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Wie Mann und Frau sich finden - diesem Thema hat sich Émile Zola in seiner Erzählung "Wie man heiratet" gewidmet. Denn obwohl Mann und Frau offensichtlich zwei verschiedene Sprachen sprechen und unterschiedlicher nicht sein könnten, so gehören diese beiden Wesen doch irgendwie zusammen. Zola berichtet von verschiedenen Paaren und lässt einen am Leben vor und nach der Hochzeit teilhaben - unterhaltsam und mit einem Augenzwinkern. Denn, so weiß auch Zola, ist erst einmal der Ehe-Alltag eingekehrt, ist nichts mehr so, wie es mal war. In der Novelle "Die Tanzordnung" entfaltet Georgette, die erst vor kurzem aus dem Kloster gekommen ist und die den Sizilianerinnen eigen, von nachtschwarzen Augenbrauen verschleierte Glut ihrer Blicke hat, als sie den Ballsaal betritt und nach einer eigenen fiktiven Tanzordnung vom Tanz und der Heirat träumt.
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Seitenzahl: 55
Émile Zola
Wie geheiratet wird.
Texte: © Copyright by Émile Zola
Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke
Übersetzer: © Copyright by B. C.
Übersetzer: © Copyright by Irene H. Cserhalmi
Verlag:
Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag
Gunter Pirntke
Mühlsdorfer Weg 25
01257 Dresden
Inhalt
Impressum
Wie geheiratet wird
I. Kapitel
II. Kapitel
III. Kapitel
IV. Kapitel
Die Tanzordnung
Im siebzehnten Jahrhundert ist Amor in Frankreich ein vornehmer Herr in prächtigen Kleidern, mit einem Federbusch, der von einer ernsten Musik angekündigt, durch die Salons schreitet. Er unterwirft sich einem sehr verwickelten Zeremoniell und wagt keinen Schritt zu machen, ohne dass derselbe im Voraus geregelt ward; im Übrigen ist er ein Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle, gemessen in seiner Zärtlichkeit, ehrbar in seiner Freude. Im achtzehnten Jahrhundert ist Amor ein ausgeknöpfter Taugenichts. Er liebt, wie er lacht, um des Liebens und des Lachens willen, führt sich zum Frühstück eine Blonde, zum Mahl eine Braune zu Gemüte und behandelt die Frauen als Göttinnen, die die Lust mit offenen Händen unter alle ihre Verehrer verteilen. Ein Hauch von Wollust streift über die ganze Gesellschaft, führt den Reigen der Hirtinnen und Nymphen mit den entblößten, unter Spitzen erschauernden Busen; es ist eine anbetungswürdige Zeit, da die Sinnlichkeit Königin war, ein großes Genießen, dessen ferner Atem zugleich mit dem Duft gelösten Haares noch warm zu uns herüberschlägt. Im neunzehnten Jahrhundert ist Amor ein gesetzter junger Mensch, korrekt wie ein Notar, der Staatspapiere besitzt. Er geht in Gesellschaft oder verkauft irgendetwas im Hintergrunde eines Ladens; die Politik beschäftigt ihn, die Geschäfte nehmen seinen ganzen Tag von neun Uhr morgens bis sechs Uhr abends in Anspruch, und seine Nächte widmet er der Praxis in der Liederlichkeit, entweder einer Geliebten, die er bezahlt, oder einer legitimen Gattin, die ihn bezahlt.
So ist also die heroische Liebe des siebzehnten Jahrhundert, die sinnliche Liebe des achtzehnten zur positiven Liebe geworden, die man wie ein Geschäft aus der Börse abmacht. Neulich hörte ich einen Industriellen darüber klagen, dass man noch nicht eine Maschine zum Kindererzeugen erfunden habe. Man macht so Maschinen zum Dreschen des Getreides, zum Weben der Leinwand, um bei allen Arbeiten die menschlichen Muskeln durch Räder zu ersetzen; von dem Tage an, da eine Maschine für die großen Arbeiter des Jahrhunderts, für jene, welche jede Minute der modernen Tätigkeit schenken, lieben wird, werden sie Zeit ersparen und in den Kämpfen des Lebens härter und männlicher sein. Seit der furchtbaren Erschütterung der Revolution haben die Männer in Frankreich noch keine Muße gefunden, an die Frauen zu denken.
