Wie Bill es sieht - Alcoholics Anonymous World Services Inc. - E-Book

Wie Bill es sieht E-Book

Alcoholics Anonymous World Services Inc.

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Diese Sammlung der Texte von Bill W. dient als Quelle von Trost und Inspiration und spricht Themen wie Akzeptanz, Dankbarkeit und Spiritualität an. Auszüge aus dem Blauen Buch, dem "12 & 12", der Zeitschrift Grapevine und anderer AA-Literatur. Mit einem thematischen Inhaltsverzeichnis, um Lesen und Diskussion anzuleiten. Von der General Service Konferenz bestätigt.

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Seitenzahl: 227

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Wie Bill es

sieht

AA– Ein Lebensweg

Auszüge aus den Schriften

des Mitbegründers der

Anonymen Alkoholiker

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

„As Bill Sees It — The A.A. Way of Life“

Copyright © 1967 by

Alcoholics Anonymous World Services, Inc.,

New York N.Y., USA

All rights reserved. Reproduced with permission of Alcoholics Anonymous World Services, Inc.

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck mit Genehmigung von Alcoholics

Anonymous World Services, Inc.

Dies ist weltweit anerkannte AA-Literatur.

Herausgeber 2010

Anonyme Alkoholiker Interessengemeinschaft e. V.

Frankfurter Allee 40, 10247 Berlin

www.anonyme-alkoholiker.de

ALCOHOLICS ANONYMOUS ®, AA®

sind registrierte Schutzzeichen von

AA World Services, Inc.

Überarbeitete Auflage 2018

Vorwort

Liebe Freunde,

dieses Buch enthält mehrere Hundert Auszüge aus unserer Literatur, die fast alle Aspekte des Lebens in der Gemeinschaft AA berühren. Diese Texte können zum Nachdenken anregen, die Gruppendiskussion befruchten und zur intensiveren Lektüre der AA-Literatur hinführen.

Im Verlauf der letzten 20 Jahre habe ich folgende Bücher über die AA geschrieben: „Anonyme Alkoholiker“, „Zwölf Schritte und Zwölf Traditionen“, „AA wird mündig“ und „Zwölf Anleitungen für den Weltdienst“, letzteres als Bestandteil unseres „Handbuches über das dritte Vermächtnis“.

Viele Artikel sind für unsere Monatsschrift „AA Grapevine“ geschrieben worden, und ich führte stets einen regen und umfangreichen Briefwechsel.

Hauptsächlich aus diesen Quellen wurde der Inhalt dieses Buches zusammengestellt. Da die angeführten Stellen aus dem Zusammenhang genommen wurden, war es der Verständlichkeit wegen notwendig, manches zu überarbeiten, anderes neu zu schreiben.

Selbstverständlich gibt diese Schrift meine persönliche Ansicht über den Lebensweg der AA wieder. Darum ist sie begrenzt und unvollkommen. Trotzdem hoffe ich, mit diesem Buch einem Bedürfnis entgegenzukommen.

Ergebenst euer

Bill W.

April 1967

Zur Ausgabe in deutscher Sprache

Die weltweit verbreitete Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker verdankt ihren Gründern Bill W. und Dr. Bob viel. Lange Zeit widmete sich Bill ausschließlich dem Aufbau der Gemeinschaft. Wesentliche Impulse für das geistige Programm, dessen inhaltliche Vertiefung und praktische Handhabung, gehen auf ihn zurück. Der Mitgründer der Gemeinschaft ist so gleichsam auch deren Architekt und Baumeister geworden. Eine Reihe von Büchern, eine Vielzahl von Aufsätzen und schriftlich festgehaltenen Reden geben davon Zeugnis.

Dennoch versteht sich Bill stets als einer von Hunderttausenden Alkoholikern, die durch die Gemeinschaft und ihr Programm Hilfe gefunden haben. Seine in diesem Buch wiedergegebenen Äußerungen sind Meinungen, Ansichten, Deutungen – eben: „Wie Bill es sieht.“ Er würde sich zweifellos missverstanden fühlen, wenn wir ihm daraus Absolutheitsansprüche zubilligen wollten. Immer wieder lernen wir voneinander im Austausch von Erfahrungen, indem wir Kraft und Hoffnung teilen.

Von Bill können wir viel lernen und uns seine Erfahrungen mit dem Programm und mit den Traditionen vielfältig zunutze machen. So ist dieses Buch gemeint.

Das Literatur-Team hat sich um eine möglichst wort- und sinngetreue Übersetzung bemüht und gibt dieses Buch in aktualisierter Form in die Hände der Gemeinschaft. Die Verwendung des Genus schließt generell weibliche wie auch intersexuelle Formulierungen mit ein.

