Wie der Körper die Seele heilt - Karolina Friese - E-Book

Wie der Körper die Seele heilt E-Book

Karolina Friese

0,0
25,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Manchmal ist es bloß ein Gedanke, der uns durch den Kopf schießt, oder eine unangenehme Erinnerung – und prompt reagieren wir mit Herzrasen, Druck auf der Brust oder einem Gefühl der Erschöpfung. Wie hilfreich wäre es, sich in solchen Momenten selbst beruhigen bzw. stabilisieren zu können! Dieses Buch bietet das nötige Handwerkszeug der psychophysiologischen Selbstregulation. Die Autorinnen erläutern das Zusammenspiel psychischer und physischer Prozesse, die unseren Gefühlen zugrunde liegen. Darauf aufbauend vermitteln sie Hintergrundwissen und Übungen, um übererregte Zustände wie Angst und Panik oder untererregte Zustände wie depressive Episoden über den Körper selbst regulieren zu lernen. Neben körperorientierten Ansätzen fließen auch hypnotherapeutische, achtsamkeitsbasierte und kognitiv-behaviorale Methoden mit ein, die Sicherheitserleben und innere Ruhe fördern.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 340

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Karolina Friese & Daniela BotzWie der Körper die Seele heiltMit Körperübungen intensive Gefühle regulieren

Über dieses Buch

Hilfe zur Selbsthilfe, um intensive Gefühle zu regulieren 

Manchmal ist es bloß ein Gedanke, der uns durch den Kopf schießt, oder eine unangenehme Erinnerung – und prompt reagieren wir mit Herzrasen, Druck auf der Brust oder einem Gefühl der Erschöpfung. Wie hilfreich wäre es, sich in solchen Momenten selbst beruhigen oder stabilisieren zu können!  

Dieses Buch bietet das nötige Handwerkszeug der psychophysiologischen Selbstregulation. Die Autorinnen erläutern das Zusammenspiel psychischer und physischer Prozesse, die unseren Gefühlen zugrunde liegen. Darauf aufbauend vermitteln sie Hintergrundwissen und Übungen, um übererregte Zustände wie Angst und Panik oder untererregte Zustände wie depressive Episoden über den Körper selbst regulieren zu lernen. Neben körperorientierten Ansätzen fließen auch hypnotherapeutische, achtsamkeitsbasierte und kognitiv-behaviorale Methoden mit ein, die Sicherheitserleben und innere Ruhe fördern.

Karolina Friese (re.) ist Psychologische Psychotherapeutin (KVT, Klinische Hypnose und Hypnotherapie M.E.G.) in eigener Praxis in Ratingen. Ihre Schwerpunkte sind Schmerz, Psychosomatik, Angst und Trauma. 

Daniela Botz ist Psychologische Psychotherapeutin (KVT) in eigener Praxis in Hilden. Zu ihren Schwerpunkten gehören die körperorientierte Psychotherapie sowie Paartherapie.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2024

Coverfoto: © cienpies (https://www.istockphoto.com)

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2024

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0552-4

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0553-1 (EPUB), 978-3-7495-0554-8 (PDF).

Die Umsetzung der Trancen, Körper- und Yogaübungen im Rahmen dieses Ratgebers erfolgt auf eigene Verantwortung. Die Autorinnen und der Verlag übernehmen keine Haftung. Das Buch dient der Selbsthilfe und psychoedukativen Zwecken. Es kann keine psychotherapeutische oder fachärztliche Behandlung ersetzen.

Sollten Sie den Verdacht haben, dass Sie fachärztliche Hilfe benötigen, wenden Sie sich an Ihren Hausarzt oder Ihre Hausärztin als Ihre erste Ansprechperson in gesundheitlichen Fragen.

Einführung: Wie der Körper die Seele heilt

„Alle reden über Gefühle, aber durch das Reden über die Gefühle werden sie meist auch nicht verändert, denn das Eigentliche geht noch viel tiefer.“

Eugene T. Gendlin

Wenn Sie dieses Buch zur Hand nehmen, haben Sie vermutlich entweder ein privates oder berufliches Interesse an Körperübungen zur Vitalisierung und Entspannung oder es steckt ein gewisser Leidensdruck dahinter, weil psychosomatische Symptome Ihnen Lebensqualität rauben. Egal, wie sehr Sie das Leben bisher mit stärkenden Erfahrungen gesegnet hat oder wie sehr Sie das Gefühl hatten, immer kämpfen zu müssen, dauerhaft bedroht zu sein oder allein dazustehen – die Fähigkeit, in sich selbst Stärke zu finden und die Herausforderungen des Alltags auf eine gesunde und konstruktive Art zu meistern, schlummert in uns allen. Der Schlüssel heißt: Selbstregulation. Diese kann noch um ein Vielfaches intensiver wirken, wenn wir sie täglich üben, sie zu einem inneren Leitfaden in unserem Leben werden lassen und um eine liebevolle Beziehung (zu uns selbst und unseren Mitmenschen) ergänzen.

Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper und ein gesunder Körper wird durch einen gesunden Geist genährt. Längst ist uns Menschen bewusst geworden, dass Körper und Geist miteinander verbunden sind, schon bevor wir unseren ersten Atemzug auf dieser Welt nehmen. Der Mensch kann nur als Einheit aus Körper und Geist existieren und es ist diese enge Verbindung aus Psyche und Soma, die uns ein Leben lang auf unsere individuelle Weise durch die bewegten Gewässer des Lebens navigiert. Wir sind es uns selbst schuldig, die Navigation unseres Lebensschiffes mit großer Achtsamkeit vorzunehmen. Viele alte Hochkulturen wissen seit jeher um die Untrennbarkeit von Geist und Körper und doch verlieren wir im hektischen und überfüllten Alltag oft den Blick für den körperlichen Ausdruck unserer seelischen Bedürfnisse.

Milton Erickson, der Vater der modernen Klinischen Hypnose und Hypnotherapie, hat – auch anhand seiner eignen persönlichen Erfahrungen – erkannt, wie eng Körper und Geist zusammenarbeiten. Er bezeichnete den Körper als ein Gefäß für unsere unterdrückten Emotionen. Das Bild ist tatsächlich passend: Alle unsere Gefühle, auch die unangenehmen, haben eine wichtige Funktion zu erfüllen. Sie dienen uns wie ein Kompass: Sie helfen uns, das Verständnis für unsere Bedürfnisse und Grenzen zu schärfen, und sorgen dafür, dass der Körper entsprechend handeln kann. Damit dieser natürliche Vorrang funktioniert, müssen die Emotionen auf der körperlichen Ebene wahrgenommen und ausgedrückt werden – erst dann haben sie ihre Signalfunktion erfüllt und geistern nicht mehr im Körper herum wie nicht willkommene Gespenster. Wenn wir – vor allem bei besonders intensiver Belastung – nicht dafür sorgen, dass unsere Emotionen einen passenden Ausdruck finden, sondern sie verdrängen und im körperlichen Erleben einfrieren, dann erschaffen wir womöglich eine Grundlage für die Entwicklung psychischer und somatischer Symptome.

In diesem Ratgeber möchten wir, zwei niedergelassene Psychotherapeutinnen mit Schwerpunkten in der Verhaltenstherapie, körperorientierten Psychotherapie, Hypnotherapie und Yogatherapie, eine Brücke zwischen den Auf- und Abregungen des Lebens, den intensiven und flüchtigen Gefühlen und der Weisheit Ihres Körpers bauen. Wir hoffen, dass wir Sie dabei unterstützen können, Ihren Werkzeugkoffer mit neuen Inhalten zu füllen, damit Sie ein selbstwirksames und selbstreguliertes Leben führen können.

