Trocken bleiben - Nüchterrn leben - Alcoholics Anonymous World Services Inc. - E-Book

Trocken bleiben - Nüchterrn leben E-Book

Alcoholics Anonymous World Services Inc.

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Allein durch die Worte "nüchtern bleiben" – ganz abgesehen von nüchtern leben – fühlten sich viele von uns angegriffen, als wir zum ersten Mal einen solchen Ratschlag hörten. Auch wenn wir viel getrunken hatten, fühlten sich viele von uns nie betrunken, und wir waren uns sicher, dass wir fast nie betrunken schienen oder uns so anhörten. Viele von uns torkelten nie, fielen nie hin und hatten nie Schwierigkeiten mit dem Sprechen; viele andere benahmen sich nie zügellos, fehlten nie auf der Arbeit, hatten nie einen Autounfall, und ganz bestimmt waren wir nie wegen Trunkenheit im Krankenhaus oder gar im Gefängnis.Wir kannten viele Leute, die mehr tranken als wir und andere, die den Alkohol überhaupt nicht vertragen konnten. So waren wir nicht. Daher war die Empfehlung "nüchtern zu bleiben" schon fast eine Beleidigung. Außerdem erschien es unnötig drastisch. Wie konnten wir so leben? Sicherlich war nichts verkehrt an einem oder zwei Cocktails bei einem Arbeitsessen oder vor dem Abendessen. Hatte nicht jeder Anspruch darauf, sich mit ein paar Gläsern zu entspannen oder ein paar Bier vor dem Schlafengehen zu trinken?Nachdem wir jedoch einige der Tatsachen über die Krankheit Alkoholismus gelernt hatten, änderte sich unsere Meinung. Wir wurden uns gewahr, dass offensichtlich Millionen von Menschen die Krankheit Alkoholismus haben. Die medizinische Wissenschaft kann ihre "Ursache" nicht erklären, aber medizinische Alkoholismus-Experten versichern uns, dass jegliches Trinken den Alkoholiker oder Problemtrinker in Schwierigkeiten bringt. Unsere Erfahrung bestätigt dies auf überwältigende Weise.So wird die Abstinenz vom Alkohol – d. h. nüchtern bleiben – zur Basis der Genesung vom Alkoholismus. Und wir wollen betonen: Nüchtern zu leben erweist sich keinesfalls, wie wir befürchtet hatten, als trostlos, langweilig oder unangenehm, sondern als etwas, dass wir zu genießen beginnen und als viel aufregender empfinden als unsere Trinkertage. Wir werden dir zeigen wie es geht.

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Seitenzahl: 190

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TROCKEN

BLEIBEN –

NÜCHTERN

LEBEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe:„Living Sober“.

© 1975 Alcoholics Anonymous World Services, Inc.

All rights reserved. Reproduced with permission ofAlcoholics Anonymous World Services, Inc. Alle Rechtevorbehalten. Nachdruck mit Genehmigung vonAlcoholics Anonymous World Services, Inc.

Herausgeber

Anonyme Alkoholiker Interessengemeinschaft e.V.Frankfurter Allee 40, 10247 Berlin

Das ist weltweit anerkannte AA-Literatur

AA General Service Conference, New YorkGemeinsame Dienstkonferenz imdeutschsprachigen Raum

www.anonyme-alkoholiker.de [.at oder .ch]

Die Verwendung des Genus schließt generell

weibliche wie auch intersexuelle Formulierungen mit ein.

21. überarbeitete Auflage 2020

Trocken bleiben – Nüchtern leben

Viele von uns waren schockiert, als sie zum ersten Mal den Rat hörten: „Bleib nüchtern“, ganz zu schweigen von „Lebe nüchtern!“ Obgleich wir eine Menge getrunken hatten, fühlten sich viele von uns niemals betrunken. Sie waren überzeugt, dass sie niemals betrunken aussahen oder dass ihre Sprache danach klang. Viele von uns sind niemals getorkelt, hingefallen oder sprachen mit schwerer Zunge; andere wiederum benahmen sich niemals ungebührlich, fehlten nicht einen Tag bei der Arbeit, hatten keine Autounfälle; sie waren niemals wegen Trunkenheit im Krankenhaus oder im Gefängnis.