Januar 2018

1

Veränderung der Persönlichkeit

Oft ist über die AA gesagt worden, dass wir uns nur mit Alkoholismus befassen. Das stimmt nicht. Wir müssen aufhören zu trinken, um am Leben zu bleiben.

Doch jeder, der das Persönlichkeitsbild eines Alkoholikers aus eigener Erfahrung kennt, weiß, dass ein Alkoholiker ohne eine tiefgreifende Veränderung seiner Persönlichkeit niemals ganz mit dem Trinken aufhören wird.

Wir glaubten, wegen der „Umstände“ trinken zu müssen. Als wir versuchten, diese Umstände zu ändern und das nicht zu unserer völligen Zufriedenheit gelang, entglitt uns die Kontrolle über unser Trinken. Wir wurden Alkoholiker. Es kam uns nicht in den Sinn, dass wir uns selbst ändern mussten, um mit den jeweiligen Umständen fertig zu werden.

2

In Gottes Hand

Wenn wir zurückschauen wird uns klar, dass alles, was uns zuteil wurde, nachdem wir uns Gott anvertraut haben, besser war, als wir es hätten planen können.

Meine Depression vertiefte sich bis ins Unerträgliche und am Ende kam es mir vor, als sei ich auf dem tiefsten Punkt. In dem Augenblick war der letzte Funke meines stolzen Starrsinns erloschen. Plötzlich hörte ich mich selbst rufen: „Wenn es einen Gott gibt, so soll Er sich zeigen! Ich werde alles tun, alles.“

Augenblicklich war der Raum von grellem, weißem Licht durchflutet. Mir war, als ob ich mich auf einem Berg befände und ein Strom, nicht Luft, sondern Geist, mich umwehte. Da brach die Gewiss-heit über mich herein, dass ich ein freier Mensch war. Langsam wich die Verzückung von mir. Ich lag im Bett, aber ich war soeben in einer anderen Welt, einer neuen Welt des Bewusstseins. Ich war durchdrungen von dem wunderbaren Gefühl der Erscheinung, und ich dachte bei mir: „Das ist der Gott der Verheißung.“

3

Schmerz und Fortschritt

Früher fühlte ich mit allen Menschen, die litten. Jetzt fühle ich nur mit denen, die in Unwissenheit leiden, ohne den Grund und den Sinn ihres Schmerzes zu verstehen.

Jemand sagte einmal, dass Leid der Prüfstein des geistigen Fortschritts sei. Wir AA können dem aus vollem Herzen zustimmen. Wir wissen, dass die Leiden des Alkoholismus der Nüchternheit und ein Aufruhr der Gefühle der Gelassenheit vorangehen müssen.

Festigt euch im Glauben. Wendet euch dem Lichte zu, selbst wenn es jetzt nicht zu sehen ist.

4

Können wir wählen?

Wir dürfen uns niemals von der irrigen Auffassung blenden lassen, lediglich unglückliche Opfer unserer Vererbung, unserer Lebenserfahrung und Umgebung zu sein, und dass allein diese Kräfte für unsere Entscheidungen verantwortlich sind. Das ist nicht der Weg in die Freiheit. Wir müssen daran glauben, dass wir wirklich wählen können.

Als trinkende Alkoholiker konnten wir nicht mehr wählen, ob wir trinken wollten oder nicht. Wir waren Opfer eines Zwanges, der uns den Weg zu unserer eigenen Vernichtung vorzuschreiben schien.

Schließlich wählten wir das, was uns die Genesung brachte. Wir gelangten zu der Überzeugung, dass wir allein dem Alkohol gegenüber machtlos waren. Das war tatsächlich eine Entscheidung – eine der schwersten. Wir kamen zu dem Glauben, dass eine Macht größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann, sofern wir bereit würden, die Zwölf Schritte der AA zu praktizieren.

Kurz gesagt, wir wählten „die Bereitschaft“ - und niemals haben wir eine bessere Wahl getroffen.

5

Beständigkeit und Wachstum

Ein Leben voller tiefem Groll führt zu Sinnlosigkeit und Unglück. Genau in dem Maße, wie wir Groll gewähren lassen, vergeuden wir wertvolle Stunden. Für den Alkoholiker, dessen Hoffnung in der Beständigkeit und dem Wachstum geistiger Reife liegt, ist das Hegen von Groll eine sehr ernste Angelegenheit. Denn er verschließt sich damit selbst dem Licht des Geistes.

