzogtum zu zeugen, bevor ich ins Grab steige.«

Er sah sich erneut nach einem Diener um, der ihm nachschenken konnte. Als er keinen entdeckte, wandte er sich wieder seinen Freunden zu, die ihn mit ernster Miene anschwiegen.

»Was?«, fragte er. »Ihr habt die Gerüchte doch sicher gehört?«

Daniel und Richard sahen sich kurz an, dann entgegnete Daniel seufzend: »Schon, aber wir wussten nicht, ob du sie auch kennst.«

»Selbstverständlich wusste ich von Anfang an davon«, sagte er grimmig. »Meine Mutter war nicht gerade diskret. Mit Trauern hat sie sich erst gar nicht aufgehalten. Sie residiert schon lange in London und wird häufig in Begleitung von Gower gesehen.«

Richard nickte und fragte: »Glaubst du ernsthaft, dass sie etwas mit dem Tod deines Vaters zu tun hatte?«

Nachdem sich Robert noch einmal vergeblich nach einem Diener umgesehen hatte, zuckte er mit den Schultern. »Ist das überhaupt von Belang? Er lag bereits auf dem Sterbebett, und es war ein langes, quälendes Siechtum. Aber ich war davon überzeugt, dass er noch ein paar Tage hatte. Ich war morgens wie immer ausgeritten, und als ich zurückkam und nach ihm sehen wollte, musste ich feststellen, dass sie während meiner Abwesenheit zu einem ihrer seltenen Besuche aus der Stadt eingetroffen war.« Robert kniff die Lippen zusammen. »Sie hat hübsch in ihr Taschentuch geweint, als ich hereinkam, und mir mit traurigem Augenaufschlag verkündet, dass er gestorben war.«

Er schaute zur Seite und brummelte: »Wenn sie nachgeholfen hat, hat sie ihm vielleicht sogar einen Gefallen getan. Er hat sehr gelitten.« Ob seiner Worte breitete sich Schweigen am Tisch aus, und er fragte frustriert: »Wie zum Teufel sind wir auf dieses deprimierende Thema gekommen?« Als Richard und Daniel nur stumm die Köpfe schüttelten und ihn mitleidig ansahen, stand er ruckartig auf. »Ich gehe nach Hause. Da bekomme ich einen Drink, wann immer ich will. Guten Tag, Gentlemen!«

»Sind Sie noch Jungfrau, liebe Bet?«

Lisa öffnete blinzelnd die Augen und wunderte sich darüber, dass sie offenbar beim Tee eingenickt war – was so ziemlich das Unhöflichste war, was sie tun konnte. Außerdem wunderte sie sich über Mrs Morgans absolut unangemessene Frage. Du liebe Güte, so etwas fragte man die Zofe einer Lady einfach nicht. Weder eine Zofe noch sonst irgendjemanden.

Als sie merkte, dass sie vollkommen in ihrem Sessel zusammengesackt war, richtete sie sich hastig auf und stellte beunruhigt fest, dass ihr schwindelig war. Grundgütiger, was war nur mit ihr los?

In diesem Moment brummelte Bet etwas Unverständliches. Lisa sah erschrocken zu ihr herüber und bemerkte nun, dass ihre Zofe sie mit der gleichen Bestürzung ansah, die sie selbst empfand.

»Ach, was soll’s«, sagte Mrs Morgan unbekümmert. »Ich gehe davon aus, dass es so ist, aber wir lassen es noch vom Doktor bestätigen. Das muss er so oder so tun, wegen der Versteigerung. Sonst bietet niemand für Sie. Bei den hohen Preisen, die sie bezahlen, genügt ihnen mein Wort nicht.«

Das alles ergab überhaupt keinen Sinn für Lisa, aber es genügte, um ihre Alarmglocken schrillen zu lassen.

»Mischisch Mor –«, begann sie, hielt jedoch abrupt inne, als sie registrierte, wie sehr sie nuschelte.

»Oh, ich glaube, die Tinktur fängt an zu wirken«, sagte Mrs Morgan erfreut und nahm das kleine Glöckchen vom Tisch und läutete zweimal. »Zeit fürs Bettchen, denke ich. Da sind Sie beide sicher, bis sie kommen.«

»Sie?«, fragte Lisa verständnislos, während ein Teil ihres Gehirns – ein äußerst verwirrter und langsamer Teil – ihr zu sagen versuchte, dass sie und Bet schnellstens das Haus verlassen sollten.