Dieses Buch verspricht keine Wunderheilung und kann definitiv kein Ersatz für eine Psychotherapie oder ärztliche Behandlung sein. Wir möchten Sie auch nicht zur Erleuchtung oder zu vollkommenem Glück führen. Unser Wunsch beim Zusammenstellen dieser vielen verschiedenen Übungen war es, eine Erinnerungshilfe dafür zu sein, sich täglich mit dem Körpererleben, dem sogenannten Felt Sense, sowie dem inneren Reichtum und der gedanklichen Freiheit zu verbinden. Durch achtsame Selbstwahrnehmung und die Integration von Körper und Geist zu einer wertvollen Kraftquelle entwickeln Sie innere Gelassenheit und tun Ihrer Gesundheit ganzheitlich etwas Gutes.

Vermutlich wird nicht jede Übung den durchschlagenden Erfolg haben, den Sie sich wünschen, doch allein die Beobachtung, „was sich verändern könnte“, kann die Tür zu tieferem Verständnis des eigenen Körpers bereits einen Spalt weit öffnen. Wenn wir verstanden haben, wie die emotionale und gedankliche Wahrnehmung der Welt mit unserem körperlichen Erleben zusammenhängt, wird es uns leichter fallen, souverän durch die Stürme des Lebens zu navigieren.

Wir haben Ihnen in den folgenden Kapiteln hilfreiche Informationen und eine ganze Reihe von Übungen zusammengetragen, damit Sie sich Schritt für Schritt an Ihr körperliches Erleben annähern und Ihr Nervensystem besser kennenlernen können. Das bedeutet auch, durch konsequente Stärkung der Körperachtsamkeit einen zunehmend lebendigeren und im Körper verankerten Alltag zu führen. Mithilfe der vorgestellten Übungen werden Sie immer besser erkennen können, ob sich Ihr Körper und Geist gerade in einem regulierten Zustand der Ruhe, Sicherheit und Verbundenheit befinden, gestresst und übererregt sind oder sich bereits erschöpft und ausgebrannt in einem Zustand der Energielosigkeit und Untererregung befinden. Mit dem Ziel, sich möglichst oft selbstwirksam wieder in den Bereich der Ruhe und Sicherheit zu navigieren, erhalten Sie eine Reihe von Körperachtsamkeitsübungen und körpertherapeutischen Interventionen, imaginativen Anleitungen, Atem- und Körperpraxis aus dem Yoga sowie viele kleine Anregungen für einen bewussteren und körperfreundlichen Lebensstil.

Wir hoffen, dass Sie sich mit der einen oder anderen Übung besonders wohl fühlen werden und sich einen Koffer an Ressourcen zusammenstellen, der für Sie genau die richtigen Werkzeuge beinhaltet, um sich selbst wiederzufinden in einer Welt, in der wir uns manchmal zu wenig spüren.

Generelle Durchführungs- und Sicherheitshinweise

Am Anfang jeder Übung können Sie …

sich im Raum orientieren: sich z. B. bewusst im Raum umschauen, dabei den Kopf in alle Richtungen drehen, die Augen spontan durch den Raum wandern lassen, Geräusche wahrnehmen, die zu hören sind, spüren, wo der Körper Kontakt mit den Gegenständen und mit dem Raum hat, z. B. über die Lufttemperatur;

Ihre Konzentration auf die Atmung bringen, für einige Atemzüge einfach nur die Atembewegung auf der körperlichen Ebene beobachten;

die Aufmerksamkeit auf das innere Körpererleben fokussieren: sich erden, z. B. indem Sie wahrnehmen, wie sich der Boden unter den Füßen oder die Sitzfläche unter dem Gesäß anfühlt, die Muskulatur im ganzen Körper kurz anspannen und wieder entspannen, um die körperlichen Empfindungen wieder präsenter zu machen, den Körper kurz abklopfen und so mehr sensorische Reize erschaffen oder eine Hand aufs Herz legen, um symbolisch zu betonen, dass der Blick jetzt nach innen wandert und innere Achtsamkeit im Vordergrund steht.

Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit für die Zeit der Übung nach innen. Das wird vielleicht nicht durchgehend funktionieren, es ist aber die Intention, auf die es ankommt. Ablenkungen wie störende Gedanken oder äußere Reize werden Ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Registrieren Sie dann freundlich und gelassen, dass Sie abgelenkt waren, lassen Sie die Ablenkung sanft wieder los und bringen Sie Ihre Aufmerksamkeit zurück zu den körperlichen Empfindungen. Es ist normal, dass der Verstand abgelenkt wird, und kein Grund, sich zu ärgern oder an den eigenen Fähigkeiten oder der Eignung der Übungen zu zweifeln. Das Gegenteil ist der Fall: Durch das Registrieren und Loslassen der Ablenkungen lernen Sie, Ihre Aufmerksamkeit immer wieder dorthin zu lenken, wo Sie sie halten möchten, trainieren Sie Ihre Selbstwirksamkeit und Selbstkontrolle.

Einige Übungen umfassen auch hypnotherapeutische Techniken, da wir uns die Tatsache zunutze machen möchten, dass während einer hypnotherapeutischen Trance körperliche und sinnliche Empfindungen zugänglicher und präsenter gemacht werden können. Die Anleitungen zu diesen Übungen können Sie sich als Audiodateien anhören und sich so sanft in eine Trance ein- und ausleiten lassen.

Beachten Sie bitte, dass Trancen den Bewusstseinszustand verändern. Sie dürfen deswegen nicht während Tätigkeiten, die Aufmerksamkeit erfordern (z. B. Autofahren), gehört werden. Falls eine Trance mit unangenehmen Phänomenen einhergeht, können Sie sie jederzeit eigenständig unterbrechen. In diesem Fall wird die Entspannung zurückgenommen, indem Sie die Regel der drei A verfolgen:

Arme anspannentief einatmenAugen wieder öffnen

Im Anschluss orientieren Sie sich wieder in der Außenwelt und beobachten Sie bewusst die Außenreize, bis Sie merken, dass Sie wieder ganz im Alltag angekommen sind.

Üben Sie die eigenständige Tranceunterbrechung am besten im Voraus, damit Sie mehr Sicherheit im Umgang mit der Technik entwickeln.

Neben den Audioanleitungen umfasst dieses Buch auch Videos, um Ihnen diverse Übungen näherzubringen.

Berücksichtigen Sie bitte immer: Falsche oder unachtsam ausgeführte Körperübungen können ggf. zu Verletzungen oder anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Achten Sie deswegen bewusst auf Ihre Körpersignale, nehmen Sie Ihre körperlichen Grenzen wahr und beachten Sie sie liebevoll. Auch das ist eine wichtige Übung: das bewusste Loslassen unrealistischer Leistungserwartungen und die Stärkung eines mitfühlenden Umgangs mit den eigenen Grenzen – eine Fertigkeit, die auch im Alltag bedeutsam ist, aber häufig viel zu kurz kommt. Bei Zweifeln, ob Sie die Übungen korrekt ausführen, ist es sinnvoll, auf zusätzliche professionelle Unterstützung eines Yoga- oder Gymnastiklehrers vor Ort zurückzugreifen.