Die Alkoholkrankheit bricht erneut aus, wir trinken wieder, und Trinken bedeutet für uns Sterben.

Wollten wir leben, so mussten wir uns von Ärger freimachen. Nörgelei und plötzliche Wut waren nichts für uns. Furcht ist schon für jeden Menschen ein zweifelhafter Luxus, doch für uns Alkoholiker ist Furcht reines Gift.

6

Alles oder nichts?

Lebensbejahung und Vertrauen bringen vollkommene Nüchternheit. Normalerweise stimmt das; es muss stimmen, sonst könnten wir überhaupt nicht leben. Übertragen wir diese Erkenntnis auf unsere emotionalen Probleme, stellen wir fest, dass wir nur bedingt zu einem Ergebnis gelangen. Niemand kann wohl von Angst, Groll und Stolz ganz befreit werden.

Darum streben wir in diesem Leben keine Vollkommenheit an, außer in Demut und in der Liebe. Wir müssen uns bei den meisten unserer Probleme auf einen stufenweisen Fortschritt einstellen, häufig unterbrochen von harten Rückschlägen.

Unsere alte „Alles-oder-Nichts-Einstellung“ müssen wir aufgeben.

7

Geistige Werte

Der Bereich der Spiritualität

In alten Zeiten quälte sich der materielle Fortschritt langsam voran. Wissenschaftliche Forschung, Entdeckungen und Erfindungen nahmen nicht den Raum ein wie in der Gegenwart.

Im Bereich der Materie war des Menschen Geist durch Aberglauben, Tradition und vielerlei fixe Ideen gefesselt. Es gab Zeitgenossen von Kolumbus, die eine runde Welt für unnatürlich hielten. Andere wollten Galilei wegen astronomischen Ketzereien umbringen lassen.

Sind nicht einige von uns spirituellen Dingen gegenüber so voreingenommen und eigensinnig, wie einst unsere Vorfahren gegenüber dem Feld der Materie?

Wir wissen, Gott stellt denen, die Ihn suchen, keine zu harten Bedingungen.

Für uns erscheint die spirituelle Welt weit, geräumig und allumfassend. Niemals ist sie denen, die sie suchen, verschlossen oder versagt. Wir glauben, dass sie allen Menschen offensteht.

8

Ein neues Leben

Ist Nüchternheit alles, was wir vom spirituellen Erwachen erwarten? Nein, Trockenheit ist nur ein dürftiger Anfang; sie ist nur das erste Geschenk des erstmaligen Wachwerdens. Wollen wir weitere Geschenke erhalten, müssen wir wach bleiben. Je länger das anhält, desto mehr können wir Stück für Stück das alte untaugliche Leben beiseitelegen für ein neues, das funktionieren kann und wird - ganz gleich, unter welchen Umständen.

Ob wir in dieser Welt Erfolg oder Pech, Leid oder Freude, Krankheit oder Gesundheit haben oder gar mit dem Tod konfrontiert sind – wir können ein neues Leben voll unendlicher Möglichkeiten führen, wenn wir bereit sind, mit unserem Erwachen fortzufahren, indem wir die Zwölf Schritte der AA praktizieren.

9

Gruppe und weltweite Gemeinschaft

In dem Moment, in dem Arbeit im Zwölften Schritt zur Entstehung einer Gruppe führt, machen wir eine Entdeckung – dass die meisten Menschen ohne eine Gruppe nicht genesen können. Jedem in der Gruppe wird klar, dass er nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen ist; und kein persönliches Opfer zu groß, um die Gemeinschaft zu erhalten. Er lernt, seine Wünsche und Neigungen zu unterdrücken, sofern sie der Gruppe Schaden zufügen könnten.

Es ist klar, dass die Gruppe überleben muss, sonst kann es der Einzelne nicht.

Der Seemann, der Soldat in einem fernen Land – alle diese AA ohne Gruppe wissen, dass sie zur weltweiten Gemeinschaft der AA gehören, dass sie von den anderen nur räumlich getrennt sind; ihre Freunde sind nur so weit entfernt, wie der nächste Hafen, der angelaufen wird.

Ebenso wichtig ist, sich in Gottes Gnade zu wissen, ob auf hoher See, auf einsamem Wachtposten oder zu Hause.

10

Aus dem Dunkel

Durch Selbsterforschung können wir Licht, Leben und Gnade in die dunklen Seiten unserer Persönlichkeit bringen. Damit geht die Entwicklung jener Art von Demut einher, durch die wir Gottes Hilfe erlangen können. Aber das ist nur ein Schritt. Wir möchten weitergehen.