»Der Doktor, der alle meine Mädchen untersucht, bevor ich sie an den Meistbietenden verkaufe«, erklärte Mrs Morgan. »Und Ihr Verehrer natürlich. Ich habe ihn informiert, dass Sie hier sind. Aber er verschläft gern den halben Tag und wird gewiss erst nach dem Dinner eintreffen. Bis dahin müssen wir Sie natürlich noch baden und hübsch für ihn einkleiden. Er legt Wert darauf, dass ihm seine Mädchen so präsentiert werden. Da ist er, ehrlich gesagt, recht pingelig.« Sie drehte sich um. »Oh, gut, da sind die Köchin und Gilly. Sie bringen Sie beide zu Bett. Ich habe einiges zu erledigen, aber sie werden sich gut um Sie kümmern.«

Lisa starrte sie perplex an, als sie zur Tür ging. Sie war sich vage bewusst, dass zwei Personen hereingekommen waren, konnte aber nicht aufhören, Mrs Morgan anzustarren. Ihre Freundin. Die ihr offenbar etwas in den Tee getan hatte. Ihr und Bet. Aber warum? Und was hatte das mit dem Verehrer zu bedeuten?

Das war ihr letzter Gedanke, bevor ihr die Augen zufielen.

3

Ein lautes Schnarchen riss Lisa aus dem Schlaf. Missmutig drehte sie sich um und stutzte, als sie gegen etwas Hartes stieß. Sie öffnete die Augen und erblickte Bets Ellbogen. Was um alles in der Welt machte Bet in ihrem Bett? Sie hatte ihr eigenes Zimmer im Gesindeflügel. Sie –

Lisa erstarrte, als die Erinnerung zurückkehrte. Sie richtete sich auf und sah sich um. Sie befand sich in einem kleinen, schäbigen Zimmer, das aus wenig mehr bestand als vier nackten Wänden und einem Bett. Auf der einen Seite war ein Fenster mit zugezogenen dunklen Vorhängen und auf der anderen eine große massive Tür.

Mit einem tiefen Atemzug schwang Lisa die Beine aus dem Bett und stand auf. Sie erschrak, als der Raum sich plötzlich um sie drehte, und als es aufhörte, ließ sie die Luft aus ihrer Lunge entweichen, die sie unbewusst angehalten hatte. Sie ging langsam um das Bett herum zur Tür, drehte den Knauf und stellte enttäuscht, aber nicht allzu überrascht fest, dass sie sich nicht öffnen ließ. Man hatte sie eingesperrt.

Sie ging zum Fenster und zog die schweren Vorhänge zur Seite. Die Sonnenstrahlen, die durch die Scheibe hereinfielen, tauchten den Raum in helles Licht und machten Bets Schnarchen ein Ende. Lisa hörte sie mit der Decke rascheln und vor sich hin murmeln, schenkte ihr jedoch erst einmal keine Beachtung. Sie war mit dem Fenster und der Aussicht beschäftigt. Das Zimmer befand sich im ersten Stock, und sie blickte auf die Gasse, die hinter Mrs Morgans Reihenhaus entlangführte. Sie versuchte probehalber, das Fenster zu öffnen, das sich zu ihrer Erleichterung beinahe geräuschlos hochschieben ließ.

Gott sei Dank, dachte Lisa und schloss es wieder. Hinauszuklettern und an der Hauswand abzusteigen war gewiss nicht einfach, wenn nicht gar unmöglich. Man konnte stürzen und sich schwer verletzen. Aber sie konnten auch nicht in diesem Zimmer bleiben und einfach abwarten, was Mrs Morgan mit ihnen vorhatte.

Lisa seufzte unglücklich. Sie hatte Mrs Morgan für ihre Freundin gehalten. Sie hatte sie sehr gemocht. Hatte, wohlgemerkt. In diesem Augenblick hätte sie ihr alle Haare vom Kopf reißen können. Wie konnte sie es wagen, ihnen etwas in den Tee zu tun und sie in diesem Zimmer einzuschließen, um … nun, um was auch immer mit ihnen anzustellen. Lisa erinnerte sich dunkel daran, dass von einem Verehrer die Rede gewesen war. Und von einem Doktor, der Bet untersuchen sollte, bevor sie verkauft wurde. Aber mehr war ihr nicht im Gedächtnis geblieben.