1. Körper und Geist in Stress-Zeiten

Ohne unseren Körper könnten wir keine Erfahrungen auf dieser Welt machen. Durch unseren Körper wird die Seele erfahrbar und durch unsere Seele oder unseren Geist wird der Körper bewusst. In vielen alten Kulturen und spirituellen Traditionen verbindet man das Verständnis der Seele mit unserer Atmung. Die untrennbare Einheit von bewusstem Geist und fühlendem Körper beginnt mit unserem ersten Atemzug und endet mit dem letzten Atemzug.

Evolutionär betrachtet war die Anpassung an die sich verändernde Umwelt auch auf körperlicher Ebene von maßgeblicher Bedeutung für das Überleben des Menschen. Die Technologisierung, die einst bei der Entwicklung intelligenter Hilfswerkzeuge durch die Neandertaler und die ersten Vertreter des Homo sapiens begann, schreitet heute rasant voran und verändert unser aller Leben in erheblichem Ausmaß. Einerseits bedeutet sie eine Alltagserleichterung, andererseits entfremdet sie uns von dem natürlichen „Lebensfluss der Natur“. Es scheint, als verlagere sich der kollektive Lebensfokus auf eine unendlich weiterzuentwickelnde geistige Ebene. Wir verlieren den authentischen Zugang zu unserem körperlichen Erleben und verbringen unser Leben immer mehr in einer gedanklichen (digitalen) Scheinwelt. Fortschreitende Digitalisierung und die Macht sozialer Medien sorgen jedoch nicht für innere Zufriedenheit, sondern sind Quell physischer wie psychischer Erkrankungen.

In Zeiten zunehmender Lebensgeschwindigkeit und fortschreitender Verunsicherung benötigen wir umso mehr die Fähigkeit, den Halt in uns selbst zu finden. Erarbeiten wir uns die Kompetenz, selbstwirksam und eigenständig in den Zustand innerer Ruhe zu kommen, werden wir auch für andere offen und können dazu beitragen, uns alle als eine Gemeinschaft zu erleben, die den menschlichen Lebensweg auf dem Planeten Erde gemeinsam beschreitet. Je mehr wir uns im gestressten Daueralarmmodus befinden, desto weniger sind Körper und Geist in der Lage, liebevoll und einfühlsam, kommunikativ und verbunden zu sein. Dabei ist das Gefühl der Verbundenheit einer der wichtigsten Schlüssel zu Ausgeglichenheit und tiefer Zufriedenheit: Verbundenheit mit anderen Menschen, sowohl mit den engsten Bindungspersonen als auch mit der Gemeinschaft, Verbundenheit mit den eigenen Lebenswerten, vielleicht sogar Verbundenheit mit dem Spirituellen oder dem großen Ganzen, mit dem, was größer ist als das eigene Ich – was auch immer es für jeden und jede von uns genau bedeuten mag.

Das Phänomen der Verbindung im Innen wie im Außen wird schon seit vielen tausend Jahren in verschiedenen spirituellen Traditionen aufgegriffen, auch in der yogischen Philosophie: „Yoga“ bedeutet nicht zufällig „Einheit“, eine Einheit in uns und mit allem um uns herum.

1.1 Stress und das vegetative Nervensystem

Der Stress ist in unserer schnelllebigen, intensiven Welt zu unserem treuen Begleiter geworden und trotzdem wissen wir häufig nicht, was er auf der körperlichen und psychischen Ebene auslöst und wie untrennbar diese Prozesse miteinander verbunden sind.

Wenn wir Stress sagen, meinen wir eine psychovegetative Stressreaktion: eine psychosomatische Antwort auf eine wahrgenommene Gefahr. Das bedeutet, dass sowohl der Körper als auch der Geist, gesteuert durch das vegetative Nervensystem, auf eine äußere oder innere – oft auch nur vermeintliche – Gefahrenquelle mit einer Abwehrreaktion reagieren. Die Wahrnehmung einer potenziellen Gefahr kann sich auf äußere Situationen beziehen, wie beispielsweise eine unerwartete Begegnung mit einem freilaufenden Hund, oder auf innere Ereignisse, wie die Sorge vor einer unerwarteten Begegnung mit einem freilaufenden Hund (etwa bei genereller Angst vor Hunden). Mehr noch – es reicht schon aus, dass wir auf eine vermeintliche Gefahr stoßen, z. B. wenn wir auf dunkler Straße einen Schatten vorbeihuschen meinen und ein freilaufendes Tier dahinter vermuten, dass unser ganzer Organismus, Körper und Geist, mit einer vegetativen Stressreaktion antwortet.

Jede Stressreaktion, die wir erleben, wird vom vegetativen Nervensystem initiiert und beendet.

Das vegetative Nervensystem wird auch als das autonome Nervensystem bezeichnet, da es nicht unserer willentlichen, bewussten Kontrolle unterliegt. Es steuert alle großen Organsysteme, wie das Herz-Kreislauf-System, das Verdauungssystem, die Atmung, und reguliert das innere Milieu des Körpers. Es ist im stetigen Austausch mit dem zentralen Nervensystem, und zwar in beide Richtungen. Über sogenannte afferente Nervenfasern werden sensorische Signale aus dem Inneren des Körpers und von den inneren Organen zum Gehirn weitergeleitet, wo anhand der Informationen aus dem Körperinneren Emotionen ausgelöst werden. Über efferente sympathische und parasympathische Nervenfasern werden die emotionalen Informationen an die Erfolgsorgane weitergeleitet, damit eine entsprechende körperliche Reaktion erfolgen kann. Erfolgsorgane nennt man die Organe (oder Gewebe), die den Endpunkt eines zielgerichteten biochemischen oder physiologischen Prozesses darstellen.

Das vegetative Nervensystem teilt sich in sympathische und parasympathische Nervenbahnen auf, die grundsätzlich wie Gegenspieler agieren und eine entgegengesetzte Wirkung auf die Körperorgane erzielen (vgl. auch Tabelle 1.1).

1.1.1 Sympathikus / sympathisches Nervensystem (Aktivität und Stress)

Das sympathische Nervensystem ist dafür zuständig, körperliche Energieressourcen zu mobilisieren und die Leistungsfähigkeit zu steigern mit dem Ziel, wahrgenommene Gefahren abzuwenden. Der Erregungszustand wird gesteigert, damit wir auf eine potenzielle Gefahrenquelle so reagieren können, wie es in der Menschheitsgeschichte bis jetzt am sinnvollsten war: mit Flucht, angeregt durch die Emotion Angst, oder mit Kampf, angeregt durch die Emotionen Ärger und Wut. Ist der Sympathikus aktiviert, befinden wir uns auch emotional und psychologisch im erregten Stressmodus: Angst oder Wut bestimmen unser Erleben, unser Fokus verengt sich auf Gefahren und die Fähigkeit, sich mit der Umwelt konstruktiv zu verbinden, nimmt mit zunehmendem Erregungsmodus ab. In überwältigenden Gefahrensituationen wird die Aktivität des Präfrontalcortex, der evolutionär gesehen letzten Hirnregion, die sich entwickelt hat und (kurzgefasst) für vernünftiges Planen und Handeln zuständig ist, durch schlechtere Durchblutung gedrosselt. Jene Areale, die für die Emotionsverarbeitung, die impulsive Reaktion auf wahrgenommene Gefahr und das Triebverhalten zuständig sind, werden dominanter. Im „Normalmodus“ ist es umgekehrt: Das sogenannte limbische System wird in der Regel durch unseren bewusst planenden Präfrontalcortex mehr oder weniger kontrolliert, damit wir im Alltag „kluge“ Entscheidungen treffen, statt unseren Emotionen freie Bahn zu lassen. Unter Stress wird das emotionale Zentrum des limbischen Systems, die Amygdala, jedoch nicht mehr gehemmt und bestimmt das Verhalten. In intensiven Stresssituationen übernehmen demnach die (entwicklungsgeschichtlich) alten limbischen Strukturen die Handlungssteuerung. Wir greifen auf unsere Instinkte und emotionalen Reaktionsmuster zurück, um uns schnellstmöglich vor Gefahren zu schützen, ungeachtet der Angemessenheit der Abwehrreaktion.

