Wie Europa Afrika unterentwickelte - Walter Rodney - E-Book

Wie Europa Afrika unterentwickelte E-Book

Walter Rodney

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Beschreibung

Wie Europa Afrika unterentwickelte ist ein umfassendes Werk der politischen Ökonomie, das die Auswirkungen der Sklaverei und des Kolonialismus auf die Geschichte des internationalen Kapitalismus detailliert beschreibt. In diesem klassischen Buch legt Rodney entschlossen dar, dass die »Fehlentwicklung« Afrikas kein natürliches Merkmal der geografischen Lage ist, sondern ein direktes Produkt der imperialistischen Ausbeutung des Kontinents, eine Tatsache, die bis in die Gegenwart anhält. Das akribisch recherchierte Buch Wie Europa Afrika unterentwickelte ist nach wie vor eine wichtige Studie zum Verständnis der so genannten »großen Kluft« zwischen Afrika und Europa, ebenso wie es eine wichtige Quelle ist, um die zunehmende globale Ungleichheit heute zu verstehen. Gleichzeitig räumt Rodney mit dem weit verbreiteten Irrtum auf, dass die ökonomische Ausbeutung des afrikanischen Kontinents auf rassistischen Einstellungen von Herrscher*innen der entwickelten kapitalistischen Länder beruht. Viel mehr bringt er den Leser*innen die Methode nahe, Unterdrückung als etwas zu verstehen, das auf Ausbeutung beruht und nicht umgekehrt. Für das Verständnis von Rassismus heute und seine Funktion im Kapitalismus ist das eine grundlegende Voraussetzung. Das Buch wird unter einem neuen Titel und komplett neuer deutscher Übersetzung veröffentlicht. Zusätzlich zum Hauptwerk wurden zu dem Buch Texte von Bafta Sarbo zum Leben und politischen Wirken Rodneys, eine Analyse des Imperialismus und Widerstand dagegen in Afrika heute von Sozialisten aus Nigeria sowie ein Beitrag zu Rodney, der Permanenten Revolution und dem Kampf für Sozialismus von René Arnsburg beigesteuert.

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Inhaltsverzeichnis

Der Kapitalismus hemmt noch immer die Entwicklung Afrikas

Black Power und Klassenkampf

Walter Rodney und die Permanente Revolution

Vorwort

1. Einige Fragen zum Begriff der Entwicklung

2. Die Entwicklung Afrikas vor der Ankunft der Europäer*innen

3. Afrikas Beitrag zur kapitalistischen Entwicklung Europas

4. Europa und die Wurzeln der Unterentwicklung Afrikas

5. Afrikas Beitrag zur kapitalistischen Entwicklung Europas

6. Der Kolonialismus als System zur Unterentwicklung Afrikas

Nachwort

Weiterführende Literatur

Impressum

Der Kapitalismus hemmt noch immer die Entwicklung Afrikas

Eine Einführung in Walter Rodneys »Wie Europa Afrika unterentwickelte«

Vor 51 Jahren, im Jahr 1972, veröffentlichte Walter Rodney »How Europe Underdeveloped Africa.« Es ist ein bahnbrechendes Werk, das den Grund für die derzeitige Armut Afrikas trotz seiner enormen menschlichen und materiellen Ressourcen nachzeichnet. Was die natürlichen Ressourcen betrifft, so ist Afrika vielleicht der reichste Kontinent der Welt. Der ehemalige französische Staatspräsident Jacques Chirac bemerkte auf dem alle zwei Jahre stattfindenden Frankreich-Afrika-Gipfel einmal, wenn auch scheinheilig: »Afrika ist reich, aber die Afrikaner sind es nicht. Der Kontinent verfügt über ein Drittel der Mineralienreserven der Erde. Er ist eine Fundgrube.« Es ist lehrreich zu betonen, dass die westlichen Kapitalistenklassen, einschließlich Chiracs Frankreich, zu den schlimmsten Schuldigen gehören, die Afrika inmitten seines kolossalen Reichtums im Wesentlichen unterentwickelt machen.

Afrika ist ein Paradoxon: Massenarmut und Unterentwicklung inmitten eines gewaltigen Reichtums. Nach Angaben der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in ihrem African Economic Outlook 2021 hat der Kontinent mit 23 der ärmsten 28 Länder der Welt den größten Anteil an extremer Armut weltweit. Der Bericht fügt hinzu, dass die Rate der extremen Armut in Afrika im Jahr 1981 fast dem Durchschnitt der übrigen Welt entsprach, im Jahr 2015 jedoch 6,8 Mal so hoch war wie der Durchschnitt der übrigen Welt. Aus dem Bericht der Vereinten Nationen über den Index der menschlichen Entwicklung von 2022 geht ebenfalls hervor, dass mindestens 27, also die Hälfte der 54 afrikanischen Länder, zu den 30 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gehören. Außerdem ist der Anteil Afrikas am Welthandel von 6 Prozent im Jahr 1980 auf 2,8 Prozent im Jahr 2019 gesunken. In Afrika südlich der Sahara gibt es 22 Länder, die vom IWF für 2022 als schuldengeplagt oder hochgradig schuldengeplagt eingestuft werden, 2015 waren es nur acht Länder. Und das, obwohl sie mehrere Milliarden Dollar aus ihren Exporteinnahmen für die Rückzahlung ihrer größtenteils abscheulichen Schulden beim Westen sowie für die Teilnahme am so genannten Schuldenerlassprogramm von IWF und Weltbank verwendet haben, was auf Kosten der Bereitstellung von Sozialleistungen ging. Infolge der kränkelnden kapitalistischen Wirtschaft ist praktisch jedes Land in Afrika hoch verschuldet.

Bezeichnenderweise spiegeln die oben genannten Statistiken, neben anderen, angesichts der gewaltigen natürlichen Ressourcen Afrikas die Merkmale der Unterentwicklung wider. Und Rodney hat Recht, dass »Unterentwicklung [...] ein Produkt kapitalistischer, imperialistischer und kolonialistischer Ausbeutung«1 ist. Es ist der Kapitalismus in all seinen Entwicklungsstadien, der den Kontinent seiner Ressourcen beraubt hat, angefangen vom transatlantischen Sklav*innenhandel über den Kolonialismus, der ein Aspekt der imperialistischen Epoche war, bis hin zur gegenwärtigen neokolonialen Ära, in der der Imperialismus weiterhin hartnäckig um sich greift. Der Kontinent ist der Ressourcen beraubt, um seine Entwicklung zu finanzieren und die Grundbedürfnisse seiner Bevölkerung zu decken.

Die Beziehungen zwischen der Ausbeutung Afrikas und den herrschenden Eliten Europas begannen mit dem transatlantischen Sklav*innenhandel für den Betrieb von Minen und Plantagen in Amerika, der der Schaffung von Reichtum für die europäischen Länder und der Entwicklung von Industrien diente. Aber die direkte Herrschaft begann mit der Ära des Kolonialismus, der 1885 auf der Berliner Konferenz »legalisiert« wurde, auf der, wie Rodney es treffend formuliert, sich »die Räuberbarone in Berlin zusammensetzten, um zu entscheiden, wer welchen Teil Afrikas stehlen sollte.«2 Rodney erklärt jedoch, dass der Kolonialismus Afrika nicht in eine kapitalistische Gesellschaft verwandelt hat, die mit den Metropolen - also Westeuropa und Nordamerika - vergleichbar ist.

Ihm zufolge schuf »[d]er Kolonialismus [...] keine kapital- und fabrikbesitzende Klasse unter den Afrikaner*innen oder auch nur innerhalb Afrikas; auch schuf er kein nennenswertes städtisches Proletariat (insbesondere nicht außerhalb Südafrikas). Mit anderen Worten: Der Kapitalismus in der Form des Kolonialismus schaffte es nicht, in Afrika die Aufgabe zu bewältigen, die er in Europa bewältigt hatte, indem er die Gesellschaftsverhältnisse veränderte und die Produktivkräfte freisetzte.«3

Denn die Kolonien wurden von den europäischen Kapitalisten nicht nur zur direkten Ausbeutung der reichlich vorhandenen, aber unerschlossenen natürlichen Ressourcen geschaffen, sondern auch als Quelle billiger Rohstoffe für die europäische Industrie und als Absatzmarkt für Industrieerzeugnisse sowie als profitables Investitionsfeld, d. h. für das Finanzkapital. Dies ist auch in der postkolonialen Zeit so geblieben, denn das Ende der Kolonialzeit mit einer direkten politischen Herrschaft bedeutet nicht das Ende des Imperialismus, der im Wesentlichen ein wirtschaftliches Phänomen ist. Wie Rodney es ausdrückt, traten »die Kapitalisten der Metropole nicht an[...], um andere Kapitalisten hervorzubringen, die eine Konkurrenz für sie dargestellt hätten.«4 Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel sind die asiatischen Tigerstaaten wie Südkorea, Malaysia und Singapur, denen die westlichen Imperialisten während des Kalten Krieges aus strategischen Gründen zu ihrer Entwicklung verhalfen, sowie die modernen »Stadtstaaten« in Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, die auf der Grundlage riesiger Bodenschätze und winziger Bevölkerungszahlen florierten.

Daher weigerten sich die raubgierigen Kolonialherren bewusst, in Afrika Industrien zu entwickeln, die ein wesentliches Element für die Entwicklung des Kapitalismus sind. Zur Untermauerung dieses Punktes führt Rodney das Muster der Mittelvergabe des Colonial Development and Welfare (CD & W) an, das von Großbritannien und seinem französischen Pendant FIDES in den 1940er Jahren eingerichtet wurde. Er legt dar:

»Von den CD&W-Krediten zwischen 1946 und 1956 gingen weniger als 1 Prozent in die Industrie. Im Fall von FIDES betrug zwischen 1949 und 1953 die entsprechende Summe weniger als 0,5 Prozent.«5

Außerdem sagt Rodney, dass »[w]o immer interne Kräfte den Anschein machten, in Richtung afrikanischer Industrialisierung zu drängen, wurden sie von den Kolonialregierungen, die im Interesse der Industriellen in den Metropolen handelten, ausgebremst.«6 Als Beispiel führt er die Erdnussölmühlen an, die 1927 im Senegal gegründet wurden und mit dem Export nach Frankreich begannen, aber schon bald wegen der Proteste der französischen Ölmühlen Beschränkungen unterworfen wurden.