Wir kannten eine Menge Leute, die mehr tranken als wir; wir kannten auch solche, die überhaupt nicht vernünftig trinken konnten. Aber so warenwirnicht. Und daher war auch der Rat, „nüchtern zu bleiben“, fast schon eine Beleidigung für uns.

Davon ganz abgesehen, war das von uns auch zu viel verlangt! Wie konnte man so überhaupt leben? Ein oder zwei Cocktails bei einem Geschäftsessen und vor dem Abendessen waren doch kein Grund zur Aufregung.

Hatte nicht jeder das Recht, sich mit ein paar Gläsern zu entspannen oder vor dem Schlafengehen ein Bierchen zu trinken?

Nachdem wir aber einige Berichte über die Krankheit Alkoholismus und über ihre Auswirkungen erfahren hatten, änderten wir unsere Ansichten. Wir mussten unsere Augen vor der Tatsache öffnen, dass Millionen Menschen an der Unverträglichkeit des Alkohols erkrankt waren. Die medizinische Wissenschaft kann die Ursachen nicht erklären. Aber die Mediziner, die Experten auf dem Gebiet des Alkoholismus sind, sind davon überzeugt, dass jeglicher Genuss von Alkohol den Alkoholiker oder Problemtrinker in Schwierigkeiten bringt. Unsere eigenen Erfahrungen sind der überzeugendste Beweis dafür.

Somit wird Nichttrinken – das heißt Nüchternbleiben – zur Grundlage für die Genesung vom Alkoholismus. Zusammenfassend können wir sagen: Nüchtern leben ist überhaupt nicht schrecklich, langweilig und unbequem, wie wir erst befürchtet hatten, sondern ein Zustand, an dem wir Freude haben und den wir aufregender finden als trinken. Wir wollen dir auch sagen, warum.

Warum nicht trinken?

Wir Anonymen Alkoholiker sehen die Antwort auf diese Frage vor unseren Augen, wenn wir ehrlich auf unsere Vergangenheit zurückblicken. Unsere Erfahrung beweist ganz klar und deutlich, dass jedes getrunkene Glas den Alkoholiker oder den Problemtrinker in ernsthafte Schwierigkeiten bringt.

Die „Amerikanische Medizinische Gesellschaft“ sagt dazu:

Alkohol hat neben seiner suchtgefährdenden Eigenschaft auch einen psychologischen Effekt, der das Denken und den Verstand verändert. Ein Glas kann den Verstand eines Alkoholikers so verändern, dass er glaubt, ein weiteres vertragen zu können, und dann noch eins, dann noch eins.

Der Alkoholiker kann lernen, seine Krankheit vollständig zu kontrollieren, aber sie kann nicht geheilt werden. Jeder neue Griff zur Flasche lässt sie mit allen Folgen wieder aufbrechen.

Wir sind überrascht, wenn wir feststellen, dass ein nüchternes Leben nicht die traurige, spielverderberische Angelegenheit ist, die wir erwartet haben.

Als wir noch tranken, kam uns das Leben ohne Alkohol überhaupt nicht wie ein Leben vor. Doch für die meisten Anonymen Alkoholiker bedeutet nüchtern leben erst richtig leben – eine erfreuliche Erfahrung.

Wir ziehen unser heutiges Leben dem früheren vor, in dem wir tranken und nur Schwierigkeiten hatten. Noch etwas: Jeder kann nüchtern werden. Das haben wir alle schon unzählige Male gemacht. Aber der Trick ist, trocken zu bleiben und nüchtern zu leben. Und darüber soll dieses Buch berichten.

Bevor im ersten Kapitel Hinweise für den Gebrauch dieses Buches gegeben werden, möchten wir vom deutschsprachigen AA-Literatur-Team, die wir die Übersetzung und Bearbeitung des englischen Textes besorgt haben, eine Bemerkung vorausschicken: Wenn der in den folgenden Kapiteln angesprochene Leser immer wieder mit „Du“ angeredet wird, so möge man das nicht als Unerzogenheit oder plumpe Vertraulichkeit auslegen.

