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Examensarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Pädagogik - Schulpädagogik, Note: 1,6, Universität Münster (Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: Derzeit sich häufende Schlagworte wie „Wissensexplosion“ und „abnehmende Halbwertszeit von Wissensbeständen“ lassen die Frage aufkommen, wie die Schule auf diese Neuerungen reagieren soll. Über welche Art von Wissen, Kompetenzen und über welche Fähig- und Fertigkeiten müssen die Heranwachsenden von heute verfügen, um sich in unserer heutigen Informationsgesellschaft „als autonome und kommunikationsfähige Individuen behaupten“ zu können? Die Befähigung, sich in einem bestimmten Umfang selber Wissen anzueignen, sich der dazu notwenigen Hilfsmittel zu bedienen und letztlich selbständig einen Lernprozess durchführen zu können, gehört außerdem zu den zentralen Schlüsselqualifikationen in Bezug auf das schulische Lernen. (...) So stellt sich dann auch die Frage, ob der Einsatz Neuer Medien in der Schule dabei helfen kann den Schüler bei seinen Lernprozessen zu unterstützen, ihn zu motivieren und ihm dabei Hilfe sein kann neue Informationen und Wissensbestände besser behalten und bei Gebrauch wieder abrufen zu können. (...) In dieser Arbeit wird nun zunächst herausgearbeitet werden, was unter dem Lernbegriff und vor allem unter dem Konzept des selbständigen Lernens genau zu verstehen ist. Hierbei werden dann unter anderem die Ursprünge, Begründungen und Methoden des selbständigen Lernens herausgestellt werden und vor allem die Voraussetzungen, die notwendigerweise für eine erfolgreiche Durchführung von selbständigen Arbeitsphasen in der Schule gegeben sein müssen, konstatiert werden. Daran anschließend wird der Einsatz Neuer Medien im schulischen Kontext im Hinblick auf eine mögliche Unterstützung des selbständigen Lernens thematisiert werden. Hierbei wird dann eine Auseinadersetzung mit den Vor- und Nachteilen des Einsatzes Neuer Medien im schulischen Kontext, sowie den dafür erforderlichen Voraussetzungen folgen. Hieran wird sich dann mit der Vorstellung des Modellprojekts SelGO des Landes NRW ein Beispiel aus der Schulpraxis anschließen, das die Zielsetzung verfolgt das selbständige Lernen der Schüler in der gymnasialen Oberstufe durch den Einsatz Neuer Medien zu stärken. Zusammenfassend sollen diese theoretischen und praktischen Aspekte Auskunft darüber geben, ob es tatsächlich möglich ist, das selbständige Lernen der Schüler durch den Einsatz Neuer Medien zu bestärken und welche Bedingungen und Voraussetzungen hieran geknüpft sind.
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Inhalt
1. Einleitung
2. Der Lernbegriff und die drei klassischen lerntheoretischen Grundlagen: Behaviorismus, Kognitivismus und Konstrukti-vismus
2.1 Begriffsklärung: Lernen
2.2 Die drei klassischen Lerntheorien
2.2.1 Behaviorismus - Lernen als Verhaltensänderung
2.2.2 Kognitivismus - Lernen durch Einsicht
2.2.3 Konstruktivismus - Lernen durch Interpretation
2.3 Auswirkung dieser Theorien auf schulisches Lernen
3. Begriff und Konzeption des selbständigen Lernens
3.1 Begriffsklärung und Definitionen
3.2 Wegbereiter (reformpädagogische Ansätze)
3.3 Begründungen und Ziele
3.3.1 gesellschaftlich
3.3.2 bildungstheoretisch
3.3.3 lerntheoretisch
3.3.4 sozialerzieherisch
3.4 Methoden
3.4.1 Die Projektmethode
3.4.2 Freiarbeit
3.4.3 Wochenplanarbeit