Die Notwendigkeit, die heimische Industrie mit Rohstoffen zu versorgen und das Profitstreben der europäischen Industrie- und Finanzkapitalisten zu fördern, war der Grund für den Bau begrenzter wirtschaftlicher Infrastrukturen wie Häfen, Eisenbahnen und Straßen sowie für die Entwicklung der mineralgewinnenden Industrie, der Plantagen und der kapitalistischen Farmen. Mit anderen Worten: Die Kolonialisten stellten nur solche Infrastrukturen zur Verfügung, die der Ausbeutung der Ressourcen des Kontinents dienten. So wurden beispielsweise in Nigeria Eisenbahnlinien gebaut, um verschiedene Wirtschaftszentren miteinander zu verbinden, z. B. Enugu mit Kohle, Kano mit Erdnüssen, Kaduna mit Baumwolle und Ibadan mit Kakao, Cashew usw., die schließlich in Lagos endeten, um diese Produkte ins Ausland zu verschiffen. Das Muster der Bereitstellung der wirtschaftlichen Infrastruktur unterlag »einer klaren geographischen Verteilung, je nachdem in welchem Ausmaß eine bestimmte Region für Import-Export-Aktivitäten geöffnet werden musste. Wo keine Exportgüter zu holen waren, sah man für Straßen und Schienen keinen Grund,«7 so Rodney weiter.

Dies spiegelte sich auch im Bildungsbereich wider, dessen Finanzierung weitgehend durch die begrenzte Zahl der für die Kolonialverwaltung erforderlichen Arbeitskräfte bestimmt wurde. Dies geschah nicht aus Mangel an Ressourcen. Rodney bringt es auf den Punkt: »Wie bereits erwähnt, wurde das meiste des afrikanischen Überschusses exportiert und von dem kleinen Teil, der als Staatseinnahme zurückblieb, floss wiederum nur ein winziger Teil in die Bildung.«8 Er beschreibt weiter, dass »[i]n jeder Kolonie [...] das Budget für Bildung, verglichen mit den Summen, die im kapitalistischen Europa selbst ausgegeben wurden, unglaublich gering«9 war. Er zitiert zum Beispiel:

»Im Jahr 1935 wurde von den Gesamteinnahmen, die sich aus der Besteuerung der Afrikaner*innen Französisch-Westafrikas ergaben, nur 4,03 Prozent in die Bildung investiert. In der britischen Kolonie Nigeria waren es nur 3,4 Prozent. In Kenia flossen bis ins Jahr 1946 sogar nur 2,26 Prozent der Einnahmen in die Ausbildung afrikanischer Menschen.«10

Außerdem gründete die britische Regierung 1948, mehr als 100 Jahre nach Beginn ihrer Kolonialherrschaft, zwei Universitäten in Ibadan (Nigeria) und Accra (Ghana) für das britische Westafrika, zusätzlich zum Fourah Bay College, das ursprünglich 1827 von der anglikanischen Kirche gegründet worden war. Für ganz Französisch-Westafrika wurde 1957, am Vorabend der Unabhängigkeit, eine Universität in Dakar, Senegal, gegründet. »Trotzdem,« so Rodney, waren »mehr als die Hälfte der Studierenden französischer Herkunft.«11

Aufgrund der kolonialen Wirtschaft, die auf der Abhängigkeit Afrikas von Europa beruhte, bestand kaum Bedarf an einer Universitätsausbildung. Selbst im voruniversitären Bereich war die Situation so schlecht, dass zum Beispiel in Ghana, so Rodney, »unter denjenigen, die die Grundschule verließen, viele frustriert waren, weil sie weder Plätze an weiterführenden Schulen, noch Arbeit finden konnten, die den Werten, die sie in der Schule erworben hatten [...] entsprachen.«12

Da der Kolonialismus keine greifbaren wirtschaftlichen Grundlagen und keine ausreichende Zahl reicher Individuen hinterlassen hatte, die eine vom Privatsektor getragene Wirtschaftsordnung anführen konnten, lag es in der unmittelbaren Zeit nach der Unabhängigkeit in der Verantwortung der afrikanischen Führer*innen, den notwendigen Entwicklungsprozess einzuleiten und unter dem Druck der Bevölkerung zumindest Elemente eines sozialistischen Staates einzuführen. Natürlich wurde ein sozialistischer Staat, der auf der keynesianischen Theorie des Staatsinterventionismus in kapitalistischen Volkswirtschaften aufbaut, von den herrschenden Klassen als dringende Notwendigkeit angesehen, um zu verhindern, dass die Idee des »Sozialismus« bei den Arbeitern Anklang findet. Eine solche Politik war weltweit in Mode, auch in den entwickelten kapitalistischen Ländern in der Nachkriegszeit bis in die 1970er Jahre, als die kapitalistischen herrschenden Klassen nicht-kapitalistische Staaten wie die ehemalige UdSSR fürchteten.

Stalinismus

Mit anderen Worten: Vor dem Zusammenbruch des Stalinismus, einer von diktatorischen Eliten geführten Karikatur des echten Sozialismus, in der Sowjetunion und in den deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas lieferte die Existenz ihrer Planwirtschaft ein konkretes Beispiel dafür, dass eine alternative Gesellschaft zum Kapitalismus möglich ist. Darüber hinaus verschaffte sie den herrschenden Klassen in den neuen unabhängigen Ländern in Afrika und anderswo den Spielraum, um zwischen den beiden Hauptlagern der Ära des Kalten Krieges, dem Imperialismus unter Führung der USA und dem Stalinismus unter Führung der Sowjetunion, zu manövrieren. So stellt Rodney fest: »In jüngerer Zeit weigerten sich westliche Kapitalist*innen, den Volta-Staudamm für Ghana unter Kwame Nkrumah zu bauen, bis sie realisierten, dass die Tschechoslowakei einspringen würde, um den Auftrag anzunehmen; sie weigerten sich, den Assuan-Staudamm für Ägypten zu bauen, weswegen die Sowjetunion zur Rettung eilen musste.«13 Auch Nigeria musste auf die Sowjetunion zurückgreifen, um den Bau der Stahlindustrie in Ajaokuta zu unterstützen, nachdem Großbritannien sich geweigert hatte. Das damalige globale Kräfteverhältnis in Verbindung mit dem Aufschwung der Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichte es der aufstrebenden herrschenden Elite in den afrikanischen Ländern in den 1960er und 1970er Jahren, im Rahmen des Kapitalismus eine vom öffentlichen Sektor geleitete Wirtschaft zu betreiben, wenn auch nicht auf dem Niveau, das später in den südostasiatischen Ländern erreicht wurde.

Die Schwächung und der anschließende Zusammenbruch der Sowjetunion ermöglichten es dem westlichen Imperialismus jedoch seit Ende der 1980er Jahre, seine Kontrolle über die ehemals koloniale Welt mit der Durchsetzung des neoliberalen Wirtschaftsmodells wiederherzustellen, auch wenn es jetzt durch das einzigartige chinesische Modell des staatlich gelenkten Kapitalismus in Frage gestellt wird. Damit wurde die Fähigkeit der afrikanischen kapitalistischen Elite, einschließlich derjenigen, die sich eine »sozialistische« Phraseologie zu eigen machten, weiter eingeschränkt, unabhängig vom Imperialismus zu handeln. Außerdem war der Keynesianismus auch im Westen in die Krise geraten. Die afrikanische kapitalistische Elite ist also darauf bedacht, den Kapitalismus - die Quelle ihres eigenen Reichtums, ihrer Privilegien und ihrer Macht - zu bewahren, und ist daher nicht in der Lage, eine Politik umzusetzen, die das Eigentum, die Vorherrschaft, die Kontrolle und die Ausbeutung der Ressourcen des Kontinents durch die multinationalen Konzerne und die imperialistischen Institutionen und Regierungen in Frage stellen und brechen könnte.

Vielmehr begannen sie, mit neoliberalen Privatisierungsangriffen und Kürzungen bei den Sozialausgaben alle Errungenschaften der 1960er und 1970er Jahre, in denen massiv öffentliche Mittel in Entwicklungsprojekte und soziale Dienste wie Bildung investiert wurden, weitgehend zunichte zu machen. Unter dem Druck des IWF, der Weltbank und anderer imperialistischer Institutionen wurden jährlich Milliarden von Dollar ausgegeben, um abscheuliche Schulden zu begleichen, die angeblich westlichen Gläubigern geschuldet waren, wodurch lebenswichtige soziale Dienste wie Bildung, Gesundheit, Wohnungsbau usw. nicht mehr mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet wurden. Außerdem basieren neue Entwicklungsinitiativen für den Kontinent, wie die NEPAD, darauf, ausländische Investitionen auf den Kontinent zu locken, indem Schutzmaßnahmen und Beschränkungen aufgehoben werden, die ursprünglich eingeführt wurden, um die übermäßige Ausbeutung der menschlichen und materiellen Ressourcen des Kontinents zu verhindern oder zu minimieren.

China

Der Aufstieg Chinas, eines ehemals stalinistisch-maoistischen Staates, der sich auf dem unumkehrbaren Weg zum Kapitalismus befindet, hat den afrikanischen Führer*innen jedoch eine Option eröffnet, vor allem in Bezug auf Handel, Kredite und Infrastrukturfinanzierung, insbesondere seit dem Jahr 2000. Die Tatsache, dass sich die Beziehungen zu China immer noch innerhalb der Grenzen des Kapitalismus bewegen, bedeutet jedoch, dass sie Afrika nicht auf den Weg der Entwicklung gebracht haben. Hinzu kommt, dass der westliche Imperialismus über multinationale Unternehmen und internationale kapitalistische Institutionen wie den IWF und die Weltbank die afrikanische Wirtschaft nach wie vor dominiert.

Im Gegensatz zur Ära des Kalten Krieges, als das Regime in Peking, genau wie die stalinistische Sowjetunion, rivalisierende Befreiungsbewegungen unterstützte, wenn auch nicht aus ideologischen Gründen, sondern um Unterstützung zu gewinnen, ist die Motivation heute in erster Linie wirtschaftlicher Natur. Genau wie der westliche Imperialismus braucht auch China Afrika als reiche Quelle natürlicher Ressourcen für seine Industrie und natürlich als großen Absatzmarkt für seine Industriegüter. So beliefen sich die Ausfuhren aus China nach Afrika im Jahr 2000 auf gerade einmal 5 Mrd. USD, während sie bis 2021 auf rund 145 Mrd. USD angestiegen waren. Zwischen 2000 und 2014 stieg der chinesische Handel mit Afrika von etwa 10 Mrd. USD auf 222 Mrd. USD, und seit 2009 ist China die wichtigste Handelspartnerin des Kontinents.