Wir wollen, dass das Gute, das in uns allen – selbst in den schlechtesten Menschen – ist, blüht und wächst. Doch zunächst brauchen wir Sonnenlicht; im Dunkel kann nichts wachsen. Selbstbesinnung ist unser Schritt in die Sonne.

Ein helles Licht scheint auf uns zu fallen – wenn wir unsere Augen öffnen. Weil unsere eigenen Charakterfehler Ursache unserer Blindheit sind, müssen wir uns zunächst mit ihnen auseinandersetzen.

Eine konstruktive Selbstbesinnung ist die wichtigste Voraussetzung eines jeden neuen Schrittes in unserem spirituellen Wachstum.

11

Quantität oder Qualität

Was diesen Rückfall angeht – ich wäre nicht zu sehr entmutigt. Ich glaube, dass du sehr unter einem unnötigen Schuldgefühl leidest. Aus welchen Gründen auch immer, einigen von uns hat der Herr einen härteren Weg vorgeschrieben, und ich meine, du bist genau auf einem solch harten Weg. Gott verlangt von uns nicht, dass wir erfolgreich sind. Er verlangt nur, dass wir uns darum bemühen. Du versuchst es gewiss, und ich habe es versucht. Darum würde ich nicht aus Entmutigung oder Scham den AA fernbleiben. Genau dort bist du richtig. Warum versuchst du es nicht einmal als Mitglied? Du brauchst dir nicht gleich die ganze AA-Gemeinschaft aufzuladen, weißt du!

Es ist nicht immer die Anzahl guter Dinge, die du tust, sondern auch deren Qualität, die zählt.

Vor allem aber, versuche es – einen Tag nach dem anderen.

12

Suche nach falschem Gold

Stolz ist die Hauptbrutstätte menschlicher Schwierigkeiten, das größte Hindernis für echten Fortschritt. Stolz verleitet uns zu Ansprüchen gegen uns oder andere, die nicht erfüllt werden können, ohne unsere gottgegebenen Triebe zu missbrauchen oder fehlzuleiten. Wenn es uns nur um die Befriedigung unserer sexuellen Bedürfnisse geht, wenn unser Wunsch nach Sicherheit und nach einem Platz in der Gesellschaft zum Hauptlebensinhalt wird, dann ergreift uns ein Hochmut, der uns zwingt, immer wieder unsere Ausschweifungen zu rechtfertigen.

Ich kann „Demut für heute“ nur so weit verwirklichen, wie es mir gelingt, einerseits dem Morast von Schuld und Rebellion, andererseits aber auch dem trockenen, doch betrügerischen Land auszuweichen, das mit falschen Goldstücken des Stolzes bedeckt ist. Nur so kann ich die breite Straße der Demut, die zwischen beiden Extremen liegt, finden und auf ihr bleiben. Daher ist eine ständige Inventur angesagt, die mich warnt, wenn ich von dieser Straße abkomme.

13

Geteiltes Geschenk

Die Gemeinschaft AA ist mehr als eine Zusammenstellung von Prinzipien; sie ist eine Gesellschaft tätiger Alkoholiker.

Wir müssen die Botschaft weitergeben, sonst welken wir dahin. Und die, denen wir die Wahrheit nicht gebracht haben, sterben.

Vertrauen ist mehr als unser größtes Geschenk; wir teilen es mit Anderen, das ist unsere größte Verpflichtung.

Mögen wir AA ständig die Weisheit und die Bereitschaft suchen, durch die wir das unendliche Vertrauen rechtfertigen können, das der Spender aller vollkommenen Gaben in unsere Hände gelegt hat.

14

Schwierigkeiten mit Neuen

Es liegt die Versuchung nahe, dass wir neuen Freunden gegenüber ziemlich besitzergreifend werden. Vielleicht versuchen wir, sie in Angelegenheiten zu beraten, für die wir wirklich nicht zuständig sind oder zu denen wir nichts sagen sollten. Wir sind verletzt und bestürzt, wenn unser Rat zurückgewiesen wird oder wenn er befolgt wird und noch größere Verwirrung bringt.

Du schaffst es nicht, dass ein Pferd Wasser trinkt, wenn es Bier möchte oder wenn es zu dumm ist und überhaupt nicht weiß, was es will. Stell ihm einen Eimer Wasser hin, erzähl ihm, wie und warum das gut ist, und dann lass es allein.

Wenn jemand wirklich betrunken werden will, gibt es – soweit ich weiß – keinen Weg, ihn aufzuhalten. Lass ihn also allein und lass ihn sich betrinken.