Da wir in der AA-Gemeinschaft alle im gleichen Rettungsboot sitzen, hat sich das Rang- und Berufsunterschiede verwischende „Du“ im Umgang miteinander bewährt. Das AA-Mutterland Amerika und die englische Sprache kennen den Unterschied in der vertraulichen Du- und der distanzierteren Sie-Anrede nicht; dort sagt man „you“ und damit hat sich’s.

Wenn also die Tipps, Kniffe, die Methoden und Erfahrungen von Anonymen Alkoholikern mit nüchterner Praxis in der Du-Form an solche weitergegeben werden, die sich mit dem Leben ohne Alkohol zu Anfang vielleicht noch schwer tun, so geschieht das in dem Bewusstsein, dass hier der Freund zum Freund spricht, dem er im Sinne der AA-Präambel zu helfen bereit ist.

1. Über den Gebrauch dieses Buches

Dieses Buch enthält kein Rezept zur Genesung vom Alkoholismus. Das Genesungsprogramm der Anonymen Alkoholiker, ihre Schritte sind ausführlich in den Büchern „Anonyme Alkoholiker“ (das „Blaue Buch“) und „Zwölf Schritte – Zwölf Traditionen“ besprochen. In diesem Buch werden die Schritte nicht interpretiert, ihre Grundlagen werden hier nicht behandelt.

Hier sprechen wir nur über die Methoden, die wir entwickelt haben für ein Leben ohne Trinken. Sie stehen zu deiner Verfügung, ob du dich für die Anonymen Alkoholiker interessierst oder nicht.

Unser Trinken stand mit vielen großen und kleinen Gewohnheiten im Zusammenhang. Einige von ihnen waren Denk-Gewohnheiten oder betrafen Dinge, mit denen wir uns innerlich befassten. Andere waren Tu-Gewohnheiten, das waren die Dinge, die wir taten, Handlungen, die wir ausführten.

(Zum Beispiel: Kannst du nicht, bevor du das nächste Glas trinkst – was du gerade in der Hand hältst oder über welches du gerade nachdenkst – noch etwas damit warten, bis du beim Ende des nächsten Kapitels angelangt bist? Trinke einstweilen etwas Wasser oder Fruchtsaft anstelle von Alkohol, wenigstens solange du noch liest. Etwas später werden wir dir erklären, was sich hinter dieser Angewohnheit verbirgt.)

In ein paar Monaten, in denen wir diese neue, nüchterne Art und Gewohnheit des Handelns und des Denkens üben, werden sie bei den meisten von uns schon fast zur zweiten Natur, genau wie es seinerzeit mit dem Trinken war. Nichttrinken wird ein normaler und natürlicher Zustand, kein langer, schrecklicher Kampf. Diese praktische „Stunden“-Methode kann leicht zu Hause geübt werden, auch bei der Arbeit und sogar bei gesellschaftlichen Anlässen. Es gibt auch noch ein paar andere Dinge, die wir nicht zu tun, ja, zu vermeiden gelernt haben. Das waren die Dinge nämlich − wie wir jetzt erkennen −, die uns zum Trinken und unsere Trockenheit in Gefahr brachten.

Wir sind der Ansicht, dass du viele, sogar die meisten der Vorschläge, die wir hier besprechen, für ein nüchternes, einfaches und angenehmes Leben anwenden kannst. Die Reihenfolge in diesem Buch hat nichts zu bedeuten. Die kannst du umstellen, wie du willst, Hauptsache ist: es klappt.

Außerdem ist diese Liste nicht vollständig. Praktisch kann dir jeder AA-Freund, den du triffst, einen oder sogar mehrere gute Tipps geben, die du in diesem Buch nicht findest. Und du selbst wirst sicher auch noch ganz neue Methoden entwickeln, die bei dir wirken. Hoffentlich behältst du sie nicht für dich, sondern gibst sie an andere weiter, damit die sie dann auch nutzen können.