Während die von China unterstützten Entwicklungsprojekte weitgehend willkommen sind, hat China jedoch auch berechtigte Ressentiments in Afrika auf sich gezogen. Der Grund dafür ist, dass lokale Unternehmen, die sich in chinesischem Besitz befinden, als Ausbeuterbetriebe arbeiten, in denen im Allgemeinen harte Bedingungen herrschen und die Rechte der Arbeitnehmer missachtet werden. Außerdem überschwemmt China den Kontinent mit billigen Waren, die zum Niedergang der lokalen Industrie, insbesondere der Textil- und Bekleidungsindustrie, beitragen.

BRICS

Der Aufstieg Chinas geht jedoch mit dem Niedergang des US-Imperialismus einher, der zwar immer noch das mächtigste Land ist, aber nicht mehr die unipolare Macht genießt, die er nach dem Ende des Kalten Krieges innehatte. In der neuen multipolaren Welt ist einer der wichtigen Wirtschaftsblöcke, die sich gebildet haben, die BRICS-Gruppe unter der Führung von China und Russland. Ihm gehören auch Indien, Brasilien und Südafrika an. Es gibt auch andere Blöcke, die auf geopolitischer Grundlage gebildet wurden.

Obwohl die BRICS erst 2010 gegründet wurden, werden sie erst seit kurzem als Alternative zum westlichen Imperialismus und den von ihm beherrschten internationalen Institutionen gesehen. Dies könnte auf die Verschärfung der Krise des globalen Kapitalismus in dieser Zeit zurückzuführen sein, deren Ende nicht abzusehen ist, sowie auf die Verschärfung der Spannungen zwischen China und den USA. In den afrikanischen Ländern gibt es eine gewisse Bewegung, die die Regierungen auffordert, den BRICS beizutreten, was ein wachsendes antiimperialistisches Bewusstsein widerspiegelt. Das Bündnis kündigte auf seinem Gipfeltreffen 2023 in Südafrika eine Erweiterung um neue Mitgliedsländer an, nämlich Saudi-Arabien, Iran, Äthiopien, Ägypten, Argentinien und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Die Erweiterung hat jedoch das bereits bestehende SpannungsPotential innerhalb des Blocks erhöht, da es Mitglieder gibt, die die Gruppierung zu einem Gegengewicht zum Westen ausbauen wollen - insbesondere China, Russland und jetzt auch der Iran - und solche, die weiterhin enge Beziehungen zu den USA und Europa pflegen. Schon vor der Erweiterung schien es im Block widersprüchliche Bestrebungen zu geben. So halten beispielsweise China, Russland und Indien in Bezug auf Afrika getrennte bilaterale Gipfeltreffen ab. Allerdings haben sich Russland und China, die beiden Hauptmächte des Blocks, Afrika und anderen neokolonialen Ländern gegenüber zunehmend als wirtschaftliche und militärische Partnerin präsentiert, ohne dabei, anders als der Westen, scheinheilig Forderungen nach Demokratie oder Menschenrechten an die diplomatischen Beziehungen zu knüpfen. Nichtsdestotrotz stellt der Block keine Bedrohung für den Kapitalismus dar, sondern lediglich eine wirtschaftliche Rivalität mit dem Westen und bietet den neokolonialen Ländern vielleicht neue Möglichkeiten, zwischen den Mächten zu manövrieren

Anti-imperialistische Stimmung

Das Scheitern des Kapitalismus in neokolonialen afrikanischen Ländern mit korrupten, rückständigen Führungseliten und die Enttäuschung der Entwicklungshoffnungen in einigen Ländern in den 1990er und frühen 2000er Jahren haben sich auch in einer in letzter Zeit wachsenden Stimmung gegen den westlichen Imperialismus auf dem Kontinent niedergeschlagen. Dies zeigt sich in einer starken Abneigung gegen den französischen Imperialismus, die sich in der massiven Unterstützung niederschlägt, die das Wiederaufleben von Militärputschen in den west- und zentralafrikanischen Regionen, insbesondere in Mali, Burkina Faso und Niger, derzeit erfährt. Zwischen 2020 und 2023 gab es in diesen Regionen acht Putsche, alle in französischsprachigen Ländern. Es sollte jedoch betont werden, dass das Versagen des Kapitalismus und der bürgerlichen Demokratie, der großen Mehrheit ein menschenwürdiges Leben zu garantieren, was eine Grundlage für die wachsende Unterstützung für die Umkehrung eines vergangenen Trends hin zu ziviler Herrschaft ist, nicht nur den frankophonen afrikanischen Ländern eigen ist. Dennoch gilt Frankreich als Stütze für korrupte Machthaber*innen, die seinen Schutz im Gegenzug für die fortgesetzte wirtschaftliche Ausbeutung und politische Kontrolle einschließlich direkter militärischer Interventionen in die inneren Angelegenheiten genießen. Dieses postkoloniale Arrangement, das abwertend als Francafrique bezeichnet wird, wurde von Frankreich eingeführt, um seine Einflusssphäre in den rohstoffreichen afrikanischen Ländern vor den konkurrierenden Interessen der rivalisierenden imperialistischen Mächte zu schützen. Infolgedessen wird die Wirtschaft, einschließlich der Ausbeutung der Bodenschätze, von französischen Unternehmen und multinationalen Konzernen beherrscht. Daher ist Frankreich direkt mit dem wirtschaftlichen Versagen der frankophonen afrikanischen Führer*innen verbunden.

Ein weiteres Element der Vereinbarung ist die Währung von 14 frankophonen Ländern in West- und Zentralafrika, der CFA-Franc, der an den Euro gekoppelt ist, was diese Länder Berichten zufolge dazu verpflichtet, die Hälfte ihrer Devisenreserven beim französischen Schatzamt zu hinterlegen. Dieses System der Ausbeutung und Beherrschung geht auf die Kolonialzeit zurück. Rodney beschreibt es zutreffend als eine Dienstleistung, die den Afrikanern schadet und »Afrika den Zugriff auf seine eigenen, durch den Export angehäuften, Mittel«14verwehrt. Er betont sogar, dass »[g]erade in der Währungsfrage [...] die Kolonialregierung die meisten Manipulationen vorgenommen [hatte], um sicherzustellen, dass der Reichtum Afrikas in die Kassen der Metropolen floss.«15

Während andere Kolonialherren wie Großbritannien und Belgien diese Praxis einige Jahre nach der Unabhängigkeit mit dem Ende des »Sterling-Gebiets« beendeten, hält Frankreich immer noch an ihr fest. Zusammen mit der Existenz französischer und anderer westlicher Militärstützpunkte wird dies als ein koloniales Relikt angesehen und ist daher in vielen frankophonen Ländern, vor allem unter jungen Menschen, eine Quelle wachsenden Unmuts.

Außerdem sehen viele Menschen in diesen Ländern keine Hoffnung auf eine Verbesserung ihres Lebens unter französischer Vorherrschaft. Als Symbol des Widerstands gegen den französischen Imperialismus wurden bei verschiedenen Protesten russische Flaggen inmitten von antifranzösischen Parolen geschwenkt, um für die Unterstützung der Militärputsche in Mali, Burkina Faso und Niger zu werben. Es ist klar, dass Russland dies ausnutzt, um in seiner Rivalität mit dem westlichen Imperialismus zu punkten. Kurz vor seinem Tod bei einem Flugzeugabsturz im August 2023 lobte Jewgeni Prigoschin, Leiter der Wagner-Gruppe, den Putsch in Niger. In einer antiimperialistischen Rhetorik sagte er: »Was in Niger passiert ist, ist nichts anderes als der Kampf des nigrischen Volkes gegen seine Kolonialherren ... [Das nigrische Volk] erlangt tatsächlich seine Unabhängigkeit. Der Rest wird zweifellos von den Bürgern Nigers abhängen und davon, wie effektiv die Regierung sein wird, aber die Hauptsache ist, dass sie die Kolonisatoren losgeworden sind.« Wagner ist eine private russische Söldnertruppe mit engen Verbindungen zum Kreml-Regime, deren Truppen unter anderem in Mali und der Zentralafrikanischen Republik präsent sind.

Auch in Afrika genießt Russland trotz seines verbrecherischen Einmarsches in der Ukraine Unterstützung gegen die NATO. Dies hängt mit dem zusammen, was zu Recht als Heuchelei und Doppelmoral des Westens bei der Verurteilung Russlands angesehen wurde, angesichts der Geschichte westlicher imperialistischer Gräueltaten, einschließlich ungerechter Militärinterventionen. Viele in Afrika kochen noch immer vor Wut über die Rolle der NATO bei der Verwüstung und Zerstörung Libyens und der Ermordung seines Führers Muammar Gaddafi im Jahr 2011. Obwohl er diktatorisch und korrupt war, konnte Gaddafi den Öl- und Gasreichtum nutzen, um für einen Lebensstandard zu sorgen, der relativ besser war als der im übrigen Afrika. Der Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes hat weiterhin verheerende Auswirkungen auf das übrige Afrika, insbesondere auf die Sahelzone sowie die west- und zentralafrikanischen Regionen. Dies liegt daran, dass das Regime sein reichhaltiges Waffenarsenal öffnete und zu einer wichtigen Quelle für Schusswaffen wurde, die für islamistische Aufstände und Banditentum verwendet werden, die die Regionen verwüsten.

Während die antiwestliche imperialistische Stimmung in Afrika eine positive Entwicklung ist, da sie das Potential hat, die Frage nach einer Alternative zum Kapitalismus zu stellen, ist die Akzeptanz einer anderen imperialistischen Herrin in Form von Russland kein Ausweg. Das derzeitige despotische Regime von Wladimir Putin ist nicht dasselbe wie die ehemalige Sowjetunion, die aus eigenen Gründen den antikolonialen Kampf in Afrika bis zu einem gewissen Grad unterstützt hat. Die aus der sozialistischen Oktoberrevolution 1917 hervorgegangene Sowjetunion war, obwohl sie unter der stalinistischen Herrschaft größtenteils bürokratisiert war, nicht kapitalistisch, und ihre herrschende Elite stützte sich auf eine andere soziale Klasse und wirtschaftliche Basis als Putins kapitalistisches Regime heute. Putins Regime ist ein kapitalistisches Regime, das sich auf russische Oligarch*innen stützt, die nach dem Zerfall der Sowjetunion in den späten 80er und frühen 90er Jahren an die Macht kamen. Sein Interesse an Afrika ist ebenso imperialistisch wie das der USA oder Frankreichs. Aus diesem Grund hat Putin nie einen echten antiimperialistischen und antikapitalistischen Aufstand in Afrika unterstützt und wird dies auch nie tun.