Die beschriebene Stressreaktion ist im Kern eine Aktivierungsreaktion, also nichts, was wir prinzipiell aus unserem Leben verbannen sollten. Zustande kommt sie über bestimmte Neurotransmitter wie Noradrenalin und Adrenalin, die wir umgangssprachlich Stresshormone nennen, aber treffender als Aktivierungshormone bezeichnen sollten, da sie dafür sorgen, dass ausreichend Energie für unsere Zwecke bereitgestellt wird. Bei einer geringen bis mittleren sympathischen Aktivierung werden so viele Aktivierungshormone ausgeschüttet, dass wir genug Energie haben, um im Alltag unsere normalen Anforderungen und Herausforderungen zu bewältigen. Bei einer intensiven sympathischen Aktivierung wird sehr viel Energie bereitgestellt für eine Kampf- oder Fluchtreaktion, durch die „Bedrohungen“ abgewendet werden und unser Überleben gesichert werden soll. Bei chronischer Aktivierung des Sympathikus kommt zusätzlich das Dauerstresshormon Cortisol zum Einsatz, um die aktivierende Wirkung des Sympathikus zumindest etwas auszubremsen und beispielsweise den Stoffwechsel wieder zu verlangsamen. Bei intensiver und chronischer sympathischer Überaktivierung entsteht aversives Stresserleben bis hin zur Erschöpfung und Überforderung, die in depressiver Antriebs- und Motivationslosigkeit münden kann.

Folgende Organfunktionen werden unter anderem durch den Sympathikus gesteuert:

Hypertonie (hoher Blutdruck)

Tachykardie (schneller Puls)

Mydriasis (Pupillenerweiterung)

Verringerung der Darm-Peristaltik

Bronchodilatation (Bronchienerweiterung)

Hyposalivation (weniger Speichelfluss)

Steigerung der Schweißdrüsenaktivität

bessere Durchblutung der Skelettmuskulatur

Glykolyse (Energiebereitstellung)

Harnkontinenz

kurzfristig: Aktivierung des Immunsystems, langfristig: durch Cortisolausschüttung Hemmung des Immunsystems.

Damit der Organismus, sowohl der Körper als auch der Geist, lebensfähig bleibt, kann er nicht dauerhaft aktiviert sein. Der Sympathikus hat daher einen Gegenspieler: den Parasympathikus, der einen psychosomatischen Raum für Entspannung, Beruhigung, Regeneration und Heilung schafft.

1.1.2 Parasympathikus / parasympathisches Nervensystem (Ruhe und Heilung)

Das parasympathische Nervensystem sorgt für Ressourcenerhaltung und Regeneration des Organismus. Dabei werden viele verschiedene gesundheitsfördernde Prozesse aktiviert, die für ein ganzheitliches Wohlbefinden sorgen können. Auf der psychischen Ebene erweitert sich der mentale Fokus, die Fähigkeit, sich mit der Umwelt konstruktiv zu verbinden und Freude zu erleben, nimmt mit abnehmenden Erregungsmodus zu, es gibt wieder Raum für kreatives und rationales Denken, was damit einhergeht, dass der Neocortex wieder besser durchblutet wird. Beim Aufbau einer Entspannungsreaktion spielen Neurotransmitter, insbesondere das anregende oder auch entspannende Acetylcholin, das beruhigende Serotonin und die angstlösende und auch müde machende GABA (Gamma-Aminobuttersäure), eine zentrale Rolle für die regenerativen Effekte.

Der längste und wichtigste Nerv im parasympathischen System ist der Vagusnerv (Nervus vagus), der die aktivierende sympathische Stressreaktion ausbremst. Er wird auch der „umherschweifende Nerv“ genannt, weil er sich durch den gesamten Körper zieht und verschiedene Funktionen im autonomen Nervensystem, dem Herz-Kreislauf-System, dem Atemsystem, dem Magen-Darm-Trakt, dem Immunsystem und dem endokrinologischen Hormonsystem übernimmt. Zwischen den inneren Organen wie Magen, Darm, Leber, Nieren, Lunge und Herz und dem vegetativen Nervensystem herrscht ein reger Austausch an sensorischen und motorischen Informationen: Das Nervensystem bekommt Informationen aus dem Körper und schickt Informationen zum Körper. Diese wechselseitige Verbindung kann man unter anderem über die Herzratenvariabilität, dem natürlichen Veränderungsmuster der Abstände zwischen den Herzschlägen, und die respiratorische Sinusarrhythmie, der Änderung der Herzfrequenz in Verbindung mit Änderungen der Atemmuster, beobachten.

Der Vagusnerv bekommt zu Recht immer mehr Anerkennung als „Selbstheilungsnerv“, da er für das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zuständig ist. Körperliche Selbstheilung ist jedoch nur in einem überwiegend parasympathisch gesteuerten Zustand möglich. Der Vagusnerv kann seine wichtige Funktion nur dann erfüllen, wenn der Sympathikus nicht das Überleben sichern muss, also bei ausreichender Sicherheit und dem Ausbleiben einer sympathischen Erregung. Wir tun gut daran, die Aktivität des Vagusnervs bewusst zu fördern, was, wie man inzwischen weiß, tatsächlich möglich ist.

Unter anderem folgende Funktionen werden durch den Parasympathikus stimuliert:

Hypotonie (niedriger Blutdruck)

Bradykardie (langsamer Puls)

Miosis (enge Pupillen)

Anregung der Darm-Peristaltik

Bronchospasmus (Bronchienverengung)

Hypersalivation (mehr Speichelfluss)

periphere Durchblutungshemmung

Miktion (Harnlassen)

Parasympathischer Zustand (Ruhe)

Sympathischer Zustand (Stress)

Angenehmes Wärmeempfinden (vor allem im Rumpf)

Kälte oder starke Hitze

Tiefe und langsamere Atmung, Gefühl von „mehr innerem Raum“

Schnelle und flache Atmung, Brustkorb verengt sich, aber Bronchien erweitern sich

Entspannung der Muskulatur

Anspannung der Muskulatur

Gefühl von Schwere oder Leichtigkeit

Unangenehmes Zittern

Verlangsamung des Herzschlags

Erhöhter Herzschlag und Puls

Blutdruck sinkt

Blutdruck steigt

Anregung der Verdauung

Verdauung gehemmt

Anregung der Speichelproduktion

Trockene Schleimhäute

Anregung der Sexualfunktion

Hemmung der Sexualfunktion

Anregung des Stoffwechsels

Hemmung des Stoffwechsels, Energiereserven schonen

Verringerung der Schweißproduktion

Erhöhung der Schweißproduktion

Tabelle 1.1: Parasympathischer und sympathischer Zustand

Sie können sich die vegetative Reaktion wie einen Schieberegler zwischen zwei Polen vorstellen: Auf der einen Seite haben wir den Sympathikus mit seiner Aktivierungs- und Energiebereitstellungsreaktion, auf der anderen Seite den Parasympathikus mit der regenerativen Entspannungsreaktion, die Heilungsprozesse ermöglicht. Das vegetative Nervensystem bewegt sich die ganze Zeit zwischen den beiden Polen, was eine vollkommen gesunde und normale Reaktion ist. Es ist nichts Schlechtes, die sympathische Erregung zu erleben. Im Gegenteil: Es ist ein wichtiger Bestandteil unseres inneren Reaktionsspektrums. Langfristig schädlich ist allerdings, wenn wir die innere Beweglichkeit zwischen den beiden Polen verlieren und dauerhaft auf der Stressseite verharren.