3.4.4 Wahldifferenzierter Unterricht
3.5 Voraussetzungen
3.5.1 Motivation
3.5.2 Lernstrategien
3.5.3 Metakognition
3.5.4 Leistungsbeurteilung
3.5.5 Situative Aspekte
3.6 Die Rolle der Lernenden und Lehrenden
3.6.1 Die Gruppe der Lernenden
3.6.2 Die Lehrpersonen
4. Der Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich sowie die Rolle der Neuen Medien im Rahmen des selbständigen Ler-nens
4.1 Begriffsklärung: Neue Medien
4.2 Der Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich (zur Unterstützung von Lernprozessen)
4.2.1 Begründungen für den Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich
4.2.2 Vorteile beim Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich
4.2.3 Nachteile und kritische Aspekte beim Einsatz Neuer Medien im schu- lischen Bereich
4.3 Konsequenzen der Vor- und Nachteile Neuer Medien im schulischen Bereich - besonders im Hinblick auf die Rolle der Neuen Medien im Rahmen des selbständigen Lernens
4.3.1 Allgemeine Voraussetzungen für den Einsatz Neuer Medien im schulischen Bereich
4.3.2 Medienkompetenz
4.3.3 Lernsoftware
5. Das Modellprojekt SelGO (Selbstständiges Lernen mit digita-len Medien in der gymnasialen Oberstufe) des Landes NRW
5.1 Das Rahmenkonzept von SelGO
5.2 Konzeption des selbständigen Lernens mit Neuen Medien im SelGO-Projekt
5.2.1 Selbständiges Lernen
5.2.2 Der Einsatz Neuer (digitaler) Medien
5.3 Die SelGO-Materialien und Lernarrangements
5.3.1 Die SelGO-Lehr- und Lernplattform
5.4 Voraussetzungen für SelGO
5.5 Erste Evaluationen zu SelGO
5.5.1 Eine Schulleiter- und Lehrerbefragung zu SelGO von 2004
5.5.2 Eine qualitative Studie zu den Erfahrungen mit SelGO von 2006
5.5.3 Fazit dieser ersten Evaluationen zu SelGO
6. Schluss
7. Literaturverzeichnis
8. Appendix
8.1 Erläuterungen
8.2 Eine eigene Befragung
8.2.1 Teilnehmer, Vorgehensweise und Ziele dieser Befragung
8.2.2 Der Fragebogen
8.2.3 Die Auswertung der Umfragergebnisse
Derzeit sich häufende Schlagworte wie „Wissensexplosion“ und „abnehmende Halbwertszeit von Wissensbeständen“ lassen die Frage aufkommen, wie die Schule auf diese Neuerungen reagieren soll. Über welche Art von Wissen, Kompetenzen und über welche Fähig- und Fertigkeiten müssen die Heranwachsenden von heute verfügen, um sich in unserer heutigen Informationsgesellschaft „als autonome und kommunikationsfähige Individuen behaupten“[1] zu können? Die Befähigung sich in einem bestimmten Umfang selber Wissen anzueignen, sich der dazu notwenigen Hilfsmittel zu bedienen und letztlich selbständig einen Lernprozess durchführen zu können, gehört außerdem zu den zentralen Schlüsselqualifikationen in Bezug auf das schulische Lernen. Dies gilt insbesondere für die gymnasiale Oberstufe, welche die Schüler auf das Studium und somit auf selbständiges Arbeiten vorbereiten soll.
Die Tatsache, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache bereits im Jahre 1995 den Begriff Multimedia zum „Wort des Jahres“ gekürt hat[2], zeigt darüber hinaus deutlich, dass die Neuen Medien bereits seit über zehn Jahren in einer großen öffentlichen Diskussion stehen und somit sicherlich auch für den schulischen Bereich relevant sind. So stellt sich dann auch die Frage, ob der Einsatz Neuer Medien in der Schule dabei helfen kann den Schüler bei seinen Lernprozessen zu unterstützen, ihn zu motivieren und ihm dabei Hilfe sein kann neue Informationen und Wissensbestände besser behalten und bei Gebrauch wieder abrufen zu können.