Korruption

Afrikas Leid wird durch die charakteristische Korruption seiner Führer*innen noch verschlimmert. Es ist jedoch lehrreich festzustellen, dass Korruption nicht auf Afrika oder Entwicklungsländer beschränkt ist. Sie ist dem kapitalistischen System inhärent. Der größte Teil der Ressourcen, die Afrika nach den Verlusten durch unfairen Handel, multinationale Ausbeutung und Schuldenrückzahlung verbleiben, wird von den korrupten Führer*innen des Westens gestohlen und auf privaten Auslandskonten in Europa und Nordamerika gebunkert.

Diese Plünderung zeigt auch, dass die rückständige herrschende Elite nicht daran glaubt, dass Afrika sich auf kapitalistischer Basis entwickeln kann, und auch nicht die Fähigkeit dazu hat. Die Tatsache, dass die afrikanischen Volkswirtschaften auf Rohstoffen basieren, mit denen man schnell reich werden kann, erklärt auch, warum die rückständige herrschende Elite kaum an einer Industrialisierung interessiert ist, deren Produkte im Gegensatz zu Nahrungsmitteln und Baumaterialien den Wettbewerb auf den Weltmärkten erfordern. Außerdem hat der kapitalistische Neoliberalismus, der seit vielen Jahren die herrschende Philosophie des Regierens ist, den afrikanischen Machthaber*innen mehr Spielraum für die Plünderung der Staatskassen gegeben, da sie nicht verpflichtet sind, die Ressourcen zur Deckung der Grundbedürfnisse der Menschen einzusetzen.

Kriege und die nationale Frage

Die durch den Neoliberalismus hervorgerufene Massenarmut, die Marginalisierung der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung und ungelöste nationale Fragen, die hauptsächlich ein Erbe des Kolonialismus sind, sind in den meisten Fällen die Ursache für die Kriege, die den Kontinent heimsuchen. Die meisten afrikanischen Länder sind künstliche Gebilde, die von den Kolonialherren aus strategischen und wirtschaftlichen Interessen geschaffen wurden, ohne Rücksicht auf die verschiedenen Nationen mit unterschiedlicher Geschichte, Tradition und Sprache, die sie in einen Topf geworfen haben.

Es ist klar, dass die afrikanische bürgerliche Elite nicht in der Lage ist, die nationale Frage zu lösen. Sie bietet ihnen nur unruhige Gewässer zum Fischen. Die verärgerten Teile der herrschenden Elite machen sich die Enttäuschung der arbeitenden Bevölkerung über eine amtierende Regierung zunutze und nutzen die ethnische Zugehörigkeit aus, um für Kampagnen und sogar Kriege zu mobilisieren, die in Wirklichkeit der Durchsetzung ihrer eigenen Interessen dienen. Sie ziehen aus diesen Konflikten ungebührliche Vorteile, um ihre eigene Position zu verbessern, indem sie entweder direkt an die Macht kommen oder verhandeln, um vollständig in den Mainstream der herrschenden Klasse integriert zu werden - auf Kosten der armen arbeitenden Massen, die als Kanonenfutter benutzt werden. Diese Kriege haben seit dem Ende der Kolonialherrschaft in vielen afrikanischen Ländern Dutzende von Millionen von Menschenleben gefordert.

Nur die arbeitenden Menschen können auf der Grundlage eines sozialistischen Programms die nationale Frage lösen, indem sie die vollen Rechte der Nationen und Minderheiten, einschließlich der vollen Selbstbestimmung, unterstützen und gleichzeitig eine vereinte Bewegung gegen gemeinsame kapitalistische Feinde anstreben. Ein Merkmal einer echter Arbeiter*innenbewegung ist es, dass Menschen verschiedener Nationalitäten gemeinsam und vereint gegen kapitalistische Angriffe auf ihre Lebensbedingungen marschieren und damit das Potential zum Aufbau einer vereinten revolutionären Massenbewegung zeigen, die die Gesellschaft verändern kann.

Widerstand der Arbeiter*innenklasse

Im Großen und Ganzen haben sowohl der Imperialismus als auch die lokalen kapitalistischen Eliten bei der Entwicklung der afrikanischen Wirtschaft und des Lebensstandards der Menschen versagt. Während der gesamten Zeit nach der Unabhängigkeit Afrikas haben sowohl die militärischen als auch die zivilen Teile der Kapitalist*innenklasse den Kontinent mit demselben ruinösen kontraproduktiven Effekt regiert. Sowohl in Bezug auf die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung als auch auf den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse liegt Afrika heute weit hinter Europa und dem Rest der entwickelten kapitalistischen Welt zurück, als es vor sechs Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit war.

Allerdings ist eine winzige Schicht der afrikanischen Bevölkerung genauso stinkreich wie die meisten kapitalistischen Elemente selbst in der fortgeschrittenen kapitalistischen Welt. Dies ist, wie zu betonen ist, in der Regel das Ergebnis direkter Plünderung der Staatskassen oder spezieller Deals und einer faulen Zusammenarbeit mit dem Imperialismus und den lokalen kapitalistischen Regierungen, um Afrikas menschliche und materielle Ressourcen zu plündern.

Die positive Seite des Kapitalismus ist die Entwicklung und Existenz der Arbeiter*innenklasse. Sie ist die Klasse, die den Schlüssel für das tägliche Funktionieren des Systems in der Hand hält, ohne die nichts geschieht, und die zu kollektiven Aktionen fähig ist. Betrachtet man die kapitalistische Weltgeschichte und insbesondere die begrenzte Geschichte des Kapitalismus in Afrika, so verfügt nur die Arbeiterklasse über das Potential, das kapitalistisch bedingte Massenelend inmitten des Überflusses zu beenden. Natürlich ist die organisierte Arbeiter*innenklasse angesichts der ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitalismus relativ klein. In Nigeria zum Beispiel waren im ersten Quartal 2023 laut offizieller Statistik 92,6 Prozent der Erwerbstätigen informell und damit weitgehend unorganisiert tätig. Dennoch erhalten die Gewerkschaften immer wieder, wenn sie ernsthaft zum Handeln aufrufen, massive Unterstützung aus allen Teilen der arbeitenden Bevölkerung und den Armen. Das zeigt die Macht der Arbeiter*innenklasse.

Afrikanische Arbeiter*innen haben sich seit der Kolonialzeit an politischen Kämpfen für eine bessere Gesellschaft beteiligt. Wie Rodney berichtet: »Folglich waren in den 1940er- und 1950er-Jahren Streiks üblich, die gezielt mit dem Kampf um die Unabhängigkeit verbunden waren, insbesondere an der Goldküste, in Nigeria und dem Sudan«16 In Nigeria wurde die erste große Bewegung, die die Forderung nach Unabhängigkeit auslöste, von der von Michael Imoudu angeführten Arbeiterbewegung mit dem berühmten COLA-Kampf (Cost of Living Allowance) von 1948 angeführt, der dem heutigen Kampf um den Mindestlohn ähnelt. Auch im Kampf gegen die Apartheid im südlichen Afrika waren die Arbeiter*innen aktiv.

All dies geschah in dem Glauben, dass sich das Los der Arbeiter*innen und anderer unterdrückter Schichten in Afrika unter der einheimischen Herrschaft verbessern würde, da sie glaubten, ihr Leid sei nur durch die Kolonial- oder Fremdherrschaft verursacht. Nach der Unabhängigkeit sind sie jedoch desillusioniert worden. Ihre Lebensumstände haben sich nicht grundlegend verbessert. Nun gibt es auf dem Kontinent einige, die angesichts des Versagens und der Korruption ihrer rückständigen Führungselite frustriert sind und sogar den Irrglauben hegen, dass Afrika mehr Entwicklung hätte verzeichnen können, wenn die Kolonialisten länger geblieben wären. Doch auch wenn die Kolonialherrschaft die massenhafte Plünderung durch die afrikanische Elite hätte verringern können, hätte sie nicht zu einer abgerundeten Entwicklung geführt, da die Kolonialisten aus eigenem Profitstreben und strategischen Interessen regierten. Das Hauptproblem ist also der Kapitalismus, der nach der Überwindung des Kolonialismus und der Apartheidherrschaft fortbesteht. Dennoch sollte betont werden, dass der Kampf gegen den Kolonialismus und die Apartheid fortschrittlich war, indem er die direkte Fremdherrschaft beendete und die Möglichkeit schuf, demokratische Rechte zu erlangen.

Rodney führt zwar einige Beispiele für Arbeiter*innenkämpfe an, geht aber nicht auf die politischen Fragen ein, vor denen die Arbeiter*innenbewegung steht. Für ihn steht »jede Afrikanerin und jeder Afrikaner [...] in der Verantwortung, dieses [imperialistische] System zu verstehen und an seinem Umsturz zu arbeiten.«17 Er argumentiert, dass »[d]er Rückzug der den Kolonisator*innen direkt unterstehenden Militär- und Justizapparate [...] notwendig [war], bevor irgendwelche neuen Alternativen hinsichtlich politischer Organisation, Gesellschaftsstruktur und wirtschaftlicher Entwicklung vorgelegt werden konnten.«18, was impliziert, dass sozialistische Forderungen bis nach der Unabhängigkeit warten müssten. Auch wenn Rodney am Ende des Buches richtigerweise die Rolle der »Element[s] des bewussten Handelns« in Bezug auf die Arbeiter*innen und Bäuer*innenn in der postkolonialen Zeit betont, die »ihr Schicksal selbst in die Hand [...] nehmen,«19 lässt er die Frage nach dem Programm, nach dem, was zu tun ist, aus.