Doch versage ihm nicht den Eimer Wasser, wenn er danach verlangen sollte.

15

Bleibende Werte

Viele Menschen wollen mit absoluten geistigen Werten nichts zu tun haben. Perfektionisten, so sagen sie, sind entweder eingebildet, weil sie glauben, sie hätten ein unwahrscheinliches Ziel erreicht, oder sie versinken in Selbstanklage, wenn ihnen das nicht gelingt.

Aber ich denke, wir sollten das nicht so sehen. Es liegt nicht an den großen Idealen, dass sie manchmal missbraucht und zu billigen Ausreden für Schuld, Rebellion und Stolz werden. Im Gegenteil: Wir können nicht wachsen, wenn wir uns nicht ständig die ewigen spirituellen Werte vergegenwärtigen.

Tagtäglich versuchen wir, uns ein wenig der Vollkommenheit Gottes zu nähern. Wir brauchen uns nicht in rührseligen Schuldgefühlen zu verzehren, über unsere Unfähigkeit, bis nächsten Donnerstag gottgleich zu sein. Fortschritt ist unser Ziel. Gottes Vollkommenheit ist das Leuchtfeuer, Lichtjahre entfernt, das uns anzieht.

16

Niemals wieder?

Die meisten Menschen fühlen sich mit der 24-Stunden-Methode sicherer als mit dem Entschluss, niemals mehr zu trinken. Sie haben zu viele Versprechen gebrochen. Es ist wirklich eine Sache der persönlichen Wahl; jeder AA hat das Recht, das Programm so auszulegen, wie er es möchte.

Ich persönlich habe die Einstellung, dass ich niemals mehr trinken will. Das ist etwas anderes, als wenn ich sage: „Ich werde niemals wieder trinken!“

Letzteres bringt die Menschen oft in Schwierigkeiten, weil hier auf persönlicher Basis etwas geschehen muss, was wir Alkoholiker niemals können. Es hat zu viel mit dem Willen zu tun und lässt zu wenig Raum für den Glauben, dass Gott uns von unserer Sucht befreien wird, wenn wir im AA-Programm leben.

17

Ehrlichkeit

Der verdrehte Wunsch, ein niederes Motiv unter einem guten zu verstecken, durchdringt alle menschlichen Angelegenheiten von unten nach oben. Solch raffinierte und schwer fassbare Selbstherrlichkeit kann dem unwichtigsten Gedanken und der geringsten Tat zugrunde liegen. Wenn wir täglich lernen, Fehler zu erkennen, zuzugeben und zu korrigieren, gewinnen wir das Wesentliche für die Entwicklung unserer Persönlichkeit und damit ein gutes Leben.

Die Täuschung Anderer ist fast immer in Selbsttäuschung verwurzelt.

Mit Gott allein zu sein, scheint weniger schwierig, als einem anderen Menschen gegenüberzusitzen. Solange wir uns nicht hinsetzen und laut über das sprechen, was wir so lange verborgen haben, ist unsere Bereitschaft, Hausputz zu halten, nur graue Theorie. Wenn wir einem anderen gegenüber ehrlich sind, beweisen wir, dass wir uns selbst und Gott gegenüber ehrlich waren.

18

Kamerad und Partner

Bob war mein ständiger Kamerad und Partner bei dem großen AA-Abenteuer. Als Arzt und große Persönlichkeit sah er in der Arbeit mit Anderen seine Hauptaufgabe in der Gemeinschaft AA, und er hatte Erfolge, die in Quantität und Qualität kaum übertroffen werden können. Mit Unterstützung der unvergleichlichen Schwester Ignatia vom St.-Thomas-Hospital in Akron behandelte er kostenlos 5.000 leidende Alkoholiker, und zwar sowohl medizinisch als auch spirituell.

Trotz aller Mühen und Belastungen in der Pionierzeit der AA fiel zwischen uns kein hartes Wort. Dies, so kann ich dankbar sagen, war hauptsächlich sein Verdienst.

Ich verabschiedete mich von Bob mit dem Wissen, dass er sich einer schwierigen Operation unterziehen musste. Auf seinem Gesicht war das altbekannte breite Lächeln, als er scherzend sagte: „Denk daran Bill, lass uns diese Sache nicht in den Sand setzen. Lassen wir es unkompliziert!“

Ich drehte mich um, nicht fähig, ein Wort zu sagen. Das war das letzte Mal, dass ich ihn sah.