Die Anonymen Alkoholiker als Gemeinschaft empfehlen nicht allen Alkoholikern jede der hier beschriebenen Methode. Doch jedes der hier besprochenen Rezepte zur Erhaltung der Nüchternheit hat sich bei einigen aus unserer Gemeinschaft als nützlich erwiesen; vielleicht auch bei dir. Diese Schrift soll eine Art Leitfaden sein, in den man von Zeit zu Zeit hineinschaut; es ist kein Buch, das man einmal durchliest, um dann den Inhalt schnell zu vergessen.

Und hier zwei wertvolle Tipps:

1. Sei aufgeschlossen!

Vielleicht sagen dir einige der hier angebotenen Vorschläge nicht zu. Sollte es so sein, dann – das haben wir herausgefunden – ist es besser, sie erst einmal beiseite zu legen, statt sie gleich abzulehnen. Wer von uns sich ihnen nicht gleich für immer verschließt, kann jederzeit darauf zurückkommen und Ideen ausprobieren, die ihm vorher nicht zusagten. Wir sollten uns jedoch bei dieser Methode immer vor Augen halten, dass wir in einem Selbstbedienungsladen außer den notwendigen Einkäufen auch den Korb noch gern voller Süßigkeiten und Delikatessen packen, die Dinge nämlich, die wir gern mögen. Dann helfen uns als wichtige Gedankenstützen unser Entschluss und unser Wunsch, Gleichgewicht und Ausgeglichenheit in unser Leben zu bringen. Wenn wir vom Alkoholismus genesen wollen, brauchen wir eine „ausgeglichene Diät“ von Gedanken, selbst wenn einige davon auf den ersten Blick nicht so erfreulich aussehen wie andere. Gute Nahrungsmittel, ohne Verstand gegessen, nützen nicht viel. Gute Gedanken sind nicht viel wert, wenn sie nicht klug genutzt werden. Das führt uns zum nächsten Tipp:

2. Gebrauche deinen Verstand!

Wir stellten fest, dass unsere ganze Alltags-Intelligenz nötig ist, um uns nach den folgenden Empfehlungen zu richten.

Wie fast alle anderen Ideen in unserem Leben können auch die Empfehlungen dieses Buches falsch angewandt werden. Zum Beispiel die Bemerkung über Süßigkeiten. Natürlich müssen sich Alkoholiker mit Diabetes, Fettleibigkeit oder Blutzuckerproblemen dafür einen Ersatz suchen, wenn sie nicht ihre Gesundheit gefährden wollen. Trotzdem können sie aber die Idee des Bonbonessens in irgendeiner Form bei der Genesung vom Alkoholismus für sich verwerten.

(Viele Ernährungswissenschaftler schlagen proteinreiche Happen statt Süßigkeiten vor. Außerdem bekommt es nicht jedem, sich des „süßen Hilfsmittels“ zu bedienen. Wir sollten ausgewogene Mahlzeiten zu uns nehmen, auch wenn wir Süßigkeiten essen.)

Ein anderes Beispiel ist der Gebrauch des Sprichwortes „Immer mit der Ruhe“. Wir haben herausgefunden, dass man diesen Ratschlag auch missbrauchen kann, indem man ihn als Entschuldigung für Verspätung, Faulheit oder Grobheit benutzt. Sehen wir uns lieber seine positive Seite an. Richtig angewandt, kann dieser Satz heilen. Falsch verstanden, ist er hinderlich bei unserer Genesung. Einige von uns verlängern den Satz auf ihre Art: „Immer mit der Ruhe, aber tue es!“

Es ist klar, dass wir unseren Verstand benutzen müssen, wenn wir irgend einem Rat folgen wollen. Jede der hier beschriebenen Methoden sollte mit guter Überlegung benutzt werden.

Noch eins! Die Gemeinschaft AA bildet sich nicht ein, eine wissenschaftliche Expertise anzubieten, nach der man nüchtern bleiben kann. Wir wollen mit dir nur unsere persönlichen Erfahrungen teilen. Professionelle Theorien oder Erklärungen überlassen wir anderen.