1.2 Der psychosoziale Stress

Wenn wir Stress erleben, bekommen wir Angst und wollen fliehen oder werden wütend und wollen kämpfen. Im schlimmsten Fall, wenn der Stress überwältigend ist und weder Flucht noch Kampf möglich sind, steht uns noch die dritte und letzte Möglichkeit zur Verfügung: das Erstarren. Der Körper stellt sich tot, was für unsere Vorfahren wahrscheinlich lebensrettend sein konnte, etwa weil sie vom Angreifer übersehen wurden, oder zumindest den Schmerz der Niederlage erträglicher machte: Früher bedeutete der verlorene Kampf oder die misslungene Flucht den sicheren Tod. Die damaligen Stressoren waren wilde Tiere oder andere feindliche Menschengruppen.

Heute sieht es etwas anders aus. Natürlich gibt es immer noch die brandgefährlichen Situationen, in denen der Sympathikus unser bester Berater ist: Sollten wir auf dunkler Straße von einem Angreifer überfallen werden, ist es mehr als sinnvoll, so schnell rennen zu können, wie es nur geht, ohne groß nachzudenken. Allerdings ist der meiste Stress, den wir in der modernen Welt erleben und der uns unausgeglichen oder sogar krank macht, der psychosoziale Stress.

Unter psychosozialem Stress verstehen wir die Belastung, die durch das Zusammenleben und den Austausch mit unseren Mitmenschen verursacht wird. Er zeigt an, dass wir uns in Bezug auf unsere psychologischen und sozialen Bedürfnisse nicht im Gleichgewicht befinden: Unsere Bedürfnisse nach Sicherheitserleben, Verbundenheit, Selbstwerterhalt, Selbstwirksamkeit, Kontrolle und Freude sind nicht ausreichend erfüllt (siehe Kasten). Auf der Arbeit und im privaten Kontext müssen wir uns mit zahlreichen unterschiedlichen Anforderungen auseinandersetzen, zugleich werden wir ständig mit neuen Informationen aus unserer Umgebung und den (sozialen) Medien konfrontiert. Wir müssen unseren Fokus über einen langen Zeitraum hinweg auf zahlreiche Aufgaben und verschiedene gleichzeitig auftretende Reize richten. Es ist nicht nur viel, was wir Tag für Tag regeln und bewältigen müssen, auch das Tempo nimmt zu, die Zeitfenster für das „Bewältigen“ werden kleiner. Dadurch erleben wir Überforderung, Erschöpfung, Stimmungslabilität und Gereiztheit. Da unser Körper keine andere Reaktionsmöglichkeit hat, als darauf mit einer vegetativen Stressreaktion zu antworten, befinden wir uns fast dauerhaft in einem Alarm- und Überlebensmodus, ohne es bewusst zu merken, und versuchen, unsere verbliebenen Ressourcen zu schützen.

Psychologische Grundbedürfnisse

Genau wie unser Körper Luft, Wasser, Nahrung, Wärme und Schutz benötigt, braucht auch unsere Seele psychologische Wärme, Schutz und Nahrung. Unsere Psyche wird im Wesentlichen von vier fundamentalen emotionalen Grundbedürfnissen genährt, die der bereits verstorbene Psychotherapieforscher Klaus Grawe als psychologische Grundbedürfnisse zusammengefasst hat. Diese vier psychologischen Grundbedürfnisse sind allesamt für die psychische und körperliche Gesundheit des Menschen und für die menschliche Entwicklung essenziell und teilweise sogar überlebenswichtig:

Bindung: Erleben von Verbundenheit, Geborgenheit und Sicherheit durch gute Beziehungen zu unseren Mitmenschen.Selbstwerterhöhung: Ein positives Gefühl, das wir bei Betrachtung der eigenen Person erleben. Um unseren Selbstwert zu sichern, streben wir nach positiven Gefühlen oder vermeiden das Erleben unangenehmer Emotionen in Bezug auf das eigene Selbstbild. Wir brauchen eine wohlwollende Bewertung der eigenen Person, möchten uns als „gute Menschen“ sehen, die mit dem Leben zurechtkommen, erfolgreich ihre Herausforderungen meistern und bei den anderen Menschen positiv ankommen.Kontrolle: Wunsch nach Orientierung, Selbstwirksamkeitserfahrung und Entscheidungsfreiheit.Lustgewinn und Unlustvermeidung: Das Bestreben, angenehme und energiesparende Erfahrungen zu machen, die unser Belohnungssystem aktivieren, und unangenehme und energiekostenintensive Erfahrungen zu vermeiden (z. B. wollen wir eher Freude erleben und Angst möglichst vermeiden).

Erst im Verlauf unserer Entwicklung lernen wir mehr oder weniger gut, unsere Bedürfnisse selbst zu erfüllen. Im Säuglings- und Kleinkindalter sind wir beim Erhalt unserer körperlichen und emotionalen Gesundheit von unseren Bezugspersonen abhängig: Wir sind darauf angewiesen, dass uns unsere Umwelt nährt, wir selbst sind dazu noch nicht in der Lage. Im Verlauf unserer psychosozialen Entwicklung reifen die neuronalen und körperlichen Bewältigungsmöglichkeiten dann bestenfalls zu einer eigenständigen und selbstwirksamen Regulationskompetenz heran. So lernen wir, unsere Beziehungen und Handlungen aktiv zu gestalten und somit einen wesentlichen Einfluss auf unser Leben und unser Wohlbefinden zu nehmen.

Wenn unsere psychologischen Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden, bedeutet das für uns immer Stress. Stress betrifft immer den gesamten Organismus, sowohl den Geist als auch den Körper, da das Stresserleben durch die vegetative Übererregung zustande kommt: Den Geist können wir vom Körper nicht trennen, sie sind dafür viel zu eng miteinander verbunden. Wenn Sie also wegen der Belastung auf der Arbeit gestresst sind, empfinden auch Ihr Herz und Ihr Darm Stress.

Wann genau der psychosoziale Stress einsetzt bzw. steigt, ist sehr individuell und variiert stark von Mensch zu Mensch. Generell gilt: Zu einer wahrgenommenen Belastung werden psychosoziale Faktoren dann, wenn man das Gefühl bekommt, den Umständen ausgeliefert zu sein und sie nicht mehr selbst gestalten zu können. Der Eindruck entsteht, nur noch re-agieren zu müssen, statt selbst zu bestimmen, in welche Richtung das Leben sich entwickeln soll, oder selbst dazu nicht mehr imstande zu sein. Die Folgen dieser Dauer- oder Überbelastung sind seelisch wie körperlich zu spüren: Migräne, Spannungskopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Depressionen, Ängste, Schulter-, Nacken- oder Rückenschmerzen sowie zahlreiche andere Symptome können auftreten.