Oftmals wird propagiert, dass nur selbständig denkende und handelnde Menschen, die darüber hinaus medienkompetent im Umgang mit den Neuen Medien sind, gerüstet seien, um den Problemfeldern unserer heutigen Zeit begegnen und mit diesen umgehen zu können. Daraus resultierend ist dann auch im Schulgesetz des Landes NRW als Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule vermerkt, dass die Schüler lernen sollen „selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln...[und] mit Medien verantwortungsbewusst und sicher umzugehen“[3]. Hiermit verbunden ist demnach die Vorstellung, den Schüler bestmöglichst auf sein Leben vorzubereiten, indem er in der Lage ist, selbständig zu lernen und Neue Medien gezielt und bewusst einsetzen kann. Des Weiteren verbirgt sich hinter den Bemühungen die Schüler zur Selbständigkeit anzuleiten sicherlich auch die Hoffnung, dass dadurch eine Entlastung der Lehrpersonen entstehen könnte.
In dieser Arbeit wird nun zunächst herausgearbeitet werden, was unter dem Lernbegriff und vor allem unter dem Konzept des selbständigen Lernens genau zu verstehen ist. Hierbei werden dann unter anderem die Ursprünge, Begründungen und Methoden des selbständigen Lernens herausgestellt werden und vor allem die Voraussetzungen, die notwendigerweise für eine erfolgreiche Durchführung von selbständigen Arbeitsphasen in der Schule gegeben sein müssen, konstatiert werden. Daran anschließend wird der Einsatz Neuer Medien im schulischen Kontext im Hinblick auf eine mögliche Unterstützung des selbständigen Lernens thematisiert werden. Hierbei wird dann eine Auseinadersetzung mit den Vor- und Nachteilen des Einsatzes Neuer Medien im schulischen Kontext, sowie den dafür erforderlichen Voraussetzungen folgen. Hieran wird sich dann mit der Vorstellung des Modellprojekts SelGO des Landes NRW ein Beispiel aus der Schulpraxis anschließen, das die Zielsetzung verfolgt das selbständige Lernen der Schüler in der gymnasialen Oberstufe durch den Einsatz Neuer Medien zu stärken. Zusammenfassend sollen diese theoretischen und praktischen Aspekte Auskunft darüber geben, ob es tatsächlich möglich ist, das selbständige Lernen der Schüler durch den Einsatz Neuer Medien zu bestärken und welche Bedingungen und Voraussetzungen hieran geknüpft sind.
Oftmals wird der Begriff Lernen im alltäglichen Sprachgebrauch direkt mit der Schule in Verbindung gebracht. In wissenschaftlichen Disziplinen wie Pädagogik und Psychologie fasst man den Lernbegriff jedoch viel weiter. Lernen kann nämlich sehr viele verschiedene Zielsetzungen implizieren, so zum Beispiel Behalten und Repräsentieren, Problemlösen, den Aufbau einer Gesinnung, das Erlernen motorischer Fähigkeiten oder das Können und Festigen bestimmter Fertigkeiten. Gemeinsam ist diesen verschiedenen Lernzielen, dass Lernen einen Prozess beschreibt, der manchmal bewusst und gezielt, oft aber auch beiläufig abläuft und den jeder Mensch ständig durchlebt. Im Hinblick auf pädagogische Unterrichtszwecke ist hierbei allerdings eher von funktionalem (beiläufigem) und intentionalem (planmäßigem) Lernen die Rede[4]. Es geht hierbei um Verhaltensweisen, die nicht aufgrund von angeborenen Instinkten oder als Ergebnis der menschlichen Reife zur Verfügung stehen, „sondern aufgrund eines spezifischen Vorgangs zu Stande kommen“[5], nämlich dem Vorgang des Lernens. Lernen kann deshalb als der relativ dauerhafte Erwerb von neuen Fähig- oder Fertigkeiten begriffen werden. Somit ist Lernen eigentlich ein wertneutraler Begriff, da es erst einmal nur um die Kennzeichnung von menschlichen Verhaltensänderungen, und nicht um eine Bewertung dieser Veränderungen geht.