Er stellt fest, dass: »Soweit es die Masse der Bäuer*innenschaft und der Arbeiter*innen betraf, machte das Ende der offenen Fremdherrschaft den Weg frei für ein tieferes Verständnis von Ausbeutung und Imperialismus.«20 Rodney beendet das Buch mit dem Beginn der neokolonialen Ära und lässt damit wahrscheinlich bewusst die weitere Frage des Programms aus. Diese müsste an anderer Stelle behandelt werden, was er in einigen Artikeln, Reden und Debatten auch tat.

Nichtsdestotrotz hat er absolut Recht, was das Potential der afrikanischen Arbeiter*innenmassen betrifft, für Verbesserungen zu kämpfen. In jüngster Zeit hat es Kämpfe gegen korrupte, verrottete Regime und für ein besseres Leben gegeben, wie die Massenaufstände in der arabischen Welt, insbesondere in Nordafrika, gezeigt haben, die zwischen 2010 und 2011 mindestens drei langjährige Diktatoren zu Fall brachten. In Burkina Faso war es ein Massenaufstand, der 2014 dazu beitrug, Blaise Campaore nach 27 Jahren Diktatur abzusetzen. In den 1990er Jahren bis Anfang 2000 waren es von der Arbeiter*innenklasse angeführte Aufstände, die dazu beitrugen, die unpopulären kapitalistischen Regierungen von Mattew Kerekou in der Republik Benin und Kenneth Kaunda in Sambia zu stürzen. Auch anderswo in Afrika gab es zahlreiche Beispiele für solche Kämpfe. Die mächtige »12. Juni«-Bewegung in Nigeria in den Jahren 1993 und 1994, die Massenproteste und Generalstreiks umfasste, stürzte zwar nicht die Militärherrschaft, aber sie verdrängte den Militärdiktator Ibrahim Babangida von der Macht.

Auch in Nigeria, Südafrika, Kenia usw. hat es seit Ende der 1980er Jahre mehrere Kämpfe gegen die Strukturanpassungsprogramme des IWF und die neoliberale kapitalistische Politik gegeben. So gab es im Januar 2012 den größten Generalstreik und Massenprotest in der Geschichte Nigerias gegen die Erhöhung der Kraftstoffpreise. Auch in Südafrika kam es 2012 zu einem massiven Aufstand der Bergarbeiter*innen in Marikana.

Leider haben jedoch alle diese Kämpfe, einzeln und gemeinsam, Schwächen gezeigt, die überwunden werden müssen, wenn wir von Protesten und Abwehrkämpfen zu einer Veränderung des Systems übergehen wollen. Dies erfordert den Aufbau einer Massenbewegung mit einem klaren sozialistischen Programm, die zwar konsequent für eine Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Bedingungen kämpft, aber auch bereit ist, die politische Macht an sich zu reißen und eine Arbeiter*innenregierung zu bilden.

Sozialistische Alternative

Eine solche Regierung mit sozialistischer Planung wird die menschlichen und materiellen Ressourcen zum Wohle der großen Mehrheit und auch zur Besiegung des Kapitalismus einsetzen. Afrika wird nur aus dem Teufelskreis des Niedergangs herauskommen, wenn es mit dem Kapitalismus bricht und die wirtschaftlichen Ressourcen des Kontinents aus den Händen des Imperialismus und der lokalen Kapitalist*innen nimmt. Nur auf der Grundlage einer demokratischen Planwirtschaft könnte ein Anfang gemacht werden, um die Ressourcen im Interesse der Masse der Menschen zu nutzen. Dies ist nicht das alte System, in dem die lokalen Eliten den Staat ausplünderten und die Industrien für ihre eigenen Zwecke verstaatlichten. Im Gegenteil, die Sozialist*innen stehen für eine Verstaatlichung unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Werktätigen, um Korruption und Wirtschaftssabotage zu verhindern und sicherzustellen, dass die Ressourcen zur Entwicklung der Wirtschaft und im Interesse der arbeitenden Massen eingesetzt werden.

Eine erfolgreiche sozialistische Revolution in einem Land kann die revolutionäre Bewegung in anderen afrikanischen Ländern inspirieren und eröffnet die Möglichkeit, dass sich die Arbeiter*innenregierungen in einer sozialistischen Konföderation Afrikas zusammenschließen und die vom Imperialismus geschaffenen und aufrechterhaltenen künstlichen Barrieren niederreißen. Dies erfordert auch, dass die Solidarität der internationalen Arbeiter*innenklasse, insbesondere der Arbeiter*innen in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, bewusst gepflegt werden muss, um den zu erwartenden Widerstand des Imperialismus einschließlich konterrevolutionärer Sanktionen und Angriffe zu brechen. Am wichtigsten ist, dass solche Bemühungen als Teil des Kampfes für den Aufbau einer sozialistischen Weltföderation gesehen werden müssen, um Kapitalismus und Imperialismus endgültig zu beenden.

Ein System, das einen Kontinent, der enorm reich an menschlichen und natürlichen Ressourcen ist, in eine ständige Krise stürzt, muss geändert werden. Aber der Sozialismus wurde fälschlicherweise und zu Unrecht mit dem Stalinismus gleichgesetzt - einem diktatorischen System, das zwar auf Planwirtschaft beruhte, aber keine Arbeiter*innendemokratie und keine echte marxistische Methode kannte. Auch Rodney selbst bezeichnete unkritisch die Sowjetunion, China und Nordkorea mit ihren diktatorischen Regimen als sozialistische Länder. Während seines Aufenthalts in Tansania und insbesondere in den Jahren nach seinem Buch Wie Europa Afrika unterentwickelte erarbeitete er jedoch eine tiefgreifendere Kritik an dem, was er später als »Staatssozialismus« bezeichnete, und setzte sich nachdrücklich für die Arbeiter*innendemokratie als Vorbedingung für den Aufbau eines echten Sozialismus ein.21

Im Großen und Ganzen warf der Zusammenbruch des Stalinismus das Klassenbewusstsein weltweit zurück und machte es der Mehrheit der Arbeiter*innenklasse schwer, zu einer sozialistischen Schlussfolgerung zu gelangen. Außerdem verschaffte er dem Imperialismus den Vorteil, in die ideologische Offensive zu gehen und eine brutale, armutsfeindliche neoliberale Politik durchzusetzen. Die nicht enden wollende Krise des Kapitalismus, insbesondere seit der globalen Rezession von 2008, und die damit einhergehende Verschärfung der Angriffe haben jedoch dazu geführt, dass die Suche nach einer Alternative zum Kapitalismus in den Vordergrund gerückt ist. Dies könnte dazu führen, dass viele Menschen aus der Arbeiter*innenklasse und die Jugend vor allem in Afrika - das am stärksten vom Scheitern des Kapitalismus betroffen ist - zu sozialistischen Schlussfolgerungen gelangen und die revolutionäre Idee und die wirkliche Methode des Marxismus wiederentdecken.

Lagos, September 2023

Peluola Adewale

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Die Anfänge dafür waren bereits 1969 zu sehen, als er nach einer Rede, in der er sich nachdrücklich für einen Sturz der nationalistischen Führer der neuen afrikanischen Staaten durch das Proletariat und die bäuerlichen Massen aussprach, mit der TANU-Regierung aneinandergeriet. Für eine weitere Diskussion von Rodneys Kritik und seinem Verständnis der Permanenten Revolution in Afrika siehe folgende Beiträge von Bafta Sarbo und René Arnsburg. [Anm. d. Red.]

Black Power und Klassenkampf

Die Entwicklung des Marxismus‘ in Walter Rodneys Leben und Wirken1 

Am 27. Juli 2007 hielt er damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy auf seiner Afrikareise in Senegal vor den Studierenden der Universität von Dakar eine Rede. Darin sagte er: »Die Tragödie Afrikas ist, dass der Afrikaner noch nicht in die Geschichte eingetreten ist.«2

Diese Vorstellung eines Afrikas ohne historische Entwicklung und ohne eigenen Beitrag zur Weltgeschichte lässt sich schon bei Hegel finden. Bei diesem wandert der Weltgeist von Osten nach Westen, angefangen in China, über Indien in den sogenannten Orient, und durch das antike Griechenland, das römische Reich und erreicht seinen Höhepunkt im protestantischen Preußen, das heißt in Mitteleuropa. Dieser Weltgeist lässt Afrika völlig unberührt.3 Die Afrikanischen Zivilisationen, die es gab, wurden, wie das antike Ägypten, dem asiatischen Raum zugerechnet und die anderen finden keine Erwähnung. Diese Vorstellungen von Afrika als Ort ohne Geschichte, das heißt ohne menschliche Entwicklung, kennzeichnet im Wesentlichen das moderne Afrikabild im Westen. Das ist auch das Bild, das den Rassismus gegen Afrikaner*innen charakterisiert: kindlich und unfähig zu intellektueller Leistung.

Unter Afrikaner*innen ist Walter Rodneys Wie Europa Afrika unterentwickelte (WEAU) ein Standardwerk. Ich muss ungefähr 14 gewesen sein, da zeigte mir mein Vater seine alte zerfledderte Ausgabe von dem Originalverlag Bogle-L'Ouverture Publications aus dem Jahr 1978. Er sagte mir, wenn ich nur ein Buch lesen wolle, dann solle es das sein. Über afrikanische Geschichte vor der Kolonisierung durch Europa lernte ich, genauso wie die meisten Menschen, nichts in der Schule und dieses Buch leistete, trotz der Probleme der ersten deutschen Übersetzung, einen wichtigen, wenn nicht sogar den wichtigsten Beitrag zur Geschichtsschreibung Afrikas. Es dauerte noch einige Jahre, bis ich das Buch tatsächlich lesen sollte und bis dahin hatte ich mir eine gewisse marxistische Grundbildung angelesen, sodass ich von der deutschen Ausgabe, die ich antiquarisch erwarb, etwas verwundert war. Allein der Titel »Afrika. Die Geschichte einer Unterentwicklung« drückte eine gewisse inhaltliche Verzerrung aus. Aber auch die Übersetzung wies darauf hin, dass die marxistischen Bezüge Rodneys nur verzerrt wiedergegeben wurden.