»Verdammt, was zur Hölle soll das?«

Lisa wandte sich ihrer Zofe zu. Bet hatte sich im Bett aufgesetzt und sah sich verwirrt um. Dann nahm sie Lisa mit finsterem Blick ins Visier.

»Ich habe Ihnen ja gesagt, dass die alte Hexe keine anständige Dame ist. Was haben Sie uns da nur eingebrockt?«

Lisa ignorierte Bets Ausdrucksweise. Ihre Zofe fluchte sonst nie, und dass sie es nun tat, war sicherlich der schlimmen Lage geschuldet, in die sie geraten waren, und so sagte sie nur: »Komm, du kannst mich später noch schelten, aber jetzt müssen wir erst einmal von hier verschwinden.«

Bet stieg verdrossen aus dem Bett und kam zu ihr herüber. »Dann sollten wir es besser mit der Tür versuchen. Wir klettern nicht aus dem Fenster!«

»Die Tür ist abgeschlossen«, erklärte Lisa.

»Na, großartig«, sagte Bet und schaute aus dem Fenster. »Auf diesem Weg kommen wir hier ganz sicher nicht heraus«, stellte sie fest. »Da ist nichts zum Festhalten, nur nacktes Mauerwerk, und es gibt nichts, das unseren Fall aufhalten könnte.«

Nachdenklich starrte Lisa nach unten. Bet hatte ihre Befürchtungen bestätigt, doch dann kam ihr eine Idee, und sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. »Wir brauchen etwas, womit wir uns abseilen können.«

»Zum Beispiel?«, fragte Bet spöttisch.

Sie überlegte kurz, dann hellte sich ihre Miene auf. »Erinnerst du dich noch an die Geschichte über den niederträchtigen Lord Haroway, die ich dir vorgelesen habe? Der Lady Laticia entführte, um sie sich zu Willen zu machen?«

»Oh ja, das war eine gute Geschichte«, sagte Bet mit einem kleinen Lächeln. »Er hat ziemlich sündhafte Dinge mit ihr getrieben.«

»Ja, aber dann ist sie durchs Fenster entflohen, mithilfe eines Stricks aus …«

»Bettlaken«, fiel Bet ihr grinsend ins Wort und lief zum Bett. Sie zog die schwere Decke herunter und begann, die Laken abzuziehen. »Grundgütiger, sind die dreckig!«

»Allerdings, aber vielleicht sind sie durch den Dreck ja gefestigt«, sagte Lisa mit einer Grimasse und half ihrer Zofe.

»Igitt, und darauf haben wir gelegen!«, rief Bet voller Abscheu. »Jetzt haben wir bestimmt Flöhe … oder gar Schlimmeres.«

»Gut möglich«, entgegnete Lisa seufzend, nahm das obere Laken und begann, es in Streifen zu reißen.

»Gott, in was für Schwierigkeiten Sie mich mit Ihren Eskapaden bringen!«, brummelte die Zofe und zerriss das untere Laken.

»Mach mich nicht dafür verantwortlich!«, protestierte Lisa sogleich. »Du hast mich erpresst und mich gezwungen, dich mitzunehmen. Hättest du es nicht getan, säßest du jetzt wohlbehalten zu Hause.«

»Und was wäre aus Ihnen geworden, wenn ich nicht mitgekommen wäre?«, erwiderte Bet. »Eingesperrt wären Sie und zur Hurerei gezwungen.«

»Nun, das bin ich so auch. Nur dass wir jetzt beide … Wie bitte? Hurerei?«

»Na, was glauben Sie, was das mit dem Freier und dem Doktor, der hier alle Mädchen untersucht, zu bedeuten hat?«, entgegnete Bet. »Das ist wie in dem anderen Buch, das Sie mir vorgelesen haben. Das über die jüngste Tochter eines Barons, die von der Besitzerin eines Freudenhauses …« Sie hielt inne und riss die Augen auf. »Du liebe Güte, wir erleben es gerade selbst! In einem Zimmer eingesperrt, in Erwartung eines Freiers, der kommen wird, um uns zu schänden. Heiliger Vater im Himmel, rette uns!«, hauchte sie. »Es ist, als hätte Mrs Morgan dieses Buch auch gelesen!«