Darüber hinaus ist es sehr schwer eine feste, allgemeingültige Definition von Lernen zu geben, da jeder Lernprozess bei jedem Individuum anders verläuft. Für den Prozess des erfolgreichen Lernens als Veränderung unseres Wissens sind nämlich die verschiedensten Faktoren von Bedeutung. Vor allem aber das Lebensalter und die bisherige „Lerngeschichte“ haben hiefür eine große Relevanz[6], und auch die Interaktion zwischen Mensch und Umwelt spielt beinahe immer eine wesentliche Rolle, wenn es um Lernprozesse geht. Die Gewichtung dieser beiden Faktoren kann allerdings sehr unterschiedlich ausfallen, entweder kommt es zu einer starken Anpassung an die Umwelt oder zu einer aktiven Gestaltung der Umwelt. Durch diese Auseinandersetzung mit der Umwelt gelangt der Mensch dann zu bestimmen Erfahrungen, die zukünftig seine weiteren Aktivitäten beeinflussen, und genau dieser Prozess macht dann das Hauptmerkmal des Lernens aus[7].
Da das Lernen beziehungsweise der Lernprozess den Menschen dabei helfen kann sich an spezifische Anforderungen des Lebens anzupassen, kann Lernen einerseits als Verhaltensänderung verstanden werden. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts haben die Vertreter des Behaviorismus lange Zeit den Schwerpunkt ihrer Forschungen lediglich auf beobachtbare, das heißt direkt wahrnehmbare Verhaltensweisen gelegt. Durch die Forschungsmethode des sogenannten Klassischen Konditionierens konnte gezeigt werden, dass durch Reiz-Reaktions-Verbindungen, die unter bestimmten Bedingungen erhalten bleiben und unter anderen eben wieder gelöscht werden, neue Verhaltensweisen erlernt (und auch wieder verlernt) werden können. Wichtig für diese Auffassung ist also, dass sich Lernen durch bestimmte Reize von außen steuern lässt und der Mensch somit unter die Kontrolle der Umwelt gestellt wird. Lernen wird hierbei sozusagen als konditionierter Reflex angesehen, der nur durch Adaption erworben werden kann[8].
Nach Meinung der Behavioristen ereignet sich Lernen aufgrund allgemeiner und jederzeit gültiger Lerngesetze. Es wird bei dieser Lern- und Lehrstrategie davon ausgegangen, dass die „Lehrenden wissen, was und wie die Lernenden zu lernen haben“[9]. Die Schüler für das Erreichen von festegelegten Normen kompetent zu machen, ist demzufolge die (Haupt-) Aufgabe der Schule[10]. Als Lernziel können dann hierbei „richtige“ Verhaltensweisen und Antworten bestimmt werden, die der Schüler vom Lehrer als Autorität angelernt bekommt. Die im Gehirn ablaufenden Prozesse haben dabei keinerlei Bedeutung für die Behavioristen, da das Gehirn als „black box“ aufgefasst wird, das einen Input erhält und darauf deterministisch reagiert.
Weiterhin haben die Behavioristen herausgefunden, dass ein ursprünglich unbedeutendes Spontanverhalten beispielsweise durch einen positiven Verstärker (z. B. eine Belohnung) verstärkt werden kann und der Organismus zudem aktiv beteiligt ist, wenn es um die Ausbildung von bestimmten Verhaltensweisen geht. Bei diesem operanten Konditionieren ist somit nicht mehr der Reiz das Entscheidende, sondern die Verstärkung. Demnach reagiert die Umwelt positiv oder negativ auf bestimmte Verhaltensweisen und beeinflusst somit den Organismus in seinem zukünftigen Handeln. Lernen oder ein erfolgreicher Lernprozess sind demnach dann erkennbar, wenn sich ein ganz bestimmtes Verhalten häufiger einstellt als vorher.