19

Der Wein des Erfolges

Nicht nur unangenehme und unerwartete Probleme erfordern Selbstkontrolle. Wir müssen genauso vorsichtig sein, wenn wir ein bestimmtes Maß an Geltung und materiellem Erfolg erreicht haben. Denn niemand hat persönliche Triumphe mehr geliebt als wir; wir tranken den Erfolg wie Wein, und damit ging uns das Gefühl der Überheblichkeit niemals verloren. Verblendet durch Stolz und übersteigertes Selbstbewusstsein konnten wir den großen Mann spielen.

Nun sind wir in der Gemeinschaft der AA. Nüchtern gewinnen wir die Achtung unserer Freunde und Geschäftspartner zurück, aber wir müssen immer noch üben, wachsam zu sein.

Als Versicherung gegen die Gefahren des Höhenfluges können wir uns selbst prüfen, indem wir uns erinnern, dass wir heute nur durch die Gnade Gottes nüchtern sind und dass jeder Erfolg weit mehr Sein, als unser Verdienst ist.

20

Licht durch ein Gebet

Gott gebe mir die Gelassenheit,

Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,

den Mut, Dinge zu ändern,

die ich ändern kann,

und die Weisheit,

das eine vom anderen zu unterscheiden.

Wir hüten unseren „Gelassenheitsspruch“, weil er uns ein Licht bringt, das unsere alte und verhängnisvolle Neigung zum Selbstbetrug vertreibt.

In diesem Gebet können wir erkennen, dass eine voll akzeptierte Niederlage kein Unglück sein muss. Wir wissen jetzt, dass wir weder davonlaufen noch erneut zu versuchen brauchen, Widerstände mit dem Bulldozer niederzuwalzen, weil sich nämlich dann die Hindernisse vor uns schneller aufbauen, als wir sie niederreißen können.

21

Wieder Bürger

Jeder von uns, der nach dem Programm lebt, verbringt in den ersten Jahren sehr viel Zeit mit der Arbeit im Zwölften Schritt. Das war bei mir so und wahrscheinlich wäre ich mit weniger Arbeit nicht nüchtern geblieben.

Jedoch kommen früher oder später andere Verpflichtungen auf uns zu – Familie, Freunde und der Staat. Wie du weißt, heißt es im Zwölften Schritt, dass wir „versuchten, unser tägliches Leben nach diesen Grundsätzen auszurichten.“ Damit meine ich, dass du dein Gewissen entscheiden lässt, ob du eine bestimmte Aufgabe im Zwölften Schritt übernimmst oder nicht. Kein anderer kann dir mit Sicherheit sagen, was du zum jeweiligen Zeitpunkt tun sollst.

Ich weiß nur, dass man von dir erwartet, an einem gewissen Punkt, mehr zu tun, als nur die Botschaft an andere Alkoholiker weiterzugeben. In der Gemeinschaft der AA streben wir nicht nur nach Nüchternheit – wir versuchen, wieder Bürger dieser Welt zu werden, die wir abgelehnt hatten und die uns abgelehnt hat. Wieder „gesellschaftsfähig“ zu sein, ist das letzte Glied in der Beweiskette für die Tatsache, dass Arbeit im Zwölften Schritt eine überaus wichtige, aber nicht die einzige Aufgabe in unserem neuen Leben ist.

22

Sprungbrett Furcht

Die Hauptsache unserer Charakterfehler war selbstsüchtige Furcht – vor allem die Furcht, wir könnten etwas verlieren, was uns schon gehörte, oder wir könnten etwas nicht bekommen, was wir begehrten.

Das Leben mit unerfüllten Forderungen war ein Zustand ständiger Aufregung und Enttäuschung. Wir konnten darum nicht eher Frieden finden, bis wir Mittel und Wege hatten, um unsere Forderungen zurückzuschrauben.

Wir sind der Ansicht, dass Furcht wegen ihrer Zerstörungskraft der Ausgangspunkt für einen besseren Weg sein kann.

Furcht kann das Sprungbrett sein zu Weisheit und Achtung anderen gegenüber. Furcht bereitet sowohl den Weg zur Gerechtigkeit als auch den zum Hass. Und je mehr Gerechtigkeit und Achtung wir in uns haben, desto eher werden wir jene Liebe finden, die Leiden ertragen lässt und trotzdem freigebig weitergegeben wird. Deshalb braucht Furcht nicht immer zerstörerisch zu sein. Denn die Lektionen aus ihren Folgen können uns zu positiven Werten führen.

23

Anbeter

Wir wissen sehr wohl, dass wir Anbeter gewesen sind. Welch einen Zustand geistiger Gänsehaut rief das bei uns hervor! Haben wir nicht Menschen, Gefühle, Geld und sogar uns selbst angebetet?