»Das hat sie wohl. Sie ist diejenige, die es mir gegeben hat«, sagte Lisa niedergeschlagen. Ihre Gedanken kreisten um den Freier, der kommen würde, um sie zu schänden … und sie war die jüngste Tochter eines Barons. Lieber Gott, es war, als hätte der Verfasser über sie geschrieben und das Geschehen vorausgeahnt. Als sie die Angst sah, die sich auf Bets Gesicht abzeichnete, verdrängte sie ihre verstörenden Gedanken und straffte die Schultern. »Wir werden entkommen!«

»Jawohl«, entgegnete Bet, und sie setzten flink ihre Arbeit fort. Binnen weniger Minuten hatten sie die Laken in Streifen gerissen, verflochten sie miteinander und knoteten sie zu einem langen behelfsmäßigen Strick zusammen.

»Zum Fenster!«, sagte Lisa, sobald der letzte Streifen mit den anderen verknüpft war. Sie ging mit ihrer Hälfte des Stricks voran, während Bet die andere Hälfte trug, stolperte jedoch und wäre um ein Haar gestürzt. Einen Fluch unterdrückend bückte sie sich, um die schwere Decke aufs Bett zu werfen, über die sie beinahe gefallen wäre. Dann eilte sie zum Fenster. Bet folgte ihr mit dem Rest des Stricks.

»Und wo binden wir ihn fest?«, fragte Bet.

Lisa sah sich um. Das Einzige, was infrage kam, war das Bett. Sie lief rasch hin, kniete sich auf den Boden und knotete ihr Ende an einem Fuß des Betts fest.

»Wird es halten?«, fragte Bet unsicher.

»Es muss«, entgegnete Lisa grimmig und erhob sich. »Binde dir dein Ende fest um die Taille.«

Bet nickte, und sie drehte sich zum Fenster um und öffnete es. Zu ihrer Erleichterung ließ es sich ebenso geräuschlos hochschieben wie zuvor und fiel nicht wieder herunter. Als sie sich umdrehte, hatte Bet sich den Strick umgebunden.

Lisa lächelte ihr aufmunternd zu. »Und jetzt setz dich auf das Fensterbrett und schwing die Füße nach draußen. Dann kletterst du vorsichtig an dem Strick hinunter. Wenn du unten ankommst, bindest du ihn los und ich ziehe ihn hoch und komme nach.«

Bet setzte sich gehorsam auf das Fensterbrett, doch dann hielt sie inne. »Vielleicht sollten Sie den Anfang machen. Sie …«

»Wenn ich nicht wäre, wärst du jetzt nicht hier, Bet. Und nun beeil dich«, redete Lisa ihr zu und stupste sie sachte an.

Bet kletterte widerstrebend aus dem Fenster und ließ sich herunter, bis sie sich am Fenstersims festklammern konnte. Dort hielt sie inne und schaute in die Tiefe. »Ich hoffe, der Strick ist lang genug!«

Das hoffte Lisa auch, aber sie sagte nichts, sondern warf nur rasch den Rest des Stricks aus dem Fenster. Dann lächelte sie noch einmal aufmunternd und forderte Bet mit einer Handbewegung auf, sich abzuseilen.

Seufzend löste Bet eine Hand vom Sims und ergriff den Strick. Dann folgte die zweite Hand. Augenblicklich war ein lautes schabendes Geräusch zu hören, denn das Bett geriet ins Rutschen. Rasch packte Lisa den Strick und hielt ihn mit aller Kraft fest, damit das Bett nicht weiter über den Boden schrammte. »Schnell! Nun mach schon!«

»Aber was ist mit Ihnen? Wie wollen Sie –«

»Dann muss ich eben hier ausharren, während du Hilfe holst«, fiel Lisa ihr ins Wort. Sie wollte Bet möglichst schnell loswerden. Wenn jemand den Lärm gehört hatte und nachsehen kam … »Beeil dich einfach, Bet!«

»Aber wen soll ich holen?«, fragte Bet mit vor Entsetzen geweiteten Augen. »Lady Christiana und Lady Suzette sind zum Tee und –«

»Geh zu Lord Langley. Bring ihn her, und bitte mach schnell«, zischte sie und stöhnte, als ihre Arme zu schmerzen begannen. »Bet, ich bitte dich! Ich kann den Strick nicht mehr lange halten.«

Bet sah aus, als wollte sie widersprechen, doch dann nickte sie grimmig und bewegte sich langsam nach unten. Als sie außer Sichtweite war, schloss Lisa die Augen und versuchte, die Schmerzen in ihren Armen zu ignorieren, während sie sich weiter gegen den Strick stemmte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der Zug plötzlich nachließ. Beinahe wäre sie auf den Rücken gefallen, weil sie sich weit zurückgelehnt hatte.