Aufgrund moderner Forschungen kann heute zu den Forschungsansätzen und Einstellungen der Behavioristen jedoch einiges kritisch angemerkt werden. So zum Beispiel die Überbetonung des reaktiven und die Vernachlässigung des aktiven Moments im menschlichen Verhalten, denn das Verhalten des Menschen muss nicht zwingend durch einen äußeren Reiz ausgelöst worden sein. Selbst gesetzte Ziele oder Motive des Menschen können auch für bestimmte Verhaltensweisen verantwortlich sein. Daher erscheint es nahezu fatal den Sinn und Willen „als handlungsbegründende Eigenschaften des Menschen“[11] zu bestreiten oder zumindest nicht zu beachten. Hinzu kommt, dass es bei dieser Art von Lernen fraglich ist, ob das Wissen hierbei tatsächlich verstanden oder nur eingepaukt ist.
In den 60-er Jahren ist die Vorherrschaft der behavioristischen Theorien durch die sogenannte Kognitive Wende zurückdrängen worden. Seit dieser Zeit richtet sich nun das Augenmerk der Lernforschung auf die Innensteuerung, also die internalen und psychischen Prozesse des Lernens. Zur Erklärung von menschlichen Verhaltensweisen sind seitdem also nicht mehr (nur) die Umweltbedingungen und äußeren Reize verantwortlich gemacht worden, sondern auch kognitive Prozesse, wie beispielsweise wahrnehmen, denken, urteilen, erinnern und verstehen. Kognitivisten schließen von direkt wahrnehmbarem Verhalten darauf, welche internen Prozesse der Informationsverarbeitung im Gedächtnis eines Menschen ablaufen. Das Gehirn wird nun jedoch nicht mehr als „black box“ verstanden, bei der In- und Output das Wesentliche sind, vielmehr sind die dazwischenliegenden geistigen Prozesse von Interesse.
Lernen meint in diesem Zusammenhang eine Strukturierung des Wissens durch Vernunft und Einsicht, man spricht auch von einer aktiven Aneignung der Umwelt[12]. Oftmals geht es hierbei gar nicht darum etwas Neues zu lernen, sondern vielmehr „umzulernen“. Demzufolge kann Lernen auch als Informationsverarbeitung begriffen werden, wobei es um den Erwerb von Wissen über uns selber und über die Welt geht. Die Enkodierung, also die Umwandlung von physikalischen Reizen in Bedeutungen für einen selber ist das Ziel dieses Lernprozesses. Für diesen Informationsverarbeitungsprozess müssen dann erstens von uns Menschen Signale aus der Umwelt aufgenommen, uns transformiert werden und diese dann zweitens mit bereits verfügbaren Informationen verknüpft werden. Im dritten Schritt geht es dann noch um die „Organisation von Einzelinformationen zu neuen komplexen Informationseinheiten“[13].
Der Auffassung von Lernen als Wissenserwerb liegt die Annahme zugrunde, dass Lernen „als Aufbau und fortlaufende Modifikation von Wissensrepräsentation definiert“[14] werden kann. Es geht sozusagen um das Konstruieren oder zumindest um die Modifizierung von bereits vorhandenem Wissen; man setzt also beim aktivierten Vorwissen an. Wichtig hierbei ist allerdings, dass es nicht um die bloße Integration von neuen Informationen in bestehende Wissensstrukturen, sondern um eine wirkliche „Modifikation dieser Strukturen aufgrund der Verarbeitung der neuen Informationen“[15] geht. Auch hierbei wird von einer Adaption an situative Gegebenheiten ausgegangen, da letztendlich alles, was gelernt wird, im Hinblick auf seinen Gebrauch gelernt wird.