Haben wir nicht – wenn auch aus einem besseren Grund – andächtig den Sonnenuntergang, das Meer oder eine Blume betrachtet? Wer von uns hat nicht irgendetwas oder irgendjemanden geliebt? Waren nicht diese Dinge der Stoff, aus dem heraus unsere Leben aufgebaut worden sind? Bestimmten schließlich nicht diese Empfindungen überhaupt den Verlauf unseres Lebens?

Wir konnten unmöglich sagen, dass wir nicht die Fähigkeit besaßen, zu glauben, zu lieben oder anzubeten. Irgendwie lebten wir im Glauben und in wenig sonst.

24

Wenn die Tünche runter ist

In den Anfängen dauerte es ganze vier Jahre, bis die AA nur einer einzigen Frau zur Nüchternheit verhelfen konnten. Genau wie diejenigen, deren Tiefpunkt nicht die Gosse war, sagten die Frauen, dass sie anders seien; die Gemeinschaft AA war nichts für sie. Als die Verbindung untereinander jedoch besser wurde – häufig von den Frauen selbst ausgehend –, veränderte sich das Bild.

Dieser Vorgang der Identifizierung und Weitergabe setzte sich fort.

Der Penner glaubte, er sei anders. Dasselbe, sogar noch lauter, sagte der Mann aus der feinen Gesellschaft (oder der Park Avenue-Gammler) – und so sprachen die Künstler und die Therapeuten, so sprachen Reiche, Arme, Religiöse, Agnostiker, Indianer und Eskimos, Kriegsveteranen und Gefangene.

Heute sprechen sie alle – und viele, viele andere – nüchtern darüber, wie sehr wir Alkoholiker uns alle gleichen, wenn es hart auf hart kommt.

25

Nicht stehen bleiben

In den ersten Tagen der AA habe ich mir nicht viele Gedanken über die Lebensgebiete gemacht, auf denen ich zum Stillstand gekommen war. Es gab immer ein Alibi. „Schließlich“, sagte ich mir, „habe ich viel zu viel mit wichtigeren Dingen zu tun.“ So lautete mein fast perfektes Rezept für Bequemlichkeit und Selbstzufriedenheit.

Wie viele von uns nehmen sich heraus zu sagen: „Ich bin nüchtern und ich bin glücklich. Was will ich noch mehr? Was soll ich noch tun? So geht es mir doch bestens.“

Wir wissen, dass der Preis für solche Selbstzufriedenheit ein unvermeidliches Rückwärtsschreiten ist, das an einer bestimmten Stelle durch grausames Erwachen aufgehalten wird. Wir müssen wachsen, sonst verschlechtern wir uns. Für uns kann der augenblickliche Zustand nur heute Gültigkeit haben, niemals morgen.

Wir müssen uns ändern. Wir dürfen nicht stehen bleiben.

26

Wahre Unabhängigkeit des Geistes

Je größer unsere Bereitschaft ist, von einer höheren Macht abhängig zu werden, desto unabhängiger werden wir. Darum ist die in der Gemeinschaft AA praktizierte Abhängigkeit tatsächlich ein Weg, die wahre Unabhängigkeit des Geistes zu erlangen.

Wir sind überrascht, wenn wir im täglichen Leben entdecken, wie abhängig wir wirklich sind und wie wenig uns diese Abhängigkeit bewusst ist. Jedes moderne Haus hat eine Stromleitung, die für Elektrizität und Licht sorgt. Wir akzeptieren gern unsere Abhängigkeit von diesem Wunder der Wissenschaft; dadurch sind wir persönlich unabhängig, wir haben mehr Bequemlichkeit und Sicherheit. Der Strom fließt genau dorthin, wo wir ihn brauchen. Ruhig und sicher sorgt die Elektrizität, diese nur für wenige Menschen verständliche Energiequelle, für unsere einfachsten Bedürfnisse des täglichen Lebens.

Dieses Beispiel akzeptieren wir bereitwillig. Oft wiedersprechen wir jedoch heftig dem gleichen Grundsatz, wenn er uns als Weg zum geistigen Wachstum empfohlen wird. Um es klar auszudrücken: Wir werden niemals die Freiheit durch Gott kennen lernen, wenn wir nicht versuchen, Seinen Willen für uns zu erkennen. Wir haben die Wahl.

27

Tägliche Frist

Wir sind nicht vom Alkoholismus geheilt. Was wir besitzen, ist die Frist eines Tages zur Erhaltung unserer geistigen Gesundheit.