Daher bieten dir auch diese Seiten keine neuen medizinischen Empfehlungen, wie du mit dem Trinken aufhören kannst, falls du noch trinkst, oder irgendwelche geheimen Wundermittel, um einen Kater zu verkürzen oder gar zu vermeiden.

Du kannst zu Hause nüchtern werden, ganz alleine; manchmal aber sind durch langes Trinken ernsthafte gesundheitliche Schäden entstanden und es ist besser für dich, medizinische Hilfe bei einem Arzt oder in einem Krankenhaus zu suchen. Wenn du ernsthaft krank bist, brauchst du zuerst medizinische Hilfe, bevor du dich vielleicht für das, was wir dir anzubieten haben, interessieren kannst.

Viele von uns, die jedoch nicht so krank waren, um eine Entziehungskur zu brauchen, haben den Alkohol in Gesellschaft anderer AA-Freunde „ausgeschwitzt“. Weil wir selbst durch diese Leidenszeit gegangen sind, können wir oft – als Laien – Anderen in ihrem Leid und Elend helfen. Wir verstehen sie wenigstens. Wir haben dasselbe durchgemacht.

Dieses Buch befasst sich mit dem Nichttrinken (jedenfalls mehr als mit dem Aufhören). Es handelt vom nüchternen Leben.

Für uns begann die Genesung, als wir nicht mehr tranken, nüchtern wurden und uns von Alkohol in jeglicher Form und Menge fernhielten. Wir fanden außerdem heraus, dass wir uns von allen anderen wesensverändernden Drogen fernzuhalten haben. Wir können nur einem vollen zufriedenen Leben entgegen gehen, wenn wir nüchtern bleiben. Nüchternheit ist der springende Punkt für unsere Genesung.

In diesem Buch wird also geschildert, wie man mit der Nüchternheit umgeht. (Früher konnten wir das nicht, darum tranken wir.)

2. Wie man das „erste Glas“ stehen lässt

In unserer Gemeinschaft AA hört man häufig Redensarten wie: „Wenn du das erste Glas nicht trinkst, wirst du auch nicht betrunken“ oder „Ein Glas ist zu viel, aber zwanzig sind nicht genug“.

Die meisten von uns haben früher, als wir anfingen zu trinken, nie mehr als ein oder zwei Gläser getrunken. Später haben wir dann immer mehr gebraucht, manche von uns wurden sehr betrunken und blieben es auch. Vielleicht ist es sogar aufgrund unserer Kondition weder beim Sprechen noch in unserem Benehmen richtig aufgefallen, aber schon zu dieser Zeit waren wir niemals mehr richtig nüchtern. Wurde das Problem zu groß, konnten wir sogar vorübergehend die Trinkmenge herabsetzen, konnten uns auf ein oder zwei Gläser beschränken oder von Schnaps auf Bier und Wein umsteigen. Zumindest versuchten wir, die Menge zu verringern, um nicht vollkommen betrunken zu werden. Oder wir versuchten zu verbergen, wie viel wir tranken.

Doch alle diese Vorkehrungen wurden immer schwieriger. Wir konnten sogar mal ganz aufhören und tranken eine Zeitlang überhaupt nichts.

Schließlich fing es wieder an – nur ein Glas. Und da uns das offensichtlich nicht schadete, fühlten wir uns ganz sicher und tranken das nächste. Da wir bei dieser ersten Gelegenheit vielleicht nicht mehr als die beiden Gläser tranken, stellten wir dann erleichtert fest, dass wir tatsächlich nur ein oder zwei Gläser trinken und danach aufhören konnten. Das haben einige unter uns sehr oft ausprobiert. Doch diese Erfahrung stellte sich als Trugschluss heraus. Den Beweis, dass wir nicht richtig trinken konnten, bekamen wir postwendend frei Haus geliefert. Die nächste Gelegenheit zum Trinken kam (eine besondere Feier, ein persönlicher Verlust, oder – wie so oft – überhaupt kein besonderer Anlass) und zwei oder drei Gläser versetzten uns in eine derart prächtige Stimmung, dass wir überzeugt waren, ein oder zwei weitere könnten auch nicht schaden.