Lernen ist somit nach kognitivistischer Auffassung ein aktiver interner Verarbeitungsprozess, bei dem der Lernende äußere Reize selbständig verarbeitet. Dem Lehrer kommt hierbei lediglich die Rolle eines Tutors zu, der die Lernenden unterstützt, in dem er diese beobachtet und ihnen hilft sich zweckmäßige Methoden zur Antwortfindung anzueignen. Zudem ist kognitives Lernen „ein Merkmal intelligenten Verhaltens“[16], da es den Menschen dazu befähigt auf einer höheren und bewussteren Stufe neuartige Aufgaben erfolgreich zu bearbeiten. Dies steht dann wiederum in engem Zusammenhang mit der kumulativen Seite des Lernens, da neues Wissen immer in das Vorwissen verankert wird. Aus dieser Ansicht resultiert dann natürlich, dass auch unterschiedliche Verfahren zu optimalen Ergebnissen führen können. Für die Kognitivisten kommt es demnach darauf an, richtige Methoden zur Problemlösung zu erlernen, „deren Anwendung dann erst die (eine oder mehrere) richtige Antworten ergeben“[17]. Als Zweck des Wissenserwerbs kann folglich festgehalten werden das neu erworbene Wissen in alltäglichen Situationen wieder abrufen zu können; zum Beispiel zur Lösung theoretischer oder praktischer Probleme.
Ähnlich wie beim Behaviorismus wird mittlerweile auch oft an den kognitivistischen Ansätzen kritisiert, dass seine Vertreter von einer einzigen, objektiv wahren und erkennbaren Realität ausgehen. Hinzu kommt, dass Probleme oftmals eben nicht einfach objektivistisch vorliegen und ihrer Lösung harren, vielmehr müssen Probleme häufig „erst einmal gesehen (konstruiert oder erfunden) werden, damit sie gelöst werden können“[18].
Die Vertreter des Konstruktivismus sprechen im Hinblick auf den Wissensaufbau von einem individuellen Aufbauprozess. Zudem lehnen sie die Annahme einer „objektiven“ Beschreibung und Erklärung der Realität ab[19], da sich ihrer Meinung nach jedes Individuum seine Erkenntnisse und seine subjektive Wirklichkeit aufgrund eigener Erfahrungen selber kreiert. Es geht folglich darum neue Informationen in bereits vorhandene kognitive Strukturen einzuordnen, sie zu strukturieren und letztendlich alles in einen kohärenten Zusammenhang zu bringen[20]. Demzufolge gehören einerseits exakte Fakten, an die angeknüpft werden kann, zu den Voraussetzungen für einen erfolgreichen Lernprozess. Andererseits sind aber auch entsprechende Denkfähigkeiten von großer Bedeutung.
Mittlerweile ist aufgrund neurobiologischer Forschungen mehrfach empirisch bewiesen, dass das menschliche Gehirn Informationen nicht als separate „Abteilungen“ abspeichert, sondern diese zu komplexen Netzen ordnet und verbindet. Lernen ist konstruktivistisch betrachtet nicht nur eine Anpassung an die Umwelt oder das Ergebnis von Belehrungen und Instruktionen[21]. Vielmehr beinhaltet Lernen die permanente Konstruktion und Dekonstruktion von Wirklichkeiten. Durch die Kooperation mit anderen Menschen und mit seiner Umwelt muss sich der Lerner selber dazu befähigen, mit komplexen Situationen operieren zu können. Wichtig hierfür ist, dass das Lernen strukturdeterminiert abläuft, da die biografisch gewachsenen sensorischen, emotionalen und kognitiven Strukturen den Rahmen für den Lernprozess vorgeben beziehungsweise abstecken. Wie der Mensch neue Informationen aufnimmt und verarbeitet, hängt demnach „weniger von der Qualität der Mitteilung ab als von dem internen kognitiv-emotionalen System“[22] und seiner derzeitigen Verfassung. Demnach spielen auch emotionale, personale und motivationale Faktoren eine äußerst wichtige und ernst zu nehmende Rolle, da neben den Informationen auch deren Kontexte (unter welchen Umständen die neuen Informationen aufgenommen worden sind) gespeichert werden. Aus diesem Grunde ist es im Hinblick auf den Lernerfolg von Bedeutung wo, wann und mit wem gelernt wird.