Sie ließ den behelfsmäßigen Strick erleichtert los, lief ans Fenster und beobachtete, wie Bet die Gasse hinunterlief. Dann zog sie den Strick geschwind nach oben und schloss das Fenster.

Als Nächstes raffte sie ihn zusammen und band ihn vom Fuß des Betts los. Sie sah sich nach einem Versteck um, dann stopfte sie das Bündel einfach unter die Decke. Als sie im Begriff war, sich wieder aufzurichten, kam ihr eine Idee, und sie bückte sich erneut, um das knubbelige Bündel in eine längliche Form zu bringen und die Decke so zu arrangieren, dass es aussah, als läge ihre Zofe noch im Bett. Zufrieden mit ihrem Werk begann sie auf und ab zu gehen und darüber nachzudenken, wie weit Bet auf ihrem Weg zum Stadthaus von Robert Langley inzwischen gekommen sein mochte.

Das Problem war, dass sie nicht wusste, wie lange Bet für die Strecke brauchen würde. Sie hatte nicht einmal daran gedacht, nach ihrer Handtasche zu suchen und ihr Geld zu geben, damit sie sich eine Kutsche nehmen konnte – doch als sie sich nun umsah, konnte sie die Tasche ohnehin nirgends entdecken. War Bet so vernünftig gewesen, eine Kutsche zu nehmen, mit dem Versprechen, dass bei Ankunft bezahlt wurde? Oder hatte sie sich zu Fuß auf den Weg gemacht? Lieber Gott, wenn sie sich keine Kutsche genommen hatte, kam Robert womöglich zu spät! Lisas Verzweiflung wuchs. Sie ging wieder zum Fenster und überlegte, ob sie den Strick erneut am Bett festknoten und den Versuch wagen sollte, ohne Hilfe aus dem Fenster zu klettern.

Sollte sie das Bett vielleicht ans Fenster schieben? Aber das machte sicherlich zu viel Lärm und jemand würde nachsehen kommen. Sie konnte sich natürlich einfach den Strick um die Taille binden, nachdem sie ihn am Bett befestigt hatte, und sich vorsichtig aus dem Fenster hangeln. Wenn das Bett dann wieder ins Rutschen geriet, würde sie nur ein paar Meter in die Tiefe absacken und konnte den Rest hinunterklettern. Sie würde gewiss unten ankommen, bevor jemand wegen des Lärms ins Zimmer kam. Sie –

Lisa zuckte zusammen, als sie Schritte im Korridor vernahm. Zuerst erstarrte sie, doch als sie hörte, wie die Tür aufgeschlossen wurde, ging sie eilig darauf zu, um den Blick auf das Bett mit ihrem Körper zu versperren. Sie war nur noch wenige Schritte von der Tür entfernt, als diese aufging und Mrs Morgan eintrat.

»Oh, gut, Sie sind wach. Es wird Zeit.«

Lisa erschrak und bekam vor Aufregung einen ganz trockenen Mund. »Wofür?«, krächzte sie.

Mrs Morgan neigte nur den Kopf zur Seite, um an ihr vorbei zum Bett zu schauen. »Bet schläft noch, wie ich sehe.«

»Ja«, entgegnete Lisa und rührte sich keinen Zentimeter vom Fleck.

Mrs Morgan zuckte mit den Schultern. »Das ist wohl nicht verwunderlich. Sie hat den Tee recht gierig in sich hineingeschüttet. Aber was soll’s, der Doktor ist sowieso noch nicht da, um sie zu untersuchen. Dann kommen Sie mal mit. Wir müssen Sie herrichten.«

»Wofür herrichten?«, fragte Lisa, als Mrs Morgan sie am Arm nahm und zur Tür drängte.

»Für Ihren Verehrer.« Mrs Morgan lächelte, und Lisa fiel zum ersten Mal auf, dass ihr Lächeln einem ziemlich breiten, wölfischen Grinsen gleichkam.