Unter Napoleon I. hinderten die Kanonen die Liebenden, sich zu verstehen; während der Restauration und während der Julimonarchie hat sich der Gesellschaft ein wütendes Bedürfnis nach Reichtum bemächtigt, und schließlich hat die Regierung Napoleons III. nur die Geldgelüste schwellen gemacht, ohne auch nur ein originelles Laster, eine neue Schwelgerei herbeizuführen. Es ist auch noch eine andere Ursache vorhanden: die Wissenschaft, der Dampf, die Elektrizität, alle Entdeckungen der legten fünfzig Jahre. Man muss den modernen Mann nur sehen, wie er mit seinen vielfachen Beschäftigungen, immer draußen lebend, verzehrt von der Notwendigkeit sein Vermögen zu bewahren und zu vermehren, den Geist von den stets neuerstehenden Problemen gefangen, die Sinne von den Strapazen seines täglichen Kampfes eingeschläfert, selbst ein bloßes Räderwerk in der in voller Arbeit befindlichen riesenhaften sozialen Maschine geworden ist. Er hat Geliebte, so wie man Pferde hat, um sich Bewegung zu machen. Wenn er heiratet, so geschieht es, weil die Heirat eine Unternehmung ist, wie jede andre, und wenn er Kinder hat, so kommt das daher, weil seine Gattin es wollte.
Die traurigen Heiraten von heute haben noch eine andre Ursache, bei der ich verweilen will, ehe ich zu den Beispielen gelange. Diese Ursache ist der tiefe Graben, den bei uns Erziehung und Unterricht von Kindheit auf zwischen den Knaben und Mädchen aushöhlen. Ich nehme als Beispiel die kleine Marie und den kleinen Pierre. Bis zu sechs oder sieben Jahren lässt man sie zusammen spielen, ihre Mütter sind Freundinnen, sie duzen sich, versetzen einander geschwisterliche Klapse, wälzen sich ohne Scham in den Winkeln herum. Mit sieben Jahren aber trennt die Gesellschaft sie und bemächtigt sich ihrer.
Pierre wird in ein Gymnasium eingesperrt, wo man alle Kräfte aufbietet, um seinen Schädel mit dem Resümee aller menschlichen Kenntnisse anzufüllen; später tritt er in Spezialschulen ein, wählt eine Laufbahn, wird ein Mann. Sich selbst überliefert während dieser langen Lehrzeit des Lebens mitten unter das Gute und Böse losgelassen, hat er die Gemeinheit gestreift, Schmerzen und Freuden gekostet, sich Begriffe von Dingen und Menschen gebildet. Marie im Gegenteil hat die ganze Zeit in der Wohnung ihrer Mutter zugebracht; man lehrte sie was ein wohlerzogenes junges Mädchen wissen muss: gereinigte Literatur und Geschichte, Geographie, Arithmetik, den Katechismus, und außerdem kann sie Klavier spielen, tanzen, mit zweifarbigem Stift Landschaften zeichnen.
Marie kennt daher die Welt nicht, die sie nur durchs Fenster gesehen hat; ja, man hatte sogar das Fenster geschlossen, wenn das Leben zu lärmend durch die Strafen ging. Nie hat sie sich allein auf das Trottoir hinausgewagt; sie wurde sorgsam gleich einer Treibhauspflanze bewacht, indem man ihr Luft und Licht zuteilte und sie fern von jeglicher Berührung in einer künstlichen Umgebung entwickelte. Nun stelle ich mir vor, dass Marie und Pierre einander zehn oder zwölf Jahre später wieder gegenübertreten. Sie sind einander fremd geworden, die Begegnung ist voll Befangenheit, sie duzen einander nicht mehr, stoßen sich nicht mehr zum Spaß in den Zimmerecken herum. Errötend sieht sie unruhig dem Unbekannten gegenüber, das er mit sich bringt, und er fühlt, wenn sie unter sich sind, den Strom des Lebens, die grausamen Wahrheiten, von denen er nicht ganz laut zu sprechen wagt. Was könnten sie einander auch sagen? Sie reden eine verschiedene Sprache, sind nicht mehr ähnliche Wesen. So bleiben sie auf die alltäglichen landläufigen Gespräche beschränkt; ein jeder hält sich in Defensive, fast wie Feinde, und schon belügt eins das andre.
Gewiss will ich nicht behaupten, dass man unsre Söhne und Töchter miteinander aufwachsen lassen soll wie das Unkraut in unsern Gärten. Die Frage dieser zweifachen Erziehung ist für einen einfachen Beobachter zu schwierig. Ich begnüge mich, zu sagen, wie es steht: unsre Söhne wissen alles, unsre Töchter wissen gar nichts. Einer meiner Freunde erzählte mir oft von dem seltsamen Gefühl, das er während seiner Jugend empfand, als er merkte, dass seine Schwestern ihn nach und nach fremd wurden. Jedes Jahr, wenn er vom Gymnasium heimkam, fühlte er, dass der Graben tiefer, die Kälte größer geworden sei.