Bei den konstruktivistischen Konzepten stehen somit nicht mehr der Lehrer, sondern der Lerner und seine eigenen persönlichen Erfahrungen ganz klar im Mittelpunkt. Dem Lehrer kommt hierbei die Aufgabe zu mit den Schülern zu kooperieren, deren Lernprozesse zu begleiten und sie zur Überprüfung des neu erlernten Wissens zu ermutigen. Wichtig ist dann hierbei vor allem, dass der Lerner aktiv ist und das Lerngeschehen selbständig steuert (soweit er dazu in der Lage ist). Um dies zu ermöglichen, sind folgende Voraussetzungen erforderlich: erstens muss die Lernsituation möglichst authentisch sein, damit der Lerner später sein neu erlerntes Wissen auf die reale Welt übertragen kann. Schließlich stehen beim Konstruktivismus nicht der Erwerb von Fachwissen, sondern der Transfer und der Anwendungsbezug von Wissen im Vordergrund[23]. Zudem sollte die Lernumgebung anregend auf die Lerner wirken und des Weiteren so gestaltet sein, dass ein soziales Miteinander der Lerner möglich ist, und mit- und voneinander gelernt werden kann. Des Weiteren sollten die zu bewältigenden Aufgaben den Interessen des Lernenden angepasst sein beziehungsweise relevant für ihn sein, denn das menschliche Gehirn als selbstreferenzielles System lernt zielgerichtet. Zweckmäßige Filter für diese Art von Lernen sind beispielsweise Motivation und Interesse des Lerners. Hierbei ist zu bedenken, dass das bereitgestellte Lernmaterial möglichst unterschiedliche Lernkanäle ansprechen sollte. Eine abstrakte oder symbolische Vermittlung von Wissen halten die Konstruktivisten für absolut unmöglich. Als Lernziel kann für die konstruktivistischen Ansätze sicherlich die Differenzwahrnehmung konstatiert werden, da es für dieses Lernverständnis maßgeblich ist, sich bewusst zu machen, „dass die eigene Perspektive nie die einzig Mögliche ist“[24], auch wenn eine Handlungs- oder Denkweise unter ganz bestimmten Umständen sehr brauchbar ist.
Doch auch ein konstruktivistisches Lernverständnis stößt in einigen Bereichen an gewisse Grenzen, so beispielsweise bei Lernprozessen, die auf ein größtenteils automatisiertes Verhalten abzielen. Genau an dieser Stelle wird dann erneut deutlich, dass es auch heute noch viele Lernstoffe und Fertigkeiten gibt, die eben nicht von den Schülern selber entdeckt werden können, sondern lediglich durch ein wiederholtes Einüben erworben werden können. Darüber hinaus kann eine zu stark isolierte und individuelle Betrachtungsweise während des Lernprozesses auch dazu führen, dass die sozialen Komponenten des Lernens zu wenig Betrachtung finden oder gar gänzlich wegfallen. Zudem benötigen gerade schwächere Schüler oftmals umfassende Hilfestellungen in Sachen Strukturierung und Vorgehensweise[25].
Zusammenfassend kann aber festgehalten werden, dass sich die heutigen Lernforscher (gleichgültig auf welchen theoretischen Ansätzen ihre Forschungen basieren) einig darüber sind, dass Lernen ein aktiver Prozess ist, der von einem Subjekt realisiert wird, „das sich Ziele setzt, denen Bedürfnisse und Motive zugrunde liegen“[26]. Darüber hinaus beruht Lernen auf der Wechselbeziehung zwischen Subjekten (z. B. Schüler und Lehrer) im Hinblick auf bestimmte Objekte (Lerngegenstände). Wenn vom Lernen gesprochen wird sind damit Veränderungen gemeint, die von Beobachtern als Lernergebnisse gedeutet werden.