Das drückte sich auch in der marxistischen Rezeption aus, in der Rodney innerhalb des Kanons in Deutschland kaum auftauchte. Das hat sicherlich viele Gründe, einer davon, dass der deutsche Marxismus vor allem in der Tradition des westlichen Marxismus stand. Dies ist ein Marxismus, der in Abgrenzung zum östlichen Marxismus in der Sowjetunion und den Ländern des real existierenden Sozialismus, vor allem an akademischen Institutionen praktiziert wurde.4 In eine solche Tradition passen panafrikanische Marxist*innen, wie Rodney, aber auch Frantz Fanon oder CLR James vermeintlich nicht rein, da sie Anhänger eines Marxismus waren, der in Deutschland antikommunistische Reflexe auslöst. Damit ist konkret ein revolutionärer Marxismus gemeint, dem es nicht um intellektuelle Selbstbeschäftigung geht, sondern den Aufbau des Sozialismus.

In den letzten Jahren ist jedoch ein Wandel in der Diskussion, um Marxismus in Deutschland zu beobachten. Die Neuauflage von CLR James Die Schwarzen Jakobiner5 ist erschienen und dass unser Buch Die Diversität der Ausbeutung. Zur Kritik des herrschenden Antirassismus6 in weniger als einem Jahr viermal aufgelegt wurde, zeigt ein wachsendes Interesse an einem Marxismus, der sich nicht einfach als akademische Disziplin versteht, sondern situiert ist in politischen Kämpfen, ein Marxismus, der sich als antiimperialistisch versteht, weil er die globale Dimension des Kapitalismus als solchen versteht und der keinen Hehl daraus macht, dass es um den Kampf für Sozialismus geht. Dazu sagte Rodney selbst:

»Von Zeit zu Zeit sind Marxisten aufgetaucht, die versucht haben, dem Marxismus seinen revolutionären Gehalt abzusprechen oder zu entziehen. Das ist richtig. Es gibt Marxisten, die zu legalen oder Kathedermarxisten geworden sind, die den Marxismus lediglich als eine weitere Variante der Philosophie betrachten möchten und ihn auf sehr eklektische Weise behandeln, als stünde es einem frei, aus dem Marxismus in gleicher Weise wie aus dem griechischen Denken und seinen Entsprechungen zu schöpfen, ohne die Klassenbasis zu betrachten und ohne zu prüfen, ob eine Ideologie den Status quo unterstützt oder nicht.

Dennoch können wir den Marxismus und den wissenschaftlichen Sozialismus im Großen und Ganzen als subversiv und antithetisch zur Aufrechterhaltung des Produktionssystems, in dem wir leben, betrachten. Denn Ideen, ich wiederhole es, schweben nicht im Himmel, sie hängen nicht in der Luft, sie sind mit konkreten Produktionsverhältnissen verbunden. Bürgerliche Ideen entstammen den bürgerlichen Produktionsverhältnissen. Sie dienen dazu, diese Produktionsverhältnisse zu erhalten und zu bewahren. Sozialistische Ideen entstammen derselben Produktion, aber sie ergeben sich aus einem anderen Klasseninteresse und ihr Ziel ist es, dieses Produktionssystem zu stürzen.«7

Black Power in der Karibik

Walter Rodney wuchs in Georgetown, Guyana in einer Arbeiter*innenfamilie auf. Er studierte in Jamaika an der University of the West Indies und in England an der School of Oriental and African Studies. Bereits in Jamaika begann er eine Auseinandersetzung mit der russischen Revolution und marxistisch-leninistischer Theoriebildung. In diesem Zusammenhang sollte sich sein politischer Anspruch formen. In seiner Auseinandersetzung mit der russischen Revolution und insbesondere Lenin als politischer Figur darin prägte er das Konzept eines revolutionären Intellektuellen, der für ihn ein zentraler Anspruch in seiner Arbeit werden sollte.8 Insbesondere die Kubanische Revolution, bei der, wie er es selbst formulierte, weniger als 200 km von ihm entfernt eine erfolgreiche sozialistische Revolution durchgeführt wurde, war auch für Rodney ein Moment der politischen Ermächtigung. Dies brachte ihm den Marxismus näher, denn dieser war für ihn nicht nur als Theorie überzeugend. Es waren vielmehr auch die realen Erfahrungen erfolgreicher antikolonialer Befreiung durch sozialistische Bewegungen:

»Man begann auch, die marxistische Erfahrung an sich genauer zu betrachten, Transformationserfahrungen wie China, das eine große emotionale Anziehungskraft hatte, weil es ein nicht-weißes Land war, zu einer Zeit, als das Rassenbewusstsein sehr ausgeprägt war.«9

So begann Rodney eine politische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Karibik, bei der ihn vor allem Eric Williams Capitalism and Slavery10 und CLR James Die Schwarzen Jakobiner stark theoretisch beeinflussen sollten.11 In London machte er die persönliche Bekanntschaft mit CLR und Selma James, mit denen er in einem marxistischen Studienzirkel die Auseinandersetzung mit der Geschichte der russischen Revolution, klassischen marxistischen Texten und der Methode und Argumentation im Kontext bürgerlicher Wissenschaftsproduktion vertiefte. Was er in seiner Zeit in London lernte, nahm er mit, als er für einen Lehrauftrag nach Jamaika zurückkehrte. Dort nahm er nicht nur seine akademische Arbeit auf, sondern involvierte sich in die aktive Black Power Bewegung, die in den 60er Jahren aufkam. Sein erstes Buch The Groundings with my Brothers12 war eine Sammlung der Vorträge und Diskussionen, die er zu dieser Zeit in unterschiedlichen Zusammenhängen in Jamaika hielt.

Black Power war eine politische Bewegung der 60er Jahre, die ein neues Schwarzes Selbstbewusstsein propagierte. Schwarz als politische Selbstbezeichnung sollte dabei alte rassistische Fremdbezeichnungen ablösen und damit das Recht auf Selbstbestimmung repräsentieren.

Während es innerhalb der transnationalen Black Power Bewegung auch durch die unterschiedlichen nationalen Kontexte verschiedene und teilweise widersprüchliche Begriffe davon gab, was Schwarz genau bedeutete, war Rodneys ein politisches Verständnis von Schwarz-Sein, was damals als politische Selbstbezeichnung weit verbreitet war. So lässt sie sich zum Beispiel bei dem südafrikanischen Anti-Apartheitskämpfer und Mitbegründer der Black Consciousness Bewegung Steve Biko finden.13 Ebenso in Großbritannien und den USA, wo Political Blackness (Dt. Politisches Schwarzsein), die nichtweißen Bevölkerungen fassen sollte.14 Das bedeutet, dass Schwarz nicht unbedingt an eine Hautfarbe oder afrikanische Abstammung gekoppelt war, sondern an die Erfahrung rassistischer Unterdrückung und Entmachtung.

»Sogar ob du Schwarz bist oder nicht wird von weißen Menschen – von weißer Macht entschieden. Wenn ein jamaikanischer Schwarzer Mann versucht ein Zimmer zu bekommen, von einer Vermieterin in London, die sagt ›keine Farbigen‹, würde es sie nicht interessieren, wenn er sagt er sei westindisch, abgesehen von der Tatsache, dass sie ihm bereits die Tür vor seinem Schwarzen Gesicht zugemacht hätte. Wenn ein Pakistaner nach Mittelengland geht, ist er genauso farbig, wie ein Nigerianer. Der Indonesier ist das Gleiche, wie ein Surinamese in Holland; Die Chinesen in Neuguinea haben genauso wenig Chance darauf Anwohner und Bürger Australiens zu werden, wie du und Ich. Die Definition, die am meisten verwendet wird ist, dass wenn du nicht offensichtlich weiß bist, dann bist du Schwarz und von der Macht ausgeschlossen – Macht wird rein milchig weiß gehalten.«15

So beschreibt er die Arbeiterklasse in der Karibik, als vor allem zusammengesetzt durch ehemals afrikanische Sklav*innen und Kolonialmigrant*innen aus Indien:

»Ich bestehe weiterhin darauf, dass es die weiße Welt ist, die definiert, wer die Schwarzen sind. Aber es ist offensichtlich, dass die westindische Situation durch Faktoren, wie die Vielfalt an rassischen Typen und Mischungen und durch den Prozess der Klassenformierung verkompliziert wird. Wir müssen deshalb nicht nur zur Kenntnis nehmen, was die weiße Welt sagt, sondern auch, wie Individuen sich gegenseitig wahrnehmen. Trotzdem können wir bei der Bevölkerung der westindischen Inseln davon sprechen, dass sie Schwarz sind – Entweder afrikanisch oder indisch. Es gibt anscheinend einige Zweifel am letzten Punkt und einige befürchten, dass Black Power sich gegen Inder richtet. Das wäre eine schamlose Leugnung der historischen Erfahrung der westindischen Inseln und der heutigen Realität. Als Inder nach Westindien gebracht wurde, wurde ihnen mit derselben rassistischen Verachtung begegnet, die Weiße an Afrikanern angewandt haben. Inder wurden auch auf einen einzigen Stereotyp reduziert – den Arbeiter oder Hilfsarbeiter. Er war auch ein Holzhauer oder Wasserbringer«16

Darin zeigt sich auch eine weitere Komponente von Black Power, nämlich dass es eine bestimmte Klassenerfahrung charakterisierte, die der rassistischen Unterdrückung von Teilen der globalen Arbeiterklasse. In der Karibik war die Klassentrennung buchstäblich offensichtlich, so bestand die Arbeiterklasse Guyanas zum Beispiel fast vollständig aus Afrikaner*innen und Inder*innen. Black Power war für Rodney in diesem Zusammenhang ein politisches Projekt, bei dem es darum ging, dass die Teile der Bevölkerung die ausgebeutet und unterdrückt wurden, für ein Recht auf Selbstbestimmung kämpften.17

Er war aufgrund seiner radikalen Inhalte und seinem antihierarchischen Verständnis von Bildung bei den Studierenden in Jamaika sehr beliebt. In den Groundings stellte er bereits Diskussionen, die er mit unterschiedlichen radikalen Kräften in Jamaika hatte, dar und formulierte: »Der Schwarze Intellektuelle, der Schwarze Akademiker, muss sich an die Praxis der Schwarzen Massen anschließen.«18 Er begriff Theorie und Bildung nicht als topdown19 Aktivität, sondern setzte sich mit verschiedenen Schwarzen Gruppen in Jamaika wie den Rastafari auseinander. Rodneys Arbeit zu dieser Zeit war darüber hinaus geprägt durch ein wachsendes panafrikanisches Bewusstsein und der Motivation, den afrikanischen Kontinent auch moralisch aufzuwerten, sodass er seine Studien zur vorkolonialen Geschichte Afrikas als Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte begann.20 Gegen Ende seines Lebens verfasste er auch Kinderbücher, die Schwarzen Kindern die Möglichkeiten geben sollten, mit positiven Identifikationsfiguren aufzuwachsen. In diesem Sinne zeigt sich auch, wie er im Laufe seines Lebens trotz wissenschaftlich anspruchsvoller Arbeit immer eine kritische Distanz zu akademischen Institutionen hielt. Über Wie Europa Afrika unterentwickelte sagte er 1975 selbst:

»Dieser Text war dazu bestimmt, außerhalb der Universität zu agieren. Er gelangt vielleicht in die Universität, ja. Ich habe gehofft, dass er es tun würde. Aber er war insofern dazu bestimmt, von außen zu agieren, als dass er nicht von denjenigen gefördert wurde, die zu dieser Zeit als diejenigen galten, die das letzte Wort in Bezug auf afrikanische Geschichte und Studien hatten. Das Ziel dieser Publikation war es, unsere eigenen Leute zu erreichen, ohne die Vermittlung durch bürgerliche Bildungsinstitutionen.«21

Dieser Anspruch machte ihn in Jamaika schnell sehr einflussreich, was der jamaikanischen Regierung zuwider war. Als er nach einem Auslandsaufenthalt von der Regierung an der Wiedereinreise nach Jamaika gehindert wurde, brachen 1968 in der Hauptstadt Kingston die Rodney Riots22 aus. Diese studentischen Proteste galten als die zentralen Straßenproteste der 68er Bewegung in Jamaika.