Wir hatten durchaus nicht die Absicht, uns zu betrinken. Doch wir tranken wieder einmal zu viel und waren sofort wieder da, wo wir vorher aufgehört hatten: bei einem totalen Besäufnis, das wir weniger als alles andere gewollt hatten.

Derartige wiederholt gemachte Erfahrungen brachten uns zu dem logischen und unausweichlichen Schluss:

Wenn wir das erste Glas stehen lassen und nicht trinken,

können wir niemals betrunken werden.

Daraus haben wir gelernt, uns niemals mehr zu betrinken oder gar zu versuchen, die Gläser oder die Menge des Alkoholes einzuschränken, sondern uns nur darauf zu konzentrieren, das einzige Glas in Zukunftnichtzu trinken: Das erste.

Statt uns also darum zu bemühen, die Gläser am Ende einer Saufperiode zu zählen, vermeiden wir das erste Glas, mit dem das Ganze angefangen hat.

Das scheint doch wirklich idiotensicher zu sein, oder? Für viele von uns ist es tatsächlich schwer zu glauben, dass wir nicht von allein darauf gekommen sind, bevor wir zu den AA kamen. (Um bei der Wahrheit zu bleiben, haben wir früher wirklich niemals, bevor wir von der Krankheit Alkoholismus hörten, ernsthaft versucht, mit dem Trinken aufzuhören?) Der wichtigste Punkt ist: Jetzt wissen wir, dass die Sache mit der Trockenheit mit dem Stehenlassen des ersten Glases funktioniert. Bevor wir uns vorstellen, wie viele Gläser wir wohl vertragen können – vier, sechs, ein Dutzend? – denken wir lieber „ich kann und darf das erste Glas nicht trinken“. Das ist doch viel einfacher. So zu denken, hat vielen Hunderttausenden geholfen, die schon jahrelang nüchtern sind. Ärzte, die Experten auf dem Gebiet des Alkoholismus sind, berichten, dass es eine vernünftige medizinische Erklärung dafür gibt, dieses erste Glas zu meiden.

Es ist der erste Schluck, der sofort oder später den Drang hervorruft, mehr und mehr zu trinken, bis wir wieder betrunken sind.

Viele von uns sind der Überzeugung, dass Alkoholismus eine Sucht nach der Droge Alkohol ist. Wie viele andere Süchtige, die gesund werden wollen, müssen auch wir uns von der ersten Dosis der Droge, nach der wir süchtig sind, fernhalten.

Unsere Erfahrung beweist das, wie du auch in dem Buch „Anonyme Alkoholiker“ nachlesen kannst und wie du immer wieder hören wirst, wenn AA-Freunde zusammenkommen und ihre Erfahrungen austauschen.

3. Leben nach dem 24-Stunden-Plan

Als wir noch tranken, ging es uns manchmal derart schlecht, dass wir schworen: „Niemals wieder!“. Wir schworen hoch und heilig, eine Pause von einem Jahr einzulegen oder wir versprachen irgendjemandem, den Stoff drei Wochen, drei Monate lang nicht anzurühren. Natürlich versuchten wir, nüchtern zu bleiben und das nicht nur einmal.

Wenn wir diese Erklärung abgaben, meinten wir es absolut ehrlich. Wir wünschten von ganzem Herzen, nie wieder betrunken zu sein. Wir meinten es ernst. Wir schworen dem Trinken ab und wollten für eine unbestimmte Zeit ganz ohne Alkohol leben.

Aber trotz aller guten Vorsätze war das Ergebnis immer das gleiche. Sehr schnell verblasste die Erinnerung an die Versprechungen und an die Schmerzen, die uns dazu gebracht hatten. Wir tranken wieder und bekamen noch mehr Ärger. Unser „ewiges“ Nüchternbleiben dauerte nicht lange.

Einige von uns legten auch Gelübde mit bestimmten Vorbehalten ab: Diese Versprechungen bezogen sich nur auf „harte Sachen“, für Bier oder Wein hatten sie keine Gültigkeit. So lernten wir schnell, falls wir es nicht schon wussten, dass wir auch von Bier und Wein betrunken wurden – wir mussten nur mehr davon trinken, um das gleiche Resultat wie bei destilliertem Spiritus zu erzielen. Wir saßen jetzt auf Bier und Wein genauso fest wie früher auf Schnaps.