Im Folgenden sehen Sie in einer verkürzten Übersicht, was im Gehirn und im Körper passiert, wenn wir psychosozialen Stress erleben (und diesen erfolgreich überwinden).

Vereinfachter Ablauf der psychosozialen Stressreaktion im Gehirn:

Wahrnehmung von Inkongruenz (fehlende Übereinstimmung von eigenen Bedürfnissen und Gegebenheiten der Umwelt sowie eine negative Einschätzung der möglichen Handlungsoptionen). Beispiel: Auf der Arbeit muss ein Projekt zu Ende geführt werden, die Deadline rückt näher, doch der oder die Mitarbeitende kommt wegen zusätzlich anfallender Aufgaben nicht schnell genug voran.

Ausschüttung von Adrenalin. Die Sauerstoffversorgung des Körpers wird erhöht, die Bronchien weiten sich, die Herzfrequenz steigt ebenso wie der Blutzuckerspiegel. Die Leistungsfähigkeit der oder des Mitarbeitenden wird (kurzzeitig) erhöht.

Erregung des assoziativen Cortex (u. a. Neocortex und Präfrontalcortex), in dem wahrgenommenen Reizen (von außen und innen) Sinn verliehen wird, und des limbischen Systems (u. a. Amygdala und Hippocampus), das für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist. Der oder die Mitarbeitende ist fokussiert auf die zu erledigenden Arbeiten und reagiert ggf. gereizt auf Ablenkungen von außen.

Erregung des Behavioral Activation System (BAS): Aktivierung von Kampf- oder Fluchtverhalten durch Energiebereitstellung im vegetativen Nervensystem (initiiert durch die Steuerzentrale im Gehirn Hypothalamus). Der oder die Mitarbeitende „stürzt“ sich in die Arbeit.

Bei erfolgreicher Bewältigung sorgt das Belohnungserleben (Dopamin) für eine Abspeicherung der Bewältigungsstrategie. Es entsteht ein Hochgefühl, der oder die Mitarbeitende speichert für sich ab, die Aufgabe erfolgreich und selbstwirksam gemeistert zu haben.

Bei erneuter Konfrontation mit dem gleichen oder einem ähnlichen Stressor ist die erfolgreiche Bewältigungsstrategie immer besser abrufbar. Der oder die Mitarbeitende weiß: „Wenn ich mich anstrenge, schaffe ich das.“

Nach einigen Wiederholungen wird nur noch eine geringe oder keine Stressreaktion mehr ausgelöst: Wir

habituieren

,

also gewöhnen uns an den Stressor, weil wir die Erfahrung machen, dass er für uns keine richtige Gefahr darstellt und wir die potenzielle Bedrohung bewältigen können.

Was passiert aber, wenn wir nicht die positive Erfahrung machen, dass wir das psychosoziale Stresserleben überwinden können, und unsere vegetative Stressreaktion gar nicht beendet wird?

Ein langanhaltender Stress wird zu einer echten Belastung für den Körper und den Geist. Ab einer gewissen Erregungsschwelle, d. h. bei einem sehr starken oder dauerhaften Stress, produziert die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA) Cortisol, welches zu einer Destabilisierung der bisherigen Bewältigungsstrategien führt. Unter starkem Stress haben wir beispielsweise Schwierigkeiten, auf Lerninhalte und auf die Fähigkeit des rationalen Denkens zuzugreifen. Das resultiert daraus, dass bei einer starken sympathischen Aktivierung die Gehirnareale (v. a. der Präfrontalcortex) schlechter durchblutet werden, die für rationales und analytisches Denken zuständig sind. Auch der berüchtigte Blackout in einer Prüfungssituation, wenn sich der Kopf auf einmal wie leergefegt anfühlt, obwohl man so viel gelernt hat und den Lernstoff beherrscht, kommt dadurch zustande. Bisher erfolgreiche Bewältigungsstrategien werden durch den starken und dauerhaften Stress gehemmt, wodurch das Erleben von Kontrollverlust entsteht. Durch den Einfluss von Cortisol wird der Energiestoffwechsel im Gehirn gedrosselt und die Energiebereitstellungsreaktion sinkt, was durch Implementierung des Behavioral Inhibition System (BIS) umgesetzt wird – dem Gegenteil des BAS, das uns zu produktiven Handlungen antreibt.

Durch das Erleben von Kontrollverlust steigt die Angstreaktion, die Umwelt wird antizipatorisch als unkontrollierbarer erlebt, wodurch Angststörungen, Schlafstörungen und nach einer Weile aufgrund der erlebten Hilflosigkeit Rückzug, Vermeidung und Depressionen entstehen können.

1.3 Dynamisches Gleichgewicht: Pendeln zwischen den Polen

Körper und Geist sind permanent bemüht, ein physisches und emotionales Gleichgewicht (Homöostase) herzustellen. Es ist ein dynamischer Prozess, der so gut wie nie ein Endziel erreichen kann, weil auch die äußeren Umstände nie dauerhaft konstant bleiben: Auf der vegetativen Ebene wird ständig verglichen und angepasst. Wir pendeln innerlich die ganze Zeit zwischen der sympathischen Aktivierung und der parasympathischen Entspannung. Selbst jeder Atemzug ist ein dynamischer Balanceakt zwischen der sympathisch aktivierenden Einatmung und der parasympathisch beruhigenden Ausatmung. Diese lebendige Pendelbewegung von einem Pol zum anderen, um sich in der Mitte einzupendeln, ist ganz natürlich. Wir können sie in der Natur ständig beobachten: nach Wärme (Sommer) folgt Kälte (Winter), nach Sonne folgt Regen, nach dem Tag die Nacht. Genauso reguliert unser Körper das innere Gleichgewicht über das vegetative Nervensystem. Wenn äußere und innere Veränderungen wie Temperatur, Atmung, Herzschlag, Hormone und Immunsystem sich zu stark verändern, initiiert der Körper ausgleichende Gegenmaßnahmen. So werden z. B. die Körpertemperatur oder der Blutzuckerspiegel unabhängig von äußeren und inneren Bedingungen möglichst konstant gehalten, was auch über Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Schlaf usw. erfolgt. Diese Regulationsmechanismen haben Grenzen, aber wenn wir achtsam mit unserem Körper umgehen, können wir seine Signale wahrnehmen und einen unausgeglichenen Zustand wieder ausgleichen, beispielsweise durch Ruhe- oder Trinkpausen.