»Ich möchte nicht …«, begann sie, verstummte aber gleich wieder und riss die Augen auf, als sie recht unsanft in den Korridor geschubst wurde. Sie sah sich einem großen, kräftigen, kahlen Mann gegenüber, der das unfreundlichste Gesicht hatte, das sie jemals gesehen hatte.

»Das ist Gilly«, erklärte Mrs Morgan vergnügt, zog die Tür zu und schloss sie wieder ab. »Wenn Sie Sperenzchen machen, wird er Sie baden und anziehen!«

»Oh«, stieß Lisa entsetzt hervor, verkniff sich jeden weiteren Protest und ließ sich von Mrs Morgan den Korridor hinunterführen. Der furchtbare Mann ging dicht hinter ihr.

»Mylord?«

Robert richtete sich ruckartig in seinem Sessel auf und öffnete die Augen, um Mosby anzusehen, seinen Butler, der in der Tür stand. Er zog fragend eine Augenbraue hoch. »Ja?«

»Da ist eine … Dame, die Sie zu sehen wünscht. Und ein Herr«, erklärte Mosby mit einem Hauch von Zweifel in der Stimme, der darauf hindeutete, dass die Dame vielleicht gar keine Dame war und der Herr alles andere als ein feiner Herr und Robert die beiden wahrscheinlich nicht empfangen wollte. »Sie warten vor der Haustür. Vielleicht möchten Sie einen Blick nach draußen werfen, um zu entscheiden, ob Sie sie überhaupt einlassen wollen.«

Ob dieses Vorschlags zog Robert beide Augenbrauen hoch. Doch dann erhob er sich und trat ans Fenster, um neugierig hinauszuschauen. Sein Arbeitszimmer befand sich auf der Vorderseite des Hauses, und das Erkerfenster ging auf die Straße hinaus. Er spähte durch die dünne Gardine und runzelte verwundert die Stirn. Er hatte keine Ahnung, wer der stämmige Kerl vor seiner Tür war, aber die Frau kam ihm bekannt vor. Sie sah wie Lisa Madisons Zofe Bet aus, und er zog die Gardine zur Seite, um sie sich genauer anzusehen.

Nun wunderte er sich noch mehr. Die junge Frau war so bleich im Gesicht, dass ihre Sommersprossen deutlich hervortraten. Sie rang verzweifelt die Hände und trat nervös von einem Bein aufs andere, während der Mann sie am Arm festhielt.

»Führen Sie sie herein«, sagte Robert und zog die Gardine wieder zu.

»Wie Sie wünschen«, entgegnete Mosby ruhig, wenn auch mit einem Unterton, der erkennen ließ, dass es in seinen Augen keine gute Idee war. Aber er stand ohnehin vielen Dingen ablehnend gegenüber, die Robert tat, seit er in die Stadt gezogen war. Vermutlich war sein Butler der Ansicht, er solle sich endlich eine Frau suchen und einen Erben produzieren, damit die Langleys nicht ausstarben. Dieser Meinung schien offenbar jeder zu sein. Er hatte jedoch nicht die Absicht, sich zu binden – da konnten sie ihn kritisieren, so viel sie wollten.

Seufzend ging er zum Schreibtisch und setzte sich wieder in seinen Sessel, um auf das Eintreffen seiner Gäste zu warten, während er darüber rätselte, was Lisa Madisons Zofe zu ihm führen mochte. Vielleicht hatte sie eine Nachricht von Lisa und Christiana für ihn. Doch die Anwesenheit des Mannes, der Bet festhielt, konnte er sich beim besten Willen nicht erklären.

»Oh, Mylord!«

Als Robert den Kopf hob, sah er, dass Bet Anstalten machte, auf ihn zuzustürzen, jedoch von dem Mann, der sie am Arm hielt, zurückgerissen wurde. Der schmerzerfüllte Ausdruck in ihrem Gesicht verriet ihm, dass der Griff des Kerls so unbarmherzig war, wie er ihm erschien. Aufgebracht über die grobe Behandlung erhob er sich. »Lassen Sie sie los!«

»Sobald ich das Geld bekomme, das mir versprochen wurde«, knurrte der Mann, schien seinen Griff jedoch ein wenig zu lockern.

»Das Geld?« Robert sah Bet fragend an.