Marxismus als Methode

Nachdem Rodney aus Jamaika verbannt wurde, zog er nach Tansania, das, jüngst dekolonisiert, unter dem Präsidenten Julius Nyerere als das Mekka der afrikanischen Befreiung galt.23 Dort begann er an einem Buch zur russischen Revolution aus afrikanischer Perspektive zu schreiben.24 Dieses Projekt schob er zur Seite und konzentrierte sich zunächst auf die Herausgabe des vorliegenden Buches, das sein Hauptwerk werden sollte. Es ging ihm darum zu beweisen, dass die Unterentwicklung Afrikas nicht Ergebnis einer natürlichen oder kulturellen Minderwertigkeit der Afrikaner*innen war, sondern das Resultat der Entstehung und Reproduktion des Kapitalismus, der in Europa seinen Ursprung nahm. Dies hatte auch die ideologische Selbstermächtigung von Schwarzen Menschen zum Ziel. Rassismus als begleitenden Ideologie des Kolonialismus hatte neben den ökonomischen und politischen Effekten auch auf das Selbstbewusstsein der Schwarzen Bevölkerung einen negativen Einfluss. Nicht zuletzt Frantz Fanon verwies auf die psychologischen Effekte des Kolonialismus und untersuchte während des Algerienkrieges die besonderen Ausprägungen des Minderwertigkeitskomplexes, den Schwarze in Folge einer rassistischen Klassengesellschaft erfuhren.25

Rodney geht in WEAU bei seiner Untersuchung der Unterentwicklung dabei zunächst von einem dialektischen Entwicklungsbegriff aus. Er zeigt zunächst die menschliche Entwicklung in unterschiedlichen Weltteilen in ihrem Zusammenhang mit der Ausbeutung auf und geht dann auf die Spezifika kapitalistischer Entwicklung und den Beitrag der Dritten Welt26 ein, konkret den Afrikas zur Entstehung des Kapitals in Europa. Er setzt sich dabei mit der afrikanischen Geschichte vor der Kolonisierung auseinander, um aufzuzeigen, dass es durchaus Entwicklung gegeben hat. Unterentwicklung beschreibt hier damit keinen absoluten Zustand, bei dem keinerlei Entwicklung stattfindet, sondern Entwicklung und Unterentwicklung im Kapitalismus stehen in einem Verhältnis, bei dem das eine das andere bedingt. Das war ebenfalls der Grund, wieso Rodney konkret von unterentwickelten Ländern und nicht von Entwicklungsländern spricht, wie es sich heute durchgesetzt hat. Ein solcher Ausdruck impliziert, dass eine nachholende Entwicklung unabhängig oder parallel zur Kapitalakkumulation in den entwickelten Ländern stattfinden würde, während die ökonomische Unterentwicklung sich in der Realität weiter vertieft.2728

Während Rodney bereits in seiner frühen Politisierung seines Studiums ein marxistisches Selbstverständnis ausdrückte und die Relevanz einer Klassenanalyse betonte, schärfte er dieses Verständnis über die darauffolgenden Jahre. Zu Beginn waren die realen Erfahrungen erfolgreicher Revolutionen in unterentwickelten Ländern ein wichtiger Politisierungspunkt. Während er sich von diesem Standpunkt später weiterentwickelte, ist es wichtig zu verstehen, welche Relevanz es für Rodney in den politischen Bewegungen der Zeit hatte, den Marxismus nicht als intellektuelle Selbstbeschäftigung an den Universitäten zu erfahren, sondern durch seine praktische Präsenz als treibende Kraft antikolonialer Bewegungen.

Marxismus ist für Rodney eine Methodologie, mit der sich Menschen gesellschaftliche Phänomene aneignen können und es ist gleichzeitig eine politische Ideologie, die das Interesse der arbeitenden Klasse widerspiegelt.29 Beide Seiten machen ihn zu einer Weltanschauung, die zwar einen wissenschaftlichen Anspruch hat, die Geschichte so darzustellen, wie sie wirklich ist, aber nicht mit dem Anspruch einer vermeintlichen bürgerlichen Objektivität, denn das lehnte er ab. Er sah Marx und Engels dabei nicht als eurozentrische Denker, die sich lediglich mit den Gesellschaften Europas befassten, sondern eher als Entdecker einer Methode, die sich auf Grundlage der universellen Bewertungsgesetze der Gesellschaft und unabhängig von Zeit und Ort überall da anwenden lässt wo menschliche Gesellschaften existieren.30 In diesem Zusammenhang sah er die Aufgabe von Marxist*innen aus der dritten Welt vor allem darin, die marxistische Theorie durch praktische Anwendung in unterschiedlichen Kontexten weiterzuentwickeln:

»In diesem Prozess hat Lenin also zum Wachstum der marxistischen Ideologie beigetragen. Das Gleiche gilt für die Beiträge von Mao, für die Beiträge von Che Guevara oder für die Beiträge von Amílcar Cabral. Beiträge, die anerkennen, dass der Marxismus selbst ein wachsender Corpus wissenschaftlicher Erkenntnis ist, dass wir eine Ontologie haben, dass wir eine Epistemologie haben, und dass wir von dort aus dazu übergehen müssen, uns mit den Besonderheiten zu beschäftigen, die an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auftreten.«31

Rodney vertrat dabei die Auffassung, dass Lenin die marxistische Theorie so definiert und angewandt hatte, dass es unmöglich war, nach ihm Marxismus zu betreiben, ohne sich auf ihn zu beziehen. Lenin war sicherlich derjenige, der dazu beitrug, dass die Theorie bei Rodney und in der dritten Welt nicht als eurozentrisch aufgefasst wurde. Insbesondere sein Werk Der Imperialismus, das höchste Stadium des Kapitalismus32 bot die theoretische Grundlage, um den Kapitalismus als globales System der ungleichen Ausbeutung nachvollziehen zu können. Anlässlich Lenins 100sten Geburtstages verfasste Rodney den Artikel Die imperialistische Teilung Afrikas. Lenin habe sich zwar selbst mit Afrika kaum befasst, seine Theorie biete aber die Kategorien mit der sich die Teilung Afrikas nachvollziehen lasse, indem er die Leninsche Imperialismustheorie auf den afrikanischen Kontinent anwendet.33

Genauso wie er WEAU als Bezug auf Debatten zur Geschichte und Zukunft Afrikas schrieb, verfasste er seine Auseinandersetzung mit der russischen Revolution als Vorbereitung seiner Vorlesungen, die er an der Universität von Dar es Salaam in Tansania hielt. Er wollte seine Studierenden, mit denen er einen politischen Austausch pflegte, mit dem Historischen Materialismus als Methode vertraut machen. Die Russische Revolution war dabei für Rodney ein wichtiger Anhaltspunkt, um Fragen der Revolution in Afrika klären zu können, da sich dort eine sozialistische Revolution in einem noch nicht industrialisierten Land vollzog.

»Aber auf Russland im 19. Jahrhundert zu schauen war fast wie auf Tansania heute zu schauen - die große Mehrheit der Bevölkerung waren bäuerliche Produzenten, also hat sich Marx auch mit russischen Bauern befasst.«34

In der Frage, wie marxistische Theorie sich auf die Gesellschaften außerhalb Westeuropas übertragen ließ, diskutierte er zwar anhand der Marxschen und Engelschen Werke in Bezug auf Russland, aber vor allem durch ihre praktische Anwendung in realen sozialistischen Revolutionen. Ob der Marxismus eurozentrisch sei, war also keine theoretische Frage, sondern eine praktische und dass er es nicht war, bewies seine praktische Umsetzung in der russischen Revolution.