Genauso kann emotionaler oder psychosozialer Stress eine komplexe psychophysiologische Stressreaktionen hervorrufen. Sind unsere Bedürfnisse nach Bindung, Selbstwerterhalt, Lusterleben und Orientierung nicht ausreichend erfüllt, sorgen wir dafür, die äußeren Umstände bedürfnisorientiert anzupassen. So suchen wir beispielsweise die Gesellschaft anderer Menschen, wenn wir uns einsam fühlen. Oder wir ziehen uns zurück, wenn wir überreizt sind. Dabei wird zunächst im Sinne des grundlegenden Kontrollbedürfnisses versucht, die Umwelt an die eigenen Bedürfnisse anzupassen (Assimilation). Gelingt dies, nennen wir das Selbstwirksamkeit. Wenn das nicht möglich ist, wird eine Anpassung an die Umwelt angestrebt (Akkommodation). Das wohl fundamentalste Beispiel für die Anpassungsfähigkeit unserer Gefühle und Gedanken an (unveränderbare) äußere Situationen ist die Trauer. Das schmerzlichste aller psychosozialen Stressgefühle veranlasst uns nach einem nicht mehr abwendbaren Verlust, zur Ruhe zu kommen, sich der Tatsache „zu ergeben“, dass wir jemanden oder etwas verloren haben, uns für eine Weile von anderen halten zu lassen und uns dann das Leben wieder neu zu erschließen.

Diese neu erworbenen Bewältigungsstrategien und die damit einhergehenden neuronalen Erregungsmuster passen sich der Komplexität der Herausforderung an. Je mehr Konfrontation mit und Bewältigung von komplexen Herausforderungen, desto größer die psychische Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit (Resilienz). Resilienz bedeutet, dass wir es auch unter schwierigen Bedingungen schaffen, psychisches Gleichgewicht zu bewahren: dadurch, dass wir innerlich flexibel bleiben und uns wieder in unserer inneren Mitte einpendeln können. Krisen zu durchleben, Lösungswege zu suchen und zu finden, Fehler zu machen und wieder neue Wege zu gehen – all das bietet uns die Möglichkeit, emotional und psychisch zu wachsen. In Phasen der Leichtigkeit sind wir kaum dazu angehalten, neue Schritte zu wagen, unsere Kompetenzen an Schwierigkeiten anzupassen oder über uns selbst hinauszuwachsen. Ohne Herausforderungen können wir keine Resilienz gegen Widrigkeiten des Lebens entwickeln.

 ÜBUNG 1.1

Krisen als Chance sehen

Haben Sie den Mut, jede Krise als wertvoll für Ihre psychische Widerstandskraft anzuerkennen, egal, wie viele Anläufe es zur Bewältigung braucht.

Überlegen Sie, was Ihnen bisher geholfen hat, Krisen zu meistern, und was Sie aus Krisen gelernt haben.

Was hat Ihnen in einer schwierigen Zeit schon einmal sehr geholfen?

Welche wertvollen Erkenntnisse (über sich selbst, andere oder die Welt) haben Sie aus der Krise mitgenommen?

Halten Sie Ihre Erkenntnisse schriftlich fest.

1.3.1 Die autonome Ampel: den inneren Stress bewusst machen

Für unsere psychische Widerstandskraft und Selbstregulationsfähigkeit ist nur der subjektiv erlebte innere Stress von Bedeutung: wie intensiv oder wie stark das vegetative Nervensystem auf äußere Belastungen und innere Auslöser, wie Gedanken, Bewertungen oder Emotionen, reagiert. Jeder reagiert auf Umstände, die potenziell stressauslösend sein könnten, anders. Wir bewerten die Situationen unterschiedlich, schreiben unseren Erlebnissen verschiedene Bedeutungen zu, gehen unterschiedlich mit herausfordernden Emotionen um und bringen verschiedene Charaktereigenschaften mit. Jemand, der hochneurotisch ist, reagiert ängstlicher und kann sich selbst schlechter wieder beruhigen. Für die Intensität der Stressreaktion auf ein Ereignis spielt auch unsere Grundanspannung eine erhebliche Rolle: Wer morgens schon mit starker Anspannung in den Tag startet, reagiert mit einer intensiveren Erregungsreaktion auf Stressoren des Alltags. Diese vegetative Reaktion auf potenzielle Gefahrenquellen passiert von allein (autonom), ohne dass wir sie selbst bewusst steuern, und meistens fehlt uns das Bewusstsein dafür, wo sich unser Nervensystem gerade auf dem Spektrum zwischen der parasympathischen Ruhe und der sympathischen Erregung befindet. Der innere Stress ist uns häufig gar nicht bewusst, obwohl er unser Verhalten und unsere Sicht auf die Welt stark mitbestimmt. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf das vegetative Erleben lenken und lernen, zwischen den autonomen Antworten des Körpers zu differenzieren, werden wir besser einordnen können, was mit uns passiert, und können darauf willentlich Einfluss nehmen. Aus diesem Grund ist es hilfreich, das eigene vegetative Erleben einschätzen zu lernen und mehr innere Orientierung zu schaffen. Eine gute Möglichkeit dafür besteht darin, sich das innere Stresserleben auf einer Skala von 0 bis 10 vorzustellen: 0 entspricht der tiefsten Entspannung, die man sich vorstellen kann, 10 steht für den stärksten Stress.

Die einzelnen Werte können nun in ein Ampelsystem eingeordnet werden (vgl. Abbildung 1.1).

Abbildung 1.1: Die vegetative Ampel

Grünes Licht: parasympathische Entspannung, Sicherheit und Ruhe

Das grüne Licht bezieht sich auf die unteren Stresslevel von 0 bis 2: Der Parasympathikus steuert das körperliche und psychische Erleben. Das vegetative Nervensystem erkennt, dass aktuell keine Gefahrensituation herrscht, und evoziert eine Entspannungsreaktion.

In diesem Zustand empfinden wir körperliche Stabilität bei gleichzeitiger Entspannung: Die Körperhaltung ist aufgerichtet, die Muskulatur locker oder sanft aktiviert und beweglich, die Körpertemperatur ist angenehm, die Atmung ist sanft, langsam und fließt ungehindert tief in den Bauch, die Mimik wird weich, der Blick ist unangestrengt und weit gestellt, die Stimme ist tiefer, das Sprechtempo beruhigt. Alle inneren Körperprozesse verlaufen ungestört, der Körper kann sich regenerieren und eventuelle Verletzungen oder Störungen heilen. Die Verdauung findet statt und wir werden körperlich und psychisch genährt.

Emotional fühlen wir Freude, inneren Frieden, Sicherheit und Verbundenheit. Wir fühlen uns sicher, ruhig und entspannt, ausgeglichen und zufrieden. Wir sind mitfühlend, können uns mit anderen verbinden, uns in deren Erleben hineinversetzen und sind aufmerksam für unsere Mitmenschen.

Die kognitive Perspektive ist ganzheitlich, kreativ und lösungsorientiert, die Gedanken fließen entspannt.

Motivational steht uns Energie für Annäherungsverhalten zur Verfügung.

Stresslevel 0: vollkommene Tiefenentspannung

Stresslevel 1–2: Alltagsentspannung

Gelbes Licht: sympathische Aktivierung (Fight or Flight)

Das gelbe Licht bezieht sich auf die mittleren Stresslevel von 3 bis 6: Der Organismus braucht Aktivität, der Sympathikus übernimmt zunehmend das vegetative Kommando und aktiviert das körperliche und psychische Erleben. Es ist nicht vollkommen sicher: Eine potenzielle Gefahr wird wahrgenommen. Damit diese beseitigt werden kann, braucht der Organismus mehr Energie und Aktivierung.