Wir AA gehorchen spirituellen Grundsätzen; zunächst, weil wir es müssen, dann weil wir es sollten und schließlich, weil wir die Art von Leben lieben, die dieser Gehorsam zur Folge hat.

Großes Leid und große Liebe sind die Lehrmeister der AA; andere brauchen wir nicht.

28

Von Quertreibern lernen

Es gibt nur noch wenige unter uns, die befürchten, dass ein Neuer dem Ruf oder der Wirksamkeit der AA Schaden zufügen kann.

Rückfällige, Schreihälse, Radaubrüder, Spinner, Rebellen gegen das Programm und Geschäftemacher mit dem AA-Namen – alle diese Menschen schaden einer AA-Gruppe selten ernsthaft über längere Zeit.

Einige von ihnen wurden unsere geachtetsten und geliebtesten Freunde.

Einige Andere blieben nüchtern, stellten unsere Geduld aber auf harte Proben.

Andere blieben fort.

Wir sind dazu übergegangen, Quertreiber nicht als Gefahr, sondern als unsere Lehrer anzusehen. Sie zwingen uns zu Geduld, Toleranz und Demut. Es sind nur Menschen, die kränker als wir anderen sind, und wenn wir sie verdammen, sind wir die Pharisäer, deren falsche Selbstgerechtigkeit unserer Gruppe einen größeren geistigen Schaden zufügt.

29

Dankbarkeit ist der Weg nach vorn

Dankbarkeit ist der Weg nach vorn, nicht zurück.

Mit anderen Worten, indem du die Botschaft an andere weitergibst, kannst du die Hilfe, die dir zuteil wurde, am besten zurückzahlen.

Es gibt keine tiefere Zufriedenheit und größere Freude als nach einer guten Arbeit im Zwölften Schritt.

Die Augen von Männern und Frauen zu beobachten, wie sie sich vor Staunen öffnen, wenn sie aus dem Dunkel ins Licht treten, zu sehen, wie ihr Leben sehr schnell einen neuen Sinn und eine neue Bedeutung erhält und vor allem zu beobachten, wie sie die Erkenntnis erlangen, dass es einen liebenden Gott in ihrem Leben gibt – all das ist der Gegenwert, den wir erhalten, wenn wir die AA-Botschaft weitergeben.

30

Fort vom Trockenrausch

Manchmal werden wir deprimiert. Ich sollte es wissen; ich bin selbst ein Meister des Trockenrausches gewesen. Während die oberflächlichen Gründe leicht erkennbar sind – einer Depression geht immer ein Auslöser voraus – liegen die eigentlichen Ursachen, davon bin ich überzeugt, sehr viel tiefer.

Vom Verstand her konnte ich meine Lage akzeptieren. Vom Gefühl her konnte ich es nicht.

Auf diese Probleme gibt es bestimmt keine passenden Antworten. Doch ein Teil der Beantwortung liegt gewiss in dem ständigen Bemühen, alle Zwölf Schritte der AA zu leben.

31

Gottes Wege

Im Haushalt Gottes gibt es keine Verschwendung. Durch einen Fehlschlag lernen wir die Lektion Demut, die uns vielleicht noch fehlte, so schmerzlich das ist.

Wir erlangten nicht immer Weisheit durch unsere Tugenden; unser besseres Verständnis liegt oft in schmerzlichen Erfahrungen alter Dummheiten verankert. Weil dies die Substanz unserer persönlichen Erfahrung ist, ist es auch die Substanz unserer Erfahrung als Gemeinschaft.

32

Moralische Verantwortung

Es gibt Menschen, die den Standpunkt der AA strikt ablehnen, dass Alkoholismus eine Krankheit ist. Sie meinen, dass dieses Konzept die Alkoholiker von ihrer moralischen Verantwortung entbindet. Wie jeder AA weiß, stimmt das überhaupt nicht. Wir gebrauchen nicht den Begriff der Krankheit, um uns der Verantwortung zu entziehen. Im Gegenteil, wir benutzen die fatale Krankheit, um dem leidenden Alkoholiker die größte moralische Verpflichtung aufzuerlegen, die Verpflichtung, nach den Zwölf Schritten der AA zu leben, um gesund zu werden.

Für die Anfänge der Trinkerzeit mag es gelten, dass der Alkoholiker sich durch Verantwortungslosigkeit schuldig macht. Aber wenn das Trinken zum Zwang geworden ist, kann er nicht mehr voll für sein Verhalten verantwortlich gemacht werden. Er befindet sich in der Sucht, die ihn zum Trinken zwingt, und seine körperliche Abhängigkeit gegenüber dem Alkohol garantiert ihm am Ende Wahnsinn oder Tod.