Sozialismus von unten

Diese Methode entwickelte er auch in seinem eigenen Wirken weiter. Aus seiner Zeit in Tansania und der Erfahrung des Afrikanischen Sozialismus zog er theoretische Schlüsse. Afrikanischer Sozialismus nannten sich unterschiedliche Projekte in Afrika nach der Dekolonisierung, die sich an einem dritten Weg jenseits des Kapitalismus und des Marxismus versuchten. Während Rodney ideologisch zwar zu diesen Projekten eine gewisse Distanz wahrte, da er weiterhin den wissenschaftlichen Sozialismus, das heißt den Marxismus vertrat, verteidigte er den afrikanischen Sozialismus zu Beginn und das obwohl der Präsident Tansanias, Nyerere, von Rodneys Wirken nicht begeistert war. Das lag unter anderem daran, dass Tansania einen realen Beitrag zur Befreiung Afrikas vom Imperialismus leistete, indem zum Beispiel die nationalen Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika materiell und ideologisch unterstützt wurden. So wurden Büros und Militärbasen für die Befreiungsfront von Mozambique (FRELIMO), und Angolas (MPLA) und Trainingscamps für den paramilitärischen Flügel des südafrikanischen African National Congress (ANC) für den Kampf gegen Apartheid-Südafrika eröffnet. Rodney profitierte selbst davon, indem er nicht nur militärisch ausgebildet wurde, als er die Camps der FRELIMO besuchte, er lernte auch Delegationen aus Vietnam kennen, mit denen er einen prägenden Austausch hatte.35

Ujamaa wurde 1967 in der sogenannten Arusha Declaration 1967 von der durch Julius Nyerere geführten Tanganyika African National Union (TANU) verabschiedet. Es ging in der Philosophie von Ujamaa darum moderne Entwicklungsansprüche zu verbinden mit den Werten des vorkolonialen Afrikas, das vermeintlich klassenlos war. Die Landwirtschaft sollte kollektiviert werden, indem unterschiedliche Bauern und Familien sich zu Ujamaa-Villages, also erweiterte Dorfgemeinschaften zusammenschließen sollten. Dazu wurden Landreformen verabschiedet, eine breite Alphabetisierung der Bevölkerung initiiert und Banken und Unternehmen verstaatlicht. Zu Beginn erfuhren die zahlreichen Reformen breite Unterstützung, doch die Politik unter Nyerere wurde immer repressiver, bis hin zu Streikverboten.36

In Tansania hatte sich in diesem Zusammenhang eine Position durchgesetzt, die die Unterdrückung der Arbeiter*innen in den urbanen Zentren rechtfertigen sollte, so galten Arbeiter*innen, die höheren Lohnforderungen stellten als solche, die Bäuer*innen in der Verteilung des Nationaleinkommens etwas abziehen wollten. Eine ähnliche Position fand sich auch bei Fanon, der in der Arbeiterklasse in den Kolonien eine gegenüber den Bäuer*innen privilegierte Gruppe sah. Issa Shivji, dessen Werk Class Struggle in Tansania37 für Rodney als zentraler Text zum Verständnis von Unterentwicklung in Afrika galt, widersprach Fanons Position und konstatierte, dass Arbeiter*innen und Bäuer*innen keine widersprüchlichen Interessen im Kampf hätten.38 Rodney lehnte diese Position ebenfalls ab, in Anschluss an Amílcar Cabrals39 Kritik, dass die Bauernschaft zwar das größte Interesse am Kampf hätte, und zwar relevant im Kampf sei, aber sie nicht die revolutionäre Kraft wäre.40

Das Scheitern von Ujamaa in Tansania aber auch der Putsch gegen Nkrumah in Ghana verfestigten seine Überzeugung, dass der wissenschaftliche Sozialismus als Lösung unausweichlich war.

»Ich denke, dass die meisten Ideologen des Afrikanischen Sozialismus, die beanspruchen einen dritten Weg gefunden zu haben eigentlich nur billige Betrüger sind, die versuchen die Mehrheit der Bevölkerung zu täuschen. Ich denke nicht, dass sie darauf aus sind Sozialismus zu entwickeln. Ich denke nicht, dass sie darauf aus sind irgendetwas zu entwickeln, das auf das Interesse der Afrikanischen Menschen abzielt.«41

Er wurde dabei auch geprägt durch die marxistisch orientierten Studierenden, die im Gegensatz zu Rodney von Anfang an eine kritische Haltung zum Projekt des Afrikanischen Sozialismus pflegten.42 Die reale Erfahrung unter diesem formte bei Rodney darüber hinaus eine grundsätzlich kritischere Haltung zu einem Sozialismus von oben.

Die dekolonisierten Staaten Afrikas, die auch nach der formalen Abhängigkeit unter afrikanischer Führung weiterhin die Massen unterdrückten, machten deutlich, dass die inneren Widersprüche der afrikanischen Gesellschaften auch Produkt der unterschiedlichen Klasseninteressen der arbeitenden Klasse und des Bürgertums in Afrika waren. Vor dem 6. Panafrikanischen Kongress 1975 hielt er eine Rede, in der er scharfe Kritik an der panafrikanischen Bewegung übte. Dieser Kongress 1975 gewann seine besondere Relevanz dadurch, dass er der erste war, der auf dem afrikanischen Kontinent stattfand und der erste, bei dem sich vor allem Regierungen dekolonisierter Staaten trafen und nicht Aktivist*innen und Intellektuelle in der Diaspora, wie bei den Kongressen vorher. Dort verschärft sich seine Kritik an der konterrevolutionären Rolle des afrikanischen Kleinbürgertums. Die Phase des Neokolonialismus machte diese Widersprüche offensichtlich, denn während das afrikanische Kleinbürgertum während des antikolonialen Kampfes gemeinsam mit den Arbeiter*innen und Bäuer*innen noch einen nationalistischen Block gegen die Kolonialmächte geformt hatte, kämpfte es sich an die Spitze der antikolonialen Bewegungen und kooperierte schließlich mit dem Kapital in der Zeit nach der Unabhängigkeit.43

Hier lässt sich eine Entwicklung Rodneys beobachten, der in einigen Beiträgen in Groundings Politik noch als Widerspruch zwischen einem richtigen Schwarzen und einem weißen Bewusstsein begreift. So beschreibt er zum Beispiel die repressive Politik der jamaikanischen Regierung, als Teil einer »weißen Machtstruktur«44 und nicht als etwas, das aus widersprüchlichen Klasseninteressen entsteht. Das mag auch daran liegen, dass diese Widersprüche in der Phase nach der Dekolonisierung offensichtlicher zutage traten. Die Existenz der Klassen im postkolonialen Afrika ist dabei für ihn keine theoretische Schablone, sondern bewiesen durch die politischen Vorgänge in den postkolonisierten Staaten Afrikas. So schreibt er über den Coup gegen Nkrumah: »Nkrumah leugnete die Existenz von Klassen in Ghana, bis das Kleinbürgertum ihn stürzte.«45

In seinem weiteren Wirken ging sein Fokus immer mehr in Richtung Organisierung der Arbeiterklasse. Seine Position war dabei nicht die vollständige Abkehr von sozialistischen Staaten, sondern eher eine Verschiebung in der Schwerpunktsetzung hin zur Zentrierung der Kämpfe der arbeitenden Klasse.46 Im Juli 1978 während eines Aufenthaltes in Hamburg erschien ein Text von ihm im Spiegel, der sich mit der Rolle Kubas in Afrika auseinandersetzte. In diesem Artikel zeigt sich nicht nur, dass Rodney sich keinesfalls von sozialistischen Staaten abwandte, sondern sich eher sehr genau anschaute, welche Regimes sich als sozialistisch erklärten und welche diesem Anspruch tatsächlich gerecht wurden.47 In dem bereits erwähnten Class Struggle in Tanzania von Issa Shivji zitierte dieser Lenin »Sozialismus ohne Klassenkampf ist eine leere Phrase oder ein naiver Traum.«48 Seine Sympathie für wilde Streiks und nicht von offiziellen Gewerkschaften organisierte Praxis wuchs dabei immer mehr.49

Aufbau der WPA in Guyana

Rodney verstand Tansania nie als zuhause und dass er Swahili nicht fließend sprach, behinderte ihn oft im Austausch mit der Bevölkerung. Dass er sich als Gast verstand hemmte ihn aber auch in seiner Freiheit, seiner wachsenden politischen Kritik am Afrikanischen Sozialismus Ausdruck zu verleihen. Seine Rückkehr nach Guyana war schließlich motiviert durch persönliche und politische Entscheidungen. Er wollte dort wirkmächtig werden, wo er sich wirklich mit den lokalen Verhältnissen vertraut fühlte. Deshalb beteiligte er sich nach seiner Rückkehr nach Guyana intensiv am Aufbau der Working People’s Alliance (WPA), einer Partei, die die Selbstorganisierung der Arbeiterklasse jenseits rassistischer Linien anstrebte.

Bereits in The Groundings with my Brothers schreibt Rodney über die Situation in der Karibik, wo die Arbeiterklasse von Anfang an rassistisch organisiert war, aber während die Arbeiterklasse fast vollständig aus Afrikaner*innen und Inder*innen bestand, waren diese lebensweltlich getrennt. Guyana unter dem Burnham Regime war darüber hinaus geprägt durch eine Afro-Guyanesische Elite, die Indo-Guyaner*innen rassistisch diskriminierte. Das Potential einer gemeinsam organisierten Arbeiterklasse sollte durch die Gründung der WPA realisiert werden. Die Arbeit in der Partei war für ihn auch Ausdruck einer Entwicklung in seiner Position zum Aufbau des Sozialismus, den er durch die selbstständige Praxis der Arbeiterklasse ausbauen wollte.

»Weder die WPA, noch irgendeine andere Organisation muss einen Masterplan für den nationalen Kampf gegen den Diktator ausarbeiten. Wir können uns auf die Initiative und das Urteilsvermögen unserer Bevölkerung verlassen, vorausgesetzt es gibt einen Geist des Widerstandes.«50

In diesem Sinne nahm die WPA nicht an Wahlen teil, sondern konzentrierte sich auf Initiativen zur sozialistischen Bildung von Arbeiter*innen, wilde Streiks und Formen des zivilen Ungehorsams als Praxis gegen das Regime von Forbes Bunham und seiner PNC. Die WPA forderte jedoch auch eine nationale Front aller Klassen in Guyana, da sie ein gemeinsames Interesse hätten, das sich unter der Führung der arbeitenden Klasse in Guyana realisieren ließe. Dieses gemeinsame Interesse ergebe sich vor allem durch die Situierung Guyanas als durch den Imperialismus ausgebeutete Nation:

»Die höchste Form des modernen Kapitalismus lässt sich in multinationalen Unternehmen finden. Die Macht des modernen Kapitalisten ist enorm, weil sie sich auf einem Niveau befindet, dass sie gesamte Nationen dominieren und imperialistische Ausbeutung aufrechterhalten kann.«51

Insbesondere das Kleinbürgertum erlebte sinkende Lebensstandards, sodass sie durch verstaatlichte Zucker- und Bauxitindustrien von ausgeweiteten Produktionskapazitäten und der Entwicklung der Produktivkräfte in Guyana profitieren könnten.52 In dieser Kampagne vereinten sich viele Fragen, die Rodney sein Wirken hindurch begleiteten, wie das Verhältnis von Imperialismus, Nationalismus und Klassenkampf.

Parallel zu seinem politischen Aktivismus in der Partei arbeitete er auch an einer Theoretisierung der Situation in Guyana, wie in dem nach seinem Tod erschienenen Buch A History of the Guyanese Working people 1881-1905.53 Ähnlich wie in Wie Europa Afrika unterentwickelte