Wieder andere gaben das Trinken tatsächlich ganz auf, hielten ihre Gelübde genauso lange ein, bis die versprochene Zeit vorbei war … Dann fingen sie wieder an zu trinken und waren gleich wieder in dem Teufelskreis, jetzt obendrein mit einer zusätzlichen Last von Schuldgefühlen und Vorwürfen beladen.

Nachdem wir solche Kämpfe hinter uns haben, vermeiden wir heute in unseren Meetings und vor uns selbst Aussprüche wie „Dauerabstinenz“ oder „Gelübde ablegen“. Sie erinnern uns an früheres Versagen.

Obwohl wir wissen, dass Alkoholismus ein unabänderlicher Dauerzustand ist, hat uns die Erfahrung gelehrt, keine Langzeitversprechungen über unsere Nüchternheit zu machen.

Wir glauben, dass es realistischer – und auch erfolgreicher – ist, wenn wir sagen: „Nur heute trinke ich nicht“.

Selbst wenn wir gestern noch getrunken haben, können wir uns vornehmen, heutenicht zu trinken. Vielleicht werden wir morgen trinken – aber niemand weiß, ob wir dann noch leben. Doch in diesen 24 Stunden sind wir entschlossen, nicht zu trinken. Ganz gleich, wie groß die Versuchung oder die Herausforderung ist, wir haben uns entschlossen, notfalls bis zum Äußersten zu gehen, umheutenicht zu trinken.

Verständlicherweise sind unsere Freunde und Angehörigen ziemlich skeptisch, wenn sie uns sagen hören: „Dieses Mal meine ich es wirklich ernst“ – und dann sehen sie uns wieder nach Hause wanken.

Darum wollen wir ihnen und anderen gar nicht erst versprechen, nie mehr zu trinken. Jeder von uns verspricht es nur sich selbst. Schließlich stehen unsere eigene Gesundheit und unser Leben auf dem Spiel. Wir, nicht unsere Freunde und Angehörigen, müssen die notwendigen Schritte für unser Wohlergehen unternehmen.

Sollte der Wunsch zu trinken, sehr stark werden, teilen wir die 24 Stunden in kleinere Einheiten ein.

Wir nehmen uns vor, sagen wir mal, für eine Stunde nicht zu trinken. Diese eine unangenehme Stunde, in der wir nicht trinken, werden wir schon überstehen; dann nehmen wir uns die nächste Stunde vor und so weiter. Viele von uns haben auf diese Art die ersten Schritte auf dem Wege ihrer Trockenheit zurückgelegt.

Denn tatsächlich beginnt jedes Trockenwerden mit einer ersten nüchternen Stunde.

Man kann auch den nächsten Schluck aufschieben. (Wie macht man das? Einfach Wasser trinken? Hast du wirklich das Glas aufgeschoben, das wir zu Beginn des vorigen Kapitels erwähnten? Wenn ja, dann kann das der Anfang deiner Genesung sein.)

Das nächste Glas steht ja später wieder da. Aber gerade jetzt wollen wir versuchen, es vor uns herzuschieben, zumindest für heute oder nur für den Augenblick. (Wollen wir mal sagen, für den Rest dieser Seite?)

Der 24-Stunden-Plan ist sehr flexibel. Wir können ihn jederzeit ganz neu beginnen, wo wir auch gerade sind. Zu Hause, bei der Arbeit, in einer Bar oder im Krankenhaus, um 4 Uhr nachmittags oder um 3 Uhr morgens.

Wir können uns jeden Augenblick entscheiden, in den nächsten 24 Stunden nicht zu trinken, oder auch nur in den nächsten 5 Minuten nicht.

Dieser ganz neue Plan hat nicht die schwachen Stellen der Methoden „Dauerabstinenz“ oder „Gelübdeablegen“. Jedes Gelübde, jede geplante Abstinenzperiode gingen einmal zu Ende – und wir fühlten uns wieder frei zum Trinken. Heute ist immer. Das Leben findet heute statt; heute ist alles, was wir haben. Wer will, kann einen einzigen Tag ohne Trinken auskommen: Heute.