Auf der körperlichen Ebene bedeutet die sympathische Erregung deswegen eine zunehmende Energiebereitstellung: Die muskuläre Anspannung nimmt zu, es wird mehr Energie zu den Muskeln weitergeleitet, damit sie auf intensive Bewegung vorbereitet sind, wenn geflüchtet oder gekämpft werden muss. Die Körperhaltung wird verspannt oder raumeinnehmend, die Körpertemperatur erhöht sich oder sinkt ab, es wird mehr Schweiß produziert, um den Körper bei der Aktivierung zu kühlen. Die Atmung wird schneller und flacher, damit die angespannten Muskeln mit ausreichend viel Sauerstoff versorgt werden können. Die Mimik verspannt sich, der Blick fokussiert sich auf die wahrgenommene Gefahrenquelle. Auch die Stimme wird höher und angestrengter und das Sprechtempo schneller.

Emotional stehen Ärger oder Angst im Vordergrund, aber auch Ekel, intensive Traurigkeit oder Überraschung können auftreten. Wir werden gereizt oder unsicher und diffus ängstlich. Die emotionale Verarbeitung des Erlebten ist noch zugänglich, die Emotionen können noch bewusst kontrolliert und reguliert werden. Die Verbindung mit Mitmenschen ist erschwert, vor allem mit zunehmendem Stresslevel, da es nicht ausgeschlossen werden kann, dass von ihnen eine Bedrohung ausgeht.

Die Gedanken sind problemorientiert und pessimistisch, sie fangen an, um das Belastungserleben zu kreisen oder zu rasen und werden zunehmend schwer steuerbar und immer weniger rational. Wir empfinden die Welt und unsere Mitmenschen als gefährlich oder feindselig. Eine aktive Problembewältigung und eine klare gedankliche Perspektive sind erschwert, aber noch möglich.

Motivational ist das Vermeidungsverhalten im Fokus und wechselt sich teilweise mit Annäherungstendenzen ab. Wir sind noch handlungsfähig, aber merken zunehmend, dass Vorsicht geboten ist.

Stresslevel 3–4: Alltagsaktivierung

Stresslevel 5–6: zunehmend angespannte Aktivierung

Rotes Licht: Erstarrung

Das rote Licht bezieht sich auf die hohen und sehr hohen Stresslevel von 7 bis 10: Das vegetative Nervensystem schlägt Alarm. Der innere Stress wird intensiver, aus gelbem Licht wird orange. Die Gefahrenwahrnehmung aktiviert immer mehr sympathische Übererregung, was die Energiebereitstellungsreaktion (Kampf und Verteidigung durch Wut oder Flucht durch Angst) weiter steigert. Wir werden unkontrolliert wütend oder panisch, bis schließlich das orangene Licht ins rote Licht wechselt, und die dauerhafte oder extreme Übererregung lässt den Organismus erstarren. Das Vegetativum entscheidet, dass die aktivierende Reaktion uns nicht mehr aus der Gefahrensituation retten kann, wir stellen uns tot in der Hoffnung, vom „Angreifer“ übersehen zu werden oder weniger zu leiden. Die Energie wird zurückgezogen und „eingefroren“ bei einem gleichzeitig extrem hohen inneren Stresslevel, um uns vor einem vollständigen Kollaps zu schützen.

Auf der körperlichen Ebene kommt es zur extremen muskulären Verspannung und Schockstarre. Bei einer dauerhaften Übererregung folgt muskuläre Erschlaffung, die Körperhaltung wirkt eingesunken, die Körpertemperatur sinkt ab, die Atmung ist flacher und langsamer, die Mimik erschlafft, der Blick defokussiert, die Stimme ist leiser, das Sprechtempo verlangsamt.

Emotional empfinden wir tendenziell Leere, haben keinen Zugang zum emotionalen Erleben. Auch Hoffnungslosigkeit, Freudlosigkeit und innere Starre sind typisch. Es kann zu einer kompletten Abkopplung von unseren Gefühlen kommen: Wir spüren gar nichts mehr, selbst bei Themen, die uns immer wichtig waren. Die Verbindung mit Mitmenschen ist fast vollständig unterbunden, das Interesse an der Umwelt erlischt, wir nehmen die Welt als bedrückend, überwältigend und hoffnungslos wahr. Die Gedanken sind problemfixiert und starr, eine aktive Problembewältigung ist nicht mehr möglich. Wir sind nicht mehr in der Lage, andere gedankliche Perspektiven einzunehmen.

Motivational ist Vermeidungsverhalten im Fokus: Wir ziehen uns zurück und vermeiden die Auseinandersetzung mit Alltagsproblemen und unseren Emotionen. Wir sind nicht mehr handlungsfähig und können keine rationalen Entscheidungen mehr treffen.

Stresslevel 7–8: Gefahr

Stresslevel 9: Lebensgefahr und Schockstarre

Stresslevel 10: Erstarrung und Kollaps

 ÜBUNG 1.2

Explorieren Sie Ihren Stresslevel

Bestandsaufnahme:

Wie hoch ist Ihr innerer Stresslevel auf einer Skala von 0 (vollkommene Entspannung) bis 10 (allerstärkste Anspannung) jetzt gerade?

Baseline:

Wie hoch ist Ihre innere allgemeine Grundanspannung auf einer Skala von 0 bis 10 normalerweise?

Ruheinseln:

Wie und wann haben Sie in der letzten Zeit Ihren niedrigsten Stresslevel erlebt – selbst während einer belastenden Phase?

Überlegen Sie, wie Sie auf den unterschiedlichen Stressleveln der autonomen Ampel reagieren.

Meine autonome Ampel:

Welche körperlichen Empfindungen können Sie bei verschiedenen vegetativen Modi auf der autonomen Ampel wahrnehmen? Woran merken Sie, dass Sie von einem Modus in einen anderen kommen? Gibt es bestimmte Situationen, die Sie in bestimmte autonome Modi bringen?

Einfluss auf das Denken: Wie verändern sich Ihre Art des Denkens, die Qualität der Gedanken und Ihre Perspektive in den verschiedenen autonomen Modi?

Einfluss auf das Fühlen: Wie verändern sich Ihre Emotionen in den verschiedenen autonomen Modi?

Einfluss auf die Handlungsfähigkeit: Wie verändert sich Ihre Handlungsfähigkeit in den verschiedenen autonomen Modi?

1.3.2 Die vegetative Selbstregulation

Unter vegetativer Selbstregulation verstehen wir die Fähigkeit, eigensinnig und selbstwirksam zwischen den verschiedenen vegetativen Modi auf der autonomen Ampel zu wechseln. Das heißt, dass wir lernen zu erkennen, wenn wir in den roten oder orangenen Bereich kommen, dann in der Lage sind, die psychovegetative Alarmreaktion zu beenden, indem wir dem autonomen Nervensystem eine Entwarnung geben und innerlich ins wahrgenommene Sicherheitserleben zurückkehren.

Uns stehen zwei Wege der Selbstregulation zur Verfügung: Wir können uns „von unten“, durch körperorientierte und somatische Strategien, und „von oben“, durch mentale Strategien selbst wieder in einen Zustand der Ruhe und Gelassenheit zurückbringen.

Der Weg der körperorientierten Interventionen wird auch die Bottom-up-Strategie der Selbstregulation genannt, weil sie „von unten nach oben“ ihre Wirkung entfaltet: Der Körper, der eine vegetative Entwarnung erfährt und wieder in den parasympathischen Sicherheitsmodus umschaltet, vermittelt dem zentralen Nervensystem, vor allem dem Gehirn, dass es keinen Grund (mehr) gibt, gestresst zu sein, weil die bedrohliche Gefahrenquelle nicht (mehr) da ist. Das autonome Nervensystem kommt zurück in das parasympathische grüne Licht.