Zunächst versuchen wir einmal, im „Jetzt“ zu leben, um nüchtern zu bleiben – und es klappt!

Wenn sich dieser Gedanke erst einmal in unserem Verstand festgesetzt hat, stellen wir fest, dass ein Leben in Abschnitten von 24 Stunden eine sehr wirksame und zufriedenstellende Methode ist, um auch mit vielen anderen Dingen fertig zu werden.

4. Von der unheilbaren Krankheit „Alkoholismus“

Viele Menschen wissen, dass sie bestimmte Nahrungsmittel nicht vertragen – Austern oder Erdbeeren, Eier, Gurken, Zucker oder sonst etwas – ohne dass es ihnen schlecht wird; manchmal werden sie sogar krank davon. Jemand, der eine Nahrungsmittel-Allergie hat, kann ständig voller Selbstmitleid herumlaufen und sich bei allen Menschen beklagen, dass er dies und das und leider etwas besonders Gutes aus gesundheitlichen Gründen nicht essen darf.

Es ist nicht klug – obgleich wir uns irgendwie betrogen fühlen – unsere eigene seelische und körperliche Struktur zu ignorieren. Wenn wir die uns gesetzten Grenzen nicht beachten, kann das schlimme Übelkeit oder Krankheit zur Folge haben. Um gesund und zufrieden leben zu können, müssen wir lernen, mitdem Körper zu leben, den wir haben.

Ein trockener Alkoholiker sollte eine ganz neue Art zu denken entwickeln und in aller Gelassenheit sich selbst als einen Menschen akzeptieren, der Substanzen (Alkohol und andere Ersatzdrogen) meiden muss, um gesund zu bleiben. Unsere eigenen Trinker-Tage, zusammen hunderttausende vertrunkener Lebensjahre von Männern und Frauen, sind der beste Beweis dafür. Wir wissen, dass unsere Probleme mit dem Alkohol im Laufe der Trinkerjahre immer größer werden. Alkoholismus ist eine progressive Krankheit. Natürlich hatten viele von uns Zeiten, in denen wir monate- oder jahrelang glaubten, unser Trinkproblem würde sich von selbst lösen. Wir waren tatsächlich in der Lage, eine beachtlich große Alkoholzufuhr zu überstehen. Bis auf einige Nächte, die wir volltrunken verbrachten, konnten wir sogar nüchtern bleiben. Unser Trinken wurde nicht merkbar schlimmer, soweit wir es beurteilen konnten.

Es passierte überhaupt nichts Schreckliches oder Dramatisches.

Rückblickend können wir heute erkennen, dass unser Trinkproblem im Laufe einer längeren oder kürzeren Zeit langsam aber sicher schlimmer wurde.

Medizinische Alkoholismus-Experten vertreten die Ansicht, dass sich die Krankheit mit zunehmender Lebensdauer verschlimmert (oder solltest du etwa jemand kennen, der nicht älter wird?).

Nach unseren zahlreichen und völlig ergebnislosen Versuchen, das Gegenteil zu beweisen, sind auch wir davon überzeugt, dass Alkoholismus – wie einige andere Krankheiten auch – unheilbar ist. Die Krankheit Alkoholismus kann nicht „geheilt“ werden. Wir können die chemische Zusammensetzung unseres Körpers nicht verändern, um wieder zu normalen, sogenannten bescheidenen Gesellschaftstrinkern zu werden, die wir zu Beginn unserer Trinkerlaufbahn gewesen sein mögen.

Manche sagen, wir können uns von einer Essiggurke nicht wieder in eine grüne Gurke zurückverwandeln. Es gibt keine medizinische oder psychologische Behandlung, um den Alkoholismus zu „heilen“.

Da wir viele, viele Tausende von Alkoholikern gesehen haben, die nicht aufhören konnten zu trinken, sind wir fest davon überzeugt, dass Alkoholismus auch eine heimtückische